Schmitz, Richard - Erlösung und Sühnung

Schmitz, Richard - Erlösung und Sühnung

Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, daß er Sünde vergibt, welche bisher geblieben war unter göttlicher Geduld.

Römer 3, 24. 25

Das ganze Schwergewicht des Heils beruht darin, daß es aus Gnaden, frei und umsonst dargeboten wird; würde der leiseste Zweifel übrigbleiben, daß es so ist, so wäre es mit uns aus. Nur ein Heil, das vollkommen ist und keiner Zutaten bedarf, ein Heil, das allein auf Glauben gestellt ist und von jeder Würdigkeit des Menschen absieht, die er nicht hat, kann Hoffnung unserer Seligkeit sein. Wenn irgendwo, so muß hierin die Schrift klar und eindeutig sein. Sie ist es auch. Es besteht kein Wenn und kein Aber. Nicht lange Erörterungen finden sich in den Versen 21-26; aber jede Zeile ist klar, bestimmt und inhaltsschwer; eigentlich sind es nur Überschriften, zu denen die übrige Schrift eine geschlossene Auslegung bietet. Auch die Frage, wie Gott dazu komme, unbeschadet seiner Heiligkeit den schuldigen Sünder ohne Verdienst der Werke, allein auf dem Wege des Glaubens zu rechtfertigen, d. h. ihn mit ewiger Geltung, also auch für den künftigen Richterspruch, für gerecht zu erklären, findet ihre bündige und befriedigende Antwort. Es heißt: „Durch die Erlösung in Christus Jesu, den Gott vorgestellt hat zur Sühnung (oder als Sühnmittel, Luther: Gnadenstuhl) durch den Glauben an sein Blut zur Erweisung seiner Gerechtigkeit“ (24.25). Nicht ohne Grund hat man diese Stelle „das Mark der Theologie“ genannt. Es sind hier - wie es sonst nirgendwo in der Schrift vorkommt - Erlösung und Sühnung unmittelbar zusammen genannt und miteinander verbunden. Warum dies geschehen ist, wird deutlich werden, wenn wir das einzelne näher betrachten.

Was bedeutet „Erlösung“? Man kann das Wort auch mit „Loskaufung“ wiedergeben. Sie setzt eine Schuldverhaftung voraus und besagt, daß aus ihr durch Zahlung eines Lösegeldes jemand befreit und entlassen wird. Nun heißt es aber: „Wisset, daß ihr nicht mit Gold oder Silber erkauft seid …, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes“ (l. Petrus l, 18). Dieser Preis ist von Gott für eine ganze schuldverhaftete adamitische Menschheit durch die Auferweckung des Bürgen als vollwertig anerkannt, weil Jesus „sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung“ (l. Timotheus 2, 6). Durch dieses Loskaufen hat Jesus an den Menschen einen Anspruch erworben: „Ihr seid teuer erkauft“ (l. Korinther 6,20), und: „Ihr seid Christi“ (l. Korinther 3, 23). Was Erlösung und Sühnung gemeinsam haben, tritt hier schon zutage; beides gründet in der Opfertat Christi auf Golgatha, wodurch genug geschehen ist für alle Menschen.

Es mag hier schon vorweg bemerkt werden, daß „Erlösung“ weiter geht als „Sühnung“, da sie nicht allein zielt auf Tilgung der Sündenschuld, sondern auch auf Befreiung von Sündenherrschaft. Weil Sünde ebensowohl eine den Menschen beherrschende Macht, als auch eine das Gericht fordernde Schuld ist, bedurfte es zum Abwenden der Sündenmacht einer Erlösung, wie gegenüber der Sünde als Schuld einer Sühne. Weder konnte Gott eine Erlösung stiften, die nicht zugleich Sühnung war, noch ließ sich die Sünde als Schuld aufheben, ohne sie zugleich als eine den Menschen knechtende Macht zu überwinden. Die Erlösung schließt sowohl wiederhergestellte Gottesgemeinschaft, wie auch Aufhebung aller Sünden- und Todesmacht in sich ein. Beides wird verwirklicht, indem der Mensch in die Lebensverbindung mit Christus eintritt und sein eigen wird.

