Rambach, Johann Jakob - Betrachtung über das sechste Wort.

Rambach, Johann Jakob - Betrachtung über das sechste Wort.

Es ist vollbracht.
Joh. 19, 30.

Das sechste Wort, welches unser Heiland am Kreuz gesprochen, lautet Joh. 19, 30. also: „Es ist vollbracht.“ Es wird dieses sechste Wort gar genau mit dem vorhergehenden verknüpft, indem es heißt: „Da nun Jesus“, nach Entdeckung seines Durstes, „den Essig genommen hatte“, sprach er: „Es ist vollbracht.“ Die schmerzliche Empfindung des Durstes und der darauf erfolgte Essigtrank war das letzte Leiden, welches der Herr Jesu vor seinem Tode auszustehen hatte. Da nun auch dieses überstanden und auch hierin die Schrift erfüllt war, so heißt es nun: Es ist vollbracht.

In den vorhergehenden Worten hat er sein schweres Leiden seinem himmlischen Vater vorgetragen, und zwar in dem vierten Wort das Leiden seiner verlassenen Seele, in dem fünften Wort daß Leiden seines entkräfteten Leibes, dessen äußerste Mattigkeit aus dem großen Durst abzunehmen war. In diesem sechsten Wort wird nun der Grenzstein aufgerichtet, bei welchem sich die Leiden seines Leibes und seiner Seele endigen, ja es wird darin gleichsam die Krone auf alles bisher ausgestandene Leiden gesetzt, und die fröhliche Vollendung desselben öffentlich ausgerufen.

Es besteht aber dieser Ausspruch im Griechischen nur aus Einem Worte: „Es ist vollbracht“; durch welche Kürze uns unser Heiland zum Nachdenken hat reizen wollen, daß wir nachfragen sollen, was denn vollbracht sei, weil er nichts Besonderes nennt. Vergleichen wir hiemit die vorhergehenden Reden des Herrn Jesu, so können wir Unterschiedliches aus denselben nehmen, diesen kurzen Ausspruch vollständiger zu machen. Er spricht zum Exempel, Luc. 13, 50.: „Ich muß mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet werde.“ So mögen wir denn hier hinzusehen: Meine Kreuzestaufe ist nun vollendet oder vollbracht. Luc. l8, 31. spricht er: „Es wird Alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn.“ So mögen wir denn hinzusetzen: Es ist Alles vollendet, was die Propheten von des Menschen Sohn und von dem Stande seiner Erniedrigung geschrieben haben. Joh. 17. 4. spricht der Sohn zu seinem Vater: „Ich habe vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, daß ich's thun soll.“ So mögen wir denn hinzusetzen: Es ist vollbracht das Werk, das mir mein Vater gegeben hat, daß ich's thun soll.

Doch wenn wir auch andere Stellen der heiligen Schrift hiemit vergleichen und die Sache etwas ordentlicher fassen wollen, so mögen wir überhaupt sagen, daß in diesem Wort Alles begriffen sei, was zur Erwerbung unserer Seligkeit gehört. Wie nämlich das große Werk der Schöpfung mit einem solchen „Es ist vollbracht“ beschlossen wird. 1 Mos. 2,1.: „Also ward vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer“; eben also wird auch hier das Werk der Erlösung, durch welches die Schöpfung wieder zu Ehren gekommen ist, mit einem „Es ist vollbracht“ beschlossen. Und wie Gott jenes am sechsten Tage der Woche vollendet, und darauf am siebenten geruht, also hat der Sohn Gottes auch dieses am sechsten Tage vollbracht, und darauf den siebenten Tag über im Grabe geruht.

Etwas umständlicher aber hievon zu reden, so war 1) vollbracht, was Gott in seinem ewigen Rathschluß von der Erwerbung unseres Heils beschlossen hatte, daß es von unserm Bürgen in angenommener Knechtsgestalt theils gethan, theils gelitten werden sollte. Denn das war bisher die Speise des Sohnes Gottes gewesen, diesen Willen seines Vaters zu thun, und sein Werk zu vollenden, wie er selbst, Joh. 4, 34., von sich bezeugt. In dieser Vollbringung des Willens Gottes war er nun bis auf die unterste Stufe herabgestiegen, und gehorsam geworden bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz, Phil. 2, 8.

