Luther, Martin - Vom unfreien Willen

Luther, Martin - Vom unfreien Willen

D. Martin Luthers Antwort an Erasmus von Rotterdam, daß der freie Wille nichts sei

Dem ehrwürdigen Manne, Herrn Erasmus von Rotterdam, wünscht Martin Luther Gnade und Friede in Christo.

Daß ich so spät auf deine Diatribe (Abhandlung) vom freien Willen antworte, ehrwürdiger Erasmus, ist geschehen wider das Erwarten aller und gegen meine Weise, da man gesehen hat, daß ich bisher derartige Gelegenheiten, zu schreiben, nicht allein gern ergriffen, sondern sogar aus freien Stücken gesucht habe. Es wird sich vielleicht mancher wundern über diese neue und ungewöhnliche Geduld oder gar Furcht Luthers, daß ihn nicht einmal so viele prahlerische Reden und Schriften der Gegner aufgestachelt haben, die dem Erasmus zu seinem Siege Glück wünschten und ein Triumphlied sangen, nämlich: Hat dieser Maccabäus und der so fest über seiner Lehre hielt, endlich einen würdigen Gegner gefunden, gegen den er auch nicht zu mucken wagt? Doch ich mache diesen Leuten nicht nur keinen Vorwurf, sondern gestehe dir sogar selbst den Preis zu, den ich zuvor niemandem zugestanden habe, nicht allein, weil du mich an Gaben der Beredsamkeit und Verstand gar weit übertriffst (diesen Preis gestehen wir alle dir mit Recht zu, um so mehr als ich, ein in den alten Sprachen Ungebildeter, immer mit Leuten meines Gleichen verkehrt habe), sondern auch, weil du meinen Geist und Ungestüm zurückgehalten hast und mich schlaff gemacht hast vor dem Kampfe, und zwar auf zweierlei Weise. Zuerst durch Kunst, daß du nämlich diese Sache, in der du mir entgegen getreten bist, mit wunderbarer und beständiger Zurückhaltung handelst, so daß ich wider dich nicht gereizt werden konnte, zum andern, durch ein Ungefähr, sei es aus Zufall, oder aus Verhängnis, daß du in einer so großen Sache nichts sagst, was nicht schon früher gesagt worden ist, und sogar weniger sagst und dem freien Willen mehr zuschreibst, als bisher die Sophisten gesagt und zugeschrieben haben (davon werde ich nachher mehr sagen), daß es mir auch ganz überflüssig schien, auf deine nichtigen Gründe zu antworten. Denn sie sind auch von mir so oft widerlegt, aber ganz und gar über den Haufen geworfen und vernichtet durch das unüberwindliche Büchlein des Philipp Melanchthon, Loci Communes, welches nach meinem Urtheil werth ist, nicht allein, daß es ewig bleibe, sondern auch, daß es in der Kirche als eine Richtschnur gelte. Als ich hiemit dein Büchlein verglich, ist mir dieses so verächtlich und gering geworden, daß ich ein großes Mitleiden mit dir trug, weil du deine sehr schöne und geschickte Art zu reden mit solchem Schmutze besudeltest, und ich unwillig wurde über die Sache, die ganz unwürdig ist, in so köstlichem Redeschmuck vorgetragen zu werden, gleichsam als wenn Unrath oder Mist in goldenen oder silbernen Gefäßen getragen würde. Dies scheinst du auch selbst durchgefühlt zu haben, da du so schwer daran gegangen bist, in dieser Sache zu schreiben. Denn dein Gewissen hat dich gewarnt, es werde so komme, daß du mir kein Blendwerk vor Augen machen könntest, mit wie großer Macht der Beredsamkeit du die Sache auch angreifen möchtest, und ich würde nach Entfernung des Wortschmucks den Bodensatz selbst ganz deutlich erkennen. Denn „ob ich albern bin mit Reden, so bin ich“, durch Gottes Gnade, „doch nicht albern in dem Erkenntniß“ (2 Cor. 11,6.), denn so wage ich mit Paulus mir die Erkenntniß beizulegen und sie dir zuversichtlich abzusprechen, wiewohl ich dir Beredsamkeit und große Gaben beilege und sie mir willig und billig abspreche. Demgemäß habe ich so gedacht: wenn es Leute gibt, welche unsere Lehre, die wir so fest und gewaltig aus der Schrift bewährt haben, nicht besser gefaßt haben und nicht fester halten, als daß sie sich durch die geringfügigen und nichtigen Gründe des Erasmus bewegen lassen, wenn sie auch noch so zierlich sind, die sind nicht werth, daß ihnen durch meine Antwort geholfen werde, denn für solche Leute könnte man nicht genugsam reden oder schreiben, auch nicht, wenn viele tausend Bücher auch tausendmal wiederholt würden. Denn das wäre eine solche Arbeit, als wenn man das Meeresgestade pflügte und Samen in den Sand streute, oder ein löcherichtes Faß mit Wasser füllen wollte. Denn denen, welche den Heiligen Geist als Lehrer in unseren Büchern überkommen haben, ist von uns übergenug gedient worden, und die werden das, was du vorbringst, leicht verachten. Diejenigen aber, welche ohne Geist lesen, von denen ist es nicht zu verwundern, wenn sie von jedem Winde bewegt werden wie ein Rohr. Für die könnte auch Gott nicht genug reden, wenn auch alle Creaturen zu Zungen gemacht würden. Darum wäre es beinahe meine Absicht gewesen, die fahren zu lassen, welche sich an deinem Büchlein geärgert haben, sammt denen, die da rühmen und dir den Triumph zuerkennen. Daher ist mir die Lust benommen, dir zu antworten, nicht durch die Menge meiner Geschäfte, nicht durch die Schwierigkeit der Sache, nicht durch die Größe deiner Beredsamkeit, nicht durch die Furcht vor dir, sondern allein durch den Ekel, den Unwillen und die Verachtung, oder (daß ich es sage) durch mein Urtheil über die Diatribe; indessen davon zu schweigen, daß du, wie es deine Art ist, ganz beharrlich darauf aus bist, schlüpfrig zu sein und Wankelworte zu gebrauchen, und vorsichtiger als Odysseus meinst zwischen der Scylla und der Charybdis zu schiffen. Da du nichts willst behauptet haben und doch wieder dafür angesehen sein willst, als behauptetest du, was, ich bitte dich, kann mit einer solchen Art von Menschen wohl zu einem Vergleich gebracht oder beigelegt werden, wenn jemand die Kunst nicht versteht, den Proteus zu fangen? Was ich in dieser Sache vermag und was sie dir geholfen hat, will ich nachher und zwar durch den Beistand Christi zeigen.

Daß ich daher jetzt doch antworte, geschieht nicht ohne guten Grund; es drängen mich dazu treue Brüder in Christo und halten mir entgegen, daß alle es erwarten, daß das große Ansehen des Erasmus nicht zu verachten sei, daß die Wahrheit der christlichen Lehre in den Herzen vieler in Gefahr stehe. Und ich bin wirklich zuletzt auf den Gedanken gekommen, daß mein Schweigen nicht ganz gottselig gewesen sei, daß ich dazu verführt worden sei durch meines Fleisches Klugheit oder vielmehr Bosheit, daß ich meines Amtes nicht genug eingedenk sei, nach welchem „ich ein Schuldner bin der Weisen und der Unweisen“ (Röm. 1,14.), zumal da ich dazu berufen werde durch die Bitten so vieler Brüder. Denn obgleich unsere Sache von der Art ist, daß ihr nicht genuggethan wird durch einen äußerlichen Lehrer, sondern sie auch außer demjenigen, welcher äußerlich pflanzt und begießt, den Geist Gottes erfordert, der das Gedeihen gebe und als der Lebendige Lebendiges innerlich (im Herzen) lehre (und dieser Gedanke hat mich irre geleitet), so hätte ich dich doch, weil dieser Geist frei ist und weht, nicht wohin wir wollen, sondern wohin er will, mich richten sollen nach der Regel des Paulus (2 Tim. 4,2.): „Halte an, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit“, denn wir wissen nicht, zu welcher Stunde der Herr kommen wird (Matth. 24,42.). Nun mag es ja Leute geben, welche bisher den Geist als Lehrer in meinen Schriften noch nicht vermerkt haben und durch die Diatribe irre gemacht sind. Vielleicht war ihre Stunde noch nicht gekommen, und wer weiß, ob Gott nicht geruhen wird, auch dich, liebster Erasmus, heimzusuchen durch mich, sein elendes und gebrechliches Gefäß, daß ich zu glücklicher Stunde (darum bitte ich von Herzen den Vater der Barmherzigkeit durch Jesum Christum, unsern Herrn) mit diesem Büchlein zu dir kommen und einen gar theuren Bruder gewinnen möge. Denn obgleich du übel hältst und schreibst vom freien Willen, so bin ich dir doch nicht geringen Dank dafür schuldig, daß du mich in meiner Meinung viel fester gemacht hast, da ich sah, daß die Sache des freien Willens von einem solchen und so hochbegabten Manne mit aller Macht getrieben wurde, und doch so gar nichts ausgerichtet worden ist, daß die Sache schlechter steht als vorher. Das ist ein handgreiflicher Beweis, daß der freie Wille eine bloße Lüge ist, mit der es geht, wie mit jenem Weibe im Evangelium (Luc. 8,43.): je mehr die Aerzte daran heilen, desto schlechter steht es damit. Darum werde ich dir noch mehr danken, wenn du durch mich zu größerer Gewißheit kommst, wie ich durch dich größere Festigkeit erlangt habe; aber beides ist eine Gabe des Heiligen Geistes, nicht ein Werk, welches wir thun können. Deshalb muß Gott gebeten werden, daß er mir den Mund öffne, dir aber und allen das Herz, und er selbst als der Meister gegenwärtig sei mitten unter uns, daß er in uns rede und höre. Lieber Erasmus, laß mich das von dir erlangen, daß, wie ich dir deine Unwissenheit in diesen Dingen zugute halte, so du auch wiederum mir mein kindliches Wesen zugute halten wollest. Nicht Einem gibt alles der Herr, noch alles vermögen wir alle, oder, wie Paulus sagt (1 Cor. 12,4.): „Es sind mancherlei Gaben, aber es ist Ein Geist.“ Darum bleibt nur übrig, daß die Gaben einander dienen und einer mit seiner Gabe des andern Last und Armuth trage, so werden wir das Gesetz Christi erfüllen (Gal. 6,2.).

Zum Beginn will ich einige Stücke deiner Vorrede kurz durchgehen, in welchen du unsere Sache ziemlich heruntersetzest und deine Sache schmückst. Zuerst, daß du auch in anderen Schriften die Beharrlichkeit im Behaupten an mir tadelst, und in diesem Büchlein sagst: Du habest an festen Behauptungen so gar keinen Gefallen, daß du leicht zu der Meinung der Skeptiker abgehen würdest, wo es wegen des unverletzlichen Ansehens der Schrift und der Beschlüsse der Kirche anginge, denen du deine Vernunft gern unterwürfest, mögest du begreifen oder nicht, was sie vorschreibt; ein solches Gemüth gefällt dir. Dies nehme ich (wie billig) so auf, als habest du es in wohlwollendem Sinne geredet und als einer, der den Frieden lieb hat. Wenn dies aber ein anderer sagte, würde ich wohl nach meiner Weise gegen ihn aufgebracht werden, aber ich darf auch nicht leiden, wenn du auch noch so guten Willen hast, daß du in dieser Meinung im Irrthume bleibest. Denn es kommt einem christlichen Herzen nicht zu, daß es keinen Gefallen habe an festen Behauptungen, ja, es muß an festen Behauptungen Gefallen haben, oder es kann kein Christ sein. Feste Behauptung (assertio) nenne ich aber (damit wir nicht mit Worten spielen), beständig anhängen, bestätigen, bekennen, vertheidigen und unüberwindlich dabei verharren, und etwas Anderes, glaube ich, bedeutet dieses Wort auch nicht bei den Lateinern und nach dem Sprachgebrauche unserer Zeit. Ferner rede ich davon, daß die Sachen fest behauptet werden müssen, welche uns von Gott in der heiligen Schrift überliefert sind, sonst hätten wir weder den Erasmus, noch irgend einen andern Lehrer nöthig, der uns erst lehren müßte, daß in zweifelhaften, oder unnützen, oder unnöthigen Dingen feste Behauptungen nicht bloß thöricht, sondern auch gottlos sind, ja Streit und Zank, welche Paulus an vielen Stellen verdammt. Auch du, glaube ich, redest an dieser Stelle nicht von solchen Dingen, es sei denn, daß du nach der Weise eines lächerlichen Redners eine Sache dir vornehmen und eine andere behandeln wolltest, wie jener über die Meerbutte, oder daß du nach dem Wahnwitz eines gottlosen Schriftstellers dafür eintreten wolltest, der Artikel vom freien Willen sei zweifelhaft oder unnöthig. Fern seien von uns Christen die Skeptiker und Academiker, es mögen aber bei uns sein feste Behaupter, die noch zweimal hartnackiger sind als selbst die Stoiker. Wie oft, ich bitte dich, fordert der Apostel Paulus die Plerophorie (Glaubensgewißheit), das ist, die allergewisseste und festeste Behauptung des Gewissens? Röm. 10,10. nennt er es ein Bekenntnis: „und so man mit dem Munde bekennet, so wird man selig.“ Und Christus sagt (Matth. 10,32.): „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Petrus (1. Ep. 3,15.) befiehlt, daß wir Rechenschaft geben sollen von der Hoffnung, die in uns ist. Was ist es Noth, viele Worte zu machen? Nichts ist bei den Christen bekannter und gewöhnlicher als die feste Behauptung. Nimm die festen Behauptungen weg und du hast das Christenthum weggenommen. Ja, der Heilige Geist wird ihnen vom Himmel gegeben, damit er Christum verkläre und er (Christus) bis zum Tode bekannt werde. Ist denn dieses nicht fest behaupten, wegen des Bekenntnisses und der festen Behauptung zu sterben? Endlich behauptet auch der Heilige Geist in einem solchen Grade, daß er auch aus freien Stücken die Welt angreift und beschuldigt wegen der Sünde, wie einer, der zum Kampfe herausfordert, und Paulus befiehlt dem Timotheus (2 Tim. 4,2.), zu schelten und auch zur Unzeit anzuhalten. Was würde mir aber das für ein feiner Schelter sein, der selbst das, um was er schilt, weder gewiß glaubte, noch standhaft fest behauptete! den würde ich freilich nach Anticyra schicken.

Aber ich bin ein großer Thor, daß ich in einer Sache, die klarer ist als die Sonne, Worte und Zeit verliere. Welcher Christ würde das leiden, daß feste Behauptungen verachtet werden müßten? Das wäre nichts Anderes, als auf einmal die ganze Religion und die Gottseligkeit leugnen, oder behaupten, die ganze Religion, oder die Gottseligkeit, oder irgend eine Lehre (dogma) sei nichts. Warum behauptest denn auch du: „ich habe keinen Gefallen an festen Behauptungen“ und du wollest lieber ein solches Gemüth als ein anders geartetes?

Aber ich werde mit Recht erinnert, daß du hier von dem Bekenntnis Christi und seiner Lehrsätze nichts wollest gesagt haben. Und ich will dir zu Gefallen von meinem Rechte und von meiner Gewohnheit abstehen und will nicht über dein Herz richten, sondern dies für eine andere Zeit aufsparen, oder auch anderen es überlassen; inzwischen ermahne ich dich, daß du deine Rede und Schreibweise verbessern mögest und forthin dich solcher Worte enthalten, denn wie rechtschaffen und aufrichtig dein Herz auch immer sein möge, so ist doch die Rede, von der man sagt, daß sie zeige, was im Herzen ist (character animi) (Matth. 12,34.), nicht von solcher Beschaffenheit. Denn wenn du meinst, es sei nicht nöthig, die Sache vom freien Willen zu wissen, und sie habe mit Christo nichts zu schaffen, dann redest du recht, aber dann ist deine Meinung gottlos. Wenn du aber dafürhältst, sie sei nothwendig, so redest du gottlos, hast aber eine richtige Meinung. Es war aber da auch nicht am Orte, von unnützen Behauptungen und Zänkereien so groß zu klagen und zu übertreiben, denn was hat das mit der Sache zu thun?

Was willst du aber sagen von diesen deinen Worten, wo du nicht allein von der Sache des freien Willens, sondern allgemein von allen Lehrsätzen der ganzen Religion redest: Wenn es anginge wegen des unverletzlichen Ansehens der Schrift und der Beschlüsse der Kirche, so würdest du abgehen zu der Meinung der Skeptiker, so gar habest du keinen Gefallen an „festen Behauptungen“?

Was für ein Proteus liegt doch in den Worten „das unverletzliche Ansehen“ und „die Beschlüsse der Kirche“? Nämlich, als wenn du die heilige Schrift und die Kirche in sehr hohen Ehren hieltest, und doch gibst du zu verstehen, du wünschest die Freiheit, ein Skeptiker zu sein. Welcher Christ würde so reden? Wenn du dieses redest von unnützen und gleichgültigen Lehrsätzen, was Neues bringst du vor? Wer sollte darin nicht die Freiheit wünschen, sich als Skeptiker zu bekennen? Ja, welcher Christ macht von dieser Freiheit nicht wirklich unumschränkten Gebrauch und verurtheilt die, welche Sclaven und Gefangene der Meinung jemandes sind? wenn du nicht etwa die Christen insgesammt für solche Leute hältst (wie die Worte wirklich lauten), deren Lehrsätze unnütz sind, über welche sie thörichter Weise zanken und mit Behauptungen streiten. Wenn du aber von nothwendigen redest, was könnte jemand wohl Gottloseres behaupten, als daß er wünschte, er möchte die Freiheit haben, in solchen Dingen nichts zu behaupten? Ein Christ redet vielmehr so: Ich habe so gar keinen Gefallen an der Meinung der Skeptiker, daß, wo es nur immer wegen der Schwachheit des Fleisches anginge, ich nicht nur der heiligen Schrift beständig, überall und in allen Stücken anhangen möchte und dieselbe fest behaupten, sondern ich wünschte auch, in den Dingen, die nicht nöthig sind und außerhalb der heiligen Schrift liegen, so gewiß als möglich zu sein; denn was ist elender als Ungewißheit?

Was sollen wir auch dazu sagen, daß du anfügst: „Ihnen unterwerfe ich meine Vernunft überall gern, ich mag es begreifen, was sie vorschreiben, oder nicht“? Was sagst du, Erasmus? Ist es nicht genug, wenn du den Verstand der Schrift unterworfen hast? Unterwirfst du ihn auch den Beschlüssen der Kirche? Was kann sie beschließen, wenn es nicht in der Schrift beschlossen ist? Ferner, wo bleibt die Freiheit und die Macht, über die zu urtheilen, welche jene Beschlüsse gefaßt haben? wie Paulus sagt, 1 Cor. 14,29.: „Die andern lasset richten.“ Gefällt es dir nicht, daß ein Richter sei über die Beschlüsse der Kirche, was Paulus doch befiehlt? Was ist das für eine neue Religion und Demuth, daß du uns durch dein Beispiel die Macht nimmst, über Beschlüsse von Menschen zu urtheilen, und uns Menschen unterwirfst ohne Urtheil? Wo gebietet uns das Gottes Wort? Ferner, welcher Christ schlägt die Vorschriften der Schrift und der Kirche so in den Wind, daß er sagen möchte: „Ob ich es begreife, oder nicht begreife“? Du unterwirfst dich, und doch ist dir nichts daran gelegen, ob du es begreifest, oder nicht? Ein Christ aber sei verflucht, wenn er nicht gewiß ist und das nicht begreift, was ihm vorgeschrieben ist. Denn wie kann er das glauben, was er nicht begreift? Denn du wirst das hier „begreifen“ (assequi) nennen, was jemand gewiß ergriffen hat und nicht nach der Weise der Skeptiker anzweifelt, denn was gibt es sonst in irgend einer Creatur, das irgend ein Mensch begreifen könnte, wenn begreifen dasselbe ist, als vollkommen kennen und durchschauen? Denn dann hätte es auch nicht statt, daß jemand einiges begreifen und zugleich anderes nicht begreifen könnte, sondern wer nur irgend eine Sache begriffen hätte, der hätte alle begriffen, nämlich in Gotte, wer den nicht begreift, der begreift auch nie irgend einen Theil der Creatur.

Kurz, diese deine Worte lauten so, als ob bei dir nichts daran liege, was von irgend jemand überall geglaubt wird, wenn nur der Weltfriede bleibt, und als ob es freistehe, wegen der Gefahr am Leben, an gutem Ruf, an Vermögen und an Gunst, dem nachzuahmen, der sprach: Sagen sie ja, so sage ich auch ja; sagen sie nein, so sage ich auch nein. Nach deinen Worten scheinst du die christlichen Lehren für nichts Besseres zu halten, als die der Philosophen und Menschenmeinungen. Um diese zu zanken, zu streiten und sie fest zu behaupten, sei überaus thöricht, weil daraus nichts als Streit und Störung des äußeren Friedens herkäme, weil das Dinge sind über uns, die uns nicht angehen. So willst du unseren Streit endigen und kommst als ein Vermittler, daß du beide in der Schwebe lassest und uns überredest, wir stritten über thörichte und unnütze Sachen; so, sage ich, lauten deine Worte. Und ich glaube, lieber Erasmus, du verstehst, worauf ich hier Gewicht lege. Aber, wie ich gesagt habe, die Worte will ich gehen lassen und entschuldige einstweilen dein Herz, nur daß du nicht noch weiter herausfahrest, und fürchte den Geist Gottes, der Herzen und Nieren erforscht und sich mit geschickten Worten nicht betrügen läßt. Denn ich habe dies um deß willen gesagt, daß du forthin aufhören mögest, unsere Sache der Störrigkeit und Hartnäckigkeit zu beschuldigen. Denn mit diesem Anschlage richtest du nichts Anderes aus, als daß du das an den Tag gibst, daß du im Herzen den Lucian oder ein anderes Schwein von der Heerde des Epicur hegst, der, weil er selbst nicht glaubt, daß ein Gott sei, im Geheimen alle verlacht, welche glauben und bekennen. Laß uns feste Behaupter sein, uns fester Behauptungen befleißigen und Gefallen daran finden: du halte es mit den Skeptikern und Academikern, bis Christus dich auch berufen hat. Der Heilige Geist aber ist nicht ein Skeptiker und hat in unsere Herzen nicht Zweifelhaftes oder Meinungen geschrieben, sondern feste Behauptungen, die gewisser und fester sind als selbst das Leben und alle Erfahrung.

Ich komme zum zweiten Hauptpunkte, der mit diesem zusammenhängt. Wo du christliche Lehrsätze unterscheidest, erdichtest du, daß einige seien, die man nothwendiger Weise wissen muß, andere seien unnöthig; einige seien verborgen, sagst du, andere deutlich dargelegt. So treibst du entweder mit Worten anderer, durch die du dich hast bethören lassen, ein Spiel, oder übst dich auch selbst in einer Art von rednerischem Kunststück. Du führst aber für diese Meinung den Spruch des Paulus an, Röm. 11,33.: „O welch eine Tiefe des Reichthums, beide der Weisheit und Erkenntnis Gottes“, desgleichen den Spruch des Jesaias 40,13.: „Wer unterrichtet den Geist des Herrn, und welcher Rathgeber unterweiset ihn?“ Dies hast du leicht sagen können, da du ja wußtest, daß du nicht an den Luther schriebest, sondern für das Volk, oder doch nicht daran dachtest, daß du gegen den Luther schriebest, dem du doch, wie ich hoffe, einigen Fleiß und Urtheil in der heiligen Schrift zugestehst; wenn du das nicht zugestehst, was gilt's, so will ich es dir auch abzwingen. So steht es mit meiner Unterscheidung, um auch ein wenig meine Rede- und Schlußkunst zu treiben. Gott und die Schrift Gottes sind zwei Dinge, nicht weniger als der Schöpfer und die Creatur Gottes zwei Dinge sind. Niemand zweifelt, daß in Gott viele verborgene Dinge sind, die wir nicht wissen können, wie er selbst sagt vom jüngsten Tage: „Von dem Tage aber weiß niemand, sondern allein der Vater“ (Matth. 24,36. Marc. 13,32.); und Apost. 1,7.: „Es gebühret euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde“; und wiederum (Joh. 13,18.): „Ich weiß, welche ich erwählt habe“; und Paulus (2 Tim. 2,19.): „Der Herr kennet die Seinen“ und dergleichen.

Daß aber in der heiligen Schrift etliche Dinge verborgen sein sollen, das ist zwar in die Welt ausgeschrieen durch die gottlosen Sophisten, mit deren Worten auch du hier redest, Erasmus, aber sie haben noch nicht einen einigen Artikel vorgebracht, noch vorbringen können, durch den sie diesen ihren tollen Wahn beweisen möchten. Es hat aber der Teufel durch solch Vorgeben vom Lesen des göttlichen Wortes abgeschreckt und die heilige Schrift verächtlich gemacht, damit er seine verderblichen Lehren aus der Philosophie in der Kirche zur Herrschaft brächte. Das gestehe ich freilich, daß viele Stellen in der Schrift dunkel und verborgen sind, nicht wegen der Hoheit der Dinge, sondern weil wir die Wörter und die Sprachkunst nicht wissen, aber diese hindern durchaus nicht die Erkenntniß aller Dinge in der Schrift. Denn was kann in der Schrift noch übrig sein, das noch tief verborgen wäre, nachdem die Siegel gebrochen und der Stein von der Thür des Grabes gewälzt ist und das allerhöchste Geheimniß offenbart ist, daß Christus, der Sohn Gottes, Mensch geworden ist, daß Gott dreieinig und einig ist, daß Christus für uns gelitten habe und ewiglich regieren werde? Ist dies denn nicht auch in aller Welt das Allerbekannteste (in biviis nota) und wird überall gesungen? Nimm Christum aus der Schrift, was kannst du dann noch weiter in ihr finden? Daher sind die Sachen, welche in der heiligen Schrift enthalten sind, alle deutlich offenbart, wiewohl einige Stellen dunkel sein mögen, weil die Worte noch nicht bekannt sind. Wenn man aber weiß, daß alle Sachen der heiligen Schrift in das hellste Licht gestellt sind, so ist es gewiß thöricht und gottlos, wegen weniger dunkeln Worte auch die Sachen dunkel zu nennen. Wenn an einer Stelle die Worte dunkel sind, dagegen an einer anderen klar, aber ein und dieselbe Sache, aufs allerdeutlichste der ganzen Welt dargelegt, in der heiligen Schrift das eine Mal mit hellen Worten geredet wird, das andere Mal aber auch noch verborgen ist durch dunkele Worte, so liegt doch nichts mehr daran, wenn die Sache deutlich ist, ob irgend ein Zeichen an ihr dunkel ist, während doch viele andere Zeichen derselben Sache deutlich sind. Wer wird sagen, daß ein öffentlicher Brunnen nicht am Tage wäre, weil die, welche in einer Nebenstraße sind, ihn nicht sehen, da ihn alle sehen, die auf dem Markte sind?

Darum ist es nichts, was du von der Corycischen Höhle beibringst; so verhält es sich nicht mit der Schrift und die verborgensten Geheimnisse der höchsten Majestät sind nicht mehr in der Abgeschiedenheit, sondern vor den Thüren und auf freien Plan gebracht und aller Blicken ausgesetzt, denn Christus hat uns den Verstand geöffnet, daß wir die Schrift verstehen können. Und „das Evangelium ist aller Creatur gepredigt“ (Marc. 16,15.), und „sein Schall ist ausgegangen in alle Lande“ (Ps. 19,5.), und „alles, was geschrieben ist, ist uns zur Lehre geschrieben“ (Röm. 15,4.), desgleichen (2 Tim. 3,16.): „Alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre.“ Darum du und alle Sophisten, macht euch daran und bringet nur irgend Ein Geheimniß vor, welches in der heiligen Schrift noch verborgen ist; daß aber vielen viele Dinge verborgen bleiben, das kommt nicht von der Dunkelheit der Schrift, sondern von ihrer Blindheit oder Trägheit her, weil sie sich nicht daran machen, die hellste Wahrheit zu sehen, wie Paulus von den Juden sagt, 2 Cor. 3,15.: „Die Decke hängt vor ihren Herzen“, und wiederum (2 Cor. 4,3.4.): „Ist nun unser Evangelium verdeckt, so ist es in denen, die verloren werden, verdeckt; bei welchen der Gott dieser Welt die Sinne verblendet hat.“ Mit derselben Dreistigkeit möchte der die Sonne und den Tag der Dunkelheit beschuldigen, der sich selbst die Augen verhängte, oder vom Lichte in die Finsterniß ginge und sich verbärge. Es mögen also die elenden Menschen aufhören, die Finsterniß und Dunkelheit ihres Herzens mit gotteslästerlicher Verkehrtheit der überaus hellen Schrift Gottes zur Last zu legen.

Wenn du daher den Paulus anführst, der da spricht (Röm. 11,33.): „Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte“, so scheinst du das Fürwort „seine“ auf das Wort Gottes (Scripturam) bezogen zu haben. Aber Paulus sagt nicht: unbegreiflich sind die Gerichte des Wortes, sondern Gottes. So sagt Jesajas 40,13. nicht: Wer hat den Sinn der Schrift erkannt, sondern „den Sinn des Herrn“, obgleich Paulus behauptet, daß den Christen der Sinn des Herrn bekannt sei, aber in den Dingen, die uns geschenkt sind, wie er ebendaselbst sagt, 1 Cor. 2,16. Du siehst also, wie schläfrig du die Stellen der heiligen Schrift angesehen hast und wie du dieselben gerade so passend angeführt hast, wie du fast alles, was du für den freien Willen vorbringst, so passend anführst. So dienen auch deine Exempel, welche du anfügst, und zwar sind sie nicht unverdächtig und nicht ohne scharfen Stachel, nichts zur Sache, wie das von der Unterscheidung der Personen, von der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur, von der Sünde, die nicht vergeben werden kann, deren Zweideutigkeit, wie du sagst, noch nicht beseitigt sei. Wenn du das verstehst von den Fragen, welche die Sophisten über diese Dinge aufgeworfen haben, was hat dir die ganz unsträfliche Schrift gethan, daß du ihrer Reinheit den Mißbrauch der verruchten Menschen vorwirfst? Die Schrift bekennt einfach die Dreieinigkeit Gottes, und die Menschheit Christi, und die Sünde, die unvergeblich ist. Hier ist nichts von Dunkelheit oder Zweideutigkeit. Wie es damit aber zugehe, sagt die Schrift nicht, wie du vorgibst, und es ist auch nicht nöthig zu wissen. Die Sophisten behandeln hier ihre Träume; die beschuldige und verdamme und sprich die heilige Schrift frei. Wenn du es aber verstehst vom Wesen der Sache selbst, so beschuldige wiederum nicht die Schrift, sondern die Arianer und diejenigen, welchen das Evangelium verdeckt ist, daß sie die klarsten Zeugnisse von der Dreieinigkeit Gottes und der Menschheit Christi durch Wirkung des Teufels, ihres Gottes, nicht erkennen. Und daß ich es kurz sage, es ist eine zwiefache Klarheit der Schrift, wie auch eine zwiefache Dunkelheit; eine, die äußerliche, liegt im Dienste am Wort, die andere liegt in der Erkenntniß des Herzens. Wenn du sprichst von der inneren Klarheit, so versteht kein Mensch auch nur Ein Pünktlein in der heiligen Schrift, wenn er nicht den Geist Gottes hat, denn alle haben ein verdunkeltes Herz, so daß, wenn sie auch reden und alles aus der heiligen Schrift vorzutragen verstehen, sie doch davon nichts merken oder wahrhaft erkennen. Denn sie glauben auch nicht, daß ein Gott sei und daß sie Creaturen Gottes sind, noch irgend ein anderes, wie der vierzehnte Psalm (V. 1.) sagt: “Die Thoren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Gott.“ Denn der Heilige Geist ist nöthig, um die ganze Schrift und irgend einen Theil derselben zu verstehen. Wenn du von der äußeren (Klarheit) sprichst, so ist durchaus nichts dunkel oder zweifelhaft geblieben, sondern alles ist durch das Wort an das hellste Licht hervorgebracht und in der ganzen Welt kund gethan, was auch immer in der Schrift enthalten ist. Aber das ist noch unerträglicher, daß du diesen Handel vom freien Willen unter die Sachen zählst, welche unnütz und unnöthig sind, und uns statt dessen das vorschlägst, wovon du dafür hältst, daß es zu der christlichen Gottseligkeit ausreiche. Eine derartige Weise (des Lebens) könnte sicherlich leicht jeder Jude oder Heide anzeigen, der von Christo ganz und gar nichts wüßte, denn du thust Christi auch nicht mit Einem Pünktlein Erwähnung, als wenn deine Meinung wäre, daß christliche Gottseligkeit ohne Christum sein könnte, wenn nur dem von Natur allergütigsten Gotte aus allen Kräften gedient werde. Was soll ich hierzu sagen, Erasmus? Lucian redet aus dir ganz und gar und du duftest mir den großen Rausch des Epicur entgegen. Wenn du diese Sache für die Christen nicht für nothwendig achtest, so bitte ich dich, tritt ab vom Kampfplatze, du und wir haben nichts mit einander zu schaffen; wir halten diese Sache für nothwendig.

Wenn es unchristlich ist, wenn es vorwitzig ist, wenn es überflüssig ist, wie du sagst, zu wissen, „ob Gott etwas in der Weise vorherwisse, daß es vielleicht, vielleicht auch nicht geschehe (contingenter praesciat), ob unser Wille in den Dingen, welche die ewige Seligkeit betreffen, etwas wirke, oder nur leide von der wirkenden Gnade, ob alles Gute oder Böse, was wir thun, von uns vollbracht werde durch bloße Notwendigkeit, oder ob wir es vielmehr leiden“: was, frage ich, wird dann christlich sein? was von großem Belang? was nützlich zu wissen? Das taugt ganz und gar nichts, Erasmus, das ist zu viel! Es ist schwer, dies deiner Unwissenheit zuzuschreiben, denn du bist schon ein alter Mann und hast unter Christen gelebt und lange über die heilige Schrift nachgedacht und läßt uns keine Gelegenheit übrig, dich zu entschuldigen, oder Gutes von dir zu denken. Und doch halten die Papisten dir diese Ungeheuerlichkeiten zugute und tragen sie um deß willen, weil du gegen den Luther schreibst, sonst würden sie dich mit den Zähnen zerreißen, wenn Luther nicht da wäre, und du solche Dinge schriebest. Plato ist ein Freund, Socrates ist ein Freund, aber (Freund hin, Freund her) der Wahrheit muß vor allen Dingen die Ehre gegeben werden. Denn magst du auch noch so wenig von der Schrift und von der christlichen Gottseligkeit verstehen, das hätte doch sicherlich selbst ein Feind der Christen wissen müssen, was die Christen für nothwendig und nützlich und was sie nicht dafür halten müßten. Du aber bist ein Theologe und Lehrer der Christen und willst ihnen eine Form des Christenthums vorschreiben, und zweifelst nicht einmal mehr nach deiner skeptischen Weise, was ihnen nothwendig und nützlich sei, sondern fällst ganz auf die entgegengesetzte Seite, und urtheilst sogar, indem du ganz gegen deine Gemüthsrichtung eine unerhörte feste Behauptung aufstellst, das sei nicht nothwendig, ohne dessen Notwendigkeit und gewisse Erkenntniß weder Gott, noch Christus, noch das Evangelium, noch der Glaube, noch nicht einmal irgend etwas vom Judenthum übrig bleibt, viel weniger vom Christenthum. Hilf Gott, Erasmus, ein wie großes Fenster, ja ein wie großes Feld thust du auf, gegen dich zu handeln und zu schreiben! Was könntest du wohl Gutes oder Richtiges vom freien Willen schreiben, da du eine so große Unkenntniß der Schrift und der Gottseligkeit in deinen Worten bekennst? Aber ich will die Decke niederziehen und hier nicht mit meinen Worten (was ich weiter unten vielleicht thun werde), sondern mit deinen Worten mit dir handeln. Die Form des Christenthums, die du beschreibst, hat unter andern auch dies in sich: „daß wir uns mit allen Kräften anstrengen sollen, zum Mittel der Buße greifen, Gottes Barmherzigkeit auf jede Weise zu erlangen suchen, ohne welche weder der menschliche Wille noch Bemühen etwas vermag“; desgleichen: „Es dürfe niemand verzweifeln an der Vergebung bei Gott, der seiner Natur nach überaus gnädig ist.“ Diese deine Worte sind ohne Christus, ohne den Heiligen Geist, ja kälter als Eis, so daß sogar die Schönheit deiner Rede darunter leidet, denn die Furcht vor den Päbsten und Tyrannen hat sie dir armem Manne vielleicht kaum abpressen können, damit du nicht ganz und gar als ein Gottesleugner erschienest. Aber das behaupten sie dennoch, daß Kräfte in uns sind, daß es ein Anstrengen gibt mit allen Kräften, daß es eine Barmherzigkeit Gottes gibt, daß es verschiedene Weise gibt, sich um Gottes Barmherzigkeit zu bemühen, daß Gott von Natur gerecht, von Natur überaus gnädig ist etc. Wenn jemand also nicht weiß, was das für Kräfte sind, was sie vermögen, was sie leiden, was ihr Bemühen ist, was ihre Wirksamkeit, was ihre Unwirksamkeit, was soll der thun? Was willst du ihn thun lehren?

Du sagst: „Es sei unchristlich, vorwitzig und überflüssig, wissen zu wollen, ob unser Wille in Sachen, welche die ewige Seligkeit betreffen, etwas wirke; ob derselbe gegen die wirkende Gnade sich nur leidend verhalte.“ Aber dagegen sagst du hier, es sei christliche Gottseligkeit, „daß man sich mit allen Kräften anstrenge und ohne die Barmherzigkeit Gottes vermöge der Wille nichts.“ Hier behauptest du ganz deutlich, der Wille wirke etwas in den Dingen, welche die ewige Seligkeit betreffen, da du erdichtest, er bestrebe sich; aber wiederum, er sei leidend, da du sagst, er vermöge nichts ohne die Barmherzigkeit Gottes. Freilich erklärst du nicht, wie weit dieses Wirken und Leiden zu verstehen sei, und gibst dir Mühe, die Leute darin unwissend zu machen, was die göttliche Barmherzigkeit vermöge und was unser Wille vermöge, gerade durch das, was du darüber lehrst, was unser Wille thue und was die Barmherzigkeit Gottes. So rollt dich deine Klugheit, nach welcher du beschlossen hast, keiner Partei anzuhängen und zwischen der Scylla und Charybdis sicher davonzukommen, daß du, mitten auf dem Meere von Fluthen überschüttet und zu Schanden gemacht, alles behauptest, was du leugnest, und leugnest, was du behauptest. Ich will dir deine Theologie mit einigen Gleichnissen vor Augen stellen: Derjenige, welcher ein gutes Gedicht oder eine Rede machen will, sollte nicht bedenken noch erforschen, was für Anlagen er habe, was er vermöge, was er nicht vermöge, was die Sache, die er unternommen hat, erfordere, und ganz die Vorschrift des Horaz bei Seite setzend: „Was die Schultern vermögen und was sie zu tragen verweigern“, sondern nur ungestüm ans Werk gehen und denken: man muß sich Mühe geben, daß die Sache zu Stande komme; die Frage aber ist vorwitzig und überflüssig, ob ich gelehrt und beredt genug bin und der Sache gewachsen. Oder wenn jemand viele Früchte von dem Acker erlangen will, soll er nicht vorwitzig sein und mit überflüssiger Sorgfalt die Art des Bodens erforschen, wie Virgil in seinen landwirthschaftlichen Gedichten (Georgicis) vorwitzig und vergeblich lehrt, sondern fahre dreist zu, denke an nichts Anderes als die Arbeit, pflüge das Meeresgestade, streue den Samen hinein, wo es nur gangbar ist, mag es nun Sand oder Schlamm sein. Oder wenn jemand einen Krieg führen will und einen herrlichen Sieg begehrt, oder irgend einen anderen Dienst im Staate leisten soll, so muß er nicht vorwitzig sein und überlegen, was er vermöge, ob die Schatzkammer hinlänglich gefüllt sei, ob die Soldaten bereit seien, ob eine genügende Anzahl für das Unternehmen da sei, und er verachte durchaus das Wort des Geschichtschreibers: „Ehe du handelst, ist Ueberlegung nöthig, hast du überlegt, rasches Handeln“, sondern er stürze mit blinden Augen und geschlossenen Ohren hinein, schreie nichts als Krieg, Krieg! und gehe ans Werk. Ich frage dich, Erasmus, was wirst du urtheilen von solchen Dichtern, Landleuten, Feldherren und Fürsten? Ich will noch das Wort des Evangeliums hinzufügen (Luc. 14,28.): „Wer ist unter euch, der einen Thurm bauen will und sitzt nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob er es habe hinauszuführen?“ Was urtheilt Christus von dem?

So erkennst auch du uns nur das Ausführen zu, verbietest aber, daß wir zuerst unser Vermögen erforschen, messen und kennen lernen sollen, was wir vermögen und nicht vermögen, als ob dies vorwitzig, überflüssig und unchristlich wäre. So, indem du aus allzugroßer Vorsicht die Verwegenheit verabscheuest, und Besonnenheit vorgibst, kommst du dahin, daß du auch die größte Verwegenheit lehrst. Denn wiewohl die Sophisten dummkühn und unsinnig sind, da sie Vorwitz treiben, so vergehen sie sich damit doch nicht so sehr, als du, da du auch lehrst und vorschreibst, unsinnig zu sein und dummkühn zu handeln. Und damit die Unsinnigkeit desto größer sei, überredest du uns, es sei die schönste christliche Gottseligkeit, Besonnenheit, christlicher Ernst und diene zur Seligkeit; wenn wir nicht so thäten, so behauptest du, wir seien unchristlich, vorwitzig und frevel, und bist gar fein der Scylla entgangen, da du die Charybdis vermiedest. Aber dazu hat dich das Vertrauen auf deine Gaben getrieben, weil du glaubst, du könnest so durch deine Beredsamkeit alle anderen Leute von hohem Verstande täuschen, daß keiner gewahr werden könne, was du im Schilde führest, und was du vorhabest mit deinen schlüpfrigen Schriften, aber Gott läßt sich nicht spotten, und es ist nicht gut, gegen ihn anzugehen.

Ferner, wenn du uns diese Vermessenheit gelehrt hättest im Anfertigen von Gedichten, im Ziehen von Früchten, in Unternehmung von Kriegen und Geschäften, oder im Häuserbauen, obgleich es unerträglich ist, zumal bei einem so großen Manne, so wärest du doch noch einiger Nachsicht werth gewesen, wenigstens bei Christen, welche zeitliche Dinge verachten. Aber da du selbst den Christen vorschreibst, verwegene Werktreiber zu werden, und ihnen befiehlst, um ihre ewige Seligkeit zu schaffen, sollten sie nicht wissen wollen, was sie vermöchten oder nicht vermöchten, so ist das in Wahrheit die Sünde, die nicht vergeben werden kann. Denn sie werden nicht wissen, was sie thun sollen, da sie nicht wissen, was und wie viel sie vermögen; da sie aber nicht wissen, was sie thun sollen, können sie (wenn sie irren) nicht Buße thun, Unbußfertigkeit aber ist eine Sünde, die nicht vergeben werden kann. Und dahin leitet uns deine gemäßigte zweiflerische Theologie.

Also ist es nicht unchristlich, vorwitzig oder überflüssig, sondern vor allen Dingen heilsam und nothwendig für einen Christen, daß er wisse, ob der Wille etwas oder nichts wirke in den Dingen, welche die Seligkeit anbetreffen; ja, daß du es wissest, hier ist der Angelpunkt unserer Disputation, hierum dreht sich der ganze Handel der Sache zwischen mir und dir. Denn damit gehen wir um, daß wir untersuchen, was der freie Wille vermöge, was er leide, wie er sich verhalte zu der Gnade Gottes. Wenn wir dies nicht wissen, so werden wir von christlichen Dingen durchaus nichts kennen, und wir werden ärger sein als alle Heiden. Wer dies nicht versteht, der bekenne nur, daß er kein Christ sei, wer es aber tadelt oder verachtet, der soll wissen, daß er der höchste Feind der Christen ist. Denn, wenn ich das nicht weiß, was, wieweit und wieviel ich vermag und thun kann gegen Gott, so wird es mir gleicher Weise ungewiß und unbekannt sein, was, wieweit und wieviel Gott in mir vermag und thut, da Gott alles in allen wirkt. Wenn ich aber Gottes Werke und Macht nicht kenne, so kenne ich Gott selbst nicht, kenne ich aber Gott nicht, so kann ich ihn nicht verehren, loben, ihm nicht danken; ich kann Gotte nicht dienen, weil ich nicht weiß, wieviel ich mir, wieviel ich Gotte zuschreiben muß. Wir müssen daher den gewissesten Unterschied haben zwischen der Kraft Gottes und der unsrigen, zwischen Gottes Werke und dem unsrigen, wenn wir gottselig leben wollen. So siehst du, daß diese Frage der eine Haupttheil des Inbegriffs der ganzen christlichen Lehre ist, wovon die Erkenntniß unser selbst, sowie die Erkenntniß und die Ehre Gottes, abhängt und womit sie steht und fällt; darum ist es an dir nicht zu leiden, lieber Erasmus, daß du sagest, dies wissen wollen sei unchristlich, vorwitzig und unnütz. Wir verdanken dir viel, aber der Gottseligkeit sind wir alles schuldig. Ja, sogar du selbst hältst dafür, daß wir alles Gute, was wir haben, Gotte zuschreiben müssen, und behauptest das in deiner Anweisung zum christlichen Leben. Da du aber dies behauptest, so behauptest du doch sicherlich zugleich, daß Gottes Barmherzigkeit allein alles wirke, und daß unser Wille nichts wirke, sondern vielmehr sich leidend verhalte, sonst würde Gotte nicht alles zugeschrieben. Aber kurz darauf sagst du, dies zu behaupten und wissen zu wollen sei nicht christlich, gottselig und heilsam; aber so muß nothwendiger Weise ein Gemüth reden, welches mit sich selbst nicht einig ist, und ungewiß und unerfahren in Sachen der Gottseligkeit.

Der andere Haupttheil des Inbegriffs der christlichen Lehre ist, daß man wisse, ob Gott etwas in der Weise vorherwisse, daß es vielleicht, vielleicht auch nicht geschehe, und ob wir alles aus Nothwendigkeit thun. Und auch diesen Theil hältst du für unnütz, vorwitzig und nichtig, wie dies auch alle Gottlosen thun; ja auch alle Teufel und Verdammten hassen und verwünschen ihn. Und du bist nicht thöricht, daß du dich dieser Fragen entschlägst, wenn man es nur thun dürfte. Aber du bist doch nur ein gar geringer Redner und Theologe, wenn du dir vornimmst, vom freien Willen zu reden und zu lehren ohne diese Theile. Ich will als Wetzstein dienen und, wiewohl ich selbst kein Redner bin, einen vortrefflichen Redner seines Amtes erinnern. Wenn Quintilian von der Redekunst schreiben wollte und so sagte: Nach meinem Urtheil muß man die thörichten und überflüssigen Dinge fahren lassen, nämlich: die Feststellung dessen, wovon man reden will, die Anordnung, den Vortrag, daß man es ins Gedächtniß einpräge, das Halten der Rede, es muß genug sein, daß man wisse, die Redekunst sei die Kenntniß, wie man wohl reden soll; würdest du einen solchen Künstler nicht verlachen? Aber auch du machst es nicht anders, du willst vom freien Willen schreiben und stößest zuerst den ganzen Körper und alle Theile der Kunst von dir, über welche du schreiben willst, und wirfst sie weg. Denn es ist unmöglich, daß du wissen kannst, was der freie Wille sei, wenn du nicht zuvor weißt, was der menschliche Wille vermag, was Gott thue, ob er es in der Weise vorherwisse, daß es mit Nothwendigkeit geschehe (an necessario praesciat).

Lehren denn nicht auch deine Redekunstlehrer, daß, wenn jemand über eine Sache reden will, er sagen müsse, zuerst, ob es sei, darnach was es sei, was seine Theile sind, was dem entgegengesetzt ist, was verwandt, was ähnlich etc.? Du aber beraubst diesen an sich schon so armen freien Willen aller dieser Dinge, gibst keine Erklärung ab über irgend eine Frage, die ihn betrifft, ausgenommen über die erste, nämlich, ob er sei, und zwar mit solchen Beweisgründen, wie wir nun sehen werden, so daß ich ein läppischeres Buch vom freien Willen noch nicht gesehen habe, ausgenommen die Zierlichkeit der Schreibart. Die Sophisten wenden hier doch wenigstens ihre Schlußkunst besser an, da sie die Redekunst nicht verstehen; wo sie sich an den freien Willen gemacht haben, erörtern sie alle ihn betreffenden Fragen, ob er sei, was er sei, was er wirke, wie es sich mit ihm verhalte etc., wenngleich sie ebenfalls nicht ausrichten, was sie sich vorgenommen haben. Darum will ich mit diesem Büchlein dich und alle Sophisten in die Enge treiben, bis daß ihr mir die Kräfte und Werke des freien Willens darleget, und (mit Christi Beistand) will ich euch so in die Enge treiben, daß ich hoffe, ich will dich dahin bringen, daß es dir leid sein soll, deine Diatribe herausgegeben zu haben.

Es ist darum auch das für einen Christen besonders nothwendig und heilsam, daß er wisse, Gott weiß nichts in der Weise voraus, daß es zufällig geschehe, sondern er sieht alles voraus, nimmt es sich vor und thut es, nach einem unveränderlichen, ewigen und unfehlbaren Willen. Durch diesen Donnerschlag wird der freie Wille ganz und gar niedergelegt und von Grund aus vernichtet. Darum müssen diejenigen, welche den freien Willen behaupten wollen, diesen Donnerschlag entweder leugnen, oder mit Stillschweigen übergehen, oder auf andere Weise von sich abschieben. Ehe ich aber diesen Punkt durch meine Darlegung und durch das Ansehen der heiligen Schrift bestätige, will ich ihn zuvor mit deinen eigenen Worten behandeln. Bist du es nicht, lieber Erasmus, der da kurz zuvor behauptet hat, Gott sei von Natur gerecht, von Natur der allergütigste? Wenn dies wahr ist, folgt dann nicht, daß er unveränderlich gerecht und gütig ist? denn, wie sein Wesen sich in Ewigkeit nicht ändert, so auch nicht seine Gerechtigkeit und Güte. Was aber von der Gerechtigkeit und Güte gesagt wird, muß auch von seinem Wissen, Weisheit, rechtschaffenen Wesen, Willen und allen anderen göttlichen Dingen gesagt werden. Wenn daher dies in christlicher, gottseliger und heilsamer Weise von Gott behauptet wird, wie du schreibst, was ist dir angekommen, daß du jetzt im Widerspruch mit dir selbst behauptest, es sei unchristlich, vorwitzig und frevel zu sagen, Gott wisse in der Weise voraus, daß es mit Nothwendigkeit geschehe? Nämlich du lehrst, man müsse den unveränderlichen Willen Gottes lernen, und verbietest, sein unveränderliches Vorherwissen kennen zu lernen. Oder glaubst du, daß er, ohne es zu wollen, vorherweiß, oder etwas wolle, was er nicht kennt? Wenn er aber vorherweiß, was er will, so ist sein Wille ewig und unveränderlich (weil sein Wesen so beschaffen ist); wenn er will, was er vorherweiß, so ist sein Wissen ewig und unveränderlich (weil sein Wesen so ist).

Daraus folgt unwiderleglich: alles, was wir thun, und alles, was geschieht, obgleich es uns scheint veränderlich und zufällig zu geschehen, geschieht doch in Wahrheit nothwendiger Weise und unveränderlich, wenn man auf Gottes Willen sieht. Denn der Wille Gottes ist kräftig und kann nicht gehindert werden, da er die wesentliche Macht Gottes selbst ist, ferner auch weise, daß er nicht getäuscht werden kann; da aber der Wille nicht gehindert ist, so kann auch sein Werk nicht gehindert werden, daß es geschehe an dem Orte, zu der Zeit, in der Weise, in dem Maße, nach welchen er selbst es vorhersieht und will. Wenn der Wille Gottes ein solcher wäre, welcher aufhörte, nachdem das Werk vollbracht ist und dieses bleibt, wie der menschliche Wille, wo das Wollen aufhört, nachdem das Haus gebaut ist, welches sie wollen, wie der Wille im Tode aufhört, dann könnte mit Wahrheit gesagt werden, daß etwas zufällig und veränderlich geschehe. Aber hier geschieht es dagegen, daß das Werk aufhört, und der Wille bleibt, darum ist es weit gefehlt, daß sein Werk, da es geschieht und bleibt, zufälliger Weise sein oder bestehen könne. Zufällig geschehen (contingenter fieri) heißt aber (damit wir die Ausdrücke nicht falsch gebrauchen) im Lateinischen, nicht daß das Werk selbst als ein zufälliges geschehe, sondern daß es geschehe nach einem zufälligen und veränderlichen Willen, wie er in Gott nicht ist. Ferner kann ein Werk nur dann ein zufälliges genannt werden, wenn es uns zufällig und gleichsam durch ein Ungefähr geschieht und unversehens, weil unser Wille oder unsere Hand es ergreift, indem es gleichsam durch einen Zufall dargeboten wurde, wir aber vorher gar nicht, weder daran gedacht, noch es gewollt haben.

Hier haben sich die Sophisten nun schon viele Jahre lang abgemüht, und überführt haben sie zugeben müssen, daß alles mit Nothwendigkeit geschehe, aus Nothwendigkeit der Folge (wie sie sagen), aber nicht aus Nothwendigkeit dessen, was folgt (necessitate consequentiae, sed non necessitate consequentis). So haben sie dieser so gewaltigen Frage entgehen wollen, haben sich damit aber nur selbst betrogen. Denn wie nichtig dies ist, wird mir nicht schwer fallen nachzuweisen. Nothwendigkeit der Folge nennen sie, daß ich grob davon rede: Wenn Gott etwas will, so ist es nothwendig, daß es geschehe, aber es ist nicht nothwendig, daß das sei, was geschieht. Denn allein Gott ist mit Nothwendigkeit, alles Andere kann auch nicht sein, wenn Gott will. So sagen sie, die Wirkung Gottes sei nothwendig, wenn er will, aber das Gewordene selbst sei nicht nothwendig. Was richten sie aber mit dieser Spielerei in Worten aus? Das ist's: die gewordene Sache ist nicht nothwendig, das heißt, sie hat kein nothwendiges Wesen; das ist nichts Anderes gesagt als: die gewordene Sache ist nicht Gott selbst. Nichtsdestoweniger bleibt das, daß jede Sache mit Nothwendigkeit geschieht, wenn die Wirkung Gottes nothwendig ist, oder Nothwendigkeit der Folge, wenngleich die Sache, wenn sie geschehen ist, durchaus nicht mit Nothwendigkeit besteht, das ist, nicht Gott ist, oder nicht ein nothwendiges Wesen hat. Wenn ich nämlich mit Nothwendigkeit werde, so kümmert es mich wenig, daß mein Sein oder Werden veränderlich ist; nichtsdestoweniger werde ich, als ein Zufälliger und Veränderlicher, der ich nicht der nothwendige Gott bin. Daher ist ihr Spielwerk, alles geschehe aus Nothwendigkeit der Folge, aber nicht aus Notwendigkeit dessen, was da folgt, nichts anders als dies: Alles geschieht zwar mit Nothwendigkeit, aber das so Gewordene ist nicht Gott selbst. Was ist es aber nöthig gewesen, uns dies zu sagen? als ob zu fürchten stände, daß wir behaupten würden, die gewordenen Dinge wären Gott, oder hätten ein göttliches und nothwendiges Wesen. So steht und bleibt dieser Satz unwiderlegt, daß alles mit Notwendigkeit geschehe. Denn es ist hier keine Dunkelheit oder Zweideutigkeit. Im Jesajas heißt es (Cap. 46,10): „Mein Rath wird bestehen und mein Wille wird geschehen.“ Denn welches Kind versteht nicht, was diese Wörter bedeuten: Rath, Wille, geschehen, bestehen?

Aber warum sollen uns Christen diese Dinge so verborgen sein, daß es unchristlich, vorwitzig und unnütz sein soll, sie zu behandeln und sie wissen zu wollen, da dergleichen die heidnischen Dichter und selbst das gemeine Volk im allergewöhnlichsten Gebrauche beständig im Munde führen? Wie oft erwähnt schon allein Virgil das Schicksal (fatum)? Certa stant omnia lege (Alles besteht nach gewissem Gesetze); desgleichen: Stat sua cuique dies (Jedem Menschen ist sein Todestag bestimmt); desgleichen: Si te fata vocant (Wenn das Schicksal dich ruft); desgleichen: Si qua fata aspera rumpas (Wenn du etwa das rauhe Geschick durchbrechen kannst). Und dieser Dichter geht auf nichts Anderes aus, als daß er an der Zerstörung Trojas und dem Aufkommen des römischen Reiches zeige, daß das Schicksal mehr vermöge, als aller Menschen Bemühen, ja sogar, daß die Notwendigkeit Ereignissen und Menschen gebiete (imponere). Endlich unterwirft er auch seine unsterblichen Götter dem Schicksal, dem auch Jupiter und Juno mit Notwendigkeit weichen müssen. Daher haben sie die drei Parzen erdichtet, wie sie unveränderlich, unversöhnlich und unerbittlich sind. Jene weisen Leute haben wahrgenommen, was die Sache selbst sammt der Erfahrung beweist, daß keinem Menschen jemals seine Anschläge fortgegangen sind, sondern, daß bei allen die Sache anders hinausgegangen ist, als sie gedacht haben. Wenn Troja mit der Faust hätte verteidigt werden können, so hätte dies auch die meinige vermocht, sagt Hector bei Virgil. Daher ist es das allergewöhnlichste Wort in aller Munde: Was Gott will, das geschehe; desgleichen: Will’s Gott, so wollen wir es thun; desgleichen: Gott hat es so gewollt. So haben die Götter beschlossen; so habt ihr (Götter) gewollt, sagt Virgil, damit wir sehen sollen, daß im Volke das Wissen von der Vorherbestimmung und dem Vorherwissen Gottes nicht weniger übriggeblieben ist, als die Kenntniß von Gott selbst. Und diejenigen, welche weise scheinen wollten, sind durch ihre Disputationen dahin gekommen, daß sie mit verfinstertem Herzen Narren geworden sind, Röm. 1, und das leugneten oder mit Stillschweigen übergingen, was die Dichter und das Volk und ihr eigenes Gewissen für das Allergewöhnlichste, Gewisseste und Wahrste halten. Weiter sage ich nicht allein, wie wahr dieses sei – darüber wird später ausführlicher auf Grund der heiligen Schrift geredet werden –, sondern auch, wie christlich, gottselig und notwendig es sei, dieses zu wissen. Denn, wenn man dieses nicht weiß, so kann weder der Glaube, noch irgend ein Gottesdienst bestehen. Denn das hieße in der That Gott nicht kennen; wenn man den aber nicht kennt, so gibt es auch kein Heil, wie bekannt ist. Denn wenn du zweifelst, oder verachtest zu wissen, daß Gott alles, nicht auf zufällige Weise, sondern mit Notwendigkeit und unwandelbar vorherweiß und will, wie könntest du seinen Verheißungen glauben, gewiß darauf vertrauen und dich darauf verlassen? Denn wenn er zusagt, so mußt du gewiß sein, daß er das, was er zusagt, wisse, und geben könne und wolle; sonst wirst du ihn nicht für wahrhaftig und treu halten: das aber ist Unglaube und die größte Gottlosigkeit und Verleugnung des höchsten Gottes.

Aber auf welche Weise kannst du gewiß und sicher sein, wenn du nicht weißt, daß er gewiß, und unfehlbar, und unveränderlich, und mit Notwendigkeit wisse und wolle und thun werde, was er zusagt? Denn wir müssen nicht allein gewiß sein, daß Gott mit Notwendigkeit und unveränderlicher Weise wolle und ausrichten werde, sondern uns gerade dessen auch rühmen, wie Paulus Röm. 3,4. sagt: „daß Gott sei wahrhaftig und alle Menschen Lügner“; und wiederum: Nicht daß Gottes Wort fehlen könne (Röm. 4,21. 1 Sam. 3,19.); und anderswo (1 Tim. 2,19.): „Der feste Grund Gottes bestehet und hat dieses Siegel: Der Herr kennet die Seinen“, und Tit. 1,2.: „Welches verheißen hat, der nicht lüget, Gott, vor den Zeiten der Welt“; und Hebr. 11,6.: „Wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß er sei, und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde.“ Darum wird der christliche Glaube ganz ausgelöscht, die Zusagen Gottes und das ganze Evangelium fallen ganz und gar dahin, wenn uns gelehrt wird und wir glauben, daß wir das nothwendige Vorherwissen Gottes und die Notwendigkeit dessen, was ins Werk gesetzt werden muß, nicht zu wissen brauchten. Denn dies ist der einzige und höchste Trost der Christen in allen Widerwärtigkeiten, zu wissen, daß Gott nicht lügt, sondern unwandelbar alles thut, daß seinem Willen niemand widerstehen, niemand ihn ändern oder hindern kann. Da siehe nun, lieber Erasmus, wohin uns deine überaus gemäßigte, den Frieden über alles liebende Theologie führt. Du hältst uns zurück und verbietest uns, damit umzugehen, daß wir das Vorherwissen Gottes und die Notwendigkeit in Dingen und Menschen erkennen lernen, räthst uns vielmehr, solches fahren zu lassen, zu meiden und zu verachten. Mit diesem deinem unbedachten Beginnen lehrst du uns zugleich, daß wir Unkenntniß Gottes suchen sollen, die schon von selbst kommt und uns noch dazu angeboren ist, daß wir den Glauben verachten sollen, daß wir die Verheißungen Gottes fahren lassen sollen, daß wir alle Tröstungen des Geistes und die Gewißheit des Gewissens für nichts achten sollen: dergleichen Dinge würde kaum Epicur selbst lehren.

Ferner, damit nicht zufrieden, nennst du den unchristlich, vorwitzig und eitel, der sich bemüht, diese Dinge kennen zu lernen, aber christlich, gottselig und nüchtern, wer sie verachtet. Was bringst du daher mit diesen Worten anders zuwege, als daß die Christen vorwitzig, eitel und nicht gottesfürchtig sind? das Christentum sei eine Sache von durchaus gar keinem Belang, eitel, thöricht und gottlos? So geschieht es wiederum, daß während du uns aufs höchste von der Vermessenheit abschrecken willst, du nach der Weise der Thoren ins Gegenteil geraten bist, und nichts Anderes lehrst als die höchste Vermessenheit, Gottlosigkeit und Verderbung. Fühlst du nicht, daß dein Büchlein in diesem Stücke so gottlos, lästerlich und gottesräuberisch ist, daß es nirgends seines Gleichen hat?

Ich rede nicht von deinem Herzen, wie ich oben gesagt habe, denn ich halte dich nicht für so verderbt, daß du dieses von Herzen lehren oder gethan haben wolltest, sondern um dir zu zeigen, was für seltsame Dinge der, ohne es zu wollen, herschwatzen muß, welcher es auf sich genommen hat, eine schlechte Sache zu führen; ferner, was es auf sich habe, gegen Gottes Werke und Worte anzugehen, während wir anderen zu Gefallen handelnd eintreten und gegen unser Gewissen einer fremden Sache dienen. Es ist weder Spiel noch Scherz, die heilige Schrift und die Gottseligkeit zu lehren, denn hier kommt man sehr leicht so zu Falle, wie Jacobus (2,10.) sagt: „Wer sündiget an Einem, der ist es ganz schuldig.“ Denn so geschieht es, daß wenn wir es nur für ein Geringes halten, unser Spiel treiben zu wollen, und die heilige Schrift nicht gebührend in Ehren halten, wir bald in Gottlosigkeit verstrickt werden und in Gotteslästerungen fallen, wie dir hier widerfahren ist, Erasmus. Gott verzeihe dir und erbarme sich deiner.

Daß aber die Sophisten in dieser Sache so viele Fragen aufgeworfen und untersucht und viele andere unnütze Dinge eingemischt haben, von denen du vieles anführst, wissen und bekennen wir mit dir, und haben es heftiger und mehr angefochten als du. Aber du thust ganz unweislich und unbesonnen, daß du die Reinheit der heiligen Dinge mit den unheiligen und törichten Fragen der Gottlosen mischest, vermengst und sie ihnen gleich machst. Jene haben das Gold besudelt und die gute Farbe verändert, wie Jeremias sagt (Klagel. 4,1.), aber es muß das Gold nicht dem Kothe verglichen und zugleich mit diesem weggeworfen werden, wie du thust. Das Gold muß von ihnen befreit werden und die reine Schrift muß geschieden werden von ihrem Unflath und Schmutze. Dessen bin ich immer beflissen gewesen, damit man die heilige Schrift für etwas Anderes hielte, als ihre Possen. Und es darf uns auch nicht irre machen, daß durch jene Fragen nichts gewonnen ist, als daß wir zum großen Schaden der Eintracht weniger Liebe erweisen, während wir überklug sein wollen. Wir behandeln jetzt nicht die Frage, was die Sophisten-Fragsteller ausgerichtet haben, sondern wie wir gut und Christen werden, und du mußt es der christlichen Lehre nicht zur Last legen, was die Gottlosen übel handeln. Denn das dient nichts zur Sache und du hättest das bei anderer Gelegenheit sagen können und das Papier sparen.

Im dritten Theile fährst du fort, uns zu bescheidenen und ruhigen Epicurern zu machen, durch eine andere Art von Rath, der aber auch nicht verständiger ist, als die vorigen zwei, nämlich: „daß es einige Dinge gibt, die von solcher Art sind, daß, wenn sie gleich wahr wären, und man selbige wissen könnte, es doch nicht rathsam wäre, sie den Ohren von allerlei Volk preiszugeben.“

Und hier wirfst du wiederum alles zusammen und vermischest es nach deiner Weise, daß du heilige Dinge den weltlichen gleich machst ohne allen Unterschied, und bist wiederum in Verachtung und Verunehrung Gottes und der Schrift gefallen. Ich habe oben gesagt, daß das, was in der heiligen Schrift entweder gelehrt oder bewiesen wird, nicht nur klar, sondern auch heilsam sei, und daß man deshalb mit Sicherheit öffentlich verkündigen, lernen und wissen könne, ja müsse, daß das falsch ist, was du sagst, man solle es nicht den Ohren von allerlei Volk preisgeben, wenn du redest von dem, was in der heiligen Schrift ist; denn wenn du von anderen Dingen geredet haben willst, so geht uns das nichts an und du hast dann nicht zur Sache geredet, sondern verderbst Papier und Zeit mit deinen Worten. Ferner weißt du, daß ich mit den Sophisten in keinem Stücke übereinkomme, so daß du mich mit Recht hättest verschonen sollen und mir ihre Mißbräuche nicht vorwerfen, denn in deiner Schrift hättest du gegen mich reden sollen. Ich weiß, worin die Sophisten irren, und brauche dich nicht als Lehrer; sie sind von mir hinlänglich widerlegt. Dies will ich ein für allemal gesagt haben, so oft du mich mit den Sophisten zusammenwirfst und meiner Sache ihre Narrheit zur Last legst. Denn daran thust du Unrecht, was du sehr wohl weißt.

Nun wollen wir die Gründe deines Rathes, ansehen: „Gott sei seinem Wesen nach in einer Mistkäferhöhle oder sogar in einer Cloake (was du dich scheuest zu sagen und beschuldigst die Sophisten, daß sie so schwatzen) ebensowohl als im Himmel; wenngleich dies wahr wäre, hältst du doch dafür, daß es unverständig sei, vor dem großen Haufen davon zu disputiren.“

Zuerst laß die schwatzen, die da schwatzen; wir disputiren hier nicht von dem, was die Menschen thun, sondern von dem Rechte und Gesetze, nicht wie wir etwa leben, sondern wie wir leben sollen. Denn wer unter uns lebt und handelt überall in der rechten Weise? Aber darum wird Recht und Lehre nicht verdammt, sondern sie verdammt vielmehr uns. Aber du gehst mit jenen ganz fremdartigen Dingen um und kratzest vieles von allen Seiten zusammen, weil dich der Eine Artikel von dem Vorherwissen Gottes übel verdrießt. Da du den auf keine Weise besiegen kannst, versuchst du es, den Leser mit vielem leerem Gerede müde zu machen. Aber das mag dahinfahren, wir wollen wieder zur Sache kommen. Wohin zielt also das, daß du dafürhältst, einiges solle nicht öffentlich gelehrt werden? Rechnest du etwa die Sache des freien Willens dazu? Dann wird gegen dich alles das gelten, was ich oben gesagt habe, daß es nothwendig sei, den freien Willen zu lernen; ferner, warum folgst du deinem eigenen Rathe nicht und läßt deine Diatribe nicht anstehen? Wenn du wohl daran thust, den freien Willen zu behandeln, warum tadelst du es denn? wenn es böse ist, warum thust du es? Wenn du ihn aber nicht unter diese Dinge zählst, so gehst du wieder der Sache aus dem Wege, um die es sich handelt, und besprichst als ein wortreicher Redner fremdartige Dinge, die nicht zur Sache gehören.

Doch auch das Beispiel behandelst du nicht recht und verdammst es als etwas Unnützes, daß vor der Menge davon disputirt werde, ob Gott in einer Höhle oder in einer Cloake sei, denn du hast zu menschliche Gedanken von Gotte. Ich gestehe zwar, daß es einige leichtfertige Prediger gibt, welche ohne Ehrfurcht und Gottseligkeit, entweder aus Ruhmsucht oder dem Bestreben, irgend etwas Neues vorzubringen, oder weil sie eben reden wollen, ganz leichtfertig schwatzen und Possen treiben: aber solche Leute gefallen weder Gotte noch Menschen, wenn sie auch behaupten würden, daß Gott im höchsten Himmel ist. Aber wo ernste und gottselige Prediger sind, welche mit bescheidenen, reinen und vernünftigen Worten lehren, da ist es ohne Gefahr, ja von großem Nutzen, wenn sie derartiges vor der großen Menge lehren. Müssen wir nicht alle lehren, daß der Sohn Gottes im Schooße der Jungfrau gewesen und daß er aus ihrem Leibe geboren ist? Aber was für ein großer Unterschied ist zwischen dem menschlichen Leibe und irgend einem anderen unreinen Orte? Und wer könnte nicht schändlich und unanständig davon reden? Aber solche Leute verdammen wir mit Recht, da reine Worte im Ueberfluß vorhanden sind, um von diesem nothwendigen Vorgange auch mit Schicklichkeit und Annehmlichkeit zu reden. Auch Christi Leib war ein menschlicher Leib, wie der unsrige; was ist garstiger als der? Sollen wir etwa darum nicht sagen, daß Gott leibhaftig in ihm gewohnt habe, was Paulus gesagt hat? Was ist greulicher als der Tod? Was abscheulicher als die Hölle? Aber der Prophet rühmt sich, daß Gott bei ihm sei im Tode und ihm beistehe in der Hölle. Darum scheut sich ein gottseliges Herz nicht, zu hören, daß Gott im Tode oder in der Hölle sei, was alles beides scheußlicher und greulicher ist, als ein Loch oder eine Cloake. Ja, da die heilige Schrift bezeugt, daß Gott überall sei und alles erfülle, sagt sie nicht allein, daß er an jenen Orten sei, sondern man wird auch nothwendiger Weise lernen und wissen müssen, daß er da sei; man wollte denn sagen, wenn ich etwa von einem Tyrannen gefangen gelegt, in ein Gefängniß oder in ein heimlich Gemach geworfen würde, was vielen Heiligen widerfahren ist, daß ich dort Gott nicht anrufen dürfe, noch glauben, daß er da bei mir sei, bis daß ich in eine geschmückte Kirche gekommen wäre. Wenn du uns lehren willst, solche Possen in Bezug auf Gott zu treiben, und Anstoß nimmst an den Orten, wo er gegenwärtig ist, so wirst du ihn uns schließlich auch nicht mehr im Himmel wohnen lassen, denn auch die höchsten Himmel fassen ihn nicht und sind seiner nicht würdig. Aber, wie ich gesagt habe, du stichst nach deiner Gewohnheit so gehässig, damit du unsere Sache niederdrückest und gehässig machest, weil du erkanntest, daß du sie nicht überwinden könnest und sie von dir wohl unbesiegt bleiben wird.

Von dem anderen Beispiele, daß drei Götter seien, bekenne ich, daß es ärgerlich sei, wenn es gelehrt wird; es ist auch nicht wahr, und die heilige Schrift lehrt das nicht, aber die Sophisten reden so und haben eine neue Schlußkunst erdichtet. Aber was geht uns das an?

Ferner, es ist zu verwundern, mit wie trefflicher Klugheit du deine Sache führst in Bezug auf die Beichte und Genugthuung, und überall, wie du pflegst, auf Eiern gehst, damit es nicht den Schein habe, als verdammest du einfach unsere Lehre, noch auch, als griffest du des Pabstes Tyrannei an. Das darfst du durchaus nicht wagen. Darum setzest du eine Weile Gott und das Gewissen bei Seite (denn was liegt dem Erasmus daran, was Gottes Wille in diesen Sachen ist und was dem Gewissen frommt?), machst dir mit äußerlichem Scheine zu schaffen und klagst das gemeine Volk an, daß es der Predigt, die Beichte und Genugthuung solle frei sein, mißbraucht nach seiner Bosheit zur Freiheit des Fleisches, aber „durch die Notwendigkeit zu beichten” (wie du sagst) “ganz und gar in Schranken gehalten wird.“ O welch ein trefflicher und herrlicher Grund! Heißt denn das Theologie lehren, wenn man die Seelen mit Gesetzen bindet und, wie Ezechiel sagt (13,19.), tödtet, welche von Gott nicht gebunden sind? Freilich mit diesem Grunde bringst du uns die ganze Tyrannei der päbstlichen Gesetze wieder auf, als nützlich und heilsam, weil auch durch sie die Bosheit des großen Haufens im Zaume gehalten wird.

Aber ich will nicht losfahren, wie es dieser Artikel verdient; ich will die Sache kurz sagen. Ein guter Theologe lehrt so: Das Volk muß im Zaume gehalten werden durch die äußerliche Gewalt des Schwertes, wenn es übel gethan hat, wie Paulus lehrt Röm. 13,4., nicht aber müssen ihre Gewissen mit falschen Gesetzen verstrickt werden, daß sie mit Sünden gequält werden, wo Gott gewollt hat, daß keine Sünde sei. Denn die Gewissen sollen allein durch Gottes Befehl gebunden werden, so daß die Tyrannei der Päbste, die sich zwischen eingedrängt hat, und fälschlicher Weise die Seelen innerlich schreckt und tödtet und äußerlich den Leib vergeblich plagt, ganz und gar aus dem Mittel geräumt werde; denn obgleich sie äußerlich zur Beichte und anderen Lasten zwingt, so wird dadurch doch das Herz nicht in Schranken gehalten, sondern es wird nur stärker gereizt zum Hasse gegen Gott und Menschen. Und vergeblich peinigt sie den Leib in äußerlichen Dingen und macht bloße Heuchler, so daß diejenigen, welche mit derartigen Gesetzen tyrannisiren, nichts anders sind als reißende Wölfe, Diebe und Mörder der Seelen. Und diese empfiehlst du uns wiederum, du guter Seelsorger, das heißt, du bist der Anstifter der grausamsten Seelenmörder, daß sie die Welt erfüllen sollen mit Heuchlern, mit Gotteslästerern und mit solchen Leuten, die ihn im Herzen verachten, damit sie äußerlich ein wenig im Zaume gehalten werden, als ob keine andere Weise da wäre, im Zaume zu halten, die keine Heuchler macht und ohne Schaden der Gewissen geübt wird, wie ich gesagt habe. Hier führst du Gleichnisse ein, an denen du reich sein und dafür angesehen sein willst, daß du sie gar passend gebrauchest, nämlich: „es gebe Krankheiten, welche mit geringerem Schaden ertragen, als vertrieben werden, wie Ausatz” etc.; desgleichen fügst du auch das Beispiel des Paulus hinzu, „der wisse einen Unterschied zu machen zwischen dem, was man zu thun Macht hat, und dem, was frommt; es steht in unserer Macht (sagst du), die Wahrheit zu sagen, allein es frommt nicht bei allen und jeden, auch nicht zu aller Zeit, noch auf jegliche Art und Weise.“

Als ein wortreicher Redner, und verstehst doch nicht, was du redest, handelst du in der Kürze diese Sache so, als ob unser Handel darüber wäre, daß eine Summe leicht ersetzbaren Geldes auf dem Spiele stände, oder irgend eine andere ganz geringfügige Sache, durch deren Verlust, da er doch weit geringer sei, als der äußere Friede, sich niemand so sehr bewegen lassen sollte, daß er nicht lieber nachgäbe, etwas thue oder leide, je nach Umständen, damit die Welt nur nicht in einen solchen Aufruhr gebracht werden müsse. Also gibst du klar an den Tag, daß dir jener Friede und die Ruhe des Fleisches weit vorzüglicher scheine, als der Glaube, als das Gewissen, als die Seligkeit, als das Wort Gottes, als die Ehre Christi, ja als Gott selbst. Darum sage ich dir, und ich bitte dich, du wollest es gar wohl zu Herzen fassen, daß ich es in diesem Handel mit einer ernsten, notwendigen und ewigen Sache zu thun habe, mit einer solchen und so großen, daß sie behauptet und vertheidigt werden muß auch mit dem Tode, wenn auch die ganze Welt nicht allein in Kampf und Aufruhr versetzt werden müßte, sondern auch sogar in einen Haufen stürzen und wieder zu nichts werden sollte. Wenn du dies nicht begreifst, oder hievon nicht bewegt wirst, so treibe deine Sachen und laß es die begreifen und davon bewegt werden, denen Gott es gegeben hat.

Denn ich bin, durch Gottes Gnade, nicht so thöricht und unsinnig, daß ich um Geldes willen, welches ich weder habe noch wünsche, oder um Ruhmes willen, den ich in der Welt, die mir so feind ist, nicht erlangen könnte, wenn ich auch wollte, oder um des Leibes Lebens willen, dessen ich keinen Augenblick sicher sein kann, mit so großem Muthe, mit so großer Beständigkeit, welche du Hartnäckigkeit nennst, durch so viele Lebensgefahren, durch so viel Haß, durch so viel Nachstellungen, kurz, durch die Wuth der Menschen und der Teufel hindurch, so lange diese Sache führen und aufrecht erhalten wollte. Oder meinst du, du allein habest ein Herz, welches durch diesen Unfrieden bewegt werde? Wir sind auch nicht steinern oder aus Parischen Blöcken entstanden. Aber wenn es nicht anders sein kann, so erwählen wir es lieber, durch zeitlichen Unfrieden geplagt zu werden, fröhlich in der Gnade Gottes, um des Wortes Gottes willen, welches mit tapferem und unbeugsamem Herzen fest behauptet werden muß, als durch ewigen Unfrieden, unter dem Zorne Gottes, in unerträglicher Qual gepeinigt zu werden. Christus gebe, wie ich wünsche und hoffe, daß dein Herz nicht so stehe; deine Worte aber lauten gewißlich so, als wenn du mit dem Epicur dafür haltest, das Wort Gottes und das künftige Leben seien Fabeln, da du uns durch deine Lehre veranlassen willst, daß wir um der Päbste und Fürsten, oder um des zeitlichen Friedens willen das allergewisseste Wort Gottes fahren lassen und nachgeben sollen. Wenn wir das daran geben, so geben wir auch Gott, den Glauben, die Seligkeit und alles, was Christenthum heißt, daran. Wie viel richtiger ermahnt uns Christus, daß wir vielmehr die ganze Welt verachten sollen.

Du sagst aber solche Dinge, weil du nicht liesest, oder vielmehr nicht beachtest, daß dieses das allergewisseste Schicksal des Wortes Gottes ist, daß wegen desselben die Welt erregt werde. Und dies behauptet Christus öffentlich (Matth. 10,34.): „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert“, und im Lucas (12,49.): „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden“; und Paulus im zweiten Corintherbriefe 6,5: „In Aufruhren“ etc.; und auch der Prophet im zweiten Psalm bezeugt reichlich und versichert, daß die Heiden toben, daß die Völker lärmen, daß die Könige sich auflehnen, daß die Fürsten Verschwörungen anzetteln wider den Herrn und wider seinen Gesalbten, als ob er sagen wollte, die große Menge, die Gewaltigen, die Reichen, die Mächtigen, die Weisen, die Gerechten und alles, was hoch ist in der Welt, lehnt sich auf wider Gottes Wort. Siehe in der Apostelgeschichte, was in der Welt geschieht, allein der Predigt des Paulus halben (daß ich der anderen Apostel geschweige), wie dieser einige Mensch sowohl Heiden als Juden erregt, oder wie ebendaselbst (Apost. 24,5.) die Feinde selbst sagen: „der Aufruhr erreget auf dem ganzen Erdboden“. Unter Elias wird das Reich Israel verwirret, wie der König Ahab (1 Kön. 18,17.) sich beklagt. Ein wie großer Aufruhr ist unter den anderen Propheten gewesen, da alle getödtet oder gesteinigt werden, da Israel gefangen geführt wird nach Assyrien, und gleicherweise, da Juda nach Babylonien geführt wird? Ist denn das Friede gewesen? Die Welt und ihr Gott können das Wort des wahren Gottes nicht leiden und wollen es nicht; der wahre Gott will und kann nicht schweigen: wie sollte denn, da diese beiden Götter wider einander Krieg führen, nicht Aufruhr entstehen in der ganzen Welt? Diesen Aufruhr stillen wollen ist daher nichts Anderes als das Wort Gottes wegnehmen und verbieten. Denn so oft Gottes Wort kommt, kommt es, um die Welt umzugestalten und zu erneuern. Aber auch heidnische Schriftsteller bezeugen, daß Aenderungen in den Verhältnissen nicht ohne Bewegung und Aufruhr, ja, ohne Blut nicht abgehen können. Den Christen kommt es nun zu, dieses mit Geistesgegenwart zu erwarten und zu tragen, wie Christus spricht (Matth. 24,6.): „Ihr werdet hören Kriege und Geschrei von Kriegen, sehet zu und erschrecket nicht. Das muß zum ersten alles geschehen; aber es ist noch nicht das Ende.“ Und ich würde sagen, wenn ich diesen Aufruhr nicht sähe, daß Gottes Wort nicht in der Welt wäre; jetzt, da ich ihn sehe, freue ich mich von Herzen und achte sein nicht, denn ich bin ganz gewiß, daß das Reich des Pabstes mit seinen Anhängern stürzen werde, denn hauptsächlich dieses hat Gottes Wort angegriffen, das jetzt im Schwange geht. Ich sehe gar wohl, lieber Erasmus, daß du dich in vielen Büchern über diesen Aufruhr beklagst, daß nun Friede und Eintracht verloren sei; ferner versuchst du vielerlei, um dieses zu heilen, und (wie ich glaube) guter Meinung, aber diese Krankheit (podagra) spottet deiner Versuche zu helfen, denn hier ist es wahr, was du sagst, du fährst wider den Strom, ja, du löschest das Feuer mit Stroh. Höre auf zu klagen, höre auf heilen zu wollen; dieser Aufruhr hat seinen Anfang und Fortgang vom Herrn und wird nicht aufhören, bis daß er alle Widersacher des Wortes mache wie Koth auf der Gasse, wiewohl es zu bedauern ist, daß man dich, einen so großen Theologen, dessen erinnern muß, wie einen Schüler, da du doch ein Lehrer anderer sein solltest.

Hierher gehört nun dein ganz hübscher Ausspruch, daß etliche Krankheiten mit geringerem Schaden ertragen als vertrieben werden, doch wendest du ihn nicht recht an; denn du solltest sagen, diese Krankheiten, welche man mit geringerem Schaden ertragen könnte, wären jener Aufruhr, Bewegungen, Verwirrungen, Aufstände, Rotten, Zwietracht, Kriege und dergleichen mehr, durch welche, um des Wortes Gottes willen, die ganze Welt erschüttert und entzweiet wird. Dieses, sage ich, wird, weil es zeitlich ist, mit geringerem Schaden ertragen, als die alten und bösen Gewohnheiten, durch welche alle Seelen nothwendiger Weise verloren gehen müssen, wenn sie nicht durch Gottes Wort geändert werden; wenn dieses weggenommen wäre, so würden die ewigen Güter, Gott, Christus und der Heilige Geist weggenommen. Wie viel besser ist es aber, die Welt zu verlieren, als Gott, den Schöpfer der Welt, der von neuem unzählige Welten schaffen kann und besser ist als unermeßliche Welten? Wie können zeitliche und ewige Dinge mit einander verglichen werden? Dieser Aussatz der zeitlichen Uebel muß daher lieber ertragen werden, als daß durch den Mord und die ewige Verdammniß aller Seelen die Welt von diesem Aufruhr geheilt und befriedet werde auf Kosten ihres Blutes und ihres Verderbens, da doch um den Preis der ganzen Welt auch nicht Eine Seele erkauft werden kann. Du hast schöne und treffliche Gleichnisse und Sprüche, aber wenn du von heiligen Dingen handelst, so wendest du sie kindisch, ja, verkehrt an, denn du kriechst auf der Erde und bedenkst nichts, was über das menschliche Begreifen hinausgeht. Denn das, was Gott wirkt, ist nicht kindisch, noch bürgerlich, noch menschlich, sondern göttlich und höher als alle menschliche Vernunft. Zum Beispiel, du erkennst nicht, daß dieser Aufruhr und Rotten aus Gottes Rath und Wirkung durch die Welt gehen, und fürchtest, der Himmel falle ein; ich aber erkenne dies durch Gottes Gnade sehr wohl, weil ich andern größeren Unfrieden in der Zeit nach diesem Leben sehe, in Vergleich mit welchem dieser gleichsam ein schwaches Säuseln eines Lüftchens zu sein scheint oder ein sanftes Gemurmel des Wassers. Aber die Lehre, daß die Beichte und Genugthuung frei sein soll, leugnest du entweder, oder du weißt nicht, daß sie Gottes Wort ist. Dies ist eine andere Frage, wir aber wissen, und sind gewiß, daß es Gottes Wort ist, durch welches die christliche Freiheit fest behauptet wird, damit wir uns nicht durch menschliche Ueberlieferungen und Gesetze in Knechtschaft verstricken lassen. Das haben wir anderswo reichlich gelehrt, und wenn du es anfechten willst, so sind wir bereit, es auch dir zu sagen, oder zu erstreiten. Unserer Bücher hierüber sind eine ganze Anzahl vorhanden. Aber (möchtest du sagen) es möchten zugleich auch darneben in Liebe die Gesetze der Päbste getragen und gehalten werden, wenn so vielleicht ohne Aufruhr, sowohl die ewige Seligkeit durch das Wort Gottes, als auch der Friede der Welt bestehen könnte.

Ich habe schon oben gesagt, das ist unmöglich. Der Fürst dieser Welt läßt es dem Pabste und seinen Bischöfen nicht zu, daß ihre Gesetze frei gehalten werden, sondern er hat es im Sinne, die Gewissen zu fangen und zu binden; das kann der wahre Gott nicht leiden. So streiten in unversöhnlicher Zwietracht das Wort Gottes und die Ueberlieferungen der Menschen, nicht anders als wie Gott selbst und der Satan sich einander befeinden, und einer des andern Werke zerstört und des andern Lehren umwirft, gleichwie wenn zwei Könige gegenseitig ihre Reiche verwüsten. „Wer nicht mit mir ist“, spricht Christus (Matth. 12,30.), „der ist wider mich.“

Daß aber zu befürchten steht, daß viele, welche zu Lastern geneigt sind, dieser Freiheit mißbrauchen werden, das gehört zu dem oben besprochenen Aufruhr als ein Theil des zeitlichen Aussatzes, den man ertragen, und des Uebels, welches man leiden muß, und ist nicht so groß zu achten, daß man, um ihrem Mißbrauche zu wehren, das Wort Gottes wegnehmen sollte. Wenn nicht alle errettet werden können, so werden doch einige erhalten, um derer willen Gottes Wort gekommen ist; diese haben desto brünstigere Liebe und desto festere Eintracht. Denn was für Böses haben nicht auch zuvor die gottlosen Menschen begangen, ehe Gottes Wort da war? Ja, was haben sie Gutes gethan? Ist nicht immer die Welt voll gewesen von Krieg, Betrug, Gewaltthaten, Zwietracht und allen Verbrechen? so daß Micha (7,4.) den Besten unter ihnen einem Dorn vergleicht; wie, meinst du, würde er die andern nennen? Nun aber fängt man an, dem Evangelium, welches wieder an den Tag gekommen ist, zur Last zu legen, daß die Welt böse ist, da es doch durch das gute Evangelium vielmehr an den Tag kommt, wie böse sie gewesen ist, da sie ohne das Evangelium in ihrer Finsterniß lebte. So geben auch die Ungelehrten den Wissenschaften Schuld, weil durch das Blühen derselben ihre Unwissenheit an den Tag kommt. Dies ist der Dank, mit dem wir Gott für sein Wort des Lebens und der Seligkeit bezahlen. Wie groß, meinst du, wird aber die Furcht bei den Juden gewesen sein, als das Evangelium alle von dem Gesetze Mosis freisprach? Was schien da nicht eine so große Freiheit bösen Menschen zu gestatten? Aber deshalb ist das Evangelium nicht unterlassen worden zu predigen; sondern die Ungläubigen ließ man fahren, aber den Gottseligen ist gesagt worden, daß sie diese Freiheit nicht zur Zügellosigkeit des Fleisches mißbrauchen sollten.