Dieser letztere Gedanke der Eigentumserwerbung Christi mittels Loskaufens durch einen Preis mit all den Wirkungen, die sie begleitet (Epheser l, 14; 2. Thessalonicher 2, 14; Titus 2, 14), tritt einstweilen noch zurück. Nicht die sittliche, sondern die religiöse Seite der Erlösung, die Rechtfertigung durch den Glauben, wird hier erörtert. Deshalb begnügt sich der Apostel damit, das Wort „Erlösung“ hier nur auszusprechen, um erst später, Abschnitt 6-8, darauf zurückzukommen und diesen großen Gedanken in der Fülle seiner Bedeutung in den Mittelpunkt des Briefes zu stellen. Es geht ihm vorliegend nur darum, einen Einwand zu beseitigen, der erhoben werden könnte, nämlich, daß die Bereitschaft Gottes, die Sünden zu vergeben, beweise, daß es entweder mit der Heiligkeit Gottes nicht weit her sei oder daß die Schuld der Sünde nicht allzuschwer wiege. Es ist gerade die Theologie gewesen, die bis in unsere Tage es vielfach so darzustellen gesucht hat, als ob Jesu freiwilliges Sterben lediglich dem sündigen Menschen zeigen sollte, wie sehr er von Gott geliebt werde! Der Grund, auf dem der Glaube ruht und allein ruhen kann, wird damit untergraben und das Evangelium vernichtet.

Wir sind dem Heiligen Geist dankbar, daß er im Römerbrief, und zwar da, wo er von dem Kernstück des Glaubens, der Rechtfertigung durch den Glauben, redet, diese gründet auf die Sühntat auf Golgatha. In ihr kommt sowohl die unverletzliche Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes zur Geltung, wie auch die höllentiefe Schuld der Sünde des Menschen. Calvin sagt: „Es gibt wohl in der ganzen Bibel keine Stelle, welche die Gerechtigkeit Gottes in Christus gründlicher darstellt.“ Ebenso ist aber auch im Tode Jesu die Sünde als das, was sie ist, enthüllt worden.

Es heißt: „Gott hat ihn (Christus) vorgestellt als Sühnung (auch Sühnmittel) durch den Glauben in seinem Blut zur Erweisung seiner Gerechtigkeit,“ Luther hat das Wort „Sühnung“ mit „Gnadenstuhl“ übersetzt, wobei ihm vorschwebte der jährliche Versöhnungstag in Israel, an dem der Hohepriester von dem Blut des Sühn-Opfers nahm und damit im Allerheiligsten den Gnadenstuhl, den Sühndeckel der Bundeslade, siebenmal besprengte: „Denn an diesem Tage geschieht eure Versöhnung, daß ihr gereinigt werdet von allen euren Sünden vor dem Herrn“ (3. Mose 16, 30). Freilich geschah dies dort ungesehen von allem Volk, während es hier heißt, daß Jesus als Sühnmittel „vorgestellt“, d. h. öffentlich ausgestellt worden sei - womit gesagt sein soll, daß Jesus nach Gottes Absicht nicht meuchlings, sondern nach vorherigem ordentlichem Verhör und auf des ganzen Volkes Verlangen zum Kreuzestode verurteilt und daß dieser angesichts der Menschen, der Engelwelt und selbst der satanischen Geisterwelt vollstreckt wurde. - Das Wort „vorgestellt“ kann aber auch übersetzt werden: „vorherbestimmt“, im voraus bei sich bestimmen - eine Bedeutung, die mit diesem Wort häufig in der Schrift verbunden wird. Das Wort hat dann den Sinn, daß Gott im voraus beschlossen hatte, die so lange verhüllte Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes in der gerichtlichen Dahingabe seines Sohnes offen an den Tag kommen zu lassen. Zu dieser letzten Bedeutung passen die folgenden Worte: „zur Erweisung seiner Gerechtigkeit“. Das Wort „Gerechtigkeit“ bedeutet hier nicht wie vorher „die Gerechtigkeit Gottes“, die dem Menschen geschenkweise dargeboten wird. Die Übersetzung von Luther: „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“, ist hier irreführend und verwirrt den eigentlichen Sinn. Es ist vielmehr - wie alle Ausleger zugeben - hier gedacht an die Gerechtigkeit als dem eigenen Wesen Gottes selbst, an Gottes Heiligkeit, die auf Golgatha zur Erweisung„, d. h. zum Austrag gegenüber der Sünde gekommen ist. Sühne ist Vergeltung. Die Aussagen in Jesaja 53 haben auf Golgatha volle Erfüllung gefunden. Der Gedanke, daß der Knecht Gottes als Sündopfer „die Sünde getragen“, ist der sechsmal wiederholte Kehrvers für alle Wendungen der Rede, der Tiefpunkt für die Pendelschwingungen der hier mächtig auf- und abwogenden Weissagung.

Auf Golgatha ist gezeigt, an welchem Ziel die Weltgeschichte unfehlbar ausläuten wird und was es heißt, verlorenzugehen. Golgatha ist Vorspiel der Vergeltung des Gerichts am Ende der Tage für alle, die unbußfertig dahinleben; ohne Golgatha würde das kommende Gericht eine Überraschung sein; nun aber ist es dies nicht mehr.