Es war 2) vollbracht, was der prophetische Geist von dem Leiden Christi und seiner tiefen Erniedrigung vorher hat verkündigen lassen, theils durch Vorbilder, dahin die Aufopferung Isaaks, die Schlachtung des Osterlamms, die Aufrichtung der ehernen Schlange und die unzähligen Opfer des levitischen Gottesdienstes gehörten; theils aber durch deutliche Weissagungen, welche von allen Theilen und Umständen seines Leidens vorher gegangen waren. Nur einige anzuführen, so war vollbracht, was von seiner Verrathung durch einem seiner Jünger vorher verkündigt worden, Ps. 4l, 10.: .„Auch mein Freund, dem ich mich vertrauete, der mein Brod aß, tritt mich unter die Füße.“ Es war vollbracht, was von seiner Verkaufung für dreißig Silberlinge Zach. 11, 12. 13. vorher gesagt ist: „Sie wogen dar, so viel ich galt, dreißig Silberlinge.“ Es war vollendet, was von der Flucht aller seiner Jünger geweissagt steht, Zach. 3, 7.: „Die Schafe der Heerde werden sich zerstreuen.“ Es war vollbracht, was von seiner Verklagung vor Gericht und von seiner Beschuldigung durch falsche Zeugen prophezeit ist, Ps. 35, 11.: „Es treten frevele Zeugen wider mich auf, die zeihen mich, daß ich nicht schuldig bin.“ Es war vollbracht, was von seiner Verspeiung geschrieben ist, Jes. 50, 6.: „Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.“ Es war vollbracht, was von seiner Verspottung steht, Ps. 22, 7.: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks“; und Ps. 79, 8.: „Um deinetwillen trage ich Schmach, mein Angesicht ist voller Schande.“ Es war vollbracht, was von seiner Geißelung gelesen wird, Jes. 50, 6.: „Ich hielt meinen Rücken dar denen, die mich schlugen.“ Es war vollbracht, was von der Durchbohrung seiner Hände und Füße am Kreuz im 22. Psalm geschrieben ist Vers 17.: „Sie haben meine Hände und Füße durchgraben; ich möchte alle meine Gebeine zählen.“ Es war vollbracht, was von der Theilung seiner Kleider in eben demselben 22. Psalm im 19. Vers zu finden ist: „Sie theilen meine Kleider unter sich und werfen das Loos um mein Gewand.“ Es war vollbracht, was von der Verspottung seines Vertrauens auf seinen himmlischen Vater ebendaselbst Vers 8, 9. steht: „Alle, die mich sehen, spotten mein, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf: Er klag's dem Herrn, der helfe ihm aus, und errette ihn, hat er Lust zu ihm.“ Es war vollbracht, was von seiner Verlassung von Gott im 2. Vers desselben Psalms mit diesen Worten vorher verkündigt war: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Es war vollbracht, was von seiner Tränkung mit Essig im 69. Psalm Vers 22. steht: „Sie geben mir Essig zu trinken in meinem großen Durst.“ Summa: was von allen Umständen des Standes seiner Erniedrigung in allen Schriften der Propheten anzutreffen ist. das war nunmehr erfüllt, und war nichts weiter übrig, als sein Tod, wodurch das Testament der Gnade bestätigt werden mußte, und sein Begräbniß, zu welchem bereits alle Zubereitung und Anstalten gemacht wurden.