Aber auch der Theil deines Rathes, oder vielmehr Heilmittels, taugt nicht, da du sagst: „Die Wahrheit zu sagen, steht in unserer Macht, allein es frommt nicht bei allen und jeden, auch nicht zu aller Zeit, noch auf jegliche Art und Weise“; und unpassend genug führst du Paulus ein, da er sagt (1 Cor. 6,12.): „Ich habe es alles Macht, es frommt aber nicht alles.“

Denn Paulus redet da nicht von der Lehre oder vom Lehren der Wahrheit, wie du seine Worte verkehrst und willkürlich darauf deutest. Vielmehr will er, daß die Wahrheit überall, zu jeder Zeit, auf jede Weise, geredet werde, so daß er sich auch freut, daß nur Christus verkündigt wird, zufallens, oder um Haß und Haders willen, und bezeugt dies öffentlich in diesem Worte (Phil. 1,18.): „Daß nur Christus verkündiget werde allerlei Weise … so freue ich mich doch darinnen.“ Paulus redet von dem Thun und Gebrauch der Lehre, nämlich von denen, die sich der christlichen Freiheit rühmten, aber das Ihre suchten und keine Rücksicht nahmen auf Aergerniß und Anstoß bei den Schwachen. Die Wahrheit und Lehre muß zu allen Zeiten, öffentlich und beharrlich gepredigt werden, niemals muß sie gebeugt oder verheimlicht werden, denn es ist in ihr kein Aergerniß, denn sie ist „ein gerades Scepter“. (Ps. 45,7.) Und wer hat dir Gewalt oder Recht gegeben, die christliche Lehre an Ort, Personen, Zeit oder Gelegenheit der Sachen zu binden, da Christus will, daß sie aufs allerfreieste in der ganzen Welt ausgeschrieen werden und herrschen soll? Denn „Gottes Wort ist nicht gebunden“, sagt Paulus (2 Tim. 2,9.), und Erasmus will das Wort binden? Gott hat uns auch nicht Ein Wort gegeben, welches Orte, Personen und Zeiten sich auswähle, da Christus sagt: „Gehet in die ganze Welt“; er sagt nicht: Gehet hierhin, aber dorthin gehet nicht, wie Erasmus; desgleichen: „Prediget das Evangelium aller Creatur“; er sagt nicht: Bei etlichen, bei etlichen nicht. Kurz, du legst uns im Dienst des Wortes Gottes Ansehen der Person, Ansehen des Ortes, Ansehen der Art und Weise, Ansehen der gelegenen Zeit auf, da doch schon dies allein ein großes Stück der Herrlichkeit des Wortes ist, daß (wie Paulus sagt (Eph. 6,9. Col. 3,25.)) „bei ihm kein Ansehen der Person ist“, und (Gal. 2,6.): „Gott achtet das Ansehen der Menschen nicht.“ Du siehst wiederum, wie frevel du wider Gottes Wort zufährst, als ob du demselben deine Gedanken und Rathschläge bei weitem vorzögest. Nun, wenn wir dich bitten würden, du möchtest uns die rechten Zeiten, Personen und Art und Weise zeigen, wie man die Wahrheit predigen müsse, wann würdest du mit deiner Anweisung fertig werden? „Erst hat Welt und Zeit schon lange ein Ende genommen“, ehe du nur Eine gewisse Regel hast aufstellen können. Wo bliebe indessen das Amt zu lehren? Wo die Seelen, welche belehrt werden sollen? Und wie könntest du auch, da du nicht Einen Umstand kennst von den Personen, Zeiten, von der Art und Weise? Und wenn du dies auch aufs beste wüßtest, so kennst du doch nicht die Herzen der Menschen; wenn nicht etwa für dich das die Art und Weise, das die Zeit und das die Person ist, daß wir die Wahrheit so lehren sollen, daß der Pabst nicht unwillig werde, daß der Kaiser nicht zürne, daß die Bischöfe und Fürsten nicht erregt werden, ferner, daß kein Aufruhr und Bewegung entstehe auf dem Erdkreise, daß nicht viele Anstoß nehmen und ärger werden. Was das für ein Rathschlag ist, hast du oben gesehen, aber es beliebte dir, so mit unnützen Worten deine Beredsamkeit zu zeigen, damit du überhaupt nur etwas vorbringen möchtest.

Wie viel besser wäre es also, daß wir elende Menschen Gotte diese Ehre gäben, der die Herzen der Menschen kennt, daß er selbst die Art und Weise, die Personen und Zeiten vorschriebe. Denn er weiß, was, wann und wie es einem jeglichen gesagt werden muß. Nun aber hat er es so vorgeschrieben, daß sein Evangelium, welches für alle nothwendig ist, nicht für einen bestimmten Ort, nicht für eine gewisse Zeit vorgeschrieben werden sollte, sondern es sollte bei allen, zu jeder Zeit, an jedem Orte gepredigt werden. Und oben habe ich bewiesen, daß das, was in der Schrift aufgezeichnet ist, der Art ist, daß es nothwendig und heilsam ist, es allen darzulegen und frei öffentlich zu verkündigen, wie du selbst auch in deiner Schrift „Paraclesis“ damals besser als jetzt gerathen und selbst gelehrt hast. Diejenigen, welche nicht wollen, daß die Seelen erlöst werden, wie der Pabst mit den Seinigen, denen mag es anstehen, das Wort Gottes zu binden und die Menschen vom Leben und Himmelreich abzuhalten, daß sie selbst nicht hineinkommen und andere nicht hineingehen lassen: ihrem Wüthen dienst du, Erasmus, mit deinem verderblichen Rathe.

Mit ebensolcher Klugheit räthst du darnach: „man müsse es nicht öffentlich sagen, wenn in den Concilien etwas unrecht beschlossen oder bestimmt wäre, damit nicht ein Anlaß gegeben werden möchte, das Ansehen der Väter zu verachten.“

Natürlich hat der Pabst gewollt, daß du das sagest, und hört das lieber als das Evangelium; er wäre sehr undankbar, wenn er dich dafür nicht wieder ehrte mit dem Cardinalshute und großem Reichthum. Aber doch, Erasmus, was werden die Seelen thun, welche durch jene unrechte Verordnung gebunden und getödtet sind? Geht dich das nichts an? Aber du hältst beständig dafür, oder vielmehr, du stellst dich, als sei es deine Meinung, menschliche Satzungen könnten ohne Gefahr neben dem reinen Worte Gottes gehalten werden. Wenn das der Fall wäre, so würde ich dieser deiner Meinung bald zustimmen. Wenn du es daher nicht weißt, so sage ich noch einmal: Menschliche Satzungen können nicht gehalten werden zugleich mit dem Worte Gottes, weil jene die Gewissen binden, dieses sie los macht, und sie streiten wider einander, wie Wasser und Feuer, wenn sie nicht frei, das ist, als solche, die nicht binden, gehalten werden. Gerade das will der Pabst nicht und kann es nicht wollen, wenn er nicht will, daß sein Reich zu Grunde gerichtet und ihm ein Ende gemacht werden soll, welches nur besteht durch Stricke und Fesseln der Gewissen, von denen doch das Evangelium versichert, daß sie frei seien. Daher ist das Ansehen der Väter für nichts zu achten, und ihre Satzungen, die unrecht gestellt sind, wie alles, was ohne Gottes Wort festgesetzt ist, müssen umgestoßen und verworfen werden. Kurz, wenn du so von Gottes Wort hältst, so ist deine Meinung gottlos; hältst du aber so von anderen Dingen, so geht uns die wortreiche Darlegung (disputatio) deines Rathes nichts an, wir streiten über Gottes Wort.

Im letzten Theile deiner Vorrede, wo du uns ernstlich abschreckst von dieser Art der Lehre, meinst du fast schon den Sieg davon getragen zu haben.

“Was könnte unnützer sein (sprichst du), als diese seltsame Sache (paradoxon) in der Welt auszustreuen: Was wir thun, geschieht nicht durch unsern freien Willen, sondern durch bloße Nothwendigkeit? Und den Ausspruch des Augustinus: Gott wirke das Gute und das Böse in uns; er belohne in uns seine guten Werke und strafe an uns seine bösen Werke.“ Da gibst oder vielmehr verlangst du mit vielen Worten Rechenschaft: „Was für eine große Thür (sagst du) würde diese öffentlich ausgebreitete Rede den Menschen öffnen zur Gottlosigkeit? Welcher boshafte Mensch würde sein Leben bessern wollen? Wer würde glauben, daß er von Gott geliebt werde? Wer würde mit seinem Fleische kämpfen?“

Mich wundert, daß du bei so großer Heftigkeit und Anstrengung im Reden nicht auch der vorliegenden Sache gedacht hast und gesagt: Wo würde dann der freie Wille bleiben? Lieber Erasmus, wiederum sage auch ich: Wenn du diese seltsam scheinenden Sachen (paradoxa) für Menschenerfindungen hältst, was streitest du denn? was ereiferst du dich? gegen wen redest du? Oder gibt es heutzutage einen Menschen auf dem ganzen Erdkreise, welcher Menschenlehre heftiger angegriffen hat, als Luther? Daher geht uns deine Vermahnung nichts an. Wenn du aber glaubst, daß diese seltsamen Sachen Gottes Worte sind, wo ist dein Anstand? wo Scham? wo ist, ich will gar nicht mehr sagen, die bekannte Bescheidenheit des Erasmus, sondern, wo ist die Furcht und die Ehrerbietung, die man dem wahren Gotte schuldig ist? Wie kannst du sagen, es könne nichts Unnützeres geredet werden, als dies Wort Gottes? Freilich, dein Schöpfer wird von dir, seiner Creatur, lernen, was nützlich und unnütz sei zu predigen, und dieser thörichte oder unweise Gott wird bisher wohl nicht gewußt haben, was gepredigt werden muß, bis du, als sein Lehrer, ihm die Art und Weise, rechte Einsicht zu haben und zu gebieten, vorschriebst; gleich als wenn er selbst, ohne deine Belehrung nicht gewußt hätte, daß aus diesem seltsamen Satze das folgen würde, was du daraus schließest. Wenn also Gott wollte, daß solches öffentlich geredet und ausgebreitet werden sollte, und daß man nicht ansehen sollte, was daraus folge, wer bist du denn, daß du es verbieten wolltest?

Der Apostel Paulus, im Briefe an die Römer, bespricht, nicht im Winkel, sondern öffentlich vor der ganzen Welt, in freiester Rede, dieselben Dinge auch mit gar harten Worten vor den Leuten, indem er sagt (Röm. 9,18.): „Er verstockt, welchen er will“; und wiederum (V. 22.): „Gott wollte seinen Zorn erzeigen“ etc. Was ist härter (nämlich für das Fleisch) als jenes Wort Christi (Matth. 21,16.): „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählet“? und wiederum (Joh. 13,18.): „Ich weiß, welche ich erwählet habe.“ Freilich dies alles ist der Art, wenn es nach dir geht, daß nichts Unnützeres gesagt werden kann, weil nämlich hiedurch gottlose Menschen in Verzweiflung, Haß und Gotteslästerung gerathen. Hier, wie ich sehe, muß die Wahrheit und der Nutzen der Schrift, wie du dafürhältst, gewogen und gerichtet werden nach dem Sinne der Menschen, und zwar nur nach dem der gottlosesten, daß das erst wahr, das göttlich, das heilsam sein muß, was ihnen gefällt oder erträglich scheint; was dawider ist, muß alsbald unnütz, falsch und verderblich sein. Was kannst du anders bezwecken mit diesem Rathe, als daß Gottes Wort in der Schwebe bleibt, steht oder fällt nach der Willkür und dem Ansehen der Menschen? da doch dagegen die Schrift sagt, daß nach dem Willen und Urtheil Gottes alles stehe und falle und (Hab. 3,20.): „Es sei vor dem Herrn stille alle Welt.“ So sollte wohl der reden, der sich einbildete, der lebendige Gott sei nichts anders als ein leichtfertiger, unbedachter Zungendrescher, der auf irgend einer Tribüne eine Rede hielte; dessen Worte könnte man freilich, wenn man wollte, deuten, annehmen, oder ablehnen, so weit es einem beliebte, je nachdem man sähe, daß die gottlosen Leute dadurch erregt oder bewegt würden.

Hier gibst du klar an den Tag, lieber Erasmus, wie gar von Herzen du weiter oben dazu gerathen hast, man solle die Majestät der göttlichen Gerichte ehren. Denn da, wo von den Lehren der Schrift gehandelt wurde, und es durchaus nicht vonnöthen war, geheimnißvolle und verborgene Dinge zu verehren, deshalb weil dort dergleichen nicht sind, da drohtest du uns in gar ernstlichen Worten mit der Corycischen Höhle, damit wir nicht vorwitzig eindringen möchten, so daß du uns durch die Furcht fast ganz vom Lesen der Schrift abgeschreckt hättest, die zu lesen doch Christus und die Apostel so dringen und rathen, und auch du selbst anderswo. Hier aber, wo man nicht zu den Lehren der Schrift, noch bloß zu der Corycischen Höhle, sondern in Wahrheit zu den ehrfurchtsvoll zu ehrenden Geheimnissen der göttlichen Majestät gekommen ist, nämlich, warum Gott so wirke, wie gesagt ist, da brichst du die Riegel und stürzest hinein. Nur daß du nicht lästerst, doch zeigst du alle mögliche Entrüstung wider Gott, weil er die Absicht und die Ursache solches seines Urtheils nicht sehen lassen will. Warum wendest du hier nicht auch Dunkelheit und Zweideutigkeit vor? Warum enthältst du selbst dich nicht der Erforschung jener Dinge und schreckst andere ab, da Gott gewollt hat, daß sie uns verborgen sein sollen, und sie in der Schrift nicht offenbart hat? Hier hätte es sich gebührt, den Finger auf den Mund zu legen, vor dem, was verborgen bleiben sollte, in Ehrfurcht stille zu stehen, den verborgenen Rath der Majestät anzubeten und mit Paulus auszurufen (Röm. 9,20.): „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten wolltest?“

Wer (sprichst du) wird sich bestreben, sein Leben zu bessern? Ich antworte: Niemand, auch wird es niemand können, denn nach deinen Besserern ohne den Heiligen Geist fragt Gott nichts, da sie Heuchler sind; es werden sich aber die Auserwählten und Gottseligen durch den Heiligen Geist bessern, die anderen werden ungebessert verloren gehen. Denn auch Augustin sagt nicht, daß keiner oder aller Menschen gute Werke gekrönt werden, sondern etlicher. Darum werden etliche sein, die ihr Leben bessern. Wer wird glauben (sagst du), daß er von Gott geliebt werde? Ich, antworte: Kein Mensch wird es glauben, er vermag es auch nicht; aber die Auserwählten werden glauben, die anderen werden als Ungläubige verloren gehen, unwillig sein und lästern, wie du hier thust. Darum werden etliche sein, die glauben werden.

Daß aber durch diese Lehre eine Thür zur Gottlosigkeit aufgethan wird, das mag sein; das gehört zu dem Aussatz, von dem ich oben gesagt habe, daß man das Uebel leiden muß. Dagegen wird durch dieselbe Lehre zugleich die Thüre zur Gerechtigkeit aufgethan und der Eingang zum Himmel und der Weg zu Gott für die Gottseligen und Auserwählten. Wenn wir aber nach deinem Rathe uns dieser Lehre enthielten und den Menschen dieses Wort Gottes verbergen würden, daß jeder, durch eine falsche Vorstellung von der Seligkeit betrogen, Gott nicht fürchten und sich demüthigen lernte, daß er durch die Furcht endlich zur Gnade und Liebe käme, dann hätten wir zwar fein die Thüre geschlossen, aber anstatt dessen, für uns und alle, große Thore geöffnet, ja Schlünde und Abgründe, nicht nur zur Gottlosigkeit, sondern zu den Tiefen der Hölle. So würden wir selbst nicht in den Himmel eingehen und auch andere hindern, daß sie nicht hineingehen könnten.

„Was ist also für ein Nutzen oder Nothwendigkeit, solche Dinge auszubreiten, da doch so vielerlei Uebel daraus zu erwachsen scheint?“

Ich antworte: Es wäre freilich genügend zu sagen: Gott hat gewollt, daß es öffentlich gelehrt werde, aber nach der Ursache des göttlichen Willens müsse man nicht fragen, sondern einfach anbeten und Gott die Ehre geben, daß, weil er allein gerecht und weise ist, er niemandem Unrecht thue, noch auch irgend etwas thöricht oder frevel vornehmen könne, wenn es uns auch ganz anders erscheinen möchte. Mit dieser Antwort sind die Gottseligen zufrieden. Doch zum Ueberfluß will ich dieses noch hinzufügen: zwei Ursachen erfordern, daß dies gepredigt werden muß. Die erste ist, damit unser Stolz gedemüthigt und Gottes Gnade recht erkannt werde; die andere ist der christliche Glaube selbst. Zuerst hat Gott seine Gnade den Gedemüthigten gewiß zugesagt, das ist, denen, die ihre Sünde beklagen und an sich selbst verzweifeln. Gründlich aber kann ein Mensch sich nicht demüthigen, bis er weiß, daß ganz ohne seine Kräfte, Rath, Bestreben, Willen und Werke seine Seligkeit ganz und gar abhängt von eines anderen Gutbefinden (arbitrio), Rath, Willen und Werke, nämlich allein Gottes. Denn so lange ein Mensch die Ueberzeugung hat, er vermöge, wenn auch nur ein ganz Geringes, in Bezug auf seine Seligkeit, so bleibt er im Vertrauen auf sich selbst und verzweifelt nicht ganz und gar an sich, darum demüthigt er sich nicht vor Gotte, sondern nimmt sich Ort, Zeit oder irgend ein Werk vor, dadurch er hofft, oder wenigstens wünscht, endlich zur Seligkeit zu gelangen. Wer aber gar nicht daran zweifelt, daß alles im Willen Gottes stehe, der verzweifelt gänzlich an sich, erwählt nichts, sondern erwartet, daß Gott an ihm wirke, der ist der Gnade am nächsten, daß er selig werden kann. Darum werden um der Auserwählten willen diese Dinge öffentlich gelehrt, daß sie, auf diese Weise gedemüthigt und zunichte gemacht, selig werden; die anderen widerstehen dieser Demüthigung, ja, verwerfen es, daß dieses Verzweifeln an sich selbst gelehrt werde, und wollen, daß etwas, wenn auch nur ein ganz Geringes, für sie übrig gelassen werde, was sie vermögen. Diese bleiben im Verborgenen stolz und Widersacher der Gnade Gottes. Dies ist, sage ich, der eine Grund, damit die gedemüthigten Gottseligen die Verheißung der Gnade kennen lernen, darum anrufen und sie annehmen.

Die andere Ursache ist, daß der Glaube es mit Dingen zu thun hat, die man nicht siehet (Hebr. 11,1.). Damit also der Glaube statthabe, ist es nöthig, daß alles, was geglaubt wird, verborgen sei; es kann aber nicht tiefer verborgen werden, als wenn es dem, wie es uns erscheint, wie wir es fühlen und erfahren haben, gerade entgegengesetzt ist. So, wenn Gott lebendig macht, so thut er es durch Tödten, wenn er rechtfertigt, so thut er es dadurch, daß er schuldig macht, wenn er zum Himmel bringt, so thut er es dadurch, daß er in die Hölle führt, wie die Schrift sagt, 1 Sam. 2,6.: „Der Herr tödtet und machet lebendig, führet in die Hölle und wieder heraus.“ Darüber weitläuftiger zu reden, ist hier nicht der Ort. Denjenigen, welche unsere Schriften gelesen haben, ist dieses gar wohl bekannt. So verbirgt er seine ewige Güte und Barmherzigkeit unter dem ewigen Zorne, seine Gerechtigkeit unter der Unbilligkeit.

Dies ist die höchste Staffel des Glaubens, zu glauben, der sei gütig, der so wenige selig macht und so viele verdammt, zu glauben, der sei gerecht, der durch seinen Willen uns notwendiger Weise verdammlich macht, so daß es den Schein hat, wie es Erasmus darstellt, als ob er an den Qualen der Elenden Gefallen hätte und des Hasses mehr werth sei, als der Liebe. Wenn ich daher auf irgend eine Weise begreifen könnte, wie Gott barmherzig und gerecht ist, der einen solchen Zorn und Unbilligkeit zeigt, so wäre der Glaube nicht nöthig. Nun aber, da dies nicht begriffen werden kann, soll man Gelegenheit haben, den Glauben zu üben, wenn solches gepredigt und verkündigt wird, als, wenn Gott tödtet, so wird der Glaube an das Leben im Tode geübt. Das sei nun genug zur Vorrede.

Auf diese Weise wird denen, die von diesen seltsamen Dingen (paradoxis) handeln, richtiger gerathen, als durch deinen Rath, da du durch Schweigen und Anstehenlassen ihrer Gottlosigkeit einen Rath finden willst, wodurch du doch nichts ausrichtest. Denn wenn du entweder glaubst oder vermuthest, daß es wahr ist (denn diese seltsamen Dinge haben eine große Bedeutung), so wirst du, bei der unersättlichen Begierde, geheime Dinge zu erforschen, dann am meisten, wenn wir sie aufs tiefste verborgen wissen wollen, durch die Veröffentlichung dieser deiner Warnung es zuwege bringen, daß vielmehr jetzt alle wissen wollen, ob diese seltsamen Dinge wahr sind, indem sie durch dein Dawiderreden dazu gereizt werden. Keiner der Unsrigen hat bisher einen so starken Anlaß gegeben, es auszubreiten, als du durch diese heftige Erinnerung, die voller Bedenklichkeit ist. Du hättest viel klüger gethan, wenn du ganz geschwiegen hättest darüber, daß man sich mit diesen seltsamen Sätzen nicht befassen soll, wenn du gewollt hättest, daß dies wirklich geschehe. Nun ist dies vorbei; da du nicht gänzlich leugnest, daß sie wahr sind, so werden sie nicht verborgen gehalten werden können, sondern durch die Vermuthung, daß sie doch die Wahrheit enthalten, werden alle dazu gereizt werden, sie zu erforschen. Darum, wenn du willst, daß andere schweigen sollen, so leugne entweder, daß sie wahr sind, oder schweige selbst zuerst.

Den anderen seltsamen Satz: Was von uns geschieht, werde von uns nicht durch freien Willen, sondern durch bloße Notwendigkeit vollbracht, wollen wir kurz ansehen, damit wir nicht uns sagen lassen müssen, dies sei eine ganz schädliche Lehre. Hier sage ich so: wenn das bewiesen ist, daß unsere Seligkeit, ganz unabhängig von unseren Kräften und Rath, allein von Gottes Werke abhängt, was ich hernach im Haupttheile dieser Abhandlung zu beweisen hoffe, folgt dann nicht klar, wenn Gott mit seinem Werke in uns nicht da ist, daß alles böse ist, was wir thun, und wir mit Notwendigkeit wirken, was nichts taugt zur Seligkeit? Denn wenn nicht wir, sondern Gott die Seligkeit in uns wirkt, so wirken wir vor seinem Werke nichts Heilsames, ob wir wollen, oder nicht wollen. Mit Notwendigkeit, sage ich, nicht gezwungen, sondern, wie jene sagen, aus Notwendigkeit der Unveränderlichkeit, nicht des Zwanges, das ist, wenn der Mensch den Geist Gottes nicht hat, so wird er freilich nicht mit Gewalt, gleichsam bei der Kehle hingerissen, und thut Böses wider seinen Willen, wie ein Dieb oder Räuber wider seinen Willen zur Strafe geführt wird, sondern er thut es freiwillig und gerne. Aber diese Lust und Willen (Böses) zu thun kann er aus seinen Kräften nicht unterlassen, im Zaume halten oder ändern, sondern fährt willig und gern fort. Wenn er auch äußerlich mit Gewalt gezwungen werden sollte, anders zu thun, so bleibt doch der Wille innerlich abgeneigt und ist unwillig auf den, der ihn zwingt oder ihm wehrt. Er würde aber nicht unwillig werden, wenn er verändert würde und der Gewalt willig folgte. Dies nennen wir hier die Notwendigkeit der Unveränderlichkeit, das ist, daß der Wille sich nicht ändern und anderswohin wenden kann, sondern nur noch mehr zum Wollen gereizt wird, wenn ihm Widerstand geleistet wird; das beweist sein Unwille. Dies würde nicht geschehen, wenn er frei wäre, oder einen freien Willen hätte. Man sehe die Erfahrung an, wie die durchaus nicht von ihrem Sinne abgebracht werden können, welche mit Zuneigung an irgend einer Sache hangen; oder wenn sie weichen, so weichen sie nur der Gewalt, oder wenn ihnen aus einer anderen Sache ein größerer Vortheil erwächst, niemals freiwillig. Wenn sie aber eine solche Neigung nicht haben, so lassen sie alles gehen und geschehen, wie es geht und geschieht.

Wiederum andererseits, wenn Gott in uns wirkt, so will und handelt der veränderte und durch den Geist Gottes sanft angehauchte Wille wiederum aus bloßer Lust und Neigung und freiwillig, nicht gezwungen, so daß er durch keine Widerwärtigkeit davon abgewendet, auch nicht überwältigt oder gezwungen werden kann durch die Pforten der Hölle, sondern er fährt fort, das Gute zu wollen, gern zu thun und zu lieben, wie er zuvor das Böse gewollt, gern gehabt und geliebt hat. Das beweist wiederum die Erfahrung, wie unbesiegbar und beständig die heiligen Männer sind, wenn man sie mit Gewalt zu etwas Anderem zwingen will, daß sie dadurch nur mehr zum Wollen (des Guten) gereizt werden, wie das Feuer durch den Wind vielmehr angefacht, als ausgelöscht wird, so daß auch hier keine Freiheit oder freier Wille ist, sich anderswohin zu wenden, oder etwas Anderes zu wollen, so lange als der Heilige Geist und die Gnade Gottes im Menschen währt. Kurz, wenn wir unter dem Gotte dieser Welt sind, ohne das Werk und den Geist des wahren Gottes, werden wir gefangen gehalten zu seinem Willen, wie Paulus an den Timotheus (2. Ep. 2,26.) sagt, daß wir nur das wollen können, was er will, denn er ist der starke Gewappnete, welcher seinen Vorhof so bewahrt, daß diejenigen, welche er besitzt, in Frieden sind, daß sie keine Bewegung oder Regung gegen ihn vornehmen, sonst würde das Reich des Satans, so es unter sich selbst uneins wäre, nicht bestehen, von dem doch Christus versichert, daß es Bestand habe. Und das thun wir willig und gerne, nach der Art des Willens; denn wenn der gezwungen würde, wäre es nicht ein Wille, denn der Zwang ist vielmehr, daß ich so sage, ein Nichtwille (noluntas). Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt, ihn besiegt und uns als seinen Raub wegführt, so sind wir wieder durch den Heiligen Geist seine Knechte und Gefangene (das ist aber eine königliche Freiheit), daß wir wollen und gern thun, was er will. So ist der menschliche Wille in die Mitte gesetzt, wie ein Zugthier; wenn Gott darauf sitzt, so will und geht er, wie Gott will, wie der Psalm (73, 22.) sagt: „Ich muß wie ein Thier sein vor dir. Dennoch bleibe ich stets an dir.“ Wenn der Teufel darauf sitzt, so will und geht er, wie der Teufel will, und es steht nicht in seinem Belieben, zu einem der beiden Reiter (sessorem) zu laufen, oder ihn zu suchen, sondern die zwei Reiter streiten darum, ihn zu erlangen und zu besitzen.

Wie aber, wenn ich aus deinen eigenen Worten, mit denen du den freien Willen behauptest, beweisen könnte, daß es keinen freien Willen gebe? daß ich dich überführe, du leugnest unverständig, was du mit so großer Klugheit zu behaupten wagst; gelt, wenn ich dies nicht ausrichten kann, so schwöre ich, daß alles widerrufen sein soll, was ich gegen dich in diesem ganzen Buche schreibe, und alles bestätigt sein, was deine Diatribe gegen mich behauptet und sucht.

Du machst die Kraft des freien Willens ganz gering und derartig, daß sie ohne die Gnade Gottes durchaus nichts vermöge.

Mußt du das nicht zugestehen? Nun frage und fordere ich: Wenn die Gnade Gottes nun nicht da ist, oder geschieden wird von jener ganz geringen Kraft, was kann diese dann thun? Sie vermag nichts (sagst du), und thut nichts Gutes; folglich wird sie nicht thun, was Gott oder seine Gnade will. Denn wir haben ja oben den Fall gesetzt, daß Gottes Gnade davon geschieden ist; was aber die Gnade Gottes nicht thut, das ist nicht gut. Daraus folgt, daß der freie Wille ohne Gottes Gnade durchaus nicht frei ist, sondern unabänderlich ein Gefangener und Knecht des Bösen, da er sich durch sich selbst nicht zum Guten wenden kann. Wenn dies feststeht, so will ich dir zulassen, daß du die Kraft des freien Willens nicht nur zu einer ganz geringen machest, sondern mache sie auch zu einer engelgleichen (angelicam), mache sie, wenn du kannst, zu einer ganz göttlichen; doch wenn du diesen unangenehmen Zusatz dazu machst, daß du sagst, daß er ohne die Gnade Gottes nichts vermöge, so wirst du ihm sofort alle seine Kraft genommen haben; denn was ist eine Kraft, die nichts vermag, anders, als durchaus gar keine Kraft?

Darum sagen, daß es einen freien Willen gebe, und er habe zwar eine Kraft, die aber nichts vermöge, ist das, was die Sophisten oppositum in adjecto nennen, als wenn man sagen würde: Der freie Wille ist, der nicht frei ist; wie, wenn ich das Feuer kalt und die Erde warm nennen würde. Denn laß gleich das Feuer das Vermögen der Wärme, ja der höllischen Hitze haben, wenn es nicht heiß ist, noch brennt, sondern kalt ist und kalt macht, dann soll man es mir auch nicht einmal ein Feuer, noch weniger warm nennen, es sei denn, du wolltest ein gemaltes oder erdichtetes Feuer haben. Aber wenn wir das die Kraft des freien Willens nennen würden, nach welcher der Mensch tauglich (aptus) ist, vom Geiste ergriffen und mit Gottes Gnade begabt zu werden, da er geschaffen ist zum (ewigen) Leben oder zum ewigen Tode, so wäre das recht geredet. Denn dieses Vermögen, das ist, Tauglichkeit oder, wie die Sophisten reden, eine anlagsweise Beschaffenheit (dispositivam qualitatem) und leidende Geschicktheit (passivam aptitudinem) gestehen auch wir zu. Denn wer weiß nicht, daß sie den Bäumen und den Thieren nicht gegeben ist? Denn (wie man sagt) für die Gänse hat er den Himmel nicht geschaffen.

Also steht es fest, auch nach deinem eigenen Zeugnisse, daß wir alles aus Nothwendigkeit thun, nichts durch den freien Willen, da die Kraft des freien Willens nichts ist, und Gutes weder thut, noch vermag, wenn die Gnade nicht da ist; es sei denn, du wollest in einer neuen Bedeutung das Wort Wirksamkeit (efficacia) ein vollkommenes Vollbringen (perfectionem) nennen, gleich als wenn der freie Wille zwar anfangen und wollen könnte, aber nicht vollbringen, was ich nicht glaube, und später will ich über diese Sache ausführlicher reden. Hieraus folgt nun, daß der freie Wille ein ganz göttlicher Name ist, der niemand anders zustehen kann, als allein der göttlichen Majestät, denn sie kann und thut alles, wie der Psalm singt (115,3.), „was er will“ im Himmel und auf Erden. Wenn dies den Menschen beigelegt wird, so wird ihnen das mit ebenso großem Unrechte beigelegt, als wenn ihnen auch die Gottheit selbst beigelegt würde: eine größere Gotteslästerung könnte es nicht geben. Demgemäß hätte es den Theologen gebührt, sich dieses Wortes zu enthalten, da sie von der menschlichen Kraft reden wollten, und es allein Gotte zu lassen; dann aber hätten sie es auch wieder aus der Menschen Munde und Rede wegnehmen und als einen heiligen und ehrwürdigen Ausdruck für ihren Gott in Anspruch nehmen sollen. Und wenn sie den Menschen überhaupt irgend ein Vermögen beilegen wollten, so hätten sie lehren sollen, dies mit einem anderen Worte zu benennen, zumal da uns bekannt und vor Augen ist, daß das Volk mit diesem Worte jämmerlich betrogen und verführt wird. Denn es hört und faßt dieses Wort ganz anders auf, als es die Theologen meinen und wollen verstanden haben. Denn das Wort „freier Wille“ ist ein überaus herrliches, weitumfassendes und wichtiges (plena), durch welches, wie das Volk dafür hält, ausgedrückt werde das Vermögen (wie es denn die Bedeutung und die Art des Wortes auch erfordert), welches sich frei nach beiden Seiten hin wenden kann, und dies Vermögen sei von niemand abhängig oder niemand unterworfen. Wenn es nun wüßte, daß dies sich anders verhielte, und daß kaum ein ganz geringes Fünklein dadurch bezeichnet werde, und daß er (der freie Wille) für sich selbst allein durchaus nichts vermöge, ein Gefangener und Knecht des Teufels sei: es wäre zu verwundern, wenn sie uns nicht steinigten als Verführer und Betrüger, die ganz anders redeten, als sie es selbst meinten, ja, es stände noch nicht einmal fest, noch wäre Einigkeit darin, was wir ausdrücken wollten. Denn wer lügenhaft (Sophistice) redet (sagt der weise Mann (Spr. 6,17.)), ist hassenswerth, besonders wenn er dies thut in Sachen des Glaubens (pietatis), wo die ewige Seligkeit in Gefahr steht.

Da wir nun die Bedeutung und die Sache eines so prächtigen Wortes verloren, ja niemals gehabt haben (welches die Pelagianer haben wollten, die ebenfalls durch dieses Wort betrogen waren), was behalten wir denn so hartnäckig ein leeres Wort noch bei, zur Gefahr und zum Betrug des gläubigen Volkes? das ist keine andere Weisheit, als wie jetzt Könige und Fürsten leere Titel von Reichen und Gegenden auch entweder beibehalten, oder für sich in Anspruch nehmen und rühmen, da sie dabei fast Bettler sind und nichts weniger als diese Reiche und Länder haben. Aber dies ist erträglich, weil sie niemanden täuschen oder betrügen, sondern sich selbst an dem leeren Schein ergötzen, freilich ohne allen Gewinn. Aber hier ist Gefahr für die Seligkeit und der schädlichste Betrug. Wer würde einen solchen ungeschickten Neuerer der Worte nicht verlachen, oder vielmehr unausstehlich finden, der wider den allgemeinen Sprachgebrauch eine solche Weise zu reden einzuführen versuchte, daß er einen Bettler einen reichen Mann nennen würde, nicht weil er etwas an Vermögen hätte, sondern weil vielleicht irgend ein König ihm das seinige schenken könnte, und er thäte das gleichsam im Ernst, nicht in einer Redefigur, nämlich entweder der Antiphrasis oder der Ironie: so auch, wenn er einen Todkranken vollkommen gesund nennen würde, nämlich so, weil ihm ein anderer seine Gesundheit geben könnte; desgleichen, wenn er einen ganz ungelehrten, groben Menschen sehr gelehrt nennen würde, weil ihm ein anderer vielleicht seine Wissenschaft geben könnte. So lautet es auch hier: der Mensch hat einen freien Willen, nämlich dann, wenn Gott ihm den seinigen abtreten würde. Durch diesen Mißbrauch im Reden könnte jeder sich jedes Dinges rühmen, wie: jener ist der Herr des Himmels und der Erde, wenn Gott es ihm schenken würde. Aber solches kommt nicht den Theologen zu, sondern Komödianten und Betrügern. Unsere Worte müssen eigentlich, rein und nüchtern sein und, wie Paulus sagt, heilsam und untadelig (Tit. 2,8.).

Wenn wir nun dieses Wort (freier Wille) nicht gänzlich fahren lassen wollen, was doch am sichersten und christlichsten wäre, so sollen wir doch lehren, daß man es mit wahrer Ehrlichkeit (bona fide) nur so gebrauche, daß dem Menschen ein freier Wille zuzugestehen sei, nicht mit Bezug auf Dinge, die über ihm sind, sondern nur in solchen Dingen, die unter ihm sind, das heißt, er soll wissen, daß er in seinem zeitlichen Vermögen und Besitzthümern das Recht habe zu gebrauchen, zu thun und zu lassen, nach seinem freien Willen, obwohl auch selbst das allein durch Gottes freien Willen regiert wird, wie es ihm gefällt; aber Gott gegenüber, oder in den Dingen, welche die Seligkeit und Verdammniß anbetreffen, hat er keinen freien Willen, sondern ist gefangen, unterworfen und ein Knecht, entweder des Willens Gottes, oder des Willens des Teufels.

Dies habe ich über die Hauptsachen in deiner Vorrede gesagt, welche ebenfalls fast den ganzen Handel in sich begreifen, fast mehr als das folgende Buch selbst. Aber der kurze Inbegriff von diesen Stücken ist derart gewesen, daß er ganz kurz durch diesen Doppelsatz (dilemma) hätte abgethan werden können: Entweder beklagt sich deine Vorrede über die Worte Gottes, oder über die Worte der Menschen. Wenn über die Worte der Menschen, so ist sie ganz vergebens geschrieben und geht uns nichts an; wenn über die Worte Gottes, so ist sie von Anfang bis zu Ende gottlos. Demgemäß wäre es nützlicher gewesen, daß davon geredet worden wäre, ob es Worte Gottes oder Menschenworte wären, von denen wir disputiren. Aber davon wird vielleicht der folgende Eingang und meine Darlegung handeln.

Was du aber am Ende deiner Vorrede wieder sagst, bewegt mich nichts, als: „daß du unsere Lehren Fabeln und unnütz nennst, man müsse vielmehr nach dem Beispiele des Paulus Christum den Gekreuzigten lehren, die Weisheit sei unter den Starken zu lehren, die Schrift richte ihre Sprache verschieden ein nach der Art der Zuhörer, so daß du dafürhältst, es sei der Klugheit und der Liebe des Lehrers zu überlassen, der lehren soll, was dem Nächsten frommt.“

Dies alles redest du ungeschickt und unwissend. Denn auch wir lehren nichts Anderes, als Jesum Christum, den Gekreuzigten. Aber Christus, der Gekreuzigte, bringt auch dies alles mit sich, auch sogar die Weisheit, die unter den Vollkommenen zu lehren ist. Denn es ist keine andere Weisheit unter den Christen zu lehren, als die, welche im Geheimniß verborgen ist und den Vollkommenen gehört, nicht den Kindern des jüdischen und Gesetzes-Volkes, welches ohne Glauben sich seiner Werke rühmt, wie Paulus 1 Cor. 2,6. sagt. Es sei denn, daß du unter dem „Christum den Gekreuzigten lehren“ nichts Anderes verstanden wissen wollest, als diese Worte hören lassen: Christus ist gekreuzigt.

Ferner (daß du sagst): „daß Gott zürnt, grimmig ist, haßt, sich betrübt, sich jammern läßt, daß es ihn gereut, davon doch eigentlich keines bei Gott statthat“: Das heißt Knoten in der Binse suchen. Denn diese Dinge machen die Schrift nicht dunkel, machen es auch nicht nöthig, daß sie den verschiedenen Zuhörern angepaßt werde, sondern du hast Gefallen daran, da Dunkelheiten zu machen, wo keine sind. Es sind gebräuchliche Redewendungen und zusammengefügt aus Wortbildern, welche auch die Kinder kennen. Wir aber handeln in dieser Sache von Glaubenssätzen, nicht von grammatischen Figuren.

Widerlegung der einleitenden Bemerkungen der Diatribe.

Nun im Eingange deiner Darlegung versprichst du, du werdest mit den canonischen Schriften die Sache führen, weil sich nämlich Luther durch das Ansehen keines anderen Schriftstellers außer denselben binden lassen will. Das gefällt mir wohl, und ich nehme das Versprechen an, wiewohl du dieses nicht in der Meinung zusagst, weil du urtheilst, daß diese Schriftsteller zur Sache nicht dienlich seien, sondern, damit du nicht eine vergebliche Arbeit auf dich nehmest, denn es gefällt dir nicht besonders meine Kühnheit, oder mit welchem Namen sonst dies mein Vornehmen (nur die heilige Schrift gelten zu lassen) genannt werden mag.

Denn es bewegt dich ziemlich bedeutend „die so zahlreiche Reihe der gelehrtesten Männer, deren Meinung man so viele hundert Jahre einstimmig gebilligt hat, unter denen solche gewesen sind, die eine besondere Einsicht in die heilige Schrift gehabt haben, auch einige sehr heilige Märtyrer, viele, die durch Wunderthaten berühmt sind, dazu die neueren Theologen, so viele hohe Schulen, Concilien, Bischöfe und Päbste“, kurz, auf der Seite steht die Gelehrsamkeit, hohe Begabung, Menge, Größe, Höhe, Tapferkeit, Heiligkeit, Wunder und was sonst noch? Auf meiner Seite aber ist der eine: Wiclef und der andere: Laurentius Valla (wiewohl auch Augustinus, den du übergehst, ganz und gar mein ist), aber diese haben gar kein Gewicht im Vergleich mit jenen; da bleibt Luther allein übrig, ein einzelner Mensch ohne hohes Amt (privatus), der erst kürzlich aufgekommen ist (natus), mit seinen Freunden, bei denen weder eine so große Gelehrsamkeit ist, noch so hoher Verstand, noch Menge, noch Größe, noch Heiligkeit, noch Wunder, so „daß sie auch nicht einmal ein lahmes Pferd heilen können. Die Schrift rühmen sie, welche sie doch gleicherweise, wie ihr Widerpart, als eine zweifelhafte haben, dann rühmen sie den Geist, den sie nirgends zeigen“ und andere Dinge, von denen du die meisten nur vom Hörensagen aufzählen kannst. Darum ist bei uns nichts, als was der Wolf zu der Nachtigall sagte, nachdem er sie verschlungen hatte: Du bist eine Stimme, weiter nichts. Denn sie reden (sagst du), und allein um deß willen wollen sie, daß man ihnen glaube.

Ich gestehe, lieber Erasmus, daß du nicht mit Unrecht von allen diesen Dingen bewegt werdest; ich bin über zehn Jahre lang von denselben so bewegt worden, daß ich glaube, es ist kein anderer da, der von denselben gleicherweise so sehr bewegt worden ist. Es war mir selbst unglaublich, daß dieses unser Troja, welches in so langer Zeit, in so vielen Kriegen unbesiegt geblieben war, je sollte erobert werden können. Und ich rufe Gott zum Zeugen an, der mein Herz kennt, ich wäre dabei geblieben und würde noch heutiges Tages so bewegt werden, wenn mich nicht mein Gewissen und klare Erfahrung auf die andere Seite zwänge. Du kannst wirklich denken, daß auch ich nicht ein Herz von Stein habe, und wenn es von Stein wäre, so hätte es doch, durch so große Fluthen und Wogen angefochten und bedrängt, schmelzen können, als ich das unternahm, von dem ich wußte, daß, wenn es geschehen wäre, das Ansehen von allen denen, die du angeführt hast, über mein Haupt wie eine Sündfluth hereinbrechen würde. Aber hier ist's nicht am Orte, die Geschichte meines Lebens und meiner Werke zu erzählen, es ist dies auch nicht angefangen worden, um mich selbst zu loben, sondern um die Gnade Gottes zu preisen. Wer ich bin und aus welchem Geiste und Rathe ich in diese Sache hineingezogen bin, das befehle ich dem, der da weiß, daß dies alles nach seinem, nicht nach meinem freien Willen geführt worden ist, obgleich auch die Welt dies schon lange gemerkt haben sollte. Du bringst mich aber durch deine Vorrede in die unangenehme Lage, daß ich mich nicht leicht herauswinden kann, wenn ich mich nicht selbst rühme und so viele Väter tadele, aber ich will kurz sagen: an Gelehrsamkeit, an Verstand, an Menge, an Ansehen und allem anderen stehe ich ihnen nach, wie auch du urtheilst.

Wenn ich dich aber nach diesen drei Dingen fragen würde, was doch Beweisung des Geistes, was Wunderwerke, was rechtschaffene Heiligkeit wäre, so würdest du, soweit ich dich aus deinen Briefen und Büchern kenne, offenbar werden als zu unerfahren und unwissend, als daß du dies auch nur mit einer Silbe anzeigen könntest. Oder wenn ich hart anhielte und wissen wollte, bei welchen wohl von den allen, die du rühmst, es gewiß von dir nachgewiesen werden könnte, daß er heilig gewesen sei oder noch sei, oder daß er den Heiligen Geist gehabt habe, oder wahre Wunderwerke verrichtet habe, so glaube ich, daß du dich viel abmühen würdest, aber vergeblich. Du redest vieles, was im Gebrauch und in gemeiner Rede angenommen ist, glaubst aber nicht, wie viel das an Glaubwürdigkeit und Ansehen verliert, wenn es vor den Richterstuhl des Gewissens gestellt wird. Das ist ein wahres Sprüchwort, daß auf Erden viele für Heilige gehalten werden, deren Seelen in der Hölle sind. Aber wir wollen dir zugestehen, wenn du willst, daß auch alle heilig gewesen sind, daß alle den Geist gehabt haben, daß sie alle Wunderwerke gethan haben (was du doch nicht begehrst), so sage mir doch dies, ob im Namen und Kraft des freien Willens, oder zur Bestätigung der Lehre vom freien Willen irgend einer von ihnen heilig gewesen sei, den Geist empfangen und Wunderwerke verrichtet habe? Das sei ferne! (wirst du sagen), sondern im Namen und in der Kraft Jesu Christi und für die Lehre Christi ist dies alles geschehen. Warum führst du denn ihre Heiligkeit, den Geist, die Wunder an für die Lehre vom freien Willen, für welchen sie nicht gegeben noch gethan sind? Daher gehören ihre Wunder, Geist und Heiligkeit auf unsere Seite, die wir Jesum Christum, aber nicht Kräfte oder Werke der Menschen predigen. Was ist denn das zu verwundern, wenn diejenigen, welche heilig, geistlich und Wunderthäter gewesen sind, manchmal, durch das Fleisch unversehens übereilt, nach dem Fleische geredet und gehandelt haben, wie dies auch den Aposteln, welche unter Christo selbst waren, mehr als einmal widerfahren ist? Denn auch du leugnest nicht, sondern behauptest, daß der freie Wille nicht eine Angelegenheit des Geistes oder Christi sei, sondern eine menschliche, so daß der Geist, der verheißen ist, um Christum zu verklären, den freien Willen schlechterdings nicht predigen kann. Wenn daher die Väter manchmal den freien Willen gepredigt haben, so haben sie sicherlich aus dem Fleische (da sie ja Menschen gewesen sind), nicht aus dem Geiste geredet; viel weniger haben sie ihn mit Wundern bestätigt. Darum reimt sich das, was du anziehst von her Heiligkeit, dem Geiste und den Wundern der Väter, gar nicht hierher, weil damit nicht der freie Wille, sondern die Lehre Jesu Christi gegen die Lehre vom freien Willen bewiesen wird.

Aber kommet jetzt noch her, die ihr auf Seiten des freien Willens steht und behauptet, eine derartige Lehre sei wahr, das heißt, vom Geiste Gottes gekommen: jetzt noch, sage ich, beweiset den Geist, verrichtet Wunderwerke, laßt eure Heiligkeit sehen; denn sicherlich ihr, die ihr dies behauptet, seid uns, die wir das verneinen, dies schuldig. Von uns, die wir Nein sagen, darf man Geist, Heiligkeit und Wunder nicht fordern zum Beweises, von euch aber, die ihr Ja sagt, muß solches gefordert werden. Denn der verneinende Theil stellt nichts auf, ist nichts, ist in nichts gehalten zu beweisen, ihm muß nicht der Beweis aufgelegt werden; der behauptende Theil muß mit dem Beweise beschwert werden. Ihr behauptet die Kraft des freien Willens und eine menschliche Sache, aber bis jetzt hat man noch nie gesehen oder gehört, daß Gott ein Wunder hätte geschehen lassen zur Bestätigung irgend einer Lehre über eine menschliche Sache, sondern allein zur Bestätigung einer Lehre in göttlichen Dingen. Nun aber ist uns geboten, daß wir durchaus keine Lehre zulassen sollen, die nicht zuvor mit göttlichen Zeichen bewiesen ist, 5 Mos. 18, 22. Ja, die Schrift nennt den Menschen Eitelkeit und Lüge, was nichts Anderes besagt, als daß alles Menschliche eitele Lügen seien. Macht euch daher daran, kommt her, sage ich, beweist, daß eure Lehre von der menschlichen Eitelkeit und Lüge die Wahrheit sei. Wo ist hier die Beweisung des Geistes? wo die Heiligkeit? wo die Wunder? Hohe Gaben, Gelehrsamkeit, Ansehen sehe ich, aber das hat Gott auch den Heiden gegeben.

Doch wollen wir euch nicht zu großen Wunderwerken zwingen, auch nicht einmal ein lahmes Pferd zu heilen, damit ihr euch nicht beklagen möget, es sei eine fleischliche Zeit, obgleich Gott seine Lehren mit Wundern zu bestätigen pflegt, ohne Rücksicht auf die fleischliche Zeit, denn er läßt sich nicht bewegen durch das Verdienst oder Unverdienst einer fleischlichen Zeit, sondern allein durch Barmherzigkeit, Gnade und Liebe gegen die Seelen, welche durch die handgreifliche Wahrheit fest gemacht werden sollen zu seiner Ehre. Ich lasse euch die Wahl, irgend ein auch noch so kleines Wunder zu thun. Ja, ich will euren Baal reizen, ich spotte seiner und fordere ihn heraus, daß ihr im Namen und in der Kraft des freien Willens auch nur Einen Frosch schaffet, deren doch die heidnischen und gottlosen Zauberer in Egypten viele hervorbringen konnten. Denn Läuse zu machen, damit will ich euch verschonen, weil auch jene sie nicht zuwegebringen konnten. Ich will ein noch Geringeres sagen: Fanget nur Einen Floh oder Eine Laus (denn ihr versuchet und verspottet unsern Gott mit dem Heilen des lahmen Pferdes) und wenn ihr mit Vereinigung aller Kräfte und Aufbietung aller Bemühungen, sowohl eures Gottes, als auch euer aller, dies Thierlein tödten könnt im Namen und in der Kraft des freien Willens, dann sollt ihr gewonnen haben und eure Sache soll erhalten sein und wir wollen alsbald kommen und jenen Gott anbeten, den wunderbaren Tödter einer Laus; nicht als ob ich in Abrede stellen wollte, daß ihr auch Berge versetzen könnet, sondern, weil es etwas ganz Anderes ist, zu sagen, daß etwas aus der Kraft des freien Willens geschehen sei, und etwas Anderes, dies auch zu beweisen.

Was ich aber von den Wunderwerken gesagt habe, dasselbe sage ich auch von der Heiligkeit. Wenn ihr in einer so großen Reihe von Jahrhunderten, von Männern und von allem, was du erwähnt hast, auch nur Ein Werk aufzeigen könnt (sei es auch nur einen Strohhalm von der Erde aufheben), oder Ein Wort (sei es auch nur die Silbe My), oder auch nur Einen Gedanken (sei es auch nur das geringste Seufzerlein), aus der Kraft des freien Willens, womit sie sich zur Gnade bereitet haben, oder womit sie den Geist verdient haben, oder wodurch sie Vergebung der Sünde erlangt haben, oder wodurch sie mit Gott gehandelt haben, wenn es auch noch so wenig ist (ich schweige, wodurch sie geheiligt sein sollen), so sollt ihr wieder gewonnen haben, und wir verloren. Ich sage, aus der Kraft und im Namen des freien Willens, denn was von den Menschen geschieht aus Kraft der Schöpfung, darüber hat die heilige Schrift überflüssig Zeugniß. Und sicherlich seid ihr schuldig, dies darzuthun, damit ihr nicht als lächerliche Lehrer erfunden werdet, da ihr mit so großem Stolze und Ansehen Lehren in der Welt ausbreitet, wovon ihr gar keinen Grund vorbringen könnt. Denn man wird sie Träume nennen, aus welchen nichts wird noch kommt, was doch für die gelehrtesten und heiligsten und wunderthätigen Leute so vieler Jahrhunderte die allergrößte Schande wäre. Dann werden wir euch auch die Stoiker vorziehen, welche freilich ebenfalls einen solchen Weisen beschrieben, wie sie ihn nie gesehen hatten, aber doch versuchten, einen Theil zu beweisen. Ihr könnt durchaus nichts, nicht einmal einen Schatten eurer Lehre beweisen.

Vom Geiste sage ich so: Wenn ihr von allen, die den freien Willen behaupten, nur Einen aufweisen könnt, der so viel Geisteskraft oder Neigung gehabt habe, daß er im Namen und in der Kraft des freien Willens auch nur Einen Heller hätte verachten können. Einen Bissen entbehren. Ein Wort oder Zeichen der Beleidigung ertragen (denn ich will nichts sagen von Verachtung des Reichthums, des Lebens, des guten Namens), dann sollt ihr wiederum den Sieg haben, und wir wollen uns gern gefangen geben. Und gerade das müßt ihr, die ihr mit so großem Wortschwall die Kraft des freien Willens rühmt, uns darthun, oder es wird wieder offenbar, daß ihr um des Kaisers Bart (de lana caprina) streitet, oder es macht wie jener, der im leeren Theater den Spielen zusah.

Aber ich kann euch leicht das Gegentheil zeigen, daß nämlich solche heilige Männer, wie ihr sie rühmt, so oft sie vor Gott treten, um zu ihm zu beten, oder mit ihm zu handeln, einhergehen in gänzlicher Vergessenheit ihres freien Willens, an sich selbst verzweifeln, und für sich nichts Anderes erbitten, als die bloße Gnade, da sie viel Anderes verdient hätten. Das hat Augustinus oft gethan, und so hat es Bernhard gemacht, da er sagte, als er im Sterben lag: Ich habe meine Zeit verloren, denn ich habe verdammlich gelebt. Ich sehe nicht, daß hier irgend ein Vermögen geltend gemacht wird, welches sich zu der Gnade bereitet, sondern daß alles Vermögen angeklagt wird, weil es nur (von Gott) abgewendet gewesen sei. Doch auch selbst jene Heiligen haben bisweilen in der Disputation anders vom freien Willen geredet, wie ich sehe, daß es allen so geht, daß sie ganz andere Leute sind, wenn sie auf Worte und Disputation beflissen sind, als wenn sie es mit innerlichen Bewegungen und Werken zu thun haben; dort reden sie anders, als sie vorher (in der Anfechtung) gesinnt waren, hier werden sie anders gesinnt, als sie vorher geredet haben. Die Menschen müssen aber viel mehr beurtheilt werden nach dem, was sie innerlich bewegt, als nach ihrer Rede, sowohl Gottselige als Gottlose.

Aber wir lassen euch noch mehr nach. Wunderwerke, den Geist und Heiligkeit erfordern wir nicht. Wir kommen auf die Lehre selbst zurück; das allein begehren wir, daß ihr uns wenigstens das anzeiget, was für ein Werk, was für ein Wort, was für einen Gedanken jene Kraft des freien Willens in Bewegung setze, oder unternehme, oder thue, um sich zur Gnade zu bereiten. Denn es ist nicht genug zu sagen: Es ist eine Kraft, es ist eine Kraft, es ist eine gewisse Kraft des freien Willens; denn was ist leichter als das zu sagen? Das geziemt sich auch nicht für die gelehrtesten und heiligsten Männer, denen man so viele Jahrhunderte hindurch Beifall gegeben hat, sondern man muß dem Kinde einen Namen geben (wie man im deutschen Sprüchwort sagt), es muß erklärt werden, was das für eine Kraft sei, was sie thue, was sie leide, was ihr widerfahre; deß ein Beispiel, denn ich will sehr grob davon reden: Es wird darnach gefragt, ob diese Kraft entweder beten, oder fasten, oder arbeiten, oder den Leib anstrengen, oder Almosen geben, oder etwas Anderes der Art thun müsse oder unternehme; denn wenn es eine Kraft ist, so muß sie mit irgend einem Werke zu schaffen, haben. Aber hier seid ihr stummer als die Frösche auf Seriphos und als die Fische, und wie könntet ihr eine Erklärung geben, da ihr nach eurem eigenen Zeugniß noch ungewiß seid über die Kraft selbst, unter euch selbst uneins und bleibet euch selbst nicht gleich: was sollte wohl aus der Erklärung werden, wenn gerade das, was erklärt wird, sich nicht gleich bleibt? Aber angenommen, daß ihr nach Verlauf der Zeitläufe des Plato endlich einmal unter euch einig werdet über die Kraft selbst, und dann von ihr die Erklärung abgegeben werde, ihr Werk sei beten, fasten, oder irgend etwas dergleichen, was vielleicht noch in den Platonischen Ideen verborgen ist: wer wird uns gewiß machen, daß dies wahr sei, daß es Gott gefalle, und daß wir sicherlich das Rechte thun? zumal da ihr selbst gestehet, daß es ein menschlich Ding sei, welches das Zeugniß des Geistes nicht habe, da es von den Philosophen gerühmt und in der Welt gewesen ist, ehe Christus gekommen war und der Heilige Geist vom Himmel gesendet wurde, so daß es ganz gewiß ist, daß diese Lehre nicht vom Himmel gesendet ist, sondern zuvor schon einen irdischen Ursprung gehabt hat. Darum ist großes Zeugniß vonnöthen, damit sie als eine gewisse und wahre bestätigt werde.

Wenn wir daher auch nur Privatpersonen und wenige sind, ihr aber Personen im öffentlichen Amte und viele, wir ungelehrt, ihr die allergelehrtesten, wir dumm, ihr die allerbegabtesten, wir erst gestern aufgekommen, ihr älter als Deucalion, wir niemals angenommen, ihr durch so viele Jahrhunderte gebilligt, endlich wir Sünder, fleischlich, träge, ihr durch Heiligkeit, Geist und Wunder selbst den bösen Geistern zu fürchten: so läßt uns das Recht der Türken und der Juden wenigstens das zu, daß wir Rechenschaft eurer Lehre fordern können, was euer Petrus (1. Ep. 3,15.) euch gebietet. Wir fordern aber gar bescheiden, nämlich, weil wir nicht Heiligkeit, Geist und Wunder zu ihrer Bestätigung fordern, was wir doch gewiß thun könnten nach eurem eigenen Rechte, weil ihr selbst dies von anderen fordert. Ja auch das wollen wir euch noch nachlassen, daß ihr kein Beispiel an irgend einer That, an irgend einem Worte oder Gedanken in eurer Lehre anzeigen sollt, sondern lehret es doch nur, gebt doch nur die Lehre selbst an den Tag, was ihr darunter verstanden wissen wollet? Wenn ihr es dergestalt nicht wollt oder nicht könnt, so wollen wir wenigstens versuchen, deß ein Exempel zu geben.

Thut doch wenigstens wie der Pabst und die Seinen, welche sprechen: Was wir sagen, das thut, aber nach unseren Werken sollt ihr nicht thun; so saget auch ihr: Was auch für ein Werk auszurichten jene Kraft erfordere, wir werden uns daran machen und euch in Ruhe lassen. Werden wir denn nicht wenigstens dies von euch erlangen? Je mehr ihr seid, je älter, je größer und je vorzüglicher als wir, in jeder Hinsicht, um so schmachvoller ist es für euch, daß ihr uns, die wir in jeder Weise nichts sind im Vergleich, mit euch, und eure Lehre lernen und thun wollen, dieselbe nicht mit einem Wunder, so gering als das Tödten einer Laus, oder auch nur mit einer noch so geringen Regung des Geistes, oder durch irgend ein Werklein der Heiligkeit beweisen könnet, ja selbst nicht einmal ein Beispiel irgend einer That oder eines Wortes aufweisen und ferner, was ganz unerhört ist, nicht die Fassung (formam) und wie diese Lehre zu verstehen sei, an den Tag geben, damit wenigstens wir darnach thun könnten. O was für feine Lehrer des freien Willens! Was seid denn nun ihr anders, als eine Stimme und weiter nichts? Wer sind nun die, Erasmus, welche den Geist rühmen und nichts aufweisen, welche nur reden und alsbald wollen, daß man ihnen glaube? Sind das nicht die Leute auf deiner Seite, welche so hoch vergöttert sind? die ihr nicht einmal redet und doch so hoch euch rühmet und so hohe Forderungen stellet.

Wir bitten deshalb um Christi willen, lieber Erasmus, du mit den Deinen wollest uns wenigstens dieses zulassen, daß wir, durch die Gefahr unserer Gewissen geschreckt, vor Furcht zittern mögen, oder doch wenigstens unsere Zustimmung zu dieser Lehre hinausschieben, weil du selbst siehst, daß sie nichts ist als ein leerer Schall und ein Tönen von Silben, nämlich: Es gibt eine Kraft des freien Willens, es gibt eine Kraft des freien Willens, auch wenn ihr aufs Höchste kommt und alle eure Sache bewiesen wäre und feststände. Ferner ist es noch bei euch selbst ungewiß, ob es ein solches Wort gibt, oder nicht, da sie selbst unter sich verschiedener Meinung sind und sich nicht gleich bleiben. Es ist sehr unrecht, ja weitaus das Allerjämmerlichste, daß durch das Trugbild Eines Wörtleins, und noch dazu eines ungewissen, unsere Gewissen geplagt werden sollen, welche Christus durch sein Blut erkauft hat; und wenn wir uns nicht quälen lassen wollen, so werden wir angeklagt als schuldig eines unerhörten Hochmuths, weil wir so viele Väter in so vielen Jahrhunderten verachteten, die den freien Willen behauptet haben; dagegen ist das die Wahrheit, wie man aus dem, was ich bereits gesagt habe, klar sieht, daß sie über den freien Willen durchaus keine Erklärung gegeben haben, aber man wendet sie vor und richtet unter ihrem Namen die Lehre vom freien Willen auf, von der sie doch weder Gestalt noch Namen anzeigen können, und betrügen so die ganze Welt mit einem lügenhaften Worte.

Und hier, Erasmus, berufen wir uns auf deinen eigenen Rath, den du oben gegeben hast, man solle sich derartiger Fragen entschlagen und vielmehr Christum, den Gekreuzigten, lehren und was dienlich ist zur christlichen Gottseligkeit. Denn dies suchen wir schon längst und gehen damit um. Denn was begehren wir anders, als daß die christliche Lehre in ihrer Einfachheit und Reinheit herrschen soll, und daß man alles fahren lasse und verachte, was von Menschen erfunden und nebeneingeführt ist? Aber du, der du uns solches räthst, thust es selbst nicht, ja, das Gegentheil thust du; du schreibst Abhandlungen (diatribas), du feierst die Decrete der Päbste, du rühmst das Ansehen der Menschen und versuchst alles, uns auf ein Gebiet zu führen, welches der heiligen Schrift fern liegt und ihr fremd ist, und unnöthige Dinge hin und her zu überlegen, damit wir die Einfachheit und Lauterkeit der christlichen Gottseligkeit mit menschlichen Zusätzen verderben und zu Schanden machen sollen. Daraus erkennen wir leicht, daß du uns das auch nicht von Herzen gerathen hast, daß du auch nichts im rechten Ernste schreibst, sondern du verlassest dich darauf, daß du mit deinen leeren, hochtrabenden Worten (bullis verborum) die ganze Welt leiten könnest, wohin du willst, und führst sie doch nirgends hin, da du durchaus nichts sagst, als bloße Widersprüche in allen Dingen und überall, so daß der sehr richtig geredet hat, der dich einen rechten Proteus oder Vertumnus genannt hat, oder wie Christus sagt: „Arzt, hilf dir selber“ (Luc. 4,23.). Schimpflich ist es dem Lehrer, das selbst zu thun, was er tadelt.

Deshalb, bis daß ihr euer Ja werdet bewiesen haben, stehen wir fest auf unserem Nein, und wenn auch die ganze Schaar der Heiligen, welche du rühmst, ja vielmehr, wenn auch die ganze Welt hier Richter sein sollte, so trotzen wir und rühmen, daß wir das nicht zuzugeben schuldig sind, was nichts ist, und von dem nicht gewiß nachgewiesen werden kann, was es sei, und daß ihr alle eine unglaubliche Vermessenheit, oder vielmehr Unsinnigkeit an den Tag gebt, indem ihr fordert, daß gerade das von uns zugegeben werden solle, aus keiner anderen Ursache, als weil es euch, die ihr viel, groß, alt seid, gut dünkt, das zu behaupten, von dem ihr doch selbst bekennt, daß es nichts sei, als ob es christlichen Lehrern wohl anstehe, das arme Volk in Sachen der Gottseligkeit mit dem zu betrügen, was nichts ist, als ob es zur Erlangung der Seligkeit von großer Bedeutung wäre. Wo ist nun jener durchdringende Verstand der Griechen, der bisher freilich mit einem gewissen schönen Scheine Lügen erdichtete, hier aber in offenbarer, nackter Rede lügt? Wo ist der gerühmte Fleiß der Lateiner, welcher dem der Griechen gleichkommt, welcher so betrügt und betrogen wird mit einem ganz leeren Worte? Aber so geht es den unachtsamen oder böswilligen Lesern der Bücher, wenn sie das, worin die Väter und Heiligen gestrauchelt haben, alles so hoch erheben, als ob es das höchste Ansehen verdiene; so daß die Schuld nicht auf die Verfasser, sondern auf die Leser fällt. Als, wenn einer sich auf die Heiligkeit und das Ansehen des heiligen Petrus stützen und darauf bestehen wollte, alles, was der heilige Petrus jemals gesagt hat, sei die Wahrheit, so daß er uns überreden wollte, auch das sei recht geredet, daß er Matth. 16,22. aus Schwachheit des Fleisches Christo rieth, daß er ja nicht leiden sollte; oder das, wo er Christum hieß von ihm aus dem Schiffe hinauszugehen (Luc. 5,8.), und viele andere Dinge, in denen er von Christo selbst gestraft wird.

Die sich so verhalten, sind denen gleich, welche, um Lachen zu erregen, daherschwatzen, es sei nicht alles wahr, was im Evangelio ist, und die Stelle Joh. 8,48. herausgreifen, wo die Juden zu Christo sagen: „Sagen wir nicht recht, daß du ein Samariter bist, und hast den Teufel?“ oder die Stelle (Matth. 26,66.): „Er ist des Todes schuldig“; oder die Stelle (Luc. 23,2.): „Diesen finden wir, daß er das Volk abwendet, und verbietet den Schoß dem Kaiser zu geben.“ Dasselbe thun, freilich in anderer Absicht, und nicht mit Willen, wie jene, sondern aus Blindheit und Unwissenheit, diejenigen, welche den freien Willen behaupten. Aus den Vätern greifen sie das, was dieselben, aus Schwachheit des Fleisches strauchelnd, für den freien Willen geredet haben, so heraus, daß sie es sogar dem entgegenstellen, was dieselben Väter anderswo gegen den freien Willen in der Kraft des Geistes geredet haben; dann dringen sie alsbald darauf und zwingen, daß das Bessere dem Schlechteren weichen muß. So kommt es, daß sie den schlechteren Aussprüchen das (größte) Ansehen zuschreiben, weil sie mit ihren fleischlichen Gedanken übereinkommen, und den besseren (Aussprüchen) dies (Ansehen) nehmen, weil dieselben gegen ihre fleischlichen Gedanken gehen.

Warum erwählen wir nicht vielmehr das Bessere? Denn dergleichen Dinge sind viele in den Vätern. Und, daß ich ein Beispiel gebe, was ist fleischlicher, ja, was kann Gottloseres, Gottesräuberischeres und Lästerlicheres gesagt werden, als das, was Hieronymus zu sagen pflegt: Der Jungfrauenstand füllt den Himmel, der Ehestand die Erde? als ob den Patriarchen und Aposteln und christlichen Eheleuten die Erde, aber nicht der Himmel gebühre, oder den Vestalischen Jungfrauen unter den Heiden der Himmel gebühre. Und doch sammeln die Sophisten diese, und ähnliche Sachen aus den Vätern, da sie mehr mit der großen Zahl (der beigebrachten Stellen) als mit gesundem Urtheil streiten, um jenen Dingen Ansehen zu verschaffen, wie der abgeschmackte Faber von Costnitz gethan hat, welcher kürzlich der Welt sein Margaritum (d. i. Perle), das ist, einen Augiasstall geschenkt hat, damit etwas vorhanden wäre, was den Gottseligen und Gelehrten Ekel und Greuel errege.

Hiermit will ich darauf geantwortet haben, daß du sagst: „es sei unglaublich, daß sich Gott so viele Jahrhunderte lang um den Irrthum seiner Kirche nicht sollte gekümmert haben, auch nicht irgend einem seiner Heiligen das offenbart, wovon wir behaupten, es sei das Hauptstück der evangelischen Lehre.“

Fürs erste sagen wir nicht, daß Gott diesen Irrthum in seiner Kirche, oder in irgend einem seiner Heiligen zugelassen habe, denn die Kirche wird durch den Geist Gottes regiert, die Heiligen werden vom Geist Gottes getrieben, Röm. 8,14., und Christus mit seiner Kirche bleibt bis ans Ende der Welt (Matth. 28,20.), und die Kirche Gottes ist ein Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit (1 Tim. 3,15). Dies, sage ich, wissen wir, denn so steht auch in dem Glaubensbekenntniß unser aller: Ich glaube eine heilige, allgemeine Kirche, so daß es unmöglich ist, daß sie irre auch in dem geringsten Artikel. Wenn wir auch zugeben, daß etliche Auserwählte ihr ganzes Leben in einem Irrthume befangen wären, so ist es doch nothwendig, daß sie vor ihrem Tode auf den rechten Weg zurückkommen, weil Christus sagt Joh. 10,28.: „Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen.“ Aber hier ist das die Schwierigkeit, daß es nöthig ist, das gewiß festzustellen, ob die, welche du die Kirche nennst, die Kirche sind, oder vielmehr, ob sie, die ihr ganzes Leben lang geirrt haben, endlich vor ihrem Tode wieder zurechtgekommen sind. Denn das folgt noch lange nicht: Wenn Gott alle, welche du anführst, in einer noch so langen Reihe von Jahrhunderten, die gelehrtesten Männer, hat irren lassen, folglich hat er seine Kirche irren lassen.

Siehe doch das Volk Gottes Israel an, wo unter einer so großen Zahl von Königen und in so langer Zeit auch nicht einmal Ein König aufgezählt wird, der nicht geirrt habe. Und unter dem Propheten Elias waren alle, und alles Volk, soweit man sehen konnte, so in Götzendienst versunken, daß er glaubte, er sei allein übrig geblieben. Aber während Könige, Fürsten, Priester, Propheten, und alles, was Gottes Volk oder Gottes Kirche genannt werden konnte, in Irrthum fiel, so hatte sich Gott doch noch sieben tausend erhalten. Wer sah oder wußte, daß diese Gottes Volk waren? Wer sollte daher auch jetzt zu leugnen wagen, daß Gott unter jenen regierenden Männern (sub istis principibus viris) (denn du zählst nur Leute auf, welche in öffentlichen Aemtern standen und berühmte Namen hatten) im Volke sich seine Kirche erhalten habe und jene alle, nach dem Vorbilde des Reiches Israel, habe hinfallen lassen? Denn das ist Gottes sonderliche Weise, sich den Besten in Israel entgegenzustellen und ihre Fetten zu tödten, Ps. 78,31., die Hefen aber und das Uebrige in Israel zu erhalten, wie Jesajas (10,22.) sagt.

Was geschah unter Christo selbst, wo alle Apostel sich ärgerten, und er selbst vom ganzen Volke verleugnet und verdammt wurde, und kaum der eine oder der andere, ein Nicodemus und ein Joseph, dann auch der Schächer am Kreuz erhalten blieben? Aber wurden denn etwa diese damals das Volk Gottes genannt? Sie waren freilich das übrige Volk Gottes, aber sie hatten nicht den Namen; dasjenige, welches den Namen hatte, war es nicht. Wer weiß, ob nicht im ganzen Laufe der Welt, von ihrem Anfange an, immer der Zustand der Kirche Gottes ein solcher gewesen sein mag, daß einige Gottes Volk und Heilige Gottes genannt wurden, welche es nicht waren, andere aber unter diesen als das Uebrige waren, und nicht Volk noch Heilige genannt wurden, wie die Historie von Kain und Abel, Ismael und Isaak, Esau und Jakob zeigt?

Siehe die Zeit der Arianer an, wo kaum fünf Bischöfe in der ganzen Welt rechtgläubig (catholici) erhalten worden sind, und noch dazu von ihren Bischofssitzen vertrieben, da die Arianer überall unter dem öffentlichen Namen und im Amt der Kirche herrschten: nichtsdestoweniger erhielt Christus seine Kirche unter diesen Ketzern, aber in solcher Weise, daß sie durchaus nicht für die Kirche geachtet und gehalten wurde.

Zeige nur Einen Bischof an, der unter der Herrschaft des Pabstes sein Amt verwaltet hat, zeige Ein Concilium an, auf welchem man von Sachen der Gottseligkeit gehandelt hat und nicht vielmehr von Bischofsmänteln, vom Rang, von Zins und anderen weltlichen läppischen Dingen, welche nur ein Unsinniger dem Heiligen Geiste beilegen könnte. Und trotz alles dessen werden sie die Kirche genannt, wiewohl alle, die so gelebt haben, verloren sind und nichts weniger gewesen sind, als die Kirche. Aber unter ihnen hat Gott seine Kirche erhalten, doch so, daß sie nicht die Kirche genannt wurde. Wie viel Heilige, meinst du wohl, haben nur in etlichen Jahrhunderten allein die Ketzerrichter (inquisitores haereticae pravitatis) verbrannt und getödtet, z. B. den Johann Hus und seines Gleichen, zu deren Zeit ohne Zweifel viele heilige Leute in demselben Geiste gelebt haben?

Warum wunderst du dich nicht vielmehr darüber, Erasmus, daß von Anbeginn der Welt immer unter den Heiden höher begabte Leute gewesen sind, eine größere Gelehrsamkeit, ein angestrengterer Fleiß, als unter den Christen oder dem Volke Gottes, wie Christus selbst bekennt (Luc. 16,8.), „daß die Kinder dieser Welt klüger sind, als die Kinder des Lichts“? Wer unter den Christen ist nur allein dem Cicero zu vergleichen, daß ich der Griechen geschweige, an Begabung, an Gelehrsamkeit, an Fleiß? Was sollen wir also sagen, daß im Wege gestanden habe, daß keiner von ihnen zur Gnade hätte gelangen können, da sie doch sicherlich den freien Willen aus allen Kräften ausübten? Wer könnte aber wagen zu behaupten, daß keiner unter ihnen gewesen sei, der mit höchstem Bemühen nach der Wahrheit gestrebt habe? Und doch muß behauptet werden, daß keiner sie erlangt habe. Oder willst du auch hier sagen, es sei unglaublich, daß Gott so viele und so große Männer im ganzen Laufe der Welt sollte verlassen und zugelassen haben, daß sie sich vergeblich anstrengen? Sicherlich, wenn der freie Wille etwas wäre oder vermöchte, so sollte er in diesen Leuten gewesen sein und etwas vermocht haben, wenigstens doch in irgend Einem Falle, der als Beispiel dienen möchte. Aber er hat nichts vermocht, ja, zum Gegentheil hat er sich immer stark erwiesen, so daß mit diesem Einen Grunde genugsam bewiesen werden kann, daß der freie Wille nichts ist, weil vom Anfang der Welt bis zum Ende derselben nichts aufgewiesen werden kann, daran man ihn verspüren könne.

Aber ich kehre zur Sache zurück. Was wäre es Wunder, wenn Gott alle großen Leute in der Kirche ihre eigenen Wege gehen ließe, da er allen Heiden so zugelassen hat, ihre eigenen Wege zu gehen, wie Paulus in der Apostelgeschichte (14,16.) sagt? Denn die Kirche Gottes ist nicht eine so gemeine Sache, lieber Erasmus, als der Name: Kirche Gottes; und die Heiligen Gottes begegnen einem auch nicht so häufig, als der Name: Heilige Gottes; sie sind Perlen und kostbare Edelsteine, welche der Heilige Geist nicht vor die Schweine wirft, sondern, wie es die Schrift nennt, er hält sie verborgen, damit der Gottlose die Herrlichkeit Gottes nicht sehe. Sonst, wenn sie öffentlich von allen erkannt würden, wie wäre es möglich, daß sie so in der Welt geplagt und bedrängt würden? wie Paulus sagt (1 Cor. 2,8.): „Wo sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuziget.“

Ich sage dies nicht, weil ich leugnen will, daß diejenigen, welche du anführst, Heilige oder die Kirche Gottes seien, sondern weil dies nicht bewiesen werden kann, wenn es jemand leugnet, daß sie Heilige seien (und sagt), das bleibe vielmehr ganz ungewiß: darum sei die Lehre von der Heiligkeit derselben nicht zuverlässig genug, um irgend eine Glaubenslehre damit zu bestätigen. Ich nenne sie Heilige und halte sie dafür; ich gebe ihnen den Namen Kirche Gottes und achte sie so, nach der Regel der Liebe, nicht nach der Richtschnur des Glaubens, das ist, die Liebe, welche von jedermann alles Beste denkt, die nicht argwöhnisch ist, die alles glaubt und Gutes vom Nächsten voraussetzt, nennt jeden Getauften einen Heiligen, und es ist keine Gefahr, wenn sie irrt. Denn der Liebe Art ist, daß sie betrogen wird, da sie dem Gebrauche und Mißbrauche aller ausgesetzt ist; sie ist die allgemeine Dienerin der Guten, der Bösen, der Gläubigen, der Ungläubigen, der Wahrhaften und der Falschen. Der Glaube aber nennt niemanden einen Heiligen, der nicht durch göttliches Urtheil dafür erklärt ist, weil des Glaubens Art ist, daß er sich nicht betrügen läßt. Darum, wiewohl wir alle uns gegenseitig für Heilige halten sollen nach dem Rechte der Liebe, so darf doch keiner für einen Heiligen gehalten werden nach dem Rechte des Glaubens, als ob es ein Glaubensartikel wäre, daß der oder jener ein Heiliger wäre, wie der Pabst, jener Widersacher Gottes, der sich an Gottes Statt setzt, seine Heiligen canonisirt (das ist, für heilig erklärt), welche er nicht kennt.

Ich sage nur dies über diese deine, oder vielmehr unsere Heiligen, daß man, da sie selbst unter einander nicht einig sind, vielmehr denen hätte folgen sollen, die das Beste, das ist, wider den freien Willen für die Gnade geredet haben. Diejenigen aber hätte man fahren lassen sollen, welche nach der Schwachheit ihres Fleisches vielmehr das Fleisch als den Geist bezeugt haben. Daher hätte man auch bei denen, welche sich nicht gleich bleiben, eine Auswahl treffen und den Theil annehmen sollen, wo sie aus dem Geiste reden, aber das fahren lassen, wo sich an ihnen das Fleisch kundgibt. Das hätte einem christlichen Leser wohl angestanden, als einem reinen Thiere, welches gespaltene Klauen hat und wiederkäuet. Nun aber machen wir keinen Unterschied und fressen das ganze Durcheinander hinunter, oder, was noch ärger ist, indem wir ganz verkehrt urtheilen, verwerfen wir das Bessere und das Schlechtere billigen wir in den Schriften eines und desselben Verfassers, und dann legen wir noch gerade diesen schlechteren Dingen den Namen und das Ansehen ihrer Heiligkeit bei, die sie doch wegen des Besten und allein wegen des Geistes, nicht aber wegen des freien Willens oder wegen des Fleisches verdient haben.

Was sollen wir denn thun? Die Kirche ist verborgen, die Heiligen sind unbekannt. Was und wem sollen wir glauben? oder, wie du sehr scharfsinnig disputirst, wer wird uns gewiß machen? „Wie sollen wir die Geister prüfen? Sieht man auf Gelehrsamkeit, so sind auf beiden Seiten Meister; sieht man aber das Leben an, so sind auf beiden Seiten Sünder; sieht man auf die Schrift, so berufen sich beide Theile darauf; und nicht sowohl über die Schrift, weil sie noch nicht klar genug sein soll, sondern über das Verständniß der Schrift ist der Streit. Auf beiden Seiten sind aber auch Menschen; wie deren Menge, Gelehrsamkeit und hohe Würden nichts zur Sache thun, so noch viel weniger ihre geringe Zahl, Unwissenheit und Niedrigkeit.“ Die Sache wird also in Zweifel gelassen und es bleibt der Streit unentschieden, so daß wir klug zu handeln scheinen, wenn wir der Meinung der Skeptiker beitreten, nur daß du es am allerbesten machst, indem du sagst, du seiest in der Weise im Zweifel, daß du bezeugst, du wollest die Wahrheit suchen und lernen, und dabei dich zu der Seite hinneigst, welche den freien Willen behauptet, bis daß die Wahrheit an den Tag komme. Hier antworte ich: Du sagst etwas, und doch nichts. Denn nach Gründen, die hergenommen sind von Gelehrsamkeit, Leben, hohem Verstande, Menge, hohen Würden, Unwissenheit, Mangel an Bildung, geringer Zahl, oder niedrigem Stande, können wir die Geister nicht prüfen. Auch pflichte ich denen nicht bei, welche ihre ganze Stärke darein setzen, daß sie sich des Geistes rühmen. Denn in diesem Jahre und noch jetzt ist mir der Kampf wider die Schwarmgeister sauer genug gewesen, welche ihrem Geiste die heilige Schrift unterwerfen und sie darnach auslegen wollen. Gerade deshalb habe ich auch bisher den Pabst angegriffen, in dessen Reiche nichts gewöhnlicher oder besser gelitten ist als diese Rede, die heilige Schrift sei dunkel und zweifelhaft, man müsse den Geist als Ausleger von dem apostolischen Stuhle zu Rom erbitten, da doch nichts Verderblicheres gesagt werden kann, weil sich dadurch gottlose Menschen über die Schrift erhoben und aus ihr gemacht haben, was ihnen nur beliebt hat, bis daß die heilige Schrift ganz und gar mit Füßen getreten worden ist, und wir nichts als toller Menschen Träume geglaubt und gelehrt haben. Kurz, diese Rede ist nicht eine menschliche Erfindung, sondern ein Gift, welches durch die unglaubliche Bosheit des Fürsten aller bösen Geister selbst in die Welt gesendet ist. Wir sagen so: Die Geister werden durch ein zwiefaches Urtheil erforscht oder geprüft; das eine ist ein innerliches, dadurch ein jeglicher, durch den Heiligen Geist, oder durch eine besondere Gabe Gottes, für sich und allein zu seiner Seligkeit erleuchtet, aufs allergewisseste urtheilt und über die Lehren und den Sinn aller entscheidet, davon 1 Cor. 2,15. gesagt wird: „Der Geistliche richtet alles, und wird von niemand gerichtet.“ Dies gehört zum Glauben und ist auch für einen jeden Christen nothwendig, wenngleich er nicht im öffentlichen Amte ist. Dies haben wir oben die innere Klarheit der heiligen Schrift genannt. Das haben vielleicht die gemeint, welche dir geantwortet haben, daß alles nach dem Urtheile des Geistes entschieden werden müsse. Aber dieses Urtheil nützt keinem anderen, und darnach fragt man in dieser Sache nicht, und ich glaube, daß auch niemand daran zweifelt, daß es sich so verhalte. Darum ist das andere ein äußerliches Urtheil, durch welches wir nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere und um der Seligkeit anderer willen aufs allergewisseste die Geister und die Lehren aller richten. Dies Urtheil kommt dem Dienst am Worte und dem äußerlichen Amte zu, und es gebührt hauptsächlich den Leitern und Verkündigern des Wortes, und wir gebrauchen es, wenn wir die Schwachen im Glauben stärken und die Widersacher widerlegen. Dies haben wir oben die äußere Klarheit der heiligen Schrift genannt. So sagen wir, die Schrift soll Richter sein, um nach ihr angesichts der Kirche alle Geister zu prüfen. Denn das muß bei den Christen ausgemacht und das Allerfesteste sein, daß die heilige Schrift ein geistliches Licht ist, weit heller als selbst die Sonne, besonders in den Dingen, welche die ewige Seligkeit betreffen, oder welche ein Christ nothwendiger Weise wissen muß. Aber weil wir schon längst zum Gegentheil überredet sind, durch die obenerwähnte verderbliche Rede der Sophisten, die Schrift sei dunkel und zweifelhaft, so sind wir gezwungen, zuerst selbst gerade diese unsere Hauptgrundlage (primum principium) zu beweisen, aus der alles Andere bewiesen werden muß. Bei den Philosophen würde man dafür halten, dies wäre etwas ganz Ungereimtes und unmöglich, es zu thun. Zuerst sagt Moses im fünften Buche Cap. 17,8-11.: Wenn eine schwere Sache vorfallen sollte, so solle man zu der Stätte gehen, die der Herr seinem Namen erwählt hätte, und dort die Priester um Rath fragen, welche dieselbe nach dem Gesetze des Herrn urtheilen sollen. Nach dem Gesetze des Herrn (sagt er), wie aber könnten sie urtheilen, wenn nicht das Gesetz des Herrn äußerlich ganz klar wäre, dadurch jenen Befriedigung gegeben würde? Sonst wäre es genug gewesen zu sagen, sie sollen urtheilen nach ihrem Geiste. Ja, so geht es in der Regierung aller Völker, daß alle streitigen Sachen aller Leute durch Gesetze beigelegt werden. Wie aber könnten sie beigelegt werden, wenn nicht ganz gewisse Gesetze wären, die auch geradezu ein Licht sind in dem Volke? Denn wenn die Gesetze zweideutig und ungewiß sind, könnten nicht allein keine streitigen Sachen geschlichtet werden, sondern es könnte auch keine feste sittliche Lebensweise bestehen. Denn Gesetze werden deshalb gegeben, damit die Lebensweise nach einer gewissen Regel eingerichtet werde und streitige Fragen in Sachen entschieden werden. Darum muß das, was das Maß und Richtscheit für andere Dinge ist, weitaus das Gewisseste und Klarste sein; der Art ist das Gesetz. Da nun dieses Licht und die Gewißheit der Gesetze in unheiligen weltlichen Dingen, wo es sich um zeitliche Güter handelt, sowohl nothwendig ist, als auch durch Gottes Gnadengabe der ganzen Welt umsonst gegeben ist, wie sollte er seinen Christen, nämlich den Auserwählten, nicht viel mehr helle und gewisse Gesetze und Regeln schenken, nach welchen sie sich und alle Sachen richten und alles beilegen könnten, da er will, daß die Seinigen die zeitlichen Dinge verachten sollen? Denn da Gott das Gras, das heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wie viel mehr uns? Doch wir wollen fortfahren und jenes verderbliche Wort der Sophisten mit Schrift zu Boden stürzen.

Im 19. Psalm heißt es (V. 9.): „Das Gebot des Herrn ist hell oder rein, und erleuchtet die Augen.“ Ich glaube, das, was die Augen erleuchtet, ist nicht dunkel oder zweifelhaft.

Desgleichen Psalm 119,130.: „Die Thür deiner Worte erleuchtet und gibt den Einfältigen Verstand.“ Hier sagt er von den Worten Gottes aus, daß sie eine Thür und etwas Offenbares seien, welches allen klar dargelegt sei und auch die Einfältigen erleuchte.

Jes. 8,20. weist er alle Fragen an „das Gesetz und Zeugniß“, und so wir das nicht thun werden, so droht er uns, daß wir das Licht der Morgenröthe nicht haben sollen. Im 2. Capitel Maleachi (V. 7.) befiehlt er, „daß man aus dem Munde des Priesters das Gesetz suchen soll, weil er ein Engel des Herrn der Heerschaaren ist“. Das wäre natürlich ein sehr feiner Engel oder Bote des Herrn, der solche Dinge vorbrächte, welche ihm selbst nicht allein zweideutig wären, sondern auch dem Volke dunkel, so daß er selbst nicht wüßte, was er redete, und das Volk nicht, was es hörte. Und was wird im ganzen Alten Testamente, besonders im 119. Psalm, zum Lobe der Schrift häufiger gesagt, als daß sie das allergewisseste und augenscheinlichste Licht ist? Denn so preist er ihre Klarheit (Ps. 119,105.): „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Pfade.“ Er sagt nicht, dein Geist allein ist meines Fußes Leuchte, wiewohl er auch diesem sein Amt zutheilt und spricht (Ps. 143,10.): „Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.“ So wird Gottes Wort auch ein Weg und ein Pfad genannt, natürlich wegen seiner überschwänglichen Gewißheit.

Nun wollen wir zum Neuen Testamente übergehen. Paulus sagt Röm. 1,2., „das Evangelium sei durch die Propheten in der heiligen Schrift verheißen“, und Cap. 3,21., „die Gerechtigkeit des Glaubens sei bezeugt durch das Gesetz und die Propheten“. Was für eine Art von Bezeugung wäre das, wenn sie dunkel wäre? Ja, in allen seinen Episteln nennt er das Evangelium das Wort des Lichtes, das Evangelium der Klarheit, dann redet er aber auch insonderheit davon mit reichen Worten 2 Cor. 3,7.ff. und Cap. 4., wo er von der Klarheit Mosis und Christi gar herrlich handelt.

Petrus sagt auch 2 Petr. 1,19.: „Wir haben ein sehr gewisses prophetisches Wort; wenn ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunkeln Ort, so thut ihr wohl.“ Hier nennt Petrus das Wort Gottes eine helle Leuchte, alles Andere aber Finsterniß; und wir machen Finsterniß und Dunkelheit aus dem Worte? Christus (Joh. 8,12.) nennt sich so oft das Licht der Welt und Johannes den Täufer (Joh. 5,35.) ein brennendes und scheinendes Licht, ohne Zweifel nicht wegen der Heiligkeit des Lebens, sondern um des Wortes willen, wie Paulus die Philipper (2,15.) helle Lichter der Welt nennt, „weil ihr (spricht er) haltet ob dem Wort des Lebens“; denn das Leben ohne das Wort ist ungewiß und dunkel. Und was thun die Apostel, da sie ihre Predigten mit der Schrift beweisen? etwa, daß sie uns ihre finsteren Dinge mit noch größerer Finsterniß verdunkeln? oder, daß sie uns Bekannteres mit Unbekannterem beweisen? Was thut Christus, da er die Juden lehrt Joh. 5,39., „daß sie in der Schrift forschen sollten, welche nämlich Zeugniß gäbe von ihm“? Hat er das etwa gethan, um sie zweifelhaft zu machen über den Glauben an ihn? Was thun doch die, Apost. 17,11., welche, nachdem sie den Paulus gehört hatten, Tag und Nacht die Schrift lasen, um zu sehen, ob es sich also hielte? Beweist nicht dies alles, daß sich die Apostel, gleichwie Christus, auf die Schrift berufen, als auf das hellste Zeugniß ihrer Reden? Wie können wir uns also erdreisten, die Schrift für dunkel auszugeben? Ich bitte dich, sind denn diese Worte der Schrift auch dunkel oder zweideutig: „Gott schuf Himmel und Erde“; „das Wort ward Fleisch“, und alles, was die ganze Welt als Glaubensartikel angenommen hat? Woher hat sie es angenommen? Hat sie es denn nicht aus der Schrift? Und was thun die, welche noch heutiges Tages predigen, die Schrift auslegen und erklären? Aber wenn die Schrift, welche sie erklären, dunkel ist, wer macht uns gewiß, daß gerade ihre Erklärung zuverlässig ist? Eine andere, neue Erklärung. Wer wird nun diese erklären? So wird es ins Unendliche fortgehen. Kurz, wenn die Schrift dunkel oder zweideutig ist, was wäre es denn vonnöthen gewesen, daß Gott sie uns hätte geben lassen? Wären wir etwa nicht finster und zweifelhaft genug gewesen, wenn uns nicht vom Himmel herab die Dunkelheit und Zweideutigkeit und Finsterniß vermehrt worden wäre? Wo wird dann der Ausspruch des Apostels bleiben (2 Tim. 3,16.): „Alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Züchtigung“? Ja, lieber Paulus, es ist ganz unnütz: bei den Vätern, die von einer langen Reihe von Jahrhunderten angenommen sind, und bei dem römischen Stuhle muß man solches holen, was du der heiligen Schrift beilegst. Daher muß dein Ausspruch widerrufen werden, da du an den Titus(1,9.) schreibst: „Ein Bischof solle mächtig sein, zu ermahnen durch die heilsame Lehre und zu strafen die Widersprecher, und den unnützen Schwätzern und Verführern der Seelen das Maul zu stopfen.“ Wie kann er mächtig sein, wenn du ihm nur die dunkele Schrift lässest, das ist, Waffen aus Werg und statt eines Schwertes leichte Strohhalme? Dann müßte auch Christus nothwendiger Weise seinen Ausspruch widerrufen, der uns eine falsche Zusage gegeben hätte, indem er sagt (Luc. 21,15.): „Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher nicht sollen widerstehen mögen alle eure Widersacher.“ Wie sollen sie uns nicht widerstehen können, da wir mit dunkeln und ungewissen Dingen gegen sie streiten? Und wie kannst auch du, Erasmus, uns eine Weise des christlichen Lebens vorschreiben, da dir die Schrift dunkel ist?