Für „Sühne“ und „Versöhnung“ hat die Grundsprache ganz verschiedene Ausdrücke; beides ist daher auch begrifflich auseinanderzuhalten. Wie schon oben angedeutet, wurzelt der Begriff „Sühne“ im alttestamentlichen Opferdienst; mit ihm hatte Gott die Vorstellung tief in das Bewußtsein des Volkes eingeprägt: „Ohne Blutvergießen keine Vergebung“ (Hebräer 9, 22). Nicht Gott leistet die Sühne; sie lag dem Menschen ob; der Priester war nicht Stellvertreter Gottes, sondern des Menschen: „er ist eingesetzt für die Menschen gegen Gott“ (5, l), darum heißt es auch im Hebräerbrief, wo Jesus zum ersten Male „Hoherpriester“ genannt wird: „Er ist ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen (nicht wie Luther: versöhnen) die Sünden des Volkes“ (Hebräer 2, 17). Der ganze Hebräerbrief ist in der Hauptsache eine Auslegung des Wortes „Sühne“, diese ist geleistet - wie es auch Römer 3, 25 heißt - durch „das Blut Christi“, mit dem er seine reine und heilige Seele für die des sündigen Menschen, an ihrer Statt hingab (Hebräer 9, 14).

Um unser Hoherpriester und damit unser Stellvertreter zu werden, mußte der Sohn Gottes als vollbürtiges Glied in die Menschheit eintreten: „Gott sandte seinen Sohn zur Sühne (Luther: Versöhnung) für unsere Sünden“ (l. Joh. 4,10), und Abschnitt 2, 2 wird geradezu gesagt: „Jesus ist die Sühne (auch hier Luther irrig: Versöhnung) für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.“ Paulus verwendet das Wort „Sühnung“ oder Sühnemittel nur in unserer Stelle Römer 3, 25, während er von der Sache auch anderwärts deutlich redet. „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm die Gerechtigkeit Gottes“ (2. Korinther 5, 21). Die Worte „zur Sünde gemacht“ sind eine deutliche Anspielung auf das Sündopfer am Versöhnungstage in Israel, da- wie Sprachkenner sagen - das Wort „Sündopfer“ im Hebräischen geradezu „Sünde“ heißt.

Das Wort „Versöhnung“ bedeutet: Wandlung, Herstellung eines neuen Verhältnisses, bei dem es sich immer um eine Zweiheit von Personen handelt. Was Gott angeht, so brauchte sich in seinem Wesen keine Wandlung zu vollziehen, weil er es selber war, der die Sühne in die Wege leitete. Nachdem durch diese seiner Heiligkeit genug geschehen, ist er indes nicht mehr gehindert, Gnade walten zu lassen. Die sittliche Weltordnung bleibt dabei nicht hur unversehrt bestehen, sondern seine Gerechtigkeit erheischt es gar, dem, der seine Sünden bekennt, diese zu vergeben (l. Johannes l, 9). „Es ist unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung; Gott ermahnt die Menschen: Lasset euch versöhnen mit Gott“ (2. Korinther 5, 19. 20). In der selbständigen Stellung, die Gott dem Menschen gegeben, ist es begründet, daß die geleistete Sühne in Christus nur dem zugute kommen kann, der in die dargereichte Hand Gottes zur Versöhnung einschlägt. Dies nennt der Apostel in unserer Stelle (3, 25) den „Glauben“, der in die Heilsordnung Gottes eingebaut ist, weil es mechanische oder magische Heilswirkungen nicht gibt. Ohne Glauben bleibt der Mensch ewig von Gott geschieden; er geht verloren nicht wegen seiner Sünden, wie viele ihrer auch sind und wie schwer sie auch sein mögen, sondern es ist der Unglaube, der sich der von Gott angetragenen Versöhnung widersetzt. Gott kann den Menschen nicht zwingen; es wäre ihm auch damit nicht geholfen.

Versöhnung mit Gott und Rechtfertigung durch Gott bedeuten sachlich dasselbe. Letztere ist aber nach geschehener Sühne von selten Gottes nun eine in seiner Gerechtigkeit beruhende Notwendigkeit geworden, für den Menschen aber ein ihm zustehendes verbrieftes Recht, insofern er die Sühne in Christus durch den Glauben als für ihn geschehen anerkennt. Gott hat es nicht mehr unmittelbar mit dem sündigen Menschen zu tun, sondern nur noch mit dem, der als dessen Stellvertreter sühnend in das Verhältnis zu Gott eingetreten ist. Die Sühntat Jesu auf Golgatha ist der Grundpfeiler der Rechtfertigung durch den Glauben.

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