Es war 3) vollbracht alles, was das Gesetz erfordert. Es erforderte aber einen vollkommenen Gehorsam, daß man Gott liebe von ganzem Herzen und von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüthe, und seinen Nächsten als sich selbst. Wer das nicht leisten kann, dem droht es einen ewigen Fluch. Jesus Christus hatte nun die Forderung des Gesetzes erfüllt. Er hatte seinen Vater von ganzem Herzen und von ganzer Seele geliebt und sich als ein Brandopfer in seinem Dienst und in dem Eifer für seine Ehre verzehrt. Seinen Nächsten aber, und zwar Freunde und Feinde, hatte er nicht nur wie sich selbst, sondern mehr als sich selbst geliebt, indem er jetzt im Begriff war, sein Leben für seine Brüder zu lassen. Zugleich aber hatte er auch alle Strafen ausgestanden, welche das Gesetz uns, als seinen Uebertretern, drohte, und war ein Fluch für uns geworden. Also war alles, was das Gesetz verlangen konnte, geleistet und die Handschrift mit dem Blute des Mittlers gleichsam durchstrichen.

Es war 4) vollbracht, was zur Versöhnung des menschlichen Geschlechts nöthig war. Es war nun vollbracht das einige Opfer für die Sünde der Welt, welches durch alle Opfer des alten Testaments war abgebildet worden, besonders durch den Bock, welcher am Versöhnungsfest geschlachtet und dessen Blut von dem Hohenpriester in's Allerheiligste getragen werden mußte. Hier war ein besseres Opfer, denn jenes, ein Opfer von unendlicher Würde, durch dessen Blut die beleidigte Gerechtigkeit Gottes so befriedigt wurde, daß sie aufhörte, ihre Beleidiger zu verfolgen.

Es war 5) vollbracht, was zur Wiederaufrichtung des göttlichen Ebenbildes in den Seelen der Menschen nöthig war. Nachdem nun der Fluch hinweggenommen war, so war Raum gemacht, daß der Segen wieder über die Völker kommen konnte. Dieser Segen besteht nicht nur in der Vergebung der Sünden und in der Tilgung der Uebertretungen, sondern auch in der Mittheilung des heiligen Geistes, welcher durch den Hingang Jesu Christi zum Vater erworben worden, und welcher den Glauben an das Blut und Versöhnopfer Jesu Christi anzündet, der das Herz der Menschen bewohnt, das göttliche Ebenbild darin anrichtet und den Verstand wieder mit göttlichem Licht und Weisheit, den Willen mit einer lautern Liebe Gottes und des Nächsten erfüllt.

Es war 6) vollbracht, was zur Zerstörung des Reichs des Satans erfordert wurde. Denn mit seinen blutigen Fersen hatte dieser Weibessame nunmehr der Schlange den Kopf zertreten, das Reich des Teufels zerstört, ihm seine Gewalt, die Gläubigen anzuklagen und zu beherrschen, völlig genommen, die Menschen, die sich ihm verkauft hatten, wieder eingelöst und das tyrannische Joch dieses starken Gewappneten zerbrochen.

Es war endlich 7) vollbracht, was die Gerechtigkeit Gottes beschlossen hatte den Feinden Jesu Christi, über das Leben dieser allerheiligsten Person zu verhängen. Dieß waren die Grenzen, bei welchen die tobenden Wellen ihres Grimmes und ihrer Bosheit sich legen mußten. Sie hatten nun alles vollendet, was nach dem vorbedachten Rath und Willen Gottes geschehen sollte, und es war nun nichts mehr übrig, als daß der Sohn sein Haupt neigen und seine Seele in die Hände seines himmlischen Vaters empfehlen sollte.