Aber ich glaube, daß ich sogar Unverständigen hier beschwerlich falle, weil ich in einer so überaus klaren Sache so viele Worte verliere und so lange dabei verweile. Aber ich habe die unverschämte Rede, die heilige Schrift sei dunkel, so überschütten müssen, damit auch du sähest, lieber Erasmus, was du sagst, wenn du leugnest, daß die Schrift klar sei. Denn damit mußt du mir nothwendiger Weise auch zugleich behaupten, daß alle deine Heiligen, welche du anziehst, viel weniger klar sind. Denn wer macht uns ihres Lichtes gewiß, wenn du uns die Schrift dunkel gemacht hast? Darum machen uns diejenigen nichts als lauter Finsterniß, welche leugnen, daß die Schrift ganz hell und deutlich ist.

Aber hier wirst du sagen: Das alles geht mich nicht an; ich sage nicht, daß die Schrift überall dunkel ist (denn wer sollte so unsinnig sein?), sondern nur in diesem Stücke und ähnlichen Dingen. Ich antworte: Ich rede auch nicht gegen dich allein, sondern gegen alle, welche dieselbe Meinung festhalten. Ferner sage ich gegen dich von der ganzen Schrift, daß ich keinen Theil derselben dunkel genannt wissen will, denn da steht, was wir aus Petrus angeführt haben (2 Ep. 2,19.): „daß uns das Wort Gottes ein helles Licht ist, das da scheinet in einem dunkeln Ort“. Wenn nun ein Theil dieses Lichtes nicht leuchtet, so wird es vielmehr ein Theil des dunkeln Ortes, als des Lichtes sein. Denn Christus hat uns nicht so erleuchtet, daß er gewollt hat, daß uns irgend ein Theil in seinem Worte dunkel gelassen sein sollte, da er uns befiehlt darauf zu achten; denn vergebens befiehlt er uns darauf zu achten, wenn es nicht leuchtet. Wenn demgemäß die Lehre vom freien Willen dunkel oder ungewiß ist, so geht sie die Christen und die Schrift nicht an, sondern ist ganz aufzugeben und durchaus unter die Fabeln zu rechnen, von denen Paulus verbietet, daß die Christen nicht darüber zanken sollen. Wenn sie aber den Christen und der Schrift angehört, so muß sie klar, offenbar und deutlich sein und ganz ähnlich allen anderen völlig deutlichen Artikeln. Denn alle Artikel der Christen müssen der Art sein, daß sie nicht nur ihnen selbst ganz gewiß sind, sondern auch gegen andere mit so offenbaren und hellen Schriftstellen bekräftigt, daß sie allen das Maul stopfen können, daß sie nichts dawider zu reden vermögen, wie uns Christus verheißt, da er spricht (Luc. 21,15.): „Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher alle eure Widersacher nicht sollen widerstehen mögen.“ Wenn daher unser Mund in diesem Stücke schwach ist, so daß die Widersacher widerstehen können, so ist das falsch, was er sagt, daß kein Widersacher unserem Munde widerstehen könne. Also, entweder werden wir in der Lehre vom freien Willen keine Widersacher haben, was der Fall sein wird, wenn sie uns nichts angeht, oder wenn sie uns angehört, so werden wir zwar Widersacher haben, aber solche, die nicht widerstehen können.

Daß aber die Widersacher nicht zu widerstehen vermögen (weil wir hier darauf gekommen sind), das verhält sich so, nicht, daß sie gezwungen werden, von ihrer Meinung abzutreten, oder daß sie sich überreden lassen (ihren Irrthum) zu bekennen und zu schweigen. Denn wer kann sie wider ihren Willen zwingen, zu glauben, ihren Irrthum zu bekennen oder zu schweigen? Denn was ist geschwätziger als der leere Wahn? sagt Augustinus. Sondern das Maul wird ihnen so gestopft, daß sie nichts dawider aufbringen können, und obwohl sie vieles dagegen sagen, urtheilt doch der gesunde Menschenverstand, daß sie nichts sagen. Dies wird besser mit Beispielen gezeigt. Als Christus Matth. 22,34. den Sadducäern das Maul gestopft hatte, indem er die Schrift anführte und die Auferstehung der Todten aus dem zweiten Buche Mose, Cap. 3,6. bewies: „Ich bin der Gott Abrahams“ etc. „Gott ist nicht ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen“: da konnten sie nicht widerstehen, noch irgend etwas dawider vorbringen; aber haben sie denn etwa um deß willen ihre Meinung fahren lassen? Und wie oft hat er die Pharisäer überführt mit den deutlichsten Schriftstellen und Gründen, so daß das Volk öffentlich sah, sie seien überwunden, und sie selbst es fühlten! Nichtsdestoweniger blieben sie hartnäckige Gegner. Stephanus, Apost. 7,51.ff., redete so, wie Lucas bezeugt, daß sie der Weisheit und dem Geiste, der in ihm redete, nicht widerstehen konnten. Aber was thaten jene? Gaben sie etwa nach? Vielmehr, da sie sich schämten, überwunden zu sein, und nicht widerstehen konnten, so wurden sie unsinnig, hielten ihre Ohren und Augen zu und brachten falsche Zeugen wider ihn, Apost. 7,56. Desgleichen, als er vor dem Rathe stand, siehe, wie er die Gegner widerlegt, da er die Wohlthaten aufzählt, welche Gott von Anfang des Volkes denselben erwiesen hatte, und beweist, daß Gott nie befohlen habe, daß ihm ein Tempel solle gebaut werden (denn wegen der Frage war er angeklagt, und darum handelte sich die Sache). Endlich gibt er zu, daß unter Salomo zwar ein Tempel gebaut worden sei, aber daraus folgert er auf diese Weise (V. 48.): „Aber der Allerhöchste wohnet nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind“, und zu dessen Beweisung führt er den Propheten Jesajas an Cap. 66,1.: „Was ist das für ein Haus, welches ihr mir gebaut habt?“ Sprich, was konnten sie wider eine so offenbare Schriftstelle sagen? Doch ließen sie sich dadurch nicht bewegen und standen fest auf ihre Meinung. Darum greift er sie auch an und spricht (V. 51.): „Ihr Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, ihr widerstrebet allezeit dem heiligen Geist“ etc. Er sagt, sie hätten widerstrebt, da sie doch nicht widerstehen konnten.

Aber wir wollen auf unsere Zeit kommen. Da Johannes Hus aus Matth. 16,18. also gegen den Pabst disputirt: „Die Pforten der Hölle sollen meine Kirche nicht überwältigen“, ist denn darin irgend eine Dunkelheit oder Ungewißheit? Aber gegen den Pabst und die Seinen haben die Pforten der Hölle die Obergewalt, weil sie ja durch offenbare Gottlosigkeit und Verbrechen in der ganzen Welt berüchtigt (nobiles) sind. Ist dies auch dunkel? Also sind der Pabst und die Seinigen nicht die Kirche, von der Christus redet. Was hätten sie hier dawider sprechen können? oder wie hätten sie dem Munde widerstehen können, den Christus ihm gegeben hatte? Aber sie widerstanden dennoch und bestanden fest auf ihrer Meinung, so daß sie ihn auch verbrannten, so gänzlich wollten sie nicht von ihrer Meinung lassen. Und Christus verschweigt dies auch nicht, da er sagt: „Eure Widerwärtigen sollen nicht widerstehen können“; sie sind Widerwärtige (sagt er), also werden sie widerstehen, sonst wären sie nicht Widerwärtige, sondern würden Freunde, und doch sollen sie nicht widerstehen können. Was ist das anders, als sagen: wenn sie auch widerstehen, so sollen sie doch nicht widerstehen können?

Wenn daher auch wir den freien Willen so widerlegen können, daß die Widersacher nicht zu widerstehen vermöchten, obgleich sie auf ihrer Meinung beharren, und widerstehen wider ihr Gewissen, so haben wir genug gethan. Denn ich habe hinlänglich erfahren, daß niemand den Namen haben will, er sei überwunden, und (wie Quintilian sagt) niemand ist, der nicht lieber dafür angesehen sein will, er wisse es, als daß er es lerne; obgleich bei uns alle dieses Sprüchwort im Munde führen, mehr gewohnheitsweise als von Herzen, ja, so daß sie es mißbrauchen: Ich wünsche zu lernen, ich bin bereit, mich belehren zu lassen, und wenn ich überwiesen werde, dem Besseren zu folgen; ich bin ein Mensch, ich kann irren. (Dies wird deshalb geredet,) damit man unter diesem Vorgeben, gleichsam unter einem schönen Scheine der Demuth, die Freiheit habe, zuversichtlich zu sprechen: Ich habe daran nicht genug; ich begreife das nicht; er thut der Schrift Gewalt an; er behauptet hartnäckig: natürlich sind sie davon überzeugt, daß niemand auf den Argwohn gerathen kann, daß ein Mensch von so großer Demuth hartnäckig widerstehe und selbst die erkannte Wahrheit heftig bekämpfe. So kommt es, daß man es auch nicht ihrer Böswilligkeit zuschreiben soll, daß sie von ihrer Meinung nicht abstehen, sondern der Dunkelheit und der Ungewißheit der Gründe.

So haben es die Philosophen der Griechen auch gemacht; damit es nicht den Schein hätte, als sei einer dem anderen gewichen, wenn er auch offenbar überwunden war, fingen sie an, die Grundlagen (prima principia) zu leugnen, wie Aristoteles erzählt. Unterdessen überreden wir uns und andere in sanfter Weise, es gebe viele gute Leute auf der Erde, welche gern die Wahrheit annehmen würden, wenn nur einer da wäre, der sie klar lehrte, und es stände nicht zu vermuthen, daß so viele gelehrte Leute in einer so großen Reihe von Jahrhunderten geirrt hätten oder (die Wahrheit) nicht erkannt hätten, als ob wir nicht wüßten, daß die Welt des Teufels Reich ist, wo wir außer der natürlichen Blindheit, die uns vom Fleische angeboren ist, noch in dieser Blindheit verhärtet werden von den gottlosesten Geistern, die über uns herrschen, und wir von teuflischer, nicht mehr menschlicher Finsternis; festgehalten werden. Wenn nun die Schrift, wirst du sagen, hell ist, warum sind denn in diesem Stücke in so vielen Jahrhunderten die Männer, die durch hohen Verstand hervorgeragt haben, so blind gewesen?

Ich antworte: Sie sind so blind gewesen zu Lob und Ehren des freien Willens, damit jene herrlich gerühmte Kraft dargethan würde, durch welche der Mensch sich zu dem bereiten kann, was da gehört zur ewigen Seligkeit, nämlich daß sie das Gesehene nicht sieht, das Gehörte nicht hört, viel weniger versteht oder begehrt. Denn hierher gehört, was Christus aus Jesajas (6,9.) und die Evangelisten (Matth. 13,14. Luc. 8,10.) so oft behaupten: „Mit hörenden Ohren werdet ihr nicht hören und werdet es nicht verstehen, und mit sehenden Augen werdet ihr nicht sehen.“ Was ist dies anders, als daß der freie Wille oder das menschliche Herz so durch des Satans Gewalt unterdrückt ist, daß, wenn es nicht durch den Geist Gottes wunderbarlicher Weise erweckt wird, es an sich selbst auch nicht einmal das sehen, noch hören kann, was offenbar in die Augen fällt und in die Ohren schallt, so daß es mit Händen gegriffen werden möchte? so groß ist das Elend und die Blindheit des menschlichen Geschlechtes. So haben sich auch die Evangelisten verwundert, wie es käme, daß die Juden den Werken und Worten Christi, die doch ganz unwiderleglich und unleugbar waren, nicht Statt gaben. Sie geben sich selbst Antwort mit jener Stelle der Schrift, daß nämlich der Mensch, wenn er sich selbst überlassen ist, mit sehenden Augen nicht sieht und mit hörenden Ohren nicht hört. Was ist seltsamer? „Das Licht“, spricht er (Joh. 1,5.), „scheinet in der Finsterniß, und die Finsterniß haben es nicht begriffen.“ Wer sollte das glauben? Wer hat dergleichen je gehört? Daß ein Licht in der Finsterniß leuchte und die Finsterniß gleichwohl Finsterniß bleibe und nicht erhellt werde?

Demgemäß ist es in göttlichen Sachen nicht zu verwundern, daß in so vielen Jahrhunderten die durch hohen Verstand ausgezeichneten Leute blind gewesen sind. In menschlichen Dingen wäre es Wunder, in göttlichen Dingen wäre es viel mehr Wunder, wenn einer oder der andere nicht blind wäre, aber gar kein Wunder, wenn durchaus alle blind wären. Denn was ist das ganze menschliche Geschlecht ohne den Geist anders als das Reich des Teufels (wie ich gesagt habe), eine verwirrte Masse (chaos) von Finsterniß? Darum nennt Paulus (Eph. 6,12.) die bösen Geister die Herrscher in dieser Finsterniß. Und 1 Cor. 2,8. sagt er, „daß keiner der Obersten dieser Welt die Weisheit Gottes erkannt hat“. Was, meinst du wohl, wird er von den Uebrigen halten, da er behauptet, daß die Obersten der Welt Knechte der Finsterniß sind? Denn unter den Obersten versteht er die Ersten und Höchsten in der Welt, welche du Leute nennst, die ausgezeichnet sind durch hohe Begabung (excellentes ingenio). Warum sind alle Arianer blind gewesen? Sind denn nicht auch da Leute von hoher Begabung gewesen? Warum ist Christus den Heiden eine Thorheit? Sind unter den Heiden keine Leute von hoher Begabung gewesen? Warum ist er den Juden ein Aergerniß? Sind unter den Juden keine Leute von hoher Begabung gewesen? „Gott weiß (sagt Paulus (1 Cor. 3,20.)) der Weisen Gedanken, daß sie eitel sind“; er hat nicht sagen wollen „der Menschen“, wie es doch der Text (Ps 94,11.) hat, und bezeichnet die Ersten und Obersten unter den Menschen, damit wir nach ihnen die anderen Menschen abschätzen.

Doch hierüber werden wir später vielleicht ausführlicher reden; es genüge, daß wir das zum Eingang vorausgeschickt haben, die Schrift sei ganz klar, so daß wir durch sie unsere Sache so zu vertheidigen vermögen, daß die Widersacher nicht widerstehen können. Was aber so nicht vertheidigt werden kann, das liegt fern und geht die Christen nichts an. Wenn es aber Leute gibt, welche diese Klarheit nicht sehen können, und in dem hellen Sonnenlichte blind sind und anstoßen: so thun sie dar, wenn sie gottlos sind, wie groß die Majestät und Macht des Teufels über die Menschenkinder ist, daß sie die ganz klaren Worte Gottes weder hören noch begreifen, gleich als wenn einer, durch einen Zauber getäuscht, meinte, die Sonne wäre eine kalte Kohle, oder einen Stein für Gold ansähe. Wenn sie aber gottselig sind, müssen sie unter die Auserwählten gerechnet werden, die eine Zeitlang in Irrthum verführt werden, damit Gottes Kraft in uns offenbar werde, ohne welche wir weder sehen können, noch überhaupt irgend etwas vermögen. Denn es ist nicht Schwerfälligkeit des Verstandes (wie du vorgibst), daß Gottes Wort nicht gefaßt wird, ja, niemand ist geschickter, Gottes Wort zu ergreifen, als die, welche einen schwachen Verstand haben; denn um der Schwachen willen und zu den Schwachen ist Christus gekommen und hat ihnen sein Wort gesandt. Aber es ist die Bosheit des Teufels, der in unserer Schwachheit sitzt, regiert und dem Worte Gottes widersteht; wenn der Teufel das nicht thäte, so würden durch Eine Predigt Gottes, wenn sie nur Ein Mal gehört würde, alle Menschen in der ganzen Welt bekehrt werden, und mehr wäre nicht vonnöthen.

Doch was bedarf's vieler Worte? Warum machen wir zugleich mit diesem Eingange nicht der ganzen Sache ein Ende und fällen wider dich aus deinen eigenen Worten das Urtheil nach dem Worte Christi (Matth. 12,37.): „Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden und aus deinen Worten wirst du verdammt werden“? Denn du sagst, die Schrift sei hier nicht hell. Darnach läßt du die Sache unentschieden und disputirst nach beiden Seiten hin, was dafür und was dawider gesagt werden könne; etwas Anderes thust du nicht in deinem ganzen Buche, welches du um deß willen lieber eine Abhandlung (diatriben) als eine feste Erklärung (apophasin) oder etwas Anderes hast nennen wollen, weil du alles zusammentragen (collaturus), aber doch nichts so schreiben wolltest, daß du es als gewiß behauptetest. Wenn daher die Schrift nicht hell ist, warum sind denn hier jene Leute, welche du so hoch rühmst, nicht nur blind, sondern erklären und behaupten frevel und thöricht den freien Willen, als wenn dies aus der gewissen und hellen Schrift geschähe? Ich meine „die so zahlreiche Reihe der gelehrtesten Männer, deren Meinung man so viele hundert Jahre bis auf den heutigen Tag einstimmig gebilligt hat, von denen die meisten außer ihrer bewunderungswürdigen Einsicht in die heilige Schrift auch ein gottseliger Wandel empfiehlt. Einige haben die christliche Lehre, welche sie in ihren Schriften vertheidigt haben, mit ihrem Blute bestätigt.“ Wenn du dies von Herzen redest, so steht es bei dir fest, daß der freie Wille solche Leute zu seinen Verteidigern (assertores) gehabt habe, welche mit einer bewunderungswürdigen Erkenntniß in der heiligen Schrift begabt gewesen sind, so daß sie diese Lehre auch mit ihrem Blute bezeugt haben. Wenn dies wahr ist, so hielten sie die Schrift für klar. Denn was wäre sonst ihre bewunderungswürdige Einsicht in die heilige Schrift gewesen, ja, was für eine Leichtfertigkeit und freveles Gemüth, sein Blut zu vergießen für eine ungewisse und dunkele Sache? Denn das stände den Märtyrern Christi nicht an, sondern den Teufeln. Nun stelle auch du dir vor Augen und erwäge es bei dir, ob du urtheilest, daß man mehr auf das Urtheil geben müsse so vieler Gelehrten, so vieler Heiligen, so vieler Märtyrer, so vieler alten und neuen Theologen, so vieler hohen Schulen, so vieler Concilien, so vieler Bischöfe und Päbste, welche dafürgehalten haben, die heilige Schrift sei klar, und dies sowohl mit ihren Schriften, als auch mit ihrem Blute bestätigt haben, als auf dein, eines einzelnen Menschen, Privaturtheil, da du leugnest, daß die heilige Schrift klar sei, und vielleicht noch nie auch nur Eine Thräne oder einen Seufzer für die Lehre Christi verloren hast. Wenn du glaubst, daß jene recht geurtheilt haben, warum folgst du ihnen denn nicht? Wenn du es nicht glaubst, warum rühmst du mit vollen Backen, mit so großem Wortschwall, als ob du mich überschütten wolltest mit einem Sturme und mit einer Art Sündfluth der Rede, welche aber doch viel stärker über dein eigenes Haupt daherfluthet, aber meine Arche schwimmt oben in Sicherheit. Denn du legst so vielen und so großen Männern zugleich die größte Thorheit und den größten Frevel bei, da du schreibst, sie hätten große Erkenntniß in der heiligen Schrift gehabt, und hätten dieselbe mit der Feder, mit ihrem Leben, mit ihrem Tode fest bezeugt, und behauptest doch, sie sei dunkel und ungewiß. Das ist nichts Anderes, als jene Männer so darstellen, als wären sie ganz unerfahren in der Erkenntniß und ganz thöricht in ihrem festen Zeugniß. So hätte ich sie nicht geehrt, der ich sie für meine Person verachte, wie du es thust, ihr öffentlicher Lobredner.

Ich halte dich also hier, wie man sagt, mit einem Vernunftschluß, der Hörner hat (cornuto syllogismo); denn eins von beiden muß falsch sein: entweder das, was du sagst, daß jene bewunderungswürdig gewesen seien wegen ihrer Erkenntniß in der heiligen Schrift, wegen ihres Lebens und Märtyrerthums; oder das, was du sagst, die Schrift sei nicht hell. Aber weil du dich vielmehr dahin fortreißen läßt, daß du glaubst, die Schrift sei nicht hell (denn das treibst du in dem ganzen Buche), so bleibt nichts Anderes übrig, als daß du, entweder im Scherz oder aus Schmeichelei, aber keineswegs im Ernste gesagt hast, daß sie sehr große Erkenntniß in der Schrift gehabt haben und Märtyrer Christi gewesen seien, um dem unwissenden Volke einen Schein vor Augen zu machen, dem Luther aber zu schaffen zu geben, damit du seine Sache durch solche nichtigen Worte mit Haß und Verachtung beschwertest. Ich aber sage, daß keins von beiden wahr ist, sondern, daß beides falsch ist; (ich behaupte) zuerst, daß die heilige Schrift ganz licht ist, ferner, daß jene Leute, sofern sie den freien Willen behaupten, gar keine Erkenntniß in der heiligen Schrift haben, und endlich, daß sie diese Lehre weder durch ihr Leben noch durch ihren Tod, sondern nur mit der Feder bestätigt haben, aber so, daß ihr Geist darin gestrauchelt hat.

Beschluß der Antwort auf die einleitenden Bemerkungen der Diatribe.

Deshalb schließe ich diese kleine Erörterung so: Durch die Schrift, als (in diesem Stück) dunkel, ist bisher nichts Gewisses über den freien Willen festgestellt und konnte auch nichts festgestellt werden, wie du selbst bezeugst; aber durch das Leben aller Menschen von Anbeginn der Welt ist auch nichts für den freien Willen dargethan, wie oben gesagt worden ist. Daher etwas zu lehren, was in der Schrift mit keinem Worte angezeigt ist, und was außerhalb der Schrift durch keine Thatsache erwiesen ist, das geht die Lehren der Christen nicht an, sondern das gehört zu den wahrhaftigen Erzählungen (d. i. Fabeln) des Lucian. Allein daß Lucian im Scherz und einsichtsvoll mit kurzweiligen Dingen spielt und niemanden betrügt, noch schädigt, diese Leute aber, mit denen wir es zu thun haben, unsinnig handeln in einer ernsten Sache, welche noch dazu die ewige Seligkeit anbetrifft, zum Verderben unzähliger Seelen.

Theilung dieses Buchs.

So könnte ich hier nun die ganze Frage vom freien Willen schließen, da auch das Zeugniß der Gegner für mich spricht und wider sie selbst streitet, da es keine stärkere Beweisung gibt, als das eigene Bekenntniß und Zeugniß dessen, der angeklagt ist, gegen sich selbst. Da aber Paulus befiehlt, den unnützen Schwätzern das Maul zu stopfen, so wollen wir zur Sache selbst schreiten und sie in der Ordnung behandeln, welche die Diatribe innehält. Zuerst wollen wir die Gründe, welche für den freien Willen beigebracht sind, widerlegen. Darnach wollen wir das vertheidigen, was von unseren Gründen widerlegt sein soll. Endlich wollen wir streiten wider den freien Willen für die Gnade Gottes.

Erster Theil dieses Buches.

a. Wider den ersten Theil der Diatribe, dadurch sie den freien Willen aufzurichten sucht.

Und zuerst wollen wir, wie es sich gehört, mit der Erklärung des freien Willens den Anfang machen, welche du folgendermaßen abgibst:

„Ferner: unter dem freien Willen verstehen wir hier das Vermögen des menschlichen Willens, nach welchem es der Mensch vermag, entweder sich zu dem, was zur ewigen Seligkeit führt, zu wenden, oder sich davon abzukehren.“

Fürwahr klüglich stellst du die nackte Erklärung auf, ohne auch nur irgend ein Stücklein derselben deutlich zu machen (wie andere zu thun pflegen), weil du vielleicht gefürchtet hast, du werdest mehr als einmal Schiffbruch leiden. Ich werde deshalb gezwungen, die einzelnen Stücke durchzugehen. Wenn man genau zusieht, so findet man, daß dasjenige, worüber die Erklärung abgegeben wird (definitum), sicherlich eine viel umfassendere Bedeutung hat, als die Erklärung (definitio). Von solcher Definition würden die Sophisten sagen, daß sie nichts tauge, weil nämlich die Erklärung das Erklärte nicht deckt; denn oben haben wir gezeigt, daß der freie Wille niemandem als Gotte zukomme. Einen Willen könntest du dem Menschen vielleicht einigermaßen mit Recht zuschreiben, aber das ist zu viel, ihm einen Willen in göttlichen Dingen beizulegen, weil das Wort freier Wille nach dem Urtheil eines jeden, der es hört, gesagt wird von dem, der da vermag und thut gegen Gott, was ihm nur beliebt, durch kein Gesetz, durch keine Herrschaft gebunden. Denn einen Knecht, der unter der Herrschaft eines Herrn handelt, könnte man nicht frei nennen, wie viel weniger aber läßt sich das in Wahrheit von einem Menschen oder einem Engel sagen, welche unter der unumschränktesten Herrschaft Gottes (ich geschweige der Sünde und des Todes) so ihr Leben zubringen, daß sie aus ihren eigenen Kräften auch nicht einen Augenblick bestehen können.

Deshalb streiten schon hier sogleich im Eingang wider einander die Erklärung des Wortes und die Erklärung der Sache, weil das Wort etwas Anderes bezeichnet, als man unter der Sache selbst sich vorstellt. Richtiger hätte man es einen Wankel-Willen oder einen veränderlichen Willen genannt. Denn so thun Augustinus und nach ihm die Sophisten der Ehre und der Kraft dieses Wortes „frei“ Abbruch und machen jenen verkleinernden Zusatz, daß sie ihn einen wandelbaren freien Willen nennen. Und so gebührte es uns zu reden, damit wir nicht mit schwülstigen und prächtigen Worten, da nichts hinter ist, die Herzen der Menschen betrügen, wie auch Augustinus dafürhält, daß wir nach einer bestimmten Regel mit nüchternen und eigentlichen Worten reden müssen. Denn beim Lehren ist Einfachheit und vernunftgemäße Wahl der eigentlichen Ausdrücke (proprietas dialectica) vonnöthen, nicht aber hochtönende Worte und Redebilder, um dadurch zu überreden.

Aber damit es nicht scheine, als ob wir Lust hätten um Worte zu streiten, so wollen wir bei alle dem das dem Mißbrauche nachgeben, wiewohl es ein großer und gefährlicher Mißbrauch ist, daß freier Wille eben dasselbe sei als Wankel-Wille. Wir wollen dem Erasmus auch das nachlassen, daß er aus der Kraft des freien Willens eine Kraft nur des menschlichen Willens macht, als wenn die Engel keinen freien Willen hätten, weil er in diesem Büchlein nur vom freien Willen der Menschen zu handeln sich vorgesetzt hat; sonst wäre auch in diesem Stücke die Erklärung enger als das, was erklärt wird. Nun wollen wir zu den Stücken kommen, um welche sich die Hauptsache dreht. Einige derselben sind klar genug, andere fliehen das Licht, gleichsam als hätten sie ein böses Gewissen und fürchteten alles, da doch nichts deutlicher und gewisser an den Tag gegeben werden sollte, als die Erklärung (definitione); denn etwas dunkel erklären ist gerade so viel, als nichts erklären. Diese Stücke sind offenbar: „das Vermögen des menschlichen Willens“, desgleichen: „nach welchem der Mensch vermag“, desgleichen: „zur ewigen Seligkeit“; aber diese Stücke sind blinde Streiche: „sich wenden“, desgleichen: „zudem, was da führt“; desgleichen: „sich abkehren“. Auf was soll ich nun rathen, um zu verstehen, was dies „sich wenden“ sei? desgleichen das „sich abkehren“? desgleichen, was das für Dinge sind, „die zur ewigen Seligkeit führen“? Worauf erstrecken sich diese Dinge? Ich habe, wie ich sehe, mit einem rechten Scotus oder Heraclitus zu thun, so daß ich von doppelter Arbeit ermüdet werde; zuerst, daß ich (was ein verwegenes und gefährliches Unternehmen ist) meinen Gegner tappend und tastend in Fallgruben und Finsterniß suchen muß, und, wenn ich ihn nicht finde, vergebens und mit Gespenstern kämpfe, und Luftstreiche thue in der Finsterniß, aber erst dann, wenn ich ihn ans Licht hervorgezogen habe, kann ich endlich, bereits vom Suchen ermüdet, unter gleichem Vortheil gegen ihn kämpfen.

Ich glaube nun, daß du die Kraft des menschlichen Willens nennst die Gewalt, oder Fähigkeit, oder Geschicktheit, oder Tauglichkeit, zu wollen oder nicht zu wollen, zu erwählen oder zu verachten, anzunehmen oder auszuschlagen, und andere derartige Handlungen des Willens. Was das aber sein soll, daß diese Kraft sich hinwende und abkehre, das verstehe ich nicht, es sei denn das Wollen und Nichtwollen selbst, das Erwählen und Verachten, das Annehmen und Ausschlagen, nämlich die Thätigkeit des Willens selbst; daß wir uns also vorstellen müssen, diese Kraft sei eine Art Mittelding zwischen dem Willen und seiner Thätigkeit, so daß der Wille selbst die Thätigkeit des Wollens und Nichtwollens hervorbringt und so die Handlung des Wollens und Nichtwollens zuwege gebracht wird. Etwas Anderes kann man sich hier weder vorstellen noch denken. Wenn ich mich irre, so fällt die Schuld auf den Verfasser, der die Erklärung gegeben hat, nicht auf mich, der ich es mit Fleiß zu erforschen trachte. Denn es ist ein rechtes Wort bei den Juristen: Die Worte dessen, der da dunkel redet, da er doch klarer hätte reden können, sind wider ihn selbst zu deuten. Und hier will ich von meinen neuen Theologen (Modernos) mit ihren Spitzfindigkeiten nichts wissen, denn man muß grob herausreden, um lehren und verstehen zu können. Das aber, was zur ewigen Seligkeit führt, glaube ich, sind die Worte und Werke Gottes, welche dem menschlichen Willen angeboten werden, daß er sich denselben zuwende oder sich davon abkehre. Gottes Worte nenne ich aber sowohl das Gesetz, als das Evangelium; durch das Gesetz werden Werke gefordert, durch das Evangelium der Glaube. Denn es sind sonst keine anderen Dinge, die sowohl zur Gnade Gottes als auch zur ewigen Seligkeit führen, als Gottes Wort und Werk. Denn die Gnade oder der Geist ist ja das Leben selbst, zu dem wir durch Gottes Wort und Werk geführt werden. Dieses Leben aber, oder die ewige Seligkeit ist eine Sache, welche das menschliche Begreifen übersteigt, wie Paulus den Spruch des Jesaias (64,4.) im ersten Briefe an die Corinther Cap. 2,9. einführt: „Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“ Denn das ist auch einer der höchsten Artikel unseres Glaubens, da wir bekennen: „Und ein ewiges Leben.“ Was aber in diesem Artikel der freie Wille vermöge, bezeugt Paulus 1 Cor. 2,10.: „Gott (spricht er) hat es uns geoffenbart durch seinen Geist“, das heißt, wenn der Geist es nicht geoffenbart hätte, so würde keines Menschen Herz davon etwas wissen oder denken können, so wenig vermag er sich dazu zu wenden oder es zu begehren. Siehe die Erfahrung an, was die trefflichsten, höchstbegabten Leute unter den Heiden vom künftigen Leben und von der Auferstehung gehalten haben. Ist's nicht so, je herrlicheren Verstand sie gehabt haben, desto lächerlicher ist ihnen die Auferstehung und das ewige Leben gewesen? Sind denn das nicht auch hochverständige Philosophen und (noch dazu) Griechen gewesen, welche zu Athen den Paulus (Apost. 17,18.), der dies lehrte, einen Lotterbuben nannten und einen Verkündiger neuer Götter? Porcius Festus, Apost. 26,24., nannte den Paulus einen Rasenden wegen der Predigt vom ewigen Leben. Was lästert (latrat) doch Plinius über diese Dinge im siebenten Buche? Was Lucian, der einen so hohen Verstand hatte? Sind die denn alle Dummköpfe gewesen? So geht es auch noch heutzutage bei sehr vielen. Je höheren Verstand und Gelehrsamkeit sie haben, desto mehr verlachen sie diesen Artikel und halten ihn für ein Märlein und zwar öffentlich. Denn heimlich (im Herzen), er sei denn vom Heiligen Geiste durchdrungen, weiß, glaubt oder wünscht gar kein Mensch das ewige Leben, wenngleich er sich dessen in Wort und Schrift rühmt. Und, wollte doch Gott, daß du und ich frei wären von diesem Sauerteige, lieber Erasmus, so selten ist in diesem Artikel ein recht gläubiges Herz. Habe ich nun nicht den Sinn deiner Erklärung getroffen?

So ist also, nach Erasmus, der freie Wille eine Kraft des Willens, welche Gottes Wort und Werk aus sich selbst wollen und nicht wollen kann, wodurch er zu dem geführt wird, was all sein Fassen und Verstehen übersteigt. Wenn er aber wollen und nicht wollen kann, so kann er auch lieben und hassen. Wenn er aber lieben und hassen kann, so kann er auch etlichermaßen das Gesetz erfüllen und dem Evangelium glauben. Denn es ist unmöglich, wenn ich etwas wollen oder nicht wollen kann, daß ich durch diesen Willen nicht wenigstens etwas von einem Werke sollte auszurichten vermögen, wenn ich es auch nicht ganz durchführen könnte, da es ein anderer verhindert. Ja, da unter die Werke Gottes, die zur Seligkeit führen, auch der Tod, Kreuz und alle Uebel in der Welt zu rechnen sind, so wird der menschliche Wille auch den Tod und sein eigenes Verderben wollen können. Ja, er kann alles wollen, da er das Wort und das Werk Gottes wollen kann; denn was kann es doch irgend geben unter oder über, innerhalb oder außerhalb des Wortes und Werkes Gottes, als Gott selbst? Was bleibt aber nun hier übrig für die Gnade und den Heiligen Geist? Das heißt dem freien Willen völlig die Gottheit beilegen, denn das Gesetz und das Evangelium wollen, die Sünde nicht wollen und zum Tode Lust haben, kommt allein der göttlichen Kraft zu, wie Paulus an vielen Stellen sagt.

Demgemäß hat nach der Zeit der Pelagianer niemand richtiger vom freien Willen geschrieben als Erasmus. Denn wir haben oben gesagt, der freie Wille sei ein göttlicher Name und bezeichne eine göttliche Kraft. Diese hat ihm (dem freien Willen) bisher aber niemand beigelegt als die Pelagianer, denn die Sophisten, was für Meinungen sie auch immer gehabt haben mögen, reden sicherlich ganz anders. Ja, Erasmus übertrifft sogar die Pelagianer bei weitem, denn jene legen diese Gottheit dem ganzen freien Willen bei, Erasmus aber dem halben. Denn jene machen zwei Theile des freien Willens, die Kraft zu unterscheiden und die Kraft zu erwählen; jene legen sie dem Verstande, diese aber dem Willen bei, was auch die Sophisten thun. Aber Erasmus setzt die Kraft zu unterscheiden bei Seite und erhebt allein die Kraft zu wählen hoch, und macht so einen lahmen und halbfreien Willen zu einem Gotte. Was, glaubst du, würde er gethan haben, wenn er den ganzen freien Willen beschrieben hätte?

Aber hiermit nicht zufrieden, geht er auch noch über die Philosophen hinaus. Denn bei ihnen ist es noch nicht entschieden, ob sich ein Ding von sich selbst bewegen könne, und darüber sind die ganzen Körperschaften der Philosophen, die Platoniker und Peripatetiker, noch uneinig, aber bei dem Erasmus bewegt sich der freie Wille nicht nur aus seiner eigenen Kraft, sondern er wendet sich auch zu dem, was ewig ist, das ist, zu dem, was ihm unbegreiflich ist: ein ganz neuer und unerhörter Erklärer des freien Willens, der die Philosophen, die Pelagianer, die Sophisten und alle weit hinter sich zurückläßt. Und auch dies ist ihm noch nicht genug; er schont auch seiner selbst nicht und ist mehr uneinig mit sich selbst und streitet mehr wider sich selbst, als gegen alle anderen. Denn vorher hatte er gesagt, der menschliche Wille vermöge ganz und gar nichts ohne die Gnade (er hat aber vielleicht gescherzt), hier aber, wo er im Ernste seine Erklärung gibt, sagt er, der menschliche Wille habe eine solche Kraft, dadurch er im Stande sei, sich zu dem zu schicken, was zur ewigen Seligkeit dient, das heißt, zu den Dingen, die unermeßlich hoch über jener Kraft stehen; so geht Erasmus in diesem Stücke auch über sich selbst hinaus.

Siehst du nun, lieber Erasmus, daß du dich durch diese Erklärung selbst an den Tag gibst (ich glaube, unversehens), daß du von diesen Dingen gar nichts verstehst, sondern vielmehr ganz unbedacht und gleichgültig darüber schreibst, und weißt nicht, was du redest oder behauptest? Und, wie ich oben gesagt habe, du bringst weniger für den freien Willen auf und legst ihm doch mehr bei, als alle anderen; da du nicht einmal den ganzen freien Willen beschreibst, legst du ihm doch alles bei. Viel eher ist noch zu leiden, was die Sophisten lehren, wenigstens ihr Vater Petrus Longobardus, welche sagen, der freie Wille sei das Vermögen zu unterscheiden, dann auch zu wählen, nämlich das Gute, wenn die Gnade da ist, aber das Böse, wenn die Gnade hinweg ist. Und er hält es ganz mit Augustinus, der da sagt, der freie Wille vermöge aus seiner eigenen Kraft nichts, als zu fallen, und er habe keine andere Kraft, als die zu sündigen. Daher nennt ihn Augustinus im zweiten Buche wider den Julianus vielmehr einen geknechteten Willen (servum arbitrium), als einen freien Willen.

Du aber machst die Kraft des freien Willens nach beiden Seiten hin gleich, daß er aus seinem eigenen Vermögen ohne die Gnade sich sowohl zum Guten wenden, als auch sich vom Guten abkehren könne. Denn du bedenkst nicht, ein wie Großes du ihm beilegst durch das Fürwort „sich“ oder „sich selbst“. Da du sagst: Er kann sich wenden, schließest du nämlich den Heiligen Geist mit aller seiner Kraft gänzlich aus, gleichsam als überflüssig und nicht notwendig. Darum ist deine Erklärung auch nach dem Urtheil der Sophisten verwerflich. Wenn diese nicht, verblendet durch ihren Haß gegen mich, so unsinnig wären, so würden sie vielmehr wider dein Buch wüthen. Jetzt aber, weil du den Luther angreifst, so ist alles, was du sagst, heilig und christlich, wenn du gleich wider dich selbst und wider sie redest; so groß ist die Geduld der heiligen Leute. Dies sage ich nicht um deß willen, weil ich die Meinung der Sophisten vom freien Willen billige, sondern weil ich glaube, daß sie leidlicher ist, als die des Erasmus, denn sie kommen näher zur Wahrheit. Denn sie sagen nicht, wie ich, daß der freie Wille nichts sei, jedoch, da sie sagen, daß er ohne die Gnade nichts vermöge, besonders der Magister Sententiarum, so streiten sie wider den Erasmus; ja, sie scheinen auch wider sich selbst zu streiten und sich in bloßem Wortgezänk abzumühen, und sind mehr beflissen auf Streit als auf die Wahrheit, wie das den Sophisten wohl ansteht. Denn setze den Fall, daß mir ein durchaus nicht böswilliger Sophist verschafft würde, mit welchem ich insgeheim in vertraulicher Unterredung diese Sachen besprechen könnte und ein aufrichtiges und freies Urtheil fordern auf diese Weise: Wenn jemand zu dir sagte, das sei frei, was aus seiner Kraft nur nach Einer Seite hin etwas vermöchte, nämlich zum Bösen, aber nach der andern Seite hin, nämlich zum Guten, vermöchte es zwar etwas, aber nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Hülfe eines Anderen, könntest du dann wohl das Lachen unterdrücken, lieber Freund? Denn auf solche Weise möchte ich leicht beweisen, daß auch ein Stein oder ein Klotz einen freien Willen hätten, denn diese können sich nach unten und nach oben kehren, aber aus eigener Kraft nur nach unten, doch allein mit eines Anderen Hülfe nach oben. Und wie ich oben gesagt habe, zuletzt möchten wir den Gebrauch aller Sprachen und Worte umkehren: Keiner ist alle; nichts ist alles; indem wir das eine Wort auf die Sache selbst beziehen, das andere aber auf eine nicht dazugehörige Sache, die dabei sein und dazu kommen könnte.

So sind sie durch allzuvieles Zanken über den freien Willen endlich dahin gekommen, daß sie ihn zu einem freien machen durch etwas, was zufällig hinzukommt (per accidens), weil er ja durch einen Andern wohl einmal frei gemacht werden könne. Die Frage ist aber, was der freie Wille an und für sich selbst vermöge, und von dem Wesen des freien Willens. Wenn diese Frage gelöst werden soll, so bleibt nichts übrig als das leere Wort „freier Wille“, sie mögen wollen oder nicht. Es fehlen die Sophisten auch darin, daß sie dem freien Willen das Vermögen beilegen, das Gute vom Bösen zu unterscheiden; desgleichen verschweigen sie auch die Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes und schreiben ihm gleichsam nur ganz äußerlich jene fremde Hülfe zu, davon ich nachher reden werde. Doch dies ist genug von der Erklärung (definitione). Nun wollen wir die Gründe ansehen, mit denen man dies leere Wörtlein hat aufblasen wollen.

Zuerst ist die Stelle Sirach 15,14-17.: „Gott hat den Menschen von Anfang geschaffen, und ihm die Wahl gegeben. Willst du, so halte die Gebote, und thue, was ihm gefällt, in rechtem Vertrauen. Er hat dir Feuer und Wasser vorgestellet, greife, zu welchem du willst. Der Mensch hat vor sich Leben und Tod; welches er will, das wird ihm gegeben werden.“

Ich könnte freilich dieses Buch mit Recht verwerfen, doch nehme ich es einstweilen an, damit ich nicht in die Frage hineingezogen werde und die Zeit darüber verliere, welche Bücher in den Canon der Hebräer aufgenommen seien, gegen den du ziemlich bissig bist und ihn verspottest, indem du die Sprüche Salomonis und das Hohelied (wie du es mit zweideutiger Stichelei nennst), ein Liebeslied, vergleichst mit den beiden (letzten) Büchern Esrä, Judith, der Historie von Susanna und dem Drachen, und Esther. Obgleich sie dieses im Canon haben, so wäre es, nach meinem Urtheile, doch mehr werth als alle, nicht für canonisch gehalten zu werden.

Ich könnte aber kurz mit deinen eigenen Worten antworten: Die Schrift ist an dieser Stelle dunkel und zweideutig, darum beweist sie nichts Gewisses. Weil wir aber auf der verneinenden Seite stehen, so fordern wir von euch, daß eine Stelle beigebracht werde, welche mit hellen Worten überzeugend darthue, was der freie Wille sei und was er vermöge. Dies werdet ihr vielleicht thun, wenn auf dem Eise Rosen wachsen, wiewohl du, um dieser unvermeidlichen Forderung zu entgehen, viele gute Worte verlierst und auf Eiern gehst, und erzählst so viele Meinungen über den freien Willen, daß du den Pelagius fast zu einem Evangelischen machst. Desgleichen erdichtest du eine vierfache Gnade, damit du auch den Philosophen einen gewissen Glauben und Liebe beilegen könnest; desgleichen ein dreifaches Gesetz, der Natur, der Werke und des Glaubens, freilich eine neue Fabel, um steif und fest behaupten zu können, die Vorschriften der Philosophen kämen überein mit den Vorschriften des Evangeliums. Dann die Stelle, Psalm 4,7.: „Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes“, welche eigentlich von der Erkenntnis des Antlitzes Gottes, das ist, vom Glauben redet, das ziehst du auf die Vernunft, welche ganz blind ist. Wenn ein Christ dies alles gegen einander hält, so wird er dich im Verdacht haben müssen, du verspottest und verlachest die Lehren und die Religion der Christen. Denn daß ich dem, der alle unsere Sache mit so großer Sorgfalt genau durchforscht und sie so wohl im Gedächtniß behalten hat, eine so große Unwissenheit beilegen sollte, das will mir ganz und gar nicht gelingen. Jetzt aber will ich dies fahren lassen und mir daran genügen lassen, daß ich es angedeutet habe, bis sich eine geeignetere Gelegenheit darbietet. Doch bitte ich dich, lieber Erasmus, stelle uns nicht so auf die Probe, als wärest du einer von denen, die da sagen: Wer sieht uns? denn es ist gefährlich, in einer so großen Sache vor allerlei Leuten und immerfort mit Wankelworten zu scherzen. Doch zur Sache.

Du machst aus Einer Meinung über den freien Willen eine dreifache: „hart scheint dir die Meinung derjenigen, aber doch ziemlich wahrscheinlich, welche leugnen, daß der Mensch ohne besondere Gnade das Gute wollen könne, leugnen, daß er anfangen könne, leugnen, daß er fortfahren und vollführen könne etc. Diese Meinung billigst du darum, weil sie dem Menschen ein Bestreben und Bemühen übrig läßt und doch nicht zugibt, daß er seinen eigenen Kräften das Geringste zuschreiben soll. Härter sei die Meinung derjenigen, welche behaupten, der freie Wille vermöge nichts als sündigen, allein die Gnade wirke in uns das Gute etc. Am härtesten aber sei die Meinung derjenigen, welche sagen, der freie Wille sei ein leerer Name, aber Gott wirke sowohl das Gute, als auch das Böse in uns, und alles, was geschehe, geschehe aus reiner Nothwendigkeit. Gegen diese beiden letzten Meinungen habest du vor zu schreiben.“

Weißt du auch, was du redest, lieber Erasmus? Du machst hier drei Meinungen, gleich als ob es drei Secten wären, weil du nicht verstehst, daß eine und dieselbe Sache bald mit diesen, bald mit jenen Worten auf verschiedene Weise dargelegt ist von uns, die wir uns zu einer und derselben Sache bekennen. Aber wir wollen dir die Unachtsamkeit oder vielmehr die Schwachheit deines Urtheils vorhalten und nachweisen.

Ich frage: wie kommt die Erklärung des freien Willens, die du oben gegeben hast, überein mit dieser ersten ziemlich wahrscheinlichen Meinung? Denn du hast gesagt, „der freie Wille sei das Vermögen des menschlichen Willens, nach welchem sich der Mensch zum Guten wenden kann“; hier aber sagst du und billigst es, daß man sage, der Mensch könne ohne die Gnade das Gute nicht wollen. Die Erklärung bejaht, was das dafür angeführte Beispiel verneint. In deinem freien Willen findet sich zugleich „Ja“ und „Nein“, so daß du zugleich uns beipflichtest und uns verwirfst, ja, auch dich selbst verdammst und Recht haben lässest in einer und derselben Lehre und Artikel. Oder glaubst du, daß es nicht etwas Gutes sei, sich zu dem zu wenden, was die ewige Seligkeit anbetrifft, was deine Erklärung dem freien Willen beilegt? Denn es wäre ja keine Gnade nöthig, wenn nur das Gute auch im freien Willen wäre, dadurch er sich zum Guten wenden könnte. Darum ist das ein anderer freier Wille, welchen du erklärst, als der freie Wille, welchen du vertheidigst. So hat nun Erasmus vor allen anderen Leuten voraus zwei freie Willen, die sich selbst ganz und gar widerstreiten. Aber wir wollen das fahren lassen, was deine Erklärung erdichtet hat, und besehen, was im Gegensatz dazu jene erste Meinung aufstellt. Du gibst zu, daß der Mensch ohne besondere Gnade das Gute nicht wollen könne (denn wir handeln jetzt nicht davon, was Gottes Gnade vermöge, sondern was der Mensch ohne Gnade vermöge), du gibst also zu, daß der freie Wille das Gute nicht wollen könne; dies ist nichts Anderes, als daß er sich nicht wenden kann zu dem, was die ewige Seligkeit anbetrifft, wie deine Erklärung gelautet hat. Ja sogar, kurz vorher sagst du, „daß der menschliche Wille nach der Sünde in einem solchen Grade verderbt gewesen sei, daß er, nachdem die Freiheit verloren war, ein Knecht der Sünde sein mußte und sich nicht zu bessern vermochte“. Und wenn ich mich nicht täusche, so sagst du, die Pelagianer hätten diese Meinung gehabt. Ich glaube, daß dem Proteus hier nun endlich kein Entrinnen mehr möglich ist; er wird festgehalten, gefangen in deutlichen Worten, nämlich, daß der Wille, nachdem er die Freiheit verloren hat, unter dem Zwange stehe und in der Knechtschaft der Sünde festgehalten werde. O ein trefflich freier Wille, von dem Erasmus selbst sagt, daß er seine Freiheit verloren hat und der Sünde dienstbar ist! Wenn Luther das sagte, so hätte man nie etwas Ungereimteres gehört und nichts Unnützeres hätte können ausgebreitet werden, als dieser sonderbare Ausspruch, so daß man auch Diatriben gegen ihn hätte schreiben müssen.

Aber vielleicht wird mir niemand glauben, daß Erasmus dies gesagt habe; man lese nur seine Diatribe an dieser Stelle und wundere sich. Ich wundere mich aber doch nicht groß darüber, denn, wer diese Sache nicht für eine ernste hält, und die Sache nicht einigermaßen zu Herzen nimmt, sondern ganz und gar mit dem Gemüthe nicht dabei ist, einen Ekel davor hat, oder kalt ist, oder sich damit würgt: wie sollte der nicht hie und da Ungereimtes, Abgeschmacktes und Widersprechendes sagen, da er gleichsam trunken oder träumerisch die Sache handelt, und unter dem Schnarchen herausrülpst: Ja, Nein, je nachdem ihm verschiedene Stimmen vor den Ohren rauschen? Darum verlangen die Redner von dem, der eine Sache führt, daß sein Herz dabei sei; vielmehr erfordert die Theologie eine solche Theilnahme an der Sache, welche (den Sachwalt) wachsam, genau, sorgfältig, vorsichtig und wacker mache. Wenn also der freie Wille, ohne die Gnade, nachdem er die Freiheit verloren hat, gezwungen wird, der Sünde zu dienen, auch nicht Gutes wollen kann, so möchte ich wohl wissen, was das für ein Bestreben sei? was für ein Bemühen, welches jene erste und annehmbare Meinung übrig läßt? Ein gutes Bestreben, ein gutes Bemühen kann es nicht sein, weil der freie Wille das Gute nicht wollen kann, wie die erste Meinung sagt, und wie es zugegeben ist. So bleibt also nur noch ein böses Bestreben, ein böses Bemühen übrig, welches, nachdem die Freiheit verloren ist, der Sünde zu dienen gezwungen wird. Ja, was ist auch damit gesagt, ich bitte dich? Diese Meinung läßt ein Bestreben und ein Bemühen übrig und läßt doch nichts übrig, was den eigenen Kräften zugeschrieben werden kann? Wer kann dies begreifen? Wenn ein Bestreben und Bemühen für die Kräfte des freien Willens übrig ist, warum sollte es ihnen nicht auch zugeschrieben werden? Wenn es ihnen aber nicht zugeschrieben werden soll, wie kann es noch übrig sein? Oder soll dies Bestreben und Bemühen vor der Gnade auch der zukünftigen Gnade und nicht dem freien Willen übrig sein, so daß es zugleich übrig sei und nicht übrig sei für denselben freien Willen? Wenn dies nicht sonderbare Sätze, oder vielmehr Ungeheuerlichkeiten sind, was sind dann Ungeheuerlichkeiten?

Aber es träumt der Diatribe vielleicht dieses, daß zwischen den beiden Dingen, das Gute wollen können und das Gute nicht wollen können, noch ein Mittelding liege, nämlich das Wollen an und für sich selbst (absolutem velle), wo keine Rücksicht genommen wird, weder auf Gutes, noch auf Böses, damit wir so durch eine dialectische Spitzfindigkeit den Klippen entgehen und sagen: Im Willen des Menschen sei ein gewisses Wollen, welches zwar ohne die Gnade nichts zum Guten vermöge, aber doch ohne die Gnade nicht sofort nur das Böse wolle, sondern es sei ein reines und bloßes Wollen, das sich durch die Gnade nach oben zum Guten wenden könne, durch die Sünde nach unten zum Bösen. Aber wo bleibt dann das, was (oben) gesagt ist: Nachdem die Freiheit verloren ist, muß der Wille der Sünde dienen? Wo bleibt dann jenes Bestreben, welches noch übrig ist, und das Bemühen? wo die Kraft, sich zu dem zu wenden, was zur ewigen Seligkeit gehört? Denn das Vermögen, sich zur Seligkeit zu bereiten, kann nicht ein bloßes Wollen sein, wenn man nicht sagen will, die Seligkeit selbst sei nichts. Ferner kann auch das Bestreben und Bemühen nicht ein bloßes Wollen sein, denn das Bestreben muß auf irgend etwas (nämlich aufs Gute) gerichtet sein und sich darum bemühen und kann nicht auf Nichts gewendet werden oder ruhen. Kurz, wohin auch immer die Diatribe sich wendet, so kann sie doch den Widersprüchen und widerstreitenden Aussprüchen sich nicht entwinden, daß nicht ebensowohl gerade der freie Wille, welchen sie vertheidigt, ein gefangener sei, als sie selbst gefangen ist. Denn bei dem Freimachen des Willens wird sie so verstrickt, daß sie selbst zusammen mit dem freien Willen in unlöslichen Banden festgehalten wird.

Ferner ist es ein völlig dialectisches Fündlein, daß im Menschen ein in der Mitte stehendes, bloßes Wollen sei, und diejenigen, welche es behaupten, können das nicht beweisen; es ist entstanden aus der Unkenntniß der Dinge und der Ehrerbietung gegen Worte, als ob es sich in Wirklichkeit beständig so verhielte, wie es in Worten dargelegt wird; dergleichen Dinge sind ohne Zahl bei den Sophisten. Die Sache verhält sich vielmehr so, wie Christus sagt (Luc. 11,23.): „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich“; er sagt nicht: Wer nicht mit mir ist, und auch nicht wider mich, sondern in der Mitte ist. Denn wenn Gott in uns ist, so ist der Teufel fort, und nur das Wollen des Guten ist da. Wenn Gott weg ist, so ist der Teufel da, und nur das Wollen des Bösen ist in uns. Weder Gott noch der Teufel lassen ein reines und bloßes Wollen in uns zu, sondern, wie du richtig gesagt hast, nachdem die Freiheit verloren ist, werden wir gezwungen, der Sünde zu dienen, das ist, wir wollen die Sünde und das Böse, wir reden Sünde und Böses, wir thun Sünde und Böses. Siehe, dahin hat die unüberwindliche und überaus kräftige Wahrheit deine Diatribe ganz unversehens getrieben, und ihre Weisheit zur Thorheit gemacht, daß sie gegen sich selbst reden mußte und für uns, da sie gegen uns reden wollte: ganz ebenso, wie der freie Wille etwas Gutes thut; denn dann, wenn er gegen das Böse etwas thut, thut er am meisten übel gegen das Gute, so daß die Diatribe gerade so ist im Reden, wie der freie Wille im Thun. Doch ist auch die Diatribe ganz und gar nichts Anderes, als ein treffliches Werk des freien Willens, denn durch ihr Vertheidigen verwirft sie, und durch ihr Verwerfen vertheidigt sie, das heißt, sie ist zwiefach thöricht, wenn sie weise scheinen will.

So verhält es sich mit der ersten Meinung, wenn man sie für sich betrachtet, daß sie leugnet, daß der Mensch etwas Gutes wollen könne, und doch sei ein Bestreben übrig, welches aber auch nicht sein eigenes sei. Nun wollen wir sie gegen die beiden anderen halten. Denn die eine ist härter, welche dafürhält, der freie Wille habe kein anderes Vermögen als zu sündigen. Dies ist aber die Meinung des Augustinus, welche er an vielen anderen Stellen ausspricht, aber insonderheit in dem Buche „vom Geist und Buchstaben“, wenn ich nicht irre, im vierten oder fünften Capitel, wo er gerade diese Worte gebraucht.

Die dritte, allerhärteste Meinung ist die Wyclefs und Luthers, der freie Wille sei ein leerer Name, und alles, was geschehe, geschehe aus reiner Notwendigkeit. Mit diesen beiden Meinungen streitet die Diatribe. Hier sage ich, daß wir vielleicht nicht genug Lateinisch oder Deutsch verstehen, so daß wir die Sache selbst nicht völlig haben mit Worten anzeigen können. Aber ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich mit den Worten der beiden letzten Meinungen nichts Anderes habe sagen wollen, auch nichts Anderes habe verstanden wissen wollen, als das, was in der ersten Meinung ausgesprochen wird. Ich glaube auch nicht, daß Augustinus etwas Anderes gewollt habe, ich verstehe auch aus seinen Worten nichts anders, als was die erste Meinung sagt, so daß die drei von der Diatribe angeführten Meinungen bei mir nichts sind, als jene meine Eine Meinung. Denn nachdem es zugegeben und angenommen ist, daß der freie Wille, nach Verlust seiner Freiheit, gezwungen wird unter die Knechtschaft der Sünde und nichts Gutes wollen kann, so kann ich aus diesen Worten nichts Anderes vernehmen, als daß der freie Wille ein leeres Wort ist, dessen Inhalt verloren ist. Mein Deutsch (Grammatica) nennt eine verlorne Freiheit keine Freiheit. Wenn man aber dem, was keine Freiheit hat, den Titel der Freiheit beilegt, so heißt das, ein leeres Wort beilegen. Wenn ich hier irre, so weise mich zurecht, wer da kann; wenn dies dunkel und ungewiß ist, so mache, wer da kann, es hell und gewiß. Ich kann eine verlorene Gesundheit nicht Gesundheit nennen, und wenn ich dieselbe einem Kranken beilegen sollte, so glaube ich, daß ich ihm nichts Anderes beigelegt habe, als einen leeren Namen.

Doch weg mit diesen Mißgeburten von Worten! Denn wer könnte einen solchen Mißbrauch im Reden leiden, daß man zugleich sage, der Mensch habe einen freien Willen, und doch auch zugleich fest behaupte, er werde, nachdem er die Freiheit verloren habe, unter die Knechtschaft der Sünde gezwungen und könne nichts Gutes wollen? Dies streitet wider die gesunde Vernunft und hebt den Sprachgebrauch gänzlich auf. Vielmehr muß die Diatribe angeklagt werden, die ihre Worte schläfrig herplaudert und auf die Worte anderer Leute nicht Acht hat. Ich sage, sie erwägt nicht, was das sei und wie viel das in sich halte, wenn man sagt: Der Mensch hat die Freiheit verloren, er wird gezwungen, der Sünde zu dienen, und er kann nichts Gutes wollen. Denn wenn sie wachte und Achtung gäbe, so würde sie klar sehen, daß die drei Meinungen nur Einen Sinn haben; sie aber macht daraus verschiedene, einander widerstreitende Meinungen. Denn wer die Freiheit verloren hat und gezwungen wird, der Sünde zu dienen, was kann über den wohl richtiger gefolgert werden, als daß er (von Noth) sündigen oder das Böse wolle? Denn so würden auch die Sophisten in ihren Schlußreden schließen. Darum streitet die Diatribe auf unglückliche Weise über die Maßen wider die beiden letzten Meinungen, während sie die erste billigt, welche mit jenen eine und dieselbe ist, indem sie nach ihrer Weise sich selbst verwirft und unsere Sache beweist in einem und demselben Artikel.

Nun wollen wir auf die Stelle aus Jesus Sirach kommen und damit jene erste annehmbare Meinung vergleichen. Die Meinung sagt: Der freie Wille könne das Gute nicht wollen; die Stelle aus Sirach wird aber angezogen, um zu beweisen: Der freie Wille sei und vermöge etwas. Es begreift also die Meinung, welche aus dem Sirach bewährt werden sollte, etwas Anderes in sich, als das Andere, wofür Sirach angezogen wird, um es zu bestätigen; gleich als wenn jemand beweisen wollte, Christus sei der Messias, und eine Stelle anführen wollte, welche bewiese, daß Pilatus Landpfleger in Syrien gewesen sei, oder sonst irgend etwas, was zu zwei Octaven zugleich stimmen möchte. In solcher Weise wird auch hier der freie Wille bewiesen; davon zu schweigen, was ich oben gefordert habe, daß nichts in klarer und gewisser Weise gesagt oder bewiesen wird, was der freie Wille sei und was er vermöge. Doch es ist der Mühe werth, die ganze Stelle genau anzusehen.

Zuerst sagt er: „Gott hat den Menschen von Anfang geschaffen.“ Hier redet er von der Schöpfung des Menschen, sagt aber noch nichts, weder vom freien Willen, noch von den Geboten.

Es folgt: „Und hat ihm die Wahl gelassen.“ Was steht denn hier? Wird etwa hier der freie Wille behauptet? Aber hier wird der Gebote nicht einmal gedacht, für die der freie Wille gefordert wird, noch wird darüber irgend etwas gelesen bei der Schöpfung des Menschen. Was daher hier (unter der Wahl) verstanden wird, muß vielmehr darnach gedeutet werden, was im ersten und zweiten Capitel des ersten Buchs Mosis gesagt wird (Cap. 1,26.): Der Mensch ist zum Herrn aller Creaturen gesetzt, daß er frei über sie herrschen sollte, wie Moses sagt: „Lasset uns Menschen machen, die da herrschen über die Fische im Meer.“ Und aus diesen Worten kann nichts Anderes erwiesen werden. Denn da konnte der Mensch mit den Creaturen nach seinem Willen handeln, als solchen Dingen, die ihm unterworfen waren. Endlich nennt er dies des Menschen Rath, gleichsam ein anderes als Gottes Rath. Hierauf aber, nachdem er gefügt hat, daß ihm die Wahl gegeben und gelassen sei, fährt er fort: „Er that hinzu seine Gesetze und Gebote.“ Wozu hat er sie hinzugethan? Freilich zu dem Rathe und Willen des Menschen und zur Einsetzung der menschlichen Herrschaft über die anderen Dinge. Durch diese Gebote nahm er dem Menschen die Herrschaft über einen Theil der Creaturen (nämlich über den Baum der Erkenntniß des Guten und des Bösen), und wollte vielmehr, daß er nicht frei sein sollte. Nachdem aber die Gebote hinzugethan waren, konnte von einem Willen des Menschen gegen Gott und das, was Gottes ist, die Rede sein.

„Willst du die Gebote halten, so werden sie dich erhalten“ etc. Also von dieser Stelle: „Willst du“ fängt die Frage vom freien Willen an, so daß wir aus Sirach verstehen können, der Mensch sei unter zwei Reiche zertheilt, eines, in welchem er durch seinen Willen und Rath geleitet wird, ohne Gottes Gebote und Befehle, nämlich in Sachen, die unter ihm sind. Hier herrscht er und ist Herr, da ihm seine Wahl freigegeben ist. Nicht, daß Gott ihn so verließe, daß er nicht in allen Dingen mitwirkte, sondern, daß er ihm den freien Gebrauch der Dinge nach seinem Willen eingeräumt und ihn durch keine Gesetze oder Gebote verhindert hat, als wenn man gleichnißweise sagen würde: das Evangelium hat es in unserer Wahl gelassen, daß wir über die Dinge herrschen und sie gebrauchen mögen, wie wir wollen. Aber Moses und der Pabst haben uns nicht in dieser Wahl gelassen, sondern haben uns mit Gesetzen in Zwang gehalten und uns vielmehr ihrem Willen unterworfen. Aber im anderen Reiche wird ihm die Wahl nicht gelassen, sondern er wird geführt und geleitet durch den Willen und Rath Gottes, so daß, gleichwie er in seinem Reiche durch seinen Willen ohne die Gebote eines anderen geleitet wird, er auf solche Weise im Reiche Gottes durch die Gebote eines anderen geleitet wird ohne seinen Willen. Und dies ist, was Sirach sagt: „Er that hinzu Gebote und Gesetze“; „Willst du“ etc.

Wenn dies nun klar genug ist, so haben wir erstritten, daß diese Stelle Sirachs nicht für den freien Willen, sondern gegen den freien Willen gilt, weil dadurch der Mensch den Geboten und dem Willen Gottes unterworfen und seines Willens beraubt wird. Wenn dies nicht klar genug ist, so haben wir doch das ausgerichtet, daß diese Stelle nicht für den freien Willen gelten kann, weil sie in einem anderen Sinne als dem ihrigen verstanden werden kann, nämlich in unserem, den wir eben angegeben haben, welcher auch nicht ungereimt ist, sondern ganz passend und mit der ganzen Schrift übereinkommt, während der Sinn, welchen jene hineinlegen, mit der ganzen Schrift streitet und nur aus dieser Einen Stelle gezogen wird, gegen die ganze Schrift. Darum stehen wir sicher auf dem guten Verstande, der den freien Willen verneint, bis jene ihren bejahenden, schmierigen und gezwungenen Verstand bewiesen haben.

Wenn daher Sirach sagt: „Willst du die Gebote halten, so werden sie dich erhalten und (willst du) den wohlgefälligen Glauben halten“, so sehe ich nicht, wie aus diesen Worten der freie Wille bewiesen werden kann. Denn es ist ein Wort in abhängiger Form (conjunctivi modi), „Wenn du willst“, welches nichts behauptet, wie die Dialectiker sagen: Daß die bedingende Rede nichts behauptend aussage, als: Wenn der Teufel Gott ist, so wird er mit Recht angebetet; wenn der Esel fliegt, so hat der Esel Flügel; wenn es einen freien Willen gibt, so ist die Gnade nichts. Sirach hätte aber so reden müssen, wenn er den freien Willen hätte behaupten wollen: Der Mensch kann die Gebote Gottes halten, oder der Mensch hat das Vermögen, die Gebote zu halten.

Aber hier wird die Diatribe Spitzfindigkeiten erheben: Dadurch, daß Sirach sagt: „Wenn du halten willst“, zeigt er an, daß in dem Menschen der Wille sei zu halten und nicht zuhalten, denn was sollte das sonst heißen, daß man zu dem, der den Willen nicht hat, sagen sollte: „Wenn du willst“? Ist es nicht lächerlich, wenn jemand zu einem Blinden sagen wollte: Wenn du sehen willst, so wirst du einen Schatz finden, oder zu einem Tauben: Wenn du hören willst, so will ich dir eine gute Geschichte erzählen? Das hieße ihres Elendes lachen.

Ich antworte: Dies sind Gründe der menschlichen Vernunft, welche solche Weisheit von sich zu geben pflegt. Deshalb haben wir bereits nicht mehr mit Sirach, sondern mit der menschlichen Vernunft zu streiten über die Folgerung, denn sie (die Vernunft) legt die Schrift Gottes mit ihren Folgerungen und Schlußreden aus und zieht sie, wohin sie will; und wir werden dies gern und zuversichtlich thun, weil wir ja wissen, daß sie nur thörichte und ungereimte Dinge schwatzt, besonders dann, wenn sie anfängt in heiligen Dingen ihre Weisheit zu zeigen.

Und erstlich, wenn ich frage, womit denn bewiesen werde, daß dies die Meinung sei oder doch dies daraus folge, es sei ein freier Wille im Menschen, jedesmal, wenn gesagt wird: Wenn du willst. Wenn du thust. Wenn du hörst? so wird sie (die Vernunft) sagen: Weil es so scheint, daß es die Art der Worte und der Sprachgebrauch unter den Menschen erfordere. Also bemißt sie (die Vernunft) göttliche Dinge und Worte nach dem Gebrauche und den Sachen der Menschen. Was ist verkehrter als das? denn jenes ist göttlich, dieses menschlich. Sie erweist sich also selbst als thöricht, wie sie keine anderen als menschliche Gedanken von Gott haben kann.

Doch wie, wenn ich beweise, daß die Art der Worte und der Sprachgebrauch auch bei den Menschen es nicht immer mit sich bringen, daß diejenigen verlacht werden, welche nicht vermögen, so oft man zu ihnen sagt: Wenn du willst. Wenn du thust. Wenn du hörst? Wie oft spielen doch Eltern mit ihren Kindern, wenn sie dieselben locken, entweder zu ihnen zu kommen, oder dies oder jenes zu thun, nur um deß willen, damit es offenbar werde, wie gar sie es nicht vermögen, und gezwungen werden, den Beistand des Vaters anzurufen? Wie oft heißt ein pflichtgetreuer Arzt einen eigensinnigen Kranken, etwas zu thun oder zu lassen, was ihm entweder unmöglich oder schädlich ist, damit er ihn durch die Erfahrung zur Erkenntniß seiner Krankheit oder seines Unvermögens bewege, wozu er ihn durch keinen anderen Grund bringen konnte? Und was ist gebräuchlicher und häufiger, als mit Worten Trotz zu bieten und herauszufordern, wenn wir entweder Feinden oder Freunden zeigen wollen, was sie vermögen und nicht vermögen? Dies führe ich nur an, um der Vernunft ihre Folgerungen zu zeigen, wie thöricht sie dieselben der Schrift andichte, dann auch, wie blind sie sei, daß sie nicht sieht, daß dieselben auch in menschlichen Dingen und Worten nicht immer statthaben. Aber wenn sie sieht, daß es bisweilen so geschieht, läßt sie sich alsbald voreilig hinreißen, und urtheilt, daß es ganz allgemein in allen Worten Gottes und der Menschen geschehe, und macht aus dem Besonderen ein Allgemeines, wie ihre Weisheit zu thun pflegt.

Wenn nun Gott gleichwie ein Vater mit uns als mit seinen Kindern handeln wollte, um uns, die wir es nicht wissen, unser Unvermögen zu zeigen, oder wie ein getreuer Arzt uns unsere Krankheit bekannt zu machen, oder uns als seinen Feinden, die hoffährtig seinem Rathe widerstehen, Trotz zu bieten, und um deß willen seine Gebote uns vorhielte (durch welche er es am bequemsten ausrichten kann) und spräche: Thue, höre, halte, oder: Wenn du hören willst, wenn du willst, wenn du thust, würde denn etwa hieraus in richtiger Folgerung geschlossen werden können: Also können wir es frei thun, oder Gott spottet unser? Warum sollte nicht vielmehr das die Folgerung sein: Also versucht uns Gott, damit er uns durch das Gesetz zur Erkenntniß unseres Unvermögens bringe, so wir Freunde sind; oder dann würde er uns in Wahrheit und mit Recht Trotz bieten und verspotten, wenn wir hoffährtige Feinde sind? Denn dies ist die Ursache, weshalb Gott das Gesetz gegeben hat, wie Paulus lehrt. Denn die menschliche Natur ist blind, daß sie nicht ihre eigenen Kräfte oder vielmehr Krankheiten kennt, dazu ist sie stolz und läßt sich dünken, sie verstehe und könne alles. Diesem Stolz und dieser Unwissenheit hat Gott mit keiner wirksameren Arznei begegnen können, als dadurch, daß er sein Gesetz gegeben hat. Hierüber werden wir am gehörigen Orte mehr sagen; hier ist es genug, daß eine kleine Probe gegeben ist, um die Folgerung der fleischlichen und thörichten Weisheit zu widerlegen: Wenn du willst, also kannst du frei wollen. Die Diatribe träumt, daß der Mensch unversehrt und gesund sei, wie er dem menschlichen Ansehen nach in seinen Angelegenheiten ist; darum klügelt sie, daß mit diesen Worten: Wenn du willst. Wenn du thust. Wenn du hörst, der Mensch verspottet werde, wenn sein Wille nicht frei wäre. Die Schrift aber malt den Menschen so ab, daß er verderbt und gefangen sei, dazu, daß er seine Verderbniß und Gefangenschaft verachte und nicht erkenne. Darum sticht sie ihn mit diesen Worten und weckt ihn auf, damit er wenigstens durch handgreifliche Erfahrung zu der Erkenntniß gebracht werde, wie gar nichts von diesen Dingen er vermag.

Aber ich will die Diatribe selbst angehen: Wenn du wirklich dafürhältst, o kluge Frau Vernunft, daß jene Folgerungen feststehen: „Wenn du willst, also hast du das freie Vermögen“, warum kommst du selbst ihnen denn nicht nach? Denn du sagst in jener annehmbaren Meinung, der freie Wille könne nicht irgend etwas Gutes wollen. Durch was für eine Folgerung mag nun wohl zugleich aus dieser Stelle: „Willst du halten“, dieses herkommen, da du sagst, es ergebe sich daraus, daß der Mensch frei wollen und nicht wollen könne? Fließt denn aus derselben Quelle süß und bitter? Oder verspottest auch du vielmehr hier den Menschen, indem du sagst, er könne das halten, was er weder wollen noch wünschen kann? Darum hältst auch du nicht von Herzen dafür, daß es eine gute Folgerung sei: „Wenn du willst, also hast du ein freies Vermögen“, obgleich du so großen Streit darüber erhebst; oder du sagst nicht von Herzen, daß jene Meinung annehmbar sei, welche dafürhält, der Mensch könne das Gute nicht wollen. So wird die Vernunft gefangen durch Folgerungen und Worte ihrer Weisheit, daß sie nicht weiß, was oder wovon sie rede. Es ist aber sehr angemessen, daß der freie Wille durch solche Gründe vertheidigt werde, welche sich gegenseitig verzehren und wider einander schließen, gleichwie die Midianiter sich durch gegenseitiges Würgen selbst verderbten, da sie wider Gideon und das Volk Gottes stritten (Richt. 7,22.).

Ja, ich will noch weiter Beschwerde führen gegen diese Weisheit der Diatribe. Sirach sagt nicht: Wenn du das Bestreben oder Bemühen hast, zu halten, welches doch nicht deinen Kräften zugeschrieben werden soll, wie du schließest, sondern er sagt so: „Willst du die Gebote halten, so werden sie dich erhalten.“ Wenn wir nun nach dem Brauche deiner Weisheit Folgerungen ziehen wollen, so werden wir so schließen: Also kann der Mensch die Gebote halten. Aber so würden wir nicht ein ganz geringes Bestreben oder ein ganz kleines Bemühen hier im Menschen setzen, sondern die ganze Fülle und überreichliches Halten der Gebote würden wir ihm beilegen; sonst würde ja Sirach des Menschen spotten, dadurch, daß er ihm das beföhle zu halten, wovon er doch wußte, daß er es nicht halten könnte. Und es würde nicht genug sein, daß er das Bemühen und Bestreben hätte, denn auch so würde er dem Verdachte des Verspottens nicht entgehen, wenn er nicht anzeigte, daß er die Kraft besäße, es zu halten.

Wir wollen aber annehmen, daß jenes Bestreben und Bemühen des freien Willens etwas sei; was wollen wir zu jenen, nämlich den Pelagianern, sagen, welche auf Grund dieser Stelle die Gnade ganz und gar leugneten und dem freien Willen alles beilegten? Die Pelagianer hätten völlig gesiegt, wenn die Folgerung der Diatribe feststände. Denn die Worte Sirachs lauten vom Halten, nicht vom Bemühen oder Bestreben. Wenn du nun den Pelagianern die Folgerung vom Halten ableugnen wolltest, so werden sie wiederum mit viel größerem Rechte dir die Folgerung von dem Bemühen ableugnen. Und wenn du ihnen den ganzen freien Willen nehmen willst, so werden sie dir auch das übrige kleine Stücklein wegnehmen, da du von einem Stücklein das nicht behaupten kannst, was du dem Ganzen absprichst. Was du daher auch wider die Pelagianer sagen möchtest, welche auf Grund dieser Stelle dem freien Willen alles beilegen, das können wir viel beweiskräftiger gegen das ganz geringe Bestreben deines freien Willens sagen. Und die Pelagianer stimmen insofern mit uns überein, daß, wenn ihre Meinung aus dieser Stelle nicht bewiesen werden kann, viel weniger irgend eine andere daraus würde bewiesen werden können. Denn wenn die Sache mit Folgerungen gehandelt werden muß, so beweist Sirach aufs allerstärkste für die Pelagianer, da er mit klaren Worten vom ganzen Halten redet: „Willst du die Gebote halten.“ Ja, er sagt auch vom Glauben: „Willst du den wohlgefälligen Glauben halten“, so daß nach derselben Folgerung auch den Glauben zu halten in unserem Vermögen stehen müßte, der doch Gottes besondere und eine seltene Gabe ist, wie Paulus sagt.

Kurz, da so viele Meinungen für den freien Willen aufgestellt werden, und keine ist, die nicht diese Stelle für sich in Anspruch nimmt, und dieselben verschieden und unter einander widersprechend sind, darum können sie nichts aus ihr beweisen. Doch, wenn jene Folgerung zugelassen wird, so beweist sie allein für die Pelagianer gegen alle anderen; darum beweist sie auch gegen die Diatribe, welche an dieser Stelle mit ihrem eigenen Schwerte erwürgt wird.

Wir aber sagen, wie im Anfang, daß diese Stelle Sirachs durchaus keinem von denen günstig ist, welche den freien Willen behaupten, sondern, daß sie gegen alle streitet. Denn jene Folgerung darf nicht zugelassen werden: Wenn du willst, also wirst du auch können; sondern sie muß so verstanden werden, daß durch dieses und ähnliche Worte der Mensch seines Unvermögens erinnert werde, welches er ohne diese göttlichen Ermahnungen aus Unwissenheit und Hochmuth nicht erkennen noch fühlen würde.

Wir reden hier aber nicht von dem ersten Menschen allein, sondern von einem jeglichen, obwohl wenig daran gelegen ist, ob man es verstehe vom ersten Menschen oder von irgend einem beliebigen. Denn obgleich der erste Mensch nicht unvermögend war, da ihm die Gnade beistand, so zeigt ihm doch Gott in diesem Gebote genugsam, wie unvermögend er wäre, wenn die Gnade nicht da ist. Da nun dieser Mensch, als noch der Geist bei ihm war, nicht vermochte, mit einem neuen Willen das Gute zu wollen, welches ihm von neuem vorgelegt war, das ist, den Gehorsam, weil der Heilige Geist diesen nicht hinzufügte, was vermöchten wir ohne den Geist in dem Guten, welches wir verloren haben?

Deshalb ist uns an diesem Menschen gezeigt worden, mit einem schrecklichen Beispiele, um unseren Stolz zu brechen, was unser freier Wille vermöge, wenn er sich selbst überlassen ist, und nicht beständig mehr und mehr getrieben und gestärkt wird durch den Geist Gottes. Adam vermochte nicht zu einem stärkeren Geist zu kommen, dessen Erstlinge er hatte, sondern fiel von den Erstlingen des Geistes: wie sollten denn wir vermögen, zu den Erstlingen des Geistes zu gelangen, nachdem sie weggenommen sind, da wir gefallen sind, zumal da der Teufel bereits in uns herrscht mit voller Gewalt, welcher jenen, da er noch nicht in ihm herrschte, durch die Eine Anfechtung gestürzt hat? Nichts Stärkeres könnte gegen den freien Willen vorgebracht werden, als wenn diese Stelle Sirachs zusammen mit dem Falle Adams behandelt würde; aber jetzt ist es nicht am Orte, und vielleicht anderswo wird sich die Gelegenheit bieten.

Für jetzt ist es genug, daß gezeigt worden ist, daß Sirach an dieser Stelle durchaus nichts für den freien Willen redet, welche sie doch für die Hauptstelle halten, und daß diese Stelle und ähnliche: Wenn du willst, Wenn du hörst. Wenn du thust, nicht zeigen, was der Mensch vermöge, sondern, was er schuldig ist. Eine andere Stelle wird von unserer Diatribe angezogen, 1 Mos. 4,7., wo der Herr zu Kain sagt: „Aber laß du der Sünde nicht ihren Willen, sondern herrsche über sie.“ „Hier wird zu erkennen gegeben (sagt die Diatribe), daß „die Lust zum Bösen leicht könnte überwunden werden und keine Nothwendigkeit zu sündigen mit sich brächte.“ Dieses „die Lust zum Bösen könnte überwunden werden“, obgleich es zweideutig geredet ist, wird doch nach dem Zusammenhang, und dem, was folgt, und nach der Sache selbst so verstanden werden müssen, daß der freie Wille vermöge, seine Regungen zum Bösen zu überwinden, und daß jene Regungen nicht die Nothwendigkeit zu sündigen mit sich bringen. Was wird denn hier wieder ausgelassen, das dem freien Willen nicht zugeschrieben wird? Wozu ist der Geist nöthig? wozu Christus? wozu Gott? wenn der freie Wille die Regungen des Herzens zum Bösen überwinden kann? Wo ist nun wiederum die annehmbare Meinung, welche sagt, daß der freie Wille auch nicht einmal das Gute wollen kann? Hier aber wird dem (freien Willen) der Sieg über das Böse beigelegt, welcher das Gute weder will, noch wünscht. Die Unbedachtsamkeit unserer Diatribe ist doch allzu übergroß!

Nimm die Sache einfach, wie ich gesagt habe. Durch solche Aussprüche wird dem Menschen gezeigt, was er zu thun schuldig ist, nicht was er thun kann. Zu Kain wird deshalb gesagt, daß er über die Sünde herrschen und ihren Willen unter sich halten solle. Aber dies hat er nicht gethan, auch nicht thun können, da er schon unter der fremden Herrschaft des Teufels lag. Denn es ist bekannt, daß die Hebräer von einer Sache, die geschehen soll, oft so reden, daß sie sagen, sie wird geschehen (indicativo futuro uti pro imperativo), wie 2 Mos. 20.: „Du wirst nicht andere Götter haben“, „Du wirst nicht tödten“, „Du wirst nicht ehebrechen“, und unzählige derartige Aussprüche. Sonst, wenn sie nach Art einer Aussage (indicative) genommen würden (wie sie lauten), so wären es Verheißungen Gottes, und da er nicht lügen kann, so würde es geschehen, daß kein Mensch sündigte, und die Gebote wären ohne Noth gegeben. So hätte unser Dolmetscher an dieser Stelle richtiger so übersetzen sollen: „Aber ihr Begehren soll unter dir sein und du herrsche über sie.“ Wie es auch vom Weibe hätte heißen sollen (1 Mos. 3,16.): „Du sollst unter deinem Manne sein und er soll über dich herrschen.“ Denn daß es nicht nach Art einer Aussage zu Kain gesagt worden ist, beweist das, weil es dann eine göttliche Verheißung gewesen wäre; aber es ist keine Verheißung gewesen, weil das Gegentheil eintrat und durch Kain geschah.

Die dritte Stelle ist aus Moses (5 Mos. 30,15.19.): „Ich habe dir vorgelegt den Weg zum Leben und den Weg zum Tode, erwähle das Gute“ etc. Was (sagt sie (die Diatribe)) kann Deutlicheres gesagt werden? Die Freiheit der Wahl überläßt er dem Menschen. Ich antworte: Was ist offenbarer, als daß du hier blind bist? Wo, ich bitte dich, hat er die Freiheit der Wahl überlassen? Etwa in dem, daß er sagt: Erwähle? Also sofort, wie Moses sagt „erwähle“, so geschieht es, daß sie erwählen? Also wiederum ist der Geist nicht nothwendig. Und da du dasselbe so oft wiederholst und einbläuest, so wird es mir auch gestattet sein, dasselbe öfter wieder zu sagen. Wenn die Freiheit der Wahl da ist, warum hat denn die annehmbare Meinung gesagt, der freie Wille könne das Gute nicht wollen? kann er denn erwählen, ohne daß er will, oder wenn er nicht will? Doch wir wollen das Gleichniß hören:

„Es wäre lächerlich, wenn man zu einem, der bei einer Wegscheide stille steht, sagen wollte: hier siehest du zwei Wege, gehe, welchen du willst, da doch nur der eine ihm offen stände.“

Dies fällt unter das, was ich oben von den Gründen der fleischlichen Vernunft gesagt habe, daß sie meint, der Mensch werde verspottet durch ein unmögliches Gebot, wovon wir sagen, daß er dadurch ermahnt und aufgeweckt werden soll, damit er sein Unvermögen erkenne. Wir sind also in Wahrheit an der Wegscheide, aber nur der eine Weg steht offen, ja, keiner steht offen; es wird aber durch das Gesetz gezeigt, wie der eine zum Guten unmöglich ist, wenn Gott nicht den Geist schenkt, der andere aber, wie breit und leicht der ist, wenn Gott ihn zuläßt. Es wäre also nicht lächerlich, sondern es würde dem bei einer Wegscheide stille Stehenden mit einem nothwendigen Ernste gesagt: gehe, welchen Weg du willst, wenn er, obwohl er schwach ist, sich stark dünken wollte, oder behauptete, keiner der beiden Wege wäre versperrt. Darum werden die Worte des Gesetzes geredet, nicht, daß sie die Kraft des Willens bestätigen sollen, sondern, daß sie die blinde Vernunft erleuchten, damit sie dadurch erkenne, wie ihr Licht gar nichts sei und die Kraft des Willens nichts. „Durch das Gesetz (sagt Paulus (Röm. 3,20.)) kommt Erkenntniß der Sünde“; er sagt nicht, Abthun oder Vermeiden der Sünde. Die ganze Ursache und Kraft des Gesetzes liegt allein in der Erkenntniß, und zwar nur der Sünde, um die zuwege zu bringen, nicht aber darin, daß irgend eine Kraft angezeigt oder übertragen werde. Denn die Erkenntniß ist nicht eine Kraft, noch gibt sie Kraft, sondern unterrichtet und zeigt, daß da keine Kraft sei, und wie groß da die Schwachheit sei. Denn die Erkenntniß der Sünde, was kann sie anders sein, als die Kenntniß unserer Schwachheit und unseres Uebels? denn er sagt nicht: durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Kraft oder des Guten; sondern alles, was das Gesetz thut (wie Paulus bezeugt), ist, daß es uns zur Erkenntniß der Sünde bringen soll.

Und dies ist die Stelle, aus der ich diese Antwort genommen habe, daß der Mensch durch die Worte des Gesetzes ermahnt und unterrichtet werde, was er thun solle, nicht, was er thun könne, das ist, daß er die Sünde erkenne, nicht daß er glaube, er habe irgend welche Kraft. Demgemäß, lieber Erasmus, so oft du mir die Worte des Gesetzes entgegenhältst, werde ich dir jenen Ausspruch des Paulus entgegenstellen: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde“, nicht Kraft des Willens. Bringe daher aus den größten Sammlungen von Bibelstellen (ex Concordantiis majoribus) alle Worte, die gebotsweise geredet sind, auf einen Haufen, nur daß es nicht Verheißungen seien, sondern Forderungen und Worte des Gesetzes, so werde ich alsbald sagen, daß durch dieselben immer angezeigt werde, was die Menschen thun sollen, nicht was sie thun können oder wirklich thun. Und das wissen auch die Sprachlehrer und die Kinder auf den Gassen, daß durch Worte in der Befehlsform nichts mehr bezeichnet werde, als das, was geschehen soll. Was aber geschieht oder geschehen kann, das muß durch Worte, welche die Wirklichkeit ausdrücken (indicativis), gesagt werden.

Wie kommt es daher, daß ihr Theologen so narret, gleich als wäret ihr zwiefältig Kinder, daß ihr alsbald, wenn ihr ein Wort in Befehlsform findet, daraus die Wirklichkeit schließet, als ob sogleich, wie nur befohlen ist, es auch notwendiger Weise gethan, oder zu thun möglich sei. Wie oft geschieht es, daß jemand das Bißlein, welches er schon im Munde zu haben vermeint, nicht bekommt; wie oft, daß das, was du befiehlst, mag es auch noch so möglich sein, nicht geschieht? So weit sind befehlende Wörter und Wörter, welche die Wirklichkeit anzeigen, von einander, auch in gewöhnlichen und ganz leichten Dingen. Und ihr macht uns in diesen Dingen, die weiter auseinander sind als Himmel und Erde, und die sogar unmöglich sind, so plötzlich Wörter der Wirklichkeit aus befehlenden Wörtern, daß ihr wollt, sie seien alsbald gehalten, gethan, erwählt und erfüllt, so gar, daß sie solche werden aus unseren Kräften, sobald ihr die Stimme dessen hört, der da befiehlt: Thue, halte, erwähle.

Viertens, aus dem fünften Buche Mosis im dritten und dreißigsten Capitel bringst du viele ähnliche Worte vom Erwählen, Abwenden und Halten bei, wie: „Wenn du hältst, wenn du dich abwendest, wenn du erwählst“ etc. Dies, sagst du, wäre alles vergeblich ausgesprochen, wenn der Wille des Menschen nicht frei wäre zum Guten.

