Modersohn, Ernst - Jesus - der Christus

Modersohn, Ernst - Jesus - der Christus

Spricht das Weib zu ihm: Ich weiß, daß der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbe kommen wird, so wird er's uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.
Joh. 4, 25—26

Das ist die erste Offenbarung, die grundlegende Offenbarung, bei der wir zu verweilen haben. All die ändern können wir erst dann erleben, wenn wir erst diese erlebt haben. Wir sehen, wo Jesus sich als der Christus offenbart, da wird alles neu, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.

Die Vergangenheit wird neu durch die Offenbarung des Christus, das ist das erste.

Die Vergangenheit dieses samaritischen Weibes stand unter der Überschrift: „Sünde„, und zwar in einem solchen Maße, daß die Menschen, die sie kannten, sich voll Verachtung von ihr abwandten. Deshalb kam sie zu einer Zeit an den Brunnen, um Wasser zu schöpfen, zu der sonst niemand kam. Die anderen Frauen und Töchter der Stadt kamen in der Morgenfrühe oder in der Abendkühle. Aber sie kam in der Mittagshitze. Da war sie sicher, mit den ändern Frauen der Stadt nicht zusammenzutreffen. Die waren alle so fromm und ehrbar, die waren so erhaben in ihrer Selbstgerechtigkeit über sie, die Sünderin, die konnten so über sie herfallen mit scharfen Worten. Darum ging sie ihnen gern aus dem Wege.

Das weiß der Heiland auch, was für eine sie ist. Er kennt sie und ihre ganze Vergangenheit. Aber er wendet sich nicht von ihr ab, im Gegenteil! Gerade um ihretwillen nimmt er den Weg durch Samaria, um eine Begegnung mit ihr zu haben, um ihr herauszuhelfen aus dem Schmutz ihrer Sünde. Er sagt ihr auf den Kopf zu, was für ein Sündenleben sie geführt hat. „Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, der ist nicht dein Mann.“ Was für ein Leben in der Sünde offenbart sich da! Und — die Frau stellt es nicht in Abrede, sie leugnet nicht. Sie gibt ihre Schuld und Schande zu. Sie geht ja nachher zu ihren Mitbürgern und sagt zu ihnen: „Kommt, sehet einen Menschen, der mir gesagt hat alles, was ich getan habe, ob das nicht der Christus, der Messias ist.„ „Alles, was ich getan habe“, sagt sie, sie gesteht ihre Schuld ein.

Damit fängt die Offenbarung Christi an, auch heutzutage, daß er hineinleuchtet in unser Herz, in unser Leben, daß er uns unsere Sünde aufdeckt.

Es waren furchtbare Tage, die Saul von Tarsus in Damaskus zubrachte. Er aß nicht und trank nicht, steht davon geschrieben.

Da war es ihm zum Bewußtsein gekommen, daß er gegen Gott gekämpft hatte, als er meinte, für ihn zu streiten. Da machte er eine wahre Höllenfahrt der Sünden- und Selbsterkenntnis durch, so daß er sagte: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes!„

Nicht anders ging es unserm Reformator Martin Luther, als er in seiner Klosterzelle in Erfurt auf seinem Angesicht lag und rief: „Meine Sünde, meine Sünde, meine riesengroße Sünde!“

Das ist wohl eine furchtbare Stunde, wenn der Herr, der Herzenskündiger, in unser Herz hineinleuchtet,. daß wir erkennen, was wir sind: Sünder vor dem heiligen Gott! Liegt doch auf unserm Gewissen viel Schuld! Wir haben gesündigt in Gedanken, Worten und Taten. Wir haben gesündigt durch unsere Gleichgültigkeit gegen Gott, dessen Wort und Wille uns nichts galt. Wir haben gesündigt durch die Unterlassung des Guten, durch Lieblosigkeit und Unfreundlichkeit, durch Rechthaberei und Launenhaftigkeit. Ach ja, wenn der Herr uns unser Herz zeigt, so wie er es kennt, dann bekommen wir wohl einen Schrecken vor uns selber. Und dann steigt aus der Tiefe der Ruf auf: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen! Dein gnädig Ohr neig her zu mir und meiner Bitt es öffne! Denn so du willst das sehen an, was Sund und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, vor dir bleiben?„ Aber so furchtbar eine solche Stunde oder eine solche Zeit in unserm Leben ist, so gesegnet ist sie auch. Denn wo solch ein Ruf aus der Tiefe das Ohr und das Herz des Herrn erreicht, da neigt er sich hernieder.