Von einem jeden dieser sieben Stücke heißt es: „Es ist zu Ende gebracht.“ Man wird hier nicht auf's Künftige vertröstet, daß noch Einer kommen solle, der den Rath Gottes von unserer Seligkeit vollbringe, der die Weissagungen und Vorbilder erfülle, der den Forderungen des Gesetzes ein Genüge thue, der das menschliche Geschlecht versöhne, das Ebenbild und Reich Gottes wieder anrichte und das Reich des Teufels zerstöre; sondern man wird hiemit versichert, daß dieses alles, so viel die Erwerbung betrifft, bereits geschehen sei. Was also in dem Oelgarten angefangen worden, das ist auf dem Berge Golgatha zu Ende gebracht. Dort hieß es Matth. 26, 37.: „Er fing an zu trauern, zu zittern und zu zagen.“ Hier hatte nun das Trauern, Zittern und Zagen sein Ende erreicht. Dort hieß es: „Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?“ Joh. 18, 11. Nun ist er völlig mit allen seinen bittern Hefen ausgetrunken. Dort hieß es: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Nun kann dieser treue Knecht Gottes sagen: „Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast.“ Sein Eifer für die Ehre Gottes und für das Heil der Menschen ließ ihn nicht eher ruhen, bis er alles aus dem Wege geräumt hatte, wodurch Gottes Ehre verletzt und unser Heil verhindert wurde. Seine herzliche Liebe trieb ihn an, unsere Sache, welche er auf sich genommen hatte, hinauszuführen und völlig auszumachen. Denn was er nicht vollbracht hätte, das würde auf uns gefallen sein, und was er nicht der göttlichen Gerechtigkeit bezahlt hätte, das würde sie bis auf den letzten Heller von uns gefordert haben. Aber Gottlob, von dieser Furcht sind wir durch das „Es ist vollbracht“ völlig befreit. Was er bei seiner Sendung in die Welt seinem himmlischen Vater zugesagt hatte, Ps. 40, 8. 9. Hebr. 10, 9.: „Siehe, ich komme, zu thun, Gott, deinen Willen“, das hat er treulich gehalten, und allen Rath Gottes von unserer Seligkeit vollendet.

Von uns heißt es Luc. 17, 10.: „Wenn ihr alles gethan habt, was euch anbefohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben gethan, was wir zu thun schuldig waren“; aber dieser große und treue Knecht Gottes gehört nicht unter die Zahl der unnützen Knechte. Nachdem er seine Arbeit vollendet hat, so wird er auf den versprochenen Lohn dringen, und sein gerechter Vater, der befohlen hat, daß man dem Arbeiter seinen Lohn geben soll, wird solchen seinem Sohne nicht vorenthalten. Er verlangt aber keinen andern Lohn seiner Mühe, als die Seelen. an welchen er sich zu todt geliebt und für welche er sich zu todt gearbeitet hat. Das, das ist der Lohn, den ihm sein Vater versprochen hat, Jes. 53, 12.: „Darum will ich ihm große Menge zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, darum, daß er sein Leben in den Tod gegeben hat.“ Diese Verheißung wird nun unfehlbar in ihre Erfüllung gehen. Kraft dieses Wortes: „Es ist vollbracht“, ist der Satan gezwungen, eine jede Seele, die seines Joches überdrüssig ist, und die sich entschließt, ihrem rechtmäßigen Herrn zu dienen, herauszugeben , wenn sie auch noch so tief in seinem Rachen steckte. Dieß „Es ist vollbracht“ zerreißt alle seine Fesseln und Bande, wenn sie auch noch so verwirrt und verwickelt wären.

Wohlan denn, wer bisher noch dem Satan gedient, entweder in offenbaren Werken des Fleisches oder Heuchelei und unter der Larve einer äußerlichen Ehrbarkeit, der lasse sich doch durch dieses Wort, das ihm sein sterbender Erlöser in die Ohren ruft, aus dem Schlafe seiner fleischlichen Sicherheit aufwecken und sich bewegen, aus dem Reiche des Satans in das Reich des Sohnes der Liebe durch eine wahre Bekehrung überzugehen. Warum will man länger ein Sklave des Satans, ein Sklave seiner bösen Lüste und Gewohnheiten, ein Sklave des Geizes, der Wollust, der Unreinigkeit, des Zornes, des Hochmuths bleiben, da in diesem Wort das große Frei- und Jubel, jähr ausgerufen und den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Eröffnung gepredigt wird? Warum will man länger in der Gefangenschaft bleiben, da ein vollkommener Sieg über das ganze Reich des Satans, ja über Sünde, Tod und Hölle erhalten ist? Die Arbeit der Erwerbung unseres Heils ist nun geschehen; es muß nun bei uns die Arbeit der Zueignung angehen, und ein Jeder muß das Werk der Buße und des Glaubens und eines aufrichtigen Gehorsams gegen Gott in sich anfangen, fortsetzen und vollenden lassen. Wenn man diese Arbeit scheut, kann man sich keine Hoffnung zu einem seligen Ende machen. Denn wie unser Heiland nicht eher sein Haupt neigen und sterben wollte, bis er ausrufen konnte: „Es ist vollbracht!“, so werden wir auch nimmermehr unser Haupt im Frieden neigen und selig sterben können, wenn wir nicht auch in unserm Theil ausrufen können: Es ist vollbracht! Zum wenigsten muß unsere Buße Wahrheit und unser Glaube rechtschaffen sein. Was dann an der Vollkommenheit unserer Reue, unseres Vertrauens und unseres Gehorsams fehlt, das wird aus dem Schatz des Verdienstes Jesu Christi ersetzt.