Ich antworte: Und du, liebe Diatribe, nimmst aus diesen Worten ganz ungeschickt die Freiheit des Willens ab. Denn nur das Bemühen und Bestreben des freien Willens hast du beweisen wollen, du ziehst aber keine Stelle an, welche ein solches Bemühen beweise. Du führst aber solche Stellen an, welche, wenn deine Folgerung statthätte, dem freien Willen alles beilegen. Hier müssen wir daher wiederum die angezogenen Worte der Schrift und die daran gehängte Folgerung der Diatribe unterscheiden. Die angeführten Worte sind befehlende, sie sagen nur, was geschehen soll, denn Moses sagt nicht: Du hast Kraft oder Vermögen zu erwählen, sondern: Erwähle, halte, thue. Er gibt Gebote, was man thun soll, er beschreibt aber nicht das Vermögen des Menschen. Die Folgerung aber, welche die kluge Diatribe daran gehängt hat, schließt: Also kann der Mensch solches, sonst wäre es vergeblich geboten. Darauf wird geantwortet: Frau Diatribe, ihr schließet schlecht, ihr beweist auch nicht die Folgerung, sondern eurer Blindheit und Schläfrigkeit scheint das zu folgen und bewiesen zu werden. Es wird aber nicht ungeschickt und vergeblich befohlen, sondern damit der hochmüthige und blinde Mensch dadurch die Krankheit seines Unvermögens lerne, wenn er versucht zu thun, was geboten wird. So taugt auch dein Gleichniß nichts, da du sagst:

„Sonst wäre es eben, als wenn man zu einem Menschen, der so angebunden wäre, daß er den Arm nur auf die linke Seite ausstrecken könnte, sagen wollte: Siehe, da hast du zur Rechten den köstlichsten Wein und zur Linken Gift, strecke die Hand aus, zu welchem du willst.“

Ich glaube, daß diese deine Gleichnisse dich sonderlich kitzeln, aber zu gleicher Zeit siehst du nicht, daß, wenn deine Gleichnisse bestehen, sie viel mehr beweisen, als du zu beweisen vorgenommen hast, ja, daß sie beweisen, was du leugnest und verworfen wissen willst, nämlich, daß der freie Wille alles vermöge. Denn beständig hast du in diesem Handel vergessen, daß du gesagt hast, der freie Wille vermöge nichts ohne die Gnade, und beweisest, daß der freie Wille alles vermöge ohne die Gnade. Denn das bringen deine Folgerungen und Gleichnisse mit sich, daß entweder der freie Wille von sich selbst das vermöge, was gesagt und geboten wird, oder daß es vergebens, lächerlich und ungeschickt geboten sein muß. Dies sind aber die alten Lieder der Pelagianer, welche auch von den Sophisten verworfen sind, und welche du selbst verdammt hast. Doch indessen zeigst du durch diese Vergeßlichkeit und dein schlechtes Gedächtniß, wie gar nicht du diese Sache verstehst, und wie dir daran nichts liegt. Denn was ist schimpflicher für einen Redner, als beständig andere Dinge zu behandeln und zu beweisen, die mit seiner Sache nichts zu thun haben, ja, als daß er immer gegen seine Sache und sich selbst redet?

Ich sage daher von neuem: Die Worte der Schrift, welche du anführst, sind befehlende und beweisen nichts, lehren nichts in Bezug auf menschliche Kräfte, sondern schreiben vor, was man thun und lassen soll. Die Folgerungen aber oder Zusätze und deine Gleichnisse, wenn sie überhaupt etwas beweisen, beweisen dies, daß der freie Wille alles vermöge ohne die Gnade. Das aber zu beweisen hast du dir nicht vorgenommen, ja, du hast es in Abrede genommen; darum sind Beweise der Art nichts Anderes, als die stärksten Gegenbeweise. Denn wenn ich schließe (ob ich vielleicht die Diatribe aus ihrer Schlafsucht aufwecken kann): Wenn Moses sagt: Erwähle das Leben und halte das Gebot, der Mensch aber das Leben nicht erwählen und das Gebot nicht halten könnte, so hätte Moses dem Menschen jenes lächerlicherweise befohlen; hätte ich dann etwa durch diesen Grund bewiesen, daß der freie Wille nichts Gutes vermöge, oder daß er sich bemühen könne ohne eigene Kräfte? Nein, vielmehr habe ich mit gar starkem Grunde bewiesen, daß der Mensch entweder das Leben erwählen und das Gebot halten könne, wie ihm befohlen wird, oder Moses wäre ein lächerlicher Gesetzgeber; aber wer würde es wagen zu sagen, daß Moses ein lächerlicher Gesetzgeber sei? Also folgt, der Mensch vermöge das, was geboten wird. Auf diese Weise streitet die Diatribe gegen das, was sie selbst aufgestellt hat, wovon sie versprochen hat, daß sie auf solche Weise nicht davon handeln werde, sondern sie wolle ein gewisses Bemühen des freien Willens darthun. Dessen aber erinnert sie sich nicht viel in der ganzen Reihe von Gründen, noch viel weniger beweist sie es, ja sogar, sie beweist vielmehr das Gegentheil, so daß sie vielmehr alles spöttisch sagt und handelt.

Mag es nun gleich lächerlich sein, nach dem angeführten Gleichniß, daß einer, der mit dem rechten Arme angebunden ist, aufgefordert werde, die Hand nach der rechten Seite hin auszustrecken, da er es nur nach der linken Seite hin vermag: ist es denn etwa auch lächerlich, wenn er selbst, an beiden Armen gebunden, hochmüthig behaupten oder aus Unwissenheit sich vermessen sollte, daß er nach beiden Seiten hin alles vermöge, und ihm dann befohlen würde, nach beiden Seiten hin die Hand auszustrecken, nicht um seiner Gefangenschaft zu spotten, sondern damit der falsche Wahn von Freiheit und eigenem Vermögen ihm genommen würde, oder damit die Unkenntniß seiner Gefangenschaft und seines Elendes ihm bekannt würde? Die Diatribe bildet uns beständig einen solchen Menschen vor, der entweder vermöge, was befohlen wird, oder doch wenigstens erkenne, daß er es nicht vermöge. Aber ein solcher Mensch ist nirgends. Und wenn es einen solchen gäbe, dann würden uns in Wahrheit entweder unmögliche Dinge geboten, oder der Geist Christi wäre vergeblich.

Die Schrift aber hält uns einen solchen Menschen vor, welcher nicht nur gebunden ist, elend, gefangen, krank und todt, sondern der durch Wirkung seines Fürsten, des Teufels, zu allem seinem Jammer noch das Elend der Blindheit hinzufügt, daß er glaubt, er sei frei, glückselig, ungebunden, stark, gesund und lebendig. Denn der Teufel weiß, daß, wenn der Mensch sein Elend erkennen würde, er keinen in seinem Reiche behalten könnte, weil Gott nicht umhin könnte, sich der Menschen, welche ihr Elend erkennen und ihn anrufen, sofort zu erbarmen und ihnen zu helfen. Denn von Gotte wird in der ganzen Schrift mit großem Lobe gepredigt, daß er nahe ist bei denen, die zerschlagene Herzen haben, so daß auch Christus bezeugt, Jes. 61,1.2., er sei gesandt, den Armen das Evangelium zu predigen und die Zerschlagenen zu heilen. Demgemäß ist es ein Werk des Teufels, die Menschen festzuhalten, daß sie ihr Elend nicht anerkennen, sondern sich vermessen, daß sie alles können, was gesagt wird. Das Werk Mosis aber und eines Gesetzgebers ist dem entgegengesetzt, daß er durch das Gesetz dem Menschen sein Elend offenbar mache, damit er ihn, wenn er auf solche Weise zerschlagen und durch die Erkenntniß seiner selbst zu Schanden geworden ist, zur Gnade vorbereite und zu Christo bringe, und er so selig werde. Es ist darum nicht lächerlich, sondern sehr ernst und nothwendig, was durch das Gesetz gethan wird.

Diejenigen, welche dieses jetzt verstehen, verstehen zu gleicher Zeit auch leicht, daß die Diatribe mit der ganzen Reihe von Gründen durchaus nichts ausrichte, da sie aus der Schrift nur befehlende Wörter zusammenbringt, von denen sie nicht versteht, was sie bedeuten und weshalb sie gesagt sind; dann aber macht sie durch die Hinzufügung ihrer Folgerungen und fleischlichen Gleichnisse einen so großen Brei, daß sie mehr behauptet und beweist, als sie vorhatte, und wider sich selbst streitet, so daß es nicht nöthig wäre, ferner noch das Einzelne durchzugehen, denn durch Eine Lösung wird alles gelöst, da sich auf Einen Grund alles stützt. Doch damit die große Menge, womit sie mich hat überschütten wollen, überschüttet werde, will ich fortfahren und noch einige Sprüche anführen.

Jes. 1,19.: „Wenn ihr wollt und mich hören werdet, so werdet ihr die Güter des Landes essen“, wo es sich, nach dem Urtheile der Diatribe, „besser geschickt haben würde, wenn keine Freiheit des Willens da wäre, daß da stände: Wenn ich will, wenn ich nicht will.“

Nach dem Obengesagten ist die Antwort klar. Ferner, was für eine schickliche Rede wäre da, wenn gesagt wäre: Wenn ich will, so werdet ihr die Güter des Landes essen? Oder hält die Diatribe vor übergroßer Weisheit etwa dafür, daß die Güter des Landes gegessen werden können wider den Willen Gottes, oder daß das etwas Seltsames und Neues ist, daß wir die Güter nicht anders empfangen, außer wenn Gott will?

So ist auch die Stelle Jes. 21,12.: „Wenn ihr schon fraget, so fraget doch, bekehret euch und kommt wieder.“ Wozu hilft es, sie zu ermahnen, wenn sie durchaus nicht ihrer selbst mächtig sind? als wenn man zu einem, der in Ketten liegt, sagen wollte, „mache dich von dannen“, sagt die Diatribe. Ja, wozu hilft es doch (sage ich), Stellen anzuführen, welche für sich allein nichts beweisen, und die, wenn man Folgerungen anhängt, das ist, ihren Sinn verdreht, alles dem freien Willen beilegen, da doch allein ein gewisses Bemühen, welches aber auch nicht dem freien Willen zugeschrieben werden darf, hätte bewiesen werden sollen?

Dasselbe kann gesagt werden zu der Stelle Jes. 45,22.: „Versammelt euch und kommet herzu; wendet euch zu mir, so werdet ihr selig“, und Cap. 52,1.2.: „Mache dich auf, mache dich auf, mache dich aus dem Staub, mache dich los von den Banden deines Halses“; desgleichen Jer. 15,19.: „Wo du dich zu mir hältst, so will ich mich zu dir halten; wo du die Frommen lehrest, sich sondern von den bösen Leuten, so sollst du mein Lehrer sein.“ Deutlicher aber zeigt Sacharja das Bemühen des freien Willens an und die Gnade, welche dem, der sich bemüht, bereit ist (Sach. 1,3.): „Kehret euch (sagt er) zu mir, spricht der Herr Zebaoth, so will ich mich zu euch kehren, spricht der Herr.“

In diesen Stellen macht unsere Diatribe durchaus keinen Unterschied zwischen Worten des Gesetzes und des Evangelii, nämlich so blind und unwissend ist sie, daß sie nicht sieht, was Gesetz und was Evangelium ist. Denn aus dem ganzen Jesajas führt sie kein Wort des Gesetzes an, außer der Einen Stelle: „Wenn ihr wollt“; alle anderen sind evangelische Sprüche, durch welche die Zerschlagenen und Betrübten durch das Wort der angebotenen Gnade gerufen werden zum Troste. Aber die Diatribe macht aus ihnen Worte des Gesetzes. Ich bitte dich aber, was kann der in einer theologischen Angelegenheit oder in der heiligen Schrift ausrichten, der noch nicht so weit gekommen ist, daß er wüßte, was Gesetz, was Evangelium ist, oder, wenn er es weiß, es doch verachtet in Obacht zu nehmen? Der muß alles durcheinander mengen, Himmel und Hölle, Leben und Tod, und wird sich durchaus nicht bemühen, etwas von Christo zu wissen. Davon werde ich unten mit der Diatribe noch weiter reden.

Siehe die Sprüche Jeremiä und Sacharjä: „Wo du dich zu mir hältst, so will ich mich zu dir halten“, und: „Kehret euch zu mir, so will ich mich zu euch kehren.“ Folgt denn etwa: Kehret euch, also könnt ihr euch bekehren? Folgt etwa: Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, also kannst du ihn lieben von ganzem Herzen? Was beweisen also Gründe der Art anders, als daß der freie Wille der Gnade Gottes nicht bedürfe, vielmehr alles aus eigener Kraft vermöge? Wie viel richtiger werden daher die Worte so genommen, wie sie da gesetzt sind? „Wenn du dich bekehrst, so will auch ich mich zu dir bekehren“, das heißt, wenn du aufhören wirst zu sündigen, so werde auch ich aufhören dich zu strafen, und wenn du umkehren wirst und recht leben, so will ich auch wohlthun und deine Gefangenschaft und dein Uebel wenden. Aber aus denselben folgt nicht, daß sich der Mensch aus seiner eigenen Kraft bekehren könne, auch sagen dies die Worte selbst nicht, sondern sie sagen einfach: Wenn du dich bekehren möchtest; wodurch der Mensch dessen erinnert wird, was er zu thun schuldig ist. Wenn er aber erkannt und eingesehen hat, daß er es nicht thun kann, so möchte er suchen, woher er die Kraft nehmen möge, wenn nicht der Leviathan der Diatribe

(das ist, der Zusatz und ihre Folgerung) dazwischen käme, welche sagte: Sonst wäre es vergeblich geredet: „Bekehret euch“, wenn sich der Mensch nicht aus eigener Kraft bekehren könnte. Was das auf sich habe, und was es werth sei, darüber ist genug gesagt.

Es ist eine Art Stumpfsinn oder Schläfrigkeit, daß man glaubt, durch jene Worte: Bekehret euch, Wenn du dich bekehrst, und ähnliche, werde die Kraft des freien Willens bestätigt, und nicht Acht hat, daß aus demselben Grunde sie auch mit diesem Worte bestätigt würde: Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, da an beiden Stellen ein gleicher Ausdruck des Befehlens und Forderns ist. Es wird aber die Liebe gegen Gott nicht weniger gefordert, als unsere Bekehrung und das Halten aller Gebote, da die Liebe gegen Gott unsere wahre Bekehrung ist. Und doch folgert niemand aus jenem Gebote der Liebe den freien Willen, aber aus jenen Worten: Wenn du willst. Wenn du hörst, Bekehre dich, und ähnlichen, folgern ihn alle. Wenn also aus jenem Worte „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen“ nicht folgt, daß der freie Wille etwas sei oder vermöge, so ist es gewiß, daß er auch aus diesem nicht folgt: Wenn du willst, Wenn du hörst, Bekehret euch, und ähnlichen, welche entweder weniger fordern oder weniger streng fordern, als jenes: Liebe Gott, Liebe den Herrn.

Alles, was man daher antwortet auf jenes Wort „Liebe Gott“, daß es nicht für den freien Willen beweise, dasselbe kann man auch sagen in Bezug auf alle anderen Worte, durch welche etwas befohlen oder gefordert wird, daß sie nichts beweisen für den freien Willen. Nämlich durch das Wort „lieben“ wird die Form des Gesetzes gezeigt, was wir schuldig sind, nicht aber die Kraft des Willens oder was wir vermögen; vielmehr, was wir nicht vermögen. Dasselbe wird auch angezeigt durch alle anderen Worte, welche etwas erfordern. Denn es ist bekannt, daß auch die Scholastiker behaupten, mit Ausnahme der Scotisten und der Neueren (Modernis), daß der Mensch Gott nicht von ganzem Herzen lieben könne. So kann er auch keines von den anderen Geboten halten, da in diesem Einen Gebote alle anderen hangen, wie Christus bezeugt. So bleibt nur übrig, auch nach dem Zeugniß der scholastischen Doctoren, daß die Worte des Gesetzes die Kraft des freien Willens nicht darthun, sondern daß sie anzeigen, was wir schuldig sind und was wir nicht vermögen.

Aber unsere Diatribe folgert aus dem Spruch Sacharjä (1,3.): „Bekehret euch“, nicht allein die Wirklichkeit der Bekehrung (indicativum), sondern behauptet, auch das Bemühen des freien Willens und die Gnade, welche dem bereitet ist, der sich bemüht, daraus zu beweisen. Und hier erinnert sie sich doch endlich einmal ihres Bemühens. Und nach der neuen Sprachlehre bedeutet bei ihr „sich bekehren“ ebendasselbe, was bemühen, daß der Sinn sein soll: „Bekehret euch zu mir“, das heißt, bemühet euch, daß ihr euch bekehret, und: „ich will mich zu euch kehren“, das heißt, ich will mich bemühen, mich zu euch zu kehren, damit sie auch einmal Gotte ein Bemühen zuschreibe und vielleicht auch seinem (Gottes) Bemühen Gnade bereiten will; denn wenn an Einer Stelle „sich kehren“ bedeutet, sich bemühen, warum nicht überall?

Wiederum, durch die Stelle Jer. 15,19.: „Wenn du das Kostbare vom Unwerthen scheiden wirst“, sagt sie, werde die Freiheit, zu erwählen, nicht allein das Bemühen, bewiesen, da sie doch vorher gelehrt hatte, dieselbe sei verloren und verkehrt in die Nothwendigkeit, der Sünde zu dienen. Du siehst also, daß die Diatribe in Wahrheit den freien Willen hat in Behandlung der heiligen Schrift, so daß bei ihr Wörter in derselben Form an einer Stelle das Bemühen, an einer anderen Stelle die Freiheit beweisen müssen, wie es ihr nur belieben mag.

Doch diese nichtigen Dinge wollen wir fahren lassen. Das Wort „bekehren“ (convertere) wird in der Schrift in doppelter Weise genommen, in gesetzlichem Gebrauche und in evangelischem Gebrauche. In gesetzlichem Gebrauche ist es ein Wort eines Treibers und Gebieters, welches nicht ein Bemühen, sondern die Aenderung des ganzen Lebens erfordert, wie Jeremias es häufig gebraucht, wenn er spricht (35,15.): „Kehre sich ein jeglicher von seinem bösen Wesen“; (4,1.:) „Bekehre dich zum Herrn.“ Denn da schließt er die Forderung ein, daß alle Gebote gehalten werden sollen, wie genugsam am Tage ist. Nach evangelischem Gebrauche ist es ein Wort des Trostes und der Verheißung Gottes, wodurch nichts von uns erfordert, sondern uns die Gnade Gottes angeboten wird. Wie das Wort, Ps. 126,1.: „Wenn der Herr die Gefangenschaft Zions wenden wird“, und Ps. 116,7.: „Kehre dich, meine Seele, zu deiner Ruhe.“ Sacharja macht daher in der größten Kürze die zwiefache Predigt ab, sowohl die des Gesetzes als auch die der Gnade. Das ganze Gesetz und die Summa des Gesetzes ist, da er sagt: „Bekehret euch zu mir“; die Gnade ist, wo er sagt: „Und ich will mich zu euch kehren.“ Nun, ebenso wenig als der freie Wille bewiesen wird aus diesem Worte: „Liebe den Herrn“, oder aus irgend einem Worte eines einzelnen Gesetzes, ebenso wenig wird er bewiesen aus diesem Worte, welches ein kurzer Inbegriff des Gesetzes ist: „Bekehret euch.“ Deshalb gebührt es einem verständigen Leser der Schrift, Acht darauf zu geben, welches Worte des Gesetzes und welches Worte der Gnade sind, damit er nicht alles durcheinander werfe nach der Weise der unreinen Sophisten und unserer schläfrigen Diatribe.

Denn siehe, wie sie die herrliche Stelle Hesek. 18,23. (33,11.) behandelt: „So wahr als ich lebe, spricht der Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern vielmehr, daß er sich bekehre und lebe.“ „Zuerst (spricht sie) wird in diesem Capitel gar oft wiederholt: Wo er sich kehret, wo er thut, wo er begehet (Hes. 18,22.), und zwar in gutem und bösem Verstand; und wo ist wohl jemand, der da sagte, der Mensch thäte nichts?“

Ich bitte, siehe doch die treffliche Folgerung. Sie wollte das Bemühen und Bestreben des freien Willens beweisen, und beweist, daß das Ganze gethan ist, daß alles erfüllt ist durch den freien Willen. Lieber, wo sind nun die, welche die Gnade und den Heiligen Geist bedürfen? Denn so klügelt sie und spricht: Hesekiel sagt (18,21.): „Wo sich der Gottlose bekehret und hält alle meine Rechte und thut recht und wohl, so soll er leben“, also thut der Gottlose alsbald so, und kann es thun. Hesekiel zeigt an, was gethan werden soll, die Diatribe versteht aber, daß dies geschehe und gethan sei, und will uns wieder mit ihrer neuen Sprachlehre lehren, daß es ein und dasselbe sei, schuldig sein und haben, fordern und leisten, heischen und geben.

Ferner dies Wort des allersüßesten Evangeliums (Hesek. 18,23.): „Ich will nicht den Tod des Sünders“ etc., dreht sie so herum: „Beklagt etwa hier der heilige Gott den Tod seines Volkes, den er selbst an ihm wirkt? Will er den Tod nicht, so ist es allerdings unserem Willen beizulegen, wenn wir verloren gehen. Allein, was kann man dem zurechnen, der nichts thun kann, weder Gutes noch Böses?“

Dasselbe Liedlein hat Pelagius auch gesungen, als er nicht das Bestreben und Bemühen, sondern die ganze Kraft, alles zu erfüllen und zu thun, dem freien Willen beilegte. Denn diese Folgerungen (wie wir gesagt haben) beweisen diese Kraft, wenn sie überhaupt etwas beweisen, so daß sie ebenso stark, und noch stärker gegen die Diatribe selbst streiten, welche jene Kraft des freien Willens leugnet und nur das Bemühen behauptet, als sie gegen uns streiten, die wir den ganzen freien Willen leugnen. Doch wir wollen ihre Unwissenheit fahren lassen und von der Sache selbst reden.

Es ist ein evangelisches Wort und der süßeste Trost für die elenden Sünder, da Hesekiel (18,23.) sagt: „Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern vielmehr, daß er sich bekehre und lebe“, in jeder Weise, wie auch die Stelle Ps. 30,6.: „Denn sein Zorn währet einen Augenblick und er hat Lust zum Leben“; und Ps. 69,17.: „Wie lieblich ist deine Barmherzigkeit, o Herr“; desgleichen: „Weil ich barmherzig bin“; und das Wort Christi Matth. 11,28.: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“; desgleichen der Ausspruch 2 Mos. 20,6.: „Ich thue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich lieb haben.“ Und was ist fast mehr als die Hälfte der heiligen Schrift Anderes, als reine Gnadenverheißungen, durch welche von Gott den Menschen Barmherzigkeit, Leben, Friede und Seligkeit angeboten werden? Denn was haben die Worte der Verheißung anders in sich als jenes: „Ich will nicht den Tod des Sünders“? Ist es nicht dasselbe, wenn er sagt (Jer. 3,12.): „Ich bin barmherzig“, als wenn er sagte: Ich zürne nicht, ich will nicht strafen, ich will nicht, daß ihr sterbet, ich will verzeihen, ich will verschonen?

Und wenn diese Verheißungen Gottes nicht festständen, durch welche die zerschlagenen Gewissen aufgerichtet werden könnten, welche erschreckt sind durch das Gefühl der Sünde und die Furcht vor dem Tode und dem Gerichte, wie könnte da noch Vergebung oder Hoffnung statthaben? Welcher Sünder würde nicht verzweifeln? Aber wie der freie Wille nicht bewiesen wird aus anderen Worten der Barmherzigkeit, oder der Verheißung, oder des Trostes, so auch nicht aus diesem: „Ich will nicht den Tod des Sünders“ etc.

Aber unsere Diatribe unterscheidet hier wieder nicht zwischen Worten des Gesetzes und der Verheißung, macht aus dieser Stelle des Hesekiel ein Wort des Gesetzes und legt sie so aus: „Ich will nicht den Tod des Sünders“, das ist, ich will nicht, daß er tödlich sündige, oder ein des Todes schuldiger Sünder werde, sondern vielmehr, daß er sich bekehre von der Sünde, die er etwa gethan hat, und so lebe. Denn wenn sie sie nicht so auslegte, so würde sie nichts zur Sache dienen. Aber das heißt, das allerlieblichste Wort des Hesekiel ganz umstoßen und wegnehmen: „Ich will nicht den Tod.“ Wenn wir die Schrift so lesen und verstehen wollen nach unserer Blindheit, was Wunder, wenn sie dann dunkel und zweideutig ist? Denn er sagt nicht: Ich will nicht die Sünde des Menschen, sondern: „ich will nicht den Tod des Sünders“, und zeigt deutlich an, daß er von der Strafe der Sünde rede, welche der Sünder für seine Sünde zu fühlen bekommt, nämlich von der Furcht des Todes. Und den Sünder, welcher in diesem Jammer und Verzweiflung steckt, richtet er auf und tröstet ihn, damit er „das glimmende Tocht nicht auslösche und das zerstoßene Rohr nicht zerbreche“ (Jes. 42,3), sondern Hoffnung auf Vergebung und Seligkeit mache, daß er sich desto eher bekehre, nämlich dadurch, daß er sich kehrt zur Seligkeit von der Strafe des Todes, und lebe, das ist, daß er gutes Muthes sei und ein festes, fröhliches Gewissen gewinne.

Denn auch das ist zu beachten: Wie das Wort des Gesetzes nur ergeht über die, welche ihre Sünde nicht fühlen noch erkennen, wie Paulus sagt, Röm. 3,20.: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde“, so kommt das Wort der Gnade nur zu denen, welche ihre Sünde fühlen, zerschlagen sind und mit Verzweiflung angefochten werden. Darum siehst du, daß in allen Worten des Gesetzes die Sünde angezeigt wird, da gezeigt wird, was wir thun sollen. Dagegen wird, wie du siehst, in allen Worten der Verheißung das Uebel angezeigt, an welchem die Sünder leiden, oder diejenigen, welche aufgerichtet werden sollen, wie hier: „Ich will nicht den Tod des Sünders“; da nennt er klar den Tod und den Sünder; sowohl gerade das Uebel, welches empfunden wird, als auch gerade den Menschen, welcher es empfindet. Aber in dem „Liebe Gott von ganzem Herzen“ wird angezeigt, was für Gutes wir schuldig sind zu thun, nicht was für Uebel wir fühlen, damit wir erkennen, wie wir dies Gute nicht vermögen. Daher konnte nichts Ungeschickteres für den freien Willen angeführt werden, als dieser Spruch Hesekiels, ja, er streitet aufs stärkste wider den freien Willen. Denn es wird hier angezeigt, wie der freie Wille bei der Erkenntniß der Sünde oder in der Bekehrung sich verhalte und was er da vermöge, nämlich, daß er nur noch tiefer fiele und Verzweiflung und Unbußfertigkeit zu seinen Sünden hinzufügte, wenn Gott ihm nicht bald zu Hülfe käme und ihn durch das Wort der Verheißung zurückriefe und aufrichtete. Denn daß Gott, der die Gnade verheißt, es sich so angelegen sein läßt, den Sünder zurückzurufen und aufzurichten, ist ein gar großer und zuverlässiger Grund dafür, daß der freie Wille für sich selbst nur schlimmer werden und (wie die Schrift sagt) zur Hölle sinken kann, wenn du nicht glaubst, daß Gott so leichtfertig sei, daß er, ohne daß es zu unserer Seligkeit nothwendig wäre, sondern aus Lust am Schwatzen die Worte der Verheißung so reichlich ausschütte; daß du so daraus erkennen kannst, daß nicht allein alle Worte des Gesetzes gegen den freien Willen stehen, sondern, daß auch alle Worte der Verheißung ihn völlig widerlegen, das ist, daß die ganze Schrift gegen denselben streitet. Darum siehst du, daß mit diesem Worte „Ich will nicht den Tod des Sünders“ nichts Anderes bezweckt wird, als daß die göttliche Barmherzigkeit in der Welt gepredigt und angeboten werde, welche allein die Betrübten und vom Tode Gequälten mit Freude und Dankbarkeit aufnehmen, da in ihnen das Gesetz bereits sein Amt, das ist, die Erkenntniß der Sünde ausgerichtet hat. Jene aber, welche das Amt des Gesetzes noch nicht erfahren haben und ihre Sünde nicht erkennen, auch den Tod nicht fühlen, die verachten die Barmherzigkeit, welche durch dies Wort verheißen ist.

Uebrigens, warum einige vom Gesetze getroffen werden, andere nicht getroffen werden, daß jene die angebotene Gnade annehmen, diese sie aber verachten, das ist eine andere Frage und wird hier nicht von Hesekiel behandelt, denn er redet von der gepredigten und angebotenen Barmherzigkeit Gottes, nicht von jenem verborgenen, mit Ehrfurcht zu betrachtenden Willen Gottes, welcher nach seinem Rathe verordnet, welche und was für Leute nach seinem Willen der gepredigten und angebotenen Barmherzigkeit fähig und theilhaftig sein sollen. Dieser Wille darf nicht erforscht werden, sondern er ist mit Ehrerbietung anzubeten als das allertiefste heiligste Geheimniß der göttlichen Majestät, welches sie sich allein vorbehalten und uns verboten hat, und welches in viel größerer Ehrfurcht zu halten ist, als Corycische Höhlen in unendlicher Menge.

Wenn nun die Diatribe klügelt: „Beklagt etwa der heilige Gott den Tod seines Volks, den er selbst an ihnen wirkt?“ denn dies scheint ihr allzu ungereimt:

So antworten wir, wie wir schon gesagt haben: Man muß anders reden von Gotte oder dem Willen Gottes, der uns gepredigt wird, der uns offenbart ist, der uns angeboten wird, mit dem wir uns beschäftigen, als von dem Gotte, der nicht gepredigt wird, nicht offenbart, nicht angeboten worden ist, mit dem wir nichts zu schaffen haben. Darum, so fern Gott sich verbirgt und von uns nicht erkannt sein will, geht er uns nichts an. Denn hierher gehört in Wahrheit das Wort: Was über uns ist, ist nicht für uns. Und damit niemand glaube, daß dies meine Unterscheidung sei, folge ich dem Paulus, der an die Thessalonicher vom Antichrist schreibt (2. Ep. 2,4.), daß er sich erheben werde über jeden gepredigten und verehrten Gott, und zeigt deutlich an, daß sich jemand über Gott erheben kann, sofern er gepredigt und ihm gedient wird, das heißt, über das Wort und den Dienst, nach welchem Gott uns bekannt ist und mit uns Verkehr hat. Aber über den Gott, der nicht verehrt noch gepredigt wird, wie er in seinem Wesen und seiner Majestät ist, kann nichts sich überheben, sondern alles ist unter seiner mächtigen Hand. Wir müssen daher Gott in seiner Majestät und in seinem Wesen ungeforscht lassen, denn darin haben wir nichts mit ihm zu schaffen und er will auch nicht, daß wir in der Weise mit ihm zu thun haben sollen, sondern, sofern er in sein Wort gekleidet ist und sich durch dasselbe an den Tag gegeben hat, dadurch er sich uns angeboten hat, handeln mir mit ihm. Das ist sein Schmuck und sein Ruhm, womit, wie der Psalmist (Ps. 21,6.) rühmt, er gekleidet ist. So sagen wir, der heilige Gott beklagt nicht den Tod des Volkes, den er in ihm wirkt, sondern er beklagt den Tod, den er im Volke findet und wegzuschaffen sich bemüht. Denn damit geht der gepredigte Gott um, daß er die Sünde und den Tod wegnehme und wir selig werden möchten. Denn (Ps. 107,20.): „Er hat sein Wort gesendet und sie gesund gemacht.“ Dagegen Gott, wie er verborgen ist in der Majestät, trauert nicht, nimmt auch den Tod nicht weg, sondern wirkt das Leben, den Tod und alles in allen. Denn da hat sich Gott nicht durch sein Wort eingegrenzt, sondern hat sich frei erhalten über alles.

Die Diatribe macht sich aber selbst zum Gespötte durch ihre Unwissenheit, indem sie keinen Unterschied macht zwischen dem gepredigten und dem verborgenen Gotte, das heißt, zwischen dem Worte Gottes und Gott selbst. Gott thut vieles, was er uns in seinem Worte nicht anzeigt, er will auch vieles, wovon er uns in seinem Worte nicht anzeigt, daß er es wolle. In solcher Weise will er nicht den Tod des Sünders, nämlich nach seinem Worte; er will ihn aber nach jenem unerforschlichen Willen. Nun aber müssen wir auf das Wort sehen und jenen unerforschlichen Willen anstehen lassen; denn wir müssen uns durch das Wort leiten lassen, nicht durch jenen unerforschlichen Willen. Ja, wer könnte sich richten nach dem durchaus unerforschlichen und unerkennbaren Willen? Es ist genug, daß wir nur das wissen, daß in Gotte ein gewisser unerforschlicher Wille ist; aber was, warum und wie weit er wolle, das gebührt uns durchaus nicht zu fragen, wissen zu wollen, uns darum zu kümmern oder uns damit zu befassen (tangere) sondern nur mit Furcht (und Zittern) anzubeten.

Daher sagst du recht: „Wenn Gott den Tod nicht will, so ist es allerdings unserem Willen beizulegen, wenn wir verloren gehen.“ Recht, sage ich, wenn du von dem gepredigten Gotte reden solltest, denn der will, daß alle Menschen selig werden, weil er mit dem Worte des Heils zu allen kommt, und es ist die Schuld des Willens, welcher ihn nicht zuläßt, wie es heißt Matth. 23,37.: „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, und du hast nicht gewollt.“ Aber, warum die (göttliche) Majestät dieses Gebrechen unseres Willens nicht wegnimmt oder nicht in allen (Menschen) ändert, da es nicht in der Macht des Menschen steht, oder warum Gott ihm dieses zurechnet, da der Mensch ohne dasselbe nicht sein kann? das darf man nicht forschen, und wenngleich du viel forschen wolltest, so könntest du es doch nie finden, wie Paulus Röm. 9,20. sagt: „Wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?“ Dies mag genug sein in Bezug auf diese Stelle des Hesekiel; nun wollen wir zum Folgenden übergehen.

Hierauf gibt die Diatribe vor: „es würden nothwendiger Weise so viele Ermahnungen in der Schrift ihre Kraft verlieren, desgleichen so viele Verheißungen, Drohungen, Aufforderungen, Vorwürfe, Betheurungen, Segen und Flüche, eine so große Menge von Geboten, wenn es in niemandes Vermögen steht, zu halten, was geboten ist.“

Beständig vergißt die Diatribe, um was es sich handelt, und geht mit etwas Anderem um, als sie sich vorgenommen hat, sieht auch nicht, wie alles stärker gegen sie streitet als wider uns. Denn aus allen diesen Stellen beweist sie die Freiheit und das Vermögen, alles zu halten, wie es auch die Folgerung aus den Worten ergibt, welche sie daruntersetzt, während sie doch hatte beweisen wollen, der freie Wille sei derartig, daß er ohne die Gnade nichts Gutes wollen könne, und daß irgend ein Bemühen seinen Kräften nicht zugeschrieben werden könne. Ich sehe nicht, daß ein solches Bemühen in irgend einem dieser Sprüche bewiesen werde, sondern, daß sie nur fordern, was gethan werden sollte, wie schon öfter gesagt worden ist. Aber es muß so vielmal wiederholt werden, weil die Diatribe soviel auf Einer Saite geigt und den Leser mit unnützem Wortschwalle hinhält.

Als einen der letzten Sprüche aus dem Alten Testamente führt sie 5 Mos. 30,11-14. an: „Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht verborgen, noch zu ferne, noch im Himmel, daß du sagen möchtest: Wer will uns in den Himmel fahren, und uns holen, daß wir's hören und thun? Sondern es ist das Wort fast nahe bei dir in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du es thust.“ Es behauptet die Diatribe, daß an dieser Stelle erklärt werde, „es liege das, was geboten wird, nicht allein in uns, sondern es falle uns sogar zu (in proclivi esse)“, das heißt, es sei leicht oder wenigstens nicht schwer.

Schönen Dank für so große Gelehrsamkeit! Wenn also Moses so klar ausspricht, daß in uns nicht bloß das Vermögen ist, alle Gebote zu halten, sondern sogar, daß uns dies ganz leicht sei, warum mühen wir uns dann so sehr ab? Warum haben wir diese Stelle nicht gleich vorgebracht und den freien Willen unbehindert (libero campo = auf freiem Felde) behauptet? Was bedürfen wir noch Christi? Was bedürfen wir des (Heiligen) Geistes? Denn nun haben wir den Spruch gefunden, der allen den Mund stopft und in ganz deutlicher Weise nicht nur die Freiheit des Willens behauptet, sondern auch lehrt, daß die Gebote leicht gehalten werden können. Wie thöricht handelte Christus, daß er auch sein Blut vergoß, um uns den Geist zu erwerben, deß wir nicht bedürfen, damit uns das Halten der Gebote leicht würde, denn wir sind schon von Natur solche Leute. Ja, auch die Diatribe muß ihre Worte widerrufen, durch welche sie ausgesagt hat, der freie Wille ohne die Gnade könne nichts Gutes wollen; sie sage dagegen jetzt: der freie Wille habe so große Kraft, daß er nicht allein das Gute wolle, sondern auch mit leichter Mühe die höchsten und alle Gebote halten könne. Siehe doch, ich bitte dich, was ein solcher Mensch macht, der nicht mit seinem Herzen bei der Sache ist, wie er nicht umhin kann, sich selbst kund zu geben. Ist es denn nun noch nöthig, die Diatribe zu widerlegen? Oder wer kann sie stärker widerlegen, als sie selbst sich widerlegt? Dies ist das Thier, welches sich selbst auffraß; wie wahr ist es doch: Ein Lügner muß ein gut Gedächtniß haben.

Wir haben von dieser Stelle im 5. Buche Mosis gesprochen; nun wollen wir sie kurz vornehmen, in der Weise, daß wir sie, ohne Bezug auf Paulus, welcher sie Röm. 10. gewaltig handelt, besprechen. Du siehst, daß hier durchaus nichts gesagt wird, und nicht die geringste Silbe dahin lautet, daß es leicht oder schwer sei, daß der freie Wille oder der Mensch es vermöge oder nicht vermöge, es zu halten oder nicht zu halten: nur daß diejenigen, welche durch ihre Folgerungen und Gedanken die Schrift gefangen nehmen, sie sich selbst dunkel und ungewiß machen, um so alles Beliebige aus ihr machen zu können. Wenn du nun nicht sehen kannst, so höre doch wenigstens, oder greife es mit Händen. Moses sagt: „Es ist nicht über dich, noch zu ferne, noch im Himmel, noch jenseit des Meeres.“ Was heißt: über dich? Was: ferne? Was: im Himmel? Was: jenseit des Meeres? Wollen sie uns etwa auch die Sprachlehre und die gebräuchlichsten Wörter verdunkeln, so daß wir nichts Gewisses reden können, nur damit sie das aufrecht halten, die Schrift sei dunkel? Unsere Sprachlehre bezeichnet mit diesen Wörtern nicht die Eigenschaft oder Größe der menschlichen Kräfte, sondern eine räumliche Entfernung. Denn „über dich“ heißt nicht eine gewisse Kraft des Willens, sondern ein Ort, der über uns ist. So ist „ferne, jenseit des Meeres, im Himmel“ nicht eine Kraft im Menschen, sondern ein Ort, welcher nach oben, nach der Rechten hin, nach der Linken hin, rückwärts oder vorwärts von uns entfernt ist. Es möchte mich wohl jemand auslachen, daß ich so grob disputire und gleichsam das, was man den Kindern, die das ABC noch nicht können, vorkaut, so großen Männern vorlege, und sie lehre, die Silben aneinanderzufügen. Was soll ich thun? da ich sehe, daß man in so hellem Lichte Finsterniß sucht, und diejenigen geflissentlich blind sein wollen, welche uns eine so lange Reihe von Jahrhunderten aufzählen, so viele kluge Köpfe, so viele Heilige, so viele Märtyrer, so viele Lehrer und mit so großem Ansehen diesen Spruch Mosis aufwerfen und sich doch nicht dazu herbeilassen, die Silben recht anzusehen oder ihre Gedanken nur soweit zu beherrschen, daß sie über die Stelle, welche sie hoch rühmen, nur einmal nachdächten. Jetzt möge die Diatribe hingehen und sagen, wie es möglich sein sollte, daß Ein einzelner unbekannter Mensch (privatus) das sehen könnte, was so viele allbekannte Leute (publici), die Größten in vielen Jahrhunderten, nicht gesehen haben? Sicherlich dieser Spruch überführt sie, das erkennt selbst ein kleines Kind, daß sie nicht selten blind gewesen sind.

Was will nun Moses mit diesen überaus deutlichen und klaren Worten anders (sagen), als daß er sein Amt als ein treuer Gesetzgeber aufs beste ausgerichtet habe? Daß es nicht an ihm liege, wenn sie nicht alles wüßten und ihnen nicht alle Gebote vor die Augen gelegt worden wären, und sie könnten sich nicht mehr damit entschuldigen, daß sie die Gebote nicht wüßten oder hätten, oder daß sie dieselben anderswo herholen müßten: so daß, wenn sie dieselben nicht hielten, die Schuld weder am Gesetze noch am Gesetzgeber läge, sondern an ihnen. Denn das Gesetz sei da, der Gesetzgeber habe es gelehrt, so daß keine Entschuldigung der Unwissenheit mehr statthabe, sondern nur Anklage wegen Nachlässigkeit und Ungehorsams. Es ist, sagt er, nicht nöthig, Gesetze vom Himmel oder aus Gegenden jenseits des Meeres oder von ferneher zu holen, auch kannst du nicht vorwenden, du habest sie nicht gehört und habest sie nicht: du hast sie nahebei. Denn Gott hat sie dir geboten, und durch meinen Dienst hast du sie gehört; mit dem Herzen hast du sie erfaßt und sie so empfangen, daß sie, durch die Leviten in deiner Mitte, beständig gepredigt werden sollen. Deß ist mein Wort und Buch Zeuge; nur das mangelt noch: daß du sie thuest. Ich bitte dich, was wird hier dem freien Willen zugeschrieben? Es wird nur gefordert, daß er die Gesetze thue, welche er hat, und es wird ihm die Entschuldigung genommen, er kenne die Gesetze nicht und es seien keine Gesetze da.

Dies ist es ungefähr, was die Diatribe aus dem Alten Testamente für den freien Willen anführt. Da dies widerlegt ist, so bleibt nichts übrig, was nicht gleicherweise widerlegt wäre, sei es, daß sie noch mehr anführe, sei es, daß sie noch mehr anführen wolle, da sie nichts Anderes beibringen kann als Worte, welche entweder einen Befehl oder eine Verbindlichkeit (verba conjunctiva) oder einen Wunsch ausdrücken, durch welche bezeichnet wird, nicht, was wir können oder thun (was wir der so oft wiederholenden Diatribe so oft gesagt haben), sondern, was wir schuldig sind und was von uns gefordert wird, damit uns unser Unvermögen kund werde und die Erkenntniß der Sünde gewirkt werde. Oder, wenn sie etwas beweisen durch hinzugefügte Folgerungen und Gleichnisse, welche durch menschliche Vernunft erfunden sind, so beweisen sie dies, nämlich: daß der freie Wille nicht bloß ein Bemühen, oder ein gewisses ganz geringes Bestreben habe, sondern völlige Kraft und das freieste Vermögen, alles zu thun ohne die Gnade Gottes, ohne den Heiligen Geist.

Und so wird durch jene ganze wortreiche, wiederholte und breitgetretene Erörterung nichts weniger bewiesen als das, was bewiesen werden sollte, nämlich jene annehmbare Meinung, durch welche über den freien Willen die Erklärung abgegeben wird, daß er so unvermögend sei, daß er ohne die Gnade nichts Gutes wollen könne, unter die Knechtschaft der Sünde gezwungen werde und ein Bemühen habe, welches seinen Kräften nicht zuzuschreiben sei. Nämlich jenes Unding (kommt dabei heraus), daß er zugleich nichts vermag aus seinen Kräften und doch ein Bemühen hat aus eigenen Kräften, welches (Unding) in einem ganz offenbaren Widerspruche besteht.

Antwort auf die Zeugnisse aus dem Neuen Testament.

Nun geht man (die Diatribe) über zum Neuen Testamente. Da wird wiederum ein Heer von befehlenden Worten ins Feld gestellt für jene elende Knechtschaft des freien Willens, und die Hülfstruppen der fleischlichen Vernunft werden herbeigeholt, nämlich Folgerungen und Gleichnisse, gleich als wenn du gemalt sähest oder träumtest, wie die dicht gedrängte Kriegsschaar des Königs (stipatum regem) der Fliegen mit strohernen Lanzen und Schilden aus Heu wider eine wahre und wirkliche Schlachtordnung von menschlichen Kriegern (ausrückte). So kämpfen die menschlichen Träume der Diatribe wider die Heerschaaren der göttlichen Worte.

An der Spitze geht das Wort Matth. 23,37., gleichsam der Achilles der Fliegen: „Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, und du hast nicht gewollt.“ Wenn alles (so sagt sie) durch Nothwendigkeit geschieht, hätte Jerusalem nicht mit Recht dem Herrn antworten können: Was quälst du dich mit vergeblichen Thränen? Ist es dein Wille nicht gewesen, daß wir den Propheten haben Gehör geben sollen, warum hast du sie denn gesendet? Warum rechnest du uns dasjenige zu, was nach deinem Willen und aus Nothwendigkeit, die uns zwingt (nostra necessitate), geschehen ist?“ So redet jene (die Diatribe).

Wir antworten aber: Wir wollen selbst einstweilen zugeben, diese Folgerung und Beweisführung der Diatribe sei wahr und gut, was, ich bitte dich, wird damit bewiesen? Etwa die annehmbare Meinung, welche sagt, der freie Wille könne nicht das Gute wollen? Vielmehr wird bewiesen, daß der Wille frei, gesund und völlig kräftig (potens) sei in Bezug auf alles, was die Propheten geredet haben. Aber einen solchen Willen zu beweisen, hat die Diatribe sich nicht vorgenommen. Ja, es möge die Diatribe hier selbst antworten: Wenn der freie Wille das Gute nicht wollen kann, was wird ihm denn das angerechnet, daß er die Propheten nicht gehört habe, welche er, wiewohl sie Gutes lehrten, aus seinen Kräften nicht hören konnte? Was klagt Christus mit vergeblichen Thränen, als wenn jene hätten wollen können, von denen er für gewiß wußte, daß sie nicht wollen konnten? Es möge, sage ich, die Diatribe Christum freisprechen von unsinnigem Verhalten (insania) zu Gunsten ihrer eigenen annehmbaren Meinung, dann ist auch sofort unsere Meinung befreit von diesem Fliegen-Achilles. Also beweist diese Stelle in Matthäus entweder den ganzen freien Willen, oder sie streitet ebenso stark wider die Diatribe selbst und vernichtet sie mit ihren eigenen Waffen.

Wir sagen, wie wir schon vorher gesagt haben, über den geheimen Willen der (göttlichen) Majestät dürfe man nicht disputiren, und die menschliche Vermessenheit, welche, wie sie ja immer verkehrt ist und das Notwendige anstehen läßt, sich stets daran macht und zu erforschen strebt (tentat), müsse davon abgehalten und abgezogen werden, damit sie sich nicht mit der Erforschung jener Geheimnisse der Majestät beschäftige, welche zu erlangen unmöglich ist, da sie „wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann“, wie Paulus bezeugt (1 Tim. 6,16.). (Der Mensch) beschäftige sich aber mit dem menschgewordenen Gotte, oder (wie Paulus (Col. 2,3.) redet) mit Jesu, dem Gekreuzigten, „in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß sind“, aber „verborgen“; denn durch den hat er reichlich, was er wissen und nicht wissen soll. Der menschgewordene Gott also redet hier: Ich habe gewollt und du hast nicht gewollt. Der menschgewordene Gott, sage ich, ist dazu gesendet, daß er wolle, rede, thue, leide, allen alles anbiete, was zur Seligkeit nothwendig ist, wiewohl er den meisten Leuten Anstoß gibt, welche nach jenem geheimen Willen der Majestät entweder sich selbst überlassen worden sind (relicti), oder verstockt sind und den nicht aufnehmen, der da will, redet, thut, anbietet, wie Johannes (1,5.) sagt: „Das Licht scheinet in der Finsterniß, und die Finsterniß haben es nicht begriffen“; und wiederum (V. 11.): „Er kam in sein Eigenthum und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“

Bei diesem menschgewordenen Gotte findet es sich nun (hujus Dei etc. est), daß er weint, klagt, seufzt über das Verlorengehen der Gottlosen, obgleich der Wille der Majestät nach dem Vorsatz etliche fahren läßt und verwirft, so daß sie verloren gehen. Und wir haben nicht zu forschen, warum er so thue, sondern Gott ist zu verehren, der solches sowohl kann als auch will. Auch glaube ich nicht, daß jemand hier das anfechten wird (calumniabitur), daß jener Wille, von dem gesagt wird: „Wie oft habe ich wollen“ auch vor der Menschwerdung Gottes den Juden angeboten ist, weil sie ja beschuldigt werden, daß sie die Propheten vor Christo getödtet und so seinem Willen widerstanden haben. Denn bei den Christen ist bekannt, daß von den Propheten alles ausgerichtet worden ist im Namen des künftigen Christus, welcher verheißen worden war, daß Gott Mensch werden sollte. Deshalb wird Christi Wille mit Recht alles genannt, was von Anbeginn der Welt durch die Diener des Wortes den Menschen angeboten worden ist.

Aber hier wird die Vernunft sagen, wie sie denn naseweis und geschwätzig ist: diese Ausflucht ist schön erfunden, daß, so oft wir durch die Kraft der Gründe in die Enge getrieben werden, wir unsere Zuflucht nehmen zu jenem ehrfurchtsvoll zu meidenden (metuendam) Willen der Majestät, und den Widersacher, sobald er lästig geworden ist, zum Schweigen bringen, nicht anders als wie die Astrologen durch das Ausfindigmachen der Nebenkreise (epicyclis) allen Fragen über die Bewegung des ganzen Himmels ausweichen.

Wir antworten: Das ist nicht unsere Erfindung, sondern ein durch die heilige Schrift bestätigtes Gebot. Denn so sagt Paulus Röm. 9,19-21.: „Warum hält uns denn Gott für schuldig? Wer kann seinem Willen widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst? Hat nicht ein Töpfer Macht?“ etc. Und vor ihm Jesajas, Cap. 58,2.: „Sie suchen mich einen Tag am andern und wollen meine Wege wissen, als ein Volk, das Gerechtigkeit schon gethan hätte. Sie fordern von mir gerechte Gerichte und wollen Gott nahe kommen.“ Ich meine, daß durch diese Worte hinlänglich angezeigt wird, daß die Menschen den Willen der Majestät nicht erforschen dürfen. Ferner, diese Sache ist derartig, daß vornehmlich in ihr die verkehrten Menschen jenem ehrfurchtsvoll zu meidenden Willen nachstreben, deshalb ist es ganz besonders am Orte, sie da zum Schweigen und zur Ehrfurcht zu ermahnen. In anderen Sachen, wo solche Dinge gehandelt werden, deren Grund angegeben werden kann, und wo Grund anzugeben uns befohlen ist, thun wir nicht so. Sollte nun jemand fortfahren, den Grund jenes Willens zu erforschen, und unserer Erinnerung nicht Raum geben, den lassen wir fahren und nach der Weise der Giganten mit Gott kämpfen und wollen sehen, was für Sieg ein solcher erlangen werde. Wir sind gewiß, daß er unserer Sache nichts abbrechen und die seinige nicht fördern werde. Denn das wird fest stehen bleiben: er wird entweder beweisen, der freie Wille vermöge alles, oder die angezogenen Schriftstellen werden wider ihn streiten. Welches von beiden aber auch geschehen mag, so liegt er besiegt da, und wir sind Sieger.

Die zweite Stelle ist das Wort Matth. 19,17.: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“ Wie könnte zu dem, der keinen freien Willen hat, gesagt werden: „Willst du?“ So die Diatribe.

Darauf antworten wir: Ist also nach diesem Worte Christi der Wille frei? Aber du wolltest beweisen, daß der freie Wille nichts Gutes wollen könne und mit Notwendigkeit der Sünde diene, wenn die Gnade nicht da ist. Wie erdreistest du dich nun, den Willen ganz frei zu machen?

Dasselbe muß auch gesagt werden zu den Sprüchen: „Willst du vollkommen sein“; „Will mir jemand nachfolgen“; „Wer da will sein Leben erhalten“; „Liebet ihr mich“; „So ihr in mir bleibet.“ (Endlich, wie ich gesagt habe, können auch noch alle Bindewörter „Wenn“ und alle befehlenden Worte zusammengebracht werden, um der Diatribe wenigstens in der Anhäufung (numero) von Worten zu helfen.) „Alle diese Gebote (sagt sie) sind unkräftig, wenn dem menschlichen Willen nichts beigelegt wird. Wie übel reimt sich das Bindewort Wenn mit der bloßen Notwendigkeit.“

Wir antworten: Wenn sie unkräftig sind, so sind sie durch deine Schuld unkräftig, ja, sie sind nichts, da du behauptest, dem menschlichen Willen werde nichts beigelegt, indem du den freien Willen so darstellst, daß er das Gute nicht wollen könne; und wiederum stellst du ihn hier so dar, daß er alles Gute wollen könne. Doch vielleicht sind dieselben Worte bei dir zugleich heiß und kalt, da sie zugleich alles behaupten und alles leugnen. Und ich wundere mich, warum es den Verfasser ergötzt hat, dasselbe so oft zu wiederholen, wiewohl er beständig dessen uneingedenk ist, was er sich vorgenommen hat. Vielleicht hat er an der Sache verzagt und durch die Größe des Buches den Sieg gewinnen oder durch Ueberdruß und Beschwerlichkeit des Lesens den Gegner ermüden wollen. Durch welche Folgerung, ich bitte dich, kann es geschehen, daß alsbald der Wille und das Vermögen da sein müsse, so oft gesagt wird: Wenn du willst, Wenn jemand will, Willst du? Bezeichnen wir mit solchen Reden nicht sehr häufig vielmehr das Unvermögen und die Unmöglichkeit? Z. B.: Wenn du dem Virgil im Dichten (canendo) gleichkommen willst, lieber Mävius, so mußt du anders dichten; so du den Cicero übertreffen willst, Scotus, so mußt du anstatt deiner Spitzfindigkeiten die größte Beredsamkeit haben; wenn du mit David verglichen werden willst, so mußt du auch eben solche Psalmen machen. Hier wird klärlich das ausgedrückt, was den eigenen Kräften unmöglich ist, wiewohl durch göttliche Kraft alles möglich ist. So verhält sich die Sache auch in der Schrift, daß durch solche Worte das angezeigt wird, was durch die Kraft Gottes in uns geschehen kann, was wir aber nicht vermögen.

Ferner, wenn dergleichen von solchen Dingen gesagt würde, welche ganz unmöglich sind zu thun, so daß auch Gott sie niemals thun würde, dann würde mit Recht gesagt, daß sie (die Worte) entweder unkräftig oder lächerlich wären, weil sie vergeblich geredet würden. Nun aber werden sie so gesagt, daß nicht allein das Unvermögen des freien Willens gezeigt wird, um dessen willen nichts von dem geschieht, sondern auch ausgedrückt, es werde das alles einst statthaben und ausgerichtet werden, aber durch fremde Kraft, nämlich die göttliche Kraft, wenn wir überhaupt zulassen wollen, daß in solchen Worten irgendwie ausgedrückt sei, was gethan werden soll und was möglich sei. Und, wenn jemand so auslegt: Willst du die Gebote halten, das heißt, wenn du einmal den Willen haben solltest, die Gebote zu halten (du wirst ihn aber nicht aus dir haben, sondern aus Gotte, der ihn darreicht, welchem er will), so werden sie dich auch erhalten. Oder, um weitläuftiger davon zu reden, es scheinen jene Worte, besonders die verpflichtenden (conjunctiva), auch um der Versehung (praedestinationem) Gottes willen so gesetzt zu sein und dieselbe als eine uns unbekannte mit einzuschließen, als wenn sie so sagen wollten: Wenn du willst, Willst du, das heißt, wenn du bei Gott ein solcher Mensch bist, daß er dieses Willens, die Gebote zu halten, dich werth achten sollte, so wirst du erhalten werden. Durch diese Redeweise (tropo) wird beides zu verstehen gegeben, nämlich sowohl, daß wir nichts vermögen, als auch, daß, wenn wir etwas thun, Gott in uns wirkt. So würde ich zu denen reden, welche damit nicht zufrieden sein wollten, daß man sagt, durch jene Worte werde nur unser Unvermögen angezeigt, sondern behaupten wollten, es werde durch dieselben auch eine gewisse Kraft und das Vermögen bewiesen, das zu thun, was geboten wird. So würde es zugleich wahr, daß wir nichts von dem vermögen, was geboten wird, und daß wir zugleich alles vermögen; indem jenes unseren Kräften, dieses der Gnade Gottes zugeschrieben wird.

Drittens ereifert sich die Diatribe auch darüber: „Wo so oftmals“, sagt sie, „der guten und bösen Werke Erwähnung geschieht, und wo des Lohnes gedacht wird, da sehe ich nicht ein, wie eine bloße Notwendigkeit stattfinden könne; weder die Natur“, sagt sie, „noch die Nothwendigkeit hat ein Verdienst.“

Wahrlich, das verstehe ich auch nicht, außer, daß jene annehmbare Meinung eine bloße Nothwendigkeit behauptet, indem sie sagt, der freie Wille könne nichts Gutes wollen, und doch ihm hier auch ein Verdienst beilegt. So sehr ist der freie Wille fortgeschritten zugleich mit dem Wachsen des Buches und der Erörterung der Diatribe, daß er jetzt nicht allein ein Bemühen und eigenes Bestreben, doch aus fremden Kräften, hat, ja, nicht allein in rechter Weise (bene) will und thut, sondern auch das ewige Leben verdient, da Christus sagt, Matth. 5,12.: „Seid fröhlich und getrost, weil euer Lohn im Himmel groß ist.“ „Euer“, das heißt, (der Lohn) des freien Willens, denn so versteht die Diatribe diese Stelle, so daß Christus und der Geist Gottes nichts sind. Denn wozu bedürften wir diese, wenn wir gute Werke und Verdienste durch den freien Willen haben? Dies sage ich, damit wir sehen, daß es nicht selten ist, daß vortreffliche Leute von hohem Verstande blind zu sein pflegen in einer Sache, welche sogar einem groben ungelehrten Kopfe offenbar ist, und wie schwach ein Beweisgrund ist in göttlichen Dingen, der sich auf menschliches Ansehen stützt, denn hierin gilt allein göttliches Ansehen.

Hier muß zweierlei gesagt werden: erstlich, von den Geboten des Neuen Testaments, zweitens, von dem Verdienste. Beides wollen wir hier kurz abfertigen, weil wir anderswo weitläuftiger darüber geredet haben. Das Neue Testament besteht eigentlich aus Verheißungen und Ermahnungen, wie das Alte eigentlich aus Gesetzen und Drohungen besteht. Denn im Neuen Testamente wird das Evangelium gepredigt, was nichts Anderes ist, als die Predigt, durch welche uns der Geist und die Gnade angeboten wird zur Vergebung der Sünden, welche uns durch den für uns gekreuzigten Christus erworben worden ist, und zwar ganz umsonst und allein durch die Barmherzigkeit Gottes des Vaters, die uns zu Theil wird, wiewohl wir unwürdig sind und vielmehr die Verdammniß verdienen, als irgend etwas Anderes. Dann folgen die Ermahnungen, welche die reizen sollen, die schon gerechtfertigt sind und die Barmherzigkeit erlangt haben, daß sie wacker seien in Früchten der geschenkten Gerechtigkeit und des Geistes und die Liebe üben in guten Werken und das Kreuz und alle anderen Trübsale der Welt standhaft ertragen. Dies ist die Summe des ganzen Neuen Testamentes. Wie gar nichts die Diatribe hievon versteht, gibt sie genugsam dadurch an den Tag, daß sie zwischen dem Alten und dem Neuen Testamente keinen Unterschied zu machen weiß, denn sie sieht in beiden fast nichts als Gesetze und Gebote, durch welche die Menschen zu einem guten Leben herangebildet werden. Was aber die Wiedergeburt, die Erneuerung des Sinnes und Gemüthes und die ganze Wirksamkeit des Heiligen Geistes sei, davon sieht sie durchaus nichts, daß es mir ein Erstaunen und ein Wunder ist, daß ein Mann, der so lange Zeit mit solchem Fleiße darin gearbeitet hat, so gar nichts in der heiligen Schrift weiß.

Also jenes Wort: „Seid fröhlich und getrost, weil euer Lohn im Himmel groß ist“, paßt so wohl zum freien Willen, wie sich das Licht zur Finsterniß reimt. Denn Christus ermahnt da nicht den freien Willen, sondern die Apostel, welche nicht allein über den freien Willen hinaus im Stande der Gnade und gerecht waren, sondern auch im Amte des Wortes, das heißt, auf der höchsten Stufe der Gnade befindlich, daß sie die Trübsale der Welt ertragen sollten. Aber wir disputiren besonders von dem freien Willen ohne die Gnade, daß er durch Gesetze und Drohungen oder durch das Alte Testament angeleitet wird zur Erkenntniß seiner selbst, damit er laufe zu den Verheißungen, welche durch das Neue Testament angeboten werden.

Das Verdienst aber oder der vorgehaltene Lohn, was ist es anders als eine Verheißung? Aber durch diese wird nicht bewiesen, daß wir etwas vermögen, da durch dieselbe nichts Anderes angezeigt wird, als, wenn jemand dies oder jenes thut, dann soll er den Lohn haben. Unsere Frage aber ist, nicht, auf welche Weise oder was für ein Lohn gegeben werde, sondern: ob wir solches thun können, wofür der Lohn gegeben wird. Denn dies sollte bewiesen werden. Wäre das nicht eine lächerliche Folgerung: Allen, die in den Schranken laufen (1 Cor. 9,24.), wird das Kleinod vorgehalten, also können alle laufen und es erlangen? Wenn der Kaiser den Türken überwindet, so wird er sich des Reiches Syrien bemächtigen, also kann der Kaiser den Türken besiegen, und er überwindet ihn? Wenn der freie Wille die Sünde beherrscht, so wird er heilig sein vor dem Herrn, also ist der freie Wille heilig vor dem Herrn? Doch wir wollen diese ganz groben und handgreiflich ungereimten Dinge fahren lassen; nur ist es ganz passend, daß der freie Wille mit so schönen Gründen bewiesen werde. Vielmehr wollen wir davon reden, daß die Nothwendigkeit weder ein Verdienst noch einen Lohn hat. Wenn wir von der Nothwendigkeit des Zwanges reden, so ist es wahr; wenn wir von der Nothwendigkeit der Unveränderlichkeit reden, so ist es falsch. Denn wer würde einem, der wider seinen Willen arbeitet, eine Belohnung geben oder es ihm zum Verdienste anrechnen? Aber denen, welche mit Willen (volenter) Gutes oder Böses thun, selbst wenn sie diesen Willen aus ihren Kräften nicht ändern können, folgt natürlich und nothwendig die Belohnung oder die Strafe, wie geschrieben steht (Röm. 2,6.): „Du wirst einem jeglichen geben nach seinen Werken.“ Es folgt natürlicher Weise: Wenn du dich ins Wasser versenkst, so wirst du erstickt werden; wenn du herausschwimmst, so wirst du am Leben bleiben.

Und, um kurz zu reden, bei dem Verdienste oder bei der Belohnung handelt es sich entweder um die Würdigkeit oder um die Folge. Wenn du die Würdigkeit ansiehst, so ist da kein Verdienst, keine Belohnung. Denn wenn der freie Wille an sich allein das Gute nicht wollen kann, aber allein durch die Gnade das Gute will (denn wir reden vom freien Willen mit Ausschluß der Gnade und fragen, was jedes von beiden eigentlich vermöge), wer sieht nicht, daß allein der Gnade jener gute Wille, das Verdienst und die Belohnung zukomme? Und hier ist die Diatribe wiederum mit sich selbst uneinig, indem sie aus dem Verdienste die Freiheit des Willens folgert, und sie ist mit mir, gegen den sie streitet, in derselben Verdammnis, nämlich, weil es gleicherweise wider sie selbst streitet, daß es ein Verdienst gebe, daß eine Belohnung da sei, daß Freiheit da sei, da sie doch weiter oben behauptete, der freie Wille wolle nichts Gutes, und es auf sich genommen hatte, dies zu beweisen.

Wenn du die Folge ansiehst, so ist nichts da, weder Gutes noch Böses, was nicht seine Belohnung habe. Und der Irrthum kommt daher, daß wir bei Verdiensten und Belohnungen uns mit unnützen Gedanken und Fragen zu schaffen machen von der Würdigkeit, welche nicht vorhanden ist, da allein von der Folge disputirt werden sollte. Denn es steht den Gottlosen die Hölle und das Gericht Gottes aus nothwendiger Folge bevor, obgleich sie selbst eine solche Belohnung für ihre Sünden weder wünschen, noch darauf denken, ja, vielmehr sie heftig verabscheuen und, wie Petrus (2. Ep. 2,11.) sagt, lästern. So steht den Gottseligen das Reich bevor, wiewohl sie dasselbe weder suchen, noch darauf bedacht sind, weil es ihnen ja von ihrem Vater bereitet ist, nicht allein ehe sie selbst waren, sondern vor Anbeginn der Welt (Matth. 25,34.).

Ja, so sie Gutes wirkten, um das Reich zu erlangen, so würden sie es nie bekommen und gehörten vielmehr zu den Gottlosen, weil sie mit schalkhaftem, lohnsüchtigem Auge auch in Gott das Ihre suchten. Die Kinder Gottes aber thun mit fröhlichem Willen umsonst das Gute, suchen keine Belohnung, sondern allein die Ehre und den Willen des Vaters, bereit, das Gute zu thun, auch wenn – um den unmöglichen Fall zu setzen – weder das Reich noch die Hölle wäre. Dies, glaube ich, ist hinlänglich bewiesen schon allein aus dem Einen Ausspruche Christi, den ich eben angeführt habe, Matth. 25,34.: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“ Wie sollten sie das verdienen, was schon ihr ist und ihnen bereitet, ehe sie wurden? so daß wir richtiger sagen könnten, das Reich Gottes verdient vielmehr uns, seine Besitzer, und wir müssen das Verdienst dahin setzen, wo jene die Belohnung, und die Belohnung dahin, wo jene das Verdienst setzen. Denn das Reich wird nicht bereitet, sondern es ist bereitet; die Kinder des Reichs aber werden bereitet, nicht sie bereiten das Reich, das heißt, das Reich verdient die Kinder, nicht die Kinder das Reich. So verdient und bereitet auch die Hölle vielmehr ihre Kinder, da Christus sagt (Matth. 25,41.): „Gehet hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, welches bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.“ Was wollen denn die Worte, welche das Reich verheißen, die Hölle drohen? Weshalb wird denn in der ganzen Schrift so oft das Wort „Lohn“ wiederholt? „Dein Werk (sagt sie (2 Chron. 15,7.)) hat seinen Lohn“; (1 Mos. 15,1.:) „Ich bin dein sehr großer Lohn“; desgleichen (Röm. 2,6.): „Welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken“; und Paulus, Röm. 2,7.: „Die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben“, und viele ähnliche Stellen. Darauf ist zu antworten: Durch dies alles wird nichts bewiesen, als die Folge des Lohnes und keineswegs die Würdigkeit des Verdienstes, nämlich, daß diejenigen, welche Gutes thun, es nicht aus knechtischer und lohnsüchtiger Gesinnung um des ewigen Lebens willen thun, aber das ewige Leben suchen, das heißt, sie sind auf dem Wege, auf dem sie zum ewigen Leben gelangen und es finden; so daß „suchen“ ist, mit Fleiß darnach trachten und mit unablässiger Anstrengung sich um das bemühen, was auf ein gutes Leben zu folgen pflegt. Es wird aber in der Schrift angekündigt, daß dies (Lohn oder Strafe) eintreten und folgen werde nach einem guten oder bösen Leben, damit die Menschen unterwiesen, aufgeweckt, gereizt und geschreckt werden. Denn wie durch das Gesetz Erkenntniß der Sünde kommt und die Erinnerung an unser Unvermögen, daraus aber nicht folgt, daß wir etwas vermögen: so geschieht auch durch diese Verheißungen und Drohungen eine Erinnerung, durch welche wir belehrt werden, was auf die Sünde und auf unser Unvermögen, das uns durch das Gesetz gezeigt worden ist, folge; nicht aber wird durch dieselben unserem Verdienste irgend eine Würdigkeit zugeschrieben. Darum, gleichwie die Worte des Gesetzes zur Unterweisung und Erleuchtung dienen, um uns zu lehren, was wir schuldig sind, dann auch, was wir nicht vermögen, so dienen die Worte des Lohnes, indem sie anzeigen, was geschehen wird, zur Ermahnung und Drohung, dadurch die Gottseligen gereizt, getröstet und aufgerichtet werden zum Fortfahren, Beharren und Ueberwinden im Thun des Guten und Ertragen des Bösen, damit sie nicht müde oder gebrochen werden, wie Paulus seine Corinther ermahnt, indem er spricht (1 Cor. 16,13. 15,58.): „Seid männlich“; „Wisset, daß eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“ So richtet Gott den Abraham auf, da er spricht (1 Mos. 15,1.): „Ich bin dein sehr großer Lohn.“ Nicht anders, als wenn du auf diese Weise jemanden tröstetest, daß du ihm anzeigtest, seine Werke gefielen sicherlich Gotte wohl. Dieser Art des Trostes bedient sich die Schrift nicht selten, und es ist nicht ein geringer Trost, zu wissen, daß man Gotte gefalle, wenn auch nichts Anderes darauf folgte; wiewohl das unmöglich ist.

Hieher gehört alles, was von der Hoffnung und vom Warten gesagt wird, daß das gewiß eintreten wird, was wir hoffen, wiewohl die Gottseligen nicht um deß willen hoffen oder solches um ihretwillen suchen. So werden die Gottlosen durch die Worte der Drohung und des künftigen Gerichtes geschreckt und gedemüthigt, damit sie ablassen und abstehen vom Bösen, damit sie nicht aufgeblasen werden, sicher werden und sich erheben in ihren Sünden. Wenn hier nun die Vernunft die Nase rümpfen sollte und sagen: Warum sollte doch Gott wollen, daß dies durch Worte geschehe, da durch Worte nichts ausgerichtet wird, der Wille sich auch nicht nach beiden Seiten hin wenden kann; warum thut er nicht, was er thut, ohne das Wort zu reden (tacito verbo), da er alles ohne das Wort thun könnte? und der Wille vermag oder thut doch aus eigener Kraft nicht mehr, nachdem er das Wort gehört hat, wenn der Geist fehlt, welcher innerlich treibt, würde auch nicht weniger vermögen oder thun, obwohl das Wort verschwiegen worden wäre, wenn der Geist da ist, da alles abhängt von der Kraft und dem Wirken des Heiligen Geistes: so werden wir sagen: So hat es Gotte gefallen, daß er den Geist nicht geben will ohne das Wort, sondern durch das Wort, damit er uns habe als seine Mitarbeiter, indem wir nach außen laut werden lassen, was er allein inwendig eingibt (spirat), wo er immer will. Dies könnte er dennoch ohne das Wort thun, aber er will es nicht. Wer sind nun wir,

daß wir nach der Ursache des göttlichen Willens forschen sollten? Es ist genug zu wissen, daß Gott es so will, und es gebührt uns, diesen Willen zu verehren, zu lieben und anzubeten und die Vermessenheit der Vernunft zu zügeln. So könnte er uns ohne Brod nähren und gibt in der That die Kraft der Ernährung ohne Brod, wie er Matth. 4,4. sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern durch das Wort Gottes.“ Es hat ihm aber wohlgefallen, uns durch das Brod und mit dem äußerlich angewandten Brode innerlich durch das Wort zu nähren.

Es steht also fest, daß aus dem Lohne ein Verdienst nicht bewiesen wird, wenigstens in der Schrift; ferner, daß aus dem Verdienste der freie Wille nicht bewiesen wird, viel weniger ein solcher freier Wille, wie ihn die Diatribe zu beweisen unternommen hat, nämlich, der aus sich allein nichts Gutes wollen kann. Denn wenn du auch das Verdienst zuließest, so würdest du, wie gewöhnlich, diese Gleichnisse und Folgerungen der Vernunft hinzufügen, nämlich, es werde vergebens geboten, vergebens der Lohn verheißen, vergebens die Drohungen gebraucht, wenn der Wille nicht frei wäre. Wenn hierdurch, sage ich, etwas bewiesen wird, so wird das bewiesen, daß der freie Wille aus sich allein alles vermöge. Denn wenn er aus sich allein nicht alles vermag, so bleibt jene Folgerung der Vernunft: Also wird vergeblich geboten, vergeblich verheißen, vergeblich werden die Drohungen gebraucht. So disputirt die Diatribe beständig wider sich selbst, während sie wider uns disputirt. Gott aber allein wirkt in uns durch seinen Geist sowohl das Verdienst als auch die Belohnung, beides aber thut er durch sein äußerliches Wort der ganzen Welt kund und zu wissen, damit auch bei den Gottlosen und Ungläubigen und Unwissenden seine Macht und Ehre und unser Unvermögen und Schande verkündigt werde, wiewohl allein die Gottseligen es zu Herzen nehmen, und die Gläubigen es festhalten, die anderen es aber verachten.

Es würbe nun aber allzu verdrießlich sein, alle einzelnen befehlenden Worte zu wiederholen, welche die Diatribe aus dem Neuen Testamente aufzählt und dabei immer ihre Folgerungen anhängt und geltend macht, es sei das, was gesagt wird, vergeblich, überflüssig, kraftlos, lächerlich, nichts, wenn der Wille nicht frei wäre. Denn wir haben schon bis zum größten Ueberdruß wieder und immer wieder gesagt, wie durch solche Worte nichts ausgerichtet werde, und wenn irgend etwas bewiesen werde, so werde der ganze freie Wille bewiesen. Das wäre aber nichts Anderes, als die ganze Diatribe umstoßen, da sie es ja auf sich genommen hat, einen solchen freien Willen zu beweisen, der nichts Gutes vermöge und der Sünde diene, statt dessen aber einen solchen beweist, welcher alles vermag, indem sie beständig nichts von sich weiß und ihrer selbst vergißt. Es sind bloße Spitzfindigkeiten, da sie so redet: „Aus ihren Früchten, spricht der Herr, werdet ihr sie erkennen. Die Früchte heißt er Werke und diese nennt er unsere Werke: wie können es aber unsere Werke sein, wenn alles durch Nothwendigkeit geschieht?“

Ich bitte dich, nennen wir denn nicht mit vollem Recht auch das unser eigen, was wir zwar nicht selbst gemacht, aber von anderen empfangen haben? Warum sollten also die Werke nicht die unsrigen genannt werden, welche Gott uns durch den Geist geschenkt hat? Oder sollen wir Christum nicht unser nennen, weil wir ihn nicht gemacht, sondern nur empfangen haben? Wiederum, wenn wir das machen, was unser genannt wird, so haben wir uns die Augen selbst gemacht, die Hände haben wir uns selbst gemacht und die Füße haben wir uns selbst gemacht, oder sie dürften nicht unsere Augen, Hände und Füße heißen. Ja (1 Cor. 4,7.), was haben wir, das wir nicht empfangen haben? sagt Paulus. Sollen wir also sagen, es sei entweder nicht unser, oder es sei von uns selbst gemacht? Stelle dir nun vor, die Früchte würden unser genannt, weil wir sie gethan haben; wo bleibt dann die Gnade und der Geist? Denn er sagt nicht: Aus den Früchten, welche nach einem ganz kleinen Theile die ihrigen sind, werdet ihr sie erkennen. Dieses sind vielmehr lächerliche, überflüssige, vergebliche, kraftlose, ja thörichte und hassenswerthe Spitzfindigkeiten, durch welche die heiligen Worte Gottes befleckt und entheiligt werden. So wird auch mit jenem Worte Christi am Kreuze Spott getrieben (Luc. 23,34.): „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.“ Während man da einen Ausspruch erwarten sollte, der den freien Willen begründen möchte, so begibt sie (die Diatribe) sich wieder zu Folgerungen: „Mit wie viel besserem Rechte“, sagt sie, „hätte er sie entschuldigt, weil sie keinen freien Willen haben, noch anders handeln können, wenn sie auch wollten.“ Doch auch durch diese Folgerung wird jener freie Wille nicht bewiesen, der nichts Gutes wollen kann, um den es sich handelt, sondern der, welcher alles vermag, von dem niemand handelt, und den alle leugnen, mit Ausnahme der Pelagianer. Ja, da Christus öffentlich sagt, daß sie nicht wissen, was sie thun, bezeugt er dadurch nicht auch zugleich, daß sie das Gute nicht wollen können? Denn wie kannst du das wollen, was du nicht weißt? Sicherlich begehrt niemand nach dem, was unbekannt ist. Was kann Stärkeres wider den freien Willen gesagt werden, als daß er so gar nichts sei, daß er nicht nur das Gute nicht wolle, sondern nicht einmal wisse, wie großes Uebel er thue, und was gut sei? Oder ist hier eine Dunkelheit in irgend einem Worte: Sie wissen nicht, was sie thun? Was bleibt noch in der Schrift übrig, was nicht durch Zuthun der Diatribe den freien Willen bestätigen könnte, da das überaus klare und ihr gänzlich entgegenstehende Wort Christi ihr denselben bestätigt? Ebenso leicht möchte jemand sagen, daß auch durch jene Stelle der freie Wille bestätigt werde: „Aber die Erde war wüste und leer“, oder durch die: „Gott ruhete am siebenten Tage“, oder eine ähnliche. Dann aber wird die Schrift zweifelhaft und dunkel werden, ja, zugleich alles und nichts sein. Aber so kühn sein und so die göttlichen Worte behandeln, zeigt einen Geist an, der Gott und Menschen schmählich verachtet, der durchaus keine Geduld verdient.

Und jenes Wort Joh. 1,12: „Er hat ihnen Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden“, faßt sie so: „Wie wird denen die Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden, wenn unser Wille keine Freiheit hat?“ Und diese Stelle ist ein Hammer wider den freien Willen, wie auch fast das ganze Evangelium Johannis; doch wird sie für den freien Willen angezogen. Laß uns doch zusehen, ich bitte dich. Johannes redet nicht von irgend einem Werke des Menschen, weder von einem großen noch von einem kleinen, sondern gerade von der Erneuerung und Veränderung des alten Menschen, der ein Kind des Teufels ist, zu einem neuen Menschen, der ein Kind Gottes ist. Hier verhält sich der Mensch rein leidend (passive, wie man sagt), thut auch nicht irgend etwas, sondern „wird“ ganz und gar. Denn von dem Werden redet Johannes, er sagt, daß sie Gottes Kinder werden, durch die Kraft, die uns von Gott geschenkt ist, nicht durch die Kraft des freien Willens, die in uns liegt.

Aber unsere Diatribe leitet hieraus ab, daß der freie Wille so viel vermöge, daß er Kinder Gottes mache, oder ist bereit zu erklären, daß das Wort des Johannes lächerlich und kraftlos sei. Wer hat aber jemals den freien Willen so erhoben, daß er ihm die Kraft beigelegt hätte, Gottes Kinder zu machen, besonders einen solchen, der das Gute nicht wollen kann, wie ihn die Diatribe angenommen hat? Aber das mag Hingehen mit den anderen Folgerungen, die so oft wiederholt sind, durch welche nichts bewiesen wird, wenn überhaupt etwas bewiesen wird, als das, was die Diatribe leugnet, nämlich, daß der freie Wille alles vermöge. Johannes will dies: Da Christus durch das Evangelium in die Welt gekommen ist, durch welches die Gnade angeboten, nicht aber ein Werk erfordert wird, so werde allen Menschen Gelegenheit gegeben und zwar eine herrliche, Gottes Kinder zu sein, wenn sie glauben wollten. Uebrigens, gleichwie der freie Wille zuvor niemals etwas von diesem Wollen, diesem Glauben an seinen Namen gewußt noch daran gedacht hat, so kann er es viel weniger aus seinen Kräften. Denn wie sollte die Vernunft denken, daß der Glaube an Jesum, den Sohn Gottes und des Menschen, nothwendig sei, da sie auch heutiges Tages noch nicht fassen oder glauben kann, wenngleich alle Creaturen es ausriefen, daß eine Person sei, welche zugleich Gott und Mensch sei? Sondern vielmehr ärgert sie sich an solcher Rede, wie Paulus sagt 1 Cor. 1,23. So viel fehlt daran, daß sie glauben wollte oder könnte.

Deshalb preist Johannes den Reichthum des Reiches Gottes, der durch das Evangelium der Welt angetragen worden ist, nicht aber die Kräfte des freien Willens, und gibt zugleich zu verstehen, wie wenige es sind, welche ihn annehmen, indem nämlich der freie Wille dawider streitet, der keine andere Kraft hat, als daß er, da der Teufel über ihn herrscht, auch die Gnade und den Geist zurückweise, welcher das Gesetz erfüllen könnte. So schönes Vermögen hat sein Bemühen und Bestreben, das Gesetz zu erfüllen. Aber nachher werden wir weitläuftiger sagen, was für ein Donnerschlag diese Stelle des Johannes wider den freien Willen sei. Es bewegt mich aber nicht wenig, daß so deutliche Stellen, die so kräftig sind gegen den freien Willen, von der Diatribe für den freien Willen angezogen werden, deren Stumpfsinn so groß ist, daß sie durchaus keinen Unterschied macht zwischen den Worten der Verheißung und denen des Gesetzes; denn nachdem sie in ganz läppischer Weise den freien Willen durch die Worte des Gesetzes aufgerichtet hat, sucht sie ihn darnach in der allerungereimtesten Weise durch die Worte des Evangeliums zu bestätigen. Doch diese Ungereimtheit wird leicht nach ihrem Grunde erkannt, wenn man betrachtet, wie wenig die Diatribe mit ihrem Herzen bei der Erörterung dieser Sache ist und wie sie dieselbe verachtet; denn es liegt ihr nichts daran, ob die Gnade stehe oder falle, ob der freie Wille liege oder sitze, nur (darum ist ihr zu thun), daß durch vergebliche Worte Haß auf die Sache geworfen und den Tyrannen gedient werde.

Hierauf kommt man auch zum Paulus, dem hartnäckigsten Feinde des freien Willens, und auch dieser wird gezwungen, den freien Willen aufzurichten, Röm. 2,4.: „Verachtest du den Reichthum der Güte, Geduld und Langmuth? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ „Wie“, sagt sie, „kann die Verachtung des Gebots zugerechnet werden, wo kein freier Wille ist? Wie kann Gott zur Buße locken, da er der Urheber der Unbußfertigkeit ist? Wie kann die Verdammniß gerecht sein, wo der Richter zur Uebelthat zwingt?“

Ich antworte: In Bezug auf diese Fragen möge die Diatribe zusehen. Was gehen sie uns an? Denn sie sagte nach der annehmbaren Meinung, der freie Wille könne das Gute nicht wollen und werde mit Nothwendigkeit zum Dienst der Sünde gezwungen. Wie kann ihm also die Verachtung des Gebotes zugerechnet werden, wenn er das Gute nicht wollen kann und auch nicht Freiheit hat, sondern nothwendiger Weise der Sünde dienen muß? Wie kann Gott zur Buße locken, da er der Urheber ist, daß derselbe nicht Buße thut, indem er ihn verläßt oder ihm nicht Gnade verleiht, da er aus sich allein das Gute nicht wollen kann? Wie kann die Verdammniß gerecht sein, wo der Richter durch Entziehung seiner Hülfe den Gottlosen zwingt, in der Uebelthat belassen zu bleiben, da er durch seine Kraft nicht anders kann? Alles fällt auf das Haupt der Diatribe zurück, oder wenn es etwas beweist (wie ich gesagt habe), so beweist es, daß der freie Wille alles vermöge, was doch von ihr und von allen geleugnet worden ist. Jene Folgerungen der Vernunft plagen die Diatribe bei allen Ausbrüchen der Schrift, daß es lächerlich und unnütz scheine, die Menschen mit so heftigen Worten zu dringen und zu treiben, wo keiner da ist, der es leisten könnte, während doch der Apostel darauf ausgeht, durch jene Drohungen die Gottlosen und Stolzen zur Erkenntniß ihrer selbst und ihres Unvermögens zu bringen, damit er die durch die Erkenntniß der Sünde Gedemüthigten zur Gnade bereite.

Und wozu ist es nöthig, alles einzeln anzuführen, was aus Paulus angezogen wird, da sie nichts als befehlende oder verpflichtende Worte sammelt, oder solche, durch welche Paulus, die Christen zur Frucht des Glaubens ermahnt? Die Diatribe aber, durch ihre hinzugefügten Folgerungen, entnimmt daraus, daß die Kraft des freien Willens eine solche und so groß sei, daß sie ohne die Gnade alles vermöge, was Paulus in seinen Ermahnungen vorschreibt. Die Christen aber werden nicht durch den freien Willen, sondern durch den Geist Gottes getrieben, Röm. 8,14. Getrieben werden ist aber nicht wirken, sondern hingerissen werden, wie eine Säge oder ein Beil von einem Zimmermann getrieben wird. Und damit hier ja niemand zweifele, daß Luther so ungereimte Dinge sage, so führt die Diatribe seine Worte an. Diese erkenne ich wahrlich an, denn ich bekenne, daß jener Artikel des Wiclef (daß alles durch Nothwendigkeit geschehe) von dem elenden Concil zu Constanz fälschlich verdammt worden ist, oder vielmehr durch Verschwörung und Aufruhr. Ja, die Diatribe selbst vertheidigt denselben mit mir, indem sie behauptet, daß der freie Wille aus seinen Kräften nichts Gutes wollen könne und mit Nothwendigkeit der Sünde Knecht sei, wiewohl sie unter dem Beweisen durchaus das Gegentheil aufstellt.

b. Wider den zweiten Theil der Diatribe, durch welchen Erasmus vermeinte Luthers Gründe umzustoßen.

Dies mag genug sein wider den ersten Theil der Diatribe, durch welchen sie den freien Willen hat aufrichten wollen. Nun wollen wir den zweiten Theil ansehen, durch welchen das Unsrige widerlegt wird, das heißt, das, wodurch der freie Wille aufgehoben wird. Hier wirst du sehen, was der Rauch eines Menschen vermöge wider die Blitze und Donnerschläge Gottes. Erstlich, nachdem sie unzählige Stellen der Schrift für den freien Willen angeführt hat, gleichsam ein überaus furchtbares Heer (um die Zeugen (Confessores) und Märtyrer und alle Heiligen des freien Willens, Männer und Weiber (Sanctos et Sanctas), beherzt zu machen, dagegen alle jene Leugner und Sünder gegen den freien Willen feige und zitternd zu machen), erdichtet sie ein verächtliches Häuflein wider den freien Willen, und läßt sogar nur „zwei Stellen, welche deutlicher sind als die anderen“, auf dieser Seite stehen, und ist natürlich nur zum Abschlachten bereit, und zwar ohne große Mühe, deren eine 2 Mos. 9,12. ist: „Der Herr verstockte das Herz Pharao“, die andere Mal. 1,2.3.: „Jakob habe ich lieb, aber Esau hasse ich.“ Da nun aber Paulus im Briefe an die Römer beide Stellen weitläuftiger auslegt, so ist es zu verwundern, eine wie hassenswerthe und unnütze Erörterung er, nach dem Urtheil der Diatribe, unternommen hat. Wenn aber der Heilige Geist der Redekunst nicht auch ein wenig kundig wäre, so hätte zu befürchten gestanden, er möchte, darniedergebeugt durch die so große Kunst einer erheuchelten Verachtung, gänzlich an der Sache verzweifeln und vor Beginn der Schlacht dem freien Willen die Siegespalme zugestehen. Aber ich will, verstärkt durch jene zwei Stellen, weiter unten auch unsere Truppen zeigen, wiewohl, wo der Kampf in solcher Weise entschieden werden kann (talis est pugnae fortuna), daß Einer zehntausend in die Flucht zu treiben vermag, keine Truppen nöthig sind. Denn wenn Eine Stelle den freien Willen überwunden hat, so werden ihm auch unzählige Schaaren nichts nützen.

Hier hat nun die Diatribe einen neuen Kunstgriff erfunden, den deutlichsten Stellen zu entschlüpfen, nämlich, daß sie meint, es sei in den einfachsten, klarsten Worten eine bildliche Rede, so daß, wie sie oben die befehlenden und verpflichtenden Worte des Gesetzes durch angehängte Folgerungen und Gleichnisse, die sie dazu dichtete, zum Gespötte machte, sie jetzt, wo sie gegen uns handeln will, alle Worte der Verheißung und göttlichen Zusage durch das Fündlein der bildlichen Rede (per tropum repertum) verdreht, wohin man auch sehen mag. So ist sie überall ein Proteus, den man nicht fassen kann. Ja, gerade das fordert sie mit großem Ernste, daß ihr das von uns gestattet werden müsse, weil wir ebenfalls, wenn wir in die Enge getrieben würden, durch Auffindung von bildlicher Redeweise entschlüpften, wie dort: „Greife, zu welchem du willst“, das ist, die Gnade wird deine Hand ausstrecken, wozu sie will; „Macht euch ein neues Herz“, das ist, die Gnade Gottes wird euch ein neues Herz schaffen, und Aehnliches. Es scheint daher unbillig zu sein, wenn es dem Luther freistehen sollte, eine so gewaltsame und gezwungene Erklärung beizubringen, und es nicht viel mehr erlaubt sein sollte, den Erklärungen der bewährtesten Lehrer zu folgen. Du siehst also hier, daß nicht über den Text selbst, auch nicht mehr über Folgerungen und Gleichnisse, sondern über bildliche Reden und Auslegungen gestritten wird. Wann werden wir also irgend einen einfachen und reinen Text für den freien Willen oder gegen den freien Willen finden können ohne bildliche Reden und Folgerungen? Hat denn die Schrift solche Texte nirgends, und wird die Sache des freien Willens immer zweifelhaft sein, da er ja durch keinen gewissen Text bestätigt, sondern allein durch Folgerungen und bildliche Reden, welche durch Menschen eingeführt werden, die unter einander uneinig sind, hin und her bewegt wird, wie ein Rohr vom Winde?

Wir wollen es vielmehr so halten, daß an keiner Stelle der Schrift weder eine Folgerung noch eine bildliche Rede zugelassen werden soll, wenn dies nicht die deutlichen Verhältnisse, unter welchen die Worte geredet sind (circumstantia verborum evidens), erzwingen, und die Ungereimtheit einer offenbaren Sache, welche gegend irgend einen Artikel des Glaubens verstößt; sondern überall muß man an der einfachen, reinen und natürlichen Bedeutung der Worte festhalten, welche die Sprachlehre und der Sprachgebrauch (usus loquendi), den Gott in den Menschen geschaffen hat, mit sich bringt. Wenn nun einem jeglichen freistehen sollte, nach seinem Gefallen Folgerungen und bildliche Reden in der Schrift zu erdichten, was würde aus der ganzen Schrift anders als ein Rohr, das vom Winde hin und her bewegt wird, oder eine Art Vertumnus? Dann würde in Wahrheit in keinem Artikel des Glaubens irgend etwas Gewisses weder aufgestellt noch bewiesen werden können, was man nicht durch irgend eine bildliche Redeweise zum Gespötte machen könnte. Es muß vielmehr eine jede bildliche Redeweise, welche die Schrift nicht selbst erzwingt, als das wirksamste Gift gemieden werden.