Hat es so eine Stunde schon in deinem Leben gegeben, wo du dich im Lichte Gottes als einen „verlorenen und verdammten Menschen“ erkanntest, um mit Luther zu reden? Wenn du eine solche Stunde noch nicht erlebt hast, dann wünsche ich sie dir von ganzem Herzen. Wenn es auch Tränen kostet, wenn es auch den Schlaf kostet, ich wünsche dir so eine Stunde, wo der Herr Jesus in dein Herz leuchtet und dir dein Leben in seinem Lichte zeigt. Denn dann kommt eine andere Überschrift über dein Leben.

Trägt die Vergangenheit der Samariterin wie die unsrige die Überschrift „Sünde„, dann trägt die Gegenwart bei ihr — wie bei uns — die Überschrift „Gnade“. „Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden.„

Wie wird da das Leben so anders, wenn es unter die Herrschaft der Gnade kommt! Das sehen wir aus der Geschichte der Samariterin. Als der Herr sich ihr als der Christus geoffenbart hatte, vergaß das Weib ganz, zu welchem Zweck sie hergekommen war. Sie ließ ihren Krug stehen und eilte in die Stadt, um den Leuten zu verkündigen, der Messias sei draußen am Brunnen. Merkwürdig, ganz merkwürdig! Vorher hat sie sich gefürchtet vor dem Zusammentreffen mit den Leuten der Stadt, da ist sie ihnen weit aus dem Wege gegangen. Und nun geht sie zu ihnen ohne Menschenfurcht. Und was verkündet sie ihnen? „Kommt, sehet einen Menschen, der mir gesagt hat alles, was ich getan habe, ob er nicht Christus sei!“

Von zweierlei redet sie: von ihrer Sünde und von dem Heiland, von ihrer Schuld und seiner Huld. Ihr Zeugnis ist nur kurz, aber es ist durchschlagend. Es übt die allergrößte Wirkung auf die Zuhörer aus. Was? Diese Frau gesteht ihre Schuld ein? Immer hat sie alles abgeleugnet, immer hatten nur die ändern schuld, — und nun bekennt sie, was sie getan hat? Den Mann müssen wir sehen, der es vermocht hat, diese verlogene Person ehrlich und wahr zu machen! Und sie kamen in Scharen aus der Stadt. Sie hören Jesus, sie bitten ihn, bei ihnen zu bleiben. Es entsteht eine gesegnete Erweckung in der ganzen Stadt. Und die Ursache war — dieses tief gefallene Weib! Das hat die Gnade bewirkt, die sich ihrer erbarmt hat.

Ja, diese Gnade verändert und erneuert ein Menschenherz und ein Menschenleben. Das Wort ist wahr: „So wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.„ Die ganze Vergangenheit versinkt im Meer der Gnade und Barmherzigkeit. Wir können nicht ungeschehen machen, was wir getan haben und wie wir gewesen sind; aber es gibt eine Vergebung all unsrer Schuld. Sie verklagt uns nicht mehr. Wir sind getrost: „So wahr Gottes Sonne am Himmel noch prangt, so wahr hab' ich Sünder Vergebung erlangt.“

Es sind einige Jahre her, da kam ein junges Mädchen zu mir und bekannte, sie könne gar keine Ruhe finden, sie sei so unfreundlich zu ihrer Mutter gewesen, als dieselbe krank darnieder gelegen habe auf ihrem letzten Bette. Da habe die Mutter sie gebeten, ihr doch ein Glas Himbeersaft zu besorgen, sie litte so großen Durst. Das sei ihr aber zu viel Arbeit gewesen. „Ich habe der Mutter dann das Glas Saft gebracht„, sagte sie mir unter Tränen, „aber doch wohl erst nach dreiviertel Stunden, so lange habe ich die Mutter schmachten lassen.“ Als ich mit dem Saft kam, da hat mich die Mutter mit einem Blick angesehen, so voll Trauer und Kummer, daß ich den Blick nicht vergessen kann! Kann mir das auch vergeben werden?„ Wie froh war ich, als ich ihr sagen konnte: „Ja, auch zu Ihnen spricht der Herr: Sei getrost, deine Sünde ist dir vergeben!“ Sie konnte es glauben und ging getröstet fort.

Nicht lange danach hielt ich eine Festpredigt. Als das in einem Dorf in der Nähe bekannt wurde, beschloß man, einen Omnibus zu nehmen und hinzufahren. Da war auch ein junges Mädchen in der Gesellschaft, die kam mit einem sehr schweren Herzen. Sie war in der letzten Krankheit ihrer Mutter unfreundlich mit ihr gewesen, und nun war die Mutter gestorben und sie konnte sie nicht mehr um Verzeihung bitten. Ihr Pfarrer hatte versucht, sie zu trösten, ihre Freundinnen sprachen ihr zu — alles war umsonst. Sie konnte nicht an die Vergebung glauben. Sie wurde ganz schwermütig im Gedanken an ihre Schuld. Als sie sich nun mitzufahren entschloß, da sagte sie zu Gott: „Herr, wenn es auch für mich Vergebung gibt, dann gib es dem Pastor ins Herz, daß er sagt: Deine Sünden sind dir vergeben!„

In meiner Predigt sagte ich unter anderem, schon eine einzelne Sünde könne ein Leben unter einen schweren Druck bringen. Und dann erzählte ich von dem jungen Mädchen, das mir die Geschichte von dem Glas Saft erzählt hatte. Ich schloß dieselbe mit den Worten: „Wie froh war ich, daß ich dem Mädchen sagen konnte: Sei getrost, deine Sünde ist dir vergeben!“

Da hatte ich das Wort ausgesprochen, um das dies andre arme Mädchen Gott gebeten hatte. Gott hatte sie erhört. Nun konnte sie es glauben: Gott hat mir vergeben. Und glückselig fuhr sie am Abend mit den ändern nach Hause. Nun konnte sie jubeln und jauchzen: „Wohl dem Menschen, dem die Sünde vergeben ist!„

Und wenn die Sünde vergeben ist, die wie eine Scheidewand zwischen uns und Gott stand, dann wissen wir: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.“ Frieden mit Gott, wie köstlich ist diese Gabe! Und noch mehr wird uns zuteil. „Sehet„, so ruft der Apostel Johannes aus, „welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen!“ Gottes Kinder! Kann es etwas Herrlicheres geben, als zu dem großen Gott „Vater„ sagen zu dürfen und es zu erfahren: „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten?“

Gottes Kinder! Die wissen sich versorgt und geborgen an Leib und Seele, für Zeit und Ewigkeit. Die sprechen in allen Nöten und Proben ganz getrost: „Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da mein Fuß gehen kann.„ Und an diesen Vater im Himmel dürfen wir uns in allen Lagen und Fragen des Lebens wenden. Wir dürfen ihn um Hilfe und Beistand bitten in der Not, wir dürfen ihn um Rat und Kraft bitten für unsre Arbeit, wir dürfen ihn um Trost bitten im Leid, — und „der Vater in der Höhe, der weiß zu allen Sachen Rat.“

Fürwahr, es ist ein gesegnetes Leben, das unter der Zucht und Leitung der Gnade steht!

Und es ist auch ein gesegnetes Leben für andere! Das kann die Samariterin nicht für sich behalten, was sie am Brunnen erlebt hat. Das müssen ihre Mitbürger auch erfahren. Den Mann müssen sie auch sehen, der ihr gesagt hat alles, was sie getan hat. So wird sie eine Zeugin des Herrn.

Es geschieht nach dem Wort des Petrus: „Wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört, was wir erlebt und erfahren haben.„ Dann geht der Mund über von dem, wes das Herz voll ist.

Das treibt nicht nur zum Zeugnis auf der Kanzel, das treibt zum Zeugnis im Büro, in der Fabrik, in der Werkstatt und in der Bahn, daß doch auch die ändern ihn kennenlernen, in dem man das Glück seines Lebens gefunden hat. Dazu bedarf es keines Studiums und keiner großen Gelehrsamkeit, dazu bedarf es nur einer persönlichen Erfahrung mit dem Herrn, dazu bedarf es nur einer Offenbarung Jesu als des Christus Gottes. Wer die erlebt hat, der ist geeignet, die Gnade zu rühmen, und wäre er noch so tief gesunken gewesen. Ich denke an einen Mann, der zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt war und dann im Zuchthaus zum Glauben kam. Nach zehn Jahren wurde er begnadigt. Was wurde dieser Mann für ein Zeuge der Gnade! Wie durchschlagend war sein Zeugnis. „Ihr wißt ja, was ich für einer gewesen bin! Aber wenn der Herr Jesus sogar für mich Gnade hatte, dann hat er sie auch für dich!“ Wie vielen ist der Mann ein Wegweiser zu Christus geworden!

Und ich denke an einen andern, der fünfundzwanzig Jahre seines Lebens ein Trinker war, der alle Gebote, wie er selber sagte, gröblich übertreten hatte. Und was wurde aus diesem Manne für ein Zeuge der Gnade! Wie vielen hat er den Weg zum Herrn gezeigt! „Ja, das ist ein andres Leben, wenn man weiß: Ich bin befreit, meine Sünden sind vergeben, meinem Herrn bin ich geweiht!„

Hat unsre Gegenwart unter der Überschrift „Gnade“ gestanden, dann steht unsre Zukunft unter dem Wort „Herrlichkeit.„

„Was kein Auge gesehen und was kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz je gekommen ist, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.“ So steht geschrieben. Und der Heiland bittet im hohepriesterlichen Gebet: „Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast!„ „Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi!“

Wer diese Offenbarung erlebt hat, wie das samaritische Weib, dem ist Jesus nicht mehr der große Unbekannte, dem ist er das Leben geworden, wie Paulus sagt: „Christus ist mein Leben.„ Und darum, weil er sich mir auch offenbart, weil er auch mich zu seinem Eigentum gemacht hat, darum kann ich nicht anders: ich muß ihn bezeugen in Wort und Schrift, damit Menschen, die ihn noch nicht kennen, auch das Glück und den Frieden erfahren, den der Herr mir geschenkt hat!

Aber so sehr mich danach verlangt, daß andere Menschen glücklich und selig werden möchten, der letzte und höchste Grund ist das doch nicht. Der letzte Grund ist der, daß ich ein wenig dazu beitragen möchte, daß Jesus König wird über Herzen, denen er jetzt noch der große Unbekannte ist, daß der Lohn seiner Schmerzen größer wird, daß sie mit einstimmen in das Rühmen und Preisen unsres hochgelobten und herrlichen Herrn.

Gott gebe Gnade, daß auch heute die Offenbarung erlebt wird, die das samaritische Weib erfuhr, der Jesus sagte: „Ich bin der Christus, der mit dir redet!“

Das ist nur der Anfang der Offenbarungen des Herrn, aber es ist die grundlegende Offenbarung seiner Gnade, die das Leben umgestaltet und neu macht. Die muß erst erlebt werden, ehe der Herr sich weiter offenbaren kann als das Brot des Lebens, als das Licht der Welt, als der gute Hirte, als die Auferstehung und das Leben, und wie sie alle heißen. Darum bitte ich dich von Herzen: Bitte den Herrn: Ach, Herr, offenbare dich auch mir, wie du dich der Samariterin geoffenbart hast als der Messias und Heiland, der das Herz und Leben umwandelt und umgestaltet, daß ich ein Kind Gottes werde und ein Erbe der Herrlichkeit — zu meinem Heil und zum Preise deines Namens!

Quelle: Modersohn, Ernst - Was ist mir Jesus?

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