Darum auf, auf! o Seele, die du noch in diesen und jenen Stricken des Satans, die dir dein eigenes Gewissen sagen wird, verwickelt bist. Der Weg zu deiner Freiheit ist gebahnt, das Lösegeld für dich ist in's göttliche Gericht niedergelegt, die durch deine Sünden beleidigte Gerechtigkeit Gottes ist befriedigt und hat bereits der Barmherzigkeit Befehl gegeben, dich anzunehmen, wenn du weinend und betend kommen und Gnade suchen werdest. O so erfreue denn das Herz deines Erlösers durch deine Bekehrung, damit er alles Wohlgefallen seiner Gute an dir vollbringen könne.

Ist aber Jemand hier vorhanden, der einen Anfang der wahren Buße durch den Geist Gottes in seinem Herzen hat wirken lassen, dem sein aufgewachtes Gewissen vorhält, was er in seinem ganzen Leben Gutes unterlassen und Böses gethan habe, dem der Satan ein großes Sündenregister vorlegt und ihm ohne Unterlaß zuruft: Siehe, das und das Böse hast du ausgeübt, diesen und jenen sündlichen Gedanken hast du nicht nur gehabt, sondern auch vollbracht; diese und jene schändliche Lust hast du nicht nur empfunden und gehegt, sondern auch vollbracht, darum bist du ein Kind des Todes und der Verdammniß; der halte sich, obgleich zitternd und bebend, an dieses freudige Siegeswort seines Erlösers, und lasse sich durch sein „Es ist vollbracht!“ zum Glauben an seinen Namen erwecken. Im Gesetz ist weder Rast noch Ruhe mit allen seinen Werken, und es heißt ausdrücklich Hebr, 7, 49.: „Das Gesetz kann nicht vollenden“ oder „vollkommen machen“, es kann das Gewissen nicht vollkommen befriedigen, noch von der Gnade Gottes versichern. Aber von unserem Heilande heißt es, nachdem er selbst durch Leiden des Todes vollendet ist, Hebr. 5, 9., daß er mit Einem Opfer in Ewigkeit vollendet habe, die geheiligt werden sollen, Hebr. 10, 14. Er ruft demnach einer jeden betrübten und durch den Anblick ihrer Sünden niedergeschlagenen Seele zu: Fürchte dich nicht, o Seele, hast du viel Gutes unterlassen und viel Böses vollbracht, so habe ich alles wieder gut gemacht. Ich habe deine Schulden bezahlt, ich habe deine Sünden versöhnt, ich habe Gott dir wieder zum Freunde gemacht und dir den Weg zum Gnadenthron geöffnet, ich habe dich aus dem Fluch des Gesetzes herausgekauft, ich habe dich aus der Gewalt der Sünde und des Satans erlöst, ich habe die Macht der Hölle zerbrochen, ich habe dir Kraft erworben, alles zu überwinden. Halte dich nur an mich im festen und unbeweglichen Glauben, und eigne dir dasjenige, was ich für dich vollbracht und vollendet habe, nur sicherlich so zu, als ob du es selbst vollbracht und vollendet hättest. Es soll dir alles geschenkt und gerichtlich zugesprochen weiden. Durch meinen Tod ist dir die Erbschaft aller Herrlichkeit Gottes zugefallen, so daß du dich derselben völlig versichern kannst, und keinen Zweifel darein setzen darfst, daß dir forthin mein Vater mit eben der Liebe zugethan sei, womit er mich, seinen eingebornen Sohn, umfaßt. Ich will mein Werk in dir vollenden und dich endlich zu mir nehmen, auf daß du meine Herrlichkeit sehest, die mir nach meiner Vollendung mein Vater gegeben hat So freundlich redet der Herr Jesus ein jedes erschrockene Gewissen an, das seine Sünden als eine schwere Last fühlt und gerne davon befreit sein wollte.