Siehe zu, wie es dem bildlich redenden (tropologo) Origenes gegangen ist bei Auslegung der Schrift, wie gegründeten Anlaß er dem Lästerer Porphyrius gegeben hat, so daß auch Hieronymus meint, daß diejenigen wenig ausrichten, welche den Origenes in Schutz nahmen. Was ist den Arianern widerfahren mit der bildlichen Rede, durch welche sie Christum zu einem adoptirten (nuncupativum) Gotte machten? Was geschah zu unserer Zeit diesen neuen Propheten mit den Worten Christi: „Das ist mein Leib“, wo einer bei dem Fürwort „das“, ein anderer bei dem Zeitwort „ist“, ein anderer bei dem Hauptwort „Leib“ bildliche Rede annimmt? Ich habe das beobachtet, daß alle Ketzereien und Irrthümer in der Schrift nicht aus den einfachen Worten hergekommen sind, wie fast in der ganzen Welt ausgerufen wird, sondern aus der Vernachlässigung der einfachen Worte und aus den aus dem eigenen Kopfe erkünstelten bildlichen Reden oder Folgerungen. Zum Beispiel: „Greife, zu welchem du willst“, habe ich niemals (soweit ich mich erinnere) mit dieser gewaltsamen Auslegung versehen, daß ich gesagt hätte: Die Gnade wird deine Hand ausstrecken, wozu sie will; „Macht euch ein neues Herz“, das ist, die Gnade wird euch ein neues Herz machen, und dergleichen, wiewohl mich die Diatribe in einem öffentlichen Buche so durchzieht, nämlich, weil sie mit bildlichen Reden und Folgerungen beschäftigt und durch dieselben bethört ist, daß sie nicht sieht, was sie von jemand redet, sondern so habe ich gesagt: „Strecke deine Hand aus“ etc., wenn man die Worte einfach so nimmt, wie sie lauten, mit Ausschluß der bildlichen Reden und Folgerungen, werde nichts Anderes ausgedrückt, als daß das Ausstrecken der Hand von uns gefordert wird, und dadurch angezeigt, was wir thun sollen, wie es die Art eines befehlenden Wortes ist bei den Grammatikern und nach dem Sprachgebrauche.

Die Diatribe aber sieht diese einfache Bedeutung des Wortes nicht an, sondern legt durch Folgerungen und gewaltsam hergeholte bildliche Reden so aus: „Strecke deine Hand aus“, das heißt, du kannst aus eigener Kraft deine Hand ausstrecken; „Machet ein neues Herz“, das heißt, ihr könnt ein neues Herz machen; „Glaubet an Christum“, das heißt, ihr könnt glauben: so daß es ihr gleich gilt, ob es befehlender Weise oder nach der Wirklichkeit (indicative) geredet wird, sonst ist sie bereit zu erklären, die Schrift sei lächerlich und vergeblich. Und diese Auslegungen, die kein Sprachlehrer ertragen kann, darf man an den Theologen nicht gewaltsame und erkünstelte nennen, sondern es sind die der bewährtesten Lehrer, die so viele Jahrhunderte lang angenommen worden sind.

Aber der Diatribe ist es leicht, an dieser Stelle bildliche Reden zuzulassen und anzunehmen, da ihr nichts daran liegt, ob das, was gesagt wird, gewiß oder ungewiß ist, ja, darauf geht sie aus, daß alles ungewiß sein soll, da sie ja den Rath gibt, die Lehren vom freien Willen lieber fahren zu lassen, als zu erforschen. Deshalb hat es ihr genügt, in jeder möglichen Weise die Aussprüche zu nichte zu machen, von denen sie, wie sie wohl merkt, in die Enge getrieben wird. Wir aber, für die es sich um eine ernste Sache handelt, und die wir die gewisseste Wahrheit suchen, um die Gewissen fest darauf zu gründen, müssen ganz anders verfahren. Uns, sage ich, ist es nicht ausreichend, wenn du sagst, es kann hier eine bildliche Rede sein, sondern das ist die Frage, ob hier eine bildliche Rede sein solle und müsse. Wenn du nun nicht zeigen kannst, daß nothwendiger Weise eine bildliche Rede darin liege, so richtest du durchaus nichts aus. Es steht da das Wort Gottes (2 Mos. 7,3.): „Ich will das Herz Pharao's verhärten.“ Wenn du sagst, es müsse so verstanden werden oder könne so verstanden werden: Ich werde zulassen, daß es verstockt werde; so höre ich zwar, daß es so verstanden werden könne; ich höre, daß diese bildliche Rede in volksthümlicher Sprache gebräuchlich ist, wie: Ich habe dich verderbt, weil ich dich nicht sogleich, als du fehltest, gezüchtigt habe. Aber diese Beweisung hat hier nicht statt; es fragt sich nicht, ob jene bildliche Rede im Gebrauche sei, es fragt sich nicht, ob jemand dieselbe an dieser Stelle des Paulus für sich in Anspruch nehmen könnte, sondern das ist die Frage, ob es sicher und gewiß sei, daß sie an dieser Stelle in richtiger Weise gebraucht werde und ob Paulus dieselbe gebrauchen wolle; es ist nicht die Frage, welches der fremde Gebrauch des Lesers sei, sondern was der Gebrauch des Verfassers selbst, des Paulus, sei. Was willst du mit einem Gewissen machen, welches so fragt: Siehe, Gott, als der Verfasser, sagt: „Ich will das Herz Pharao's verhärten.“ Die Bedeutung des Wortes „verhärten“ ist offenbar und bekannt; aber ein Mensch, der das liest, sagt mir: „Verhärten“ heißt an dieser Stelle: Anlaß zum Verhärten geben, indem der Sünder nicht sofort gezüchtigt wird. Durch welches Ansehen, durch welchen Rath, durch welche Nothwendigkeit wird mir jene natürliche Bedeutung des Wortes so verdreht? Wie, wenn der Leser und Ausleger irrte? Wodurch wird bewiesen, daß jene Verdrehung des Wortes an dieser Stelle geschehen müsse? Es ist gefährlich, ja, gottlos, Gottes Wort ohne Nothwendigkeit, ohne gegründete Berechtigung (autoritate) zu verdrehen. Kannst du dann der armen leidenden Seele so rathen: Origenes hat so oder so gedacht; laß ab, solchen zu erforschen, da es vorwitzig und überflüssig ist? Aber sie wird antworten: Dessen hätten Moses und Paulus erinnert werden sollen, ehe sie schrieben, ja, sogar Gott selbst. Was plagen sie uns denn mit vorwitzigen und überflüssigen Schriften?

Deshalb hilft der Diatribe diese elende Ausflucht nicht, es seien bildliche Reden, sondern hier muß unser Proteus tapfer festgehalten werden, daß er uns über die bildliche Rede dieser Stelle ganz gewiß machen müsse, und zwar mit ganz klaren Schriftstellen oder durch augenscheinliche Wunder. Daß sie so meint, selbst unter Beistimmung dessen, was durch den Fleiß aller Zeiten zuwege gebracht worden ist (consentiente omnium seculorum industria), dem glauben wir nichts, sondern fahren fort und dringen darauf, daß hier keine bildliche Rede sein könne, sondern daß die Rede Gottes einfach verstanden werden müsse, wie die Worte lauten. Denn es steht nicht in unserer Willkür (wie die Diatribe sich einredet), die Worte Gottes zu erdichten und umzudichten nach unserem Gefallen; was bliebe sonst in der ganzen Schrift übrig, das nicht auf die Philosophie des Anaxagoras hinauskäme, so daß aus jedem Beliebigen alles Beliebige werde? Denn ich könnte sagen: „Gott hat Himmel und Erde geschaffen“, das heißt, er hat sie geordnet, er hat sie aber nicht aus Nichts geschaffen; oder: Er hat Himmel und Erde geschaffen, das heißt, Engel und Teufel, oder Gerechte und Gottlose. Wer, ich bitte dich, würde dann nicht sogleich, wie er das Buch aufschlägt, ein Theologe sein? Wenn also dies fest und gewiß ist, so wird die Diatribe, wofern sie nicht beweisen kann, daß eine bildliche Rede in diesen unseren Stellen liege, welche sie entkräftet, gezwungen, uns zuzugestehen, die Worte müssen verstanden werden, wie sie lauten, wenngleich sie beweisen sollte, daß sonst dieselbe bildliche Rede in allen Stellen der Schrift und bei allen Schriftstellern ganz gewöhnlich sei. Und hiedurch ist alles, was wir gesagt, was die Diatribe widerlegen wollte, ein für allemal vertheidigt, und klar am Tage, daß ihre Widerlegung durchaus nichts ausrichte, nichts vermöge, nichts sei.

Wenn daher das Wort Mosis: „Ich will das Herz Pharao's verhärten“, so ausgelegt wird: Meine Lindigkeit, mit der ich den trage, der da sündigt, bringt zwar andere zur Buße, aber den Pharao wird sie hartnäckiger machen in seiner Bosheit, so ist das schön gesagt, aber es wird nicht bewiesen, daß so gesagt werden müsse; wir aber, nicht zufrieden damit, daß es nur gesagt werde, fordern den Beweis.

Desgleichen jenes Wort des Paulus (Röm. 9,18.): „Er erbarmt sich, welches er will, und verstocket, welchen er will“, wird einleuchtend (plausibiliter) ausgelegt: das heißt, Gott verstockt, wo er den Sündigenden nicht sofort züchtigt; er erbarmt sich, wo er bald zur Buße treibt durch Trübsale; aber wodurch wird diese Auslegung bewiesen?

Desgleichen jenes Wort des Jesajas (63,17.): „Warum lässest du uns, Herr, irren von deinen Wegen, und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten?“ Zugegeben, daß Hieronymus nach Origenes es so auslege: Von dem sagt man, er verführe, welcher nicht sofort von dem Irrthum zurückruft; wer macht uns gewiß, daß Hieronymus und Origenes richtig auslegen? Endlich ist unser Uebereinkommen, daß wir nicht mit Berufen auf (autoritate) irgend einen Lehrer, sondern allein auf die Schrift kämpfen wollen. Was hält also die Diatribe, welche das Uebereinkommen vergessen hat, uns Leute wie Origenes und Hieronymus entgegen? da unter den Kirchenlehrern fast keine Schriftsteller sind, welche abgeschmackter und ungereimter die heilige Schrift behandelt haben, als Origenes und Hieronymus.

Und, um es mit Einem Worte zu sagen: Diese Willkür in der Auslegung läuft darauf hinaus, daß durch eine neue und unerhörte Sprachlehre alles verwirrt wird, so daß, wenn Gott sagt: Ich will das Herz Pharao's verhärten, die Personen vertauscht werden, und du es so verstehen mußt, Pharao verhärtet sich durch meine Lindigkeit; Gott verstockt unser Herz, das heißt, wir selbst verstocken uns, indem Gott die Strafen aufschiebt; Du, Herr, hast uns irren gemacht, das heißt, wir haben uns selbst irren gemacht, da du nicht züchtigtest. Wenn es also heißt, daß Gott sich erbarme, bezeichnet das nun nicht mehr, daß er Gnade schenke, oder Barmherzigkeit erweise, die Sünde erlasse, rechtfertige oder von Uebeln befreie, sondern es besagt, er füge Uebel zu und züchtige. Durch diese bildlichen Reden wird endlich das zuwege gebracht werden, daß du sagen kannst, Gott habe sich der Kinder Israel erbarmt, indem er sie nach Assyrien und Babylon versetzte, denn dort züchtigte er die Sünder, dort lockte er sie durch Trübsale zur Buße; wiederum, als er sie zurückführte und befreite, da hat er sich nicht erbarmt, sondern hat sie verhärtet, das heißt, er hat ihnen durch seine Lindigkeit und Barmherzigkeit Anlaß gegeben, sich zu verhärten. Wenn es also heißt, daß er Christum als Heiland in die Welt sendete, so wird damit nicht gesagt, daß das Gottes Barmherzigkeit sei, sondern Verstockung, weil er durch diese Barmherzigkeit den Menschen Anlaß gab, sich zu verstocken. Wenn er aber Jerusalem verwüstet und die Juden verworfen hat (perdidit) bis auf diesen Tag, da erbarmt er sich ihrer, weil er die züchtigt, die gesündigt haben, und sie zur Buße einladet. Daß er die Heiligen in den Himmel führen wird am Tage des Gerichtes, das wird er nicht thun, um sich ihrer zu erbarmen, sondern um sie zu verhärten, weil er ihnen Gelegenheit geben wird, seine Güte zu mißbrauchen; wenn er aber die Gottlosen zur Hölle stoßen wird, da wird er sich ihrer erbarmen, weil er die Sünder züchtigt. Ich bitte dich, wer hat jemals von solchem Erbarmen und Zorn Gottes gehört?

Es mag immerhin sein, daß die Guten sowohl durch die Lindigkeit als auch durch die Strenge Gottes besser werden, doch da wir zugleich von Guten und Bösen reden, so werden diese bildlichen Reden aus der Barmherzigkeit Gottes Zorn machen und aus dem Zorne Barmherzigkeit, durch eine ganz verdrehte Art zu reden, da sie das Zorn nennen, wenn Gott wohlthut, und Barmherzigkeit, wenn er straft. Wenn nun aber gesagt werden soll, Gott verhärte, wenn er wohlthut und trägt, aber er erbarme sich, wenn er schlägt und züchtigt, warum wird denn gesagt, daß er den Pharao mehr verstockt habe, als die Kinder Israel, oder auch die ganze Welt? Oder that er den Kindern Israel nicht wohl? thut er nicht der ganzen Welt wohl? trägt er nicht die Bösen? lässet er nicht regnen über Gute und Böse? Warum wird gesagt, daß er sich mehr über die Kinder Israel als über Pharao erbarmt habe? hat er denn nicht die Kinder Israel in Egypten und in der Wüste geschlagen? Es mag immerhin sein, daß einige Gottes Güte und Zorn mißbrauchen, andere sie recht gebrauchen. Du aber deutest dies so: Verstocken sei so viel, als Nachsicht haben gegen die Bösen aus Lindigkeit und Güte, sich erbarmen aber sei, keine Nachsicht haben, sondern heimsuchen und strafen. Daher, soviel Gott anbetrifft, thut er mit beständiger Güte nichts Anderes, als daß er verhärtet, mit beständigem Strafen thut er nichts Anderes, als daß er sich erbarmt.

Aber dies ist weitaus das Schönste: Es wird von Gotte gesagt, er verstocke, wenn er Nachsicht hat mit den Sündern durch seine Lindigkeit, aber er erbarme sich, wenn er heimsucht und schlägt, indem er durch seine Strenge zur Buße einladet. Was, ich bitte dich, hat Gott unterlassen, um den Pharao zur Buße zu schlagen, zu züchtigen, zu rufen? Werden dort nicht zehn Plagen aufgezählt? Wenn deine Erklärung feststeht, daß „sich erbarmen“ sei, den Sünder sogleich züchtigen und rufen, so hat sich Gott des Pharao sicherlich erbarmt. Warum sagt also Gott nicht: Ich will mich Pharao's erbarmen, sondern spricht: „Ich will das Herz Pharao's verhärten“? (2 Mos. 7,3.) Denn eben damit, daß er sich seiner erbarmt, das heißt, wie du sagst, schlägt und züchtigt, sagt er: Ich will ihn verhärten, das ist, wie du sagst, ich will ihm wohlthun und ihn tragen. Was könnte man Ungeheuerlicheres hören? Wo sind jetzt deine bildlichen Reden? wo Origenes? wo Hieronymus? wo die bewährtesten Lehrer, denen Ein Mensch, Luther, vermessen widerspricht? Aber so zu reden zwingt die Unvorsichtigkeit des Fleisches, indem sie mit Gottes Worten ihr Spiel treibt und nicht glaubt, daß sie ernstlich seien.

Es thut also dieser Text Mosis selbst unwiderleglich dar, daß jene bildlichen Reden erdichtet sind und an diese Stelle durchaus nicht gehören, und daß durch jene Worte: „Ich will das Herz Pharao's verhärten“ etwas weitaus Anderes und ein viel Größeres bezeichnet wird, als Wohlthun und Heimsuchung und Züchtigung, da wir nicht leugnen können, daß beides an Pharao mit dem größten Eifer und der größten Sorgfalt versucht worden ist. Denn wie könnte der Zorn und die Züchtigung heftiger sein, als indem er mit so vielen Zeichen, mit so vielen Plagen geschlagen wird, daß auch Moses selbst bezeugt, dergleichen sei niemals gewesen? Ja, auch Pharao selbst wird durch dieselben wiederholt erschüttert, so daß es schien, als ob er zur Besinnung käme, aber er wird nicht gründlich bewegt und beharrt auch nicht. Wie kann es aber auch eine größere Lindigkeit und Güte geben, als da Gott so leicht die Plagen wegnimmt und ihm so oft die Sünde vergibt, so oft wieder Gutes erzeigt, so oft das Uebel wegnimmt? Dennoch richtet beides nichts aus, gleichwohl sagt er: „Ich will das Herz Pharao's verhärten.“ Du siehst also, obgleich wir deine Verhärtung und deine Barmherzigkeit (das heißt, nach deiner Auslegung und deiner bildlichen Rede) willig zugestehen, sowohl was den Gebrauch des Wortes, als was jenes Beispiel anlangt, wie man an Pharao sehen kann, so steht dennoch die Verhärtung fest, und es muß nothwendiger Weise die, von der Moses redet, eine andere (Verhärtung) sein, als die, welche du erträumst.

Aber da wir mit Leuten kämpfen, die Erdichtetes vorbringen, und mit Larven, so wollen auch wir eine Larve vornehmen und erdichten und den unmöglichen Fall setzen, die bildliche Rede, welche die Diatribe erträumt, habe an dieser Stelle Geltung, um zu sehen, wie sie dem entgehen will, daß sie nicht gezwungen werde zu bekennen, daß allein durch Gottes Willen, unsererseits aber aus Notwendigkeit, alles geschehe, und wie sie Gott entschuldigen will, daß er nicht der Urheber und die Schuld unserer Verhärtung sei. Wenn es wahr ist, daß dann von Gott gesagt werde, er verhärte, wenn er durch seine Lindigkeit trägt und nicht sogleich bestraft, so bleibt beides noch fest stehen. Erstlich, daß der Mensch nichtsdestoweniger nothwendiger Weise der Sünde Knecht ist. Denn da es zugegeben worden ist, daß der freie Wille nicht irgend etwas Gutes wollen könne (was (zu beweisen) die Diatribe unternommen hat), so wird er durch die Lindigkeit Gottes, der ihn trägt, nichts besser, sondern mit Notwendigkeit ärger, wenn ihm nicht von Gotte, der sich erbarmt, der Geist dazu gegeben wird; deshalb geschieht doch noch unsererseits alles aus Notwendigkeit.

Zweitens, daß Gott ebenso grausam zu sein scheint, wenn er durch seine Lindigkeit trägt, als wenn er, wie man dafürhält, daß von uns gepredigt werde, durch sein Wollen verhärtet nach seinem unerforschlichen Willen. Denn da er sieht, daß der freie Wille das Gute nicht wollen kann und ärger wird durch die Lindigkeit dessen, der ihn trägt, so scheint er gerade wegen dieser Lindigkeit überaus grausam zu sein und sich zu ergötzen an unserem Uebel, wiewohl er es heilen könnte, wenn er wollte, und nicht tragen könnte, wenn er wollte, ja, wenn er nicht wollte, nicht tragen könnte; denn wer möchte ihn zwingen wider seinen Willen? Da nun jener Wille feststeht, ohne den nichts geschieht, und zugegeben worden ist, daß der freie Wille nichts Gutes wollen kann, so wird vergeblich gesagt, was da geredet wird, um Gott zu entschuldigen und den freien Willen anzuklagen. Denn immer sagt der freie Wille: Ich kann nicht, und Gott will nicht; was soll ich machen? Freilich, er mag sich erbarmen durch Züchtigung, ich habe davon keinen Nutzen, sondern muß nothwendiger Weise schlechter werden, wenn er mir nicht den Geist schenkt. Aber diesen schenkt er mir nicht; er würde ihn aber schenken, wenn er wollte; deshalb ist es gewiß, daß er ihn nicht geben will.

Auch die beigebrachten Gleichnisse dienen nichts zur Sache, da gesagt wird: „Gleichwie durch dieselben Sonnenstrahlen der Koth hart und das Wachs weich wird und durch denselben Platzregen ein bebautes Land Früchte, ein unbebautes Dornen trägt, so werden durch dieselbe Sanftmuth Gottes einige verhärtet, andere bekehrt.“

Denn wir theilen den freien Willen nicht in zwei verschiedene Arten der Beschaffenheit nach (ingenia), daß der eine ist wie Koth, der andere wie Wachs, oder der eine ein bebautes Land, der andere ein unbebautes Land, sondern wir reden von Einem, der in allen Menschen in gleicher Weise unvermögend ist, welcher nur Koth, nur unbebautes Land ist, so daß er das Gute nicht wollen kann. Deshalb, gleichwie der Koth immer härter wird und das unbebaute Land immer dornichter, so wird der freie Wille immer ärger, sowohl durch die Lindigkeit der Sonne, welche verhärtet, als auch durch den erweichenden Platzregen. Wenn also in allen Menschen ein freier Wille ist, der nur in Einer Weise gedeutet werden kann und dasselbe Unvermögen an sich hat, so kann keine Rechenschaft darüber gegeben werden, warum der eine zur Gnade gelange und der andere nicht dazu gelange, wenn nichts Anderes gepredigt wird als die Sanftmuth des tragenden und die Züchtigung des sich erbarmenden Gottes. Denn es ist in alle Menschen ein freier Wille gelegt, der auf gleiche Weise beschrieben wird, daß er nichts Gutes wollen kann. Dann kann auch Gott niemanden erwählen und es bleibt keine Stelle für die Erwählung übrig, sondern allein die Freiheit des Willens, der die Sanftmuth und den Zorn entweder annimmt oder zurückweist. Wenn aber Gott der Kraft und der Weisheit des Erwählens so beraubt wird, was wird er anders sein als ein Götzenbild des Schicksals, durch dessen Macht (numine) alles von ungefähr geschieht? Und endlich wird es dahin kommen, daß die Menschen selig oder verdammt werden, ohne daß Gott es weiß, da er ja durch eine gewisse (certa) Erwählung keinen Unterschied gemacht hat zwischen denen, die selig, und denen, die verdammt werden sollen, sondern es, durch die allen dargebotene allgemeine tragende und verhärtende Lindigkeit, dann auch durch die züchtigende und strafende Barmherzigkeit, den Menschen überlassen hat, ob sie selig oder verdammt werden wollen. Er selbst ist vielleicht unterdessen zu einem Gastmahle bei den Mohren gegangen, wie Homer sagt.

Einen solchen Gott hat uns auch Aristoteles abgemalt, nämlich, der da schlafe und seiner Güte und Züchtigung gebrauchen und mißbrauchen lasse alle, die da wollen. Und die Vernunft kann nicht anders über ihn urtheilen, als die Diatribe hier thut. Denn gleichwie sie schnarcht und die göttlichen Dinge verachtet, so urtheilt sie auch von Gotte, als ob er schnarche, seine Weisheit, seinen Willen, seine Allgegenwart nicht gebrauche zum Erwählen, zum Unterscheiden, zum Eingeben (des Heiligen Geistes), und den Menschen dieses mühevolle und beschwerliche Werk übertragen habe, seine Lindigkeit und seinen Zorn anzunehmen und auszuschlagen. Dahin kommt es, wenn wir Gott nach der menschlichen Vernunft messen und entschuldigen wollen, wenn wir die Geheimnisse Gottes nicht verehren wollen, sondern forschend eindringen, daß wir, überwältigt von Ruhmsucht, statt Einer Entschuldigung tausend Lästerungen ausstoßen, auch unser selbst dabei nicht eingedenk sind, sondern zugleich wider Gott und wider uns selbst schwatzen, wie unsinnige Leute thun, indem wir in großer Weisheit für Gott und für uns reden wollen. Denn hier siehst du, was diese bildliche Rede und Deutung (glossa) der Diatribe aus Gott macht; dann auch, wie fein sie mit sich selber stimmt, da sie zuvor den freien Willen durch Eine Erklärung (definitione) für alle Menschen zu einem gleichen und gleichartigen machte, jetzt aber unter dem Erörtern der eigenen Erklärung vergißt, den einen zu einem bebauten, den andern zu einem unbebauten macht, indem sie nach der Verschiedenheit der Werke und der Lebensweise (morum) auch verschiedene freie Willen der Menschen macht, einen, der Gutes thue, einen andern, der es nicht thue, und zwar aus seinen Kräften vor der Gnade, wiewohl sie vorher in der Erklärung festgestellt hatte (definierat), daß er aus diesen Kräften nichts Gutes wollen könne. So geschieht es, daß wir, indem wir dem Willen Gottes allein den Willen und die Macht, zu verhärten und sich zu erbarmen und alles zu thun, nicht einräumen, dem freien Willen selbst zuschreiben, daß er alles vermöge ohne die Gnade, wiewohl wir doch in Abrede genommen haben, daß er ohne die Gnade irgend etwas Gutes vermöge.

Daher paßt das Gleichniß von der Sonne und dem Platzregen durchaus nicht hieher: richtiger möchte ein Christ dieses Gleichnisses so gebrauchen, daß er das Evangelium die Sonne und den Platzregen nennte, wie es der 19. Psalm (V. 5.6.) und der Brief an die Hebräer, Cap. 6,7., thut, das bebaute Land aber die Auserwählten, das unbebaute die Verworfenen; denn jene werden durch das Wort erbaut und werden besser, diese werden geärgert und werden schlechter; sonst ist der freie Wille an sich in allen Menschen das Reich des Teufels.

Wir wollen auch die Ursachen besehen, um derentwillen an dieser Stelle eine bildliche Rede erdichtet worden ist. „Es scheint ungereimt zu sein (sagt die Diatribe), daß von Gott, der nicht allein gerecht, sondern auch gut ist, gesagt wird, er verstocke das Herz eines Menschen, damit er durch dessen Bosheit seine Macht verherrlichen möge. Deshalb geht sie auf den Origenes zurück, welcher gesteht, Gott habe zu der Verstockung Gelegenheit gegeben, jedoch die Schuld auf den Pharao wälzt. Ferner hat derselbe (Origenes) angemerkt, daß der Herr gesagt hat: Gerade dazu habe ich dich erweckt, er sagt nicht, gerade dazu habe ich dich gemacht. Sonst wäre Pharao nicht gottlos gewesen, wenn Gott ihn so erschaffen hätte, der da alle seine Werke ansah, und siehe, sie waren sehr gut.“ Soweit die Diatribe.

Also die Ungereimtheit ist eine von den hauptsächlichsten Ursachen, daß die Worte Mosis und des Paulus nicht einfach verstanden werden sollen? Aber gegen welchen Artikel des Glaubens verstößt diese Ungereimtheit? oder wer wird durch dieselbe geärgert? Die menschliche Vernunft wird geärgert, welche, obwohl sie in allen Worten und Werken Gottes blind, taub, thöricht, gottlos und gotteslästerlich ist, an dieser Stelle als Richterin, über die Worte und Werke Gottes hergebracht wird. Mit demselben Grunde könntest du alle Artikel des Glaubens leugnen (und sagen), daß es doch das Allerungereimteste wäre und, wie Paulus sagt (1 Cor. 1,23.), „den Heiden eine Thorheit und den Juden ein Aergerniß“, daß Gott Mensch sei, der Sohn einer Jungfrau, gekreuzigt, sitzend zur Rechten des Vaters. Es ist ungereimt (sage ich), solches zu glauben. Also laßt uns mit den Arianern einige bildliche Reden erdichten, damit Christus nicht einfach Gott sei. Laßt uns bildliche Reden mit den Manichäern erdichten, damit er nicht wahrer Mensch sei, sondern ein Gespenst, welches durch die Jungfrau, wie ein Strahl durch das Glas, hindurchgegangen und gekreuzigt sei. So schön werden wir die Schrift behandeln (wenn wir der Vernunft folgen).

Aber es helfen die bildlichen Reden doch nicht, noch wird dadurch die Ungereimtheit vermieden. Denn es bleibt (nach dem Urtheil der Vernunft) ungereimt, daß der gerechte und gute Gott von dem freien Willen unmögliche Dinge fordern sollte, und, da der freie Wille das Gute nicht wollen kann und nothwendiger Weise der Sünde dient, er es ihm doch anrechnen sollte. Und indem er den Geist nicht verleiht, daß er dann nicht gütiger oder gnädiger handelte, als wenn er verstockte, oder zuließe, daß sie sich verstocken. Von diesen Dingen wird die Vernunft sagen, daß sie einem guten und gnädigen Gotte nicht zukommen. Dieselben sind allzusehr über ihr Begreifen und sie kann sich auch nicht gefangen geben, daß sie glauben sollte, Gott sei gut, der solches thut und richtet, sondern mit Beiseitesetzung des Glaubens will sie tasten und sehen und begreifen, wie er gut und nicht grausam sei. Sie würde ihn aber dann begreifen, wenn so in Bezug auf Gott geredet würde: Er verhärtet niemanden, er verdammt niemanden, sondern er erbarmt sich aller, alle macht er selig, so daß, nachdem die Hölle zunichte gemacht und die Furcht vor dem Tode darniedergelegt ist, keine künftige Strafe zu befürchten stände. Darum ist sie so hitzig und strengt sich an, Gott als einen gerechten und guten zu entschuldigen und zu vertheidigen. Aber der Glaube und der Geist urtheilen anders, da sie glauben, daß Gott gut ist, wenngleich er alle Menschen ins Verderben stoßen würde (perderet). Und was nützt es, daß wir uns mit diesen Gedanken abmühen, daß wir die Schuld der Verstockung auf den freien Willen wälzen; der freie Wille in der ganzen Welt und aus allen Kräften möge thun, was er nur vermag, so wird er doch kein Beispiel beibringen, durch welches (bewiesen würde, das) er vermeiden könne, daß er nicht verstockt werde, wenn Gott den Geist nicht gibt, oder durch welches (er zeigen könnte, daß) er Barmherzigkeit verdienen könne, wenn er seinen eigenen Kräften überlassen worden ist. Denn was liegt daran, ob er verstockt werde, oder ob er verdiene, verstockt zu werden, da die Verstockung nothwendiger Weise in ihm liegt, so lange jenes Unvermögen in ihm ist, nach welchem er das Gute nicht wollen kann, wie die Diatribe selbst bezeugt. Da nun durch diese bildlichen Reden die Ungereimtheit nicht weggenommen wird oder, wenn sie weggenommen wird, größere Ungereimtheiten beigebracht werden, und dem freien Willen alles zugeschrieben wird, so mögen die unnützen und trügerischen bildlichen Reden dahinfahren und wir wollen an dem reinen und einfachen Worte Gottes festhalten.

Die andere Ursache ist, daß das, was Gott gemacht hat, sehr gut ist, und Gott nicht gesagt hat: Gerade dazu habe ich dich gemacht, sondern, gerade dazu habe ich dich erweckt. Erstlich sagen wir, daß dieses vor dem Falle des Menschen gesagt worden ist, wo das, was Gott gemacht hatte, sehr gut war. Aber bald, im dritten Capitel, folgt, wie der Mensch böse geworden ist, von Gott verlassen und sich selbst überlassen. Von diesem so verderbten Menschen sind alle Gottlosen geboren, auch Pharao, wie Paulus (Eph. 2,3.) sagt: „Wir alle waren Kinder des Zorns von Natur, gleichwie auch die andern.“ Gott hat also den Pharao als einen Gottlosen geschaffen (condidit), das heißt, aus einem gottlosen und verderbten Samen, wie es in den Sprüchen Salomonis (16,4.) heißt: „Der Herr macht alles um sein selbst willen, auch den Gottlosen zum bösen Tage.“ Daraus folgt nun nicht: Gott hat den Gottlosen geschaffen, also ist er nicht gottlos; denn wie sollte der, welcher aus gottlosem Samen herkommt, nicht gottlos sein? wie der 51. Psalm (V.7.) sagt: „Siehe, ich bin in Sünden empfangen“, und Hiob (14,4.): „Wer kann einen Reinen machen aus dem, der von unreinem Samen empfangen ist?“ Denn wiewohl Gott die Sünde nicht macht, so hört er doch nicht auf, die Natur, welche durch die Sünde verderbt ist, nachdem der Geist hinweggenommen ist, zu bilden und zu vervielfältigen, gleichsam als wenn ein Künstler aus verderbtem Holze Bildsäulen machte. Welcherlei nun das natürliche Wesen (natura) ist, solcherlei werden die Menschen, da Gott sie schafft und bildet aus einer solchen Natur. Zweitens sage ich: Wenn du willst, daß die Worte „es war sehr gut“ von den Werken Gottes nach dem Falle verstanden werden, so hast du zu beachten, daß dies nicht von uns, sondern von Gotte gesagt wird. Denn es heißt nicht: der Mensch sahe an, was Gott gemacht hatte, und es war sehr gut. Vieles scheint und ist vor Gotte sehr gut, was uns sehr schlecht scheint und ist. So die Heimsuchungen, Uebel, Irrthümer, die Hölle. Ja, alle besten Werke Gottes sind vor der Welt sehr schlecht und verdammlich. Was gibt es Besseres als Christus und das Evangelium? aber was gibt es Verfluchteres für die Welt? Deshalb, wie das gut sein kann vor Gotte, was für uns böse ist, das weiß allein Gott, und diejenigen, welche mit den Augen Gottes sehen, das heißt, die den Geist haben. Aber eine so scharfe Erörterung ist noch nicht nöthig, es genügt einstweilen die vorige Antwort.

Es wird vielleicht die Frage aufgeworfen, wie von Gott gesagt werden könne, daß er Böses in uns wirke, als verhärten, den Lüsten übergeben, irreführen, und dergleichen. Man sollte wahrlich mit den Worten Gottes zufrieden sein und einfältiglich glauben, was sie sagen, da die Werke Gottes ganz unaussprechlich sind, doch um der Vernunft, das ist, der menschlichen Thorheit zu Willen zu sein, wollen wir kindisch und thöricht sein und lallend versuchen, ob wir etwa etwas an ihr ausrichten können.

Erstens. Auch die Vernunft und die Diatribe gibt zu, daß Gott alles in allen wirke (1 Cor. 12,6.), und daß ohne ihn nichts geschehe noch wirksam sei, denn er ist allmächtig, und das gehört zu seiner Allmacht, wie Paulus sagt zu den Ephesern (1,19.). Nun können der Teufel und der Mensch, gefallen und von Gott verlassen, das Gute nicht wollen, das heißt, das, was Gotte gefällt, oder was Gott will, sondern sie sind beständig auf ihre Lüste bedacht, so daß sie nicht anders können als das suchen, was ihr eigen ist. Dieser ihr so von Gott abgewendeter Wille und Natur ist nicht Nichts, denn weder der Teufel noch der gottlose Mensch ist Nichts, oder haben keine Natur oder Willen, wiewohl sie eine verderbte und (von Gott) abgewendete Natur haben. Es bleibt also nur das übrig, daß wir sagen: das natürliche Wesen (naturae) bei dem Gottlosen und dem Teufel, wie es ein Geschöpf und Werk Gottes ist, ist der Allmacht und dem göttlichen Handeln nicht weniger unterworfen als alle anderen Geschöpfe und Werke Gottes.

Da nun Gott alles in allen bewegt und wirkt, so bewegt und wirkt er auch nothwendiger Weise in dem Teufel und in dem Gottlosen. Er wirkt aber in ihnen in solcher Weise, wie sie selbst beschaffen sind und welcherlei er sie findet, das heißt, da sie abgewendet (von Gott) und böse sind und getrieben werden durch die Bewegung (motu) der göttlichen Allmacht, so thun sie nur, was (Gotte) zuwider (aversa) und böse ist, gleichsam als wenn ein Reiter ein Pferd führt (agit), welches nur drei oder nur zwei (gesunde) Beine hat, er führt es aber in solcher Weise, wie das Pferd ist, das heißt, das Pferd geht gar übel einher. Aber was soll der Reiter thun? Er führt ein solches Pferd zugleich mit gesunden, jenes auf üble Weise, diese in guter Weise; er kann nicht anders, wenn nicht das Pferd gesund wird. Hier siehst du, daß Gott, da er in Bösen und durch Böse wirkt, das Böse zwar geschehen läßt, daß aber Gott dennoch nicht böse Handeln kann, wiewohl er das Böse durch Böse ausrichtet, weil er selbst als der Gute nicht böse handeln kann, doch bedient er sich böser Werkzeuge, welche dem Triebe (raptum) und der Bewegung (motum) seiner Macht sich nicht entziehen können. Der Fehler liegt an den Werkzeugen, welche Gott nicht müßig sein läßt, so daß Böses geschieht, indem Gott selbst bewegt (movente), nicht anders als wenn ein Zimmermann mit einem rauhen, schartigen Beile übel hackte. Daher kommt es, daß ein Gottloser immer irren und sündigen muß, weil ihm, indem er durch den Trieb der göttlichen Macht bewegt wird, nicht zugelassen wird, unthätig zu sein, sondern, daß er in solcher Weise wollen, wünschen und thun muß, wie er selbst beschaffen ist.

Dies ist fest und gewiß, wenn wir glauben, daß Gott allmächtig ist, dann auch, daß der Gottlose Gottes Geschöpf ist, aber, (von Gott) abgewendet und sich selbst überlassen, ohne den Geist Gottes das Gute weder wollen noch thun kann. Die Allmacht Gottes bewirkt, daß der Gottlose sich der Bewegung und Handlung Gottes nicht entziehen kann, sondern derselben als ein ihr notwendiger Weise Unterworfener gehorcht. Aber seine Verderbniß oder die Abwendung seiner (Person) von Gott macht, daß er nicht in guter Weise bewegt und getrieben werden kann. Gott kann seine Allmacht um der Abwendung jenes willen nicht anstehen lassen, der Gottlose aber kann seine Abwendung nicht ändern. So geschieht es, daß er beständig und nothwendiger Weise sündigt und irrt, bis er durch den Geist Gottes gebessert wird. In dem allen aber herrscht der Teufel noch in Frieden und besitzt seinen Palast in Frieden unter dieser Wirkung (motu) der göttlichen Allmacht. Darnach aber folgt der Handel der Verstockung, der sich so verhält: Der Gottlose (wie wir gesagt haben) wie auch sein Fürst, der Teufel, ist ganz auf sich und das Seine hingewendet; er sucht Gott nicht, kümmert sich auch nicht um das, was Gottes ist; seine Schätze, seinen Ruhm, seine Werke, seine Weisheit, sein Vermögen (posse) und überhaupt sein Reich sucht er und will diese Dinge in Frieden genießen. Wenn ihm nun jemand widersteht, oder ihm irgend etwas von diesen Dingen vermindern will, so wird er durch dieselbe (von Gott) abgewendete Gesinnung, nach welcher er jene Dinge sucht, auch bewegt und entrüstet, und wüthet gegen seinen Widersacher. Und ebensowenig kann er es unterlassen, zu wüthen, als er es unterlassen kann, zu begehren und (das Seine) zu suchen, und ebensowenig kann er aufhören zu begehren, als er aufhören kann zu sein, da er ein Geschöpf Gottes ist, wiewohl ein verderbtes.

Dies ist jenes Wüthen der Welt wider das Evangelium Gottes, denn durch das Evangelium kommt jener Stärkere, der den ruhigen Besitzer des Palastes überwinden will und diese Lüste der Ehre, des Reichthums, der Weisheit und der eigenen Gerechtigkeit verdammt und alles, worauf er vertraut. Gerade diese Reizung der Gottlosen, daß Gott das Gegentheil sagt oder thut von dem, was sie wollten, ist ihre Verhärtung und Aergerwerden (ingravatio). Denn da sie durch sich selbst durch die Verderbniß der Natur (von Gott) abgewandt sind, so werden sie dann viel mehr abgewandt und werden ärger, wenn ihrer Abwendung widerstanden oder verkleinerlich davon geredet wird. So reizte Gott den gottlosen Pharao, da er ihm seine Herrschaft entreißen wollte, und verhärtete und verstockte sein Herz immer mehr, indem er ihn durch das Wort Mosis angriff, gleichsam als wollte derselbe ihm sein Reich nehmen und das Volk seiner Herrschaft entziehen, und gab ihm inwendig den Geist nicht, sondern ließ seine gottlose Verderbniß zu, daß er unter der Herrschaft des Teufels zornig wäre, sich stolz erhöbe, wüthete und fortführe in großer Sicherheit und Verachtung. Darum soll niemand denken, daß Gott, wenn von ihm gesagt wird, er verhärte oder wirke Böses in uns (denn verhärten ist Böses thun), so handele, als ob er von neuem Böses in uns schaffe, als wenn du dir dächtest, daß ein boshafter Schenkwirth, der selbst böse ist, in ein nicht böses Gefäß Gift schüttete oder mischte, indem das Gefäß selbst nichts thäte, als daß es die Bosheit des Giftmischers empfinge oder litte. Denn so scheinen sie es sich vorzustellen, daß der Mensch, welcher an sich gut oder nicht böse wäre, von Gotte ein böses Werk litte, wenn sie hören, daß von uns gesagt wird, Gott wirke in uns Gutes und Böses, und daß wir durch eine Notwendigkeit, in der wir uns rein leidentlich verhalten (mera necessitate passiva), Gotte, der da wirkt, unterworfen seien, indem sie nicht genügend bedenken, wie rastlos Gott in allen seinen Creaturen wirkt, und daß er keine müßig sein läßt. Sondern, wer dergleichen in irgend einer Weise verstehen will, daß Gott in uns, das heißt, durch uns Böses wirke, der muß so denken, daß dies nicht durch Schuld Gottes, sondern durch unseren Fehl geschehe. Denn, da wir von Natur böse sind, Gott aber gut, und er uns nach der Art seiner Allmacht durch seine Wirkung treibt (rapiens), so kann er nichts Anderes thun, als daß er, der selbst gut ist, durch das böse Werkzeug Böses thue, wiewohl er nach seiner Weisheit dieses Bösen wohl gebraucht zu seiner Ehre und zu unserem Heil.

So findet er auch den Willen des Teufels als einen bösen vor, hat ihn aber nicht so geschaffen; sondern, da Gott ihn verließ und der Teufel sündigte, ist er böse geworden. Den treibt er durch seine Wirkung und bewegt ihn, wozu er will, wiewohl dieser Wille durch eben diese Bewegung Gottes nicht aufhört böse zu sein. Auf diese Weise hat David 2 Sam. 16,11. von Simei gesagt: „Laß ihn gewähren, daß er fluche, denn der Herr hat es ihn geheißen“, daß er dem David fluche. Wie mag Gott befehlen zu fluchen, was doch ein so giftiges und böses Werk ist? Ein solches äußerliches Gebot war nirgends vorhanden. Deshalb hat David das im Auge, daß der allmächtige Gott sprach, und es geschah also, das heißt, er thut alles durch das ewige Wort. Die göttliche Wirkung (actio) und Allmacht treibt (rapit) also den mit allen seinen Gliedern schon bösen Willen des Simei, der wider David schon vorher entbrannt war, da David zu gelegener Zeit ihm in den Weg kam, wie er denn eine solche Lästerung verdient hatte, und der gute Gott selbst befiehlt durch ein böses und lästerliches Werkzeug, das heißt, er redet und thut durch das Wort, nämlich durch den Trieb seiner Wirkung (raptu actionis suae), diese Lästerung.

So verhärtet er den Pharao, indem er dem gottlosen und bösen Willen desselben ein Wort und Werk vorhält, welches derselbe haßt, nämlich aus angeborenem Fehl und natürlicher Verderbniß. Und da Gott durch den Geist ihn innerlich nicht ändert, vielmehr fortfährt, ihm (seine Worte und Werke) anzubieten und aufzudringen, Pharao aber seine Kräfte, Reichthümer und Macht ansieht und nach demselben natürlichen Fehl darauf vertraut, so geschieht es, daß er nach dieser Seite durch die Einbildung auf seine Dinge aufgeblasen und hochmüthig, nach jener Seite aber durch die Niedrigkeit Mosis, und weil das Wort Gottes unter verächtlicher Gestalt kommt, ein stolzer Verächter und auf diese Weise verhärtet wird; dann, daß er mehr und mehr gereizt und verstockt wird, je mehr Moses anhält und droht. Dieser sein böser Wille würde aus sich allein nicht bewegt oder verhärtet werden, sondern da der allmächtige Wirker (actor) ihn mit unvermeidlicher Bewegung treibt (agat), wie die übrigen Creaturen, so ist es nothwendig, daß er irgend etwas wolle. Dann hält er ihm zugleich äußerlich das entgegen, was ihn seiner Natur nach reizt und ärgert. So kommt es, daß Pharao seine Verhärtung nicht vermeiden kann, gleichwie er weder die Wirkung der göttlichen Allmacht, noch die Abwendung (von Gotte) oder die Bosheit seines Willens vermeiden kann. Deshalb wird die Verhärtung Pharao's durch Gott so vollzogen, daß er äußerlich seiner Bosheit das entgegenhält, was jener von Natur haßt; dann hört er auch innerlich nicht auf, durch allmächtigen Antrieb (motu) den bösen Willen (wie er ihn denn böse vorgefunden hat) zu bewegen, und jener kann, nach der Bosheit seines Willens, nicht umhin, das zu hassen, was ihm widerwärtig ist, und auf seine Kräfte zu vertrauen. So wird er verstockt, daß er weder hört noch Einsicht hat, sondern hingerissen wird als ein vom Teufel Besessener, gleichsam sinnlos und toll.

Wenn wir dieses in überzeugender Weise dargethan haben, so haben wir in dieser Sache gewonnen, und, da die bildlichen Reden und Deutungen der Menschen abgethan sind, so nehmen wir die Worte Gottes einfachhin, damit es nicht nöthig sei, Gott zu entschuldigen oder ihn der Unbilligkeit zu beschuldigen. Denn da er sagt: Ich will das Herz Pharao's verhärten, redet er einfach, als wenn er so sagte: Ich will machen, daß das Herz Pharao's verstockt werde, oder daß es, indem ich wirke und thue, verhärtet werde. Wie das zugehe, haben wir gehört, nämlich: inwendig will ich durch den allgemeinen Antrieb (motu) gerade den bösen Willen bewegen, daß er in seiner Anstrengung und seinem Laufe zu wollen fortfahre; ich werde weder aufhören ihn zu bewegen noch kann ich anders. Aeußerlich aber werde ich ihm Wort und Werk vorhalten, wogegen jene böse Anstrengung sich stemmen wird, da er nichts Anderes vermag, als Böses zu wollen, indem ich gerade das Böse in Bewegung setze durch die Kraft der Allmacht.

So war Gott ganz gewiß und sprach es auf die gewisseste Weise aus, daß Pharao verhärtet werden sollte, da er ja ganz gewiß war, daß der Wille Pharao's weder dem Antriebe (motui) der Allmacht widerstehen, noch seine Bosheit ablegen, noch auch dem ihm vorgestellten Widersacher, Moses, nachgeben könne, sondern daß er, da sein böser Wille blieb, nothwendiger Weise ärger, härter und stolzer werden würde, indem er in seinem Laufe und mit seiner Anstrengung wider das sich setzte, was er nicht wollte und was er verachtete, indem er auf sein Vermögen vertraute. So siehst du hier, daß auch selbst durch dieses Wort bestätigt wird, daß der freie Wille nur Böses vermöge, indem Gott, der sich nicht irrt aus Unwissenheit, noch lügt aus Bosheit, so sicher die Verhärtung Pharao's vorherverkündigt, nämlich, da er gewiß ist, daß der böse Wille nur Böses wollen kann und dadurch, daß ihm das ihm entgegenstehende Gute angeboten wird, nicht anders kann als ärger werden.

Es bleibt hier nun noch übrig, daß jemand fragen möchte, warum Gott von diesem Antriebe der Allmacht nicht ablasse, durch welchen der Wille der Gottlosen bewegt wird, daß dieser böse zu sein und ärger zu werden fortfährt. Darauf ist zu antworten: Das heißt wünschen, daß Gott um der Gottlosen willen aufhören möge Gott zu sein, indem ein solcher wünscht, daß seine Kraft und Wirkung aufhöre, nämlich, daß er aufhören möge gut zu sein, damit jene nicht ärger werden möchten. Aber warum verändert er nicht zugleich den bösen Willen, welchen er bewegt? Das gehört zu den Geheimnissen der Majestät, wo seine Gerichte unbegreiflich sind. Und uns steht es nicht zu, dies zu forschen, sondern diese Geheimnisse anzubeten. Wenn nun Fleisch und Blut hier geärgert murren sollte, so mag es immerhin murren, aber es wird nichts ausrichten, Gott wird deshalb nicht anders werden. Und wenn die geärgerten Gottlosen in noch so großer Anzahl davongehen sollten, so werden dennoch die Auserwählten bleiben. Dasselbe muß zu denen gesagt werden, welche fragen: Warum hat er zugelassen, daß Adam fiel, und warum läßt er uns alle mit derselben Sünde angesteckt geboren werden, da er doch jenen hätte bewahren können, und uns anderswoher oder erst aus gereinigtem Samen hätte schaffen können? Er ist Gott, für dessen Willen keine Ursache noch Grund da ist, der ihm als Regel und Maßstab vorgeschrieben werden könnte, da ihm nichts gleich oder höher ist, sondern er selbst (der Wille Gottes) ist die Regel für alles. Denn wenn es für ihn irgend eine Regel oder einen Maßstab gäbe, oder eine Ursache oder einen Grund, so könnte es schon nicht mehr Gottes Wille sein. Denn nicht darum ist das recht, was er will, weil er so wollen muß oder mußte, sondern im Gegentheil, weil er so will, darum muß das recht sein, was geschieht. Für den Willen der Creatur wird Ursache und Grund vorgeschrieben, aber nicht für den Willen des Schöpfers, es sei denn, du wolltest einen anderen Schöpfer über ihn setzen.

Hiemit, glaube ich, ist die bildlich redende Diatribe mit ihrer bildlichen Rede hinlänglich widerlegt; doch wollen wir auf den Text selbst kommen, um zu sehen, wie dieser und die bildliche Rede zu einander passen. Denn es ist die Weise aller, die mit bildlichen Reden den Beweisgründen entschlüpfen, daß sie den Text selbst tapfer verachten und allein darauf ihr Bemühen richten, daß sie irgend ein herausgerissenes Wort mit bildlicher Rede verdrehen und nach ihrem Sinne kreuzigen, indem sie keine Rücksicht nehmen, weder auf die Umstände, noch auf das, was nachfolgt oder vorhergeht, noch auf die Absicht oder die Ursache des Verfassers. So kümmert sich die Diatribe an dieser Stelle nichts darum, wovon Moses handelt, oder was seine Rede bezweckt, und reißt dies Wörtlein „Ich will verhärten“ (daran sie sich ärgert) aus dem Texte und dichtet allerlei nach ihrem Belieben. Unterdessen denkt sie gar nicht daran, wie es (der Rede) wieder eingefügt und angepaßt werden könne, so daß es sich mit dem Ganzen des Textes reimt. Und dies ist jener Grund, warum die Schrift bei so vielen gar bewährten und gelehrten Männern in so vielen Jahrhunderten nicht hinlänglich klar ist; es ist auch nicht zu verwundern, da auch die Sonne nicht würde leuchten können, wenn sie mit solchen Kunstgriffen behandelt würde.

Aber, um zu übergehen, was ich oben gezeigt habe, es werde nicht mit Recht gesagt, Pharao sei dadurch verhärtet, weil Gott ihn mit Lindigkeit getragen und nicht sofort gestraft habe, da er ja mit so vielen Plagen gezüchtigt worden sei; wozu war es nöthig, daß Gott so oft verheißen sollte, er werde das Herz Pharao's verstocken, damals als die Zeichen geschahen, da dieser schon vor den Zeichen und vor dieser Verstockung so beschaffen war, daß er, getragen von der göttlichen Lindigkeit und nicht gestraft, den Kindern Israel so viel Böses zufügte, aufgeblasen durch glücklichen Erfolg und Macht, wenn verstocken heißt, in göttlicher Lindigkeit tragen und nicht sogleich bestrafen? Siehst du nun, daß diese bildliche Redeweise an dieser Stelle durchaus in nichts zur Sache dient? denn diese (uneigentliche Rede) bezieht sich ganz allgemein auf alle, welche sündigen, getragen von der göttlichen Milde. Denn auf solche Weise könnten wir sagen, daß alle Menschen verhärtet würden, da jedermann sündigt, es würde aber niemand sündigen, wenn er nicht durch die göttliche Lindigkeit getragen würde. Es ist also die Verstockung Pharao's etwas ganz Anderes als die allgemeine Duldung seitens der göttlichen Lindigkeit.

Vielmehr geht Moses damit um, daß er nicht so sehr die Bosheit Pharao's predigt, als die Wahrhaftigkeit und das Erbarmen Gottes, nämlich damit die Kinder Israel den Verheißungen Gottes nicht mißtrauen möchten, da er versprochen hat, er werde sie befreien. Da dies eine sehr große Sache war, so sagt er ihnen die Schwierigkeit vorher, damit sie im Glauben nicht wankend würden, indem sie wußten, daß dies alles zuvorgesagt war und auf Verfügung dessen, der es verheißen hatte, so geschehen sollte, als wenn er sagen wollte: Ich befreie euch zwar, aber ihr werdet dies schwerlich glauben, so sehr wird Pharao widerstehen und die Sache verzögern; aber vertrauet nichtsdestoweniger, auch alles dies, daß er es in die Länge zieht, geschieht durch meine Wirkung, damit ich desto mehr und größere Wunder thue, um euch im Glauben zu befestigen und meine Macht zu zeigen, damit ihr darnach mir in allen anderen Dingen desto mehr glaubet. So thut auch Christus, da er seinen Jüngern bei Einsetzung des heiligen Abendmahles sehr viele Schwierigkeiten vorhersagt, seinen eigenen Tod und viele Trübsale, die ihnen begegnen würden, damit sie, wenn es geschähe, darnach um so mehr glaubten.

Und Moses gibt uns diesen Sinn nicht in dunkler Weise, da er spricht (2 Mos. 3,19.20.): „Pharao aber wird euch nicht ziehen lassen, damit viele Wunder geschehen in Egypten“, und wiederum (2 Mos. 9,16.): „Und zwar darum habe ich dich erweckt, daß meine Kraft an dir erscheine, und mein Name verkündiget werde in allen Landen.“ Du siehst hier, daß Pharao um deß willen verhärtet wird, damit er Gotte widerstehe und die Erlösung verzögere, wodurch Anlaß gegeben wird zu vielen Wundern und zur Erweisung der Macht Gottes, damit dies verkündigt und ihm geglaubt werde in allen Landen. Was ist dies anders, als daß dies alles gesagt werde und geschehe, um den Glauben zu stärken und die Schwachen zu trösten, damit sie darnach Gotte als einem wahrhaftigen, treuen, mächtigen und barmherzigen gern glauben sollten? gleich als ob zu kleinen Kindern ganz liebkosend geredet würde: Laßt euch durch die Härte Pharao's nicht schrecken. Denn auch die wirke ich und habe sie in meiner Hand, ich, der ich euch befreie. Ich werde sie nur gebrauchen, um viele Wunder zu thun und meine Majestät kund zu thun um eures Glaubens willen.

Daher kommt das, daß Moses fast nach jeder einzelnen Plage wiederholt: Und das Herz Pharao's wurde verstockt, daß er das Volk nicht ziehen ließ, wie der Herr gesagt hatte (2 Mos. 9,12. 4,21.). Was will das: „Wie der Herr gesagt hatte“, anders als, daß der Herr als wahrhaftig erscheinen soll, da er vorhergesagt hatte, daß jener verstockt werden würde? Wenn hier bei Pharao irgend eine Möglichkeit sich zu ändern oder eine Freiheit des Willens gewesen wäre, die sich nach beiden Seiten zu wenden vermocht hätte, so hätte Gott die Verstockung desselben nicht mit solcher Gewißheit vorhersagen können. Jetzt aber, da es der verheißt, der weder fehlen noch lügen kann, so mußte es nothwendiger Weise und ganz gewiß eintreten, daß er verstockt würde; dies hätte nicht geschehen können, wenn nicht die Verstockung gänzlich außerhalb der Kräfte des Menschen und allein in Gottes Gewalt wäre, in der Weise, wie wir oben gesagt haben, nämlich, daß Gott gewiß war, er werde die allgemeine Wirkung der Allmacht in Pharao, oder um Pharao's willen, nicht anstehen lassen, da er sie ja auch nicht unterlassen kann.

Ferner war ebenso gewiß, daß der Wille Pharao's, welcher von Natur böse und (von Gott) abgewendet war, dem Worte und Werke Gottes, welches ihm zuwider war, nicht beistimmen konnte. Deshalb konnte, durch die Anstrengung (impetu) des Wollens in Pharao, welche durch die Allmacht Gottes erhalten worden war, und durch das Entgegentreten des dawiderlaufenden Wortes und Werkes, welches ihm äußerlich entgegengehalten wurde, nichts Anderes geschehen, als Aergerniß und Verstockung des Herzens bei Pharao. Denn wenn Gott die Wirkung seiner Allmacht bei Pharao unterlassen hätte, damals als ihm das Wort Mosis das Widerwärtige vorhielt, und man sich vorstellte, daß allein der Wille Pharao's aus seiner Kraft gehandelt habe, dann wäre vielleicht noch Raum zum Disputiren gewesen, zu welchem von beiden er sich hätte neigen können. Jetzt aber, da er getrieben und hingerissen wird (rapiatur) zum Wollen, so geschieht seinem Willen zwar keine Gewalt, weil er nicht wider seinen Willen gezwungen wird, sondern durch natürliche Wirkung Gottes getrieben wird, natürlicher Weise zu wollen, gerade so wie er beschaffen ist (er ist aber böse), daher kann er nicht anders als gegen das Wort anstoßen und so verhärtet werden. So sehen wir, daß diese Stelle stark wider den freien Willen streitet, in der Hinsicht, daß Gott, welcher verheißt, nicht lügen kann, wenn er aber nicht lügt, so kann das Verhärtetwerden Pharao's nicht ausbleiben.

Aber wir wollen auch Paulus ansehen, welcher diese Stelle aus Moses Röm. 9,17. aufnimmt. Wie jämmerlich windet sich die Diatribe bei dieser Stelle! Damit sie den freien Willen nicht verliere, dreht sie sich nach allen Seiten hin. Bald sagt sie, es sei eine Notwendigkeit der Folge, aber nicht dessen, was folgt; bald, es sei ein geordneter oder offenbarter Wille (voluntas signi), dem Widerstand geleistet werden könne, (bald) es sei ein Wille, des (verborgenen) Rathschlusses (voluntas placiti), dem man nicht widerstehen könne. Das eine Mal dienen die aus Paulus augezogenen Stellen nicht zum Beweise, reden nicht von der Seligkeit des Menschen; das andere Mal bringt das Vorherwissen Gottes Notwendigkeit mit sich, bald keine Nothwendigkeit; bald kommt die Gnade dem Willen zuvor, damit er wolle, begleitet ihn auf seinem Wege, gibt einen glücklichen Ausgang, bald thut sie als die Hauptursache alles, bald wirkt sie durch Nebenursachen und verhält sich selbst still. Mit diesen und ähnlichen Spielereien mit Worten richtet sie nichts aus, als daß sie die Zeit hinbringt und uns unterdeß die Sache aus den Augen rückt und anderswohin zieht. Sie hält uns für so stumpfsinnig und unverständig, oder meint, daß wir so wenig von der Sache berührt werden, wie sie sich darum annimmt, oder (handelt) nach der Weise der kleinen Kinder, welche, wo sie sich fürchten oder spielen, die Augen mit den Händen bedecken, und dann meinen, daß sie dann von niemandem gesehen werden, weil sie selbst niemanden sehen. So thut die Diatribe in jeder Weise. Weil sie die Strahlen, ja, die Blitze der deutlichsten Worte nicht ertragen kann, so gibt sie vor, sie sehe das nicht, um was es sich handelt, und will zu gleicher Zeit auch uns überreden, daß wir ebenfalls mit verhüllten Augen nicht sehen sollen. Aber alle diese Dinge sind Zeichen eines Geistes, der überführt ist und der unüberwindlichen Wahrheit frevelhaft widerstreitet.

Jenes Fündlein von der Nothwendigkeit der Folge und dessen, was folgt, ist oben widerlegt worden. Die Diatribe möge dichten und umdichten, Spitzfindigkeiten erheben und dagegen erheben: wenn Gott vorhergewußt hat, daß Judas der Verräther sein werde, so wurde Judas mit Nothwendigkeit der Verräther, und es war nicht in der Hand des Judas oder irgend einer Creatur, es anders zu machen oder den Willen zu ändern, wiewohl er dies, indem er es wollte, nicht gezwungen that, aber jenes Wollen war das Werk Gottes, welches seine Allmacht bewegte, wie auch alles Andere. Denn es steht unüberwindlich und deutlich der Spruch da (Hebr. 6,18.): „Gott lügt nicht“ und fehlt auch nicht. Hier sind nicht dunkle oder zweifelhafte Worte, wenngleich die gelehrtesten Männer aller Jahrhunderte allesammt blind sein sollten, so daß sie anders hielten und sagten. Und solltest du auch viele Ausflüchte machen, so wird doch dein und aller Gewissen, überführt, gezwungen so zu sagen: Wenn Gott nicht fehlt in dem, was er vorherweiß, so ist es nothwendig, daß gerade das Vorhergewußte geschehe, denn wer könnte sonst seinen Verheißungen glauben, wer seine Drohungen fürchten, wenn nicht nothwendiger Weise folgt, was er verheißt oder droht, oder wie sollte er verheißen oder drohen, wenn sein Vorherwissen trügt oder durch unsere Veränderlichkeit gehindert werden kann? Es verstopft dieses überaus helle Licht der gewissen Wahrheit völlig den Mund aller, löst alle Fragen auf und hat den Sieg erlangt wider alle spitzfindigen Ausflüchte.

Wir wissen freilich, daß das Vorherwissen der Menschen irrt, wir wissen, daß eine Sonnenfinsterniß nicht um deß willen kommt, weil man sie vorherweiß, sondern daß man sie darum vorherweiß, weil sie kommen wird. Was haben wir mit diesem Vorherwissen zu thun? Wir disputiren von dem Vorherwissen Gottes; wenn du diesem nicht zuschreibst, daß das Vorhergewußte nothwendig gewirkt werde (necessarium effectum praesciti), so hast du schon den Glauben und die Furcht Gottes weggenommen, hast alle göttlichen Verheißungen und Drohungen wankend gemacht und sogar die Gottheit selbst geleugnet. Aber auch die Diatribe selbst, nachdem sie lange gerungen und alles versucht hatte, bekennt endlich, durch die Macht der Wahrheit getrieben, unsere Meinung und spricht:

„Die Frage von dem Willen und dem Vorsatz (destinatione) Gottes ist noch schwerer. Denn Gott will eben das, was er vorherweiß. Und das ist, was Paulus (Röm. 9,19.18.) zu verstehen gibt: „Wer kann seinem Willen widerstehen, wenn er sich erbarmt, welches er will, und wenn er verstockt, welchen er will?“ Denn wenn ein König wäre, der hinausführen könnte, was er nur wollte, und dem niemand widerstehen könnte, so würde man sagen, er thäte, was er nur wollte. So scheint der Wille Gottes, weil er die Hauptursache ist von allem, was geschieht, unserem Willen eine Notwendigkeit aufzulegen.“ Soweit jene.

Und endlich einmal können wir Gotte danken für die gesunde Auffassung (sensu) der Diatribe. Wo ist jetzt also der freie Wille? Aber wiederum entschlüpft dieser Aal und sagt plötzlich:

Aber „diese Frage löst Paulus nicht auf, sondern gibt dem, der über solche Dinge disputiren will, einen Verweis: „O Mensch, wer bist du, daß du mit Gott rechten willst?“

O eine schöne Ausflucht! Heißt das etwa die göttliche Schrift handeln, wenn man so aus eigener Gewalt, aus eigenem Kopfe, ohne Schrift, ohne Wunder einen solchen Ausspruch thut, ja, die klarsten Worte Gottes fälscht? Paulus löst diese Frage nicht? Was thut er denn? (Sie sagt) er gibt dem Disputirenden einen Verweis. Ist denn nicht dieser Verweis die vollkommenste Lösung? Denn wonach wurde in dieser Frage über den Willen Gottes gefragt? Doch darnach, ob er unserem Willen eine Nothwendigkeit auflegte? Aber Paulus (Röm. 9,18.) antwortet, daß es so sei: „So erbarmt er sich nun, welches er will (sagt er), und verstockt, welchen er will.“ (Röm. 9,16.:) „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ Und nicht zufrieden damit, daß er die Lösung gegeben hat, führt er überdies jene redend ein, welche für den freien Willen gegen diese Lösung murren und schwatzen, dann gäbe es kein Verdienst und wir würden ohne unsere Schuld verdammt, und dergleichen, damit er ihr Murren und ihre Entrüstung dämpfe, indem er spricht (Röm. 9,19. nach der Vulgata):

„So sagst du zu mir: Was beklagt er sich dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen?“ Siehst du, daß er andere Personen redend einführt (prosopopoeiam)? Jene, nachdem sie gehört haben, daß uns der Wille Gottes eine Nothwendigkeit auflegt, murren lästernd und sprechen: „Was beklagt er sich noch?“ das heißt: Warum besteht Gott denn so darauf, drängt so, fordert so, beklagt sich so? Was klagt er uns an? Was beschuldigt er uns? als ob wir Menschen das könnten, was er fordert, wenn wir wollten. Er hat keine gerechte Ursache für diese Klage; vielmehr möge er seinen Willen anklagen, da möge er sich beklagen, da möge er drängen. Denn wer kann seinem Willen widerstehen? Wer kann Barmherzigkeit erlangen, wenn er nicht will? Wer kann weich werden, wenn er verhärten will? Es steht nicht in unserer Hand, seinen Willen zu ändern, viel weniger, dem (Willen) zu widerstehen, der uns als Verhärtete will, da wir durch diesen Willen gezwungen werden, verhärtet zu sein, wir mögen wollen oder nicht.

Wenn Paulus diese Frage nicht gelöst, oder nicht in entschiedener Weise die Erklärung ausgesprochen hätte, daß uns durch das göttliche Vorherwissen eine Nothwendigkeit aufgelegt werde, wozu wäre es dann nöthig gewesen, solche Leute einzuführen, welche murren und streiten, man könne seinem Willen nicht widerstehen? Denn wer würde murren oder entrüstet sein, wenn er nicht dafür hielte, jene Nothwendigkeit werde in bestimmter Weise ausgesprochen? Die Worte sind nicht dunkel, in welchen er davon redet, daß man dem Willen Gottes widerstehe. Oder ist es zweifelhaft, was widerstehen sei, was der Wille, oder von wem er rede, da er von Gottes Willen redet? Freilich mögen hier unzählige Tausende der bewährtesten Lehrer blind sein und erdichten, die Schrift sei nicht klar, und die Frage als eine schwierige fürchten. Wir haben die ganz klaren Worte: „Er erbarmt sich, welches er will, er verstockt, welchen er will“; desgleichen: „So sagst du zu mir: Was beklagt er sich? Wer kann seinem Willen widerstehen?“

Es ist auch nicht eine schwierige Frage, ja, nichts leichter auch für den gesunden Menschenverstand, als daß diese Folgerung gewiß, fest und wahr sei: Wenn Gott vorherweiß, so geht dieses nothwendiger Weise in Erfüllung, wenn dies aus der Schrift als Voraussetzung angenommen wird, daß Gott weder irrt noch fehlt. Ich bekenne zwar, daß es eine schwierige, ja, eine unmögliche Frage ist, wenn du beides zugleich aufstellen willst, sowohl das Vorherwissen Gottes als auch die Freiheit des Menschen. Denn was ist schwieriger, ja, mehr unmöglich, als daß du behauptest, daß widersprechende oder einander entgegengesetzte Dinge nicht wider einander streiten, oder daß irgend eine Zahl zehn sei und dieselbe Zahl zugleich auch neun sei? Es ist keine Schwierigkeit in unserer Frage, sondern dieselbe wird gesucht und hineingebracht, nicht anders als wie Zweideutigkeit und Dunkelheit in der Schrift gesucht und gewaltsam hineingebracht wird. Er dämpft daher die Gottlosen, welche sich an diesen ganz klaren Worten ärgerten, weil sie inne wurden, daß der Wille Gottes dadurch erfüllt werde, daß wir unsererseits unter der Notwendigkeit stehen, und merkten, daß es für gewiß ausgesprochen worden war, ihnen sei nichts an Freiheit oder freiem Willen übrig gelassen, sondern alles beruhe allein auf Gottes Willen. Er dämpft sie aber so, daß er ihnen befiehlt, zu schweigen und die Herrlichkeit der Macht und des Willens Gottes anzubeten, gegen den wir kein Recht haben; er aber hat gegen uns volles Recht zu thun, was er will, und es geschieht uns nicht Unrecht, da er uns nichts schuldig ist, nichts von uns empfangen hat, nichts verheißen hat, außer so viel er wollte und ihm wohlgefiel.

Hier ist also der Ort, hier die Zeit, nicht jene Corycischen Höhlen, sondern die wahre Majestät in ihren erschrecklichen Wunderwerken und in ihren unbegreiflichen Gerichten anzubeten und zu sprechen: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.“ Aber wir sind nirgends mehr unehrerbietig und vermessen, als wenn wir gerade diese unerforschlichen Geheimnisse und Gerichte angreifen und strafen. Indessen dichten wir uns selbst aber eine unglaubliche Ehrerbietung in Erforschung der heiligen Schrift an, von der Gott befohlen hat, daß sie erforscht werden solle. Hier forschen wir nicht, dort aber, wo er verboten hat zu forschen, thun wir nichts, als daß wir mit beständiger Vermessenheit, um nicht zu sagen, Gotteslästerung, forschen. Aber das ist nicht forschen, wenn wir frevelhafter Weise (temere) unser Bemühen darauf richten, daß das ganz freie Vorherwissen Gottes sich mit unserer Freiheit reime. Hier sind wir immer bereit, dem Vorherwissen Gottes Abbruch zu thun, wenn er uns nicht die Freiheit überläßt; oder wenn er die Nothwendigkeit auflegt, mit den Murrenden und Lästernden zu sprechen: „Was beklagt er sich noch? Wer kann seinem Willen widerstehen?“ Wo ist Gott, der seinem Wesen nach der allergütigste ist? Wo der, der nicht will den Tod des Sünders? Hat er uns etwa deshalb geschaffen, damit er sich an den Qualen der Menschen ergötzen möchte? und ähnliche Dinge, die bei denen in der Hölle und den Verdammten in Ewigkeit werden geheult werden. Aber, daß der lebendige und wahre Gott so beschaffen sein müsse, daß er uns durch seine Freiheit die Nothwendigkeit auflegen müsse, das muß selbst die natürliche Vernunft bekennen, nämlich, weil das ein lächerlicher Gott sein würde, oder richtiger, ein Götze, der auf ungewisse Weise die künftigen Dinge vorhersähe, oder sich täuschte in den Ereignissen, da selbst die Heiden ihren Göttern ein unvermeidliches Bestimmen des Schicksals (fatum) beilegten. Ebenso lächerlich wäre er, wenn er nicht alles könnte und thäte oder irgend etwas ohne ihn geschähe. Wenn man aber das Vorherwissen und die Allmacht zugibt, so folgt natürlicher Weise mit unwiderleglicher Folgerung: Daß wir nicht durch uns selbst gemacht sind, noch leben, noch irgend etwas thun, sondern durch seine Allmacht. Da er aber zuvor gewußt hat, daß wir von solcher Beschaffenheit sein würden, und uns jetzt zu solchen macht, und als solche treibt und regiert, ich bitte dich, wie kann man noch vorgeben, daß in uns irgend etwas frei sei und auf eine andere Weise geschehe, als er es vorhergewußt hat oder jetzt thut. Deshalb streitet das Vorherwissen und die Allmacht Gottes geradezu wider unseren freien Willen; denn entweder wird sich Gott täuschen im Vorherwissen und auch im Wirken irren (was unmöglich ist), oder wir werden handeln und getrieben werden nach seinem Vorherwissen und seiner Wirkung. Die Allmacht Gottes aber nenne ich nicht jenes Vermögen, nach welchem er vieles nicht thut, was er kann, sondern die Gewalt, welche thätig ist (actualem), durch welche er mächtiglich alles in allen wirkt, wie die Schrift ihn allmächtig nennt. Diese Allmacht, sage ich, und das Vorherwissen Gottes heben die Lehre vom freien Willen von Grund aus auf. Und hier kann nicht eine Dunkelheit der Schrift oder die Schwierigkeit der Sache vorgewendet werden. Die Worte sind ganz klar, auch den Kindern bekannt; die Sache ist deutlich und leicht, auch durch das gemeinsame natürliche Urtheil der Vernunft erwiesen, so daß eine noch so große Reihe von Jahrhunderten, Zeiten und Personen, die anders schreiben und lehren, nichts ausrichtet.

Freilich dies ärgert aufs allerhöchste den gemeinen Menschenverstand oder die natürliche Vernunft, daß Gott allein nach seinem Willen die Menschen verlasse, verhärte, verdamme, gleich als ob er sich an den Sünden und an so großen und ewigen Qualen der Elenden ergötze, während doch von ihm gepriesen wird, daß er von so großer Barmherzigkeit und Güte etc. sei. Eine solche Meinung von Gott zu haben, das schien unbillig, das schien grausam, das schien unerträglich; daran haben sich auch so viele und so große Männer in so vielen Jahrhunderten geärgert. Und wer sollte sich nicht daran ärgern? Ich selbst habe mich gar oft daran gestoßen in einem solchen Grade, daß ich fast in den tiefen Abgrund der Verzweiflung gefallen wäre, so daß ich auch gewünscht habe, ich möchte nie zu einem Menschen geschaffen worden sein, ehe ich wußte, wie heilsam diese Verzweiflung wäre und wie nahe der Gnade. Darum hat man sich so angestrengt und bemüht, die Güte Gottes zu entschuldigen, den Willen des Menschen anzuklagen. Hier hat man die Unterscheidungen erfunden von dem geordneten (ordinata) Willen Gottes und dem Willen Gottes an sich (absoluta); von der Nothwendigkeit der Folge und der Notwendigkeit dessen, was folgt, und viele ähnliche Dinge. Aber damit ist nichts ausgerichtet worden, als daß ungelehrte Leute getäuscht worden sind durch nichtige Worte und Entgegenhalten einer fälschlich so genannten Wissenschaft. Nichtsdestoweniger blieb immer der Stachel im innersten Herzen stecken, sowohl bei Ungelehrten als auch bei Gelehrten, wenn es zum Ernst kam, daß sie inne wurden, es sei auf unserer Seite Nothwendigkeit, wenn man das Vorherwissen und die Allmacht Gottes glaubte.

Und selbst die natürliche Vernunft, welche sich an jener Notwendigkeit ärgert und so vieles versucht, um sie wegzubringen, wird gezwungen sie zuzugestehen, überführt durch ihr eigenes Urtheil, selbst wenn keine Schrift da wäre. Denn alle Menschen finden diese Meinung in ihren Herzen geschrieben, erkennen sie an und billigen sie (wiewohl ungern), wenn sie hören, daß sie vorgelegt wird: Erstens, daß Gott allmächtig ist, nicht allein der Gewalt nach, sondern auch darin, daß er wirkt (actione) (wie ich gesagt habe), sonst wäre er ein lächerlicher Gott; sodann, daß er alles wisse und vorherwisse, weder irren noch fehlen könne. Da diese zwei Stücke von dem Herzen und Verstand aller zugegeben werden, so werden sie alsbald durch unvermeidliche Folgerung gezwungen, zuzugestehen, daß wir nicht werden durch unseren Willen, sondern durch Nothwendigkeit, und daß wir daher nicht alles Beliebige thun aus dem, was der freie Wille vermag (pro jure liberi arbitrii), sondern wie es Gott vorhergewußt hat und wirkt, nach seinem unfehlbaren und unveränderlichen Rathe und Kraft. Daher wird es zugleich in aller Herzen geschrieben gefunden, daß der freie Wille nichts sei, wiewohl dies verdunkelt wird durch so viele dem entgegenstehende Erörterungen und so großes Ansehen so vieler Männer, die so viele Jahrhunderte hindurch anders gelehrt haben, gleichwie auch jedes andere Gesetz (wie Paulus (Röm. 2,15.) bezeugt), das in unseren Herzen geschrieben ist, dann erkannt wird, wenn recht davon gehandelt wird, dagegen dann verdunkelt wird, wenn es von gottlosen Lehrern unrecht behandelt oder durch andere Meinungen bemeistert wird.

Ich komme auf Paulus zurück. Wenn dieser Röm. 9,20.21. die Frage nicht löst und aus dem Vorherwissen und Willen Gottes nicht folgert, daß wir unsererseits unter der Nothwendigkeit stehen, was hatte er nöthig, das Gleichniß vom Töpfer einzuführen, der aus einem und demselben Thon ein Gefäß macht zu Ehren, das andere zu Unehren? Spricht doch nicht ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich also? Denn er spricht von Menschen, die er dem Thon vergleicht, und Gott einem Töpfer. Das ist natürlich matt, ja, das Gleichniß ist läppisch und vergeblich eingeführt, wenn er nicht dafürhält, daß unsere Freiheit keine (Freiheit) ist. Ja, die ganze Erörterung des Paulus (Röm. 11.) ist vergeblich, mit der er die Gnade aufrecht erhält (tuetur). Denn damit beschäftigt sich der ganze Brief, daß er zeige, daß wir nichts vermögen, selbst dann nicht, wenn wir gut zu handeln scheinen, wie er ebendaselbst (Röm. 9,31.) sagt, daß Israel, da es der Gerechtigkeit nachstand, die Gerechtigkeit nicht überkommen hat, aber (V. 30.) die Heiden, die ihr nicht nachgestanden haben, sie erlangt haben. Hierüber werde ich weitläufiger handeln, wenn ich unsere Truppen vorführen werde.

Aber die Diatribe stellt sich, als ob sie die ganze Hauptsache der Erörterung des Paulus nicht sähe und wohin Paulus ziele, und tröstet sich indessen mit (einigen) herausgeklaubten und verdrehten Wörtern. Auch hilft es die Diatribe nichts, daß Paulus nachher Röm. 11,20. wiederum ermahnt und spricht: „Du stehest durch den Glauben, siehe zu, daß du nicht stolz seiest“; desgleichen (V. 23.): „auch jene, wenn sie glauben sollten, werden eingepfropft werden“ etc. Denn dort sagt er nichts über die Kräfte der Menschen, sondern bringt befehlende und verpflichtende Worte; was durch die ausgerichtet wird, ist oben hinlänglich gesagt. Und Paulus selbst kommt an dieser Stelle denen zuvor, die den freien Willen rühmen, und sagt nicht, daß jene glauben können, sondern Gott vermag, sagt er, sie einzupfropfen. Kurz, die Diatribe geht in der Behandlung jener Stellen des Paulus so zaghaft und zögernd einher, daß man sieht, daß sie in ihrem Gewissen anders hält, als ihre Worte lauten. Denn da sie am meisten hätte fortfahren und beweisen sollen, bricht sie fast immer die Rede ab und spricht: „Davon sei dies genug“; desgleichen: „Jetzt will ich jenes nicht untersuchen“; desgleichen: „Es ist hier nicht mein Vorsatz“; desgleichen: „Jene würden so sagen“, und viele ähnliche Dinge, und hat die Sache unentschieden gelassen, so daß du nicht wissen kannst, ob sie für den freien Willen rede, oder ob sie dafür angesehen sein wolle, daß sie nur mit vergeblichen Worten dem Paulus entschlüpfen wolle, und zwar nach ihrem Recht und Brauch, weil es ihr um diese Sache kein Ernst ist. Wir aber dürfen nicht so kaltsinnig sein, nicht auf Eiern gehen, oder wie ein Rohr vom Winde bewegt werden, sondern gewiß, beständig und feurig behaupten, dann auch auf gegründete Weise und geschickt und reichlich nachweisen, was wir lehren.

Nun aber, wie schön erhält sie die Freiheit zugleich mit der Notwendigkeit aufrecht, indem sie sagt: „Auch nicht eine jede Notwendigkeit schließt den freien Willen aus, wie „Gott der Vater nothwendig den Sohn zeugt, und doch denselben willig und frei zeugt, weil er nicht dazu gezwungen worden ist.“

Ich bitte dich, disputiren wir denn jetzt von Zwang und Gewalt? Haben wir denn nicht durch so viele Bücher bezeugt, daß wir von der Notwendigkeit der Unveränderlichkeit reden? Wir wissen, daß der Vater willig zeugt, daß Judas willig Christum verrathen hat, aber wir sagen, daß dieses Wollen in Judas selbst gewißlich und unfehlbarer Weise hat geschehen müssen, wenn Gott vorhergewußt hat. Oder wenn das noch nicht verstanden wird, was ich sage, so wollen wir die eine Notwendigkeit, welche mit Gewalt erzwingt (violentam), auf das Werk, die andere Notwendigkeit, nach der etwas unfehlbar eintritt (infallibilem), auf die Zeit beziehen. Wer uns hört, der möge verstehen, daß wir von der letzteren reden, nicht von der ersteren, das heißt, wir disputiren nicht, ob Judas wider seinen Willen oder mit seinem Willen ein Verräther geworden sei, sondern, ob es zu der von Gott vorherbestimmten Zeit unfehlbarer Weise geschehen mußte, daß Judas mit Willen (volendo) Christum verrieth.

Aber siehe, was hier die Diatribe sagt: „Wenn du auf das unfehlbare Vorherwissen Gottes siehst, so mußte Judas mit Notwendigkeit den Verrath ausüben, und doch konnte Judas seinen Willen ändern.“ Verstehst du auch, liebe Diatribe, was du redest? um das zu übergehen, daß der Wille nur Böses wollen kann, wie oben bewiesen worden ist. Wie konnte Judas seinen Willen ändern, da das unfehlbare Vorherwissen Gottes feststeht? Konnte er etwa das Vorherwissen Gottes ändern und zu einem solchen machen, das fehlen kann (fallibilem)? Hier unterliegt die Diatribe, verläßt die Fahnen, wirft die Waffen weg und verläßt den Kampfplatz, indem sie die Disputation von sich wirft zu den scholastischen Spitzfindigkeiten von der Nothwendigkeit der Folge und der Nothwendigkeit dessen, was folgt, als wollte sie diese Spitzfindigkeiten nicht verfolgen. Gewiß ist es recht vorsichtig, nachdem du die Sache in den heftigsten Kampf gebracht hast, und nun gerade am meisten ein Disputator vonnöthen ist, daß du gerade dann ausreißest (terga vertas) und anderen die Aufgabe überlässest, Antwort zu geben und die Sache zum Austrag zu bringen (definiendi). Diesen Rath hättest du von Anfang an befolgen und ganz und gar des Schreibens dich enthalten sollen, nach dem Worte: Wer nicht zu kämpfen versteht, enthält sich des Kampfs im Turniere. Denn das wurde von Erasmus nicht erwartet, daß er jene Schwierigkeit in Gang bringen sollte (moveret), wie Gott gewiß vorherwüßte, und doch das Unsere vielleicht, vielleicht auch nicht (contingenter) geschähe; diese Schwierigkeit war lange vor der Diatribe in der Welt; sondern es wurde erwartet, daß er darauf antworten und die Entscheidung geben sollte. Aber er gebraucht einen rednerischen Uebergang und zieht uns, die wir der Redekunst unkundig sind, mit sich, als ob hier von der Sache nichts gehandelt werde und nur gewisse bloße Spitzfindigkeiten da wären, und stürzt sich tapfer mitten aus dem Kampfgewühl heraus, bekränzt mit Epheu und Lorbeer.

Aber nicht also, lieber Bruder, keine Redekunst ist so groß, daß sie ein wahres Gewissen betrügen könnte; der Stachel des Gewissens ist stärker, als alle Kräfte und Bilder der Beredsamkeit. Wir werden hier nicht leiden, daß der Redner darüber hinweggehe und sich verstelle; hier ist jetzt nicht der Ort für diesen Kunstgriff. Hier fordert man den Mittelpunkt und die Hauptsache des Handels. Und hier wird entweder der freie Wille vernichtet, oder er wird ganz und gar den Sieg davontragen. Du aber, da du die Gefahr inne wirst, ja, den gewissen Sieg wider den freien Willen, stellst dich, als ob du nichts bemerktest, als Spitzfindigkeiten. Heißt das handeln, wie es einem treuen Gottesgelehrten geziemt? Sollte dich die Sache wohl ernstlich bewegen, da du in solcher Weise sowohl die Hörer in der Schwebe läßt, als auch die Erörterung, nachdem sie zum schwersten Punkt gekommen (perturbatam) und auf die Spitze getrieben ist (exasperatam), fahren läßt, aber nichtsdestoweniger den Schein haben willst, als habest du redlich Genüge geleistet und den Sieg davongetragen? Diese Verschlagenheit und List möchte in weltlichen Dingen ertragen werden: in einer theologischen Angelegenheit, wo die einfache und deutliche Wahrheit gesucht wird, ist dies des größten Hasses werth und unerträglich.

Auch die Sophisten haben die unüberwindliche und unwiderstehliche Kraft dieses Beweisgrundes gefühlt, deshalb erdichteten sie die Nothwendigkeit der Folge und die Nothwendigkeit dessen, was folgt (necessitatem consequentiae et consequentis); aber wie gar nichts dieses Fündlein ausrichte, haben wir oben gelehrt, nämlich auch sie beachten nicht, was sie sagen und wie viel sie, wider sich selbst, zulassen. Wenn man die Nothwendigkeit der Folge zugibt, so ist der freie Wille besiegt und darniedergelegt, und es hilft nicht im geringsten, weder die Nothwendigkeit, noch die Zufälligkeit (contingentia) dessen, was folgt. Was geht mich das an, wenn der freie Wille nicht gezwungen wird, sondern mit Willen (volenter) thut, was er thut? Mir ist es genug, daß du zugestehst, es werde mit Nothwendigkeit eintreten, daß er mit Willen thue, was er thut, und er könne sich nicht anders verhalten, wenn Gott es so vorhergewußt hat. Wenn Gott vorherweiß, daß Judas den Verrath ausüben werde, oder daß er den Willen, zu verrathen, ändern werde: welches von beiden er vorhergewußt hat, wird nothwendiger Weise eintreten, oder Gott würde im Vorherwissen und Vorhersagen fehlen, was unmöglich ist. Denn dies bringt die Nothwendigkeit der Folge zuwege, das heißt, wenn Gott vorherweiß, so geschieht es nothwendiger Weise. Das heißt, der freie Wille ist nichts. Diese Nothwendigkeit der Folge ist nicht dunkel noch zweifelhaft, so daß, wenn auch die Lehrer aller Jahrhunderte blind sein sollten, sie doch gezwungen werden, dieselbe zuzugeben, da sie so offenbar und gewiß ist, daß sie mit Händen gegriffen werden kann. Aber die Nothwendigkeit dessen, was folgt, womit jene sich trösten, ist ein bloßes Hirngespinst (phantasma) und streitet geradezu gegen die Nothwendigkeit der Folge. Zum Beispiel, eine Nothwendigkeit der Folge ist es, wenn ich sage: Gott weiß vorher, daß Judas der Verräther sein wird, also wird es gewißlich und unfehlbar geschehen, daß Judas der Verräther sei. Gegen diese Nothwendigkeit und Folge tröstest du dich so: Aber weil Judas den Willen, zu verrathen, ändern kann, darum ist es nicht die Nothwendigkeit dessen, was folgt. Ich bitte dich, wie können jene zwei Stücke sich reimen: Judas kann „nicht verrathen wollen“; und: „es ist nothwendig, daß Judas verrathen wolle“? Widerspricht und streitet das nicht geradezu wider einander? Er wird (sagst du) nicht gezwungen werden, zu verrathen, wider seinen Willen. Was geht das die Sache an? Du hast gesagt von der Nothwendigkeit dessen, was folgt, nämlich, daß diese nicht veranlaßt werde durch die Nothwendigkeit der Folge; von dem Zwange dessen, was folgt, hast du nichts gesagt. Die Antwort hätte gegeben werden sollen von der Nothwendigkeit dessen, was folgt, und du führst ein Beispiel an von dem Zwange dessen, was folgt. Nach einer Sache frage ich, und über eine andere gibst du Bescheid. Das bringt jenes Hin- und Herwanken zuwege, um dessentwillen nicht in Acht genommen wird, wie gar nichts jenes Fündlein von der Nothwendigkeit dessen, was folgt, ausrichtet.

Dies über die erste Stelle, welche handelte von der Verhärtung des Pharao, welche jedoch alle Stellen und viele Truppen in sich begreift und zwar unüberwindliche. Jetzt wollen wir die andere von Jakob und Esau ansehen, von denen, da sie noch nicht geboren waren, gesagt wurde (1 Mos. 25,23.): „Der Größere wird dem Kleineren dienen.“ Dieser Stelle entschlüpft die Diatribe so, „daß sie eigentlich nicht die Seligkeit des Menschen anbetrifft, denn Gott kann wollen, daß ein Mensch ein Knecht sei und arm, er möge wollen oder nicht, daß er aber doch nicht von der ewigen Seligkeit ausgeschlossen werde.“

Lieber, siehe, wie viele Nebenwege und Ausflüchte ein schlüpfriger Geist sucht, der die Wahrheit flieht, ihr aber doch nicht entfliehen kann. Es mag immerhin zugegeben werden, daß diese Stelle sich nicht auf die Seligkeit des Menschen beziehe; davon nachher. Sollte um deß willen Paulus, der sie anführt, nichts damit ausrichten? Würden wir dann nicht den Paulus zu einem lächerlichen oder läppischen Menschen machen in einer so ernsten Erörterung? Doch jenes ist ein Ausspruch des Hieronymus, welcher mehrfach sich erdreistet, mit großer Anmaßung, aber zugleich mit gotteslästerlichem Munde zu sagen: Das diene bei Paulus zum Beweise (pugnare), was in seinem ursprünglichen Zusammenhange (suis locis) nichts beweise. Das heißt nur sagen: Indem Paulus die Grundlagen der christlichen Lehre legt, fälscht er nur die göttliche Schrift und betrügt die Seelen der Gläubigen durch eine Meinung, die aus seinem Kopfe erdichtet und gewaltsamer Weise in die Schrift hineingetragen worden ist. So muß der (Heilige) Geist geehrt werden in jenem heiligen und auserwählten Rüstzeug Gottes, Paulus. Und wiewohl Hieronymus mit (gutem) Urtheil gelesen werden muß, und dieser Ausspruch den gottlosen Aussprüchen zuzuzählen ist, welche dieser Mann in großer Anzahl (denn so schwankend und stumpfsinnig ist er im Verständnis; der Schrift) geschrieben hat, so rafft ihn doch die Diatribe ohne Urtheil auf und hält es auch nicht der Mühe werth, ihn auch nur mit irgend einer Deutung zu mildern, sondern richtet und deutelt die Schrift Gottes darnach, als wäre es ein ganz gewisser Ausspruch vom Himmel. So nehmen wir die gottlosen Aussprüche der Menschen an als Regel und Maßstab für die heilige Schrift. Und dann wundern wir uns noch, daß dieselbe dunkel und zweideutig wird, und daß so viele Väter blind darin sind, da sie (die Schrift) es (dunkel und ungewiß) wird durch diese gottlose und gotteslästerliche Weise.