Ist ferner Jemand hier vorhanden, der zwar zum Glauben an den Namen des Sohnes Gottes gekommen ist, aber sich mit ängstlichen Sorgen wegen seiner Beständigkeit bis an's Ende trägt, und oft bei sich selbst denkt: Ach, werde ich auch bis an's Ende treu bleiben? Ich fühle meine große Schwachheit und besorge, daß ich unter den häufigen Anläufen des Satans und meiner bösen Lüste einmal erliegen und wieder verlieren werde, was ich unter langem Kampfe erarbeitet habe. Eine solche, um ihre Beständigkeit bekümmerte Seele hat denn auch dieses Wort Christi: „Es ist zu Ende gebracht“, zu ihrem Trost anzunehmen. Es ist gut, o Seele, daß du deine Schwachheit fühlst; es ist gut, daß du dir selbst verdächtig bist, und durch das Andenken deines Unvermögens gedemüthigt wirst. Aber siehe, es ist ein Mann, der heißt Boas (das ist, in ihm ist Stärke), von dem steht im Vorbilde geschrieben im Buch Ruth 1, 18.: „Der Mann wird nicht ruhen, er bringe es denn zum Ende.“ So halte dich denn nur zu diesem Anfänger und Vollender des Glaubens, der dir alle nöthige Kraft, bis an's Ende treu zu bleiben, erworben hat. Er wird dich durch alle Stricke und Netze der verführerischen Welt hindurch führen, er wird dich durch Noth und Tod hindurch tragen und dich fest halten bis aus Ende. Dein vollendeter Heiland wird sein „Es ist vollbracht“, das er am Kreuz auch in deinem Namen mitgesprochen hat, in deinem letzten Kampfe auch in deinen Mund legen, er wird dich unbefleckt und unsträflich vor das Angesicht seines Vaters im Frieden stellen, damit du ihn unter den Geistern der vollendeten Gerechten, zu deren Gemeinschaft du allbereits durch den Glauben gekommen bist, Hebr. 12, 22. 23., für alle an dir erwiesene Treue ewig loben und preisen könnest.

Sollte endlich auch Jemand vorhanden sein, der nicht nur wegen seiner eigenen Beständigkeit und Seligkeit, sondern auch wegen der ganzen Kirche Jesu Christi bekümmert wäre, wie es doch noch derselben ergehen und wie die großen Verheißungen, die ihr gegeben sind und zu deren Erfüllung es sich noch so schlecht anläßt, vollendet werden möchten, der kann versichert sein, daß in diesem Worte Christi: „Es ist vollbracht“, bereits der Grund gelegt sei zur Erfüllung aller Verheißungen Gottes, die er seiner Kirche gegeben hat. Gleichwie alles vollbracht ist, was an dem gesegneten Haupt der Gemeine hat sollen vollendet werden, so wird auch an seinem geheiligten Leibe alles vollendet werden, was von demselben geschrieben steht, und wird kein einziges von allen guten Worten, die Gott geredet hat, auf die Erde fallen. Es wird, wie es Offenb. Joh. 10, 7. heißt, endlich „vollendet werden das Geheimniß Gottes an seiner Kirche, wie er hat verkündigt seinen Knechten und Propheten“. Es wird endlich nach der Offenb. Joh. 2l, 6. die Stimme von dem Stuhl erschallen: „Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.“ Darauf können wir uns also freuen und schon zum voraus ein Triumphlied und Halleluja anstimmen. Ein Jeder sei nur an seinem Theil besorgt, seinen Endzweck immer vor Augen zu haben, warum ihn Gott in die Welt gesetzt hat, und dahin zu sehen, daß er seinen Lauf mit Freuden vollende, und Glauben und gut Gewissen bewahre; so kann er, wie die Gläubigen des alten Testaments, welche die Zukunft Christi nicht erlebt, Hebr. 11, 39. 40., dennoch im Frieden sterben und gewiß sein, daß die Wahrheit Gottes, von welcher wir bereits so viele Proben haben, auch den Rest ihrer Verheissungen genau erfüllen werde. Zum Beschluß mögen wir noch das schöne Lied merken, worin dieses sechste Wort Christi also erklärt ist:

Es ist vollbracht, vergiß ja nicht
Dieß Wort, mein Herz, das Jesus spricht,
Da er am Kreuze für dich stirbet,
Und dir die Seligkeit erwirbet.
Da er, der Alles, Alles wohl gemacht,
Nunmehro spricht: Es ist vollbracht!

Es ist vollbracht am Kreuze dort
Gesetz und der Propheten Wort.
Was uns unmöglich, zu vollbringen,
Muß dem Gekreuzigten gelingen,
Was Gottes Rath von Ewigkeit bedacht,
Das ist durch seinen Tod vollbracht.

Es ist vollbracht und g'nug gethan,
Daß man nicht mehr verlangen kann;
Gott ist versöhnt und ganz gestillt,
Dieweil sein Wille ganz erfüllt.
Was ist's, daß man in Angst und Sorgen wacht?
Man glaube nur: Es ist vollbracht.

Es ist vollbracht, was soll ich nun?
Dazu noch, o mein Jesu, thun?
Nichts, nichts; denn was von dir geschehen,
Wird schon als mein Werk angesehen;
Auch das, was ich vollbringe Tag und Nacht,
Wird von dir selbst in mir vollbracht.

Es ist vollbracht, ich bin befreit,
Ich habe schon die Seligkeit;
Weil Sünd' und Tod sind weggenommen,
Ist Gnad' und Leben wieder kommen;
Darum, wenn auch gleich Alles bricht und kracht,
Sag' ich getrost: Es ist vollbracht!

Es ist vollbracht, vergiß ja, nicht,
Dieß Wort, mein Herz, das Jesus spricht.
Laß durch dasselbe dich erwecken,
Auch deine Pflichten zu vollstrecken.
So lang du lebst, laß dieß nicht aus der Acht,
Daß Jesus spricht: Es ist vollbracht!

Gebet

Nun, Du treuer und lieber Heiland Jesu Christe, der Du allen Rath und Willen Gottes von unserer Seligkeit vollbracht, der Du alle Schulden, welche Du als unser Bürge auf Dich genommen, bis auf den letzten Heller abgetragen; der Du alle Vorbilder des Gesetzes und alle Weissagungen der Propheten erfüllt; der Du den Fluch getilgt, den Segen erworben, das Reich des Satans zerstört und den Grund zur Aufrichtung des Reiches Gottes gelegt hast, ach, wie sollen wir Dich genugsam dafür loben, daß Du das vollbracht hast, was wir in Ewigkeit mit unseren Kräften nicht hätten vollbringen können! Denn wer kann eine unendlich beleidigte Majestät versöhnen, als ein unendlicher Gott, wie Du gewesen bist! Da nun, o Herr, von deiner Seite Alles vollbracht ist, so gib, daß wir auch von unserer Seite alles Wohlgefallen der Liebe Gottes an uns voll, bringen lassen. Gib, daß in unseren Seelen das große Werk der Buße und der neuen Geburt nicht nur angefangen, sondern auch fortgesetzt und vollendet werde, damit wir auch einmal unser: Es ist vollbracht! Dir nachlassen und mit den Geistern der vollendeten Gerechten Dich unsern vollendeten Erlöser ewig verherrlichen mögen. Das gib um deiner Vollendung willen. Amen.

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