Verflucht sei daher, wer da sagt, das diene im ursprünglichen Zusammenhange nicht zum Beweise, was bei Paulus beweist. Denn dies wird nur geredet, aber nicht bewiesen; es wird aber von denen geredet, welche weder den Paulus noch die von ihm angeführten Stellen verstehen, sondern irre gehen, indem sie die Wörter nach ihrer, das ist, nach einer gottlosen Meinung verstehen. Denn mag immerhin vornehmlich diese Stelle 1 Mos. 25,23. allein von einer zeitlichen Knechtschaft zu verstehen sein (was nicht wahr ist), so wird sie doch von Paulus (Röm. 9,12.) richtig und wirksam angezogen, da er durch dieselbe beweist, daß nicht um des Verdienstes Jakobs oder Esau's willen, sondern aus Gnaden des Berufers zu Rebekka gesagt worden sei: „Der Größere wird dem Kleineren dienen.“ Paulus disputirt, ob jene durch Kraft oder Verdienst des freien Willens zu dem gekommen seien, was von ihnen gesagt wird, und beweist, daß dies nicht der Fall sei, sondern Jakob sei allein durch die Gnade des Berufers zu dem gekommen, wozu Esau nicht gekommen ist. Er beweist dies aber durch unüberwindliche Worte der Schrift, nämlich, daß sie noch nicht geboren waren, desgleichen, nichts Gutes oder Böses gethan hatten. Und in dieser Beweisung liegt das Hauptgewicht der Sache, hierum handelt es sich in dieser Angelegenheit. Aber die Diatribe übergeht dies alles mit trefflicher Redekunst, stellt sich, als sehe sie es nicht, und disputirt nichts von dem Verdienst, was sie doch auf sich genommen hatte zu thun und was die Darlegung des Paulus verlangte, sondern macht ein leeres Gerede von zeitlicher Knechtschaft, als ob dies zur Sache gehörte, nur damit es nicht den Schein habe, als sei sie besiegt durch die überaus kräftigen Worte des Paulus. Denn was könnte sie sonst wider Paulus für den freien Willen belfern? Was hat der freie Wille dem Jakob geholfen? Was hat er dem Esau geschadet? da ja schon, durch das Vorherwissen und die Bestimmung Gottes jedem von beiden, als er noch nicht geboren war und noch nichts gethan hatte, festgestellt worden war, was er empfangen sollte, nämlich, daß jener dienen, dieser herrschen sollte. Der Lohn wird bestimmt, ehe die Arbeiter geboren werden und arbeiten. Hier hätte die Diatribe Antwort geben sollen; darauf dringt Paulus, daß sie noch nichts Gutes, noch nichts Böses gethan hätten, und doch durch den göttlichen Ausspruch der eine zum Herrn, der andere zum Knechte bestimmt wird. Es wird nicht darnach gefragt, ob jene Knechtschaft zur Seligkeit gehöre, sondern durch welches Verdienst wird sie dem aufgelegt, der sie nicht verdient hatte? Aber es ist sehr verdrießlich, mit denen zu streiten, die das gottlose Bestreben haben, die Schrift zu verdrehen und ihr zu entschlüpfen.

Ferner, daß Moses nicht allein von der Knechtschaft jener handelt, und Paulus auch hierin recht thut, daß er es von der ewigen Seligkeit versteht (wiewohl dies nicht gar sehr zur Sache dient, werde ich dennoch nicht leiden, daß Paulus von den Verleumdungen der Gottlosen besudelt werde), wird durch den Text selbst überzeugend dargethan. Denn so lautet die göttliche Offenbarung bei Moses (1 Mos. 25,23.): „Zwei Völker werden sich scheiden aus deinem Leibe; und ein Volk wird dem andern überlegen sein, und der Größere wird dem Kleinern dienen.“ Hier werden offenbar zwei Völker unterschieden, das eine wird in die Gnade Gottes aufgenommen, nämlich das kleinere, damit es das größere überwinde, freilich nicht durch (eigene) Kraft, sondern durch Gottes Beistand, denn wie sollte sonst das kleinere das größere überwinden, wenn Gott nicht mit ihm wäre? Weil daher das kleinere Gottes Volk sein wird, so wird dort nicht allein die äußere Herrschaft oder Knechtschaft behandelt, sondern alles, was zu Gottes Volk gehört, das ist, Segen, Wort, Geist, Christi Verheißung und ewiges Reich, was die Schrift nachher auch ganz weitläuftig bestätigt, da sie beschreibt, wie Jakob gesegnet wurde und die Verheißungen und das Reich empfing. Das alles zeigt Paulus kurz an, da er sagt, der Größere werde dem Kleineren dienen, indem er uns auf Moses hinweist, der dies weitläuftiger behandelt, so daß du wider die gottlose Meinung des Hieronymus und der Diatribe sagen kannst, daß das in seinem ursprünglichen Zusammenhange stärkere Beweiskraft habe (pugnet), als bei Paulus, was er auch immer anzieht. Dies ist nicht allein in Bezug auf Paulus wahr, sondern auch in Betreff aller Apostel, welche Schriftstellen anführen als Zeugen und Bekräftiger ihrer Predigt. Es wäre aber lächerlich, das als ein Zeugniß anzuführen, was nichts bezeugte und nicht zur Sache diente. Denn wenn bei den Philosophen die als lächerlich gelten, welche etwas Unbekanntes durch ein noch Unbekannteres oder durch etwas nicht Dazugehöriges beweisen, wie könnten wir so frech sein, dieses den höchsten Leitern und Urhebern der christlichen Lehre zuzuschreiben, auf welcher das Heil der Seelen beruht, besonders, wo sie das lehren, was die Hauptstücke des Glaubens sind? Aber dieses gebührt sich für die, die von der göttlichen Schrift nicht ernstlich bewegt werden.

Aber den Spruch des Maleachi (1,2.3.), welchen Paulus angefügt hat (Röm 9,13.): „Jakob habe ich geliebet, aber Esau habe ich gehasset“, verdreht sie mit Fleiß auf dreierlei Weise. Die erste ist: „Wenn man den Buchstaben pressen will (sagt sie), so liebt Gott nicht, wie wir lieben, auch haßt er niemand, weil dergleichen Gemüthsbewegungen Gotte nicht zukommen.“

Was höre ich? Ist denn nun die Frage, wie Gott liebt und haßt, und nicht vielmehr, warum er liebt und haßt? Es fragt sich, aus was für Verdienst auf unserer Seite er liebe oder hasse. Wir wissen sehr wohl, daß Gott nicht liebt oder haßt wie wir, da wir ja in veränderlicher Weise sowohl lieben als auch hassen. Er liebt und haßt mit ewigem und unveränderlichem Wesen, und so fallen bei ihm Zufälligkeiten und Gemüthsbewegungen nicht vor. Und gerade dies ist es, was zwingend beweist, daß der freie Wille nichts sei, weil die Liebe ewig und unveränderlich ist, und ewig der Haß Gottes gegen die Menschen, ehe die Welt ward, nicht allein vor einem Verdienste und Werke des freien Willens, und daß bei uns alles mit Nothwendigkeit geschehe, gemäß dem, daß er entweder liebt oder nicht liebt von Ewigkeit: so daß nicht allein die Liebe Gottes, sondern auch die Weise des Liebens uns eine Nothwendigkeit auflegt. Und so siehst du, wie der Diatribe ihre Ausflüchte dazu dienen, daß sie überall um so mehr anläuft, je mehr sie sich bemüht zu entrinnen; so gar gelingt es ihr nicht, der Wahrheit zu widerstreben. Aber es sei, die bildliche Rede soll dir zugelassen werden, daß die Liebe Gottes sei die Wirkung der Liebe, und der Haß Gottes sei die Wirkung des Hasses; geschehen denn etwa jene Wirkungen ohne und wider den Willen Gottes? Oder wirst du auch hier sagen, Gott wolle nicht wie wir, es habe bei ihm nicht die Gemüthsbewegung (affectum) des Wollens statt? Wenn also jene Wirkungen geschehen, so geschehen sie nur durch den wollenden Gott. Was nun aber Gott will, das liebt er entweder, oder haßt es. Antworte daher: um welches Verdienstes willen wird Jakob geliebt und Esau gehaßt, ehe sie geboren werden und ehe sie ein Werk thun? Es steht daher Paulus fest, der aufs beste den Maleachi einführt für die Meinung Mosis, nämlich, daß er um deß willen Jakob berufen hat, ehe er geboren wurde, weil er ihn liebte, nicht aber zuerst von Jakob geliebt worden sei, oder durch irgend ein Verdienst desselben bewogen worden sei, damit an Jakob und Esau gezeigt würde, was unser freier Wille vermöge.

Die zweite Weise (wie die Diatribe den Spruch Mal. 1,2.3. verdreht) ist: „Maleachi scheint nicht von dem Haß zu reden, wodurch wir in Ewigkeit verdammt werden, sondern von einer zeitlichen Plage, denn es werden diejenigen getadelt, welche Edom wieder aufbauen wollten.“

Dies wird wiederum zur Schmach des Paulus geredet, als ob er der Schrift Gewalt angethan hätte. So gar nichts scheuen wir uns vor der Majestät des Heiligen Geistes, wenn wir nur das Unsere aufrichten können. Doch einstweilen wollen wir diese Schmach dulden und sehen, was sie beweist. Maleachi redet von zeitlicher Plage. Was folgt daraus? oder was dient das zur Sache? Paulus beweist aus Maleachi, daß diese Plage ohne Verdienst und allein durch den Haß Gottes dem Esau auferlegt worden sei, um daraus zu schließen, der freie Wille sei nichts. Hier wirst du in die Enge getrieben, hier hättest du Rede und Antwort stehen sollen. Wir disputiren vom Verdienst, du redest vom Lohne und redest so, daß du doch nicht entkommst, was du gewollt hast; ja, indem du vom Lohne redest, so gestehst du das Verdienst zu, aber stellst dich, als sähest du es nicht. Sage daher, was war die Ursache bei Gott, daß er Jakob liebte und Esau haßte, da sie noch nicht waren? Aber auch das ist falsch, daß Maleachi allein von zeitlicher Plage rede, noch hat er es mit der Verwüstung von Edom zu thun, und mit dieser (zweiten) Weise verdrehst du den Verstand des Propheten ganz und gar. Der Prophet zeigt mit den klarsten Worten hinlänglich an, was er will, nämlich er wirft den Israeliten ihre Undankbarkeit vor, daß sie, da er sie geliebt hat, ihrerseits ihn weder wiederum lieben als einen Vater, noch ihn fürchten als einen Herrn. Daß er aber geliebt habe, beweist er sowohl mit Schrift als auch mit dem Werke, nämlich, daß, da Jakob und Esau Brüder waren, wie Moses im ersten Buche Cap. 25. schreibt, er den Jakob geliebt und erwählt habe, ehe er geboren wurde, wie kurz zuvor gesagt worden ist, den Esau aber in solcher Weise gehaßt habe, daß er sein Land zu einer Einöde gemacht habe, dann auch noch mit solcher Beharrlichkeit hasse und darin fortfahre, daß er, während er den Jakob aus der Gefangenschaft zurückgeführt und wieder eingesetzt habe, doch nicht zulasse, daß die Edomiter wieder eingesetzt würden, sondern, wenngleich sie sagen sollten, sie wollten wieder aufbauen, er ihnen doch die Zerstörung drohe. Wenn dies der ganz deutliche Text des Propheten nicht in sich enthält, so soll mich die ganze Welt einen Lügner schelten. Es wird also nicht die Vermessenheit der Edomiter getadelt, sondern (wie ich gesagt habe) die Undankbarkeit der Kinder Jakob, welche nicht sehen, was er ihnen verleiht, und ihren Brüdern, den Edomitern, wegnimmt, ans keiner (anderen) Ursache, als weil er hier haßt, dort liebt.

Wie soll nun das bestehen, daß der Prophet von zeitlicher Plage rede? da er mit völlig klaren Worten bezeugt, er rede von zwei Völkern, die von zwei Patriarchen geboren worden sind; jenes sei zu einem Volke angenommen und erhalten, dieses aber verlassen und endlich zerstört. Zu einem Volke annehmen und nicht zu einem Volke annehmen, geht nicht allein zeitliches Gut oder Uebel an, sondern bezieht sich auf alles. Denn unser Gott ist nicht allein ein Gott der zeitlichen Dinge, sondern aller Dinge. Er will dir aber nicht so ein Gott sein oder so verehrt werden, daß es nur halb geschehe oder mit hinkendem Fuße (1 Kön. 18,21.), sondern mit allen Kräften und von ganzem Herzen, daß er dir ein Gott sei sowohl hier, als auch im künftigen Leben, und in allen Dingen, Fällen, Zeiten und Werken.

Die dritte Weise ist, daß er (Gott) nach der Meinung der bildlichen Redeweise weder alle Heiden liebt, noch alle Juden haßt, sondern aus beiderlei Volk einige. „Durch diese bildliche Redeweise wird bewirkt, daß dieses Zeugniß (sagt sie) nichts erkämpft, um die Nothwendigkeit zu beweisen, sondern (dient), dem „Hochmuth der Juden Einhalt zu thun.“ Nachdem dieser Weg gemacht worden ist, entschlüpft die Diatribe dahin: es werde von Gott gesagt, er habe die gehaßt, welche noch nicht geboren waren, weil er vorherweiß, daß sie thun würden, was des Hasses werth ist; und so steht der Haß und die Liebe Gottes der Freiheit des Willens nicht entgegen. Endlich schließt sie, die Juden seien durch das, was sie mit ihrem Unglauben verdient haben, vom Oelbaum abgeschnitten, und durch das Verdienst des Glaubens seien die Heiden eingepfropft und zwar nach Angabe (autore) des Paulus, und er macht den Abgeschnittenen Hoffnung, daß sie wieder könnten eingepfropft werden, und erweckt bei den Eingepfropften die Furcht, daß sie möchten abgeschnitten werden.

Ich will des Todes sein, wenn die Diatribe selbst versteht, was sie redet. Aber vielleicht ist auch hier ein rhetorischer Kunstgriff, der da lehrt, den Sinn dunkel zu machen, wenn etwa eine Gefahr droht, du möchtest beim Worte ergriffen werden. Denn wir sehen an dieser Stelle keine bildlichen Reden, welche die Diatribe sich erträumt, aber nicht beweist. Deshalb ist es kein Wunder, wenn für sie das Zeugniß des Maleachi in bildlichem Verstande nichts beweist, denn derselbe ist nicht vorhanden. Ferner disputiren wir nicht vom Ausschneiden und Einpfropfen, wovon Paulus redet, indem er ermahnt. Wir wissen, daß die Menschen durch den Glauben eingepfropft, durch den Unglauben ausgeschnitten werden, und daß sie ermahnt werden sollen, zu glauben, damit sie nicht ausgeschnitten werden mögen. Aber daraus folgt nicht, wird auch nicht bewiesen, daß sie glauben oder nicht glauben können aus Kraft des freien Willens, wovon wir handeln. Wir disputiren nicht, welche die sind, die glauben, welche nicht, welche Juden, welche Heiden, was den Gläubigen und Ungläubigen folge; das gehört einem Ermahner zu. Sondern darüber disputiren wir, durch welches Verdienst, durch welches Werk sie zum Glauben gelangen, durch welchen sie eingepfropft werden, oder zum Unglauben, durch welchen sie abgeschnitten werden. Dies kommt einem Lehrer zu; dies Verdienst beschreibe uns. Paulus lehrt, daß dies durch kein Werk von unserer Seite, sondern allein durch Liebe und Haß Gottes zu Theil werde; denen es aber zugefallen ist, die ermahnt er, daß sie beharren möchten, damit sie nicht abgeschnitten werden. Aber eine Ermahnung beweist nicht, was wir vermögen, sondern was wir schuldig sind. Ich werde gezwungen, den Gegner fast mit mehr Worten festzuhalten, damit er nicht, indem er die Sache fahren läßt, anderswohin abschweife, als (ich Worte gebrauche, um) die Sache selbst zu behandeln. Und doch würde ich den Sieg schon damit erlangt haben, wenn ich ihn fest bei der Sache halten könnte: so klar und unüberwindlich sind die Worte; und deshalb hat er auch fast mit nichts Anderem zu thun, als daß er das umgehe und sich den Blicken entziehe, und etwas Anderes vornehme, als er sich vorgesetzt hatte.

Die dritte Stelle nimmt sie aus Jes. 45,9.: „Spricht auch der Thon zu seinem Töpfer, was machst du?“ und Jer. 18,6.: „Wie der Thon ist in des Töpfers Hand, so seid ihr in meiner Hand.“ Wiederum sagt sie, daß diese Stellen bei Paulus mehr beweisen, als bei den Propheten, aus denen sie genommen sind, weil sie bei den Propheten von zeitlicher Trübsal lauten, Paulus aber (Röm. 9,20.) sie gebraucht, die ewige Erwählung und Verwerfung zu beweisen, um der Vermessenheit oder Unwissenheit des Paulus einen Schlag zu versetzen. Aber ehe wir zusehen, wie sie beweise, daß beide Stellen den freien Willen nicht ausschließen, will ich zuvor dies sagen, daß es nicht scheint, als habe Paulus diese Stelle aus den Propheten genommen, auch beweist die Diatribe dies nicht. Denn Paulus pflegt den Namen des Verfassers anzugeben, oder zu bezeugen, daß er etwas aus der Schrift beibringe; hier thut er aber keins von beiden. Deshalb ist es richtiger, daß Paulus durch dieses allgemeine Gleichniß, welches andere zu anderen Sachen gebrauchen, selbst aus eigenem Geiste zu seiner Sache gebrauche, wie er mit jenem Gleichniß thut: „Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig“, welches er 1 Cor. 5,6. auf die Sitten anwendet, die leicht verderbt werden, an anderen Stellen es denen entgegenhält, die Gottes Wort fälschlich führen (Gal. 5,9.), wie auch Christus (Marc. 8,15.) den Sauerteig Herodis und der Pharisäer nennt. Mögen daher die Propheten besonders von zeitlicher Trübsal reden, wovon ich jetzt nichts sagen will, damit ich nicht so oft mit fernliegenden Fragen beschäftigt und dadurch aufgehalten werde, so gebraucht doch Paulus seines Geistes wider den freien Willen. Daß aber dem Willen seine Freiheit nicht genommen sein soll, wenn wir für Gott, der da heimsucht, sind wie Thon, das weiß ich nicht, wo das hingehören soll, oder warum die Diatribe das behauptet, da kein Zweifel ist, daß die Trübsale von Gott kommen ohne unsern Willen, und die Notwendigkeit, sie zu ertragen, mit sich bringen, wir mögen wollen oder nicht, und es steht nicht in unserer Hand, sie abzuwenden, wenn wir auch ermahnt werden, sie willig zu tragen.

Aber es ist der Mühe werth, die Spitzfindigkeiten der Diatribe zu hören, wie die Rede des Paulus durch dies Gleichniß den freien Willen nicht ausschließe. Denn sie wirft ihm zwei Ungereimtheiten vor; die eine nimmt sie aus der Schrift, die andere aus der Vernunft. Aus der Schrift schließt sie so:

Paulus hätte so gesagt, 2 Tim. 2,20.21., in einem großen Hause seien goldene, silberne, hölzerne und irdene Gefäße, einige zu Ehren, andere zu Unehren, aber bald daran gefügt: So nun jemand sich reinigt von solchen Leuten, der wird ein Gefäß sein zu den Ehren etc. Dann schließt die Diatribe so: „Was wäre einfältiger, als wenn jemand zu einem irdenen Geschirr spräche, wenn du dich reinigst, so wirst du ein Gefäß zu Ehren sein? Aber dies wird mit Recht gesagt zu einem mit Vernunft begabten Gefäße, welches, wenn man es erinnert, sich nach dem Willen des Herrn zu richten vermag.“ Hiedurch meint sie bewiesen zu haben, daß das Gleichniß sich nicht in allen Stücken zur Sache reime, und daß es so beseitigt sei, daß es nichts beweisen könne.

Ich antworte, um das nicht aufzugreifen, daß Paulus nicht sagt: Wenn jemand sich reinigt „von seinem Unflath“, sondern „von solchen Leuten“, das heißt, von den Gefäßen der Unehre, daß der Sinn sei: Wenn jemand getrennt bleibt und sich nicht unter die gottlosen Lehrer mischt, der wird ein Gefäß der Ehren sein etc. Wir wollen auch zugeben, daß diese Stelle des Paulus das völlig beweise (facere), was die Diatribe will, das heißt, daß das Gleichniß nicht schlagend (non efficacem) sei; wie wird sie beweisen, daß Paulus dasselbe wolle an jener Stelle, Röm. 9,20.f., davon wir disputiren? Ist es denn genug, eine andere Stelle anzuführen und sich durchaus nichts darum zu kümmern, ob sie dasselbe oder etwas ganz Anderes beweise? Bei Behandlung der Schrift wird kein Fehler leichter gemacht, ist auch keiner häufiger, als daß man aus der Schrift verschiedenartige Stellen zusammenfaßt, als wären sie gleiche, wie ich öfter gezeigt habe, so daß die Vergleichung der Stellen, womit die Diatribe prangt, weniger beweist, als diese unsere Stelle, welche sie widerlegt. Aber um nicht zanksüchtig zu sein, wollen wir zugeben, daß beide Stellen des Paulus dasselbe wollen, und, was ganz unbestritten wahr ist, daß ein Gleichniß nicht immer und in allen Stücken zu der Sache paßt, sonst wäre es nicht ein Gleichniß, noch eine übertragene Sache (translatio), sondern die Sache selbst, nach dem Sprüchwort: Ein Gleichniß hinkt und läuft nicht immer auf vier Beinen.

Doch darin irrt und fehlt die Diatribe, daß sie die Ursache des Gleichnisses, worauf am meisten gesehen werden muß, außer Acht läßt, und streitsüchtig die Wörter aufgreift. Denn aus den Ursachen der Rede ist das Verständniß abzunehmen, sagt Hilarius, nicht allein aus den Wörtern; so hängt auch die Beweiskraft (efficacia) eines Gleichnisses ab von der Ursache des Gleichnisses. Warum übergeht denn die Diatribe das, um dessentwillen Paulus dieses Gleichniß gebraucht, und greift das auf, was er nicht mit Bezug auf die Ursache des Gleichnisses sagt? Nämlich das gehört zur Ermahnung, daß er sagt: „So sich jemand reinigt“; jenes aber gehört zur Lehre, daß er sagt: „In einem großen Hause sind Gefäße“ etc., so daß du aus allen Umständen der Worte und der Meinung des Paulus verstehen kannst, er handele von der Verschiedenheit und dem Gebrauche der Gefäße, so daß der Sinn ist: da so viele vom Glauben abtreten, haben wir keinen anderen Trost, als daß wir gewiß sind (2 Tim. 2,19.): „Der feste Grund Gottes besteht und hat dies Siegel: Der Herr kennet die Seinen, und es tritt ab von der Ungerechtigkeit jeder, der den Namen des Herrn anruft.“ So weit geht die Ursache und die Beweiskraft (efficacia) des Gleichnisses, nämlich, daß der Herr die Seinen kennt. Dann folgt das Gleichniß, nämlich, es gebe verschiedene Gefäße, einige zu Ehren, andere zu Unehren. Hiemit wird die Lehre abgeschlossen (absolvitur), daß die Gefäße sich nicht selbst bereiten, sondern der Herr. Dies will auch Röm. 9,21., daß ein Töpfer Macht hat etc. So steht das Gleichniß des Paulus ganz beweiskräftig da, daß die Freiheit des Willens vor Gotte nichts sei.

Hiernach folgt die Ermahnung: „So jemand sich reinigt von solchen Leuten“ etc. Was dies in sich enthalte, ist aus dem oben Gesagten hinlänglich bekannt. Denn es folgt nicht: deshalb können sie sich reinigen; ja, wenn etwas bewiesen wird, so wird bewiesen, daß der freie Wille sich selbst reinigen könne ohne die Gnade, da es nicht heißt, wenn jemanden die Gnade reinigt, sondern, so er sich selbst reinigt. Aber von befehlenden und verpflichtenden Worten ist überflüssig geredet worden, und ein Gleichniß wird nicht mit verpflichtenden Worten vorgetragen, sondern mit solchen, welche die Wirklichkeit anzeigen (indicativis): wie es Auserwählte und Verworfene gibt, so gibt es auch Gefäße zu Ehren und zu Unehren. Kurz, wenn diese Ausflucht (elusio) gelten sollte, so würde die ganze Erörterung des Paulus keinen Werth haben, denn vergeblich würde er die einführen, welche gegen den Töpfer, (nämlich) Gott, murrten, wenn es die Schuld des Gefäßes und nicht des Töpfers zu sein schiene; denn wer würde murren, wenn er hörte, daß jemand, der der Verdammniß werth ist, verdammt werde?

Die zweite Ungereimtheit (welche sie dem Gleichniß aufrückt) entnimmt sie von der sogenannten menschlichen Frau Vernunft, nämlich, daß nicht dem Gefäße, sondern dem Töpfer die Schuld beizumessen sei, zumal, da es ein solcher Töpfer ist, der auch den Thon selbst schafft und zubereitet. „Dieses Gefäß“ (sagt die Diatribe) „wird ins ewige Feuer geworfen, weil es nichts verdient hat, nur weil es nicht sein eigener Herr ist.“

Nirgends gibt sich die Diatribe deutlicher an den Tag, als an dieser Stelle. Denn du hörst, daß hier, zwar mit anderen Worten, aber doch in demselben Sinne, gesagt wird, was Paulus den Gottlosen in den Mund legt (Röm. 9,19.): „Was schuldiget er uns denn? Wer kann seinem Willen widerstehen?“ Das ist es, was die Vernunft weder fassen noch leiden kann, dies ärgert so viele durch Geistesgaben hervorragende Männer, denen man so viele Jahrhunderte hindurch glaubte und folgte (receptos). Hier fordern sie, daß Gott nach menschlichem Rechte handeln und thun soll, was ihnen richtig erscheint, oder er soll aufhören Gott zu sein. Die Geheimnisse der Majestät können ihm nichts nützen, er gebe Rechenschaft, warum er Gott sei, oder warum er wolle oder thue, was keinen Schein der Gerechtigkeit habe, als wenn du einen Schuster oder einen Beutler auffordertest, sich vor Gericht zu stellen. Das Fleisch hält Gott (Deum) einer so großen Ehre nicht werth, daß es glauben sollte, er sei gerecht und gut, wenn er etwas Höheres oder über das hinaus redet und thut, was das Rechtsbuch des Justinian oder das fünfte Buch der Sittenlehre des Aristoteles festgesetzt hat. Die Majestät, welche alle Dinge geschaffen hat, weiche Einer Hefe ihrer Creatur, und jene Corycische Höhle, indem man die Sache umkehrt, fürchte sich vor ihren Beschauern. Es ist also ungereimt, daß er den verdammen sollte, welcher das Verdienst der Verdammniß nicht vermeiden kann, und wegen dieser Ungereimtheit muß es falsch sein, daß Gott sich erbarmt, welches er will, und verstockt, welchen er will (Röm. 9,18.), sondern er muß wieder zur Ordnung gebracht werden, und ihm müssen Gesetze vorgeschrieben werden, damit er niemanden verdamme, es sei denn, er habe es nach unserem Urtheile verdient. So ist dem Paulus mit seinem Gleichnisse genug geschehen, nämlich, daß er es widerrufe und es nichts gelten lasse, sondern so gestalte, daß der Töpfer hier (wie es die Diatribe auslegt) ein Gefäß macht zu Unehren, wegen der vorhergehenden Verdienste, gleichwie er einige Juden verwirft wegen ihres Unglaubens, die Heiden annimmt wegen ihres Glaubens. Aber wenn Gott so wirkt, daß er die Verdienste ansieht, warum murren jene und stellen ihn zur Rede? Warum sagen sie: was schuldiget er denn uns? wer kann seinem Willen widerstehen? Warum mußte Paulus jene zum Schweigen bringen? Denn wer wundert sich, ich will nicht sagen, entrüstet sich oder stellt zur Rede, wenn jemand, der es verdient hat, verdammt wird? Ferner, wo bleibt die Macht des Töpfers, zu machen, was er will, wenn man ihn Verdiensten und Gesetzen unterwirft und ihn nicht machen läßt, was er will, sondern von ihm fordert, er solle machen, was er muß? Denn es streitet das Ansehen der Verdienste mit der Macht und Freiheit, zu machen, was er will, wie jener Hausvater beweist, welcher den murrenden Arbeitern, die ihr Recht forderten, die Freiheit des Willens in Bezug auf seine Güter entgegenhielt. Hiedurch wird die Deutung der Diatribe als unstatthaft dargethan.

Doch, Lieber, wir wollen annehmen, Gott müsse so beschaffen sein, daß er die Verdienste ansehe bei denen, die verdammt werden sollen, werden wir dann nicht auf gleiche Weise darauf bestehen und zugeben, daß er auch bei denen, die selig werden sollen, die Verdienste ansehe? Wenn wir der Vernunft folgen wollen, so ist es ebenso unbillig, daß solche, die es nicht werth sind, gekrönt werden, als daß solche, die es nicht verdient haben, bestraft werden. Deshalb müssen wir schließen, daß Gott um der vorhergehenden Verdienste willen rechtfertigen müsse, oder wir werden ihn für unbillig erklären, weil er an bösen und gottlosen Menschen Gefallen habe und ihre Gottlosigkeit durch Belohnungen herausfordere und kröne. Aber dann wehe uns Armen bei einem solchen Gotte! Denn wer könnte selig werden? Siehe daher die Bosheit des menschlichen Herzens: wenn Gott die Unwürdigen ohne Verdienste selig macht, ja, die Gottlosen, die es mit vielem ganz anders verdient haben, rechtfertigt, da klagt es ihn nicht der Unbilligkeit an, da stellt es ihn nicht zur Rede, warum er dies wolle, wiewohl es nach seinem Urtheil ganz unbillig ist; aber weil es ihm vortheilhaft ist und leicht eingeht, urtheilt es davon, es sei billig und gut. Aber da er die, welche es nicht verdient haben, verdammt: weil ihm das unbequem ist, ist dies unbillig, dies ist unleidlich, hier wird (Gott) zur Rede gestellt, hier wird gemurrt, hier wird gelästert. Du siehst also, daß die Diatribe mit den Ihrigen in dieser Sache nicht nach der Billigkeit urtheile, sondern nach ihrer eigennützigen Gesinnung. Denn wenn sie die Billigkeit ansähe, so würde sie gleicherweise mit Gott rechten, wenn er die, welche es nicht werth sind, krönt, wie sie mit ihm rechtet, wenn er die, welche es nicht verdient haben, verdammt. Gleicherweise würde sie auch Gott loben und preisen, wenn er die verdammt, welche es nicht verdient haben, wie sie dies thut, wenn er die Unwürdigen selig macht. Denn auf beiden Seiten ist gleiche Unbilligkeit, wenn du auf unseren Verstand siehst. Es wäre gewiß ebenso unbillig, wenn du den Kain wegen seines Mordes loben und zum Könige machen würdest, als wenn du den unschuldigen Abel ins Gefängniß werfen oder tödten wolltest. Weil daher die Vernunft Gott lobt, indem er die Unwürdigen selig macht, ihn aber beschuldigt, indem er die verdammt, welche es nicht verdient haben, so wird sie überführt, daß sie Gott nicht lobe als Gott, sondern als einen solchen, der ihrem eigenen Vortheile dient, das heißt, sie sucht und lobt in Gotte sich selbst und das Ihre, nicht Gott oder was Gottes ist. Aber wenn dir Gott gefällt, indem er die Unwürdigen krönt, darf er dir auch nicht mißfallen, indem er die verdammt, welche es nicht verdient haben; wenn er dort gerecht ist, warum sollte er hier nicht gerecht sein? Dort streuet er Gnade und Barmherzigkeit aus über die Unwürdigen, hier streuet er Zorn und Strenge aus über die, welche es nicht verdient haben. Nach beiden Seiten hin thut er zu viel und ist unbillig vor den Menschen, aber gerecht und wahrhaftig bei ihm selbst. Denn wie dies gerecht sei, daß er die Unwürdigen krönt, das ist jetzt unbegreiflich, wir werden es aber sehen, wenn wir dahin kommen, wo wir nicht mehr glauben, sondern mit unverhülltem Angesichte sehen. So auch, wie dies gerecht sei, daß er die verdammt, welche es nicht verdient haben, ist jetzt unbegreiflich, doch glauben wir es, bis des Menschen Sohn offenbart werden wird. Die Diatribe aber, durch jenes Gleichniß vom Töpfer und Thon heftig geärgert, ist einigermaßen entrüstet, daß sie durch dasselbe so sehr in die Enge getrieben wird, und kommt endlich wieder darauf zurück, daß sie, nachdem verschiedene Stellen aus der Schrift beigebracht worden sind, deren einige dem Menschen alles beizulegen scheinen, andere alles der Gnade, grollend behauptet, beiderlei Stellen müßten nach einer gesunden Auslegung verstanden, und nicht einfach angenommen werden. Sonst, wenn wir auf dieses Gleichniß dringen, ist sie wieder bereit, uns mit jenen befehlenden und verpflichtenden Stellen in die Enge zu treiben, besonders mit der des Paulus (2 Tim. 2,21.): „So nun jemand sich reiniget von solchen Leuten“; hier bringt sie Paulus mit sich selbst in Widerspruch und läßt ihn alles dem Menschen beilegen, wenn ihm nicht eine gesunde Auslegung zu Hülfe kommt. Wenn nun hier die Auslegung zugelassen wird, daß der Gnade Raum gelassen werde, warum sollte denn das Gleichniß vom Töpfer nicht auch eine Auslegung zulassen, daß da Raum sei für den freien Willen?

Ich antworte: Mir liegt nichts daran; du kannst es einfach, zweifach oder hundertfach nehmen? Ich sage dies, daß durch diese gesunde Auslegung nichts ausgerichtet noch bewiesen wird, was in Frage steht. Denn es muß bewiesen werden, daß der freie Wille nichts Gutes wollen kann. Aber an jener Stelle: „So nun jemand sich reinigt von solchen Leuten“, wird, weil es eine verpflichtende Rede ist, weder nichts noch etwas bewiesen; Paulus ermahnt nur. Oder wenn du die Folgerung der Diatribe anfügen willst und sprechen: er ermahnt vergeblich, wenn er sich nicht reinigen kann, dann wird bewiesen, daß der freie Wille alles vermöge ohne die Gnade, und so beweist die Diatribe wider sich selbst. Wir erwarten also noch irgend eine Stelle der Schrift, welche diese Auslegung lehre; denen, die sie aus ihrem Kopfe erdichten, glauben wir nicht, denn wir leugnen, daß sich irgend eine Stelle findet, welche dem Menschen alles beilegt. Wir leugnen auch, daß Paulus sich selbst widerspreche, da er sagt: „So nun jemand sich reiniget von solchen Leuten“, sondern wir sagen, daß ebensowohl der Widerspruch bei Paulus erdichtet wird, als die Deutung ersonnen ist, welche jene (die Diatribe) herauspreßt, und daß keins von beiden nachgewiesen werden kann. Das gestehen wir freilich, wenn man die Schrift mit den Folgerungen und Zusätzen der Diatribe vermehren darf: „Vergeblich wird geboten, wenn wir nicht vermögen, was geboten wird“; dann streitet Paulus in Wahrheit wider sich selbst und die ganze Schrift, weil dann die Schrift eine andere wäre, als sie gewesen ist; dann beweist sie auch, daß der freie Wille alles vermöge. Was wäre es aber auch zu verwundern, wenn sie dann auch wider das stritte, was sie anderswo sagt, daß Gott allein alles thue. Aber die so vermehrte Schrift streitet nicht allein wider uns, sondern auch wider die Diatribe, welche erklärt hat, daß der freie Wille nichts Gutes wollen könne. Sie möge sich also erst selbst befreien und sagen, wie diese beiden Stücke mit Paulus stimmen: Der freie Wille kann nichts Gutes wollen, und: So jemand sich reinigt, also kann er sich reinigen, oder es wird vergebens gesagt. Du siehst also, daß die Diatribe in Noth und besiegt ist durch jenes Gleichniß vom Töpfer und nur damit umgeht, daß sie dem entschlüpfen möge, und unterdeß nicht bedenkt, wie sehr der Sache, die sie auf sich genommen hat, die Auslegung schade, und wie sie sich selbst widerlegt und zum Gespötte macht.

Wir aber, wie wir gesagt haben, haben niemals eine Auslegung erkünstelt, haben auch nicht so geredet: Strecke deine Hand aus, das ist, die Gnade wird ausstrecken. Dies alles erdichtet die Diatribe von uns, zum Vortheil ihrer Sache. Sondern so haben wir geredet, es sei kein Widerstreit in den Aussprüchen der Schrift und es sei keine Auslegung nöthig, welche den Knoten löse. Aber gerade die Lehrer des freien Willens suchen Schwierigkeiten, die nicht vorhanden sind, und erträumen sich Widersprüche. Zum Beispiel, dies streitet nicht wider einander: „So jemand sich reinigt“, und: „Gott wirkt alles in allen.“ Es ist nicht nöthig, daß man, um den Knoten zu lösen, sage: Einiges thut Gott, einiges der Mensch, weil der erste Spruch eine verpflichtende Rede in sich enthält, welche ein Werk oder eine Kraft im Menschen durchaus nicht behauptet oder leugnet, sondern vorschreibt, was an Werken oder Kräften im Menschen sein sollte. Hier ist nichts Bildliches, nichts, was einer Auslegung bedarf; es sind einfache Worte, es ist ein einfacher Sinn, nur mögest du keine Folgerungen und verderbende Zusätze anhängen nach der Weise der Diatribe, denn dann entstände ein nicht gesunder Sinn, aber nicht durch die Schuld der Worte, sondern durch die Schuld des Verderbers.

Die letztere Stelle aber: „Gott wirkt alles in allen“, ist eine Rede, welche die Wirklichkeit anzeigt und behauptet, daß alle Werke, alle Kraft in Gott sei. Wie sollten also die beiden Stellen wider einander streiten, da die eine nichts handelt von der Kraft des Menschen, die andere Gotte alles zuschreibt, und nicht vielmehr aufs beste mit einander übereinstimmen? Aber die Diatribe ist so ersäuft, erstickt und verderbt durch die Meinung jenes fleischlichen Gedankens, „unmögliche Dinge würden vergeblich geboten“, daß sie sich nicht beherrschen kann, vielmehr, so oft sie ein befehlendes oder verpflichtendes Wort hört, alsbald ihre Folgerungen, daß es in Wirklichkeit so sei (indicativas), anhängt, nämlich: Es wird etwas befohlen, also können wir es und thun es, sonst würde es thörichter Weise befohlen. Darauf gestützt bricht sie hervor und rühmt sich überall des Sieges, als ob sie nachgewiesen hätte, daß diese Folgerungen mit ihrem Denken so bestätigt wären, als wären sie göttlichen Ansehens. Darauf gestützt verkündigt sie sicher, daß an einigen Stellen der Schrift dem Menschen alles beigelegt werde, deshalb sei dort ein Widerspruch, und eine Auslegung sei nöthig. Und sie sieht nicht, daß dies alles eine Erdichtung ihres Kopfes ist, die nirgends in der Schrift durch ein Tüttelchen bestätigt wird, dann auch von solcher Art, daß es, wenn man es zugestände, niemanden stärker widerlegen würde, als sie selbst, da sie ebendamit beweist, wenn sie irgend etwas beweist, der freie Wille vermöge alles, wovon sie das Gegentheil zu beweisen unternommen hat.

So wiederholt sie auch so oft: „Wenn der Mensch nichts thut, so hat kein Verdienst statt; wo kein Verdienst statthat, da können weder Strafen noch Belohnungen statthaben.“

Wiederum sieht sie nicht, wie sie sich durch diese fleischlichen Beweisgründe selbst stärker widerlegt als uns. Denn was beweisen diese Folgerungen anders, als daß das ganze Verdienst bei dem freien Willen sei? Wo kann dann Raum sein für die Gnade? Ferner, wenn der freie Wille ganz wenig verdient, das Uebrige aber die Gnade, warum empfängt der freie Wille die ganze Belohnung? Oder wollen wir ihm auch nur eine ganz kleine Belohnung andichten? Wenn Verdienste statthaben, damit Belohnungen statthaben können, so muß das Verdienst auch so groß sein als die Belohnung. Doch, was verliere ich Worte und Zeit mit einer Sache, die nichts ist? Wenn nun auch alles Bestand hätte, was die Diatribe aufbringt, und es theilweise des Menschen, teilweise Gottes Werk wäre, daß wir verdienen, so können sie doch das Werk selbst nicht angeben, was, wie beschaffen und wie groß es sei, deshalb ist dies ein Streit um Nichts.

Nun aber, da sie nichts von dem beweist, was sie sagt, weder den Widerspruch, noch die Auslegung, noch die Stelle, welche dem Menschen alles zuschreibt, zeigen kann, sondern alle diese Dinge Gebilde ihres Denkens sind, so steht das Gleichniß des Paulus vom Töpfer und Thon unberührt und unüberwindlich fest, daß es nicht in unserem Willen ist, als was für Gefäße wir gebildet werden. Die Ermahnungen Pauli aber: „So jemand sich reiniget“ und ähnliche sind Formen, nach denen wir gebildet werden sollen, nicht aber Zeugnisse über unser Werk oder Bestreben. Dies mag genug sein über jene Stellen von der Verstockung des Pharao, von Esau, und vom Töpfer.

Anderer Theil dieses Buches: Vertheidigung der angezogenen Sprüche.

Endlich kommt die Diatribe zu den Stellen, welche Luther wider den freien Willen angeführt hat, und will auch diese widerlegen. Die erste derselben ist der Spruch 1 Mos. 6,3. (nach der Vulgata): „Mein Geist soll nicht unter den Menschen bleiben, denn sie sind Fleisch.“ Diese Stelle widerlegt sie auf verschiedene Weise. Erstlich, Fleisch bedeute hier nicht die gottlose Neigung, sondern eine Schwachheit; sodann setzt sie zu dem Text Mosis hinzu, daß sein Ausspruch sich nur auf die Menschen jener Zeit beziehe, nicht auf das ganze Menschengeschlecht, deshalb sei gesagt: in diesen Menschen; desgleichen auch nicht auf alle Menschen zu jener Zeit, denn Noah werde ausgenommen; endlich im Hebräischen laute dieser Ausspruch anders, nämlich von Güte, nicht von Strenge Gottes, nach Vorgang (autore) des Hieronymus, indem sie uns vielleicht einreden will, daß, da dieser Ausspruch sich nicht auf Noah, sondern auf die Gottlosen bezieht, dem Noah nicht die Güte, sondern die Strenge Gottes zukomme, den Gottlosen aber die Güte, nicht die Strenge zugehöre.

Doch wir wollen diese Possen der Diatribe fahren lassen, welche überall kundgibt, daß sie die Schrift für Fabeln hält. Was Hieronymus hier narrt, daran liegt uns nichts; gewiß ist, daß er nichts beweist, und wir disputiren nicht von der Meinung des Hieronymus, sondern vom Verstand der Schrift. Der Schriftverdreher mag erdichten, „der Geist Gottes“ bezeichne „Unwillen“ (indignationem). Wir sagen, daß er zweierlei nicht beweisen kann; erstlich, daß er auch nicht Eine Stelle der Schrift beibringen kann, in welcher der Geist Gottes für Unwillen genommen werde, da im Gegentheil überall dem Geiste Gütigkeit und liebliches Wesen beigelegt wird, sodann, wenn er etwa beweisen könnte, daß er überall für Unwillen genommen würde, so kann er doch nicht sofort beweisen, daß mit Nothwendigkeit folge, es müsse auch an dieser Stelle so genommen werden. So mag er erdichten, daß „Fleisch“ für „Schwachheit“ genommen werde, doch beweist er gleicherweise nichts. Denn daß Paulus die Corinther „fleischlich“ nennt (1 Cor. 3,1.3.4.), damit bezeichnet er sicherlich nicht eine Schwachheit, sondern gottloses Wesen (vitium), da er sie straft, weil Secten und Rotten unter ihnen sind, was nicht eine Schwachheit ist oder ein Unvermögen für stärkere (Speise der) Lehre, sondern Bosheit und der alte Sauerteig, den er auszufegen gebietet. Nun wollen wir das Hebräische ansehen.

„Mein Geist wird nicht immerdar richten unter den Menschen, denn sie sind Fleisch“; denn so steht von Wort zu Wort bei Moses. Und wenn wir unsere Träume fahren ließen, so sind die Worte dort (meine ich) deutlich und klar genug. Daß es aber Worte des erzürnten Gottes sind, zeigt das Vorhergehende und Nachfolgende zusammen mit der Wirkung, der Sündfluth, hinlänglich. Denn die Ursache, so zu reden, war, daß die Kinder (Gottes die Töchter) der Menschen zu Weibern nahmen aus bloßer Lust des Fleisches, dann auch mit Tyrannei das Land bedrückten, so daß sie den erzürnten Gott zwangen, die Sündfluth zu beschleunigen und nur noch einhundert und zwanzig Jahre aufzuschieben, während er sie sonst nie hätte kommen lassen. Lies Mosen mit Achtsamkeit, so wirst du klar sehen, daß dies seine Meinung sei. Was ist es aber zu verwundern, daß die heilige Schrift dunkel ist, oder daß du aus ihr nicht nur einen freien, sondern sogar einen göttlichen Willen aufrichtest, wenn man so mit ihr sein Spiel treiben darf, als ob du Fetzen aus Virgil in ihr suchtest? Nämlich das heißt Knoten lösen und durch Auslegung Fragen beseitigen. Aber Hieronymus und sein Origenes haben mit diesen Possen die ganze Welt erfüllt und sind die Urheber dieses verderblichen Beispiels gewesen, daß man sein Bemühen nicht auf einfache Behandlung (simplicitati) der Schrift richtete.

Mir ist es genug gewesen, aus dieser Stelle zu beweisen, daß Gottes Wort die Menschen Fleisch nennt, und so sehr Fleisch, daß der Geist Gottes unter ihnen nicht bleiben konnte, sondern zur festgesetzten Zeit von ihnen genommen werden mußte. Denn, daß Gott sagt, sein Geist werde nicht immerdar unter den Menschen richten, das erklärt er bald darauf, indem er hundert und zwanzig Jahre festsetzt, in welchen er noch richten werde. Er setzt aber den Geist dem Fleische entgegen, daß die Menschen, da sie Fleisch sind, den Geist nicht zulassen, er aber, da er der Geist ist, das Fleisch sich nicht gefallen lassen kann; so komme es, daß er nach hundert und zwanzig Jahren von ihnen genommen werden müsse. Daher die Stelle in Moses so verstanden werden muß: Mein Geist, welcher in Noah und anderen heiligen Männern ist, straft jene Gottlosen durch das Wort der Predigt und das Leben der Gottseligen (denn „richten unter den Menschen“ heißt, durch das Amt des Wortes unter ihnen handeln, strafen, schelten, dringend bitten, zur Zeit oder zur Unzeit), aber vergebens. Denn jene, durch das Fleisch blind gemacht und verhärtet, werden um so ärger, je mehr sie gerichtet werden, wie das ja immer der Fall ist, so oft das Wort Gottes in die Welt kommt, daß sie nämlich desto ärger werden, je mehr sie unterwiesen werden. Und diese Ursache hat es bewirkt, daß der Zorn beschleunigt wurde, wie auch dort die Sündfluth beschleunigt worden ist, da nun nicht allein gesündigt, sondern auch die Gnade Gottes verachtet wird, und, wie Christus sagt (Joh. 3,19.): Da das Licht kam, haßten die Menschen das Licht.

Da nun die Menschen Fleisch sind, wie Gott selbst bezeugt, so können sie nicht anders als fleischlich gesinnt sein, deshalb kann der freie Wille nur zum Sündigen ein Vermögen haben. Da sie auch, wenn der Geist Gottes unter ihnen ruft und lehrt, immer ärger werden, was sollten sie thun, wenn sie sich selbst überlassen sind, ohne den Geist Gottes? Und hier thut das nichts zur Sache, daß Moses mir von den Menschen zu jener Zeit redet. Dasselbe geht alle Menschen an, da alle Fleisch sind, wie Christus sagt, Joh. 3,6.: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch.“ Was das für ein schweres (sittliches) Gebrechen (vitium) sei, lehrt er selbst eben dort, da er sagt, daß niemand in Gottes Reich eingehen könne, wenn er nicht von neuem geboren sei. Ein Christ soll also wissen, daß Origenes und Hieronymus mit allen ihren Anhängern verderblich irren, da sie leugnen, daß unter Fleisch in diesen Stellen die gottlose Gesinnung (affectu) zu verstehen sei. Denn auch der Spruch 1 Cor. 3,3.: „Ihr seid noch fleischlich“, geht auf die Gottlosigkeit. Denn Pauli Meinung ist, es seien noch Gottlose unter ihnen, dann aber seien auch die Gottseligen, sofern sie fleischlich gesinnt sind, fleischlich, wiewohl sie vom Geiste gerechtfertigt sind.

Kurz, darauf magst du in der Schrift achten, überall, wo vom Fleisch im Gegensatz zum Geist gehandelt wird, da kannst du unter Fleisch ungefähr alles verstehen, was dem Geiste zuwiderläuft, wie an der Stelle (Joh. 6,63.): „Das Fleisch ist kein nütze.“ Wo es aber allein für sich (absolute) gebraucht wird, da sollst du wissen, daß es Beschaffenheit und Natur des Leibes bedeute, wie (Matth. 19,5.): „Es werden die zwei Ein Fleisch sein“; (Joh. 6,55.:) „Mein Fleisch ist die rechte Speise“; (Joh. 1,14.:) „Das Wort ward Fleisch.“ In diesen Stellen könnte man, mit Aenderung der hebräischen Weise zu reden, Leib anstatt Fleisch sagen, denn die hebräische Sprache bezeichnet mit dem Worte Fleisch das, was wir durch die beiden Wörter Fleisch und Leib ausdrücken. Und ich wollte, daß es so mit unterschiedlichen Wörtern überall in dem ganzen Canon der Schrift übersetzt worden wäre. So glaube ich, daß meine Stelle aus 1 Mos. 6, (V. 3.) noch feststehen wird wider den freien Willen, wenn bewiesen wird, daß das Fleisch sei, wovon Paulus Röm. 8,7. sagt, daß es auch Gotte nicht unterthan sein könne, wie wir an jener Stelle sehen werden, und die Diatribe selbst sagt, daß es nichts Gutes wollen könne.

Die zweite Stelle ist 1 Mos. 8,21.: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist geneigt zum Bösen von Jugend auf“; und Cap. 6,5.: „Alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist gerichtet aufs Böse immerdar.“ Diesem Spruch entwischt sie so: „Die Neigung zum Bösen, welche bei den meisten Menschen sich findet, hebt die Freiheit des Willens nicht gänzlich auf.“

Aber, ich bitte dich, redet denn Gott von den meisten Menschen und nicht vielmehr von allen? da er nach der Sündfluth, gleich als ob es ihm gereue, den übrigen und zukünftigen Menschen verspricht, er werde nicht wieder eine Sündfluth kommen lassen um des Menschen willen, und gibt die Ursache an, weil der Mensch geneigt sei zum Bösen, als wollte er sagen: Wenn auf die Bosheit der Menschen gesehen werden sollte, so dürfte mit der Sündfluth nie aufgehört werden; aber ich will fortan nicht ansehen, was sie verdienen etc. So siehst du, daß Gott sowohl vor der Sündfluth als auch nach der Sündfluth von den Menschen aussagt, daß sie böse seien, und es ist also nichts, daß die Diatribe nur von den meisten redet. Ferner scheint der Diatribe die Neigung oder der Hang zum Bösen eine Sache von geringem Belange zu sein, gleich als ob wir dieselbe durch unsere Kraft entweder in Gang bringen oder dämpfen könnten, während die Schrift mit dieser Neigung jenen beständigen Zug und Drang des Willens zum Bösen bezeichnen will. Oder warum hat sie nicht auch hier das Hebräische zu Rathe gezogen, da Moses nichts von der Neigung sagt, damit du nicht Ursache habest zu Spitzfindigkeiten? Denn so steht im sechsten Capitel (V. 5.): „Chol Jetzer Mahescheboth libbo rak ra chol haiom“, das heißt: „Alles Dichten der Gedanken seines Herzens ist nur böse allezeit.“ Er sagt nicht, gerichtet oder geneigt zum Bösen, sondern durchaus böse, und es werde von dem Menschen im ganzen Leben nichts Anderes gedichtet und getrachtet als Böses. Es wird das Wesen seiner Bosheit beschrieben, daß er nicht anders thut noch zu thun vermag, weil er böse ist. Denn, wie Christus bezeugt (Matth. 7,17.), ein böser Baum kann auch keine anderen als arge Früchte bringen.

Daß aber die Diatribe klügelt: „Warum eine Frist zur Buße gegeben worden sei, wenn kein Theil der Sinnesänderung von unserem Willen abhängt, sondern alles durch Notwendigkeit regiert wird?“ so antworte ich: Dasselbe möchtest du auch bei allen Geboten Gottes sagen, warum er befehle, wenn durch Nothwendigkeit alles geschieht? Er gebietet, um zu unterrichten und zu erinnern, damit sie (die Menschen) durch die Erkenntniß ihrer Bosheit gedemüthigt, zur Gnade kommen möchten, wie überflüssig genug gesagt ist. Es steht also auch diese Stelle noch unbesiegt wider die Freiheit des Willens.

Die dritte Stelle ist der Spruch Jes. 40,2.: „Sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn um alle ihre Sünde.“ „Hieronymus (sagt sie) legt dieses von den göttlichen Strafen aus, nicht von der Gnade, welche Gott für die Missethaten den Menschen widerfahren läßt.“

Ich höre, Hieronymus sagt so, also ist es wahr. Ich disputire über Jesajas, welcher mit den klarsten Worten redet, und mir wird Hieronymus entgegen gehalten, um nicht allzuhart zu sagen, ein Mensch ohne Urtheil und Sorgfalt. Wo bleibt jenes Versprechen, durch welches wir das Uebereinkommen getroffen haben, wir wollten mit der Schrift selbst handeln, nicht mit den Auslegungen von Menschen? Das ganze Capitel des Jesajas, nach dem Zeugniß der Evangelisten, redet von der Vergebung der Sünden, die durch das Evangelium verkündigt wird, da sie sagen, daß sich „die Stimme des Predigers“ (Jes. 40,3.) auf Johannes den Täufer (Matth. 3,3.) beziehe. Und wir sollen dulden, daß uns Hieronymus nach seiner Weise jüdische, aus Blindheit entsprossene Märlein als einen geschichtlichen Verstand, und seine Narrenspossen als eine geistliche Deutung aufdränge, so daß wir mit völliger Verkehrung der Sprachlehre die Stelle, welche von der Vergebung redet, von der Strafe verstehen sollen? Ich bitte dich, was ist das für eine Strafe, welche durch die Predigt von Christo erfüllt ist? Aber wir wollen die Worte selbst im Hebräischen sehen.

Es heißt (Jes. 40,1.): Tröstet, tröstet, o mein Volk, oder tröstet, tröstet mein Volk (populum), spricht euer Gott. Ich glaube, daß der nicht auf Strafe dringe, welcher befiehlt zu trösten. Es folgt (Jes. 40,2.): „Redet Jerusalem ins Herz und prediget ihr.“ Es ist hebräische Redeweise „ins Herz reden“, das heißt, gute, liebliche Dinge, Liebkosungen reden, wie 1 Mos. 34,3. Sichem der Dina ins Herz redet, welche er geschändet hatte, das heißt, er gab der Traurigen den lindernden Balsam der Liebkosungen, wie unser Uebersetzer verdolmetscht hat. Was das aber für gute, liebliche Dinge seien, die auf Gottes Befehl zu ihrem Troste gepredigt werden sollen, erklärt er, indem er spricht: „Denn ihre Ritterschaft hat ein Ende dadurch, daß ihre Missethat vergeben ist, denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn, um alle ihre Sünde.“

Die „Ritterschaft“ (militia), wofür unsere Bücher verderbter Weise „Bosheit“ (malitia) haben, scheint den dummdreisten jüdischen Sprachlehrern die festgesetzte Zeit zu bezeichnen, denn so verstehen sie das Wort Hiob 7,1.: „Das Leben des Menschen auf der Erde ist eine Ritterschaft“, das heißt, die Zeit ist ihm bestimmt. Ich halte dafür, daß es einfach, wie die Grammatik lehrt, eine Ritterschaft genannt werde, so daß man Jesaias so zu verstehen hat, daß er redet von der Mühe und Arbeit des Volkes unter dem Gesetze, da es gleichsam in den Schranken kämpft. Denn so vergleicht Paulus gern sowohl die Prediger als auch die Hörer des Wortes „Streitern“ (militibus), wie da, wo er (2 Tim. 2,3.) dem Timotheus als einem guten Streiter (1 Tim. 6,12.) auch einen guten Kampf zu kämpfen befiehlt, und von den Corinthern redet er (1 Cor. 9,24.) als von solchen, die in den Schranken laufen; desgleichen (2 Tim. 2,5.): Niemand wird gekrönt, er kämpfe denn recht; die Epheser (6,13.f.) und Thessalonicher (1 Ep. 5,8.) rüstet er mit Waffen, und rühmt (2 Tim. 4,7.), er habe einen guten Kampf gekämpft, und ähnliche Dinge anderswo. So wird auch 1 Sam. 2,22. im Hebräischen geschrieben, daß die Söhne Eli schliefen bei den Weibern, die da Ritterschaft übten vor der Thür der Hütte des Stifts, deren Ritterschaft auch Moses im 2. Buche (Cap. 38,8.) gedenkt, und daher wird der Gott dieses Volks der Herr Zebaoth genannt, das heißt, der Herr des Kriegsdienstes oder der Heerschaaren.

Jesajas kündigt also an, daß die Ritterschaft des Gesetzesvolks, weil sie unter dem Gesetze gleichsam mit einer unerträglichen Last geplagt wurden, wie Petrus in der Apostelgeschichte, Cap. 15,10., bezeugt, ein Ende haben soll, und daß die vom Gesetze Befreiten in die neue Ritterschaft des Geistes versetzt werden sollen. Ferner, dieses Ende der überaus harten Ritterschaft und die nachfolgende neue, ganz freie Ritterschaft wird ihnen nicht aus ihrem Verdienst gegeben werden, da sie jene auch nicht zu tragen vermochten, sondern vielmehr ihrem Unverdienst, weil ihre Ritterschaft auf solche Weise beendigt wird, daß ihnen umsonst ihre Missethat vergeben wird. Hier sind nicht dunkle oder zweifelhafte Worte. Ihre Ritterschaft soll ein Ende haben, sagt er, darum, weil die Missethat derselben vergeben wird, wodurch er deutlich anzeigt, daß die Streiter unter dem Gesetze das Gesetz nicht erfüllt haben, es auch nicht haben erfüllen können, sondern daß sie die Ritterschaft der Sünde ausgeübt haben und daß die Streiter Sünder gewesen sind; als wenn Gott sagen wollte: Ich werde gezwungen, ihnen die Sünden zu vergeben, wenn ich will, daß das Gesetz von ihnen erfüllt werde, ja, zugleich das Gesetz aufzuheben, weil ich sehe, daß sie nicht anders können als sündigen, besonders dann, wenn sie ihre Ritterschaft üben, das heißt, sich bemühen, das Gesetz aus ihren Kräften zu erfüllen. Denn das hebräische Wort „die Missethat ist vergeben“ bezeichnet, daß etwas aus (freiem) Wohlgefallen umsonst geschenkt ist. Und deshalb wird die Missethat ohne irgend ein Verdienst, ja, mit Unverdienst vergeben. Und dies ist, was er anfügt:

„Denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn, um alle ihre Sünde.“ Dies ist, wie ich gesagt habe, nicht allein die Vergebung der Sünden, sondern auch das Ende der Ritterschaft. Das ist nichts Anderes, als, nachdem das Gesetz aufgehoben war, welches die Kraft der Sünde war, und die Sünde geschenkt, welche der Stachel des Todes war, sollten sie in zwiefacher Freiheit herrschen durch den Sieg Jesu Christi; das ist, was Jesaias sagt: „Von der Hand des Herrn.“ Denn nicht durch ihre Kräfte oder Verdienste haben sie dies erlangt, sondern durch den Sieger und Geber Christus haben sie es empfangen. „In allen Sünden“ ist nach hebräischer Weise geredet, was deutsch gesagt wird „für“, oder „um der Sünden willen“, wie Hosea 12,13.: Jakob diente in einem Weibe, das heißt, um ein Weib; und Psalm 17,9.: Sie haben mich umgeben in meiner Seele, das heißt, um meiner Seele willen. Also unsere Verdienste, durch welche wir jene zwiefältige Freiheit erlangen, daß sowohl die Ritterschaft des Gesetzes ein Ende hat als auch die Sünden geschenkt sind, malt Jesajas so ab, daß sie nichts als Sünden und alle Sünden gewesen sind.

Sollten wir nun leiden, daß diese sehr schöne und unüberwindliche Stelle wider den freien Willen so besudelt werde durch den jüdischen Schmutz, der von Hieronymus und der Diatribe herzugebracht wird? Das sei ferne! Es steht aber mein lieber Jesajas als Sieger wider den freien Willen und stellt fest, daß die Gnade nicht den Verdiensten oder Bemühungen des freien Willens geschenkt werde, sondern den Sünden und Unverdiensten, und daß der freie Wille aus seinen Kräften nichts Anderes als die Ritterschaft der Sünde üben könne, so sehr, daß sogar das Gesetz, von dem man meint, es sei ihm zu Hülfe gegeben, ihm unerträglich gewesen ist und ihn nur noch mehr zum Sünder gemacht hat, während er unter demselben diente.

Daß aber die Diatribe disputirt: „Wiewohl durch das Gesetz die Sünde mächtig geworden ist, und wo die Sünde mächtig geworden ist, da auch die Gnade mächtig wird, so folge doch daraus nicht, daß der Mensch, ehe er der angenehmmachenden Gnade theilhaftig werde, sich unter göttlichem Beistand nicht durch sittlich gute Werke zu der göttlichen Gnade zubereiten könne.“

Es wäre wunderbar, wenn die Diatribe das aus ihrem Kopfe redete, und es nicht aus irgend einem Zettel, der ihr anders woher geschickt worden ist, oder den sie anders woher empfangen hat, herausgeklaubt und ihrem Buche eingefügt hätte. Denn sie sieht und hört nicht. was ihre Worte besagen. Wenn durch das Gesetz die Sünde mächtig ist, wie ist es dann möglich, daß sich der Mensch durch sittliche Werke zur göttlichen Gnade zubereiten könnte? Wie können die Werke nützen, da das Gesetz nicht nützt? oder was ist das anders, daß durch das Gesetz die Sünde mächtig geworden ist, als daß die Werke, welche nach dem Gesetze gethan sind, Sünden sind? Was sagt sie aber, daß der Mensch unter göttlichem Beistande sich durch sittliche Werke zubereiten könne? Disputiren wir vom göttlichen Beistande oder von dem freien Willen? Denn was sollte durch göttlichen Beistand nicht möglich sein? Aber es ist das, was ich gesagt habe: die Diatribe verachtet die Sache, welche sie führt, darum schnarcht sie so und gähnt im Reden.

Doch führt sie den Hauptmann Cornelius als Beispiel an, dessen Gebet und Almosen (Apost. 10,4.) wohlgefällig gewesen sei, ehe er noch getauft und mit dem Heiligen Geist erfüllt worden sei.

Ich habe auch den Lucas in der Apostelgeschichte gelesen, habe aber doch nicht gefunden, daß nur mit einer Silbe angezeigt wird, daß die Werke des Cornelius sittlich gute gewesen seien ohne den Heiligen Geist, wie die Diatribe träumt, sondern ich finde das Gegentheil, daß er gerecht und gottesfürchtig war, denn so nennt ihn Lucas; daß er aber gerecht und gottesfürchtig ohne den Heiligen Geist genannt werde, ist dasselbe, als wenn Belial Christus genannt würde. Dann handelt die ganze Erörterung daselbst davon, daß Cornelius vor Gott rein sei, wie dies auch das Gesicht bezeugt, welches vom Himmel herab dem Petrus gesendet wurde, welches diesen strafte; ja, mit so großen Worten und Dingen wird die Gerechtigkeit und der Glaube des Cornelius von Lucas gepriesen. Nichtsdestoweniger ist die Diatribe mit ihren Sophisten bei offenen Augen im hellsten Lichte der Worte und in handgreiflich klaren Dingen blind, und sie sehen das Gegentheil; so wenig Mühe geben sie sich, die heilige Schrift zu lesen und darauf Acht zu haben, welche dann als dunkel und zweideutig geschändet werden muß. Zugegeben, er war noch nicht getauft und hatte das Wort von Christi Auferstehung noch nicht gehört, folgt denn etwa daraus, daß er ohne den Heiligen Geist gewesen sei? So könntest du auch sagen, daß Johannes der Täufer mit seinen Eltern, dann auch die Mutter Christi und Simeon ohne den Heiligen Geist gewesen seien. Aber weg mit einer so groben Finsterniß.

Die vierte Stelle aus demselben Capitel des Jesajas (40,6.7.): „Alles Fleisch ist Heu, und alle seine Güte ist wie eine Blume des Grases. Das Heu ist verdorret, die Blume verwelket, denn des Herrn Geist bläset drein“ etc., „scheint“ meiner Diatribe „allzu gewaltsam auf die Gnade und den freien Willen gezogen zu werden.“ Weshalb dies, ich bitte dich? „Weil Hieronymus (sagt sie) den Geist für den Unwillen (indignationem) nimmt, das Fleisch für die schwache Beschaffenheit des Menschen, welche nichts wider Gott vermag.“ Wiederum werden mir die Possen des Hieronymus anstatt des Jesajas vorgebracht. Ich muß stärker wider den Ekel kämpfen, durch den mich die Diatribe mit einem so großen Unfleiß (um nicht etwas Härteres zu sagen) abquält, als wider die Diatribe selbst. Aber wir haben kurz zuvor unser Urtheil über die Meinung des Hieronymus ausgesprochen.

Doch, ich bitte dich, laßt uns die Diatribe mit sich selbst vergleichen: „das Fleisch (sagt sie) ist die schwache Beschaffenheit des Menschen, der Geist aber der göttliche Unwille.“ Der göttliche Unwille hat also nichts Anderes, was er verdorren könnte (exsiccet,) als jene elende und schwache Beschaffenheit des Menschen, welcher er vielmehr aufhelfen sollte?

Aber dieses ist noch schöner: „die Blume des Grases ist der Ruhm, welcher aus Vorzügen in leiblichen Dingen entsteht. Die Juden rühmten sich ihres Tempels, ihrer Beschneidung, ihrer Opfer, die Griechen ihrer Weisheit.“ Also die Blume des Grases und der Ruhm des Fleisches ist die Gerechtigkeit der Werke und die Weisheit der Welt. Wie können nun Gerechtigkeit und Weisheit bei der Diatribe leibliche Dinge genannt werden? Wie reimt sich das dann zu Jesajas selbst, der sich mit seinen eigenen Worten auslegt, indem er sagt: „Wahrlich, das Volk ist das Heu“, er sagt nicht: Wahrlich, das Heu ist die schwache Beschaffenheit des Menschen, sondern das Volk, und behauptet das mit einem Eide. Was aber ist das Volk? Ist es etwa allein die schwache Beschaffenheit des Menschen? Ob nun Hieronymus unter der schwachen Beschaffenheit (conditionem) des Menschen die Natur des Menschen selbst (creationem), oder das elende Loos und den elenden Zustand des Menschen versteht, weiß ich nicht. Aber welches von diesen beiden es auch sei, so trägt der göttliche Unwille sicherlich ein treffliches Lob und eine reiche Beute davon, indem er das elende Geschöpf oder unglückselige Menschen verdorren macht, und nicht vielmehr (Luc. 1,51.ff.) die Hoffährtigen zerstreuet, und die Gewaltigen vom Stuhle stößt und die Reichen leer läßt, wie Maria singt.

Aber wir wollen solche leeren Dinge (larvis) fahren lassen und dem Jesajas folgen. Das Volk (sagt er) ist Gras. Das Volk aber ist nicht das bloße Fleisch oder die schwache Beschaffenheit der menschlichen Natur, sondern umfaßt alles, was im Volke ist, nämlich Reiche, Weise, Gerechte, Heilige, es wollte denn jemand sagen, daß die Pharisäer, Aeltesten, Fürsten, vornehmen Leute, Reichen etc. nicht zum Volke der Juden gehörten. Die Blume des Grases wird ganz richtig der Ruhm genannt, nämlich, daß sie sich ihres Königreichs, ihres Regiments, besonders aber des Gesetzes, Gottes, ihrer Gerechtigkeit und Weisheit rühmten, wie Paulus das Röm. 2. 3. und 9. erörtert. Da also Jesajas sagt: alles Fleisch, was ist das anders, als alles Gras, oder alles Volk? Denn er sagt nicht einfach: Fleisch, sondern alles Fleisch. Zum Volke aber gehört Seele, Leib, Verstand, Vernunft, Urtheil und alles, was in einem Menschen nur als das Trefflichste genannt und gefunden werden kann. Denn der nimmt niemanden aus, der da sagt: alles Fleisch ist Gras, als den Geist, der verdorren macht. Der läßt auch nichts aus, der da sagt, das Gras ist das Volk. Gib also zu, daß der freie Wille, gib zu, daß alles, was bei dem Volke auch immer für das Höchste und für das Niedrigste gehalten werden kann, daß alles dies von Jesajas Fleisch und Gras genannt wird. Denn diese drei Namen, Fleisch, Gras (oder Heu) und Volk haben nach der eigenen Auslegung dessen, welcher der Verfasser des Buches ist, an dieser Stelle dieselbe Bedeutung.

Ferner versicherst du selbst, daß die Weisheit der Griechen und die Gerechtigkeit der Juden, welche verdorrt sind durch das Evangelium, das Gras oder die Blume des Grases seien. Oder meinst du, daß die Weisheit bei den Griechen nicht das Herrlichste gewesen sei, was sie gehabt haben, und die Gerechtigkeit bei den Juden nicht das Herrlichste, was sie vermochten? Lehre du etwas Herrlicheres. Wo ist also deine Zuversicht, mit der du sogar (ich glaube, den Philippus) verhöhntest, indem du sagtest: „Wollte jemand behaupten, daß das, was an der menschlichen Natur das Vortrefflichste ist, nichts Anderes sei als Fleisch, das ist, daß es gottlos sei, so will ich ihm leicht beistimmen, wenn er das, was er behauptet, mit Zeugnissen der heiligen Schrift beweist“?

Hier hast du den Jesaias, welcher das Volk, welches ohne den Geist des Herrn ist, mit lauter Stimme als Fleisch ausruft, wiewohl du es nicht so hörst. Du hast dein eigenes Bekenntniß, da du die Weisheit der Griechen (vielleicht unbedachtsam) Gras nennst oder die Herrlichkeit des Grases, was dasselbe ist, als wenn du sie Fleisch nenntest, wenn du nicht behaupten willst, die Weisheit der Griechen gehöre nicht zur Vernunft oder „hegemonikon“, wie du sagst, das heißt, zu dem hauptsächlichsten Theile des Menschen. Höre, ich bitte dich, wenn du uns verachtest, wenigstens dich selbst, wo du, von der Macht der Wahrheit gefangen, Richtiges redest. Du hast den Johannes (3,6.): Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, was vom Geist geboren ist, das ist Geist. An dieser Stelle, welche augenscheinlich überführt, daß das, was nicht vom Geist geboren ist, Fleisch sei, denn sonst hätte die Theilung Christi keinen Bestand, der alle Menschen in zwei Theile theilt, in Fleisch und Geist; an dieser Stelle also, als ob sie dich das nicht lehrte, was du begehrst, gehst du tapfer vorüber und begibst dich, nach deiner Weise, anderswohin, indem du inzwischen erörterst, Johannes sage, daß diejenigen, welche glauben, aus Gott geboren und Kinder Gottes würden, ja Götter und eine neue Creatur. Du kümmerst dich nicht darum, was die Theilung für eine Folgerung mit sich bringe, sondern belehrst uns mit müßigen Worten, wer die seien, welche zu dem einen Theile dieser Theilung gehören, indem du auf deine Redekunst vertraust, als ob niemand wäre, der dieses Uebergehen und ein so schlaues Verstellen, als ob du es nicht sähest, beachten würde.

Es hält schwer, nicht zu glauben, daß du an dieser Stelle nicht hinterlistig und tückisch handelst, denn wer die Schrift mit solcher Verschmitztheit und Heuchelei behandelt, wie du sie behandelst, der kann sicher von sich aussagen, er sei noch nicht durch die Schrift überwiesen, wolle sich aber belehren lassen, während er nichts weniger will und dies nur schwatzt zur Schmach des überaus hellen Lichtes in der Schrift und um seine Hartnäckigkeit zu schmücken. So sagen die Juden bis auf den heutigen Tag, durch die Schrift werde nicht bewiesen, was Christus, die Apostel und die ganze Kirche gelehrt haben. Die Ketzer können in nichts durch die Schrift belehrt werden, die Papisten sind durch die Schrift noch nicht überwiesen, wiewohl auch die Steine die Wahrheit ausschreien. Vielleicht erwartest du, daß eine Stelle aus der Schrift vorgebracht werde, welche aus diesen Buchstaben und Silben bestehe: Der hauptsächliche Theil an dem Menschen ist Fleisch, oder das, was das Vortrefflichste am Menschen ist, ist Fleisch, sonst wirst du ein unüberwindlicher Sieger sein, gleich als wenn die Juden fordern, daß aus den Propheten ein Spruch beigebracht werde, welcher aus diesen Buchstaben besteht: Jesus, des Zimmermanns Sohn, der geboren ist von der Jungfrau Maria zu Bethlehem, ist der Messias und der Sohn Gottes.

Hier, wo du durch den deutlichen Sinn (der Schrift) bezwungen wirst, schreibst du uns die Buchstaben und Silben vor, welche wir beibringen sollen; anderswo, wo du überwunden wirst sowohl durch die Buchstaben, als auch durch den Sinn, hast du bildliche Reden, Knoten und gesunde Auslegungen. Ueberall findest du etwas, was du wider die Schrift reden kannst und das ist nicht zu verwundern, weil du mit nichts Anderem umgehst, als daß du suchst, was du dawider sagen möchtest. Bald läufst du zu den Auslegungen der Alten, bald zu den Ungereimtheiten vor der Vernunft; wo keins von beiden dir Hülfe schafft, besprichst du Fern- und Naheliegendes, nur damit du durch die vorliegende Stelle der Schrift nicht festgehalten werden mögest. Was soll ich sagen? Proteus ist nicht Proteus, wenn er mit dir verglichen wird; dennoch kannst du auch so nicht entschlüpfen. Wie großer Siege rühmten sich die Arianer, weil diese Silben und Buchstaben „homoousios“ nicht in der Schrift enthalten wären, und kümmerten sich nicht darum, daß durch andere Worte dasselbe aufs kräftigste bewiesen wurde. Aber ob das die Art eines guten, ich will nicht sagen, eines gottseligen Herzens sei, darüber könnte wohl selbst die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit ein Urtheil abgeben.

Habe daher den Sieg, wir bekennen als Besiegte, daß diese Zeichen und Silben „das Vortrefflichste am Menschen ist nichts als Fleisch“ in der heiligen Schrift sich nicht finden. Du aber siehe zu, von welcher Beschaffenheit dein Sieg sei, da wir beweisen, daß es sich in der Schrift überaus reichlich finde, daß nicht Ein Theil, sei es auch der vorzüglichste oder hauptsächliche Theil des Menschen, Fleisch sei, sondern daß der ganze Mensch Fleisch sei, und nicht allein das, sondern, daß das ganze Volk Fleisch sei, und selbst damit ist es noch nicht genug, sondern, daß das ganze menschliche Geschlecht Fleisch sei. Denn Christus sagt (Joh. 3,6.): „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Du löse Knoten, erdichte bildliche Reden, folge den Auslegungen der Alten, oder sonst sage Verse über den Trojanischen Krieg her, nur um die vorliegende Stelle nicht zu sehen und zu hören. Wir glauben nicht, sondern sehen und erfahren, daß das ganze menschliche Geschlecht vom Fleisch geboren ist. Deshalb werden wir gezwungen zu glauben, was wir nicht sehen, nämlich, daß das ganze menschliche Geschlecht Fleisch ist, da Christus es lehrt. Ob jetzt der hauptsächlichste Theil (hegemonica pars) im Menschen begriffen werde im ganzen Menschen, im ganzen Volke, im ganzen menschlichen Geschlechte, das überlassen wir den Sophisten, darüber zu zweifeln und zu disputiren; wir wissen, daß „in dem ganzen menschlichen Geschlechte“ Leib und Seele mit allen Kräften und Werken, mit allen Lastern und Tugenden, mit aller Weisheit und Thorheit, mit aller Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit begriffen wird. Dies alles ist Fleisch, weil in all diesem der Sinn auf das Fleisch gerichtet ist (sapiunt carnem), das heißt, auf das Ihre, und sie mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollen, und des Geistes Gottes, wie Paulus sagt, Röm. 3,23.

Daß du daher sagst: „Nicht jede Neigung des Menschen ist Fleisch, sondern es gibt einen Theil, den man die Seele nennt, es gibt einen andern, welcher der Geist genannt wird, wodurch wir nach dem streben, was ehrbar ist, wie sich die Weltweisen bestrebt haben, die da lehrten, man müsse tausendmal lieber sterben wollen, als eine schändliche Handlung begehen, wenngleich wir wüßten, daß sie kein Mensch erführe, und daß Gott dieselbe vergeben würde“:

So antworte ich: Demjenigen, der nichts für gewiß glaubt, ist es ein Leichtes, irgend etwas zu glauben und zu sagen. Nicht ich, sondern dein Lucian möge dich fragen, ob du in dem ganzen menschlichen Geschlechte auch nur Einen (sei er gleich zweimal oder siebenmal selbst ein Socrates) aufzeigen kannst, der dies geleistet habe, was du hier sagst und schreibst, daß sie es gelehrt haben? Was fabelst du denn mit leeren Worten? Die sollten sich der Ehrbarkeit bestreben, welche noch nicht einmal wußten, was ehrbar wäre? Du magst vielleicht das Ehrbarkeit nennen, wenn ich ein ganz vorzügliches Beispiel anführen soll, daß sie für das Vaterland, für Weiber und Kinder, für ihre Eltern in den Tod gingen, oder daß sie nicht Lügen redeten oder zu Verräthern wurden, ausgesuchte Martern ertrugen, wie Mucius Scävola, Marcus Regulus und Andere Leute solcher Art waren. Was kannst du aber an allen diesen Anderes aufzeigen, als nur den äußerlichen Schein der Werke? Hast du etwa ihr Herz gesehen? Ja, durch das äußerliche Ansehen des Werkes ist zugleich offenbar geworden, daß sie dies alles um ihrer Ehre willen gethan haben, so daß sie sich auch nicht geschämt haben, zu bekennen und zu rühmen, daß sie ihre eigene Ehre suchten. Denn nur aus glühendem Ehrgeiz haben die Römer, wie sie selbst bezeugen, das gethan, was sie an Tugend gethan haben, ebenso auch die Griechen, ebenso auch die Juden, ebenso auch das ganze Menschengeschlecht.

Aber mag dies auch vor Menschen etwas Ehrbares sein, so gibt es doch vor Gott nichts Unehrbareres, ja, es ist das Allergottloseste und die höchste Gotteslästerung, nämlich, daß sie nicht um der Ehre Gottes willen gehandelt, ihn auch nicht als Gott gepriesen haben, sondern, indem sie durch den gottlosesten Raub Gotte seine Ehre genommen und sie sich beigelegt haben, sind sie nie unehrbarer und schändlicher gewesen, als während sie in ihren höchsten Tugenden glänzten. Wie aber hätten sie zu Gottes Ehre handeln können, da sie Gott und seine Ehre nicht kannten; nicht daß dieselbe nicht erschienen wäre, sondern, daß das Fleisch nicht zuließ, daß sie die Ehre Gottes sähen, weil sie toll und unsinnig waren auf ihre eigene Ehre. Hier hast du nun jenen herrschenden (hegemonicum) Geist, den hauptsächlichsten Theil des Menschen, der nach dem strebt, was ehrbar ist, das heißt, den Räuber der göttlichen Ehre und den, der da trachtet nach göttlicher Majestät, besonders dann, wenn die Leute am ehrbarsten sind und am meisten hervorleuchten durch ihre höchsten Tugenden. Nun leugne, daß diese Fleisch seien und verderbt durch ihre gottlose Neigung. Ich glaube nicht, daß die Diatribe sich so sehr an dieser Rede, daß der Mensch Fleisch oder Geist genannt wird, ärgern würde, wenn der Lateiner sagte: Der Mensch ist fleischlich oder geistlich. Denn es muß zugegeben werden, daß dies, wie auch vieles Andere in der hebräischen Sprache, z. B. wenn es heißt: Der Mensch ist Fleisch oder Geist, dasselbe bedeutet, als wenn wir sagen: Der Mensch ist fleischlich oder geistlich, wie die Lateiner sagen: Etwas Trauriges ist der Wolf für die Ställe; etwas Süßes ist den Saaten die Feuchtigkeit, oder wenn sie sagen: Dieser Mensch ist das Verbrechen und die Bosheit selbst. So nennt auch die heilige Schrift des Nachdrucks halber den Menschen „Fleisch“, gleichsam die Fleischlichkeit selbst, weil er allzusehr und in nichts Anderem lebt und webt (sapiat), als in dem, das des Fleisches ist; und „Geist“, weil er in nichts Anderem, als in dem, was des Geistes ist, lebt und webt, flicht, handelt und duldet.

Es möchte vielleicht jemand hier noch fragen: Wenn gleich der ganze Mensch und das Vorzüglichste im Menschen Fleisch genannt wird, folgt denn etwa sofort daraus, daß auch alles das gottlos genannt werden muß, was Fleisch ist? Wir sagen, der ist gottlos, welcher ohne den Geist Gottes ist. Denn um deß willen sagt die Schrift, der Geist werde geschenkt, damit er die Gottlosen rechtfertige. Da aber Christus den Geist vom Fleisch unterscheidet, indem er sagt (Joh. 3,6.7.): Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, und hinzufügt, daß das, was vom Fleisch geboren ist, das Reich Gottes nicht sehen kann, so folgt augenscheinlich: Alles, was Fleisch ist, das ist auch gottlos und unter dem Zorne Gottes und gehört nicht zum Reiche Gottes, wenn es aber nicht zum Reiche Gottes gehört und den Geist Gottes nicht haben kann, so folgt mit Nothwendigkeit, daß es unter dem Reiche und Geiste des Teufels sei, da es kein Zwischenreich zwischen dem Reiche Gottes und dem Reiche des Teufels gibt, die sich beständig gegenseitig bekämpfen. Dies ist es, was da beweist, daß die höchsten Tugenden an den Heiden, das Beste an den Weltweisen, das Vorzüglichste an den Menschen, vor der Welt zwar ehrbar und gut genannt wird und auch so scheint, daß dies alles aber vor Gott Fleisch ist und dem Reiche des Teufels dient, das heißt, daß es gottlos und gottesschänderisch ist und in jeder Hinsicht böse.

Doch, Lieber, wir wollen annehmen, die Meinung der Diatribe habe Bestand, daß nicht jede Neigung Fleisch sei, das heißt, gottlos, sondern eine solche, welche Geist genannt wird, ehrbar und gesund: siehe, wie viele Ungereimtheiten folgen daraus, zwar nicht vor der menschlichen Vernunft, sondern in der ganzen christlichen Religion und in den höchsten Artikeln des Glaubens! Denn wenn das Vorzüglichste am Menschen nicht gottlos ist, auch nicht verderbt oder verdammt, sondern nur Fleisch, das ist, gröbere und niedrigere Neigungen, ich bitte dich, was für einen Erlöser würden wir aus Christus machen? Wollen wir den Werth seines Blutes so gering machen, daß er nur das, was das Geringste ist am Menschen, erlöst habe, das Vortrefflichste am Menschen aber durch sich selbst etwas vermöge (valeat) und Christi Werk nicht nöthig habe? so daß wir Christum fortan predigen als einen Erlöser, nicht des ganzen Menschen, sondern seines schlechtesten Theiles, nämlich des Fleisches, der Mensch selbst aber sein eigener Erlöser sei nach seinem besseren Theile.

Wähle, welches von beiden du willst, wenn der bessere Theil des Menschen gesund ist, so bedarf er des Erlösers Christus nicht. Wenn er Christi nicht bedarf, so hat er größere Ehre als Christus und triumphirt über ihn, weil er sich selbst, als den besseren Theil, versorgt, während Christus nur den schlechteren versorgt. Ferner wird auch das Reich des Teufels nichts sein, da es ja nur über den schlechteren Theil des Menschen regiert, vom besseren Theile aber beherrscht wird. So wird durch diesen Lehrsatz von dem hauptsächlichsten Theile des Menschen, der Mensch über Christum und den Teufel erhoben, das heißt, er wird ein Gott über Götter und ein Herr über Herren werden. Wo ist jetzt jene annehmbare Meinung, welche aussprach, der freie Wille könne nichts Gutes wollen, hier aber behauptet, es sei ein hauptsächlichster und zwar ein gesunder und ehrbarer Theil, der nicht einmal Christi bedürfe, sondern mehr vermöge als Gott selbst und als der Teufel? Dies sage ich, damit du wiederum sehen mögest, wie ein gar gefährliches Ding es sei, wenn man sich an heilige und göttliche Sachen macht ohne den Geist Gottes, mit Vermessenheit menschlicher Vernunft. Wenn nun Christus das Lamm Gottes ist, das die Sünden der Welt wegnimmt, so folgt, daß die ganze Welt unter der Sünde, der Verdammniß und dem Teufel ist, und es nützt die Unterscheidung der hauptsächlichen und der nicht hauptsächlichen Theile nichts, denn Welt bezeichnet die Menschen, welche in allen Stücken im Weltlichen leben und weben.

„Wenn der ganze Mensch (sagt sie), auch der durch den Glauben wiedergeborene, nichts Anderes als Fleisch ist, wo bleibt dann der Geist, vom Geist geboren? wo das Kind Gottes? wo die neue Creatur? Hierüber möchte ich belehrt werden.“ So die Diatribe.

Wohin? wohin, meine theuerste Diatribe, was träumst du? Du begehrst belehrt zu werden, wie der Geist vom Geiste geboren Fleisch sei? Ei! mit wie fröhlichem und sicherem Siege trotzest du uns Besiegten hier, als wenn es unmöglich wäre, daß wir hier bestehen könnten! Inzwischen willst du das Ansehen der Alten mißbrauchen, welche lehren, daß den Gemüthern der Menschen gewisse Keime (semina) des Ehrbaren eingepflanzt seien. Erstlich, wenn du so willst, steht es dir unserthalben frei, das Ansehen der Alten zu gebrauchen oder zu mißbrauchen; an dir wird erkannt, was du glaubst, da du Menschen glaubst, die das Ihre reden ohne das Wort Gottes. Und vielleicht quält dich in der Sorge um die Religion nicht viel, was jemand glaubt, da du so leicht Menschen glaubst, und dir nichts daran liegt, ob das, was sie sagen, gewiß oder ungewiß sei. Und wir möchten darüber belehrt werden, wann wir jemals das gelehrt haben, was du uns so frei und öffentlich aufbürdest? Wer sollte so unsinnig sein, daß er sagen sollte, der sei nichts als Fleisch, der aus dem Geiste geboren ist?

Wir scheiden deutlich Fleisch und Geist, als mit einander streitende Dinge, und sagen mit der göttlichen Offenbarung, daß der Mensch, welcher durch den Glauben nicht wiedergeboren ist, Fleisch ist. Dann sagen wir, daß der Wiedergeborene nicht weiter Fleisch ist, als sofern Ueberbleibsel des Fleisches da sind, welche wider die Erstlinge des empfangenen Geistes streiten. Auch glaube ich nicht, daß du dies hast erdichten wollen, um Gehässigkeit wider uns zu erregen; was hättest du uns sonst wohl Schändlicheres aufbürden können? Sondern entweder verstehst du nichts von unseren Dingen, oder du scheinst der Größe der Angelegenheit nicht gewachsen zu sein, von der du vielleicht so bedrückt und verwirrt wirst, daß du dir nicht völlig bewußt bist, was du sowohl wider uns, als auch für dich sagst. Denn daß du nach dem Ansehen der Alten glaubst, daß den Gemüthern der Menschen gewisse Keime der Ehrbarkeit eingepflanzt seien, sagst du wiederum mit einer gewissen Vergeßlichkeit, da du oben behauptet hast, daß der freie Wille nichts Gutes wollen könne. Ich weiß aber nicht, wie „nichts Gutes wollen können“ gewisse Keime der Ehrbarkeit bei sich leiden kann. So werde ich beständig gezwungen, dich der Hauptsache, welche du auf dich genommen hast, zu erinnern, von der du in beständiger Vergeßlichkeit abschweifst und anderes handelst, als du dir vorgenommen hattest.

Eine andere Stelle ist, Jer. 10,23.: „Ich weiß, Herr, daß des Menschen Thun stehet nicht in seiner Gewalt, und stehet in niemands Macht, wie er wandele oder seinen Gang richte.“ „Diese Stelle (sagt sie) betreffe mehr den Ausgang erfreulicher Umstände, als das Vermögen des freien Willens.“

Hier bringt die Diatribe wiederum zuversichtlich eine Deutung herbei, wie es ihr gedäucht hat, als ob die Schrift völlig unter ihrer Gewalt stände. Daß er aber den Sinn und das Absehen des Propheten betrachten sollte, wozu hatte das ein Mann von so großem Ansehen nöthig? Es ist genug, Erasmus sagt es, also ist es so. Wenn den Gegnern diese Willkür, Deutungen zu machen, zugelassen wird, was bleibt dann übrig, daß sie es nicht erlangen möchten? Er möge daher aus dem Zusammenhange ebenderselben Rede diese Deutung nachweisen, so wollen wir glauben. Wir aber lehren aus dem Zusammenhange selbst, daß der Prophet, da er sah, er lehre die Gottlosen vergeblich mit so großem Anhalten, zugleich zu verstehen gibt, sein Wort vermöge nichts, wenn nicht Gott inwendig lehre, und darum stehe es nicht in der Gewalt des Menschen, zu hören und Gutes zu wollen. Da er dies Urtheil Gottes wahrgenommen hat, bittet er ihn erschreckt, daß er ihn mit Maße züchtigen möge, wenn überhaupt gestraft werden soll, und daß er nicht mit den Gottlosen, welche Gott verhärtet werden und ungläubig bleiben läßt, unter den Zorn Gottes dahingegeben werden möge. Aber wir wollen uns dennoch vorstellen, daß diese Stelle von dem Ausgange erfreulicher und betrübter Umstände verstanden werde; wie nun, wenn gerade diese Deutung den freien Willen aufs stärkste umstieße? Es wird zwar diese neue Ausflucht erdichtet, damit ungelehrte und schläfrige (Leser), getäuscht, glauben sollen, es sei (der Sache) genug geschehen, gleichwie jene es machen mit der Ausflucht von der Nothwendigkeit der Folge. Denn sie sehen nicht, daß, wie sie durch diese Ausflüchte vielmehr verstrickt und gefangen werden, sie so auch durch diese neuen Wörter zum Weichen gebracht werden. Wenn nun der Ausgang dieser Dinge nicht in unserer Gewalt steht, welche zeitlich sind und über welche der Mensch, 1 Mos. 1., zum Herrn eingesetzt worden ist, ich bitte dich, wie kann dann jene himmlische Sache, die Gnade Gottes, in unserer Gewalt sein, welche allein auf dem Willen Gottes beruht? Kann denn das Bemühen des freien Willens die ewige Seligkeit erlangen, welches doch nicht einen Heller, ja, nicht einmal ein Haar auf dem Haupte festhalten kann? Wir haben nicht das Vermögen, das Geschaffene zu erlangen, und sollten das Vermögen haben, den Schöpfer zu erlangen? Was rasen wir denn? Es gehört nun das ganz besonders zu dem Ausgang (eventus), daß ein Mensch dem Guten oder dem Bösen nachstrebt, weil er sich da auf beiden Seiten mehr irrt und weniger Freiheit hat, als indem er sich bemüht um Geld, oder Ehre, oder Wohllust. Wie schön ist also diese Deutung (glossa) entwischt, welche die Freiheit des Menschen in Bezug darauf, zu welchem Ende ein Ding hinausgeht, in kleinen und erschaffenen Dingen leugnet, und dieselbe predigt in den höchsten und göttlichen Dingen, als wenn du sagen würdest: Codrus vermag nicht, einen Stater zu bezahlen, er kann aber unzählig viele tausend Goldgulden bezahlen. Und ich wundere mich, daß die Diatribe, welche den Ausspruch des Wiclef, alle Dinge geschähen nothwendiger Weise, bisher so stark verfolgt hat, jetzt selbst zugesteht, daß der Ausgang der Dinge für uns ein nothwendiger sei.

Ferner sagt sie: „Will man dieses ja mit Gewalt auf den freien Willen ziehen, so muß doch jedermann bekennen, daß es in niemandes Macht stehe, ohne die Gnade Gottes richtig vor sich zu wandeln. Nichtsdestoweniger bemühen wir uns auch selbst nach unseren Kräften, denn wir beten täglich: Herr, mein Gott, richte meinen Weg vor dir her; wer um Hülfe bittet, läßt von seinem Bemühen nicht ab.“

Die Diatribe meint, es liege nichts daran, was sie antworte, wenn sie nur nicht schweige und irgend etwas sage. Dann will sie dafür angesehen sein, daß sie genug gethan habe; so sehr vertraut sie auf ihr Ansehen. Es hätte bewiesen werden sollen, ob wir aus unseren Kräften uns bestreben, und sie beweist, daß derjenige, welcher betet, sich um etwas bemühe. Ich bitte dich, spottet sie unser? oder treibt sie ihr Gespötte mit den Papisten? Wer betet, der betet durch den Geist, ja, der Geist selbst betet in uns, Röm. 8,15. Wie wird also durch das Bemühen des Heiligen Geistes das Vermögen des freien Willens bewiesen? Ist denn bei der Diatribe der freie Wille und der Heilige Geist ein und dasselbe? Disputiren wir denn jetzt, was der Geist vermöge? Die Diatribe läßt mir also die Stelle des Jeremias unberührt und unüberwunden und bringt allein aus ihrem Kopfe dieses Glößlein: Wir bestreben uns auch mit (unseren) Kräften. Und dem zu glauben soll Luther gezwungen werden, wenn er nur wollte!

Desgleichen der Spruch, Sprüchw. 16,1: „Der Mensch setzet ihm wohl vor im Herzen; aber vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll“; davon sagt sie, daß er auch auf den Ausgang der Dinge sich beziehe.

Als ob durch diesen ihren eigenen Ausspruch, ohne sonstigen Grund und Beweis, uns genug geschehen sei. Und sie macht es wahrlich übergenug, weil wir, indem wir die Meinung von dem Ausgange der Dinge zugaben, völlig gesiegt haben, nach dem, was wir so eben gesagt haben, daß, da die Freiheit des Willens in unseren Angelegenheiten und Werken nichts ist, vielmehr keine da ist in göttlichen Dingen und Werken.

Doch siehe ihren Scharfsinn: „Wie steht es aber damit, daß ein Mensch sich im Herzen etwas vorsetze, da Luther behauptet, es werde alles durch Notwendigkeit geleitet?“

Ich antworte: Da der Ausgang der Dinge nicht in unserer Gewalt steht, wie du sagst, wie kann es einem Menschen zukommen, die Sachen zu leiten? Was du mir würdest geantwortet haben, das nimm nun als dir geantwortet an. Ja, deshalb besonders muß man wirken, weil uns alles Künftige ungewiß ist, wie der Prediger (11,6) sagt: „Frühe säe deinen Samen, und laß deine Hand Abends nicht ab; denn, du weißt nicht, ob dies oder das gerathen wird.“ Uns, sage ich, ist es ungewiß, nach unserem Wissen, aber nothwendig dem Ausgange (eventu) nach. Die Nothwendigkeit flößt uns die Furcht Gottes ein, damit wir nicht vermessen und sicher seien; die Ungewißheit aber gebiert die Zuversicht, damit wir nicht verzweifeln.

Sie kehrt aber zu ihrem alten Liedlein zurück, daß im Buch der Sprüchwörter vieles für den freien Willen gesagt wird; der Art ist (Spr. 16,3.): „Befiehl dem Herrn deine Werke“; „hörst du“, sagt sie, „deine Werke“?

Nämlich, weil in diesem Buche viele befehlende und verpflichtende Worte sind, auch Fürwörter der zweiten Person, denn durch diese Grundlagen wird die Freiheit des Willens bewiesen, wie: „Befiehl“, also kannst du deine Werke befehlen, also thust du sie. So das Wort: „Ich bin dein Gott“ (5 Mos. 5,6.) mußt du so verstehen: das heißt, du machst mich zu deinem Gott. „Dein Glaube hat dir geholfen“ (Matth. 9,22.): hörst du? „Dein“; das lege so aus: du machst den Glauben: dann hast du den freien Willen bewiesen. Hier treibe ich nicht Spott, sondern zeige der Diatribe, daß es ihr in dieser Sache nicht Ernst ist.

Das Wort in demselben Capitel (Spr. 16,4.): „Der Herr macht alles um sein selbst willen, auch den Gottlosen zum bösen Tage“, modelt sie auch um durch ihre Worte, und entschuldigt Gott, daß er keine Creatur böse geschaffen habe.

Als ob ich von der Schöpfung redete und nicht vielmehr von jener beständigen Wirkung Gottes in den geschaffenen Dingen. Durch diese Wirkung treibt Gott auch den Gottlosen, wie wir oben von Pharao gesagt haben.

Auch das Wort aus dem 21. Capitel (V. 1.) scheint ihr nichts zu beweisen: „Des Königs Herz ist in der Hand des Herrn; er neigt es, wohin er will.“ „Der zwingt nicht sofort, der (etwas) neigt“, sagt sie.

Als ob wir vom Zwange redeten und nicht vielmehr von der Nothwendigkeit der Unveränderlichkeit. Diese wird durch das Neigen Gottes bezeichnet, welches nicht eine so schläfrige und faule Sache ist, wie die Diatribe erdichtet, sondern es ist jenes überaus thätige Wirken Gottes, welches er (der Mensch) nicht vermeiden und nicht ändern kann, sondern durch welches er solches Wollen nothwendiger Weise hat, wie es ihm Gott gegeben hat, und wie er (Gott) ihn hinreißt durch seinen Trieb (motu); wie ich oben gesagt habe.

Ferner, da Salomo von dem Herzen des Königs redet, so meint die Diatribe, „daß diese Stelle nicht mit Recht zu einem allgemein gültigen Satze gemacht werde, sondern dasselbe besagen wolle, was Hiob auf eine andere Art sagt (Hiob 34,30.): „Er läßt über sie regieren einen Heuchler um der Sünden des Volkes willen.“ Endlich gesteht sie zu, „daß ein König von Gotte auch zum Bösen gelenkt werde, aber in solcher Weise, daß er zulasse, daß der König durch böse Lüste getrieben werde, um das Volk zu züchtigen“.

Ich antworte: Mag Gott zulassen oder lenken, so geschieht gerade dies Zulassen oder Lenken nicht ohne den Willen und die Wirkung Gottes, weil des Königs Wille dem Handeln des allmächtigen Gottes nicht entfliehen kann, weil der Wille aller dahin gerissen wird, daß er wolle und thue, mag er nun gut oder böse sein. Daß wir aber aus dem besonderen Willen des Königs einen allgemeinen Satz gemacht haben, das, meine ich, haben wir weder ungeschickter noch ungelehrter Weise gethan. Denn, wenn das Herz des Königs, welches doch, wie man sieht, am meisten frei ist und über andere herrscht, dennoch nicht anders wollen kann, als wohin Gott es neigt, wie viel weniger kann dies irgend ein anderer Mensch! Und diese Folgerung würde Geltung haben, nicht allein von dem Willen des Königs, sondern auch von dem irgend eines anderen Menschen. Denn wenn Ein Mensch, er sei auch in noch so geringer Stellung (quantumlibet privatus), vor Gott nichts anders wollen kann, als wohin ihn Gott neigt, so kann dies auch von allen Menschen gesagt werden. So ist dies, daß Bileam nicht reden konnte, was er wollte, in der Schrift die klarste Begründung dafür, daß ein Mensch weder die freie Wahl, noch das (freie) Thun in seiner Gewalt hat, sonst würden die Exempel in der Schrift keinen Bestand haben.

Nachdem sie hierauf gesagt hatte, „daß solche Zeugnisse, wie sie Luther aus diesem Buche gesammelt hätte, in großer Anzahl zusammengebracht werden könnten, daß sie aber durch eine geschickte Auslegung sowohl für als auch wider den freien Willen statthaben könnten“, führt sie endlich „das Achilles-Schwert Luthers an, seine unwiderstehliche Waffe, Joh. 15,5.: „Ohne mich könnt ihr nichts thun“ etc.

Auch ich lobe den, der mit herrlicher Redekunst für den freien Willen eintritt, der da lehrt, die Zeugnisse der Schrift durch geschickte Auslegungen, wie es ihm gut dünkt, zu modeln, so daß sie wirklich für den freien Willen stehen, das heißt, beweisen, nicht was sie sollen, sondern, was uns beliebt. Darnach kann er wohl vorgeben, daß er das Eine Schwert des Achilles so sehr fürchte, damit ein unverständiger Leser, nachdem dieser (Hauptspruch) besiegt worden ist, die anderen für allzu verächtlich halte. Aber ich will der großprahlerischen und heldenmüthigen Diatribe zuschauen, um zu sehen, mit welcher Kraft sie meinen Achilles überwinden könne, da sie bisher noch keinen gemeinen Soldaten, nicht einmal einen Thersites geschlagen, sondern sich mit ihren eigenen Waffen ganz jämmerlich zugerichtet hat.

Da greift sie nun dies Wörtlein „nichts“ auf, würgt es mit vielen Worten und vielen Exempeln und dehnt es dahin, daß „nichts“ dasselbe sein könne als ein Geringes und Unvollkommenes, indem sie nämlich mit anderen Worten das ausspricht, was die Sophisten bisher an dieser Stelle in folgender Weise gelehrt haben: Ohne mich könnt ihr nichts thun, nämlich in vollkommener Weise. Diese schon lange veraltete und verrostete Glosse macht sie uns durch Kraft der Redekunst zu einer neuen und besteht so darauf, als ob sie dieselbe zuerst vorbringe und sie zuvor noch nie gehört worden sei, als wollte sie uns dieselbe anstatt eines Wunders vorführen. Unterdessen ist sie aber ganz sicher und denkt gar nicht an den Text selbst, nicht an das, was vorhergeht oder nachfolgt, daraus doch das Verständniß genommen werden muß. Ich schweige davon, daß sie mit so vielen Worten und Beispielen beweist, dies Wort „nichts“ könne an dieser Stelle für ein Geringes und Unvollkommenes genommen werden, als ob wir von dem Genommenwerdenkönnen disputirten, während doch zu beweisen stand, ob es so genommen werden müsse, so daß diese ganze großartige Auslegung nichts ausrichtet, wenn sie überhaupt etwas ausrichtet, als daß diese ganze Stelle des Johannes ungewiß und zweideutig wird. Und dies ist nicht zu verwundern, da die Diatribe einzig und allein darauf hinaus will, daß die Schrift Gottes überall zweideutig sei, damit sie nicht gezwungen werde, dieselbe zu gebrauchen, die Aussprüche der Alten aber seien gewiß, damit es ihr freistehe, die Schrift zu mißbrauchen. Das ist wirklich eine wunderliche Gottesverehrung, daß die Worte Gottes unnütz sein sollen, aber die Worte der Menschen nützlich. Aber das ist sehr schön anzusehen, wie gut sie mit sich selber stimmt: „Nichts kann für ein Geringes genommen werden, und in diesem Verstände (sagt sie) ist es sehr wahr, daß wir ohne Christum nichts thun können, denn er redet von den evangelischen Früchten, deren andere nicht theilhaftig werden, als die, welche an dem Weinstock, das ist, an Christo bleiben“ etc.

Hier bekennt sie selbst, daß die Früchte anderen nicht zu Theil werden, sondern nur denen, welche an dem Weinstock bleiben, und dies thut sie in der geschickten Auslegung, durch welche sie beweist, „nichts“ sei dasselbe als ein Geringes und Unvollkommenes. Aber vielleicht muß auch dies Nebenwort „nicht“ ebenso passend dahin ausgelegt werden, daß es anzeige, daß die evangelischen Früchte auch außer Christo etlichermaßen, oder eine geringe und unvollkommene Frucht jemandem zu Theil werden könne, so daß wir predigen mögen, auch die Gottlosen ohne Christus, welche, da der Satan in ihnen herrscht, auch wider Christum streiten, vermöchten etwas an Früchten zum Leben hervorzubringen, das heißt, daß die Feinde Christi für Christum wirkten; doch wir wollen dies fahren lassen.

Hier möchte ich, daß mir eine Weise gelehrt würde, in welcher man den Ketzern Widerstand leisten könnte, welche überall in der Schrift dieses Gesetz anwenden und behaupten möchten, „nichts“ und „nicht“ sei für etwas Unvollkommenes zu nehmen, z. B. (Joh. 1,3.): „Ohne dasselbe ist nichts gemacht“, das heißt, ein Weniges. (Ps. 14,1.:) „Der Thor spricht in seinem Herzen, Gott ist nicht“, das heißt, Gott ist unvollkommen. (Ps. 100,3.:) „Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst“, das heißt, ein wenig haben wir uns gemacht. Und wer kann die Stellen in der Schrift zählen, wo „nichts“ und „nicht“ geschrieben steht? Sollen wir hier sagen, man müsse auf eine passende Auslegung sehen? Aber da ist kein Ketzer, dem seine Auslegung nicht passend wäre. Ja, heißt das Knoten lösen, wenn man verderbten Herzen und trügerischen Geistern für eine so große Willkür das Thor öffnet? Ich glaube, dir, der du die Gewißheit der Schrift für nichts achtest, würde solche willkürliche Auslegung ganz genehm sein, aber für uns, die wir uns bemühen, die Gewissen zu befestigen, kann es nichts Ungeschickteres, nichts Schädlicheres, nichts Verderblicheres geben, als diese geschickte Auslegung (commoditate). Höre daher, große Siegerin über den Luther'schen Achilles: Wenn du nicht beweisest, daß „nichts“ an dieser Stelle nicht allein für ein Geringes genommen werden könne, sondern daß es auch für ein Geringes genommen werden müsse, so hast du nichts ausgerichtet mit einer so großen Menge von Worten und Beispielen, als daß du mit dürren Stoppeln wider Flammen gekämpft hast. Was haben wir mit deinem „können“ zu schaffen, da von dir verlangt wird, daß du das „müssen“ beweisest? Wenn du das nicht zu Wege bringst, so bleiben wir bei der natürlichen und sprachgemäßen Bedeutung des Wortes und verlachen sowohl deine Heere als auch deine Triumphe. Wo bleibt nun deine annehmbare Meinung, welche aufstellte, der freie Wille könne nichts Gutes wollen? Aber vielleicht kommt hier endlich noch die geschickte Auslegung, daß „nichts Gutes“ bedeute „etwas Gutes“ nach einer völlig unerhörten Sprachlehre und Schlußkunst, daß „nichts“ dasselbe sei als „etwas“, was bei den Dialectikern unmöglich sein würde, da es widersprechende Dinge sind. Wo bleibt auch das, daß wir glauben, der Teufel sei der Fürst der Welt, der da herrscht, wie Christus (Joh. 14,30.) und Paulus (2 Tim. 2,26. Eph. 2, 2.) bezeugen, in dem Willen und Herzen der Menschen, die seine Gefangenen sind und ihm dienen? Jener, nämlich der brüllende Löwe, der unversöhnliche und rastlose Feind der Gnade Gottes und des Heiles der Menschheit, sollte es geschehen lassen, daß der Mensch, ein Knecht und Theil seines Reiches, sich mit irgend einer Bewegung oder Triebe um das Gute bemühen sollte, wodurch er seiner Tyrannei entgehen möchte, und sollte ihn nicht vielmehr reizen und drängen, daß er aus allen Kräften wolle und thue, was der Gnade entgegen ist? Dem können auch die Gerechten und die im Geiste Gottes wirken, kaum widerstehen, und (kaum) das Gute wollen und thun; so wüthet er wider sie.

Du, der du erdichtest, der menschliche Wille sei etwas, das sich in einem freien Mittelzustande befinde und sich selbst überlassen sei, kannst gar leicht zugleich auch erdichten, es sei ein Bestreben des Willens nach beiden Seiten hin, weil du auch erdichtest, sowohl Gott, als auch der Teufel seien weit entfernt, gleichsam nur Zuschauer jenes veränderlichen und freien Willens; aber du glaubst nicht, daß sie den gefangenen (servae) Willen antreiben und bewegen, da sie mit einander im heftigsten Kampfe stehen. Wenn man allein dies glaubt, so steht unsere Meinung hinlänglich fest, und der freie Wille liegt niedergeworfen, wie wir auch oben gelehrt haben. Denn entweder kann das Reich des Teufels in den Menschen nichts sein, und dann würde Christus lügen; oder wenn dessen Reich solcher Art ist, wie es Christus beschreibt (Luc. 11,18.ff.), so ist der freie Wille nichts als ein gefangenes Lastthier des Teufels, welches nicht befreit werden kann, wenn nicht zuvor durch den Finger Gottes der Teufel ausgetrieben wird. Hieraus, glaube ich, verstehst du hinlänglich, liebe Diatribe, was das sei und wie viel das gelte, daß dein Verfasser, welcher die Beharrlichkeit der Luther'schen Behauptung verabscheut, zu sagen pflegt, nämlich, Luther dringe in der Sache sehr mit Schriftstellen, welche doch mit Einem Wörtlein aufgelöst werden könnten. Denn wer weiß das nicht, daß mit Einem Wörtlein alle Schrift aufgelöst werden kann? Wir wußten dieses ganz wohl, auch ehe wir den Namen des Erasmus gehört hatten. Aber das ist die Frage: ob dies genug sei, wenn mit einem Wörtlein die Schrift aufgelöst wird? Ob sie richtig aufgelöst werde, oder ob so aufgelöst werden müsse? Darüber wird disputirt. Hieher möge er schauen, und er wird sehen, wie leicht es sei, die Schrift aufzulösen, und wie verabscheuenswerth die Beharrlichkeit Luthers sei. Er wird aber nicht allein sehen, daß jene Wörtlein nichts ausrichten, sondern auch nicht alle Pforten der Hölle.

Wir wollen daher, was die Diatribe für ihre bejahende Stellung (affirmativa) nicht vermag; obgleich wir unser „Nein“ (negativam) nicht zu beweisen schuldig sind, dies dennoch thun und ihr durch die Kraft der Beweisgründe abdringen, daß „nichts“ an dieser Stelle nicht allein genommen werden könne, sondern auch müsse, nicht für ein Geringes, sondern für das, was das Wort seiner Art nach (natura) bedeutet; wir wollen dies aber thun, und noch obenein zu jenem unüberwindlichen Grunde, durch den wir schon gesiegt haben, Folgendes hinzufügen, nämlich, daß die Wörter in dem natürlichen Gebrauch ihrer Bedeutung beibehalten werden müssen, wenn nicht das Gegentheil bewiesen worden ist, was die Diatribe weder gethan hat, noch thun kann. Wir wollen ihr dies aber zuerst durch die Natur der Sache selbst abdringen, daß nämlich durch Schriftstellen, die weder zweideutig noch dunkel sind, dargethan worden ist, daß der Teufel weitaus der mächtigste und listigste Fürst der Welt ist (wie wir gesagt haben), unter dessen Herrschaft der menschliche Wille, nun nicht frei, noch sein eigener Herr, sondern der Knecht der Sünde und des Teufels, nur das wollen kann, was jener sein Fürst will. Der wird aber nicht zulassen, daß der Wille irgend etwas Gutes wolle; wiewohl, wenn auch der Teufel nicht über ihn herrschte, selbst die Sünde, deren Knecht der Mensch ist, ihm Last genug machen würde, daß er das Gute nicht wollen könnte.

Ferner dringt ihr der Zusammenhang der Rede, den die Diatribe tapfer verachtet, wiewohl ich denselben in meiner „Behauptung“ (Assertionibus) mit vielen Worten genugsam angezeigt hatte, ebendasselbe ab. Denn Christus fährt Joh. 15,6. so fort: „Wer nicht in mir bleibet, der wird weggeworfen, wie eine Rebe, und verdorret, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und muß brennen.“ Dies, sage ich, hat die Diatribe mit schönster Redekunst übergangen, und hoffte, daß die so ungelehrten Lutheraner dieses Uebergehen nicht gewahr werden würden. Du siehst aber, daß hier Christus selbst, als der Ausleger seines Gleichnisses von der Rebe und dem Weinstock, deutlich genug erklärt, was er unter dem Worte „nichts“ verstanden wissen wolle, nämlich, daß der Mensch, der außer Christo ist, weggeworfen wird und verdorrt. Was kann aber weggeworfen werden und verdorren anders bedeuten, als dem Teufel überliefert werden und in einem fort ärger werden? Aber ärger werden ist nicht etwas können oder nach etwas streben. Die verdorrende Rebe wird mehr und mehr für das Feuer bereit, je mehr sie verdorrt. Wenn Christus dieses Gleichniß nicht selbst so erweitert und angewandt hätte, so hätte niemand gewagt, es so zu erweitern und anzuwenden. Daher steht es fest, daß „nichts“ an dieser Stelle eigentlich genommen werden muß, wie es das Wesen des Wortes mit sich bringt.

Nun wollen wir auch die Beispiele besehen, durch welche sie beweist, daß „nichts“ irgendwo für ein Geringes genommen werde, damit wir auch in diesem Stücke beweisen, daß die Diatribe nichts sei und nichts ausrichte. Wenn sie hierin auch wirklich etwas darthäte, so würde sie doch nichts ausrichten, so gar ist die Diatribe in allen Dingen und auf jede Weise nichts.

„Insgemein (sagt sie) pflegt man von dem zu sagen, er thue nichts, der nicht überkommt, was er begehrt, und doch ist derjenige, der sich bemüht, häufig um ein Bedeutendes weiter gekommen.“

Ich antworte: Ich habe nie gehört, daß man insgemein so rede: Du erdichtest das so, nach der Freiheit, die du dir nimmst. Die Worte müssen angesehen werden (wie man sagt) nach der Sache, um die es sich handelt (secundum materiam subjectam) und nach der Absicht des Redenden. Nun nennt niemand das „nichts“, wonach sich jemand mit seinem Thun bestrebt. Wer von „nichts“ redet, der redet auch nicht von dem Bemühen, sondern von der Wirkung; denn die hat der im Auge, der da sagt: Jener thut nichts, oder er richtet nichts aus, das heißt, er hat es nicht erreicht, er hat es nicht erlangt. Sodann, wenn auch das Beispiel Geltung hätte, welches doch nichts werth ist, so würde es mehr für uns dienen. Denn dies ist es, was wir behaupten und darthun wollen, daß der freie Wille vieles thut, was doch vor Gotte nichts ist. Was kann es ihm nützen, daß er sich bemüht, wenn er nicht erlangt, was er erstrebt? Darum, wohin die Diatribe sich auch wenden mag, läuft sie an und widerlegt sich selbst, wie es denen zu geschehen pflegt, welche eine schlechte Sache führen.

So führt sie auch dieses Beispiel aus Paulus (1 Cor. 3,7.) übel an: „So ist nun weder, der da pflanzet, noch der da begießet, etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.“ „Das, woran wenig gelegen, und was an sich unnütz ist (sagt sie), das nennt er nichts.“

Wer? Du, o Diatribe, sagst, daß das Amt des Wortes an sich unnütz und von ganz geringer Bedeutung sei, während doch Paulus es überall mit so großen Lobeserhebungen preist und ganz besonders 2 Cor. 3,7., wo er es ein Amt des Lebens und der Klarheit nennt? Wiederum siehst du die Sache nicht an, um die es sich handelt, noch auch die Absicht des Redenden. Um das Gedeihen zu geben, dazu ist, der da pflanzt und der da begießt, nichts, aber zum Pflanzen und Begießen ist er etwas Bedeutendes, da Lehren und Ermahnen das höchste Werk des Geistes in der Kirche Gottes ist. Dies ist die Meinung des Paulus und die Worte bringen dies auch ganz offenbarlich mit sich. Doch zugegeben, es soll auch dieses ungeschickte Beispiel gelten, so wird dasselbe wiederum unserer Sache dienen. Denn damit gehen wir um, daß der freie Wille nichts sei, das heißt, unnütz, an sich, wie du es auslegst, vor Gotte, denn von dieser Art des Seins (essendi) reden wir, und wissen sehr wohl, daß ein gottloser Wille ein Etwas ist und nicht ein bloßes Nichts.

Desgleichen das Wort 1 Cor. 13,2.: „Wenn ich die Liebe nicht hätte, so wäre ich nichts.“ Warum sie dieses Beispiel anführt, sehe ich nicht ein, wenn sie nicht etwa mir eine große Zahl und Menge gesucht hat, oder der Meinung gewesen ist, es fehle uns an Waffen, mit denen ihr von uns der Garaus gemacht werden könnte. Denn wirklich und eigentlich ist der vor Gotte nichts, welcher ohne die Liebe ist. So lehren wir auch vom freien Willen. Deshalb steht auch dieses Beispiel für uns, wider die Diatribe, es sei denn, die Diatribe wüßte vielleicht noch nicht, um was wir kämpfen. Denn wir reden nicht von dem Sein des natürlichen Wesens, sondern von dem Sein der Gnade (wie man es nennt) (non de esse naturae, sed de esse gratiae). Wir wissen, daß der freie Wille im natürlichen Wesen etwas thue, als essen, trinken, zeugen, regieren, damit sie uns nicht mit jenem Wahnwitz, gleich als ob es ein scharfsinniges Fündlein wäre, verlache, „daß man ohne Christus nicht einmal sündigen könnte, wenn wir auf das Wort „nichts“ so stark dringen wollten, da doch Luther zugegeben habe, der freie Wille vermöge nichts, außer zum Sündigen“; solche überaus ungereimte Dinge in dieser ernsten Sache vorzubringen, hat der Diatribe beliebt. Denn wir sagen, daß der Mensch außer der Gnade Gottes nichtsdestoweniger unter der allgemeinen Allmacht Gottes bleibt, der alles thut, bewegt, treibt, mit nothwendigem und unfehlbarem Laufe, aber daß das, was der so getriebene Mensch thut, nichts ist, das heißt, vor Gott nichts taugt und für nichts Anderes anzusehen ist als für Sünde. So ist der, welcher ohne Liebe ist, „nichts“ in der Gnade. Warum lenkt also die Diatribe, wiewohl sie selbst bekennt, daß wir an dieser Stelle von den evangelischen Früchten handeln, welcher man ohne Christus nicht theilhaftig werden kann, hier alsbald ganz von der Sache ab, beginnt ein anderes Liedlein und macht spitzfindige Reden von natürlichen Werken und menschlichen Früchten? Doch wie könnte es anders sein, als daß der nirgends mit sich selbst übereinstimmt, welcher der Wahrheit beraubt ist!

So auch die Stelle Joh. 3,27.: „Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel.“

Johannes redet von dem Menschen, welcher allerdings schon etwas war, und sagt, daß er nichts nehmen kann, nämlich, nicht den Geist mit seinen Gaben; denn von diesem redete er, nicht von dem natürlichen Wesen. Er bedurfte auch nicht der Diatribe als Lehrerin, damit diese ihn belehren möchte, der Mensch habe bereits Augen, Nase, Ohren, Mund, Hände, Verstand, Willen, Vernunft und alles, was an einem Menschen ist, wenn die Diatribe nicht etwa glaubt, der Täufer sei so toll gewesen, daß er, da er den Menschen nannte, an den Urstoff (chaos) des Plato, oder an das Leere des Leucippus, oder an das Unbegrenzte (infinitum) des Aristoteles, oder an irgend ein anderes Nichts gedacht habe, welches durch eine Gabe vom Himmel erst zu einem Etwas würde: ja, das heißt Beispiele aus der Schrift anführen, wenn man in solcher Weise geflissentlich in einer so großen Sache sein Spiel treibt.

Wozu dient also diese große Menge (von Worten), daß sie uns lehrt, das Feuer, das Fliehen des Schädlichen, das Streben nach dem, was nützlich ist, und anderes komme vom Himmel, als ob irgend jemand dies nicht wüßte oder leugnete? Wir reden von der Gnade und, wie sie selbst gesagt hat, von Christo und den evangelischen Früchten; sie aber schwatzt derweile von dem natürlichen Wesen, verbringt die Zeit und zieht die Sache in die Länge, und macht dem unverständigen Leser einen Dunst vor. Inzwischen bringt sie aber nicht allein kein Beispiel vor, wo „nichts“ für ein Geringes genommen werde, wie sie sich vorgenommen hatte, sondern verräth auch deutlich, daß sie nichts davon versteht und sich nichts darum kümmert, was Christus oder die Gnade sei, oder wie die Gnade etwas Anderes sei als das natürliche Wesen, da doch auch die ungelehrtesten Sophisten dieses gewußt und durch überaus häufigen Gebrauch in ihren Schulen diesen Unterschied gang und gebe gemacht haben; und zugleich erkennt sie nicht, daß alle ihre Beispiele für uns und wider sie dienen. Denn das beweist das Wort des Täufers, daß der Mensch nichts nehmen kann, es werde ihm denn vom Himmel gegeben, damit der freie Wille nichts sei. So wird mein Achilles besiegt, indem ihm von der Diatribe die Waffen dargereicht werden, durch welche sie, die waffen- und wehrlos ist, abgethan wird. So werden mit Einem Wörtlein die Schriftstellen aufgelöst, mit welchen der beharrliche Behaupter, Luther, so stark ihr zusetzt.

Darnach führt sie viele Gleichnisse an, durch welche sie nichts ausrichtet, als daß sie nach ihrer Gewohnheit einen thörichten Leser zu fernliegenden Sachen ablenkt und unterdeß die Hauptsache ganz vergessen hat: daß Gott zwar das Schiff erhält, aber doch bringt es der Schiffmann in den Hafen, deshalb thut der Schiffmann etwas. Dieses Gleichniß schreibt beiden ein verschiedenes Werk zu, nämlich Gotte das des Erhaltens, dem Schiffmanne das des Lenkens. Demnach, wenn es etwas beweist, so beweist es dies, daß das ganze Werk des Erhaltens Gotte zukomme, dem Schiffmanne das ganze Werk des Leitens, und doch ist es ein schönes und passendes Gleichniß.

So fährt der Ackermann die Früchte ein, Gott hat sie gegeben. Hier sind wiederum verschiedene Werke Gotte und dem Menschen zugeschrieben, wenn sie nicht den Ackermann zugleich zum Schöpfer macht, der die Früchte gegeben habe. Aber wenn man auch zugibt, daß Gott und der Mensch dieselben Werke thaten, was würden diese Gleichnisse dann beweisen? Nichts Anderes, als daß die Creatur mitwirkte mit Gotte, der da wirkt. Aber disputiren wir denn jetzt etwa von der Mitwirkung und nicht vielmehr von der eigenen Kraft und Wirkung des freien Willens? Wohin flieht also jener Redekünstler, der von der Palme sprechen wollte und nun von nichts Anderem als von dem Kürbis redet? Man fing an ein Faß zu machen, warum ist jetzt ein Krug daraus geworden?

Auch wir wissen, daß Paulus Gottes Mitarbeiter ist in der Belehrung der Corinther (1. Ep. 3,9.), indem er äußerlich predigt, und Gott innerlich lehrt, auch in einem verschiedenen Werke. Gleicherweise wirkt er auch mit Gotte, wenn er im Geiste Gottes redet, und zwar in demselben Werke. Denn das behaupten und verfechten wir, daß Gott, wenn er ohne die Gnade des Geistes wirkt, alles in allen wirkt, auch in den Gottlosen, da er alles, was er allein geschaffen hat, auch allein bewegt, treibt und fortreißt durch die Bewegung seiner Allmacht, welche jene (geschaffenen Dinge) weder vermeiden noch ändern können, sondern ihr nothwendiger Weise folgen und gehorchen, ein jegliches nach der Art seiner Begabung (virtutis), die ihm von Gott gegeben ist, und so wirkt alles, auch das Gottlose, mit ihm. Ferner, wenn er durch den Geist der Gnade in denen wirkt, die er gerechtfertigt hat, das heißt, in seinem Reiche, treibt und bewegt er sie gleicherweise, und sie, wie sie eine neue Creatur sind, folgen und wirken mit, oder vielmehr, wie Paulus (Röm. 8,14.) sagt, sie werden getrieben. Aber hierfür war jetzt nicht der Ort; wir disputiren nicht darüber, was wir durch Wirkung Gottes vermögen, sondern was wir vermögen, nämlich, ob wir, die wir schon aus nichts geschaffen sind, uns zu etwas machen können, oder durch jene allgemeine Bewegung der Allmacht uns darum bemühen können, daß wir zu einer neuen Creatur des Geistes geboren werden; hier hätte die Diatribe Rede und Antwort stehen müssen, und nicht auf etwas Anderes ablenken. Denn hier antworten wir so: Gleichwie der Mensch, ehe er geschaffen wird, nichts thut, daß er ein Mensch werde, oder sich um etwas bemüht, wodurch er eine Creatur werde, so thut oder erstrebt er darnach als ein gewordener und geschaffener nichts, wodurch er eine Creatur bleibe, sondern beides geschieht allein durch den Willen der allmächtigen Kraft und Güte Gottes, der uns ohne uns schafft und erhält. Aber er wirkt in uns nicht ohne uns, da er uns dazu geschaffen und erhalten hat, damit er in uns wirken möchte und wir mit ihm wirken möchten, mag dies nun außerhalb seines Reiches geschehen durch die allgemeine Allmacht, oder innerhalb seines Reiches durch die sonderliche Kraft seines Geistes.

So sagen wir ferner: Der Mensch, ehe er zu einer neuen Creatur im Reiche des Geistes erneuert wird, thut nichts, bestrebt sich um nichts, wodurch er zu dieser Erneuerung und diesem Reiche geboren werde, dann auch, wenn er wiedergeboren ist, thut er nichts, bemüht sich um nichts, wodurch er in diesem Reiche beharren könnte, sondern beides thut allein der Geist in uns, der uns ohne uns wiedergebiert und uns als Wiedergeborene erhält, wie auch Jacobus (1,18.) sagt: „Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort seiner Wahrheit, auf daß wir wären Erstlinge seiner Creaturen“; er redet da von der erneuerten Creatur. Aber er wirkt nicht ohne uns, da er uns ja gerade dazu wiedergeboren hat und erhält, damit er in uns wirke, und wir mit ihm wirken. So predigt er durch uns, erbarmt sich der Armen, tröstet die Betrübten; aber was wird dadurch dem freien Willen zugeschrieben? Ja, was wird ihm übrig gelassen als nur „nichts“ und wahrlich „nichts“.

Lies daher hier die Diatribe durch fünf oder sechs Blätter, wo sie mit derartigen Gleichnissen, dann auch mit den schönsten Stellen und Parabeln, die aus dem Evangelium und Paulus angezogen sind, nichts Anderes thut, als daß sie uns belehrt, in der Schrift würden unzählige Stellen gefunden (wie sie sagt) die von der Mitwirkung und dem Beistand Gottes lehren. Wenn ich nun hieraus schließe: „Der Mensch vermag nichts ohne den Beistand der göttlichen Gnade, also ist kein Werk des Menschen gut“, so schließt sie dagegen mit rednerischer Wendung folgendermaßen: „Vielmehr, (sagt sie) der Mensch vermag alles mit dem Beistand der Gnade Gottes, also können alle Werke des Menschen gut sein. Demnach, so viele Stellen es in der heiligen Schrift gibt, welche des Beistandes gedenken, so viele Stellen gibt es auch, welche den freien Willen behaupten, aber die sind unzählig. Beurtheilt man also die Sache nach der Anzahl der Zeugnisse, so habe ich gewonnen.“

So jene. Glaubst du, die Diatribe sei ganz nüchtern oder bei gesundem Verstande gewesen, als sie dies schrieb? Denn ich möchte dies nicht ihrer Bosheit und Nichtswürdigkeit zuschreiben; vielleicht hat sie mich durch diese beständig bis zum Ueberdruß wiederholten Dinge (perpetuo taedio) halb zu Tode quälen wollen, indem sie, da sie sich überall gleich bleibt, immer andere Dinge behandelt, als die sie sich vorgesetzt hat. Aber wenn sie Gefallen daran gefunden hat, in einer so großen Sache ungereimt zu sein, so wollen auch wir Gefallen daran finden, ihre geflissentlichen Ungereimtheiten öffentlich durchzuziehen. Erstlich disputiren wir weder darüber, noch ist es uns unbekannt, daß alle Werke des Menschen gut sein können, wenn sie geschehen unter Beistand der göttlichen Gnade, dann auch, daß der Mensch alles vermag durch den Beistand der Gnade Gottes. Wir können uns aber über deine Nachlässigkeit nicht genug wundern, daß du, da du dir vorgesetzt hattest, über die Kraft des freien Willens zu schreiben, über die Kraft der Gnade Gottes schreibst, dann auch, als ob alle Menschen Klötze und Steine wären, öffentlich zu sagen wagst, der freie Wille werde durch Stellen der Schrift behauptet, welche den Beistand der Gnade Gottes preisen. Und nicht allein erdreistest du dich dessen, sondern singst auch ein Siegeslied als ein gar aufgeblasener Sieger und Triumphator. Jetzt aber weiß ich, gerade aus diesem deinem Sagen und Thun, was der freie Wille ist und vermag, nämlich, unsinnig zu sein. Ich bitte dich, was kann in dir sein, das in solcher Weise redet, wenn es nicht der freie Wille selbst ist?

Doch höre deine Folgerungen: Die Schrift preist die Gnade Gottes, also beweist sie den freien Willen; sie preist den Beistand der Gnade Gottes, also lehrt sie den freien Willen. Warum nicht das Gegentheil: Die Gnade wird gepriesen, also wird der freie Wille aufgehoben; der Beistand der Gnade wird gepriesen, also wird der freie Wille vernichtet? Denn wozu wird die Gnade verliehen? Etwa dazu, daß der Stolz des freien Willens, der durch sich selbst stark genug ist, mit der Gnade, gleichsam als mit einem überflüssigen Zierrathe, an Tagen ausgelassener Lust seinen Muthwillen und Spiel treibe? Deshalb werde auch ich deine Folgerung umkehren, wiewohl ich kein Redekünstler bin, doch mit einer zuverlässigeren Redekunst als du: So viele Stellen es in der heiligen Schrift gibt, die des Beistandes gedenken, so viele gibt es, die den freien Willen aufheben. Und die sind unzählig. Daher habe ich gewonnen, wenn die Sache nach der Anzahl der Zeugnisse abgeschätzt wird. Denn darum ist die Gnade nöthig, darum wird der Beistand der Gnade verliehen, weil der freie Wille aus sich selbst nichts vermag, und, wie sie selbst gesagt hat, nach jener annehmbaren Meinung, das Gute nicht wollen kann. Dadurch also, daß die Gnade gepriesen und der Beistand der Gnade gepredigt wird, wird zugleich das Unvermögen des freien Willens gepredigt. Dies ist ein gesunder Schluß und eine feststehende Folgerung, welche auch die Pforten der Hölle nicht umstoßen können.

Hier wollen wir aufhören, das unsere gegen die Widerlegungen der Diatribe zu vertheidigen, damit das Buch nicht übermäßig groß werde; das andere, was dessen etwa werth ist, wird bei der Behauptung des Unsrigen behandelt werden. Denn was Erasmus in seiner Schlußrede (Epilogo) wiederholt, wenn unsere Meinung feststände, so wären so viele Gebote, so viele Drohungen, so viele Verheißungen vergeblich, weder Verdiensten, noch Unverdiensten, noch Belohnungen, noch Strafen werde Raum gelassen; dann sei es auch schwierig, die Barmherzigkeit, ja, die Gerechtigkeit Gottes zu vertheidigen, wenn Gott die mit Notwendigkeit Sündigenden verdammte, und auch andere ungeschickte Dinge folgten daraus, woran sich die größten Männer so gestoßen hätten, daß sie auch darüber gestürzt wären. Ueber dies alles haben wir oben Rechenschaft gegeben. Wir dulden weder jene Mittelstellung noch nehmen wir sie an, die er uns aus guter Meinung, wie ich glaube, anräth, nämlich, daß wir dem freien Willen ein ganz Weniges zugestehen möchten, damit desto leichter die widerstreitenden Stellen der Schrift und die vorgenannten ungeschickten Dinge gehoben würden, denn durch diese Mittelstellung wird der Sache nichts geholfen, noch irgend etwas bewiesen. Denn wenn du dem freien Willen nicht das Ganze und alles zuschreiben willst, wie die Pelagianer thun, so bleibt nichtsdestoweniger der Widerstreit der Schrift, Verdienst und Belohnung wird aufgehoben, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes wird aufgehoben und alle verdrießlichen Dinge bleiben, die wir vermeiden wollen, indem wir ein ganz kleines und unwirksames Vermögen des freien Willens annehmen, wie wir hinlänglich gezeigt haben. Deshalb muß man zu dem Aeußersten schreiten, daß man den freien Willen ganz leugne und Gotte alles zuschreibe. So wird die Schrift nicht mit sich streiten und die unbequemen Dinge werden, wenn auch nicht aufgehoben, doch getragen werden können.

Das aber erbitte ich von dir, lieber Erasmus, du wollest nicht glauben, daß ich diese Sache mehr in blindem Eifer als mit rechter Ueberlegung führe. Ich leide es nicht, daß man mich einer solchen Heuchelei beschuldige, als hätte ich eine andere Meinung, als wie ich schriebe, und ich bin nicht erst durch die Hitze der Verteidigung (wie du über mich schreibst) dahin fortgerissen worden, daß ich erst jetzt den freien Willen ganz und gar aufhebe, während ich ihm vorher einiges Vermögen eingeräumt hätte. Dies wirst du mir auch nirgends in meinen Büchern nachweisen können, das weiß ich. Es sind meine Sätze (themata) und Thesen (problemata) noch vorhanden, in welchen ich beständig behauptet habe bis auf diese Stunde, der freie Wille sei nichts und eine Sache (dies Wort habe ich damals gebraucht) nur dem Namen nach. Durch die Wahrheit besiegt und durch den Streit herausgefordert und gezwungen, habe ich so gehalten und geschrieben. Daß ich aber gar heftig gehandelt habe, darin bekenne ich meine Schuld, wenn es eine Schuld ist, ja, ich freue mich von Herzen, daß mir in der Sache Gottes dieses Zeugniß in der Welt gegeben wird. Und wollte doch Gott, daß auch Gott selbst am jüngsten Tage ein solches Zeugniß bestätigte. Denn wer wäre dann seliger als Luther, der durch ein so gewaltiges Zeugniß seiner Zeitgenossen (sui seculi) gepriesen wird, daß er die Sache der Wahrheit nicht träge noch betrügerisch, sondern gar heftig, oder vielmehr allzu heftig getrieben habe? Dann werde ich seliglich dem Worte des Jeremias (48,10.) entgehen: „Verflucht sei, der des Herrn Werk lässig thut.“

Wenn es aber den Schein hat, als wäre ich zu scharf gegen deine Diatribe, so wirst du mir verzeihen, denn ich thue dies nicht aus böswilliger Gesinnung, sondern das hat mich bewegt, daß du durch dein Ansehen diese Sache Christi sehr in Nachtheil gebracht hast, wiewohl du durch Gelehrsamkeit und in der Sache selbst nichts leistetest. Denn wer kann auch überall seine Feder so im Zaume halten, daß sie nicht einmal warm werde? Wiewohl du aus Bestreben nach Zurückhaltung in diesem Buche fast kalt bist, so schleuderst du doch bisweilen feurige und bittere Pfeile, so daß du giftig zu sein scheinst, wenn der Leser nicht sehr geduldig und gütig ist. Doch das gehört nicht zur Sache. Dergleichen müssen wir uns gegenseitig gern zugute halten, da wir Menschen sind, und alles an uns menschlich ist.

Der dritte Theil, daß alles Gottes Gnade und nicht der freie Wille thue.

Nun kommen wir zum letzten Theile dieses Buches, in welchem wir, wie wir versprochen haben, unsere Truppen wider den freien Willen vorführen müssen. Aber wir können sie nicht alle anrücken lassen, denn wer könnte das in einem kleinen Büchlein ausrichten, da die ganze Schrift auf unserer Seite steht mit allen ihren einzelnen Tütteln und Buchstaben? Dies ist auch nicht nöthig, sowohl weil der freie Wille durch einen zwiefachen Sieg schon besiegt und darniedergelegt ist – der eine, da wir beweisen, daß alles das wider ihn stehe, von dem sie (die Diatribe) meinte, daß es für sie diene, der andere, da wir nachweisen, das bleibe noch unüberwunden, was sie widerlegen wollte –, als auch, weil schon genug ausgerichtet ist, wenngleich er noch nicht besiegt wäre, wenn er durch ein oder das andere Geschoß niedergelegt wird. Denn was ist es nöthig, den Feind, der durch irgend Ein Geschoß getödtet ist, nachdem er todt ist, noch mit vielen anderen Waffen zu durchbohren? Wir wollen daher, wenn es die Sache leidet, jetzt ganz kurz handeln und aus einer so großen Zahl der Heere zwei Feldherren mit einigen ihrer Heere herbringen, nämlich Paulus und den Evangelisten Johannes.

Paulus im Briefe an die Römer fängt seine Erörterung wider den freien Willen für die Gnade Gottes so an (Röm. 1,18.): „Denn Gottes Zorn vom Himmel (spricht er) wird geoffenbaret über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten.“ Du hörst hier einen allgemeinen Ausspruch über alle Menschen, daß sie unter dem Zorne Gottes seien; was ist das anders, als daß sie des Zornes und der Strafe werth sind? Er bezeichnet die Ursache des Zorns, daß sie nur solche Dinge thun, welche des Zorns und der Strafe werth sind, nämlich, daß alle gottlos und ungerecht sind und die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten. Wo ist jetzt die Kraft des freien Willens, welche sich um irgend etwas Gutes bemüht? Paulus zeigt an, es sei das des Zornes Gottes werth, und urtheilt, es sei gottlos und ungerecht. Was aber Zorn verdient und gottlos ist, das strebt an und vermag etwas wider die Gnade, aber nicht für die Gnade.

Hier wird die Schläfrigkeit Luthers verlacht werden, weil er den Paulus nicht ordentlich angesehen habe, und es möchte jemand sagen: Paulus rede da nicht von allen Menschen, auch nicht von allen ihren Bestrebungen, sondern nur von denen, die gottlos und ungerecht sind, und, wie die Worte lauten, von denen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten; daraus folge nicht, daß alle derartig seien. Hier sage ich: bei Paulus gilt es einerlei, ob es heißt: über alles gottlose Wesen der Menschen, oder ob es heißt: über das gottlose Wesen aller Menschen. Denn Paulus redet fast überall nach der Weise der hebräischen Sprache, so daß der Sinn ist: Alle Menschen sind gottlos und ungerecht und halten die Wahrheit in Ungerechtigkeit auf, deshalb sind alle des Zorns werth. Ferner, im Griechischen wird nicht (wie in der Vulgata) das bezügliche Fürwort „derjenigen (Menschen), welche (die Wahrheit)“ gesetzt, sondern der Artikel, auf diese Weise: Gottes Zorn wird geoffenbaret über das gottlose Wesen und die Ungerechtigkeit der Menschen, „der die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhaltenden“, so daß dieses gleichsam ein allen Menschen beigelegtes Wort (epitheton) ist, „daß sie die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten“, wie das ein Beiwort (epitheton) ist, wenn man sagt: unser Vater, „der du bist im Himmel“, was man sonst so ausdrücken würde: Unser „himmlischer“ Vater, oder „im Himmel“. Denn es wird gesagt zum Unterschied von denen, welche glauben und gottselig sind.

Doch es soll nichtig und eitel sein, wenn es die Erörterung des Paulus nicht selbst erzwingt und davon überführt. Denn Paulus hatte zuvor gesagt (V. 16.): „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die da selig macht, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen.“ Hier sind nicht dunkele oder zweideutige Worte; den Juden und den Griechen, das heißt, allen Menschen ist das Evangelium der Kraft Gottes nothwendig, damit sie glauben und errettet werden von dem geoffenbarten Zorn. Ich bitte dich, der, welcher die Juden, die an Gerechtigkeit, Gottes Gesetz und Vermögen des freien Willens stark wären, ohne Unterschied so darstellt, daß sie leer sind und der Kraft Gottes bedürfen, damit sie durch dieselbe von dem geoffenbarten Zorne errettet werden möchten, und diese Kraft für sie als eine nothwendige anzeigt, sollte der nicht dafür halten, daß sie unter dem Zorne seien? Was für Menschen würdest du dann aufzeigen können, die dem Zorne Gottes nicht unterworfen wären, da du gezwungen wirst zu glauben, daß die höchsten Leute der Welt, nämlich die Juden und die Griechen, von solcher Beschaffenheit seien? Ferner, welche, selbst unter den Juden und Griechen, wirst du ausnehmen können, da Paulus ohne irgend einen Unterschied alle mit Einem Worte zusammenfaßt und alle demselben Urtheil unterwirft? Ist es denn zu glauben, daß unter diesen beiden überaus trefflichen Völkern nicht Menschen gewesen seien, die sich der Ehrbarkeit beflissen hätten? oder sollten sich keine nach den Kräften des freien Willens bemüht haben? Aber Paulus kümmert sich nicht darum, sondern wirft alle unter den Zorn, ruft alle als Gottlose und Ungerechte aus. Muß man nicht glauben, daß so auch die übrigen Apostel mit gleicher Predigt auch alle anderen Heiden, ein jeglicher in seinem Bezirk, unter diesen Zorn geworfen haben?

Es steht daher diese Stelle Pauli ganz fest und dringt stark darauf, daß der freie Wille, oder das Vorzüglichste in den Menschen, sie seien auch noch so vortrefflich mit Gesetz, Gerechtigkeit, Weisheit und allen Tugenden begabt, gottlos, ungerecht und des Zornes Gottes werth sei. Sonst hätte die Erörterung Pauli keine Kraft; hat sie aber Kraft, so läßt seine Theilung keinen Mittelzustand zu, nach welcher er denen, welche dem Evangelio glauben, die Seligkeit, allen anderen den Zorn zutheilt, die Gläubigen als Gerechte, die nicht Glaubenden als Gottlose, Ungerechte und dem Zorn Unterworfene anzeigt. Denn er will soviel sagen: Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wird im Evangelio offenbart, daß sie aus dem Glauben sei, also sind alle Menschen gottlos und ungerecht. Denn Gott wäre thöricht, wenn er den Menschen eine Gerechtigkeit offenbaren würde, welche sie entweder schon kenneten oder deren Keime sie hätten. Da er aber nicht thöricht ist, und ihnen dennoch die Gerechtigkeit zur Seligkeit offenbart, so ist es am Tage, daß der freie Wille, auch in den höchsten Menschen, nicht allein nichts habe oder vermöge, sondern nicht einmal wisse, was Gerechtigkeit vor Gott sei; es wäre denn etwa, daß die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, jenen höchsten Menschen nicht offenbart werde, sondern allein den geringsten; während sich Paulus rühmt, daß er dieser (Gerechtigkeit) gegenüber ein Schuldner sei (Röm. 1,14.) der Juden und der Griechen, der Weisen und der Unweisen, der Gebildeten und der Ungebildeten. Deshalb faßt Paulus an dieser Stelle durchaus alle Menschen in Einen Haufen zusammen und beschließt, daß alle gottlos, ungerecht, und der Gerechtigkeit und des Glaubens unkundig sind; so viel fehlt daran, daß sie etwas Gutes wollen oder thun können. Und dieser Schluß ist darum fest, weil Gott ihnen, da sie in Unwissenheit und Finsterniß sitzen, die Gerechtigkeit zur Seligkeit offenbart; also wissen sie von sich selbst nichts darum. Aber diejenigen, welche die Gerechtigkeit zur Seligkeit nicht wissen, sind sicherlich unter dem Zorn und der Verdammniß, können sich auch, wegen ihrer Unwissenheit, nicht herauswirken, noch sich darum bemühen, daß sie herauskommen möchten. Denn wie könntest du dich bemühen, wenn du nicht weißt, um was, wo, wie oder inwiefern man sich bemühen soll?

Mit diesem Schluß kommt die Sache selbst und die Erfahrung überein. Denn zeige mir in dem ganzen Menschengeschlechte Einen, sei er auch der Heiligste und Gerechteste von allen, dem es jemals in den Sinn gekommen wäre, daß dies der Weg zur Gerechtigkeit und zur Seligkeit sei, nämlich, zu glauben an den, der zugleich Gott und Mensch ist, gestorben für die Sünden der Menschen und wieder auferweckt und gesetzt zur Rechten des Vaters, oder der sich hätte träumen lassen von diesem Zorne Gottes, von dem Paulus hier sagt, daß er vom Himmel offenbart werde. Siehe die höchsten Weltweisen an, welche über Gott eine Meinung abgegeben haben, was sie uns in ihren Schriften über den künftigen Zorn überliefert haben. Siehe die Juden an, die durch so viele Zeichen, durch so viele Propheten anhaltend unterrichtet worden sind, was sie von diesem Wege gehalten haben; sie haben ihn nicht allein nicht angenommen, sondern so gehaßt, daß keine Nation auf Erden Christum grausamer verfolgt hat bis auf den heutigen Tag. Aber wer würde es wagen zu sagen, daß in einem so großen Volke auch nicht ein Einziger gewesen sei, der den freien Willen hochgehalten und sich in Kraft desselben bemüht habe? Wie kommt es daher, daß alle sich nach verschiedenen Richtungen hin bemühen und das, was das Vorzüglichste in den vortrefflichsten Menschen gewesen ist, diese Weise der Gerechtigkeit nicht allein nicht hochgehalten hat, nicht allein nicht gekannt hat, sondern dieselbe auch, nachdem sie kundgethan und offenbart worden war, zurückstieß und sie hat austilgen wollen? so daß Paulus 1 Cor. 1,23. sagt, dieser Weg sei den Juden ein Aergerniß und den Heiden eine Thorheit.

Da er aber Juden und Heiden ohne Unterschied nennt, und es gewiß ist, daß Juden und Heiden die hauptsächlichsten Völker auf Erden sind, so ist es zugleich gewiß, daß der freie Wille nichts Anderes ist, als der höchste Feind der Gerechtigkeit und der Seligkeit der Menschen, da es unmöglich war, daß nicht einige unter den Juden und Heiden mit der höchsten Kraft des freien Willens sollten gehandelt und sich bemüht haben, und doch gerade dadurch nur Krieg gegen die Gnade geführt haben. Du gehe jetzt nur hin und sage, daß der freie Wille sich des Guten bestrebe, da ihm doch das Gute (bonitas = die Güte) selbst und die Gerechtigkeit ein Aergerniß und eine Thorheit sind. Du kannst auch nicht sagen, daß dies nur einige, nicht alle angehe. Paulus redet ohne Unterschied von allen, da er sagt: den Heiden eine Thorheit und den Juden ein Aergerniß, und nimmt niemanden aus, ausgenommen die Gläubigen. Uns (sagt er), das ist, den Berufenen und Heiligen, ist es (1 Cor. 1,18.) eine Gotteskraft und Weisheit Gottes. Er sagt nicht: etlichen Heiden, etlichen Juden, sondern einfach, Juden und Heiden (sagt er), welche nicht von uns sind, indem er mit deutlicher Theilung die Gläubigen von den Ungläubigen scheidet und kein Mittleres übrig läßt. Wir aber disputiren von den Heiden, die ohne die Gnade handeln; denen, sagt Paulus, sei die Gerechtigkeit Gottes eine Thorheit, welche sie verabscheuen; und das ist das lobenswerthe Bemühen des freien Willens um das Gute.

Ferner siehe, ob er nicht selbst die höchsten Leute unter den Griechen anführt, da er sagt (Röm. 1,21.), sie seien albern geworden und das Herz derer verfinstert, welche die Weiseren unter ihnen waren; desgleichen sie seien eitel (das ist, thöricht) geworden in ihren schärfsten Gedanken (dialogismois), das heißt, in ihren spitzfindigen Disputationen.

Ich bitte dich, rührt er denn hier nicht jenes Höchste und das Vorzüglichste der gebildeten (Graecis) Leute an, indem er ihre schärfsten Ueberlegungen anrührt? Denn diese sind ihre höchsten und besten Gedanken und Meinungen gewesen, welche sie für rechte beständige Weisheit gehalten haben. Aber wie er anderswo diese Weisheit eine Thorheit nennt, so sagt er hier, sie sei eitel in ihnen, und durch das Bemühen um vielerlei Dinge dahin gekommen, daß sie ärger wurde, und sie endlich in verfinstertem Herzen Götzenbilder anbeteten (Röm. 1,23.), und die Greuel begingen, welche er im Folgenden (V. 24.) erwähnt. Wenn also das beste Bestreben und Werk bei den Besten unter den Heiden böse und gottlos ist, was willst du dann von dem übrigen großen Haufen, gleichsam den ärgeren Heiden halten? Denn er macht auch hier nicht einen Unterschied unter den Besten, da er ohne Ansehen der Person das Bestreben ihrer Weisheit verdammt. Indem aber das Werk selbst, oder gar das Bestreben verdammt wird, so werden auch diejenigen verdammt, so viel ihrer auch sein mögen, welche sich bestrebt haben, wenngleich sie aus höchster Kraft des freien Willens gehandelt haben. Selbst von ihrem besten Bemühen, sage ich, wird behauptet, daß es sündhaft sei; wie viel mehr von denen, welche das auch ins Werk setzen.

So verwirft er auch bald darauf (Röm. 2,28.29,) die Juden, ohne irgend einen Unterschied, welche dem Buchstaben, aber nicht dem Geiste nach Juden sind. Du (sagt er), der du unter dem Buchstaben und der Beschneidung bist, schändest Gott (V. 27.23.); desgleichen (V. 28.29.): Denn nicht der ist ein Jude, welcher auswendig ein Jude ist, sondern, welcher verborgen ein Jude ist.

Was ist deutlicher als diese Theilung? Ein Jude, der es auswendig ist, ist ein Uebertreter des Gesetzes. Aber wie viele Juden, meinst du, sind wohl ohne den Glauben überaus weise, gewissenhafte, ehrbare Leute gewesen, welche mit höchstem Bemühen nach Gerechtigkeit und Wahrheit gestrebt haben? Wie er ihnen oft das Zeugnis gibt, daß sie um Gott eifern (Röm. 10,2. 9,31.), daß sie dem Gesetz der Gerechtigkeit nachstehen, daß sie Tag und Nacht sich bemühen selig zu werden, daß sie ohne Tadel leben; und doch sind sie Uebertreter des Gesetzes, weil sie nicht im Geiste Juden sind, vielmehr hartnäckig der Gerechtigkeit des Glaubens widerstehen. Was bleibt daher übrig, als daß der freie Wille, wenn er am besten ist, am ärgsten ist, und je mehr er sich bemüht, um so ärger wird und sich (desto schlimmer) verhält? Die Worte sind klar, die Theilung ist gewiß; es kann nichts dawider gesagt werden.

Aber wir wollen Paulus selbst als seinen eigenen Ausleger hören. Im dritten Capitel macht er gleichsam den Schluß (epilogum) und spricht (V. 9.): „Was sagen wir denn nun? Haben wir einen Vortheil? Gar keinen.“ Denn wir haben droben bewiesen, daß beide, Juden und Griechen, alle unter der Sünde sind. Wo ist nun der freie Wille? Alle (sagt er), Juden und Griechen sind unter der Sünde. Sind etwa hier bildliche Reden oder Knoten? Was kann die Auslegung der ganzen Welt gegen diesen überaus klaren Ausspruch vermögen? Er nimmt niemanden aus, da er sagt „alle“, er läßt nichts Gutes übrig, da er erklärt, sie seien unter der Sünde, das heißt, Knechte der Sünde. Wo hat er aber diese Ursache angegeben, daß alle, Juden und Heiden unter der Sünde seien? Nirgends als da, wo wir es angezeigt haben, nämlich da er sagt (Röm. 1,18.): „Gottes Zorn vom Himmel wird geoffenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen.“ Und das beweist er folgends durch die Erfahrung, daß sie als Undankbare gegen Gott so vielen Lastern unterworfen waren, gleichsam durch die Früchte ihrer Gottlosigkeit überführt, daß sie nichts als Böses wollen und thun. Dann richtet er die Juden besonders, da er sagt, daß der Jude unter dem Buchstaben ein Uebertreter sei, und dies gleicherweise durch die Früchte und Erfahrung beweist, indem er sagt (Röm. 2,21.f.): „Du predigest, man solle nicht stehlen, und du stiehlst, dir greuelt vor den Götzen und raubst Gott, was sein ist“; durchaus niemanden nimmt er aus, außer die da Juden sind im Geiste. Und hier ist keine Gelegenheit, daß du eine Ausflucht machen und sagen könntest: Wiewohl sie unter der Sünde sind, so hat doch das Beste in ihnen das Bestreben nach dem Guten. Denn wenn ein gutes Bestreben übrig ist, so ist es falsch, daß er sagt, sie seien unter der Sünde. Denn da er Juden und Heiden nennt, so begreift er hier zugleich alles mit ein, was in den Heiden und Juden ist, wenn du nicht Paulum umkehren willst und sagen, er habe so geschrieben: Das Fleisch aller Juden und Heiden (das heißt), ihre gröberen Neigungen seien unter der Sünde; aber der Zorn vom Himmel, der über sie offenbart ist, wird sie ganz verdammen, wenn sie nicht durch den Geist gerechtfertigt werden, was nicht geschehen würde, wenn sie nicht ganz unter der Sünde wären. Wir wollen aber sehen, wie Paulus seine Meinung aus der heiligen Schrift beweist, ob vielleicht die Worte bei Paulus stärkere Beweiskraft haben als an ihrer ursprünglichen Stelle. (Röm. 3,10-12.:) „Wie denn geschrieben steht“ (sagt er Ps. 14, 3.): „Da ist nicht, der gerecht sei, auch nicht Einer; da ist nicht, der verständig sei, da ist nicht, der nach Gott frage; sie sind alle abgewichen und allesammt untüchtig geworden; da ist nicht, der Gutes thue, auch nicht Einer“ etc.

Hier möge mir eine geschickte Auslegung geben, wer da kann; es erdichte bildliche Reden, gebe vor, die Worte seien zweifelhaft und dunkel, und vertheidige den freien Willen wider diese Verdammungsurtheile, wer es wagt. Dann will auch ich gern weichen und widerrufen und will dann ebenfalls ein Bekenner und Behaupter des freien Willens sein. Es ist gewiß, daß dies in Bezug auf alle Menschen gesagt wird. Denn der Prophet führt Gott ein, wie er auf alle Menschen schaut und über alle dieses Urtheil fällt. Denn so heißt es Ps. 14,2.: „Der Herr schauet vom Himmel auf der Menschen Kinder, daß er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage; aber sie sind alle abgewichen“ etc. Und damit die Juden nicht glauben möchten, das gehe sie nicht an, so kommt Paulus dem zuvor, indem er behauptet, das gehe sie am meisten an.

„Wir wissen“ (sagt er (Röm. 3,19.)), „daß, was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die unter dem Gesetze sind.“ Hier hat er dasselbe ausdrücken wollen, als da er sprach (Röm. 2,9.): „Der Juden vornehmlich und auch der Griechen.“

Du hörst also, daß alle Menschenkinder, alle, welche unter dem Gesetze sind, das heißt, sowohl Heiden als auch Juden, vor Gotte ein solches Urtheil empfangen, daß sie ungerecht sind, nicht klug sind, nach Gott nicht fragen, auch nicht Einer, sondern alle abweichen und untüchtig sind. Ich glaube aber, daß unter die Menschenkinder und die, welche unter dem Gesetze sind, auch die gezählt werden, welche die Besten und Ehrbarsten sind, welche durch die Kraft des freien Willens sich bemühen um das Rechtschaffene und um das Gute, und von denen die Diatribe rühmt, daß sie die Gesinnung und die Keime der Ehrbarkeit, als ihnen eingepflanzt, besitzen; wenn sie nicht vielleicht behaupten will, daß jene der Engel Kinder seien. Wie können sich also diejenigen um das Gute bemühen, welche alle insgesammt Gott nicht kennen, noch sich um Gott kümmern oder nach ihm fragen? Wie können sie die Kraft haben, welche tüchtig ist zum Guten, da sie alle abweichen vom Guten und ganz und gar untüchtig sind? Oder wissen wir denn nicht, was es bedeutet, Gott nicht kennen, nicht klug sein, nicht nach Gott fragen, Gott nicht fürchten, abweichen und untüchtig sein? Sind dies denn nicht überaus klare Worte und lehren dies, daß alle Menschen sowohl Gott nicht kennen als auch Gott verachten, dann auch abweichen zum Bösen und untüchtig sind zum Guten? Denn hier handelt es sich nicht um die Unwissenheit in der Erwerbung des Lebensunterhaltes oder um die Verachtung des Geldes, sondern um die Unwissenheit und Verachtung der Religion und der Gottseligkeit. Aber solche Unwissenheit und Verachtung findet sich ohne Zweifel nicht in dem Fleische und den niedrigeren und gröberen Neigungen, sondern in jenen höchsten und vorzüglichsten Kräften der Menschen, in welchen Gerechtigkeit, Gottseligkeit, Erkenntniß und Verehrung Gottes herrschen soll, nämlich in der Vernunft und im Willen, und sogar in der Kraft des freien Willens selbst, in dem Keim der Ehrbarkeit selbst, oder in dem Vorzüglichsten, was im Menschen ist.

Wo bist du jetzt, meine Diatribe, da du oben versprachst, du werdest gern zustimmen, daß das Vortrefflichste im Menschen Fleisch sei, das heißt, gottlos, wenn dies mit Schrift bewiesen würde? Stimme also nun bei, da du hörst, daß das Vorzüglichste in allen Menschen nicht allein gottlos sei, sondern Gott nicht kenne, Gott verachte, zum Bösen gekehrt und untüchtig zum Guten sei. Denn was ist ungerecht sein anders, als daß der Wille (welcher eins der vorzüglichsten Dinge ist) ungerecht ist? Was ist Gott und das Gute nicht kennen anders, als daß die Vernunft (welche ein anderes dieser vorzüglichsten Dinge ist) Gott und das Gute nicht kennt, das heißt, blind ist in der Erkenntniß der Gottseligkeit? Was heißt abweichen und untüchtig sein anders, als daß die Menschen nach keinem ihrer Theile, besonders aber nach ihren vortrefflichsten Stücken ganz und gar nichts vermögen zum Guten, sondern nur zum Bösen? Was heißt Gott nicht fürchten anders, als daß die Menschen nach allen ihren Theilen, besonders nach jenen vorzüglichsten, Verächter Gottes sind? Aber Verächter Gottes sein, das heißt zugleich, Verächter aller Dinge sein, die Gottes sind, nämlich der Worte, der Werke, der Gesetze, der Gebote, des Willens Gottes. Was sollte nun die Vernunft Richtiges vorschreiben, welche blind und unwissend ist? Was für Gutes sollte der Wille erwählen, welcher böse und untüchtig ist? Ja, wem sollte der Wille folgen, dem die Vernunft nichts vorschreibt als die Finsterniß ihrer Blindheit und Unwissenheit? Weil daher die Vernunft in Irrthum befangen ist, und der Wille (von Gott) abgewendet, was für Gutes kann der Mensch da noch thun oder sich darum bemühen?

Aber es möchte sich vielleicht jemand erdreisten, Spitzfindigkeiten zu erheben: Wenngleich der Wille abweicht, und die Vernunft unwissend ist, so kann dennoch der Wille durch sein Thun sich um etwas bemühen, und die Vernunft etwas wissen aus ihren Kräften, da wir vieles vermögen, was wir doch nicht thun; nämlich, wir disputiren von der Kraft des Vermögens, nicht vom Thun.

Ich antworte: Die Worte des Propheten schließen sowohl das Thun als auch das Vermögen ein; und es ist dasselbe, wenn man sagt: Der Mensch fragt nicht nach Gotte, als wenn man sagte: Der Mensch kann nicht nach Gott fragen. Das kannst du daraus abnehmen, daß, wenn in dem Menschen das Vermögen oder die Kraft wäre, das Gute zu wollen, da es ihm von dem Triebe der göttlichen Allmacht nicht zugelassen wird, müßig zu sein oder stille zu liegen (feriari), wie wir oben dargelegt haben, es unmöglich wäre, daß dies (Vermögen und Kraft zum Guten) sich nicht in irgend etwas, oder wenigstens in irgend Einem Menschen regen, und irgend wie in Brauch und Uebung kommen sollte. Aber dies geschieht nicht, denn Gott schauet vom Himmel und sieht auch nicht Einen, der (nach ihm) frage oder sich bemühe; deshalb folgt, daß diese Kraft, welche sich bemüht oder nach ihm fragen will, nirgends ist, sondern vielmehr alle abweichen. Ferner, wenn Paulus nicht zugleich vom Unvermögen verstanden würde, so würde seine Erörterung nichts ausrichten. Denn darauf geht die Absicht Pauli ganz und gar, allen Menschen die Gnade nothwendig zu machen. Wenn sie aber durch sich selbst irgend etwas anfangen könnten, so wäre ihnen die Gnade nicht nöthig. So siehst du, daß der freie Wille an dieser Stelle von Grund aus aufgehoben wird, und daß ihm auch nicht irgend etwas Gutes oder Ehrbares übrig gelassen wird, da über ihn die Erklärung abgegeben wird, er sei ungerecht, kenne Gott nicht, verachte Gott, sei abgekehrt (von Gotte) und untüchtig vor Gott, und der Prophet beweist stark genug, sowohl an der ursprünglichen Stelle, als auch bei Paulus, der ihn anführt.

Und es ist nicht eine geringe Sache, wenn von dem Menschen gesagt wird, er kenne Gott nicht und verachte Gott, denn dies sind die Quellen aller Schandthaten, der Pfuhl der Sünden, ja, die Hölle des Bösen. Was für Böses sollte da nicht sein, wo Unwissenheit und Verachtung Gottes ist? Kurz, das Reich des Teufels in den Menschen hätte weder mit kürzeren noch auch mit gewaltigeren Worten beschrieben werden können, als daß er sie solche Leute nennt, welche Gott nicht kennen und Gott verachten. Da ist Unglaube, da ist Ungehorsam, da ist Gotte nehmen, was sein ist, da ist Lästerung gegen Gott, da ist Grausamkeit, da ist Unbarmherzigkeit gegen den Nächsten, da ist Selbstsucht in allen göttlichen und menschlichen Dingen. Da hast du den Ruhm und das Vermögen des freien Willens.

Es führt aber Paulus fort und bezeugt, daß er von allen Menschen und besonders von den besten und vortrefflichsten rede, indem er sagt (Röm. 3,19.f.): „Auf daß aller Mund verstopfet werde, und alle Welt Gott schuldig sei, darum, daß kein Fleisch durch des Gesetzes Werke vor ihm gerecht sein mag.“

Ich bitte dich, wie sollte der Mund aller verstopft werden, wenn noch eine Kraft übrig ist, durch welche wir etwas vermögen? Denn man dürfte zu Gott sagen: Hier ist nicht durchaus nichts, sondern etwas, was du nicht verdammen kannst, da du ja selbst einiges Vermögen gegeben hast; dies wenigstens wird nicht schweigen, noch wird es straffällig vor dir sein. Denn wenn jene Kraft des freien Willens eine gesunde ist und etwas vermag, so ist es falsch, daß die ganze Welt vor Gott straffällig oder schuldig ist, da jene Kraft, der der Mund nicht verstopft zu werden braucht, nicht eine kleine Sache oder in einem kleinen Theile der Welt ist, sondern die vorzüglichste und die allgemeinste in der ganzen Welt; oder wenn ihr Mund gestopft werden muß, so ist es nothwendig, daß sie mit der ganzen Welt vor Gott straffällig und schuldig sei. Mit welchem Rechte kann aber etwas schuldig genannt werden, wenn es nicht ungerecht und gottlos ist, das heißt, der Strafe und der Rache werth ist?

Ich möchte sehen, Lieber, durch was für eine Auslegung jene Kraft des Menschen von der Schuld freigesprochen werden könne, in welche die ganze Welt gegen Gott verstrickt ist, oder durch welche Kunstgriffe sie ausgenommen werden könne, daß sie in der ganzen Welt nicht mit einbegriffen sein sollte. Großartige Donnerschläge und durchdringende Blitze und wahrlich der Hammer, der Felsen zerschmeißt (wie Jeremias (23,29.) sagt), sind diese Worte Pauli (Röm. 3,12.19.10.): „Sie sind alle abgewichen“; „alle Welt ist schuldig“; „es ist keiner, der gerecht sei“, (Donnerschläge) durch welche alles zerschmettert wird, was es nur gibt, nicht allein an Einem Menschen, oder an einigen, oder an irgend einem Theile von ihnen, sondern auch in der ganzen Welt, an allen, durchaus ohne irgend eine Ausnahme, so daß die ganze Welt bei diesen Worten zittern, sich entsetzen und fliehen sollte. Denn was könnte Gewaltigeres und Stärkeres gesagt werden, als: Die ganze Welt ist schuldig, alle Menschenkinder sind abgewichen und untüchtig, keiner fürchtet Gott, keiner ist, der nicht ungerecht sei, keiner ist, der verständig sei, keiner fragt nach Gott. Nichtsdestoweniger war und ist die Härte und unvernünftige (insensata) Hartnäckigkeit unseres Herzens so groß, daß wir diese Donnerschläge und Blitze weder hörten noch fühlten, und den freien Willen und seine Kräfte unterdessen zugleich gegen dies alles erhoben und aufrichteten, so daß wir in Wahrheit das Wort Mal. 1,4. erfüllt haben: „Jene bauen, ich will abbrechen.“

Ebenso gewaltige Rede führt der Apostel an dieser Stelle (Röm. 3,20.): „Kein Fleisch wird durch des Gesetzes Werke vor ihm gerecht.“ Ein gewaltiges Wort ist „durch des Gesetzes Werke“, gleichwie auch jenes „die ganze Welt“, oder jenes „alle Menschenkinder“. Denn es muß beachtet werden, daß Paulus keine Personen einführt und nur ihrer Bestrebungen gedenkt, nämlich, damit er alle Personen einschließe und alles, was das Vorzüglichste an ihnen ist. Denn wenn er gesagt hätte, das geringe Volk unter den Juden, oder die Pharisäer, oder einige Gottlose werden nicht gerechtfertigt, so hätte es scheinen können, als ob er etliche übrig gelassen hätte, welche vermöge der Kraft des freien Willens und vermöge des Beistandes des Gesetzes nicht ganz und gar untüchtig wären. Aber da er selbst die Werke des Gesetzes verdammt und sie zu gottlosen macht vor Gotte, so wird offenbar, daß er alle verdammt, welche sich des Gesetzes und der Werke überaus sehr befleißigt haben. Es richteten aber nur die Besten und Vortrefflichsten ihr Bestreben auf das Gesetz und die Werke, und zwar nur mit ihren besten und vorzüglichsten Gaben (partibus), nämlich, mit ihrer Vernunft und ihrem Willen.

Wenn nun also diejenigen, welche mit dem höchsten Eifer und Bemühen, sowohl der Vernunft als auch des Willens, das heißt, mit der ganzen Kraft des freien Willens sich übten im Gesetz und den Werken, dann auch durch das Gesetz selbst als mit göttlicher Hülfe unterstützt, unterrichtet und gereizt wurden, wenn, sage ich, diese wegen Gottlosigkeit verdammt werden, so daß sie nicht gerechtfertigt werden, sondern von ihnen erklärt wird, daß sie Fleisch seien vor Gotte, was bleibt dann in dem ganzen Menschengeschlechte noch übrig, das nicht Fleisch und gottlos wäre? Denn alle werden gleicherweise verdammt, welche mit des Gesetzes Werken umgehen, mögen sie sich nun mit dem größten, oder mit mittelmäßigem, oder mit keinem Eifer in dem Gesetze geübt haben, daran liegt nichts. Alle konnten nichts als Werke des Gesetzes leisten, Werke des Gesetzes rechtfertigen aber nicht; wenn sie nicht rechtfertigen, so beschuldigen sie diejenigen, welche sie thun, als gottlos und lassen sie so. Gottlose aber sind schuldig und des Zornes Gottes werth. Dies ist so klar, daß niemand dagegen auch nur mucken kann.

Aber sie pflegen dem Paulus hier so zu entschlüpfen und zu entgehen, daß sie die Werke des Gesetzes Werke des äußerlichen Gottesdienstes nennen (ceremonialia), welche nach dem Tode Christi todbringend sein sollen.

Ich antworte: Dies ist der Irrthum und der Unverstand des Hieronymus, dem freilich Augustin kräftig widerstanden hat, doch, da Gott seine Hand abzog und der Teufel die Oberhand behielt, ist er in die ganze Welt ausgegangen und bis auf den heutigen Tag geblieben. Daher ist es auch gekommen, daß es unmöglich war, den Paulus zu verstehen, und die Erkenntniß Christi verdunkelt werden mußte. Und wenn außerdem kein Irrthum in der Kirche gewesen wäre, so wäre dieser Eine verderblich und kräftig genug gewesen, um das Evangelium zu unterdrücken. Durch diesen Irrthum hat Hieronymus, wenn nicht Gottes sonderliche Gnade dazwischen getreten ist, vielmehr die Hölle als den Himmel verdient, so ferne liegt es, daß ich wagen möchte, ihn für einen Heiligen zu erklären oder zu sagen, daß er ein Heiliger sei. Deshalb ist es nicht wahr, daß Paulus nur von Werken des äußerlichen Gottesdienstes rede; wie sollte sonst seine Erörterung Bestand haben, durch welche er schließt, daß alle ungerecht seien und der Gnade bedürfen? Denn es möchte jemand sagen: Zugegeben, aus Werken des äußerlichen Gottesdienstes werden wir nicht gerechtfertigt, aber es könnte jemand aus den Werken der heiligen zehn Gebote, die das sittliche Leben betreffen, (ex moralibus) gerechtfertigt werden? Deshalb hast du durch deine Schlußrede (syllogismo) nicht bewiesen, daß für diese (Werke der heiligen zehn Gebote) die Gnade nothwendig sei. Was wäre (in diesem Fall) jene Gnade nütze, welche uns nur von Werken des äußerlichen Gottesdienstes befreite, die die leichtesten von allen sind und schon durch Furcht oder Selbstsucht erpreßt werden können?

Nun ist auch jenes irrig, daß die Werke des äußerlichen Gottesdienstes todbringend und unerlaubt seien nach dem Tode Christi. Dies hat Paulus niemals gesagt, sondern er sagt, daß sie nicht rechtfertigen und dem Menschen vor Gotte nichts nütze sind, daß er dadurch von Gottlosigkeit frei werde. Hiermit kann das gar wohl bestehen, daß jemand sie thun möge und doch nichts Unerlaubtes thut, wie essen und trinken Werke sind, welche nicht rechtfertigen und uns vor Gott nicht angenehm machen, aber darum thut der nichts Unerlaubtes, welcher ißt und trinkt.

Sie irren auch darin, (daß sie nicht erkennen) daß die Werke des äußerlichen Gottesdienstes im alten Gesetze gleicherweise geboten und gefordert worden sind wie die heiligen zehn Gebote, und daß diese deshalb weder weniger noch mehr galten als jene. Zu den Juden aber redet Paulus vornehmlich, wie er Röm. 2,9. sagt. Deshalb soll niemand daran zweifeln, daß unter den Werken des Gesetzes alle Werke des ganzen Gesetzes verstanden werden. Denn sie können nicht einmal Werke des Gesetzes genannt werden, wenn das Gesetz abgeschafft und todbringend ist, denn ein abgeschafftes Gesetz ist schon nicht mehr ein Gesetz. Dies wußte Paulus sehr wohl, deshalb redet er nicht von dem abgeschafften Gesetze, wenn er die Werke des Gesetzes erwähnt, sondern von einem gültigen und herrschenden Gesetze. Wie leicht hätte er sonst sagen können: Das Gesetz selbst ist schon abgethan! Das wäre dann deutlich und klar geredet gewesen. Aber wir wollen Paulus selbst anführen, der sich selbst am besten auslegt, da er Gal. 3,10. sagt: „Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch. Denn es stehet geschrieben: Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alle dem, das geschrieben stehet in dem Buch des Gesetzes, daß er es thue.“ Du siehst hier, daß Paulus, wo er dieselbe Sache wie (im Briefe) an die Römer und mit denselben Worten handelt, so oft er der Werke des Gesetzes gedenkt, von allen Gesetzen redet, die im Buche des Gesetzes geschrieben sind. Und was noch wunderbarer ist, er selbst führt Moses an, welcher die verflucht, welche nicht im Gesetze bleiben, während er doch predigt, daß die verflucht seien, welche mit des Gesetzes Werken umgehen, indem er eine entgegengesetzte Stelle für eine gegentheilige Meinung anführt, da nämlich jene (Stelle) verneinend, diese bejahend ist. Aber dies thut er, weil sich die Sache vor Gotte so verhält, daß die, welche sich am meisten der Werke des Gesetzes befleißigen, das Gesetz am wenigsten erfüllen, deshalb, weil sie den Geist nicht haben, der der Erfüller des Gesetzes ist. Sie können sich zwar mit ihren Kräften an das Gesetz machen, können aber nichts ausrichten. So ist beides wahr, daß, nach Moses, die verflucht sind, welche nicht bleiben, und, nach Paulus, die verflucht sind, welche mit des Gesetzes Werken umgehen. Denn beide fordern den Geist, ohne welchen die Werke des Gesetzes, wie viele derselben auch geschehen, nicht rechtfertigen, wie Paulus sagt; deshalb bleiben sie nicht in allem, was geschrieben stehet, wie Moses sagt.

In Summa, Paulus bestätigt durch seine Theilung sattsam, was wir sagen, denn er scheidet die Menschen, die am Gesetz sich mühen, in zwei Theile; von etlichen sagt er, daß sie im Geiste wirken, von anderen, daß sie nach dem Fleische Werke thun, und läßt keine Mittelstellung übrig. Denn er sagt so (Röm. 3,20.): „Kein Fleisch mag durch des Gesetzes Werke gerecht werden.“ Was heißt das anders, als daß jene ohne den Geist im Gesetze sich mühen, da sie Fleisch sind, das heißt, gottlos und Gott nicht kennen, so daß ihnen diese Werke nichts nützen. So wendet er Gal. 3,2. (dieselbe Theilung) an und spricht: „Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke, oder durch die Predigt vom Glauben?“ Und wiederum (Röm. 3,21.): „Nun ist ohne Zuthun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbart“; und noch einmal (Röm. 3,28.): „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Durch dies alles wird deutlich und klar, daß bei Paulus der Geist den Werken des Gesetzes gegenübergestellt wird, nicht anders als allen anderen nicht geistlichen Dingen und allen Kräften und Beziehungen (nominibus) des Fleisches, so daß es gewiß ist, die Meinung des Paulus sei dieselbe, welche Christus Joh. 3,6. ausspricht, daß alles, was nicht aus dem Geist geboren ist, Fleisch ist, es möge auch noch so ansehnlich, heilig, vortrefflich sein, ja, sogar selbst die allerschönsten Werke des göttlichen Gesetzes, sie mögen mit noch so großen Kräften gethan sein. Denn Christi Geist ist vonnöthen, ohne welchen alles nichts ist, und nur verdammlich. Deshalb soll man gewiß dafür halten, daß Paulus unter Werken des Gesetzes nicht die des äußerlichen Gottesdienstes, sondern alle Werke des ganzen Gesetzes verstehe. Zugleich wird auch das feststehen, daß an den Werken des Gesetzes alles verdammt wird, was ohne den Geist ist. Aber ohne den Geist ist jene Kraft des freien Willens, denn von dieser disputiren wir, das Vortrefflichste, nämlich, im Menschen. Denn „mit des Gesetzes Werken umgehen“ ist das Herrlichste, was von einem Menschen gesagt werden kann; denn er sagt nicht, welche mit Sünden und Gottlosigkeit wider das Gesetz umgehen, sondern, welche mit des Gesetzes Werken umgehen, das heißt, die Besten und die sich des Gesetzes befleißigen, das heißt, die über den freien Willen noch den Beistand des Gesetzes haben, das heißt, die darin unterwiesen und geübt worden sind. Wenn daher der freie Wille, der durch das Gesetz unterstützt worden ist und mit dem Gesetze nach höchstem Vermögen umgegangen ist, nichts hilft und nicht rechtfertigt, sondern in Gottlosigkeit und im Fleische zurückbleibt, was soll man glauben, daß er aus sich allein ohne Gesetz vermöge?

„Durch das Gesetz (sagt er (Röm. 3,20.)) kommt Erkenntniß der Sünde.“ Hier zeigt er, wie viel und wie weit das Gesetz nützt, nämlich daß der freie Wille für sich allein so gar blind ist, daß er nicht einmal die Sünde erkennt, sondern das Gesetz als Lehrer nöthig hat. Aber, wer die Sünde nicht kennt, was könnte der unternehmen, um die Sünde wegzunehmen? Freilich das, daß er die Sünde nicht für Sünde und das, was nicht Sünde ist, für Sünde halten wird. Das zeigt die Erfahrung genugsam an, wie die Welt durch diejenigen, welche sie für die Besten und Eifrigsten in Gerechtigkeit und Frömmigkeit hält, die Gerechtigkeit Gottes haßt und verfolgt, die durch das Evangelium gepredigt wird, und sie schmäht als Ketzerei, Irrthum und mit anderen überaus schändlichen Namen. Ihre Werke und Anschläge aber, welche wahrhaft Sünde und Irrthum sind, rühmt sie und gibt sie aus für Gerechtigkeit und Weisheit. Daher verstopft Paulus mit diesem Worte dem freien Willen den Mund, indem er lehrt, daß ihm durch das Gesetz die Sünde angezeigt wird, als einem solchen, der seine Sünde nicht kenne. So viel fehlt daran, daß er ihm irgend eine Kraft zum Bemühen um das Gute zugestehen sollte.

Und hier wird jene Frage der Diatribe gelöst, die so oft in dem Buche wiederholt ist: Wenn wir nichts vermögen, wozu dienen so viele Gesetze, so viele Gebote, so viele Drohungen, so viele Verheißungen? Hier antwortet Paulus: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde.“ Er antwortet auf diese Frage ganz anders, als der Mensch oder der freie Wille denkt. Er sagt: Der freie Wille wird nicht bewiesen durch das Gesetz, er wirkt nicht mit zur Gerechtigkeit, denn durch das Gesetz kommt nicht Gerechtigkeit, sondern Erkenntniß der Sünde. Denn dies ist die Frucht, dies das Werk, dies das Amt des Gesetzes, daß es den Unwissenden und Blinden ein Licht ist, aber ein solches Licht, welches die Krankheit zeigt, die Sünde, das Uebel, den Tod, die Hölle, den Zorn Gottes, aber es hilft nicht, es befreiet auch nicht davon, sondern begnügt sich damit, daß es solches gezeigt hat. Nachdem dann der Mensch die Krankheit der Sünde erkannt hat, wird er betrübt, wird geängstet, ja, er verzweifelt; das Gesetz hilft nicht, viel weniger kann er selbst sich helfen. Es ist aber ein anderes Licht nöthig, welches das Heilmittel zeige. Dies ist die Stimme des Evangeliums, welches Christum als den Befreier von allem diesem zeigt. Den zeigt nicht die Vernunft oder der freie Wille, und wie sollte sie ihn zeigen, da sie selbst die Finsterniß selbst ist und das Licht des Gesetzes bedarf, um ihr die Krankheit zu zeigen, welche sie durch ihr eigenes Licht nicht sieht, sondern meint, es wäre Gesundheit?

So behandelt er auch im Briefe an die Galater dieselbe Frage und spricht (Gal. 3,19.): „Was soll denn das Gesetz?“ Er antwortet aber nicht nach der Weise der Diatribe, daß er schlösse, es sei ein freier Wille, sondern sagt so: „Es ist dazu gekommen um der Uebertretungen willen, bis der Same käme, dem die Verheißung geschehen ist.“ Um der Uebertretungen willen (sagt er), und zwar nicht, um sie einzuschränken, wie Hieronymus träumt, da Paulus erörtert, daß dies dem künftigen Samen verheißen sei, daß er die Sünde wegnehme und einschränke durch seine geschenkte Gerechtigkeit, sondern um die Uebertretungen zu mehren, wie er Röm. 5,20. sagt: „Das Gesetz ist neben eingekommen, auf daß die Sünde mächtiger würde“; nicht als ob ohne das Gesetz die Sünden nicht geschähen oder nicht mächtig wären, sondern weil sie nicht als Uebertretungen erkannt würden, oder als so gewaltige Sünden, sondern die meisten und größten für Gerechtigkeit gehalten würden. Wo aber die Sünden nicht erkannt werden, da ist weder Gelegenheit noch Hoffnung für die Heilung, deshalb, weil sie die Hand des Heilandes nicht leiden, da sie sich für gesund halten und meinen, des Arztes nicht zu bedürfen. Darum ist das Gesetz nothwendig, um die Sünde kundzuthun, damit der stolze Mensch, der sich dünken läßt, er sei gesund, durch die Erkenntniß der Schändlichkeit und Größe der Sünde gedemüthigt werde und sich nach der Gnade sehne und seufze, die ihm in Christo vorgehalten wird.

Siehe also, wie einfach die Rede ist: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde“, und doch ist sie allein mächtig genug, den freien Willen umzustoßen und zu vertilgen. Denn wenn das wahr ist, daß er aus sich selbst nicht weiß, was Sünde und böse ist, wie er hier und Röm. 7,7. sagt: „Ich wußte nicht, daß die böse Lust Sünde sei, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: Laß dich nicht gelüsten“; wie sollte er jemals wissen, was Gerechtigkeit und gut sei? Wenn er die Gerechtigkeit nicht kennt, wie kann er sich um sie bemühen? Die Sünde, in der wir geboren sind, in der wir leben, weben und sind, ja, die in uns lebt, treibt und herrscht, erkennen wir nicht. Und wie sollten wir die Gerechtigkeit, welche außer uns, im Himmel, herrscht, kennen? Zu nichts, ganz und gar zu nichts machen diese Aussprüche jenen elenden freien Willen.

Da dies sich so verhält, so verkündigt Paulus mit voller Zuversicht und Nachdruck (autoritate), was er sagt (Röm. 3,21-25.): „Nun aber ist ohne Zuthun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbaret, und bezeuget durch das Gesetz und die Propheten. Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ, zu allen und auf alle, die da an ihn glauben. Denn es ist hie kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in seinem Blut“ etc.

Hier redet Paulus lauter Blitze wider den freien Willen. Zuerst (sagt er) „wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ohne Zuthun des Gesetzes offenbart“; er scheidet die Gerechtigkeit Gottes von der Gerechtigkeit des Gesetzes, weil die Gerechtigkeit des Glaubens aus der Gnade kommt, ohne das Gesetz. Dies, daß er sagt, ohne Zuthun des Gesetzes, kann nichts Anderes sein, als daß die christliche Gerechtigkeit bestehe ohne die Werke des Gesetzes, so daß die Werke des Gesetzes nichts für sie vermögen oder ausrichten, um sie zu erlangen. Wie er bald darnach sagt (Röm. 3,28.): „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“; und, wie er vorher (Gal. 2,16.) gesagt hat: „Durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch vor ihm gerecht.“ Aus diesem allen ist es ganz deutlich, daß das Bemühen oder Bestreben des freien Willens durchaus nichts ist; denn wenn die Gerechtigkeit vor Gott ohne das Gesetz und ohne des Gesetzes Werke besteht, wie sollte sie nicht viel mehr ohne den freien Willen bestehen? da dies das höchste Bestreben des freien Willens ist, wenn er sich in sittlicher Gerechtigkeit übt, oder in Werken des Gesetzes, wodurch seine Blindheit und sein Unvermögen unterstützt wird. Dieses Wort „ohne“ hebt die sittlich, guten Werke auf, es hebt die sittliche Gerechtigkeit auf, es hebt alle Vorbereitung zur Gnade auf; endlich, erdichte, was du nur immer kannst, das der freie Wille vermögen soll, so wird Paulus fest stehen bleiben und sprechen: Ohne solches besteht die Gerechtigkeit vor Gott. Und wenngleich ich zugestehen will, daß der freie Wille durch sein Bemühen etwas gefördert werden könnte, nämlich zu guten Werken oder zur Gerechtigkeit des bürgerlichen oder sittlichen Gesetzes, so kommt er doch der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht näher, und Gott sieht in keiner Hinsicht seine Bestrebungen an, die er macht, um seine Gerechtigkeit zu erlangen, indem er sagt, daß seine Gerechtigkeit Geltung habe ohne das Gesetz. Wenn er aber nicht fördert zur Gerechtigkeit vor Gott, was würde es ihm nützen, wenn er durch Werke und Bemühungen (so es möglich wäre) auch zur Heiligkeit der Engel fortschritte? Ich glaube, daß hier nicht dunkle oder zweideutige Worte sind, daß auch kein Raum für irgendwelche bildliche Reden gelassen wird, weil Paulus deutlich zweierlei Gerechtigkeit unterscheidet, von denen er die eine dem Gesetze, die andere der Gnade zuschreibt, und diese werde ohne jene und ohne die Werke derselben geschenkt, jene aber ohne diese rechtfertige nicht und vermöge auch nichts. Daher möchte ich sehen, wie der freie Wille dagegen bestehen und vertheidigt werden könnte.

Der zweite Blitz ist, daß er sagt, „daß die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbart werde und komme zu allen und auf alle, die an Christum glauben, und es sei da kein Unterschied“ (Röm. 3,22-24.).

Wiederum theilt er mit ganz klaren Worten das ganze Menschengeschlecht in zwei Theile: den Gläubigen gibt er die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, denen, die nicht glauben, nimmt er sie. Deshalb kann niemand so unsinnig sein, daß er daran zweifeln sollte, die Kraft des freien Willens sei etwas Anderes als der Glaube an Jesum Christum. Aber Paulus sagt, daß alles, was außerhalb dieses Glaubens ist, nicht gerecht sei vor Gotte. Wenn es nicht gerecht vor Gotte ist, so muß es nothwendiger Weise Sünde sein. Denn bei Gott ist kein Mittleres zwischen Gerechtigkeit und Sünde, das keins von beiden (neutrum = neutral), gleichsam weder Gerechtigkeit noch Sünde wäre. Sonst wäre die ganze Erörterung Pauli vergeblich, welche aus dieser Theilung hervorgeht: Es sei das, was bei den Menschen geschieht oder gethan wird, vor Gott entweder Gerechtigkeit oder Sünde; Gerechtigkeit, wenn der Glaube da sei, Sünde, wenn der Glaube nicht da sei. Bei den Menschen steht es freilich so, daß es Mitteldinge (media) und gleichgültige Dinge (neutralia) gibt, in welchen die Menschen einander weder etwas schulden noch etwas leisten. Aber gegen Gott sündigt der Gottlose, mag er nun essen oder trinken oder sonst etwas thun, weil er der Creatur Gottes in beständiger Gottlosigkeit und Undankbarkeit mißbraucht, und auch nicht einen Augenblick von Herzen Gotte seine Ehre gibt.

Auch dieses ist ein nicht geringer Blitz, daß er sagt (Röm. 3,23.): „Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollen, und es ist hie kein Unterschied.“

Ich bitte dich, was könnte doch Deutlicheres gesagt werden? Zeige einen auf, der im freien Willen wirkt (operarium liberi arbitrii), und antworte, ob er mit jenem seinem Bemühen auch sündige? Wenn er nicht sündigt, warum nimmt Paulus ihn nicht aus, sondern schließt ihn ein ohne Unterschied? Sicherlich nimmt der, welcher „alle“ sagt, niemanden aus, an keinem Orte, zu keiner Zeit, in keinem Werke, in keinem Bestreben. Denn wenn du einen Menschen in irgend einem Werke oder Bestreben ausnehmen wolltest, so würdest du Paulum zum Irrlehrer (falsum) machen. Denn auch der, welcher in freiem Willen wirkt und sich bemüht, wird mit einbegriffen unter „alle“ und in „allen“, und Paulus hätte seiner schonen und ihn nicht so frei und allgemein unter die Sünder zählen sollen. So auch das Wort, daß er sagt: „Sie mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten.“ „Der Ruhm Gottes“ könnte hier in zwiefacher Weise genommen werden, in thätiger und in leidender Weise (active et passive). Das kommt von der hebräischen Redeweise des Paulus her, deren er sich häufig bedient. In thätiger Weise (active) ist der Ruhm Gottes der, durch den er sich vor uns rühmt; in leidender Weise (passive) der, durch welchen wir uns vor Gott rühmen. Jedoch scheint es mir jetzt passive genommen werden zu müssen, denn „der Glaube Christi“ drückt nach lateinischer Rede den Glauben aus, welchen Christus hat, aber bei den Hebräern wird „der Glaube Christi“ von dem Glauben verstanden, den man an Christum hat. So heißt „die Gerechtigkeit Gottes“ im Lateinischen diejenige, welche Gott hat, aber bei den Hebräern wird diejenige verstanden, welche man aus Gott und vor Gott hat. So nehmen wir den Ruhm Gottes nicht nach lateinischer, sondern nach hebräischer Redeweise, den, welchen wir an Gott und vor Gott haben, und es könnte der Ruhm an Gott genannt werden. Denn der rühmt sich an Gott, welcher gewiß weiß, daß Gott ihm gnädig ist und ihn seines gnädigen Anblicks würdigt, so daß vor ihm wohlgefällig ist, was er thut, oder daß ihm vergeben und an ihm getragen wird, was nicht wohlgefällt.

Wenn daher das Bemühen oder Bestreben des freien Willens nicht Sünde ist, sondern etwas Gutes vor Gotte, so kann er sich sicherlich rühmen und zuversichtlich in diesem Ruhm sprechen: dies gefällt Gotte wohl, dem ist Gott gnädig gesinnt, dies läßt er sich gefallen und nimmt es an, oder wenigstens Gott trägt und verzeiht es. Denn dies ist der Ruhm der Gläubigen an Gotte; diejenigen, welche den nicht haben, werden vielmehr zu Schanden vor Gotte. Aber dazu sagt Paulus hier Nein und spricht, daß sie dieses Ruhmes durchaus mangeln. Und dies beweist auch die Erfahrung. Frage mir alle, die sich im freien Willen bemühen, insgesammt, ob du Einen wirst aufweisen können, der ernstlich und von Herzen sagen könne über irgend eine seiner Bestrebungen und Bemühungen: Dies, weiß ich, gefällt Gotte. Werde ich überwunden, so will ich (dir) die Siegespalme zugestehen, aber ich weiß, daß keiner gefunden werden wird. Wenn aber dieser Ruhm nicht da ist, so daß das Gewissen nicht wagen kann, gewiß zu wissen und zu vertrauen, dies gefalle Gotte, so ist es gewiß, daß es Gotte nicht gefällt. Denn wie er glaubt, so geschieht ihm, denn er glaubt nicht, daß er gewißlich wohlgefällig sei, was doch nothwendig ist, da gerade das die Sünde des Unglaubens ist, an der Huld Gottes zu zweifeln, welcher will, daß man mit der festesten Zuversicht glaube, daß er gnädig sei. So überführen wir sie mit dem Zeugnis ihres eigenen Gewissens, daß der freie Wille, weil er keinen Ruhm an Gott hat, beständig der Sünde des Unglaubens schuldig sei mit allen seinen Kräften, Bestrebungen und Bemühungen.

Was wollen nun aber die Beschützer des freien Willens gar zu dem sagen, was da folgt (Röm. 3,24.): „Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade“? Was ist das „ohne Verdienst“? Was ist „aus seiner Gnade“? Wie stimmen Bemühen und Verdienst mit geschenkter Gerechtigkeit, die umsonst gegeben wird? Vielleicht werden sie hier sagen, sie legten dem freien Willen äußerst wenig bei, keineswegs ein völliges Verdienst (meritum condignum). Aber dies sind leere Worte. Denn das sucht man durch den freien Willen, daß Raum da sei für Verdienste. Denn so hat die Diatribe beständig vorgegeben und geltend gemacht:

„Wenn es keine Freiheit des Willens gibt, wie können dann Verdienste statthaben? Wenn keine Verdienste statthaben können, wie können dann Belohnungen statthaben? Wem kann etwas zugerechnet werden, wenn man ohne Verdienst gerecht wird?“

Hier antwortet Paulus, daß da durchaus kein Verdienst sei, sondern alle, so viel ihrer gerechtfertigt werden, ohne Verdienst gerechtfertigt werden, und dies werde niemandem zugerechnet, als der Gnade Gottes. Nachdem aber die Gerechtigkeit geschenkt worden ist, ist zugleich auch das Reich und das ewige Leben geschenkt. Wo ist jetzt das Bemühen? wo das Bestreben? wo die Werke? wo die Verdienste des freien Willens? Was ist der Nutzen von diesen? Dunkelheit und Zweideutigkeit kannst du nicht vorgeben; die Sachen und die Worte sind ganz klar und einfach. Denn zugegeben, daß sie dem freien Willen nur ein äußerst Geringes zuschreiben, so lehren sie doch nichtsdestoweniger, daß wir durch dieses ganz Geringe Gerechtigkeit und Gnade erlangen können. Denn mit keinem anderen Grunde lösen sie diese Frage auf: Warum Gott diesen rechtfertige und jenen verlasse? als dadurch, daß sie den freien Willen aufrichten, nämlich, dieser habe sich bemüht, jener habe sich nicht bemüht, und Gott sehe diesen gnädig an um seines Bemühens willen, jenen aber verachte er, damit er nicht ungerecht sei, wenn er anders thäte.

Und wiewohl sie mündlich und schriftlich vorgeben, daß sie durch völliges Verdienst (condigno merito) die Gnade nicht erlangen, es auch nicht ein völliges Verdienst nennen, so narren sie uns doch mit dem Worte und halten nichtsdestoweniger die Sache fest. Denn wie kann die Entschuldigung gelten, daß sie es nicht ein völliges Verdienst nennen und ihm doch alles zuschreiben, was einem völligen Verdienst zukommt? nämlich, daß dieser, welcher sich bemüht, Gnade bei Gott erlangt, jener aber, welcher sich nicht bemüht, sie nicht erlangt?

Ist dies nicht deutlich das, was dem völligen Verdienst zukommt? Machen sie nicht Gott zu einem, der Werke, Verdienste und Personen ansieht? Nämlich, daß jener durch seine Schuld der Gnade entbehrt, weil er sich nicht bemüht hat, dieser aber die Gnade erlangt, weil er sich bemüht hat, sie aber nicht erlangt haben würde, wenn er sich nicht bemüht hätte. Wenn dies nicht völliges Verdienst ist, so möchte ich gern belehrt werden, was dann ein völliges Verdienst genannt werden könnte. Auf diese Weise könntest du mit allen Worten dein Spiel treiben und sagen: Es ist zwar nicht ein völliges Verdienst, aber es richtet das aus, was das völlige Verdienst auszurichten pflegt; der Dornstrauch ist nicht ein böser Baum, sondern bringt nur das zuwege, was ein böser Baum zuwege bringt; der Feigenbaum ist nicht ein guter Baum, aber thut, was ein guter Baum pflegt; die Diatribe ist zwar nicht gottlos, aber sie redet und thut nur das, was ein Gottloser thut.

Diesen Beschützern des freien Willens widerfährt das, was das Sprüchwort sagt: Mancher will dem Regen entlaufen und fällt ganz ins Wasser. Denn aus dem Bestreben, eine andere Meinung zu haben als die Pelagianer, fingen sie an das völlige Verdienst zu leugnen, und gerade dadurch, daß sie es leugnen, richten sie es um so stärker auf. In Wort und Schrift leugnen sie es, in der Sache selbst und im Herzen richten sie es auf, und sind in zwiefacher Hinsicht ärger als die Pelagianer. Erstlich, weil die Pelagianer einfach, aufrichtig und gerade heraus das völlige Verdienst bekennen und behaupten, ein jedes Ding bei seinem rechten Namen nennen und lehren, was ihre Meinung ist. Unsere Leute aber, während sie dasselbe (wie die Pelagianer) halten und lehren, spotten sie doch unser mit lügenhaften Worten und falschem Schein, als ob sie mit den Pelagianern uneinig wären, da dies doch durchaus nicht der Fall ist, so daß, wenn man auf die Heuchelei sieht, wir als die bittersten Feinde der Pelagianer angesehen werden möchten, wenn man aber auf die Sache und das Herz sieht, wir zwiefältige Pelagianer sind. Zweitens, weil wir durch diese Heuchelei die Gnade Gottes weit geringer schätzen und halten als die Pelagianer. Denn diese behaupten, es sei nicht etwas ganz Geringes in uns, wodurch wir die Gnade erlangen, sondern ganze, völlige, vollkommene, große und viele Bestrebungen und Werke; unsere Leute aber sagen, es sei ein ganz Geringes und fast nichts, wodurch wir die Gnade verdienen. Wenn nun also geirrt werden soll, so irren jene in redlicherer Weise und weniger hochmüthig, weil sie sagen, daß die Gnade Gottes hoch zu stehen komme, und sie für theuer und kostbar halten, als diejenigen, welche lehren, daß sie billig und nur auf ein ganz Geringes zu stehen komme, und sie für geringfügig und verächtlich halten. Aber Paulus wirft beide in Einen Klumpen durch Ein Wort, da er sagt: „Alle werden ohne Verdienst gerechtfertigt;“ desgleichen: „Daß sie ohne Zuthun des Gesetzes, ohne die Werke des Gesetzes gerechtfertigt werden.“ Denn, wer da behauptet, die Rechtfertigung geschehe ohne Verdienst, bei allen, die gerechtfertigt werden, der läßt keine übrig, welche wirken, verdienen und sich bereiten könnten, und läßt kein Werk übrig, welches ein etlichermaßen (congruum) oder völlig verdienendes (condignum) genannt werden könnte, und zermalmt mit dem Einen Donnerschlage dieses Blitzes sowohl die Pelagianer mit ihrem ganzen Verdienst als auch die Sophisten mit ihrem ganz winzigen Verdienst. Die Rechtfertigung ohne Verdienst leidet es nicht, daß du Leute setzest, welche sie erarbeiten (operarios), weil das offenbar wider einander streitet „umsonst geschenkt werden“ und „durch irgend ein Werk erworben werden“. Ferner leidet das „durch die Gnade Gerechtfertigt werden“ es nicht, daß du der Person irgend eines Menschen eine Würdigkeit beilegest, wie er auch nachher im 11. Cap. (V. 6.) sagt: „Ist es aber aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein; wie er auch Cap. 4,4. sagt: „Dem aber, der mit Werken umgehet, wird der Lohn nicht aus Gnaden zugerechnet, sondern aus Pflicht.“ Deshalb steht mein Paulus fest, als ein unüberwundener Vernichter des freien Willens und legt mit Einem Worte zwei Heere darnieder. Denn wenn wir ohne Werke gerechtfertigt werden, so werden alle Werke verdammt, mögen sie nun ganz klein oder groß sein, denn er nimmt keine aus, sondern blitzt gegen alle auf gleiche Weise. Und hier siehe die Schläfrigkeit von uns allen und was es helfe, wenn jemand sich stützt auf die alten Väter, die durch eine Reihe von so vielen Jahrhunderten gebilligt worden sind. Sind sie nicht ebenfalls gleicherweise alle blind gewesen und haben sogar die ganz klaren und deutlichen Worte Pauli bei Seite liegen lassen? Ich bitte dich, was kann für die Gnade wider den freien Willen klar und deutlich gesagt werden, wenn des Paulus Rede nicht klar und deutlich ist? In vergleichender Weise (per contentionem) geht er vor und rühmt die Gnade gegen die Werke; dann gebraucht er die klarsten und einfachsten Worte und sagt, daß wir ohne Verdienst gerechtfertigt werden, und daß Gnade nicht Gnade wäre, wenn sie mit Werken erworben würde, indem er aufs deutlichste alle Werke im Handel der Rechtfertigung ausschließt, um allein die Gnade und die Rechtfertigung ohne Verdienst aufzurichten. Und wir suchen in diesem Lichte noch Finsterniß, und da wir uns nichts Großes und alles beilegen können, so bemühen wir uns, uns ganz winzige und geringe Dinge zuzuschreiben, nur um das zu erlangen, daß die Rechtfertigung durch die Gnade Gottes nicht ohne Verdienst und ohne Werke sei, als ob der, welcher uns das Größere und alles absagt, nicht vielmehr auch Nein dazu sagte, daß das Kleine und Geringe förderlich dazu wäre, daß wir die Rechtfertigung erlangen, da er beschlossen hat, daß wir nur durch seine Gnade gerechtfertigt werden sollen, ohne alle Werke, und sogar selbst ohne Zuthun des Gesetzes, in welchem alle Werke begriffen sind, große und kleine, unzulängliche und völlige. Gehe jetzt hin und rühme dich des Ansehens der Alten und verlaß dich auf ihre Aussprüche, von denen du siehst, daß sie alle mit einander Paulum, den hellsten und deutlichsten Lehrer, verachtet haben, und gleichsam mit Fleiß den Morgenstern, ja, diese Sonne geflohen haben, nämlich, weil sie in der fleischlichen Meinung gefangen waren, daß es ungereimt zu sein schiene, daß kein Raum für Verdienste gelassen würde.

Nun wollen wir das Beispiel anführen, welches Paulus in der Folge (Röm. 4,2.f.) von Abraham einführt. „Ist Abraham (sagt er) durch die Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott. Was sagt denn die Schrift? Abraham hat Gott geglaubet und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“

Beachte, ich bitte dich, auch hier die Theilung des Paulus, der eine zwiefache Gerechtigkeit Abrahams angibt. Die eine ist aus den Werken, das heißt, die sittliche und bürgerliche, aber er leugnet, daß er durch diese vor Gott gerechtfertigt werde, obgleich er durch dieselbe vor Menschen gerecht ist. Sodann hat er Ruhm vor den Menschen, aber durch diese Gerechtigkeit hat auch er keinen Ruhm vor Gott. Und es hat keinen Grund, wenn jemand sagen wollte, es würden hier die Werke des Gesetzes oder des äußerlichen Gottesdienstes verdammt, weil Abraham so viele Jahre vor dem Gesetze lebte. Paulus redet einfach von den Werken Abrahams und zwar nur von seinen besten. Denn es wäre lächerlich, wenn jemand darüber streiten wollte, ob man durch böse Werke möchte gerechtfertigt werden. Wenn also Abraham durch keine Werke gerecht ist, aber auch nicht mit einer andern Gerechtigkeit, nämlich der des Glaubens, bekleidet wird, so wird sowohl er selbst, als auch alle seine Werke, unter der Gottlosigkeit belassen. Es ist offenbar, daß kein Mensch durch seine Werke zur Gerechtigkeit irgend etwas beiträgt, dann auch, daß keine Werke, keine Bestrebungen, keine Bemühungen des freien Willens vor Gott etwas taugen, sondern daß sie alle als gottlos, ungerecht und böse verurtheilt werden. Denn wenn er selbst nicht gerecht ist, so sind auch seine Werke oder Bestrebungen nicht gerecht; sind sie aber nicht gerecht, so sind sie verdammlich und des Zornes werth. Die andere ist die Gerechtigkeit des Glaubens, welche nicht in irgend welchen Werken besteht, sondern darin, daß Gott gnädig ist und nach seiner Gnade zurechnet. Und siehe doch, wie Paulus sich gründet auf das Wort „zurechnen“, wie er darauf dringt, es wiederholt und einschärft.

„Dem aber (sagt er (Röm. 4,4.f.)), der mit Werken umgehet, wird der Lohn nicht aus Gnaden zugerechnet, sondern aus Pflicht. Dem aber, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“, nach dem Vorsatz der Gnade Gottes. Dann führt er ebendaselbst (Röm. 4,6.ff.) David ein, welcher von der Zurechnung der Gnade sagt (Ps. 32,2.): „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missethat nicht zurechnet“ etc. Wohl zehnmal wiederholt er in diesem Capitel das Wort „zurechnen“. Kurz, Paulus stellt den, der mit Werken umgeht, dem gegenüber, der nicht mit Werken umgeht, und läßt keine Mittelstellung zwischen diesen beiden; er leugnet, daß dem, der mit Werken umgeht, die Gerechtigkeit zugerechnet werde, aber behauptet, daß dem, der nicht mit Werken umgeht, die Gerechtigkeit zugerechnet werde, wenn er nur glaubt. Hier ist nichts, wodurch der freie Wille entgehen oder entschlüpfen könnte, durch sein Bemühen oder Bestreben. Denn er wird entweder denen zugezählt werden, die mit Werken umgehen, oder denen, die nicht mit Werken umgehen; wenn denen, die mit Werken umgehen, so hörst du hier, daß ihm keine Gerechtigkeit zugerechnet wird; wenn denen, die nicht mit Werken umgehen, aber doch Gotte glauben, so wird ihm die Gerechtigkeit zugerechnet. Aber dann wird nicht mehr irgend eine Kraft des freien Willens da sein, sondern eine durch den Glauben erneuerte Creatur; wenn aber dem, der mit Werken umgeht, die Gerechtigkeit nicht zugerechnet wird, so wird offenbar, daß seine Werke nichts als Sünden, böse und gottlos sind vor Gott.

Und hier kann kein Sophist so frech sein, (daß er sage) daß, wiewohl der Mensch böse sei, sein Werk dennoch nicht böse sein könne. Denn Paulus macht sich hier an den Menschen, nicht schlechthin, sondern als einen solchen, der mit Werken umgeht, um mit einem ganz deutlichen Worte zu erklären, daß selbst die Werke und Bestrebungen des Menschen verdammt werden, welcher Art sie auch sein mögen, und mit was für einem Namen oder Schein sie auch ausgestattet werden mögen. Er handelt aber von guten Werken, weil er von dem Gerechtwerden und vom Verdienen disputirt. Und da er von dem redet, der mit Werken umgeht, so redet er insgemein von allen, die mit Werken umgehen, und von allen ihren Werken, besonders aber redet er von guten und ehrbaren Werken, sonst würde seine Theilung: von denen, die mit Werken umgehen, und denen, die nicht mit Werken umgehen, keinen Bestand haben können.

Ich übergehe hier die sehr starken Beweisgründe, die aus dem Vorsatz der Gnade, aus der Verheißung, aus der Kraft des Gesetzes, aus der Erbsünde, aus der Erwählung Gottes hergenommen sind, deren keiner ist, der nicht schon für sich allein von Grund aus den freien Willen aufhöbe. Denn wenn die Gnade aus dem Vorsatz (Eph. 1,11.) oder der Vorherbestimmung kommt, so kommt sie mit Nothwendigkeit, nicht durch unser Bestreben oder Bemühen, wie wir oben gezeigt haben. Desgleichen, da ja Gott die Gnade verheißen hat vor dem Gesetz, wie Paulus hier und im Briefe an die Galater folgert (Gal. 3,17.18.), also kommt sie nicht aus den Werken oder dem Gesetze, sonst würde die Verheißung nichts sein. So würde auch der Glaube nichts sein (Röm. 4,14.) (durch den doch Abraham, ehe das Gesetz war, gerechtfertigt ist), wenn die Werke etwas vermögen. Desgleichen, da das Gesetz die Kraft der Sünde ist (1 Cor. 15,56.), die Sünde nur zeigt, aber nicht wegnimmt, so macht es das Gewissen schuldig vor Gott und droht den Zorn. Das ist es, was er sagt, Röm. 4,15.: „Das Gesetz richtet Zorn an.“ Wie wäre es also möglich, daß durch das Gesetz Gerechtigkeit erlangt werden sollte? Wenn uns aber durch das Gesetz nicht geholfen wird, wie könnte uns allein durch die Kraft des Willens geholfen werden?

Desgleichen (Röm. 5,12.), da durch das Eine Vergehen (delicto) des Einen Adam wir alle unter der Sünde und der Verdammniß sind, wie können wir denn irgend etwas unternehmen, was nicht Sünde und verdammlich wäre? Denn da er sagt „alle“, so nimmt er niemanden aus, auch nicht die Kraft des freien Willens, auch nicht irgend einen Werktreiber (operarium), möge er nun mit Werken umgehen oder nicht mit Werken umgehen, möge er sich bemühen oder nicht bemühen, unter „alle“ wird er nothwendigerweise mit den anderen einbegriffen. Und wir würden durch das Eine Vergehen Adams nicht sündigen oder verdammt werden, wenn es nicht unser Vergehen wäre; denn wer sollte wohl je wegen eines fremden Vergehens verdammt werden, besonders vor Gotte? Es wird aber das unsrige nicht durch Nachahmen oder durch Thun, da dies nicht jenes Eine Vergehen Adams sein könnte, da ja nicht er, sondern wir es begangen hätten; es wird aber das unsrige durch die Geburt. Doch hierüber muß anderswo disputirt werden. Daher läßt selbst die Erbsünde den freien Willen durchaus nichts vermögen als sündigen und verdammt werden. Diese Beweisgründe, sage ich, übergehe ich, weil sie ganz offenbar und sehr stark sind, dann auch, weil wir oben schon etwas darüber gesagt haben. Wenn wir nun alles, was den freien Willen umstößt, allein in Paulus, anführen wollten, so könnten wir nichts Besseres thun, als in einer fortlaufenden Auslegung (commentario) den ganzen Paulus behandeln und zeigen, daß fast in jedem einzelnen Worte die so hoch gerühmte Kraft des freien Willens widerlegt sei, wie ich es schon beim dritten und vierten Capitel gethan habe. Diese habe ich hauptsächlich um deß willen behandelt, um die Schläfrigkeit unser aller zu zeigen, die wir den Paulus so lesen, daß wir in diesen ganz klaren Stellen nichts weniger lesen, als diese überaus starken Beweisgründe wider den freien Willen; und um jene Zuversicht, welche sich auf das Ansehen und die Schriften der alten Lehrer gründet, als eine thörichte aufzuzeigen; zugleich wollte ich zu bedenken übrig lassen, was jene ganz offenbaren Beweisgründe ausrichten würden, wenn sie mit Sorgfalt und rechtem Urtheil behandelt würden.

Ich sage von mir, ich wundere mich sehr, daß, obgleich Paulus so oft jene allgemeinen Wörter gebraucht: alle, keiner, nicht, nirgends, ohne, wie (Röm. 3,12.): „Sie sind alle abgewichen“; (Röm. 3,10.) „da ist keiner, der gerecht sei“; (Röm. 3,12.) „da ist nicht, der Gutes thue, auch nicht Einer“; (Röm. 5,12.) „alle sind durch Eines Menschen Sünde Sünder und verdammt“; (Röm. 3,21.28.) „durch den Glauben ohne das Gesetz; ohne Werke werden wir gerecht“; so daß wenn jemand anders reden wollte, er es doch nicht klarer und deutlicher reden könnte; ich wundere mich, sage ich, wie es geschehen konnte, daß gegen diese allgemeinen Ausdrücke und Aussprüche entgegengesetzte, ja, widersprechende haben aufkommen können, nämlich: Einige sind nicht abgewichen, nicht ungerecht, nicht böse, nicht Sünder, nicht verdammt; es ist etwas im Menschen, was gut ist und nach dem Guten strebt, als ob der Mensch, welcher nach dem Guten strebt, er sei, wer er auch wolle, nicht mit einbegriffen wäre in diesem Worte alle, keiner, nicht. Ich hätte nichts, auch wenn ich wollte, was ich dem Paulus entgegenhalten oder antworten könnte, sondern wäre gezwungen, die Kraft meines freien Willens zusammen mit seinem Bemühen unter jene alle und keine, von denen Paulus redet, mit einzubegreifen, wenn nicht eine neue Sprachlehre oder ein neuer Sprachgebrauch eingeführt würde.

Und man könnte vielleicht eine bildliche Rede vermuthen und herausgerissene Worte verdrehen, wenn er nur einmal oder an Einer Stelle eine solche Bezeichnung gebrauchte. Aber jetzt gebraucht er sie beständig, dann auch zugleich in bejahenden und verneinenden Sätzen, und hält überall die Meinung der allgemeinen Ausdrücke (partium) in vergleichender und theilender Rede (per contentionem et partitionem) so fest, daß nicht nur die Beschaffenheit der Ausdrücke und die Rede selbst, sondern auch das Folgende, das Vorhergehende, die Nebenumstände, die Absicht und gerade der Kern (corpus) der ganzen Erörterung den gesunden Verstand überführen, die Meinung Pauli sei, daß außer dem Glauben an Christum nur Sünde und Verdammniß ist. Und wir haben versprochen, daß wir den freien Willen auf solche Weise widerlegen wollten, daß alle Widersacher nicht widerstehen könnten. Das glaube ich erfüllt zu haben, auch wenn die Besiegten unserer Meinung nicht beistimmen oder schweigen sollten. Denn das steht nicht in unserer Macht, das ist eine Gabe des Geistes Gottes.

Doch ehe wir den Evangelisten Johannes hören, wollen wir den Beschluß (coronidem) des Paulus hinzufügen und sind bereit, wo dies nicht genügen sollte, den ganzen Paulus mit einer fortlaufenden Erklärung wider den freien Willen ins Feld rücken zu lassen. Röm. 8,5., wo er das menschliche Geschlecht in zwei Theile theilt, in Fleisch und Geist, wie auch Christus Joh. 3,6. thut, sagt er so: „Die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt, die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt.“ Daß Paulus hier alle fleischlich nennt, welche nicht geistlich sind, ist offenbar sowohl aus der Theilung selbst und der Gegenüberstellung von Geist und Fleisch, als auch aus den Worten Pauli selbst, da folgt (V. 9.): „Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, so anders Gottes Geist in euch wohnet. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“ Denn was will er hier anders, da er sagt: „Ihr seid nicht fleischlich, wenn Gottes Geist in euch ist“, als daß die nothwendiger Weise fleischlich seien, welche den Geist nicht haben? Und wer nicht Christi ist, weß ist der anders als des Teufels? Daher steht fest, daß die, welche den Geist nicht haben, fleischlich und unter dem Teufel sind. Nun wollen wir sehen, was er halte von dem Bemühen und der Kraft des freien Willens derer, die fleischlich sind (Röm. 8,8.): „Die fleischlich sind, mögen Gott nicht gefallen“; und wiederum (V. 6.): „Fleischlich gesinnt sein, ist der Tod“; und wiederum (V. 7.): „Fleischlich gesinnt sein, ist eine Feindschaft wider Gott“; desgleichen (V. 7.): „Es ist dem Gesetz Gottes nicht unterthan, denn es vermag es auch nicht.“ Hier möge mir ein Beschützer des freien Willens antworten, wie sich das um das Gute bemühen kann, was der Tod ist, was Gotte nicht gefällt, was eine Feindschaft wider Gott ist, ungehorsam gegen Gott, und nicht gehorchen kann? Denn er hat nicht sagen wollen: Fleischlich gesinnt sein ist todt oder ein Feind Gottes, sondern der Tod selbst, die Feindschaft selbst, der es unmöglich ist, dem Gesetze Gottes unterthan zu sein oder Gotte zu gefallen, wie er es auch kurz zuvor gesagt hatte (Röm. 8,3.): „Denn das dem Gesetz unmöglich war (sintemal es durch das Fleisch geschwächet ward), das that Gott“ etc. Auch mir ist die Fabel des Origenes von einer dreifachen Richtung des Gemüthes (affectu) bekannt, deren eine er Fleisch, die andere Seele, die dritte Geist nennt; die Seele aber ist jenes Mittelding, welches man nach beiden Seiten hin, entweder des Fleisches oder des Geistes, wenden kann. Aber dies sind seine Träume, er sagt sie nur, aber beweist sie nicht. Paulus nennt hier Fleisch alles das, was ohne den Geist ist, wie wir gezeigt haben. Deshalb sind die höchsten Tugenden der besten Menschen fleischlich, das ist, todt und Gotte feindlich, dem Gesetze Gottes nicht unterthan, vermögen auch nicht, unterthan zu sein, und gefallen Gott nicht. Denn Paulus sagt nicht allein, daß sie nicht unterthan seien, sondern daß sie auch nicht vermögen, unterthan zu sein. So sagt auch Christus Matth. 7,18.: „Ein böser Baum kann nicht gute Früchte bringen“, und Cap. 12,34.: „Wie könnet ihr Gutes reden, dieweil ihr böse seid?“ Hier siehst du, daß wir nicht allein Böses reden, sondern auch nicht Gutes reden können.

Und obgleich er anderswo (Matth. 7,11.) sagt, daß wir, wiewohl wir arg sind, dennoch unsern Kindern gute Gaben geben können, so leugnet er doch, daß wir Gutes thun, selbst auch in dem Geben guter Gaben, denn es ist ja die Creatur Gottes gut, welche wir geben: dennoch sind wir selbst nicht gut, geben jene guten Gaben auch nicht in guter Weise. Er redet aber zu allen, nämlich auch zu seinen Jüngern, so daß dieses zwiefache Urtheil Pauli feststeht: „Der Gerechte lebet seines Glaubens“ (Gal. 3,11.), und (Röm. 14,23.): „Was nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde.“ Dies letztere folgt aus jenem. Denn wenn nichts ist, wodurch wir gerechtfertigt werden, außer dem Glauben, so ist es augenscheinlich, daß diejenigen, welche ohne Glauben sind, noch nicht gerechtfertigt sind; die aber nicht gerechtfertigt sind, sind Sünder; Sünder aber sind böse Bäume, und können nichts als sündigen und böse Früchte bringen. Deshalb ist der freie Wille nichts als ein Knecht der Sünde, des Todes und des Teufels, thut nichts und kann auch nichts thun oder unternehmen, als Böses.

Hiezu nimm jenes Beispiel im 10. Capitel (Röm. 10,20.), welches aus Jesajas angezogen ist: „Ich bin erfunden von denen, die mich nicht gesucht haben, und bin erschienen denen, die nicht nach mir gefragt haben.“ Dies sagt er von den Heiden, daß ihnen gegeben worden sei, Christum zu hören und zu erkennen, da sie vorher doch nicht einmal einen Gedanken von Christo haben konnten, viel weniger ihn suchen oder sich mit der Kraft des freien Willens auf ihn vorbereiten. Durch dies Beispiel ist hinlänglich klar, daß die Gnade so gar ohne Verdienst kommt, daß nicht einmal ein Gedanke daran, geschweige denn ein Bemühen oder Bestreben vorhergeht. So auch Paulus; als er noch ein Saulus war, was that er mit jener höchsten Kraft des freien Willens? Sicherlich hatte er in seinem Herzen das Beste und Ehrbarste vor, wenn man die Vernunft ansieht. Aber siehe, durch welches Bemühen hat er die Gnade gefunden? Er sucht sie nicht nur nicht, sondern empfängt sie sogar, da er noch wider sie wüthete. Dagegen von den Juden sagt er im 9. Capitel (Röm. 9,30.f.): „Die Heiden, die nicht haben nach der Gerechtigkeit gestanden, haben die Gerechtigkeit erlangt, die aus dem Glauben kommt. Israel aber hat dem Gesetz der Gerechtigkeit nachgestanden und hat das Gesetz der Gerechtigkeit nicht überkommen.“ Was kann hiegegen irgend ein Beschützer des freien Willens mucken? Die Heiden erlangen zu der Zeit, wo sie mit Gottlosigkeit und allen Lastern erfüllt sind, die Gerechtigkeit ohne Verdienst aus Gottes Erbarmen, die Juden fehlen derselben, während sie sich der Gerechtigkeit mit dem höchsten Bemühen und Bestreben befleißigen. Ist dies denn nicht so viel gesagt, daß das Bemühen des freien Willens vergeblich sei, während er sich um das Beste bemüht, und wird nicht angezeigt, daß er vielmehr ärger werde und zurück gehe? Auch kann niemand sagen, daß sie sich nicht mit der höchsten Kraft des freien Willens bestrebt hätten. Selbst Paulus gibt ihnen im 10. Capitel (Röm. 10,2.) das Zeugniß, „daß sie eifern um Gott, aber mit Unverstand“. Deshalb mangelt bei den Juden nichts, was dem freien Willen zugeschrieben wird, und doch erlangt er nichts, sondern es erfolgt das Gegentheil. Bei den Heiden ist nichts vorhanden, was dem freien Willen zugeschrieben wird, und doch folgt die Gerechtigkeit Gottes. Was ist dies anders, als daß durch das ganz deutliche Beispiel an beiden Völkern (Juden und Heiden), dann auch durch das ganz klare Zeugniß des Paulus bestätigt wird, daß die Gnade umsonst denen geschenkt wird, die es nicht verdient haben und es gar nicht werth sind, und daß sie auch nicht erlangt wird durch irgend welche Bestrebungen, Bemühungen, winzigen oder großen, auch der besten und ehrbarsten Menschen, die mit brennendem Eifer die Gerechtigkeit suchen und ihr nachfolgen.

Nun wollen wir auch zu Johannes kommen, der ebenfalls mit vielen Worten und gewaltiglich den freien Willen darnieder legt. Sofort im Anfang schreibt er dem freien Willen eine so große Blindheit zu, daß er nicht einmal das Licht der Wahrheit sehe; so viel fehlt daran, daß er sich um dasselbe bemühen könnte. Denn er sagt so (Joh. 1,5.): „Das Licht scheinet in der Finsterniß, und die Finsternis; haben es nicht begriffen“; und bald darnach (V. 10.11.): „Es war in der Welt, und die Welt kannte es nicht. Er kam in sein Eigenthum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“

Was, meinst du, versteht er unter Welt? Wirst du wohl irgend einen anderen Menschen von diesem Namen ausnehmen können, als den, der durch den Heiligen Geist wiedergeboren ist? Und bei diesem Apostel ist ein eigenthümlicher Gebrauch dieses Wortes „Welt“; er versteht darunter das ganze menschliche Geschlecht. Alles, was er daher von der Welt sagt, muß vom freien Willen verstanden werden, da dieser das Vorzüglichste am Menschen ist. Also kennt bei diesem Apostel die Welt nicht das Licht der Wahrheit (Joh. 1,10.); die Welt haßt Christum und die Seinen (Joh. 15,19.); die Welt kennt und sieht nicht den Heiligen Geist (Joh. 14,17.); die ganze Welt liegt im Argen (1 Joh. 5,19.); alles, was in der Welt ist, ist des Fleisches Lust, der Augen Lust und hoffährtiges Leben; habt nicht lieb die Welt (1 Joh. 2,16.15.); ihr seid von der Welt (sagt er (Joh. 8,23.)); die Welt kann euch nicht hassen; mich aber hasset sie, denn ich zeuge von ihr, daß ihre Werke böse sind (Joh. 7,7.).

Dies alles und vieles Aehnliche sind laute Zeugnisse (praeconia) vom freien Willen, nämlich über das hauptsächlichste Stück, das in der Welt unter des Teufels Reich regiert. Denn auch Johannes redet von der Welt im Gegensatz (zum Heiligen Geist), so daß die Welt ist, was von der Welt nicht zu dem Geiste gebracht worden ist, wie er zu den Aposteln sagt (Joh. 15,19.16.): Ich habe euch von der Welt erwählt und gesetzt etc. Wenn nun einige in der Welt da wären, welche sich aus Kraft des freien Willens um das Gute bemühten, wie es geschehen sollte, wenn der freie Wille etwas vermöchte, so würde Johannes mit Recht aus Rücksicht auf diese einen milderen Ausdruck gebraucht haben (temperasset verbum), damit er nicht durch das allgemeine Wort auch sie unter so viel Böses mit einbegriffe, dessen er die Welt anklagt. Da er dies nicht thut, so ist es augenscheinlich, daß er den freien Willen in jeder Hinsicht, ebenso wie die Welt, schuldig macht, denn alles, was die Welt auch immer thun mag, das thut sie durch die Kraft des freien Willens, das ist, durch Vernunft und Willen, die vorzüglichsten Stücke an ihr. Es folgt (Joh. 1,12.13.):

„Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben. Welche nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.“

Durch diese vollkommene Scheidung verwirft er aus dem Reiche Christi das Geblüt, den Willen den Fleisches, den Willen des Mannes. Das Geblüt, glaube ich, sind die Juden, das heißt, die, welche Kinder des Reichs sein wollten, weil sie Kinder Abrahams und der Väter wären, nämlich, indem sie sich des Geblütes rühmten. Unter dem Willen des Fleisches verstehe ich die Bestrebungen des Volkes, durch welche sie sich im Gesetze und in Werken übten. Denn Fleisch bezeichnet hier fleischliche Leute ohne den Geist, die zwar den Willen und das Bemühen haben, aber es in fleischlicher Weise haben, weil der Geist nicht da ist. Unter Willen des Mannes verstehe ich ganz allgemein die Bestrebungen aller, mögen dieselben nun im Gesetze oder ohne das Gesetz sein, nämlich der Heiden und irgend welcher Menschen, so daß die Meinung ist: weder aus der Geburt des Fleisches, noch aus Bestreben im Gesetze, noch durch irgend ein anderes menschliches Bestreben werden Kinder Gottes, sondern allein durch göttliche Geburt. Wenn sie also nicht aus dem Fleisch geboren, noch durch das Gesetz aufgezogen, noch durch irgend eine Zucht des Menschen bereitet, sondern aus Gott wiedergeboren werden, so ist offenbar, daß der freie Wille hier nichts vermöge. Denn ich glaube, daß „Mann“ an dieser Stelle nach hebräischer Weise genommen wird für irgend einen Beliebigen oder vielmehr für einen jeglichen, wie „Fleisch“, um des Gegensatzes willen, für das Volk ohne den Geist genommen werden muß; „Wille“ aber für die höchste Kraft in den Menschen, nämlich, für das hauptsächlichste Stück des freien Willens.

Doch zugegeben, wir verständen nicht alle einzelnen Worte, so ist doch das Hauptstück (summa) der Sache selbst ganz klar, weil Johannes durch diese Theilung alles verwirft, was nicht göttliche Geburt (generatio) ist, indem er sagt, daß Gottes Kinder nicht anders werden, als durch Geburt aus Gott, welche, wie er selbst es auslegt, geschieht durch glauben an seinen Namen. Unter dieser Verwerfung ist der Wille des Menschen oder der freie Wille nothwendiger Weise mit einbegriffen, da er weder eine Geburt aus Gott, noch auch der Glaube ist. Wenn aber der freie Wille irgend etwas vermöchte, so hätte Johannes den Willen des Mannes nicht verworfen, auch die Menschen nicht von ihm abziehen, und allein auf den Glauben und die Wiedergeburt verweisen dürfen, damit nicht auch ihm das Wort Jesaiä, Cap. 5,20. gesagt werden müßte: „Wehe euch, die ihr Gutes böse heißt.“ Jetzt aber, da er gleicherweise das Geblüt, den Willen des Fleisches, den Willen des Mannes verwirft, so ist es gewiß, daß der Wille des Mannes nichts mehr vermag, um Gottes Kinder zu machen, als das Geblüt oder die fleischliche Geburt. Aber es ist niemandem zweifelhaft, daß die Geburt des Fleisches nicht Kinder Gottes mache, wie auch Paulus Röm. 9,8. sagt: „Nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind“, und er beweist das durch das Beispiel Ismaels und Esau's.

Derselbe Johannes führt den Täufer ein, der von Christo folgendermaßen redet (Joh. 1,16.): „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“

Er sagt, daß wir die Gnade empfangen haben von der Fülle Christi, aber für welches Verdienst oder welches Bestreben? Für die Gnade (sagt er), nämlich Christi, wie auch Paulus sagt Röm. 5,15.: „Gottes Gnade und Gabe ist vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einigen Menschen Jesu Christi.“ Wo ist jetzt das Bemühen des freien Willens, wodurch die Gnade erworben wird? Hier sagt Johannes, daß nicht allein durch kein Bestreben von unserer Seite Gnade empfangen werde, sondern sogar durch fremde Gnade oder fremdes Verdienst, nämlich den einigen Menschen Jesu Christi. Es ist also entweder falsch, daß wir unsere Gnade um eine fremde Gnade empfangen, oder es ist augenscheinlich, daß der freie Wille nichts sei, denn beides kann nicht zugleich mit einander bestehen, daß die Gnade Gottes so gering sei, daß sie insgemein und überall durch ein winziges Bemühen irgend eines Menschen erlangt werde, und wiederum so theuer, daß sie uns in der Gnade und durch die Gnade dieses einigen so großen Menschen geschenkt werde.

Zugleich möchte ich durch diese Stelle die Beschützer des freien Willens erinnert haben, daß sie wissen sollen, sie seien Verleugner Christi, wenn sie den freien Willen behaupten. Denn, wenn ich durch mein Bestreben die Gnade Gottes erlange, was ist mir Christi Gnade vonnöthen, um meine Gnade zu empfangen? Oder was fehlt mir, wenn ich die Gnade Gottes habe? Es hat aber die Diatribe gesagt, es sagen auch alle Sophisten, daß wir durch unser Bemühen die Gnade Gottes erlangen, und uns vorbereiten, um sie zu empfangen, zwar nicht in völliger Weise (de condigno), aber doch einigermaßen (de congruo), das heißt Christum völlig verleugnen, für dessen Gnade wir Gnade empfangen, wie hier der Täufer bezeugt. Denn jenes Fündlein von dem „in völliger Weise“ und „einigermaßen“ habe ich oben widerlegt (und gezeigt), daß es leere Worte sind, daß sie aber in der That die Meinung hegen, es sei ein völliges Verdienst, und zwar in größerer Gottlosigkeit als die Pelagianer, wie wir gesagt haben. So kommt es, daß die gottlosen Sophisten zusammen mit der Diatribe den Herrn Jesum Christum, der uns erkauft hat, mehr verleugnen, als ihn jemals die Pelagianer oder irgendwelche Ketzer verleugnet haben, so gar leidet die Gnade nicht neben sich irgend ein Theilchen oder irgend eine Kraft des freien Willens. Daß aber die Beschützer des freien Willens Christum verleugnen, das beweist nicht nur diese Schriftstelle, sondern auch ihr eigenes Leben. Denn daher haben sie sich aus Christo nun nicht mehr einen lieblichen Mittler, sondern einen schrecklichen Richter gemacht, den zu besänftigen sie sich bemühen durch Fürbitten der Mutter (Christi) und der Heiligen, dann auch durch viele selbsterfundene Werke, Gebräuche, Gottesdienste, Gelübde, mit welchem allen sie Christum zu besänftigen und von ihm Gnade zu erlangen, sich bemühen; sie glauben aber nicht, daß er bei Gott sie vertrete (Röm. 8,34.) und ihnen durch sein Blut Gnade erlange, und Gnade (wie es hier heißt) um Gnade. Und wie sie glauben, so geschieht ihnen, denn Christus ist ihnen in Wahrheit und mit Recht ein unerbittlicher Richter, da sie ihn verlassen als ihren Mittler und allergütigsten Heiland und sein Blut und seine Gnade geringer achten, als die Bestrebungen und Bemühungen des freien Willens.

Nun wollen wir auch ein Exempel des freien Willens hören. Nämlich Nicodemus ist ein Mann, an dem kein Mangel gefunden werden kann in Bezug auf das, was der freie Wille vermag, denn was hat dieser Mann an Bestreben oder Bemühen unterlassen? Er bekennt (Joh. 3,1.ff.), daß Christus wahrhaftig und von Gott gekommen sei, er preist die Zeichen, er kommt bei der Nacht, um das Uebrige zu hören und zu besprechen. Sieht man denn nicht, daß er aus der Kraft des freien Willens das gesucht hat, was die Gottseligkeit und Seligkeit anbetrifft? Aber siehe, wie er anläuft, als er hört, daß von Christo der wahre Weg zur Seligkeit durch die Wiedergeburt gelehrt wird; erkennt er etwa die an oder bekennt er, daß er dieselbe je gesucht habe? Ja, er verabscheut sie so und wird so verwirrt, daß er nicht allein sagt, er verstehe das nicht, sondern sich auch davon abwendet als von etwas Unmöglichem. Wie (sagt er) kann dieses geschehen? Und das ist wirklich nicht zu verwundern, denn wer hat je gehört, daß der Mensch aus Wasser und Geist wiedergeboren werden müsse zur Seligkeit? Wer hat je gedacht, daß der Sohn Gottes erhöht werden mußte, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben? Haben dessen etwa die scharfsinnigsten und besten Weltweisen jemals gedacht? Haben denn die Vornehmsten in dieser Welt diese Weisheit (scientiam) je erkannt? Hat sich der freie Wille irgend eines Menschen je um dieses bemüht? Bekennt nicht Paulus (Röm. 16,25.f, 1 Cor. 2,7.), daß diese Weisheit im Geheimniß verborgen ist, zwar vorherverkündigt durch die Propheten, aber durch das Evangelium offenbart, so daß es von Ewigkeit verschwiegen und der Welt unbekannt gewesen ist?

Was soll ich sagen? Wir wollen die Erfahrung befragen. Selbst die ganze Welt, selbst die menschliche Vernunft, selbst sogar der freie Wille wird gezwungen zu bekennen, daß er Christum nicht gekannt noch gehört habe, ehe das Evangelium in die Welt kam. Wenn er ihn aber nicht gekannt hat, so hat er ihn viel weniger gesucht, oder ihn suchen oder sich um ihn bemühen können. Aber Christus ist der Weg, die Wahrheit, das Leben und die Seligkeit (Joh. 14,6.). Er bekennt also, er mag wollen oder nicht, daß er aus seinen Kräften das habe weder kennen noch suchen können, was den Weg, die Wahrheit und die Seligkeit anbetrifft; nichtsdestoweniger sind wir gegen dieses Bekenntniß selbst und die eigene Erfahrung unsinnig und streiten mit nichtigen Worten, es sei in uns eine so große Kraft übrig, welche das, was die Seligkeit anbetrifft, kenne und sich dazu hinwenden (applicare) könne; das ist nichts anders als sagen, Christus, der Sohn Gottes, sei für uns erhöht, wiewohl es niemand jemals hätte wissen oder in den Sinn nehmen können, jedoch selbst diese Unwissenheit ist nicht Unwissenheit, sondern Kenntniß Christi, das heißt, der Dinge, die zur Seligkeit gehören. Siehst und greifst du noch nicht mit Händen, daß die Behaupter des freien Willens ganz unsinnig sind, da sie das ein Wissen nennen, von dem sie selbst bekennen, daß es Unwissenheit sei? Heißt das nicht die Finsterniß Licht nennen? Jes. 5,20. Nämlich so gar gewaltig verstopft Gott dem freien Willen den Mund durch sein eigenes Bekenntniß und die Erfahrung; doch selbst so kann er dennoch nicht schweigen und Gott die Ehre geben.

Ferner, da Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben genannt wird, und zwar in solcher Gegenüberstellung, daß alles, was nicht Christus ist, weder ein Weg, sondern Irrthum, noch die Wahrheit, sondern Lüge, noch das Leben, sondern Tod ist, so muß der freie Wille, weil er weder Christus noch in Christo ist, im Irrthum, in der Lüge und im Tode bestehen. Wo und woher hat man also jenes Mittelding und Gleichgültige (neutrum = Neutrale), nämlich jene Kraft des freien Willens, welche, wiewohl sie nicht Christus (das ist, der Weg, die Wahrheit und das Leben) ist, noch Irrthum, noch Lüge, noch Tod, doch vorhanden sein soll? Denn wenn nicht alles, was von Christo und der Gnade gesagt wird, in Gegenüberstellung geredet würde, so daß es dem Gegentheil entgegengesetzt wird, nämlich, daß alles, was außer Christo ist, nichts sei als der Teufel, was außerhalb der Gnade ist, nichts sei als Zorn, was außerhalb des Lichtes ist, nichts sei als Finsterniß, was außerhalb des Weges ist, nichts sei als Irrthum, was außerhalb der Wahrheit ist, nichts sei als Lüge, was außerhalb des Lebens ist, nichts sei als Tod, was, ich bitte dich, würden alle Predigten der Apostel und die ganze Schrift ausrichten? Gewiß alles würde vergeblich gesagt werden, da es nicht zwingend erwiese, daß Christus nothwendig sei, womit sie doch besonders umgehen: indem dann ein Mittelding gefunden würde, welches an sich weder böse noch gut, weder Christi noch des Teufels, weder wahr noch falsch, weder lebendig noch todt, vielleicht auch weder etwas noch nichts wäre, und dies sollte das Vorzüglichste und Höchste im ganzen Menschengeschlechte genannt werden.

Wähle daher von beiden, welches du willst. Wenn du zugibst, daß die Schrift in Gegenüberstellung rede, so wirst du vom freien Willen nur das sagen können, was Christo entgegengesetzt ist, nämlich, daß Irrthum, Tod, Teufel und alles Böse in ihm herrsche. Wenn du nicht zugibst, daß sie in Gegenüberstellung rede, so entkräftest du die Schrift, so daß sie nichts ausrichten kann, auch nicht beweisen, daß Christus nothwendig sei, und so entleerst du Christum und verderbst die ganze Schrift, indem du den freien Willen aufrichtest. Ferner, daß du mit Worten heuchelst, du bekennest Christum, verleugnest du ihn doch mit der That selbst und im Herzen, denn, wenn die Kraft des freien Willens nicht ganz irrig und auch nicht verdammlich ist, sondern auf das Ehrbare und Gute, und auf das, was die Seligkeit anbetrifft, sieht und dasselbe will, so ist sie gesund und hat Christum als Arzt nicht nöthig (Matth. 9,12.), auch hat Christus den Theil des Menschen nicht erlöst, denn was bedarf es des Lichts und des Lebens, wo Licht und Leben ist?

Aber wenn sie (die Kraft des freien Willens) durch Christum nicht erlöst ist, so ist das Beste im Menschen nicht erlöst, sondern durch sich selbst gut und unverletzt. Dann ist Gott auch ungerecht, wenn er irgend einen Menschen verdammt, weil er das, was in dem Menschen das Beste und gesund ist, das ist, einen Unschuldigen verdammt, denn es ist kein Mensch, der nicht den freien Willen hätte. Und wiewohl ein böser Mensch desselben mißbraucht, so wird doch gelehrt, daß die Kraft selbst damit nicht ausgelöscht wird, daß sie sich nicht um das Gute bemühe und bemühen könnte. Wenn sie aber so beschaffen ist, so ist sie ohne Zweifel gut, heilig und gerecht; deshalb muß sie nicht verdammt, sondern geschieden werden von dem zu verdammenden Menschen. Aber dies kann nicht geschehen, und wenn es geschehen könnte, dann wäre der Mensch nun ohne den freien Willen nicht einmal ein Mensch mehr, könnte weder Verdienst noch Unverdienst haben, könnte weder verdammt noch selig werden und wäre ganz und gar ein unvernünftiges Thier und nicht mehr unsterblich. Es bleibt daher nur übrig, daß Gott ungerecht sei, welcher jene gute, gerechte, heilige Kraft verdammt, die Christi im Menschen nicht bedarf, auch nicht, wenn sie mit einem bösen Menschen verbunden ist.

Doch wir wollen in Johannes fortfahren: „Wer an ihn glaubt (sagt er (Cap. 3,18.)), der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes.“ Antworte, ob der freie Wille den Gläubigen zuzuzählen sei oder nicht. Wenn er es ist, so hat er wiederum die Gnade nicht nöthig, weil er durch sich selbst an Christum glaubt, den er aus sich selbst weder kennt, noch dessen gedenkt. Wenn er es nicht ist (den Gläubigen zuzuzählen), dann ist er schon gerichtet; was ist das anders, als daß er vor Gotte verdammt ist? Aber Gott verdammt nur den Gottlosen, also ist er gottlos. Um was für Gottseliges sollte aber der Gottlose sich bemühen? Ich glaube auch nicht, daß die Kraft des freien Willens ausgenommen werden könne, da er von dem ganzen Menschen redet, von dem er sagt, daß er verdammt werde. Sodann ist der Unglaube nicht eine grobe Neigung (affectus), sondern die höchste, welche in der Burg des Willens und der Vernunft sitzt und herrscht, wie auch die demselben entgegengesetzte (Gemüthsrichtung), nämlich der Glaube. Aber ungläubig sein heißt Gott verleugnen und zum Lügner machen, 1 Joh. 5,10.: „So wir nicht glauben, machen wir Gott zum Lügner.“ Wie kann sich nun jene Kraft, die sich wider Gott setzt und ihn zum Lügner macht, um das Gute bemühen? Wenn jene Kraft nicht ungläubig und gottlos wäre, so hätte er nicht von dem ganzen Menschen sagen sollen: „Der ist schon gerichtet“, sondern so: der Mensch nach seinen groben Neigungen ist schon gerichtet, aber nach dem Besten und Vorzüglichsten an ihm wird er nicht gerichtet, weil er sich um den Glauben bemüht, oder vielmehr er ist schon gläubig.

So, wo die Schrift so oft sagt (Ps. 116,11.): „Alle Menschen sind Lügner“, werden wir um des Ansehens des freien Willens willen sagen: Im Gegentheil, vielmehr lügt die Schrift, weil der Mensch nach seinem besten Theile nicht ein Lügner ist, das heißt, nach Vernunft und Willen, sondern nur nach dem Fleisch, Blut und Mark, so daß jenes Ganze, wovon der Mensch seinen Namen hat, nämlich Vernunft und Wille, gesund und heilig ist. Desgleichen auch das Wort des Täufers (Joh. 3,36.f.): „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben; wer dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm“, wird man so verstehen müssen: „über ihm“, das heißt, über den groben Neigungen des Menschen bleibt der Zorn Gottes, aber über jener Kraft des freien Willens, nämlich des Willens und der Vernunft, bleibt die Gnade und das ewige Leben. Nach dieser Weise möchte man, damit der freie Wille bestehe, alles, was in der Schrift wider die Gottlosen gesagt wird, indem man das Ganze als für einen Theil gesagt annimmt (per synecdochen), nur auf den thierischen Theil des Menschen ziehen, damit der mit Vernunft begabte und wahrhaft menschliche Theil unverletzt bleibe. Dann würde ich den Behauptern des freien Willens Dank sagen, mit getrostem Muthe sündigen können und sicher sein, daß Vernunft und Wille oder der freie Wille nicht verdammt werden könne, deshalb weil er nie ausgelöscht wird, sondern beständig gesund, gerecht und heilig bleibt. Aber wo Wille und Vernunft selig sind, werde ich mich freuen, daß das schändliche und thierische Fleisch davon getrennt und verdammt wird; so gar würde ich nicht wünschen, daß Christus ihm ein Erlöser sei. Du siehst, wohin uns die Lehre vom freien Willen bringt, daß sie alles Göttliche und Menschliche, Zeitliches und Ewiges leugnet und mit so vielen Ungeheuerlichkeiten sich selbst zum Gespötte macht.

Desgleichen sagt der Täufer (Joh. 3,27.): „Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel.“

Hier möge die Diatribe nur aufhören mit ihrem großen Vorrathe zu prahlen, da sie alles aufzählt, was wir vom Himmel haben. Wir disputiren nicht von der Natur, sondern von der Gnade, auch nicht das ist die Frage, wie wir beschaffen seien auf der Erde, sondern wie wir beschaffen seien im Himmel vor Gotte. Wir wissen, daß der Mensch zum Herrn gesetzt ist über die Dinge, die unter ihm sind, über welche er Recht und freien Willen hat, daß sie ihm gehorchen und thun sollen, was er selbst will und denkt. Sondern das ist die Frage, ob er gegen Gott einen freien Willen habe, daß der gehorchen und thun müsse, was der Mensch will, oder ob vielmehr Gott über den Menschen freien Willen habe, daß dieser wollen und thun müsse, was Gott will, und nichts vermöge, als was er will und thut. Hier sagt der Täufer, daß er nichts nehmen könne, als was ihm vom Himmel geschenkt werde; deshalb muß der freie Wille nichts sein.

Desgleichen (Joh. 3,31.): „Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über alle.“

Hier macht er wiederum alle zu Irdischen, und sagt, daß die irdisch gesinnt sind und reden, welche nicht Christi sind, läßt auch nicht etliche in einer Mittelstellung. Aber der freie Wille ist schlechterdings nicht der, welcher vom Himmel kommt, deshalb muß er von der Erde sein und nothwendiger Weise irdisch gesinnt sein und reden. Wenn nun irgend eine Kraft im Menschen, zu irgend einer Zeit, an irgend einem Ort oder in irgend einem Werke, nicht irdisch gesinnt wäre, so hätte der Täufer diesen ausnehmen müssen, und nicht insgemein von allen, die außer Christo sind, sagen: sie sind von der Erde, sie reden von der Erde.

So sagt Christus auch nachher im 8. Cap. V. 23.: „Ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt; ihr seid von unten her, ich bin von oben herab.“

Aber diejenigen, zu denen er redete, hatten den freien Willen, nämlich Vernunft und Willen, und doch sagt er, sie seien von der Welt. Was für Neues würde er ihnen aber sagen, wenn er spräche, sie wären nach dem Fleische und den groben Neigungen von der Welt? Hat denn dies nicht schon die ganze Welt zuvor gewußt? Ferner, was wäre es nöthig zu sagen, daß die Menschen nach dem Theile, nach welchem sie thierisch sind, von der Welt seien, da auf diese Weise auch die Thiere von der Welt sind?

Ferner das Wort, wo Christus Joh. 6,44. sagt: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn mein Vater ziehe“, was läßt es dem freien Willen übrig? Denn er sagt, es sei vonnöthen, daß jemand höre und lerne, vom Vater, selbst, dann auch (V. 45.), alle müßten von Gott gelehrt sein. Hier lehrt er wahrlich nicht allein, daß die Werke und Bestrebungen des freien Willens vergeblich seien, sondern, daß auch sogar das Wort des Evangeliums selbst (von dem an dieser Stelle gehandelt wird) vergeblich gehört werde, wenn nicht der Vater selbst inwendig rede, lehre und ziehe. Niemand kann, niemand kann (sagt er) kommen, das heißt, von jener Kraft, durch welche der Mensch sich um Christum in irgend etwas bemühen könnte, das heißt, um das, was zur Seligkeit dient, wird behauptet, daß sie nichts sei. Und es nützt dem freien Willen nichts, was die Diatribe aus Augustinus anführt, um diese ganz klare und überaus gewaltige Stelle ränkevoll zu beseitigen, nämlich, daß Gott ziehe, gleichwie wir ein Schaf durch das Vorhalten eines Zweigleins locken. Durch dies Gleichniß, meint sie, werde bewiesen, daß in uns die Kraft wohne, dem Zuge Gottes zu folgen. Aber dies Gleichniß hat an dieser Stelle keine Kraft, weil Gott nicht allein Ein Gut, sondern alle seine Güter, dann auch sogar selbst seinen Sohn Christum vorhält, und doch folgt kein Mensch, wenn nicht der Vater inwendig noch auf eine andere Weise vorhält und zieht; ja, die ganze Welt verfolgt den Sohn, den er vorhält. Auf die Gottseligen paßt dieses Gleichniß sehr schön, welche schon Schafe sind und Gott, ihren Hirten, kennen. Diese leben im Geist und folgen dem Triebe desselben, wohin Gott will, und allem, was er ihnen nur vorhalten mag. Der Gottlose aber kommt nicht, auch wenn er das Wort gehört hat, wenn nicht der Vater ihn inwendig zieht und lehrt; das thut er dadurch, daß er den Geist schenkt. Da ist ein anderer Zug als der, welcher äußerlich geschieht, da wird Christus durch die Erleuchtung des Geistes vorgehalten, vermöge welcher der Mensch durch den lieblichsten Trieb (raptu) zu Christo hingerissen wird, oder vielmehr Gott (Deum), der ihn zieht und als ein Lehrer zu ihm redet, leidet, als daß der Mensch selbst suchen und laufen sollte.

Wir wollen noch eine Stelle aus Johannes anführen, wo er Cap. 16,9. sagt: „Der Geist wird die Welt strafen um die Sünde, daß sie nicht glauben an mich.“

Hier siehst du, daß es Sünde ist, nicht glauben an Christum. Aber diese Sünde hängt schlechterdings nicht an Haut oder Haar, sondern steckt in der Vernunft und dem Willen selbst. Da er aber die ganze Welt dieser Sünde schuldig macht, und durch Erfahrung bekannt ist, daß diese Sünde der Welt ebenso unbekannt gewesen ist, als Christus, da sie ja durch die Strafe des Geistes offenbart wird, so ist es klar, daß der freie Wille mit seinem Willen und seiner Vernunft in dieser Sünde gefangen ist und vor Gott als verdammt geachtet wird. Deshalb, so lange er Christum nicht kennt, noch auch an ihn glaubt, kann er nichts Gutes wollen noch sich darum bemühen, sondern dient notwendiger Weise der Sünde, wo er (Christus) unbekannt ist. Kurz, weil die Schrift Christum überall in Gegenüberstellung und im Gegensatz predigt (wie ich gesagt habe), daß sie alles, was ohne Christi Geist ist, dem Teufel, der Gottlosigkeit, dem Irrthum, der Finsterniß, der Sünde, dem Tode und dem Zorne Gottes unterwirft, so werden auch alle die Zeugnisse, so viel ihrer auch sind, die von Christo reden, wider den freien Willen kämpfen, aber die sind unzählig, ja, die ganze Schrift. Deshalb, wenn wir die Sache dem Urtheil der heiligen Schrift unterwerfen, so haben wir in jeder Hinsicht den Sieg davon getragen, so daß auch nicht ein Buchstabe oder Tüttel übrig ist, welcher die Lehre vom freien Willen nicht verdammte. Daß aber die Schrift Christum in Gegenüberstellung und im Gegensatz predige, das wissen und bekennen insgemein alle Christen, wiewohl die großen Theologen und Beschützer des freien Willens dies nicht wissen, oder sich stellen, als wüßten sie es nicht. Sie wissen, sage ich, daß zwei Reiche in der Welt sind, die einander aufs heftigste widerstreiten, und daß in dem einen der Teufel herrscht, welcher um deß willen von Christo der Fürst dieser Welt genannt wird (Joh. 12,31.) und von Paulo der Gott dieser Welt (2. Cor. 4,4.), der alle nach seinem Willen gefangen hält, die ihm durch den Geist Christi nicht entrissen sind, wie Paulus (2. Tim. 2,26.) ebenfalls bezeugt, und sie sich durch keine Kraft entreißen läßt, es sei denn durch den Geist Gottes, wie Christus bezeugt (Luc. 11,21.) in dem Gleichniß von dem Starken, der seinen Palast in Frieden bewahrt. In dem andern herrscht Christus. Dieses streitet unablässig mit des Teufels Reiche und widersteht ihm; in dasselbe werden wir nicht durch unsere Kraft, sondern durch die Gnade Gottes versetzt (Col. 1,13.), durch welche wir von dieser argen Welt befreit und errettet werden von der Obrigkeit der Finsterniß. Die Erkenntniß und das Bekenntniß dieser zwei Reiche, die sich beständig mit so großen Kräften und Eifer gegenseitig bekämpfen, wäre allein schon ausreichend, um die Lehre vom freien Willen zu widerlegen, weil wir gezwungen werden, im Reiche des Teufels Knechte zu sein, wenn wir nicht durch Gottes Kraft herausgerissen werden. Dies, sage ich, weiß das gemeine Volk, und bekennt es auch sattsam durch Sprüchwörter, Gebete, Bestrebungen und durch sein ganzes Leben. Ich übergehe den Spruch, der wahrlich mein Achilles ist, an dem die Diatribe tapfer vorübergegangen ist, ohne ihn anzurühren, nämlich, daß Paulus Röm. 7,15. und Gal. 5,17. lehrt, es sei in den Heiligen und Gottseligen ein so gewaltiger Kampf des Geistes und des Fleisches, daß sie nicht thun können, was sie wollen. Hieraus habe ich den Schluß gemacht: Wenn die Natur des Menschen so böse ist, daß sie in denen, welche durch den Geist wiedergeboren sind, nicht nur kein Bemühen hat um das Gute, sondern auch wider dasselbe streitet und feindselig gesinnt ist, wie sollte bei denen, welche, noch nicht wiedergeboren, im alten Menschen unter dem Teufel Knechte sind, ein Bemühen um das Gute statthaben? Denn Paulus redet dort nicht allein von den groben Neigungen, durch welche die Diatribe gleichsam als durch eine gangbare (commune) Ausflucht allen Schriftstellen zu entschlüpfen pflegt, sondern er rechnet unter die Werke des Fleisches Ketzerei, Abgötterei, Hader und Zwietracht, welche schlechterdings in jenen höchsten Kräften, nämlich in der Vernunft und dem Willen herrschen. Wenn also das Fleisch durch diese Regungen (affectibus) wider den Geist kämpft in den Heiligen, so wird es viel mehr wider Gott kämpfen in den Gottlosen und im freien Willen. Daher nennt er dasselbe Röm. 8,7. eine Feindschaft wider Gott. Diesen Beweisgrund, sage ich, möchte ich widerlegt sehen, und daß der freie Wille dawider vertheidigt würde.

Ich bekenne wahrlich von mir, wenn es auch geschehen könnte, so wollte ich doch nicht, daß mir ein freier Wille gegeben würde, oder daß irgend etwas in meiner Hand gelassen würde, wodurch ich mich um die Seligkeit bemühen könnte, nicht allein deshalb, weil ich in so vielen Widerwärtigkeiten und Gefahren, dann auch wider so viele Anläufe der Teufel nicht bestehen könnte und es nicht zu behalten vermöchte, da Ein Teufel mächtiger ist als alle Menschen und auch kein Mensch selig werden könnte, sondern weil ich, auch wenn keine Gefahren, keine Widerwärtigkeiten, keine Teufel wären, doch gezwungen wäre, beständig aufs Ungewisse mich abzumühen und Luftstreiche zu thun, denn auch mein Gewissen, selbst wenn ich ewig lebte und wirkte, würde nie gewiß und sicher werden, wie viel es thun müßte, um Gotte genugzuthun. Denn bei einem jeglichen vollkommenen Werke bliebe doch die Gewissensangst, ob es Gott gefiele, oder ob er noch etwas darüber hinaus fordere, wie die Erfahrung aller Werktreiber beweist und ich zu meinem großen Schaden in so vielen Jahren genugsam gelernt habe.

Aber nun, da Gott meine Seligkeit aus meinem Willen (arbitrium) genommen und in den seinigen gestellt hat, und verheißen hat, er wolle mich nicht durch mein Wirken und Laufen, sondern durch seine Gnade und Barmherzigkeit erhalten, so bin ich sicher und gewiß, daß er getreu ist und mir nicht lügen wird, dann auch so mächtig und groß, daß keine Teufel, keine Widerwärtigkeiten ihn überwältigen oder mich ihm entreißen können. „Niemand“ (sagt er) „wird sie mir aus meiner Hand reißen, weil der Vater, der sie mir gegeben hat, größer ist, denn alles“ (Joh. 10,28.29.). So kommt es, daß wenn auch nicht alle, doch einige und viele selig werden, während durch die Kraft des freien Willens durchaus niemand erhalten würde, sondern wir alle insgesammt verloren wären. Sodann sind wir auch gewiß und sicher, daß wir Gotte gefallen, nicht durch das Verdienst unseres Werkes, sondern durch die Gnade seiner Barmherzigkeit, die uns verheißen ist, und daß er es uns nicht anrechnet, wenn wir zu wenig oder übel gethan haben, sondern väterlich verzeiht und bessert. Dies ist der Ruhm aller Heiligen in ihrem Gotte.

Wenn dich aber das anficht, daß es schwer sei, Gottes Güte und Gerechtigkeit zu verteidigen, weil er ja die verdammt, die es nicht verdient haben, das heißt, die in solcher Weise gottlos sind, daß sie, in Gottlosigkeit geboren, sich selbst auf keine Weise rathen können, daß sie nicht gottlos sein, bleiben und verdammt werden sollten, und durch die Notwendigkeit ihrer Natur zu sündigen und verloren zu gehen gezwungen werden, wie Paulus (Eph. 2,3.) sagt: „Wir waren alle Kinder des Zorns, gleichwie auch die andern“, da sie als solche von Gott selbst geschaffen wurden aus dem Samen, der verderbt war durch die Sünde des Einen Adam:

So ist hier Gott als der Allergnädigste zu ehren und zu fürchten (reverendus) an denen, die er als ganz Unwürdige rechtfertigt und selig macht, und wenigstens etwas seiner göttlichen Weisheit zuzugestehen, daß man glaube, er sei gerecht, auch da, wo er uns ungerecht zu sein scheint. Denn wenn seine Gerechtigkeit so beschaffen wäre, daß sie durch menschliches Begreifen für gerecht erklärt werden könnte, so wäre sie durchaus nicht göttlich und würde sich in nichts von der menschlichen Gerechtigkeit unterscheiden. Aber da er der wahre und einige Gott ist, dann auch ganz unbegreiflich und unzugänglich für die menschliche Vernunft, so ist es billig, ja, nothwendig, daß auch seine Gerechtigkeit unbegreiflich ist, wie auch Paulus. Röm. 11,33. ausruft und spricht: „O welch eine Tiefe der Weisheit und Erkenntniß Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ Sie wären aber nicht unbegreiflich, wenn wir in allen Dingen zu begreifen vermöchten, weshalb sie gerecht seien. Was ist der Mensch im Vergleich zu Gott? Wie viel ist es, was unsere Macht vermag im Vergleich zu seiner Macht? Was ist unsere Stärke im Vergleich zu seinen Kräften? Was ist unser Wissen im Vergleich zu seiner Weisheit? Was ist unser Wesen (substantia) gegen sein Wesen? Kurz, was ist alles, was unser ist, gegen alles, was sein ist?

Wenn wir daher bekennen, wie auch die Natur uns lehrt, daß die menschliche Macht, Stärke, Weisheit, Wissen, Wesen und alles, was unser ist, durchaus nichts sei, wenn es gegen die göttliche Macht, Stärke, Weisheit, Erkenntniß und Wesen gehalten wird, wie groß ist unsere Verkehrtheit, daß wir allein die Gerechtigkeit und das Gericht Gottes bemäkeln (vexemus) und unserem Urtheil ein so Großes anmaßen, daß wir das Urtheil Gottes fassen, richten und abschätzen wollen? Weshalb sagen wir nicht gleicherweise auch hier: Unser Urtheil ist nichts, wenn es mit Gottes Urtheil verglichen wird? Ziehe selbst die Vernunft zu Rathe, ob sie nicht überführt und gezwungen wird, sich als thöricht und vermessen zu bekennen, daß sie das Urtheil Gottes nicht unbegreiflich sein läßt, da sie bekennt, daß alle anderen göttlichen Dinge unbegreiflich seien. Nämlich in allen anderen Dingen gestehen wir Gotte göttliche Majestät zu, allein im Gericht sind wir bereit, sie zu leugnen, können auch nicht so viel glauben, daß er gerecht sei, obgleich er uns versprochen hat, daß es geschehen werde, wenn er seine Herrlichkeit offenbart, daß wir dann sehen und mit Händen greifen sollen, er sei gerecht gewesen und sei gerecht.

Ich will ein Beispiel anführen, um diesen Glauben zu befestigen, und um das gottlose Auge zu erleuchten (ad consolandum), welches Gott der Ungerechtigkeit verdächtig hält. Siehe, Gott regiert diese leibliche Welt in äußerlichen Dingen so, daß, wenn du auf das Urtheil der menschlichen Vernunft siehst und dem folgst, du gezwungen bist, zu sagen, entweder sei kein Gott, oder Gott sei ungerecht, wie jener Dichter sagt: Oft werd' ich schwer versucht, zu meinen, es geb' keinen Gott. Denn siehe, wie überaus wohl es den Bösen geht, dagegen wie überaus übel den Guten, wie die Sprüchwörter bezeugen und die Erfahrung, aus der die Sprüchwörter herkommen: Je größer Schalk, je besser Glück. „Der Gottlosen Hütten (sagt Hiob (12,6.)) haben die Fülle“; und der 73. Psalm (V. 12.) klagt, daß die Sünder in der Welt großen Reichthum haben. Ich bitte dich, ist es nicht nach dem Urtheil aller ganz unbillig, daß es den Bösen wohl geht und die Guten Unglück leiden? Aber so bringt es der Lauf der Welt mit sich. Hier sind auch die besten Köpfe so gefallen, daß sie leugnen, daß Gott sei, und erdichten, das Schicksal füge alles aufs Gerathewohl, wie die Epicurer und Plinius. Dann hält auch Aristoteles dafür, daß sein höchstes Wesen (primum Ens), damit er dasselbe von allem Elend frei mache, von allen Dingen nichts Anderes sehe, als sich selbst, weil er glaubt, es würde ihm sehr verdrießlich sein, so viel Böses und so viel Unrecht zu sehen. Die Propheten aber, welche geglaubt haben, daß Gott sei, werden noch mehr wegen der Ungerechtigkeit Gottes angefochten, wie Jeremias, Hiob, David, Assaph und andere. Was, meinst du, mögen Demosthenes und Cicero gedacht haben, da sie alles ausgerichtet hatten, was sie vermochten, und einen solchen Lohn empfingen, daß sie elendiglich umkamen? Und doch wird diese Ungerechtigkeit Gottes, welche der Vernunft sehr einleuchtend ist (probabilis) und durch solche Beweisgründe dargethan wird, welchen keine Vernunft noch Licht der Natur widerstehen kann, sehr leicht durch das Licht des Evangeliums und die Erkenntniß der Gnade aufgehoben, wodurch wir belehrt werden, daß die Gottlosen zwar dem Leibe nach im Wohlergehen leben, aber der Seele nach verloren werden. Und es ist dies die kurze Lösung dieser ganzen unlösbaren Frage in Einem Wörtlein, nämlich, daß es ein Leben gibt nach diesem Leben, in welchem alles das, was hier nicht bestraft und belohnt worden ist, dort bestraft und belohnt werden wird, da dies Leben nichts Anderes ist, als der Vorläufer oder vielmehr der Anfang des künftigen Lebens.

Wenn daher das Licht des Evangeliums, welches allein im Worte und Glauben steht, so viel ausrichtet, daß diese Frage, welche zu allen Zeiten behandelt und nie gelöst worden ist, so leicht aufgelöst und beigelegt wird, was, meinst du wohl, werde geschehen, wenn das Licht des Wortes und der Glaube aufhören und die Sache selbst und die göttliche Majestät, wie sie ist, offenbart werden wird? Meinst du nicht, daß dann das Licht der Herrlichkeit die Frage aufs leichteste auflösen könne, welche im Lichte des Worts oder der Gnade unlösbar ist, da das Licht der Gnade die Frage so leicht löst, welche im Lichte der Natur unlösbar ist? Gestehe mir ein dreifaches Licht zu: das Licht der Natur, das Licht der Gnade und das Licht der Herrlichkeit, wie man insgemein und gar wohl zu unterscheiden pflegt. Im Lichte der Natur ist es unlösbar, daß dieses gerecht sei, daß der Gute geplagt werde und es dem Bösen wohl ergehe. Aber das Licht der Gnade löst dies auf. Im Lichte der Gnade ist es unlösbar, wie Gott den verdammen könne, welcher aus seinen eigenen Kräften durchaus nichts Anderes thun könne als sündigen und schuldbeladen sein; hier entscheiden beide sowohl das Licht der Natur als auch das Licht der Gnade, die Schuld liege nicht an dem elenden Menschen, sondern an dem ungerechten Gotte, denn sie können nicht anders von Gott urtheilen, welcher einem gottlosen Menschen umsonst, ohne Verdienst, den Siegeskranz verleiht (coronat), einem anderen nicht, sondern ihn verdammt, wiewohl er vielleicht weniger oder doch wenigstens nicht mehr gottlos ist. Aber das Licht der Herrlichkeit entscheidet anders, und wird hernach zeigen, daß Gott, dessen Urtheil jetzt nach einer unbegreiflichen Gerechtigkeit ergeht, von einer ganz gerechten und offenbaren Gerechtigkeit sei; nur daß wir dies einstweilen glauben sollen, erinnert und befestigt durch das Exempel des Lichts der Gnade, welches in Bezug auf das Licht der Natur ein gleiches Wunder ausrichtet.

Beschluß des ganzen Buchs.

Hier will ich dieses Büchlein beschließen, und bin bereit, wenn es nöthig sein sollte, diese Sache noch weitläuftiger zu behandeln, wiewohl ich glaube, daß hier dem gottseligen (Leser), welcher der Wahrheit ohne Hartnäckigkeit Raum geben will, reichlich genuggethan sei. Denn, wenn wir glauben, daß es wahr sei, daß Gott alles vorherweiß und zuvorverordnet, dann auch, daß er in seinem Vorherwissen und seiner Vorherbestimmung nicht fehlen noch gehindert werden kann, ferner, daß nichts geschehe, außer durch seinen Willen, was selbst die Vernunft zugestehen muß, so kann zugleich auch nach dem Zeugniß der Vernunft selbst kein freier Wille sein, weder im Menschen, noch in einem Engel, noch in irgend einer Creatur. So, wenn wir glauben, daß der Teufel der Fürst der Welt ist, der Christi Reiche mit allen Kräften beständig auflauert und es bekämpft, um die gefangenen Menschen nicht loszulassen, es sei denn, er werde durch die göttliche Kraft des Geistes dazu getrieben, so ist wiederum offenbar, daß kein freier Wille sein kann.

So auch, wenn wir glauben, daß die Erbsünde uns so verderbt habe, daß sie auch denen, welche vom Geiste getrieben werden, überaus schwer zu schaffen mache, dadurch, daß sie wider das Gute stark ankämpft: so ist es klar, daß in dem Menschen, der den Geist nicht hat, nichts ist, was sich zum Guten wenden könne, sondern nur zum Bösen. Desgleichen, wenn die Juden, die aus allen Kräften der Gerechtigkeit nachstanden, vielmehr in Ungerechtigkeit stürzten, und die Heiden, welche der Gottlosigkeit nachjagten, umsonst und unverhofft zur Gerechtigkeit gelangten, so ist es ebenfalls offenbar, selbst aus Werk und Erfahrung, daß der Mensch ohne die Gnade nichts als Böses wollen könne. Aber kurz, wenn wir glauben, daß Christus durch sein Blut die Menschen erlöst habe, so werden wir gezwungen, zu bekennen, daß der ganze Mensch verderbt gewesen sei, sonst würden wir Christum entweder überflüssig machen, oder zu einem Erlöser des schlechtesten Theiles (am Menschen), was lästerlich wäre, und Gotte rauben, was sein ist.

Nun, lieber Erasmus, bitte ich dich um Christi willen, daß du nun auch halten wollest, was du versprochen hast. Du hast aber versprochen, du wollest dem weichen, der dich eines Bessern belehrte. Laß das Ansehen der Personen fahren. Ich gestehe, daß du ein großer Mann bist, mit vielen und gar herrlichen Gaben von Gott geschmückt, um anderer Dinge zu geschweigen, als, deines scharfen Verstandes, deiner Gelehrsamkeit und deiner ans Wunderbare grenzenden Wohlredenheit. Ich aber habe nichts und bin nichts, nur daß ich mich fast rühmen möchte, ein Christ zu sein. Sodann rühme und preise ich auch dieses an dir gar sehr, daß du allein vor allen die Sache selbst angegriffen hast, das heißt, den kurzen Inbegriff der Sache, mich auch nicht ermüdest mit fernliegenden (alienis) Sachen vom Pabstthum, Fegfeuer, Ablaß und ähnlichen Dingen, die vielmehr Possen sind als Sachen, mit welchen mich bisher fast alle gejagt haben, wiewohl vergeblich. Allein du hast den Hauptangelpunkt erkannt und das Messer an die Kehle gesetzt, wofür ich dir von Herzen Dank sage, denn mit dieser Sache gehe ich gerne um, so viel die Zeit und Muße zuläßt. Wenn dies auch die gethan hätten, welche mich bisher angegriffen haben, und wenn es jetzt noch diejenigen thäten, welche sich jetzt eines neuen Geistes und neuer Offenbarungen rühmen, so hätten wir weniger Aufruhr und Rotten und mehr Frieden und Eintracht. Aber Gott hat so durch den Teufel unsere Undankbarkeit bestraft. Doch, wenn du diese Sache nicht anders handeln kannst, als du es in dieser Diatribe gethan hast, so möchte ich sehr wünschen, daß du, mit deiner Gabe zufrieden, die Wissenschaften und Sprachen, wie du bisher mit großem Nutzen und Ehren gethan hast, pflegtest, ziertest und fördertest. Mit diesem Bemühen hast du auch mir nicht wenig gedient, so daß ich bekenne, daß ich dir vieles verdanke, und in dieser Hinsicht halte ich dich hoch und sehe aufrichtigen Herzens zu dir hinauf. Daß du dieser unserer Sache gewachsen wärest, hat Gott noch nicht gewollt, auch nicht gegeben. Ich bitte dich, du wollest nicht meinen, daß dies aus Anmaßung gesagt sei, ich bitte aber, daß der Herr dich bald in dieser Sache so groß und so viel höher als mich machen wolle, als du mir in allen anderen Dingen überlegen bist. Denn es ist nicht etwas Neues, daß Gott den Moses durch einen Jethro unterweist und den Paulus belehrt durch einen Ananias. Denn, daß du sagst, das sei des Zieles weit gefehlt, wenn du Christum nicht kennen solltest, so glaube ich, du selbst siehst, wie es damit steht. Denn darum werden nicht alle irren, wenn auch wir, du oder ich, irren. Gott ist es, der gepriesen wird, daß er wunderbar ist in seinen Heiligen, so daß wir etwa die für Heilige halten, welche am weitesten von der Heiligkeit entfernt sind. Denn es kann leicht geschehen, daß du, da du ein Mensch bist, Schriftstellen oder Aussprüche der Väter, durch deren Leitung du glaubst das Ziel zu treffen, weder richtig verstehst, noch auch sorgfältig genug in Acht nimmst. Davon ist jenes Wort eine genügsame Anzeige, daß du schreibst, du wollest nichts behaupten, sondern nur gegen einander halten. So schreibt der nicht, welcher eine Sache völlig durchschaut und sie recht versteht. Ich aber habe in diesem Buche nicht gegen einander gehalten, sondern behauptet und behaupte, und will nicht, daß bei irgend jemand das Urtheil stehe, sondern rathe allen, daß sie Folge leisten mögen. Der Herr aber, dessen diese Sache ist, erleuchte dich und mache aus dir ein Gefäß zu Ehren und Herrlichkeit. Amen.

Ende.

(De servo arbitrio, 1525),
in: Dr. Martin Luthers sämmtliche Schriften,
hrg. von Dr. Joh. Georg Walch
(Zweite Walchsche Ausgabe, St. Louis, 1880 - 1910),
Band 18, Sp. 1668 - 1969

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/l/luther/v/vom_unfreien_willen_2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain