Zuletzt angesehen: Luther, Martin - Magnifikat

Luther, Martin - Magnifikat

Luther, Martin - Magnifikat

verdeutscht und ausgelegt durch D. Martin Luther, Augustiner

Jesus

46. Meine Seele erhebt Gott, den Herrn,
47. und mein Geist freuet sich in Gott, meinem Heiland.
48. Denn er hat mich, seine geringe Magd, angesehen, darum werden mich selig preisen Kindeskinder ewiglich.
49. Denn er, der alle Dinge tut, hat große Dinge an mir getan, und heilig ist sein Name.
50. Und seine Barmherzigkeit reicht von einem Geschlecht zum andern bei allen, die sich vor ihm fürchten.
51. Er wirkt gewaltiglich mit seinem Arm und zerstört alle, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52. Er setzt ab die großen Herren von ihrer Herrschaft, und erhöht, die da niedrig und nichts sind.
53. Er macht satt die Hungrigen mit allerlei Gütern, und die Reichen läßt er leer bleiben.
54. Er nimmt sein Volk Israel auf, das ihm dient, nachdem er gedacht an seine Barmherzigkeit,
55. wie er denn versprochen hat unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Um diesen heiligen Lobgesang seiner Ordnung nach zu verstehen, ist zu beachten, daß die hochgelobte Jungfrau Maria aus der eigenen Erfahrung heraus redet, in welcher sie durch den Heiligen Geist erleuchtet und gelehrt worden ist. Denn es kann niemand Gott oder Gottes Wort recht verstehen, er habe es denn unmittelbar von dem Heiligen Geist; niemand kann's aber von dem Heiligen Geist haben, wenn er es nicht erfährt, versucht und empfindet. In dieser Erfahrung lehrt der Heilige Geist als in seiner eigenen Schule; außerhalb dieser wird nichts gelehrt als nur auf Schein bedachtes Wort und Geschwätz. So ist es bei der heiligen Jungfrau. Nachdem sie an sich selbst erfahren hat, daß Gott in ihr so große Dinge wirkt, obwohl sie doch gering, unansehnlich, arm und verachtet gewesen war, lehrt sie der Heilige Geist diese reiche Kenntnis und Weisheit: daß Gott ein solcher Herr sei, der nichts anderes zu schaffen habe, als nur zu erhöhen, was niedrig ist, zu erniedrigen, was da hoch ist, und kurz, zu zerbrechen, was da gemacht ist, und zu machen, was zerbrochen ist.

Denn wie Gott am Anfang aller Kreaturen die Welt aus nichts erschuf (wovon er „Schöpfer“ und „allmächtig“ heißt), so bleibt er unverändert in dieser Art des Wirkens: noch alle seine Werke bis ans Ende der Welt sind so beschaffen, daß er aus dem, das nichts, gering, verachtet, elend, tot ist, etwas macht, etwas Kostbares, Ehrenvolles, Seliges und Lebendiges; andererseits macht er alles, was etwas, was kostbar, ehrenvoll, selig, lebendig ist, zunichte, gering, verachtet, elend und sterbend. Auf diese Weise kann keine Kreatur wirken; sie vermag nicht aus nichts etwas zu machen. Daher kommt's, daß Gottes Augen nur in die Tiefe, nicht in die Höhe sehen, wie Daniel (Gesang der drei Männer im Feuerofen, V. 31) sagt: „Du sitzest über den Cherubim und siehest in die Tiefe.“ Und Ps. 138,6 heißt es: „Gott ist der Allerhöchste und sieht herunter auf die Niedrigen, und die Hohen erkennet er von ferne“; ferner Ps. 113,5f: „Wo ist ein solcher Gott wie der unsrige? Er sitzt am höchsten und siehet doch herunter auf die Niedrigen im Himmel und auf Erden.“ Denn weil er der Allerhöchste ist und es nichts über ihm gibt, kann er nicht über sich sehen; er kann auch nicht neben sich sehen, weil ihm niemand gleich ist. Darum muß er notwendig in sich selbst und unter sich sehen, und je tiefer jemand unter ihm ist, desto besser sieht er ihn.

Aber die Augen der Welt und der Menschen tun das Gegenteil: sie sehen nur über sich und wollen durchaus sich nach oben richten wie Spr. 30,13 steht: „Es ist ein Volk, dessen Augen in die Höhe sehen, und seine Augenbrauen sind in die Höhe gerichtet.“ Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich hinausstrebt nach Ehre, Gewalt, Reichtum, Kenntnissen, Wohlleben und allem, was groß und hoch ist. Und wo solche Leute sind, hängt ihnen jedermann an: da läuft man hinzu, da dient man gern, da will jedermann sein und ihrer Höhe teilhaftig werden.. Nicht umsonst sind darum in der Schrift so wenig Könige und Fürsten als rechtschaffen beschrieben. Umgekehrt will niemand in die Tiefe sehen, wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist; da wendet jedermann die Augen weg. Und wo solche Leute sind, da läuft jedermann davon, da flieht, da scheut, da verläßt man sie, und niemand denkt daran, ihnen zu helfen, beizustehen und zu machen, daß sie auch etwas sind. So müssen sie in der Tiefe und in niedriger, verachteter Stellung bleiben. Es gibt hier keinen Schöpfer unter den Menschen, der aus dem Nichts etwas machen wollte, wie doch S. Paulus Röm. 12,16 lehrt, wo er sagt: „Liebe Brüder, achtet nicht auf die hohen Dinge, sondern haltet euch zu den niedrigen.“

Darum bleibt sie allein Gottes Sache, diese Art zu sehen, die in die Tiefe, in Not und Jammer sieht; er ist nahe allen denen, die in der Tiefe sind, und wie Petrus sagt (1. Pet. 5,5): „Den Hohen widersteht er, den Niedrigen gibt er Gnade.“ Aus dieser Grunderfahrung fließt nun die Liebe zu Gott und sein Lob. Es kann niemand jemals Gott loben, wenn er ihn nicht zuvor lieb hat; ebenso kann niemand Gott lieben, wenn Gott ihm nicht aufs liebevollste und allerbeste bekannt wird. Durch nichts aber kann er so bekannt werden als durch seine Werke, die an uns geoffenbart, gefühlt und erfahren werden; wo er aber erfahren wird, wie er ein solcher Gott ist, der in die Tiefe sieht und nur den Armen, Verachteten, Elenden, Jammervollen, Verlassenen hilft und denen, die gar nichts sind, da wird er einem so herzlich lieb, da geht das Herz über vor Freude, hüpft und springt vor großem Wohlgefallen, das es in Gott bekommen hat. Und da ist dann der Heilige Geist; denn er hat solch überschwengliche Kenntnis und Lust in einem Augenblick der Erfahrung gelehrt.

Darum hat Gott auch den Tod auf uns alle gelegt und das Kreuz Christi mit unzähligen Leiden und Nöten seinen allerliebsten Kindern und Christen gegeben, ja er läßt auch zuweilen in Sünde fallen: denn er will ja viel in die Tiefe zu sehen haben, möchte vielen helfen, viel wirken, sich als einen rechten Schöpfer erzeigen, und damit sich bekannt, liebens- und lobenswert machen. Leider aber widerstrebt die Welt ihm darin mit ihren Augen, die immer über sich sehen, unaufhörlich, und hindert ihn an seinem Sehen, Wirken, Helfen, seinem Erkannt-, Geliebt- und Gelobtwerden, und beraubt ihn aller dieser Ehre, dazu sich selber ihrer Freude, Lust und Seligkeit. So hat er auch seinen einigen, liebsten Sohn Christus selbst hinab in die Tiefe allen Jammers geworfen und hat an ihm besonders deutlich gezeigt, wohin das alles zielt, was sein Sehen, sein Wirken und Helfen, seine Art, sein Rat und Wille ist. Darum bleibt auch Christus, darin trefflich erprobt, voll Erkenntnis, voll Liebe und Lob Gottes ewiglich. Wie Ps. 21,7 sagt: „Du hast ihn erfreut mit lauter Freude vor deinem Angesicht.“, d.h. weil er dich sieht und erkennt. Davon sagt auch Ps. 44,9, daß alle Heiligen nichts anderes tun werden als Gott im Himmel loben, weil er sie in ihrer Tiefe angesehen und ebendort sich ihnen bekannt, liebens- und lobenswert gemacht hat.

So macht es auch hier die liebliche Mutter Christi und lehrt uns durch das Beispiel ihrer eigenen Erfahrung und durch Worte, wie man Gott erkennen, lieben und loben soll. Denn mit fröhlichem, springenden Geist rühmt sie sich hier und lobt Gott, er habe sie angesehen, obwohl sie niedrig und nichts gewesen sei; darum muß man annehmen, daß sie arme, verachtete, geringe Eltern gehabt hat. Und um es anschaulich zu machen für die einfachen Leute: Es sind ohne Zweifel die Töchter der obersten Priester und Ratsherren in Jerusalem reich, hübsch, jung und gebildet gewesen und in den Augen des ganzen Landes aufs ehrenvollste geachtet, wie es jetzt die Töchter der Könige, Fürsten und reichen Leute sind; ebenso ist's auch noch in vielen anderen Städten gewesen. Auch zu Nazareth, in ihrer Vaterstadt, ist sie nicht Tochter der obersten Regenten, sondern eines gewöhnlichen, armen Bürgers gewesen, auf welche niemand viel gesehen noch achtgehabt hat. Und sie ist unter ihren Nachbarn und Töchtern ein schlichtes Mägdlein gewesen, das das Vieh und das Haus besorgt hat, ohne Zweifel nicht mehr als jetzt eine arme Hausmagd sein mag, die tun muß, was man sie im Haus tun heißt.

Denn so hat Jesaja verkündet (Jes. 11,1f.): „Es wird eine Rute ausgehen von dem Stamme Jesse und eine Blume aus seiner Wurzel aufwachsen, auf welcher der Heilige Geist ruhen wird.“ Der „Stamm“ und die „Wurzel“ ist das Geschlecht Jesse oder David, im besonderen die Jungfrau Maria: die „Rute“§ und „Blume“ ist Christus. Nun, wie es nicht so aussieht, vielmehr unglaublich ist, daß aus einem dürren Stamm und einer faulen Wurzel eine schöne Rute und Blume wachse, so sah es auch nicht so aus, als sollte die Jungfrau Maria eines solchen Kindes Mutter werden. Denn ich meine, sie werde nicht allein darum ein „Stamm“ und eine „Wurzel“ genannt, weil sie übernatürlich, in unversehrter Jungfräulichkeit, eine Mutter geworden ist, wie es über die Natur hinausgeht, daß eine Rute auf einem toten Holzblock wächst, sondern auch aus einem zweiten Grund. Der königliche Stamm und das Geschlecht Davids, welches einmal in großer Ehre, Gewalt, Reichtum und Glück grünte und blühte zu Davids und Salomos Zeiten, war ja wohl auch vor der Welt etwas Hohes; aber am Ende, als Christus kommen sollte, hatten die Priester diese Ehre an sich gebracht und regierten allein, und das königliche Geschlecht Davids war vor Armut und Verachtung wie ein toter Block, so daß nicht mehr zu hoffen war und es nicht mehr so aussah, als sollte aus ihm noch einmal ein König zu großen Ehren kommen. Und gerade als diese Entwicklung zur Unansehnlichkeit ihren Höhepunkt erreicht hatte, kommt Christus und wird aus dem verachteten Stamm, von dem geringen, armen Dirnlein geboren; da wächst die Rute und die Blume daher von dieser Person, welche des Herrn Hannas oder Kaiphas Töchter nicht für würdig gehalten hätte, ihre geringste Magd zu sein. So geht, was Gott wirkt und sieht, in der Tiefe vor sich, was Menschen sehen und wirken, nur in der Höhe.

Das ist nun die Ursache ihres Lobgesangs; den wollen wir nun hören von Wort zu Wort.

1. Meine Seele erhebt Gott, den Herren (Vers 47a)

Dies Wort entspringt aus großer Inbrunst und überschwenglicher Freude, worin sich ihr Gemüt und Leben von innen her im Geiste ganz erhebt. Darum spricht sie nicht: „Ich erhebe Gott“, sondern „meine Seele“, als wollte sie sagen: „Es schwebt mein Leben samt all meinen Sinnen in Gottes Liebe, Lob und hohen Freuden, daß ich, meiner selbst nicht mächtig, mehr erhoben werde als mich selber erhebe zu Gottes Lob.“ So ergeht es ja all denen, die von Gottes Süßigkeit und Gottes Geist durchströmt werden, daß sie mehr fühlen, als sie sagen könnten. Denn es ist kein Menschenwerk, Gott mit Freuden loben. Es ist mehr ein fröhliches Erleiden und allein ein Gotteswerk, das sich mit Worten nicht lehren, sondern nur durch eigene Erfahrung kennenlernen läßt. In diesem Sinne sagt David Ps. 34,9: „Schmecket und sehet, wie süß Gott der Herr ist, selig ist der Mensch, der ihm trauet.“ An die erste Stelle setzt David das „Schmecken“, dann das „Sehen“, deshalb, weil sich's nicht erkennen läßt ohne eigene Erfahrung und Empfindung.. Zu dieser kommt jedoch niemand, der nicht Gott mit ganzem Herzen vertraut, wenn er in der Tiefe und Not ist; darum läßt David gleich darauf folgen: „Selig ist der Mensch, der Gott vertraut“; denn ein solcher wird Gottes Wirken in sich erfahren und so zu jener fühlbaren Süßigkeit und dadurch zu allem Verständnis und aller Erkenntnis kommen.

Wir wollen ein Wort nach dem andern erwägen. Das erste ist: „Meine Seele“. Die Schrift gliedert den Menschen in drei Teile. S. Paulus sagt in 1. Thess. 5,23: „Gott, der ein Gott des Friedens ist, der mache euch heilig durch und durch, so daß euer ganzer Geist samt Seele und Leib unsträflich erhalten werde auf die Zukunft unseres Herrn Jesu Christi.“ Ferner wird bei jedem dieser drei Stücke wie auch beim ganzen Menschen noch in anderer Weise eine Teilung in zwei Stücke vollzogen, die Geist und Fleisch heißen. Das ist eine Teilung nicht der Natur, sondern den Eigenschaften nach; d.h. die Natur hat drei Stücke, Geist, Seele und Leib, und diese können allesamt gut oder böse sein; das heißt dann: „Geist“ und „Fleisch“ sein (wovon jetzt nicht zu reden ist).

Das erste Stück, der Geist, ist das höchste, tiefste und edelste Teil des Menschen, wodurch er befähigt ist, unbegreifliche, unsichtbare, ewige Dinge zu fassen. Kurz, er ist das Haus, darinnen der Glaube und Gottes Wort wohnt. Davon sagt David Ps. 51,12: „Herr, schaffe in meinem Innersten einen richtigen Geist“, d.h. einen auf rechten, geraden Glauben. Umgekehrt heißt es von den Ungläubigen, Ps. 78,37: „Ihr Herz war nicht zu Gott gerichtet, und ihr Geist stand nicht im Glauben an Gott.“

Das zweite Stück, die Seele, ist ihrer Natur nach ebenderselbe Geist, aber doch in einer andern Wirkungsart, nämlich in der, daß er den Leib lebendig macht und durch ihn wirkt. Er wird oft in der Schrift für das „Leben“ genommen; denn der Geist kann wohl ohne den Leib leben, aber der Leib lebt nicht ohne den Geist. Bei diesem Stück sehen wir, wie es auch im Schlaf und unaufhörlich lebt und wirkt. Seine Art ist nicht, die unbegreiflichen Dinge zu fassen, sondern, was die Vernunft erkennen und ermessen kann. Die Vernunft ist nämlich hier das Licht in diesem Hause, und wo nicht der Geist, vom Glauben als von einem höheren Licht erleuchtet, dies Licht der Vernunft regiert, so kann sie nimmermehr ohne Irrtum sein. Denn sie ist zu minderwertig, um mit göttlichen Dingen umzugehen. Diesen zwei Stücken spricht die Schrift vielerlei Eigenschaften zu, z.B. sapientiam und scientiam, die Weisheit dem Geist, die Erkenntnis der Seele; sodann auch Haß, Liebe, Grauen und dergleichen.

Das dritte Stück ist der Leib mit seinen Gliedern. Seine Werke sind nur die Ausübung und Anwendung dessen, was die Seele erkennt und der Geist glaubt.

Um dafür ein Gleichnis anzuführen aus der Schrift: Mose macht ein Zelt mit drei verschiedenen Abteilungen. Die erste hieß sanctum sanctorum; darin wohnte Gott, und es war kein Licht darinnen. Die andere hieß sanctum; darinnen stand ein Leuchter mit sieben Röhren und Lampen. Die dritte hieß atrium, der Hof; das war unter dem freien Himmel, öffentlich, im Lichte der Sonne. In dieser sinnbildlichen Darstellung ist ein Christenmensch gezeichnet. Sein Geist ist das sanctum sanctorum, Gottes Wohnung im finstern Glauben ohne Licht; denn er glaubt, was er weder sieht noch fühlt, noch begreift. Seine Seele ist das sanctum. Da sind sieben Lichter, d.h. Fähigkeiten aller Art, die leiblichen sichtbaren Dinge zu verstehen, zu unterscheiden, zu wissen und zu erkennen. Sein Körper ist das atrium; der ist jedermann offenbar, daß man sehen kann, was er tut und wie er lebt.

Nun betet Paulus (1. Thess. 5,23), Gott, der ein Gott des Friedens ist, wolle uns heilig machen, nicht in einem Stück allein, sondern ganz und gar, durch und durch, daß Geist, Seele und Leib und alles heilig sei. Über die Ursache dieses Gebets wäre viel zu sagen; in Kürze: Wenn der Geist nicht mehr heilig ist, so ist nichts mehr heilig. Nun ist des Geistes Heiligkeit am heftigsten umstritten und am meisten gefährdet; denn sie besteht nur in dem bloßen, lautern Glauben, weil ja, wie gesagt, der Geist nicht mit greifbaren Dingen umgeht. So kommen dann falsche Lehrer und locken den Geist heraus; einer hält das Werk, der andere die Weise vor, um rechtschaffen zu werden. Wenn dann der Geist hier nicht bewahrt wird, und weise ist, so fällt er heraus und folgt, kommt auf die äußerlichen Werke und Weisen und meint, damit rechtschaffen zu werden: Alsbald ist der Glaube verloren und der Geist tot vor Gott.

Da tun sich dann mancherlei Sekten und Orden auf: der eine wird ein Kathäuser, der andere ein Barfüßer; der will mit Fasten, der mit Beten, einer mit dem, der andere mit einem andern Werk selig werden. Und es sind doch allesamt selbsterwählte Werke und Orden, von Gott nie geboten, nur von

Menschen erdacht! Neben ihnen her geben sie nicht mehr auf den Glauben acht und lernen immer weiter auf die Werke bauen, so lange, bis sie so tief hineinkommen, daß sie darüber uneins werden. Ein jeder will der Beste sein und verachtet den andern, wie jetzt unsere Observanten sich brüsten und aufblasen. Gegen solche Werkheiligen und fromm scheinenden Lehrer bittet hier (1. Thess. 5,23) Paulus, wenn er sagt, Gott sei ein Gott des Friedens und der Einigkeit. Denn ihn können solche uneinigen, unfriedsamen Heiligen nicht haben noch festhalten, außer wenn sie ihre eigne Sache fallenlassen und alle miteinander im Geist und Glauben zusammenkommen und erkennen, daß die Werke nur Unterschiede, Sünde und Unfrieden machen, während allein der Glaube rechtschaffen, einig und friedsam macht. So steht es in Ps. 68,7: „Gott macht, daß wir einig in dem Hause wohnen.“ Und Ps. 133,1: „Ei, wie fein und lieblich ist's, daß die Brüder einig beieinander wohnen.“

Der Friede kommt von nirgends her als davon, daß man lehrt, wie kein Werk, keine äußerliche Weise rechtschaffen, gerecht und selig macht, sondern nur der Glaube, d.h. die gute Zuversicht zu der unsichtbaren Gnade Gottes, die uns versprochen ist; davon habe ich in den „guten Werken“ viel gesagt. Und wo dieser Glaube nicht ist, da müssen viel Werke sein, die dann Unfrieden und Uneinigkeit zur Folge haben, so daß kein Gott mehr dableibt. Deshalb begnügt sich S. Paulus hier (1. Thess. 5,23) nicht, zu sagen: „daß euer Geist, eure Seele usw.“, sondern „euer ganzer Geist“; denn an ihm liegt es ganz und gar. Er gebraucht hier in der griechischen Sprache ein feines Wort: to holokleron pneuma hymon, d.h. „euer Geist, der das ganze Erbe besitzt“, als wolle er sagen: „Lasset euch durch keine Lehre von den Werken irremachen; der gläubige Christ hat's allein ganz und gar. Es liegt nur am Glauben des Geistes; diesen das ganze Erbe besitzenden Geist, bitte ich, wolle euch Gott behüten vor den falschen Lehren, die durch Werke Zuversicht zu Gott hervorrufen wollen; das sind doch irregeführte Gewissen, weil sie nicht einzig auf Gottes Gnade solche Zuversicht bauen.“

Wenn nun ein solcher das ganze Erbe besitzender Geist erhalten bleibt, dann kann auch die Seele und der Leib ohne Irrtum und böse Werke bleiben. Andernfalls, wo der Geist ohne Glauben ist, ist's nicht möglich, daß die Seele und das ganze Leben nicht unrichtig und irre gehen sollte, auch wenn sie ihre gute Meinung und Gutdünken anwenden und selber Andacht und Wohlgefallen dabei verspüren mag. Ebenso sind dann wegen dieses Irrtums und falschen Gutdünkens der Seele auch alle Werke des Leibes böse und verworfen, auch wenn sich jemand zu tot fastete und aller Heiligen Werke täte. Darum ist's nötig, daß uns Gott zuerst den Geist, dann Seele und Leib behüte, daß wir nicht umsonst wirken und leben; so sollen wir wirklich heilig werden, nicht allein los von den offenkundigen Sünden, sondern viel mehr auch von den falschen und gleißenden guten Werken.

Das sei zur Erklärung der zwei Worte „Seele“ und „Geist“ gesagt, deshalb, weil sie sehr gebräuchlich sind in der Schrift; damit mag es für diesmal genug sein.

Dann kommt das Wörtlein „Magnifikat“. Das heißt: „groß machen“, „erheben“ und „viel von einem halten“, von dem gebraucht, der große und viele und gute Dinge vermag, weiß und tun will, wie es denn in diesem Lobgesang nachher folgt. Gleichwie also das Wort „Magnifikat“ wie ein Titel eines Buches anzeigt, wovon darin geschrieben ist, ebenso zeigt auch Maria mit diesem Wort an, wovon ihr Lobgesang lauten soll: nämlich von großen Taten und Werken Gottes, um unsern Glauben zu stärken, alle Geringen zu trösten und alle hohen Menschen auf Erden zu schrecken. Zu diesem dreifachen Gebrauch oder Nutzen müssen wir den Lobgesang dienen lassen und dies erkennen; denn sie hat nicht für sich allein, sondern für uns alle gesungen, daß wir ihr nachsingen sollen. Nun kann's nicht sein, daß jemand erschrecke oder sich tröste auf Grund von solchen großen Taten Gottes, wenn er nicht glaubt, Gott vermöge und wisse große Taten zu tun; aber nicht allein dies, sondern er muß auch glauben, Gott wolle so tun und habe eine Vorliebe dafür, solches zu tun. Ja, es ist auch nicht genug, daß du glaubst, er wolle an andern, aber nicht an dir große Taten tun, und wolle so dich von solch göttlicher Tat ausnehmen; so machen die es, die Gott nicht fürchten, wenn sie mächtig sind, und die kleinmütig verzagen, wenn sie in Bedrängnis sind.

Derartige Formen von Glauben sind nichts und ganz tot, wie ein Wahn, den eine Fabel gezeugt hat. Du mußt vielmehr ohne alles Wanken, ohne alles Zweifeln den Willen Gottes über dich dir vor Augen stellen, daß du fest glaubst, er werde und wolle auch mit dir große Dinge tun. Dieser Glaube lebt und webt; der dringt durch und ändert den ganzen Menschen; der zwingt dich, daß du in Furcht sein mußt, wenn du hoch bist, und getrost sein darfst, wenn du niedrig bist. Und je höher du bist, desto mehr mußt du dich fürchten; je tiefer du bedrückt bist, desto mehr kannst du dich trösten. Das bewirkt kein Glaube von einer jener andern Arten. Wie willst du es in Todesnöten machen? Da darfst du doch nicht bloß glauben, daß Gott dir zu helfen vermöge und wisse, sondern auch, daß er dir helfen wolle; muß doch ein ganz unsagbar großes Werk geschehen, damit du vom ewigen Tod erlöst, ewig selig und Gottes Erbkind werdest. Dieser Glaube vermag alle Dinge, wie Christus sagt (Mk. 9,23), der hat allein Bestand, der gelangt auch zur Erfahrung des göttlichen Wirkens und dadurch zur Liebe zu Gott; so kommt er denn Gott gegenüber zum Loben und Singen, daß der Mensch Großes von Gott hält und ihn recht groß macht.

Denn Gott wird nicht in seiner Natur von uns groß gemacht, da er ja unwandelbar ist, sondern in unserer Erkenntnis und Empfindung, d.h. indem wir viel von ihm halten und ihn groß achten, vor allem in Beziehung auf seine Güte und Gnade. Darum spricht die heilige Mutter nicht: „§“Meine Stimme„, auch nicht „meine Hand“, auch nicht „Meine Gedanken“, auch nicht „Meine Vernunft“ oder „mein Wille“ „macht den Herrn groß“. Denn ihrer gibt's viele, die Gott mit lauter Stimme preisen, mit köstlichen Worten von ihm predigen, viel von ihm reden, disputieren, schreiben und malen; viele, die sich Gedanken über ihn machen und mit der Vernunft nach ihm trachten und spekulieren; und zudem viele, die in falscher Andacht und mit falschem Willen ihn erheben. Vielmehr sagt sie so: „Meine Seele macht ihn groß“, d.h. „mein ganzes Leben, weben, meine Sinne und Kräfte halten viel von ihm“. So ist sie gleichsam in ihn verzückt und fühlt sich emporgehoben in seinen gnädigen, guten Willen, wie der folgende Vers (Luk. 1,47) zeigt.

In ähnlicher Weise erleben wir es bei uns: wenn uns jemand etwas besonders Gutes tut, bewegt sich gleichsam unser ganzes Leben zu ihm hin, und wir sprechen: „Oh, ich halte viel von ihm“, d.h. eigentlich „Meine Seele macht ihn groß“. Wie viel mehr wird eine solch lebendige Bewegung sich regen, wenn wir Gottes Güte empfinden, die überschwenglich groß ist in seinen Werken! Alle Worte und Gedanken werden uns dann zu wenig werden, und das ganze Leben muß sich bewegen lassen, als wollte alles gerne davon singen und sagen, was in uns lebt.

Aber dabei gibt's nun zweierlei falsche Geister, die das Magnifikat nicht recht singen können: die ersten sind die Leute, die Gott nicht eher loben, als bis er ihnen eine Wohltat erweist, wie David sagt Ps. 49,19: „Sie loben dich, wenn du ihnen wohl tust.“ Diese scheinen Gott gar sehr zu loben. Aber weil sie niemals Unterdrückung erleiden wollen und die Tiefe, können sie niemals das rechte Wirken Gottes erfahren, und darum auch niemals Gott recht lieben und loben. In dieser Art ist jetzt alle Welt voll vom Dienst und Lob Gottes mit Singen, Predigen, Orgeln und Musizieren, und das Magnifikat wird herrlich gesungen; aber daneben ist's zum Erbarmen, daß solch köstlicher Gesang so ganz ohne Kraft und Saft von uns gebraucht werden soll. Denn wir singen nicht eher, als bis es wohl geht; geht's aber übel, ist das Singen aus. Da hält man dann nichts mehr von Gott, und wir meinen, Gott könne oder wolle nichts bei uns wirken; damit muß das Magnifikat auch ausbleiben.

Die andern sind noch gefährlicher, die nach der andern Seite abweichen: Sie machen sic<h groß mit Gottes Gütern, ohne doch diese rein der Güte Gottes zuzuschreiben; sie wollen auch etwas daran haben, wollen darob von anderen

Menschen geehrt und angesehen sein. Sie schauen ihr großes Gut an, das Gottes Werk bei ihnen ist, klammern sich daran und beanspruchen es als ihr Eigentum und halten sich den andern gegenüber, die so etwas nicht haben, für etwas Besonderes. Das ist fürwahr ein glatter, schlüpfriger Standpunkt: Gottes Güter machen Herzen, wie es deren Natur entspricht, hoffärtig und selbstgefällig.

Darum ist's hier nötig, das letzte Wörtlein zu beachten: „Gott“. Denn Maria sagt nicht: „Meine Seele macht groß - sich selbst“, oder „hält viel von mir“; sie wollte auch gar nichts von sich gehalten haben. Vielmehr macht sie allein Gott groß; dem schreibt sie es ganz allein zu. Sie zieht sich aus und trägt's alles gänzlich wieder zu Gott hinauf, von dem sie es empfangen hatte. Denn obwohl sie eine solch überschwengliche Tat Gottes in sich empfand, war sie und blieb sie doch so gesinnt, daß sie sich nicht über den geringsten Menschen auf Erden erhob; wenn sie es getan hätte, wäre sie mit Luzifer in den Abgrund der Hölle gefallen. Sie hat nicht anders gedacht: sie wollte, wenn eine andere Magd diese Güter von Gott bekäme, ebenso fröhlich sein und es ihr ebenso wohl gönnen als sich selbst, ja, sie wollte sich allein solcher Ehre für unwürdig und alle andern für würdig erachten; und sie wäre auch dann noch wohl zufrieden gewesen, wenn Gott ihr diese Güter weggenommen und vor ihren Augen einer andern gegeben hätte. So ganz und gar nichts von dem allen hat sie sich angemaßt und hat Gott seine Güter frei und ledig und zu eigen gelassen; sie ist nicht mehr als eine fröhliche Herberge und willige Wirtin dieses Gastes gewesen. Darum hat sie auch das alles ewiglich behalten.

Sieh, das heißt Gott allein groß machen, nur von ihm allein groß denken und für uns keinen Anspruch erheben. Daraus sieht man, wie vielfachen Anlaß sie gehabt hat, zu fallen und zu sündigen, so daß es kein kleines Wunder ist, wie sie sich der Hoffart und Anmaßung enthalten, als daß sie solche Güter empfangen hat. Erwägst du nicht, welch wunderbares Herz dies ist? Sie sieht sich als Gottesmutter über alle Menschen hinausgehoben und bleibt doch so einfältig und gelassen dabei, daß sie deshalb nicht eine geringe Dienstmagd für unter ihr stehen angesehen hätte. Oh, wir armen Menschen! Wenn wir ein wenig Gut, Gewalt oder Ehre haben, ja ein wenig hübscher sind als andere, sind wir nicht imstande, uns einem Geringeren gleichzustellen, und gibt's im Ansprüchemachen kein Maß; was wollten wir erst tun, wenn wir große, hohe Güter hätten?

Darum läßt uns Gott auch arm und unglücklich bleiben, weil wir seine lieblichen Güter nicht unbefleckt lassen; wir bringen's nicht fertig, von uns gleich viel zu halten wie zuvor, sondern lassen unser Selbstbewußtsein immer mitwachsen und abnehmen, je nachdem die Güter kommen oder gehen. Aber dies Herz Marias steht fest und gleich zu aller Zeit: sie läßt Gott in sich wirken nach seinem Willen und nimmt nicht mehr daraus als einen guten Trost, Freude und Zuversicht in Gott. So sollten wir es auch machen; das wäre ein rechtes Magnifikat gesungen!

2. Und mein Geist freuet sich in Gott, meinem Heiland (Vers 47b)

Was der Geist sei, ist jetzt schon gesagt worden: er ist es nämlich, der die unbegreiflichen Dinge durch den Glauben erfaßt. Darum nennt sie auch Gott ihren Heiland oder ihre Seligkeit, obwohl sie das doch nicht sah und nicht empfand; vielmehr traute sie in fester Zuversicht darauf, er sei ihr Heiland und ihre Seligkeit, ein Glaube, den sie aus dem Gotteswerk, das in ihr geschehen war, empfangen hatte. Und fürwahr, der rechten Ordnung entsprechend fängt sie an, wenn sie Gott eher ihren Herrn nennt als ihren Heiland und eher ihren Heiland, als daß sie seine Werke erzählt. Damit lehrt sie uns, wie wir Gott bloß und recht der Ordnung entsprechend lieben und loben sollen, und ja nichts, was unser ist, an ihm suchen; der aber liebt und lobt Gott allein und recht, der ihn nur darum lobt, daß er gut ist, und der nichts weiter als seine bloße Gütigkeit ansieht, und nur in ihr seine Lust und Freude hat. Das ist eine hohe, reine, liebliche Weise zu lieben und zu loben, die einem solch hohen, lieblichen Geist wohl ansteht, wie ihn diese Jungfrau hat.

Die unreinen und verkehrten Liebhaber, welche auf nichts als auf bloßen Genuß ausgehen und das Ihre an Gott suchen, die lieben und loben nicht seine bloße Gütigkeit, sondern sehen auf sich selber und achten nur darauf, wie viel Gott ihnen gegenüber gut ist, d.h. in welchem Maße er seine Güte ihnen fühlbar erzeigt und ihnen wohltut. Sie halten viel von ihm, sind fröhlich, singen und loben ihn, solange dieses Fühlen anhält. Wenn sich aber Gott verbirgt und seiner Güte Glanz an sich zieht, so daß sie bloß und elend sind, so ist es zugleich auch mit ihrem Lieben und Loben aus, und sie vermögen nicht die bloße, unfühlbare Güte, wie sie in Gott verborgen ist, zu lieben und zu loben. Damit beweisen sie, daß nicht ihr Geist in Gott, dem Heiland, sich erfreut hat; es ist kein rechtes Lieben und Loben der bloßen Güte dagewesen, sondern sie haben viel mehr Lust gehabt am Heil als am Heiland, mehr an den Gaben als an dem Geber, mehr an der Kreatur als an Gott. Denn sie können nicht gleichbleiben im Haben und Mangelleiden, in Reichtum und Armut, wie S. Paulus sagt (Phi. 4,12): „Ich habe es gelernt, daß ich übrig haben und Mangel leiden kann.“

Von diesen sagt Ps. 49,19: „Sie loben dich, so lange du ihnen wohltust“, als wollte er sagen: „Sie haben sich im Auge und nicht dich; wenn sie nur Lust und Güter von dir bekämen, so gäben sie nichts auf dich.“ In diesem Sinne sagt auch Christus Joh. 6,26 zu denen, die ihn suchten: „Wahrlich, ich sage euch, ihr suchet mich nicht deshalb, weil ihr Zeichen gesehen, sondern weil ihr gegessen habt und satt geworden seid.“ Solche unreinen, falschen Geister beschmutzen alle Gaben Gottes und hindern ihn, so daß er ihnen nicht viel gibt, auch nicht zu ihrer Seligkeit an ihnen wirken kann.

Davon wollen wir ein feines, vorbildliches Beispiel hören. Es hat einmal ein rechtschaffenes Weib ein Gesicht gesehen, wie drei Jungfrauen an einem Altar saßen. Während der Messe kam ein hübscher kleiner Junge vom Altar her gelaufen und ging zu der ersten Jungfrau, tat freundlich zu ihr, herzte sie und lachte sie lieblich an. Danach ging er zu der zweiten, tat aber nicht so freundlich zu ihr, herzte sie auch nicht; doch hob er ihren Schleier auf und lächelte sie freundlich an. Der dritten aber machte er kein freundliches Zeichen, schlug sie ins Gesicht, raufte sie und stieß sie, und ging ganz unfreundlich mit ihr um; dann lief er schnell wieder zum Altar hinauf und verschwand.

Dann wurde jenem Weibe dieses Gesicht in folgender Weise ausgelegt: Die erste Jungfrau bedeutet die unreinen, selbstsüchtigen Geister; ihnen muß Gott viel Gutes und mehr ihren eigenen Willen tun als sie den seinen; sie wollen nichts entbehren, allzeit aber Trost und Lust an Gott haben, ohne sich an seiner Güte genügen zu lassen. Die zweite Jungfrau bedeutet die Geister, die angefangen haben, Gott zu dienen und wohl etwas Mangel leiden, doch nicht völlig; sie sind nicht frei von Eigennutz und Selbstsucht. Gott muß ihnen zuweilen einen liebreichen Blick zuwerfen und sie seine Güte empfinden lassen, daß sie dadurch auch seine bloße Gütigkeit lieben und loben lernen. Aber die dritte Jungfrau, das arme Aschenbrödel, hat nichts als lauter Mangel und Ungemach, sucht keinen Nutzen und läßt sich daran genügen, daß Gott gut ist, auch wenn sie es niemals empfinden sollte (was doch unmöglich ist). Sie bleibt ein und dieselbe, so oder so, liebt und lobt Gottes Gütigkeit ebensosehr, wenn sie nicht spürbar, als wenn sie spürbar wird; sie klammert sich nicht an die Güter, wenn solche vorhanden sind, wird auch nicht abtrünnig, wenn solche nicht vorhanden sind. Das ist die rechte Braut, die zu Christus spricht: „Ich will nicht das Deine, ich will dich selber haben; du bist mir nicht lieber, wenn's mir wohl geht, auch nicht weniger lieb, wenn's mir schlecht geht.“

Solche Geister erfüllen das, was Jes. 30,21 geschrieben steht: „Ihr sollt nicht weichen von der geraden, richtigen Gottesstraßen, weder zur linken, noch zur rechten Seite“, d.h. sie sollen gleichmäßig und richtig Gott lieben und loben, nicht sich selber suchen und ihren eigenen Nutzen. Einen solchen Geist hatte David: Als er durch seinen Sohn Absalom von Jerusalem vertrieben wurde und es drauf und dran war, daß er für immer verworfen, nie mehr König sein und zu Gottes Gunst kommen würde, sprach er (2. Sam. 15,25f.) „Gehet hinweg; will mich Gott haben, wird er mich wohl wieder hineinführen, spricht er aber: Ich will dich nicht, so bin ich bereit dazu.“ Oh, was für ein reiner Geist ist das gewesen, der in der höchsten Not nicht davon abläßt, Gottes Güte zu lieben, zu loben und ihr zu folgen. Einen solchen Geist läßt hier die Mutter Gottes, Maria, sehen: mitten in den großen, überschwenglichen Gütern schwebend, klammert sie sich doch nicht daran, sucht nicht ihren eigenen Nutzen darin, sondern hält ihren Geist rein im Lieben und Loben der bloßen Gütigkeit Gottes; so ist sie bereit, willig und gern es anzunehmen, wenn Gott sie der Güter wieder berauben und ihr nur noch einen armen, nackten, Mangel habenden Geist lassen wollte.

Nun ist man ja so viel mehr gefährdet, wenn man im Besitz von Reichtum und großen Ehren oder großer Macht sich mäßigen soll, als wenn man in Armut, Schande und Schwachheit ist; denn Reichtum, Ehre und Macht geben einen starken Anreiz und Anlaß zum Bösen. Dementsprechend ist hier der wunderbar reine Geist Marias um so viel mehr zu preisen; denn sie steht in solch übermäßigen Ehren, und läßt sich dennoch nicht davon anfechten, tut, als sähe sie es nicht, und bleibt gleich und richtig auf der Straße. Sie hängt nur an der göttlichen Gütigkeit, die sie nicht sieht noch empfindet, und läßt die Güter fahren, die sie empfindet; sie hat daran keine Lust und such nicht ihren eigenen Nutzen. So sing sie wahrlich aus rechtem, wahrem Grund: „Mein Geist erfreuet sich in Gott, meinem Heiland.“ Wahrlich, das ist ein Geist, der nur im Glauben frohlockt und hüpft; sie ist nicht fröhlich von den Gütern Gottes, die sie empfand, sondern nur von Gott, den sie nicht empfand, als von ihrem Heil, wie sie ihn nur im Glauben erkannte. Oh, das sind die rechten, niedrigen, leeren, hungrigen, gottesfürchtigen Geister. Davon im nachfolgenden mehr.

Daraus können wir erkennen und beurteilen, wie voll zur Zeit die Welt von falschen Predigern und Heiligen ist, die dem armen Volk von guten Werken viel predigen. Nun gibt es zwar einige wenige, die auch das predigen, wie sie gute Werke tun sollen; der größere Teil predigt Menschenlehre und -werke, die sie selber erdacht und aufgestellt haben. Aber doch sind leider die Allerbesten unter ihnen noch sehr weit von der rechten, richtigen Straße entfernt, so daß sie das Volk immer auf die rechts gelegene Straße treiben; denn sie lehren die guten Werke zu tun und ein gutes Leben zu führen nicht um Gottes bloßer Gütigkeit willen, sondern um ihres eigenen Nutzens willen. Denn wenn es keinen Himmel und keine Hölle gäbe, und sie dürften sich keinen Genuß von Gottes Güte versprechen, so ließen sie seine Güte wohl fahren, ohne sie zu lieben und zu loben. Das sind lauter Genießer und Mietlinge, Dienstknechte und nicht Kinder, Fremdlinge und nicht Erben. Sie machen sich selber zum Abgott, und Gott soll sie lieben und loben, und gerade das ihnen tun, was sie ihm tun sollten. Sie haben keinen Geist, Gott ist auch nicht ihr Heiland, sondern seine Güter sind ihr Heiland, mit denen ihnen Gott wie ein Knecht dienen muß. Das sind die Kinder von Israel, die in der Wüste sich nicht mit dem Himmelsbrot begnügten, sondern auch Fleisch, Zwiebel und Knoblauch essen wollten. (4. Mo. 11,4 ff.)

Nun ist leider alle Welt, alle Klöster, alle Kirchen voll mit solchen Leuten, die alle miteinander in dem falschen, verkehrten, unrichtigen Geist wandeln, treiben und jagen. Sie erheben die guten Werke so hoch, daß sie den Himmel damit zu verdienen meinen, während doch vor allen Dingen die bloße Gütigkeit Gottes gepredigt und erkannt werden sollte. Denn - das sollten wir wissen - ebenso, wie Gott aus lauter Güte uns selig macht ohne alles Verdienst durch Werke, so sollten wir auch wieder die Werke, ohne irgendwelchen Lohn oder Nutzen zu suchen, um der bloßen Güte Gottes willen tun, und darin nichts weiteres begehren als sein Wohlgefallen. Wir sollten nicht um den Lohn sorgen, der wird sich von selbst richtig finden und ohne unser Bemühen folgen. Denn obgleich es unmöglich ist, daß der Lohn nicht folgen sollte, wenn wir aus reinem, rechteingestelltem Geist, ohne Lohn oder Nutzen zu suchen, wohl tun, so will doch Gott diesen selbstsüchtigen, unreinen Geist nicht haben: einem solchen fällt auch niemals der Lohn zu. Es ist gerade wie bei einem Kind, das als ein Erbe dem Vater willig umsonst dient, nur um seines Vaters willen; und wenn ein Kind dem Vater nur um Erb' und Gut dient, so ist's verdientermaßen ein verhaßtes Kind und wert, daß es der Vater verstoße.

3. Denn er hat angesehen die Nichtigkeit seiner Magd, darum werden mich selig preisen alle Kindeskinder. (Vers 48)

Das Wörtlein „humilitas“ haben etliche hier zur „Demut“ gemacht, als hätte die Jungfrau Maria auf ihre Demut hingewiesen und sich ihrer gerühmt. Daher kommt's, daß sich etliche Prälaten auch „humiles“ nennen, was gar weit von der Wahrheit entfernt ist. Denn vor Gottes Augen kann sich niemand eines guten Dinges ohne Sünde und Verderben rühmen. Man darf sich vor ihm keines weiteren Dings rühmen als seiner lauteren Güte und Gnade, die er uns Unwürdigen erwiesen hat; denn nicht für uns, sondern allein für Gott sollen wir Liebe und Lob haben, und das soll uns erhalten, wie Salomo Spr. 25,6 f. lehrt: „Du sollst nicht mit Selbstruhm erscheinen vor dem König und nicht stehen vor den großen Herren; es ist für dich besser, man sagt zu dir: „Sitze herauf“, als daß du erniedrigt wirst vor dem Fürsten.“ Wie sollte man denn dieser reinen, rechtschaffenen Jungfrau solche Vermessenheit und solchen Hochmut zuschreiben, daß sie sich ihrer Demut vor Gott rühmte! Das ist doch die allerhöchste Tugend, und niemand achtet sich für demütig oder rühmt sich deshalb, als wer der Allerhochmütigste ist. Gott allein erkennt die Demut; er beurteilt und offenbart sie auch allein, so daß der Mensch niemals weniger von der Demut weiß als eben dann, wenn er recht demütig ist.

Der Sprachgebrauch der Schrift ist, daß in ihr „humiliare“ „erniedrigen“ und „zu nichts machen“ heißt, und darum heißen die Christen in der Schrift an vielen Stellen „pauperes“, „afflicti“, „humiliati“, „arme“, „nichtige“, „verworfene“ Leute, wie Ps. 116,10: „Ich bin gar sehr zunichte worden.“ So ist humilitas nichts anderes als ein Wesen oder Zustand, bei dem man verachtet, unansehnlich und niedrig ist, wie es die armen, kranken, hungrigen, durstigen, gefangenen, leidenden und sterbenden Menschen sind. So war es bei Hiob in seiner Anfechtung und bei David, als er verstoßen wurde aus seinem Reich, und bei Christus samt allen Christen in ihren Nöten. Das sind die Tiefen, von denen oben gesagt wurde, daß Gottes Augen nur in die Tiefe sehen, Menschenaugen dagegen nur in die Höhe. Darum heißt Jerusalem in der Schrift eine Stätte, darauf Gottes Augen sehen, d.h. die Christenheit liegt in der Tiefe und ist unansehnlich vor der Welt; drum sieht sie Gott an und hat seine Augen unverwandt über ihr, wie er sagt Ps. 32,8: „Ich will meine Augen unverwandt auf dich richten.“ So sagt auch S. Paulus 1. Kor. 1,27 f.: „Gott erwählt alles, was töricht ist vor der Welt ist, auf daß er zuschanden mache alles, was da klug ist vor der Welt, und erwählt, was da schwach und untüchtig ist, auf daß er zuschanden mache alles, was da stark und gewaltig ist. Er erwählt, was da nichts ist vor der Welt, auf daß er zunichte mache alles, was etwas ist vor der Welt.“ Damit macht er die Welt zur Torheit mit all ihrer Weisheit und ihrem Vermögen und gibt eine andere Weisheit und ein anderes Vermögen. Weil es nun einmal seine Art ist, in die Tiefe auf die unansehnlichen Dinge zu sehen, habe ich das Wörtlein „humilitas“ verdeutscht mit „Nichtigkeit“ oder „unansehnliches Wesen“.

Was also Maria sagen will, ist das: „Gott hat mich armes, verachtetes, unansehnliches Mägdlein angesehen und hätte doch wohl reiche, hohe, edle, mächtige Königinnen gefunden, Töchter von Fürsten und großen Herren. Er hätte doch wohl des Hannas oder Kaiphas Tochter finden können, die die Obersten im Land gewesen wären; aber er hat auf mich seine Augen voll lauterer Güte geworfen und so eine geringe, verschmähte Magd dazu gebraucht. Denn vor ihm sollte sich niemand rühmen, daß er dessen würdig gewesen wäre oder sei; und auch ich muß bekennen, daß es lauter Gnade und Güte und daß gar nichts mein Verdienst oder meine Würdigkeit ist.“

Nun haben wir oben schon genug davon gesagt, wie die liebliche Jungfrau mit ihrem unansehnlichen Wesen und Stand ganz unversehens zu dieser Ehre gekommen ist, daß Gott sie so übergnädig angesehen hat. Darum rühmt sie sich nicht ihrer Würdigkeit noch ihrer Unwürdigkeit, sondern allein des Ansehens Gottes, das so übergütig und übergnädig ist, daß er auch eine solche geringe Magd angesehen hat und so herrlich und ehrenvoll ansehen wollte. Deshalb tun die ihr Unrecht, die da sagen, sie habe sich nicht ihrer Jungfrauschaft, sondern ihrer Demut gerühmt. Sie hat sich weder ihrer Jungfrauschaft noch ihrer Demut gerühmt, sondern einzig des gnädigen, göttlichen Ansehens; darum liegt die Betonung nicht auf dem Wörtlein „humilitatem“, sondern auf dem Wörtlein „respexit“. Denn ihre Nichtigkeit ist nicht zu loben, sondern Gottes Ansehen; gerade wie wenn ein Fürst einem armen Bettler die Hand reicht, so ist nicht des Bettlers Nichtigkeit, sondern des Fürsten Gnade und Güte zu preisen.

Damit aber dieser falsche Wahn ausgetrieben und die rechte Demut in ihrem Unterschied von der falschen erkannt werde, wollen wir ein wenig abschweifen und von der Demut etwas sagen; denn darüber besteht bei vielen eine sehr irrige Meinung. Demut heißen wir auf deutsch, was S. Paulus auf griechisch tapeinophrosyne nennt, und was auf lateinisch affectus vilitatis oder sensus humilium rerum (d.h. ein Wille zu oder ein Sinn für geringe, verachtete Dinge) heißt. Nun findet man hier viele, die das Wasser in den Brunnen tragen; das sind Menschen, die zeigen sich in geringen Kleidern, Stellungen, Gebärden, Stätten und Worten, sind auch darauf bedacht und gehen damit um, jedoch in der Absicht, daß sie dadurch vor den Hohen, Reichen, Gelehrten, Heiligen, ja auch vor Gott als Leute angesehen werden möchten, die gerne mit geringen Dingen umgehn. Denn wenn sie wüßten, daß man davon nichts halten wollte, ließen sie es fein anstehen. Das ist eine gemachte Demut. Denn ihr heuchlerisches Auge sieht nur auf den Lohn und den Erfolg der Demut, und nicht auf die geringen Dinge, abgesehen vom Lohn und Erfolg. Darum ist, wo der Lohn und der Erfolg nicht mehr in die Augen springt, die Demut aus. Solche Menschen kann man nicht „affectos vilitare“ heißen; sie haben keinen Willen und kein Herz zu geringen Dingen, sondern haben nur die Gedanken, den Mund, die Hand, das Kleid und die Gebärden dabei. Ihr Herz aber schaut nach hohen, großen Dingen empor; zu ihnen gedenkt es durch solch demütiges Blendwerk zu kommen. Und solche halten sich selber für demütige, heilige Leute!

Die wahrhaft Demütigen sehen nicht auf den Erfolg der Demut, sondern mit einfältigem Herzen sehen sie auf die niedrigen Dinge, gehen gerne damit um und werden selbst nie gewahr, daß sie demütig sind: Da quillt das Wasser aus dem Brunnen, da ist's eine selbstverständliche, ungesuchte Folge, daß sie geringe Gebärde, Rede, Stätte, Stellung und Kleidung an sich haben und tragen, dagegen große und hohe Dinge meiden, wo sie können. Davon sagt David Ps. 131,1: „Herr, mein Herz ist nicht hoffärtig, und meine Augen haben nicht emporgesehen usw.“ Und Hiob 22,29 heißt es: „Wer sich erniedrigt, der wird zu Ehren kommen, und wer seine Augen niederschlägt, der wird selig werden.“ So kommt es darum auch, daß solchen allezeit die Ehre unversehens widerfährt, und ihre Erhöhung kommt, ohne daß sie daran denken. Denn sie haben sich in aller Einfalt genügen lassen an ihrem geringen Wesen und nie nach der Höhe getrachtet. Aber die falschen Demütigen wundert es, daß ihre Ehre und Erhöhung so lange ausbleibt, und ihr heimlicher, falscher Hochmut läßt sich nicht genügen an seinem geringen Wesen, sondern denkt heimlich nur höher und höher. Darum, wie ich gesagt habe: Rechte Demut weiß niemals, daß sie demütig ist; denn wenn sie es wüßte, so würde sie hochmütig vom Ansehen dieser schönen Tugend. Vielmehr hängt sie mit Herz, Gemüt und allen Sinnen an den geringen Dingen; die hat sie unablässig im Auge, das sind ihre Vorstellungen, mit denen sie umgeht. Und weil sie die im Auge hat, kann sie sich selbst nicht sehen noch ihrer selbst gewahr werden; noch viel weniger kann sie der hohen Dinge innewerden.

Darum muß ihr die Ehre und Höhe unversehens zukommen und sie in Gedanken vorfinden, denen die Ehre und Höhe fremd sind. So sagt Luk. 1,29, daß der Gruß des Engels der Maria in ihren Augen seltsam erschien und daß sie sich Gedanken machte, was das für ein Gruß wäre, auf den sie nie gefaßt war. Wäre der Gruß der Tochter des Kaiphas gebracht worden, so würde diese sich keine Gedanken darüber gemacht haben, was das für ein Gruß wäre; sie hätte ihn alsbald angenommen und gedacht: „Ei, das ist gut so und schön.“

Umgekehrt weiß falsche Demut nie, daß sie Hochmut ist. Denn wenn sie das wüßte, würde sie bald demütig vom Ansehen dieser häßlichen Untugend. Vielmehr hängt sie mit Herz, Gemüt und Sinn an den hohen Dingen; die hat sie unablässig im Auge; das sind ihre Vorstellungen, mit denen sie umgeht. Und so lange sie damit umgeht, kann sie selber nicht sehen noch ihrer selbst gewahr werden. Darum kommt ihr die Ehre nicht unerwartet und unversehens, sondern findet gleichartige Gedanken vor; die Beschämung und Erniedrigung aber kommt ihr unversehens und ganz in nur zu viele andersartige Gedanken hinein.

Deshalb ist's nichts nütze, wenn man Demut in der Weise lehrt, daß man geringe, verachtete Dinge vor die Augen stellt; umgekehrt wird niemand davon hochmütig, daß man hohe Dinge vor die Augen stellt. Nicht die Vorstellungen, sondern das Sehen muß man abtun: wir müssen hier leben unter hohen und niedrigen Vorstellungen, aber (wie Christus Mat. 18,9 sagt) das Auge muß ausgestochen sein. Mose erzählt 1. Mo. 3,7 nicht, daß Adam und Eva nach dem Fall andre Dinge gesehen haben als vorher, sondern er sagt, ihre Augen seien aufgetan worden, daß sie sich nackt sahen, obwohl sie doch vorher auch nackt waren, freilich es nicht gewahr wurden. Die Königin Esther trug eine reiche Krone auf ihrem Haupt und sprach doch (Stücke in Esther 3,11), es sei in ihren Augen wie ein unreines Tuch. Da waren nicht die hohen Vorstellungen von ihr genommen, vielmehr ihr als einer mächtigen Königin in Menge vor die Augen gerückt, und es war keine niedrige Vorstellung vor ihr. Aber die Art ihres Sehens war niedrig; Herz und Gemüt sah nicht nach großen Dingen. Darum tat Gott Wunder durch sie. Wo müssen nicht die Dinge, sondern wir verwandelt werden in Gemüt und Sinn; dann wird sich's von selbst lernen, hohe Dinge zu verachten und zu fliehen, niedrige Dinge zu achten und zu suchen. Dann ist die Demut grundgut und beständig in jeder Hinsicht und wird doch ihrer selbst niemals gewahr. Das geht mit Lust zu, und das Herz bleibt sich stets gleich, wie auch die Dinge sich wandeln oder geben, hoch oder niedrig, groß oder klein.

Oh, es steckt ein gar großer Hochmut unter den demütigen Kleidern, Worten und Gebärden, von denen die Welt zur Zeit voll ist. Sie machen sich selber in der Weise verächtlich, daß sie dann doch von niemand verachtet sein wollen; sie fliehen die Ehre so, daß sie dann doch damit verfolgt sein wollen; sie meiden die hohen Dinge, damit man sich dann doch um sie bemühe, sie preise und ihre Sache nicht die geringste sein lasse. Aber diese Jungfrau hier redet von nichts anderem als von ihrer Nichtigkeit, worin sie gerne gelebt hat und geblieben ist; sie hat nie an Ehre oder Höhe gedacht, ist auch nicht dessen innegeworden, daß sie demütig gewesen ist. Die Demut ist etwas so Feines und so Kostbares, daß sie es nicht ertragen kann, ihr Eigenstes anzusehen, sondern dies zu schauen ist allein dem göttlichen Sehen vorbehalten, wie Ps. 113,6 sagt: „Er siehet an die Niedrigen im Himmel und auf Erden.“ Denn wer seine eigene Demut sehen könnte, der könnte über sich selber das Urteil fällen, daß er zur Seligkeit gelange, und damit wäre Gottes Gericht schon hinfällig; wissen wir doch, daß Gott die Demütigen gewiß selig macht. Darum muß Gott es sich selber vorbehalten, die Demut zu erkennen und anzusehen, und muß sie vor uns verbergen, indem er uns geringe Dinge vor Augen stellt und uns darin übt; bei denen vergessen wir es, uns selber anzusehen. Dazu dient nun so viel Leiden, Sterben und allerlei Ungemach auf Erden, damit wir zu schaffen und Mühe und Arbeit haben, das falsche Auge auszustechen.

Nun sehen wir klar aus diesem Wörtlein „Humilitas“, daß die Jungfrau Maria ein verachtetes, geringes Mägdlein ohne Ansehen gewesen ist, wobei sie Gott gedient hat, ohne zu wissen, daß ihr unansehnlicher Stand so hohes Ansehen genieße vor Gott. Dadurch sollen wir uns trösten lassen: Es mag wohl gern sein, daß wir erniedrigt und verachtet sind; dennoch sollen wir darin nicht verzagen, als sei Gott zornig über uns, sondern vielmehr hoffen, daß er uns gnädig ist. Wir sollen allein darum bekümmert sein, weil wir nicht willig genug und gern in solcher Erniedrigung sind, damit nicht vielleicht das falsche Auge zu weit offen stehe und uns betrüge, indem es heimlich nach der Höhe oder nach eigenem Wohlgefallen sucht, womit die Demut ganz in Trümmer geht. Denn was hilft's die Verdammten, daß sie auf die niedrigste Stufe herabgedrückt sind, solange sie nicht gern und willig darin sind? Und was schadet's allen Engeln, daß sie aufs höchste erhaben sind, solange sie nicht mit falscher Lust daran hängen? Kur: Es lehrt uns dieser Vers Gott recht erkennen, dadurch, daß er deutlich macht, Gott sehe auf die Niedrigen, Verachteten. Und der erkennt Gott recht, der weiß, daß Gott auf die Niedrigen sieht, wie schon oben gesagt ist, und aus dieser Erkenntnis folgt dann Liebe und Vertrauen zu Gott, daß sich der Mensch ihm willig ergibt und folgt.

Davon sagt Jeremia (9,22 f.): „Niemand rühme sich seiner Stärke, seines Reichtums oder seiner Weisheit, sondern, wer sich rühmen will, der rühme sich, daß er mich erkennt und weiß“, wie auch S. Paulus lehrt 2. Kor. 10,17: „Wer sich rühmt, der rühme sich Gottes.“

So hat die Mutter Gottes ihren Gott und Heiland mit bloßem, reinen Geist gelobt, ohne sich von seinen Gütern etwas anzumaßen; dadurch hat sie ihm recht gesungen von seiner Gütigkeit. Nunmehr kommt sie dann der Ordnung nach dazu, auch seine Werke und Güter zu loben. Denn wie gesagt, man darf nicht an die Güter Gottes sich klammern und sie in Anspruch nehmen, sondern man muß durch sie zu ihm hinauf dringen, an ihm allein hangen und von seiner Gütigkeit viel halten. Dann soll man ihn auch in seinen Werken loben, in welchen er uns solche Gütigkeit zum Lieben, Trauen und Loben erzeigt hat; so sollen also die Werke nichts anderes sein als eine vielfache Veranlassung, seine bloße Gütigkeit, die über uns regiert, zu lieben und zu loben.

Maria hebt wiederum zuerst bei sich selbst an und singt, was Gott ihr getan hat. Damit lehrt sie uns zwei Stücke. Das erste: Ein jeder soll auf das acht haben, was Gott mit ihm wirkt, mehr als auf alle Werke, die er mit andern tut. Denn es wird die Seligkeit von keinem in dem bestehen, was Gott bei einem andern, sondern was er bei dir wirkt; in diesem Sinn antwortet Christus Joh. 21,21 f., als S. Petrus von S. Johannes sprach:“ Was soll aber dieser tun?„ und sagt zu ihm: „Was geht es dich an? Folge du mir“, als wollte er sagen: „Der Johannes Werke werden dir nicht helfen; du mußt selber dich dranmachen und warten was ich mit dir tun will.“ Freilich herrscht gerade jetzt ein greulicher Mißbrauch in der Welt, indem man gute Werke austeilt und verkauft. Einige vermessene Geister wollen da andern Leuten helfen, besonders solchen, die ohne eigene Gotteswerke leben oder sterben, gerade wie wenn sie zuviel gute Werke hätten. Und S. Paulus sagt doch deutlich 1. Kor. 3,8: „Ein jeglicher wird Lohn empfangen nach seiner Arbeit“, also ohne Zweifel nicht nach eines andern Arbeit.

Es wäre zu ertragen, wenn sie für andere Leute beteten oder ihre Werke als eine Fürbitte Gott vortrügen. Da sie aber nun nicht anders damit umgehen, als wie wenn sie etwas herschenken könnten, ist's ein schändliches Beginnen. Und was noch das Allerärgste ist: sie geben ihre Werke her, obgleich sie von ihnen selbst nicht wissen, wie sie vor Gott gelten. Denn Gott sieht nicht die Werke, sondern das Herz an und den Glauben, durch den er auch bei uns wirkt. Darauf geben sie gar nicht acht; sie bauen nur auf die äußerlichen Werke und verführen sich selbst und jedermann damit. Sogar so weit drängen sie sich vor, daß sie die Leute bereden, Mönchskutten anzuziehen beim Sterben; sie geben vor, wer in solchem heiligen Kleid sterbe, habe Ablaß von allen Sünden und werde selig. So fangen sie an, die Leute nicht allein mit fremden Werken, sondern auch mit fremden Kleidern selig zu machen.

Ich glaube, sieht man nicht dazu, so wird sie der böse Geist noch so weit führen, daß sie die Leute durch Klosterspeisung, -behausung und -begräbnis zum Himmel führen. Hilf Gott, was für mit den Händen zu greifende Finsternisse sind mir das, wenn eine Mönchskutte rechtschaffen und selig machen kann! Was braucht man dann den Glauben? Lasset uns alle Mönche werden oder alle in Kutten sterben! Es dürfte auf die Weise wohl Tuch draufgehen, allein zu Mönchskutten. Hüte dich, hüte dich vor den Wölfen in solchen Schafskleidern; sie zerreißen und verführen dich.

Sei darauf bedacht, daß Gott auch bei dir sein Werk treibe und daß du deine Seligkeit nur auf die Werke, die Gott in dir allein wirkt, und auf keine anderen stellst, wie du hier die Jungfrau Maria tun siehst. Wenn du aber durch andrer Fürbitte dir dazu helfen läßt, so ist's recht und wohlgetan; füreinander sollen wir alle beten und etwas tun. Aber niemand soll ohne eigene gottgewirkte Werke auf andrer Werke sich verlassen, sondern jeder soll mit allem Fleiß sein Augenmerk auf sich und auf Gott richten, nicht anders, als wie wenn er und Gott allein im Himmel und auf Erden wäre und als ob Gott mit niemand als mit ihm zu schaffen hätte; dann mag er auch auf die Werke andrer Leute sehen.

Das zweite, was Maria hierin lehrt, ist: Ein jeder soll der erste sein wollen in Gottes Lob und soll Gottes Werke, die in ihm geschehen sind, bekanntmachen und darnach auch Gott in den Werken andrer loben. So lesen wir Apg. 15,12, daß Paulus und Barnabas den Aposteln ihre Gotteswerke verkündigten und jene umgekehrt die ihrigen; ebenso machten sie's Luk. 24,34 f. nach der Auferstehung Christi, als er ihnen erschienen war. Da hebt dann ein gemeinsames Sich-Freuen und Loben an, zu Gott emporsteigend, wo ein jeder des andern Gnade und doch die seine zuerst preist, auch wenn sie gleich geringer wäre als die des andern; er begehrt nicht der erste oder vorderste zu sein hinsichtlich der Güter, sondern im Loben und Lieben Gottes. Denn ihnen genügt an Gott und seiner bloßen Gütigkeit, mag auch die Gabe gering sein. So gar fein einfältig ist ihr Herz. Die Eigennützigen und Selbstsüchtigen dagegen sehen krumm und scheel, wenn sie gewahr werden, daß sie nicht die Höchsten und Besten sind hinsichtlich der Güter; anstatt zu loben murren sie, weil sie andern gleich oder geringer sind, wie die im Evangelium Mat. 20,11 f., die wider den Hausvater murrten, nicht weil er ihnen Unrecht tat, sondern weil er sie den andern gleichstellte mit dem Tagelohn.

So findet man zur Zeit viele, die Gottes Gütigkeit nicht loben, weil sie sehen, daß sie nicht ebensoviel haben wie S. Petrus oder sonst ein Heiliger oder wie dieser und jener auf Erden. Sie meinen, wenn sie auch so viel hätten, wollten sie auch wohl Gott loben und lieben; sie achten es gering, daß sie doch mit Gütern Gottes überschüttet sind, die sie nicht erkennen, als da ist Leib, Leben, Vernunft, Gut, Ehre, Freunde, samt dem Dienste, den ihnen die Sonne tut mit allen Kreaturen. Und wenn sie gleich alle Güter Marias hätten, würden sie doch darin nicht Gott erkennen und loben. Denn, wie Christus Luk 16,10 sagt, „wer im Geringen und Wenigen treu ist, der ist auch im Großen und Vielen getreu, und wer im Wenigen untreu ist, der ist auch im Vielen untreu.“ Drum haben sie's verdient, daß ihnen das Viele und Große nicht zuteil wird, weil sie das Kleine und Wenige verschmähen; lobten sie aber Gott im Kleinen, so würde ihnen das Große auch im Überfluß zuteil. Das kommt daher: sie sehen über sich und nicht unter sich. Wenn sie unter sich sehen würden, würden sie deren viele finden, die ihnen vielleicht nicht zur Hälfte gleich und doch wohl mit Gott zufrieden sind und die ihn loben.

Ein Vogel singt und ist fröhlich in dem, was er kann, und murrt nicht, daß er nicht reden kann. Ein Hund springt fröhlich und ist zufrieden, obwohl er keine Vernunft hat. Alle Tiere lassen sich genügen und dienen Gott mit Lieben und Loben. Nur das böse, eigennützige Auge des Menschen, das ist unersättlich. Und doch will es sich nicht recht schicken, daß es satt werden könnte, weil es so undankbar und hochmütig ist; denn es will obenan sitzen und der Beste sein, will nicht Gott ehren, sondern von ihm geehrt sein.

So lesen wir, daß zur Zeit des Konstanzer Konzils zwei Kardinäle. die durchs Feld ritten, einen Hirten stehen und weinen sagen. Der eine Kardinal, ein gütiger Mann, wollte nicht vorüberreiten, sondern den Mann trösten; er ritt zu ihm hin und fragte ihn, was ihm wäre. Da weinte der Hirte sehr und wollte es lange nicht sagen, so daß der Kardinal bekümmert wurde. Zuletzt hob er an und zeigte auf eine Kröte und sprach: „Darüber weine ich, daß mich Gott als eine so feine Kreatur geschaffen hat, nicht so ungestalt wie den Wurm, und daß ich das nie erkannt und ihm nie Dank und Lob dafür gesagt habe.“ Der Kardinal schlug in sich und entsetzte sich über das Wort, so daß er vom Maultier fiel; man mußte ihn hineintragen, und er schrie: „O Sankt Augustin, wie wahr hast du gesagt, die Ungelehrten stehen auf und nehmen den Himmel an unsrer Statt an, und wir mit unsrer Gelehrsamkeit wallen in Fleisch und Blut.“ Nun halte ich dafür, der Hirte sei weder reich noch hübsch noch mächtig gewesen; und dennoch hat er Gottes Güter so tief betrachtet und Dank dafür gesagt, daß er mehr in sich gefunden, als er hat übersehen können.

Als das erste Werk Gottes in ihr bekennt Maria, es sei das „Ansehen“. Das ist auch das größte, in dem die andern alle hangen und aus dem alle fließen. Denn wo es dahin kommt, daß Gott sein Angesicht jemand zuwendet, um ihn anzusehen, da ist lauter Gnade und Seligkeit, da müssen alle Gaben und Werke nachfolgen. So lesen wir 1. Mo. 4,4 f., daß Gott Abel und sein Opfer ansah; aber Kain und sein Opfer sah er nicht an. Daher kommen die häufigen Gebete im Psalter, Gott wolle sein Angesicht zu uns wenden, es nicht verbergen, es über uns leuchten lassen und dergleichen. Daß auch Maria selber das für das Größte hält, zeigt sie damit, daß sie spricht: „Siehe da, um dieses Ansehens willen werden mich selig sprechen Kindeskinder.“

Beachte die Worte! Sie sagt nicht, man werde ihr viel Gutes nachsagen, ihre Tugend preisen, ihre Jungfrauschaft oder ihre Demut erheben oder etwa ein Liedlein von ihrer Tat singen; sondern nur davon, daß Gott sie angesehen hat, davon würde man sagen, sie sei selig. Das heißt doch, die Ehre Gott so rein geben, daß es nicht reiner sein könnte. Drum weist sie auf dieses „Ansehen“ hin, indem sie sagt: „Ecce enim, ex hoc …“ „Siehe da, von nun an werden mich selig sprechen usw.“, d.h., „von der Zeit an, da Gott meine Nichtigkeit angesehen hat, werde ich selig gesprochen werden“. Damit wird nicht sie gelobt, sondern Gottes Gnade über ihr; ja, sie wird sogar verachtet und macht sich selber verächtlich, indem sie sagt, ihre Nichtigkeit sei von Gott angesehen worden. Darum rühmt sie auch ihre Seligkeit, ehe sie die Werke erzählt, die Gott ihr getan habe, und schreibt alles ganz und gar dem zu, daß Gott ihre Nichtigkeit ansah.

Daraus können wir lernen, welches die rechte Ehrung sei, mit der man Maria ehren und ihr dienen soll. Wie muß man sagen zu ihr? Sieh die Worte an, so lehren sie dich so sagen: „O du selige Jungfrau und Mutter Gottes, wie bist du so gar nichts, gering und verachtet gewesen, und Gott hat dich dennoch so überaus gnädig und reichlich angesehen und große Dinge in dir gewirkt. Du bist ja keins davon wert gewesen, und weit und hoch über all dein Verdienst hinaus ist die reiche, überschwengliche Gnade Gottes in dir. Oh, wohl dir; selig bist du von der Stunde an bis in Ewigkeit, die du einen solchen Gott gefunden hast usw.“. Du brauchst nicht zu denken, daß sie das ungern höre, wenn man sie solcher Gnade unwürdig nennt. Denn sie hat ohne Zweifel nicht gelogen, wenn sie selber ihre Unwürdigkeit und Nichtigkeit bekennt, welche Gott gar nicht wegen ihres Verdienstes, sondern aus lauter Gnade angesehen habe.

Die unnützen Schwätzer hört sie ungern, die viel von ihrem Verdienst predigen und schreiben. Sie wollen damit ihr großes eigenes Wissen beweisen und sehen nicht, wie sie das Magnifikat ganz unterdrücken, die Mutter Gottes Lügen strafen und die Gnade Gottes verkleinern. Denn soviel Würdigkeit und Verdienst man ihr zulegt, soviel tut man der göttlichen Gnade Abbruch und verkleinert des Magnifikats Wahrheit. Der Engel grüßt sie auch nur als von Gottes Gnaden und, daß der Herr mit ihr sei, wovon sie gebenedeiet sei unter allen Weibern. Deshalb sind alle, die ihr soviel Lob und Ehre aufdrängen und all dies auf ihr ruhen lassen, nicht weit davon weg, daß sie einen Abgott aus ihr machen, gerade als wäre es ihr darum zu tun, daß man sie ehre und von ihr Gutes erwarte. Und sie weist es doch von sich und will Gott in sich gelobt wissen und durch sich jedermann zu guter Zuversicht auf Gottes Gnade bringen!

Wer sie darum recht ehren will, darf sie nicht allein vor sich hinstellen, sondern muß sie vor Gott hin und weit unter Gott stellen und sie da bloßmachen und ihre Nichtigkeit ansehen. Dann mag er sich wundern über die überschwengliche Gnade Gottes, der ein solch geringes, nichtiges Menschenkind so reich und gnädig ansieht, umfängt und segnet. Von diesem Anblick sollst du also dazu bewegt werden, Gott zu lieben und zu loben ob solcher Gnade, und sollst dich dadurch reizen lassen, dich alles Guten zu versehen zu solchem Gott, der geringe, verachtete, nichtige Menschen so gnädig ansieht und nicht verschmäht. So soll dein Herz gegen Gott im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung gestärkt werden. Was, meinst du, kann ihr Lieberes begegnen, als wenn du auf solche Weise durch sie zu Gott kommst und an ihr lernst auf Gott zu trauen und zu hoffen - auch wenn du verachtet und zu nichts gemacht wirst, worin das auch geschehen möge, im Leben oder Sterben? Sie will nicht, daß du zu ihr, sondern daß du durch sie zu Gott kommst. Auf der andern Seite sollst du dich fürchten lernen vor allem hohen Wesen, nach dem die Menschen trachten, wenn du siehst, daß Gott auch an seiner Mutter ein hohes Ansehen weder fand noch haben wollte.

Aber die Meister, die uns die selige Jungfrau dergestalt malen und vor Augen bilden, daß nichts Verachtetes, sondern lauter Großes, Hohes an ihr zu sehen ist, was tun sie anders, als daß sie allein uns der Mutter Gottes und nicht sie Gott gegenüberstellen? Damit machen sie uns schüchtern und verzagt und verdecken das tröstliche Gnadenbild, wie man's mit den Bildern in der Fastenzeit macht. Denn es ist dann kein Beispiel mehr da, dessen wir uns getrösten können, sondern sie wird über alle Beispiele hinausgehoben. Und doch sollte und wollte sie gerne das allervornehmste Beispiel der Gnade Gottes sein, um alle Welt anzureizen zur Zuversicht, zur Liebe und zum Lob der göttlichen Gnade gegenüber; alle Herzen sollten von ihr ein solches Vertrauen zu Gott gewinnen, daß sie mit aller Zuversicht sprechen könnten: „Ei, du selige Jungfrau und Mutter Gottes, wie hat uns Gott an dir einen so großen Trost erzeigt, weil er deine Unwürdigkeit und Nichtigkeit so gnädig angesehen hat; dadurch sind wir auch für die Zukunft daran erinnert, daß er uns arme, nichtige Menschen nach deinem Beispiel auch nicht verachten und gnädig ansehen wird.“

Was meinst du? David, S. Petrus, S. Paulus, S. Maria Magdalena und ihresgleichen sind durch die große Gnade, die ihnen, ohne daß sie es wert waren, zu aller Menschen Trost gegeben worden ist, Beispiele, um die Zuversicht und den Glauben Gott gegenüber zu stärken. Wäre dann nicht auch die selige Mutter Gottes leicht und verdientermaßen ein solches Beispiel für alle Welt? Nun kann sie es nicht sein vor den überflüssigen Lobpredigern und den unnützen Schwätzern, die nicht auf Grund dieses Verses deutlich machen, wie in ihr der überschwengliche Reichtum Gottes mit ihrer tiefen Armut, die göttliche Ehre mit ihrer Nichtigkeit, die göttliche Würde mit ihrer Verächtlichkeit, die göttliche Größe mit ihrer Kleinheit, die göttliche Güte mit ihrem Nichtverdienthaben, die göttliche Gnade mit ihrer Unwürdigkeit zusammengekommen sind. Daraus würde Lust und Liebe zu Gott erwachsen in aller Zuversicht; zu diesem Zweck sind auch ihr und aller Heiligen Leben und Taten beschrieben worden. Aber nun trifft man wohl einige, die bei ihr wie bei einem Gott Hilfe und Trost suchen, daß ich besorgt bin, es sei zur Zeit mehr Abgötterei in der Welt, als je gewesen ist. Das sei für diesmal genug.

Das lateinische „omnes generationes“ habe ich verdeutscht mit „Kindeskinder“, wiewohl es wörtlich heißt „alle Geschlechter“. Das ist aber so dunkel geredet, daß manche sich hier sehr bemüht haben, inwiefern es wahr sei, daß „alle Geschlechter sie selig heißen“, wo doch Juden, Heiden und viel böse Christen sie lästern oder wenigstens es doch ablehnen, sie selig zu heißen; das kommt daher, daß sie das Wörtlein „Geschlecht“ von der Gesamtheit der Menschen verstehen.. Und es heißt hier doch mehr: die auf der natürlichen Geburt beruhende Gliederfolge, wie eins nach dem andern geboren wird: der Vater, der Sohn, des Sohnes Sohn, und ebenso jedes weitere Glied heißt ein Geschlecht. So meint die Jungfrau Maria nichts anderes als: ihr Preis werde auch so währen von einem Geschlecht zum andern, daß es keine Zeit gebe, in der sie nicht gepriesen werde. Und das macht sie deutlich, indem sie sagt: „Siehe da, von nun an alle Geschlechter“; d.h. „jetzt hebt's an und währt bei allen Geschlechtern bis zu Kindeskindern.“

Auch das Wörtlein „makariusi“ geht weiter als „selig sagen“; es heißt „seligen“ oder „selig machen“. Es soll also nicht nur mit Sagen oder Worten geschehen oder mit Kniebeugen, mit Hauptneigen, mit Hutabnehmen, mit Bildermachen, mit Kirchenbauen - das tun ja auch die Bösen vortrefflich; sondern da braucht's alle Kräfte und Grundehrlichkeit. Das geschieht, wenn das Herz (wie oben gesagt) durch ihre Nichtigkeit und Gottes gnädiges Ansehen Freude und Lust durch sie zu Gott gewinnt und man mit ganzem Herzen sagt oder denkt: „O du selige Jungfrau Maria!“ Solch ein „seligen“ ist ihre rechte Ehrung, wie wir gehört haben.

4. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist, und heilig ist sein Name (Vers 49)

Hier singt sie zusammenfassen von allen Werken, die Gott an ihr getan hat, und hält dabei eine gute Reihenfolge ein. Im vorigen Vers hat sie von Gottes Ansehen und gnädigem Willen über sie gesungen, was auch, wie gesagt, das Größte ist und das Hauptstück aller Gnade; hier singt sie von Werken und Gaben. Denn Gott gibt wohl manchen viele Güter und stattet sie prächtig damit aus, wie Luzifer im Himmel; er wirft seine Gaben unter die große Menge; aber darum sieht er sie noch nicht an. Die Güter sind nur Geschenke, die zeitlich währen, aber sein gnädiges Ansehen ist das Erbe, das ewig bleibt, wie S. Paulus sagt Röm. 6,23: „Die Gnade ist das ewige Leben!“ In den Gütern gibt er das Seine, im gnädigen Ansehen gibt er sich selbst; in den Gütern empfängt man seine Hand, aber im gnädigen Ansehen empfängt man sein Herz, seinen Geist, seinen Sinn und Willen. Darum schreibt die selige Jungfrau das Größte und Erste dem Ansehen zu. Sie sagt nicht zuerst: „Alle Kindeskinder werden mich selig preisen, daß er an mir so große Dinge getan hat“; davon spricht ja dieser Vers. Sondern sie sagt zuerst: „daß er auf mich nichtige Person und auf meine Nichtigkeit gesehen hat.“; davon redet der vorhergehende Vers. Wo ein gnädiger Wille ist, da sind auch Gaben; aber nicht ist umgekehrt auch schon ein gnädiger Wille da, wo die Gaben sind. Darum ist's richtig, daß dieser Vers dem vorhergehenden erst folgt. So lesen wir 1. Mo. 25,3 f., daß Abraham den Kindern seiner Beiweiber oder Nebenfrauen Geschenke gab; aber Isaak, den rechten Sohn von der rechten Hausherrin Sara, gab er das ganze Erbe. So will Gott, daß seine rechten Kinder nicht mit seinen Gütern und Geschenken sich trösten, mögen sie so groß und so viel sein, wie sie wollen, von geistlicher oder leiblicher Art; sondern mit seiner Gnade und ihm selber sollen sie sich trösten, ohne doch die Gaben zu verachten.

Sie zählt auch keine Güter im einzelnen auf, sondern mit einem Wort faßt sie diese alle zusammen, indem sie sagt: „Er hat große Dinge an mir getan“, d.h., „Es ist alles groß, was er an mir getan hat“. Dabei lehrt sie uns: Je größer die Andacht im Geiste ist, desto weniger Worte macht sie. Denn sie fühlt, daß sie es überhaupt nicht mit Worten erreichen kann, wie sie es wohl gedenkt und gerne wollte. Darum sind diese wenigen Worte des Geistes immer so groß und tief, daß sie niemand verstehen kann, als wer auch denselben Geist wenigstens zu einem Teil fühlt; denen ohne diesen Geist aber erscheinen solche Worte gar geringfügig und ganz ohne Saft und Geschmack, während sie mit viel Worten und großem Geschrei ihre Dinge ausrichten. So lehrt auch Christus Mat. 6,7, daß wir nicht viele Worte machen sollen, wenn wir beten; denn solches tun die Ungläubigen, die meinen, sie werden um vieler Worte willen erhört. In der Art ist auch jetzt in allen Kirchen viel Läuten, Musizieren, Singen, Schreien und Lesen, aber ich fürchte, gar wenig Lob Gottes; denn er will im Geist und in der Wahrheit gelobt sein, wie er Joh. 4,24 sagt.

Salomo sagt Spr. 27,14: „Wer seinen Nächsten mit großem Geschrei lobt, und steht früh dazu auf, der ist zu achten wie ein Lästerer“, denn er macht die Sache verdächtig, daß jedermann denkt, er wolle eine böse Sache beschönigen; damit, daß er's so hitzig betreibt, macht er die Sache nur ärger. Wer umgekehrt seinen Nächsten mit lauter Stimme lästert und frühe dazu aufsteht (d.h. nicht faul ist, es mit großem, eifrigem Fleiß tut), ist einem Lobpreiser gleich zu achten. Denn man denkt, es sei nicht wahr, und er tue es aus Haß und bösem Herzen; er macht damit seine eigene Sache ärger und die seines Nächsten besser. Ebenso ist es auch, wenn man Gott mit viel Worten, Schreien und Klingeln zu loben vermeint; da tut man, als wäre er taub oder wüßte nichts, als wollten wir ihn aufwecken und unterweisen. Ein solch falscher Wahn von Gott gereicht ihm mehr zur Schmach und Unehre als zum Lobe. Anders dagegen steht's, wenn einer seine göttlichen Taten tief im Herzen wohl bedenkt und sie mit Verwunderung und Dank ansieht; da fährt es ihm vor Inbrunst heraus, und er seufzt mehr, als daß er redet; da brechen die Worte von selbst im Flusse hervor, nicht ausgedacht und wohlgesetzt, so daß gleichsam der Geist mit heraussprudelt und die Worte Leben, Hände und Füße haben, ja daß zugleich der ganze Leib und alles Leben und alle Glieder gerne reden wollten. Das heißt dann Gott recht mit dem Geist und in der Wahrheit loben; da sind die Worte lauter Feuer, Licht und Leben, wie David Ps. 119,140 sagt: „Herr, das Reden von dir ist ganz feurig.“ Ferner Ps. 119,171: „Meine Lippen sollen dir ein Lob hervorsprudeln“, gerade wie ein heißes Wasser beim Sieden überläuft und sprudelt, weil es sich nicht mehr halten kann vor großer Hitze im Topf. Von der Art sind auch alle Worte dieser seligen Jungfrau in diesem Gesang: sie sind nur wenig, und doch tief und groß. Solche Menschen nennt S. Paulus Röm. 12,11: spiritu ferventes, „die geistlich brünstig sind und sprudeln“, und er lehrt uns solcher Art zu sein.

Die „großen Dinge“ sind nichts anderes, als daß Maria Gottes Mutter geworden ist. In diesem Werk sind ihr so viele und große Güter gegeben, daß sie niemand begreifen kann; denn daraus kommt alle Ehre und alle Seligkeit, daraus kommt es, daß sie innerhalb des ganzen Menschengeschlechtes eine einzigartige Person ist über alle. Denn niemand ist ihr gleich, weil sie mit dem himmlischen Vater ein Kind, und zwar ein solches Kind hat. Und sie selber kann dem keinen Namen geben vor überschwenglicher Größe und muß es dabei bewenden lassen, daß sie in ihrer Inbrunst losbricht und hervorsprudelt, es seien große Dinge, die nicht mit Worten zu erschöpfen noch zu ermessen seien. In einem Wort hat man darum alle ihre Ehre zusammengefaßt: wenn man sie nämlich „Gottes Mutter“ nennt; es kann niemand Größeres von ihr noch zu ihr sagen, und wenn er gleich soviel Zungen hätte, als es Laub und Gras, Sterne am Himmel und Sand am Meere gibt. Es will auch im Herzen bedacht sein, was das heißt, Gottes Mutter zu sein.

Sie schreibt es auch ganz der Gnade Gottes, nicht ihrem Verdienst zu. Denn obgleich sie ohne Sünden gewesen ist, übertrifft doch diese Gnade so sehr alles, daß sie keineswegs dessen würdig gewesen ist. Wie sollte eine Kreatur würdig sein, Gottes Mutter zu sein? Zwar schwatzen manche Schriftsteller hier viel von Marias Würdigkeit zu solcher Mutterschaft. Aber ich glaube ihr selber mehr als ihnen. Sie sagt, ihre Nichtigkeit sei angesehen worden, und Gott habe nicht ihren Dienst damit belohnt, sondern: „Er hat große Dinge an mir getan. Von sich aus hat er's getan, ohne einen Dienst von mir.“ Denn sie hat ihr Lebetage nie daran gedacht, viel weniger sich dazu vorbereitet und gerüstet, daß sie Gottes Mutter werden sollte. Es kam ihr diese Botschaft ganz unvorhergesehen, wie Lukas (1,29) schreibt. Ein Verdienst dagegen ist nicht unvorbereitet auf seinen Lohn, sondern sehr auf den Lohn bedacht und eingestellt.

Daß man aber im „Regina coeli laetare etc“ singt: „Den du hast verdient zu tragen …“ und an anderer Stelle: „Den zu tragen du bist würdig gewesen usw.“ beweist nichts. Singt man doch eben diese Worte auch vom heiligen Kreuz, das doch aus Holz war und nichts „verdienen“ konnte. So ist dies auch zu verstehen: Sollte sie eine Mutter Gottes sein, mußte sie ein Weib sein, eine Jungfrau, vom Geschlecht Juda, und der Botschaft des Engels glauben; denn sie mußte dazu tauglich sein, wie die Schrift von ihr gesagt hat. Gerade wie das Holz sonst kein Verdienst und keine Würdigkeit gehabt hat, als daß es zum Kreuze tauglich und von Gott dazu bestimmt war, so hat sie keine Würdigkeit zu dieser Mutterschaft gehabt, als daß sie dazu tauglich und bestimmt gewesen ist. Denn es sollte durchaus lauter Gnade sein und nicht ein Lohn werden, auf daß man Gottes Gnade, Lob und Ehre keinen Abbruch tue, indem man ihr zu viel zuschreibt.

Es ist besser, Wenn Maria zuviel Abbruch getan wird als der Gnade Gottes, ja, man kann ihr nicht zuviel Abbruch tun, da sie doch aus nichts geschaffen ist wie alle Kreaturen. Aber Gottes Gnade hat man leicht zuviel Abbruch getan; das ist gefährlich, und damit tut man Maria keine Liebe an. Es bedarf auch wirklich eines Maßes, daß man es mit den Namen nicht zu weit treibe und sie eine Himmelskönigin nennt. Wohl ist das wahr; aber sie ist darum doch keine Abgöttin, daß sie etwas geben oder helfen könnte, wie manche meinen, die mehr zu ihr als zu Gott rufen und ihre Zuflucht nehmen. Sie gibt nichts, sondern allein Gott, wie es nun gleich im folgenden heißt.

„Der da mächtig ist“. Damit nimmt sie doch allen Kreaturen alle Macht und Kraft und gibt sie allein Gott. Oh, das ist eine große Kühnheit und ein großer Raub von einem solch jungen, kleinen Mägdlein: Es getraut sich, mit einem Wort alle Weisen zu Narren, alle Berühmten zuschanden zu machen und allein dem einigen Gott alle Macht, Tat, Weisheit und Ruhm zuzuschreiben. Denn das Wörtlein „der da mächtig ist“ heißt soviel wie „Es ist niemand, der etwas tue, sondern Gott allein wirkt, wie S. Paulus Eph. 1,11 sagt, alle Dinge in allen Dingen, und aller Kreaturen Werke sind Gottes Werke. In diesem Sinn sprechen auch wir im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott Vater, den Allmächtigen“. Allmächtig ist er, so daß in allen und durch alle und über allen nichts wirkt als allein seine Macht. So singt auch Samuels Mutter, S. Hanna, 1. Sam. 2,9: „Es hat niemand Macht, etwas aus seinem Vermögen zu tun.“ Und S. Paulus sagt 2. Kor. 3,5: „Wir taugen nicht so viel, daß wir etwas von uns selber denken könnten, sondern, wozu wir tauglich sind, das ist von Gott.“ Dies ist ein gar hoher Artikel, der viel in sich schließt; er streckt alle Hoffart und Vermessenheit, allen Übermut, Ruhm, falsches Vertrauen auf einmal zu Boden und erhebt nur Gott; ja, er zeigt den Grund an, warum Gott allein zu erheben ist: nämlich weil er alle Dinge tut. Das ist leichthin gesagt, aber schwer zu glauben und im Leben anzuwenden. Denn Leute, die dies im Leben üben, sind gar friedliche, gelassene, schlichte Menschen; sie maßen sich keine Sache an und wissen wohl, daß sie nicht ihnen, sondern Gott gehört.

So ist nun die Meinung der heiligen Gottesmutter in diesen Worten: „Es ist nichts mein bei allen diesen Dingen und großen Gütern, sondern der, der allein alle Dinge tut und dessen Macht in allen allein wirkt, der hat an mir solch große Dinge getan.“ Denn das Wörtlein „mächtig“ soll hier nicht eine still ruhende Macht bedeuten, wie man von einem zeitlichen Könige sagt, er sei mächtig, auch wenn er still sitzt und nichts tut; sondern eine wirkende Macht und stetige Tätigkeit, die unablässig im Schwange geht und wirkt. Denn Gott ruht nicht, sondern wirkt unablässig, wie Christus sagt Joh. 5,17: „Mein Vater wirkt bis hieher, mehr zu tun, als wir bitten“, d.h. „er tut allezeit mehr als wir bitten; das ist seine Art, so tut es seine Macht“. Darum habe ich gesagt: Die Maria will keine Abgöttin sein. Sie tut nichts: Gott tut alle Dinge. Anrufen soll man sie, daß Gott um ihretwillen gebe und tue, was wir bitten: im gleichen Sinne sind auch alle anderen Heiligen anzurufen, damit das Werk immer ganz allein Gottes Sache bleibe.

Darum fügt Maria noch etwas hinzu, indem sie sagt: „Und heilig ist sein Name.“ Das heißt: „Wie ich mir das Werk nicht anmaße, so maße ich mir auch den Namen und die Ehre nicht an. Denn dem gebührt allein die Ehre und der Name, der das Werk tut. Es ist unbillig, daß ein anderer das Werk tue, und ein anderer den Namen davon hat und sich darum ehren läßt. Ich bin nur die Werkstatt, in der er wirkt; aber ich habe nichts zum Werke getan. Darum soll auch niemand mich loben oder mir die Ehre geben, daß ich Gottes Mutter geworden bin, sondern Gott und sein Werk soll man an mir ehren und loben. Es ist genug, daß man sich mit mir freut und mich selig preist, weil Gott mich gebraucht hat, diese seine Werke in mir zu tun.“

Sieh, wie vollständig führt sie alle Dinge auf Gott zurück; wie maßt sie sich überhaupt kein Werk, keine Ehre, keinen Ruhm an. Sie tut doch gerade wie vorher, als sie davon nichts hatte, fragt auch nicht mehr nach Ehre als vorher; sie brüstet sich nicht, überhebt sich nicht, ruft's nicht aus, daß sie Gottes Mutter geworden ist, fordert keine Ehre, geht hin und schafft im Haus wie vorher, milkt die Kühe, kocht, spült Schüsseln, kehrt und beschäftigt sich, wie eine Hausmagd oder Hausmutter sich beschäftigen soll, mit geringen, verachteten Werken, als gäbe sie nichts auf solch überschwengliche Güter und Gnaden. Man hält sie unter den andern Weibern und den Nachbarn für nichts Höheres als vorher; sie hat's auch nicht begehrt, sondern ist eine arme Bürgerin geblieben unter dem Haufen der geringen Leute. Oh, was für ein einfältiges, reines Herz ist das, was für ein wunderbares Menschenkind ist das! Wie sind da so große Dinge verborgen unter so geringer Gestalt! Wie viele sind mit ihr in Berührung gekommen, haben mit ihr geredet, gegessen und getrunken, die sie vielleicht verachtet und für eine gewöhnliche, arme, schlichte Bürgerin gehalten haben, während sie sich sonst vor ihr entsetzt hätten, wenn sie solches von ihr gewußt hätten.

Das heißt nun: „Sein Name ist heilig“. Denn „heilig“ heißt, was abgesondert, Gott gehörig ist, was man nicht berühren und beflecken, sondern in Ehren halten soll. „Name“ dagegen heißt ein guter Ruf, Ruhm Lob und Ehre. So soll jedermann sich fernhalten von dem Namen Gottes, soll ihn nicht antasten, sich ihn nicht aneignen. In diesen Sinne steht 2. Mo. 30,25 ff. mit sinnbildlicher Bedeutung, daß auf Gottes Befehl von Mose eine kostbare heilige Salbe gemacht wurde und daß das strenge Gebot erging, daß kein Mensch seinen Leib damit salben dürfe. Das bedeutet, daß niemand sich Gottes Namen zuschreiben solle; denn das heißt Gottes Namen entheiligen, wenn wir uns rühmen oder ehren lassen oder an uns selber Wohlgefallen haben und uns wegen unserer Werke oder Güter rühmen, wie es die Welt macht, die Gottes Namen fortwährend entheiligt und entweiht. Nein, wie die Werke allein Gottes Sache sind, so soll auch ihm der Name allein bleiben, und alle, die so seinen Namen heiligen und sich der Ehre und des Ruhmes entäußern, die halten ihn recht in Ehren. Darum werden sie auch dadurch geheiligt, wie 2. Mo. 30,29 geschrieben steht, daß die kostbare Salbe so heilig war, daß sie alles heiligte, womit sie in Berührung kam, d.h., wenn Gottes Name von uns geheiligt ist und wir uns kein Werk, keinen Ruhm, kein eigen Wohlgefallen darin anmaßen, so ist er recht geehrt. Dann kommt er mit uns in Berührung und heiligt uns.

Darum gilt's hier wachsam zu sein, weil wir auf Erden nicht ohne Gottes Güter sein können und dadurch auch nicht ohne Namen und Ehre. Wenn uns jemand lobt und damit einen Namen verschafft, sollen wir hier das Beispiel der Mutter Gottes ergreifen und immer bereit sein, mit diesem Vers darauf zu antworten. Wir sollen von der Ehre und dem Lob einen rechten Gebrauch machen und offen sagen oder doch wenigstens im Herzen denken: „O Herr Gott, das Werk ist dein, das da gelobt und gerühmt wird, laß auch den Namen dein sein. Nicht ich, Herr, sondern du hast dies getan, der du in deiner Macht alle Dinge tust, und heilig ist dein Name.“ So soll man das Lob und die Ehre nicht verneinen, als wäre es unrecht, oder verachten, als wäre es nichts, sondern man soll es sich nicht anmaßen, als wäre es ein allzu edles, köstliches Ding, und soll es dem im Himmel heimbringen, dem es gehört. Sieh, das lehrt dieser vortreffliche Vers. Damit ist die Antwort gegeben, wenn jemand fragt, ob denn keiner den andern ehren soll. Ja, S. Paulus sagt, wir sollen uns darum eifrig bemühen, daß ein jeder in der Ehrerbietung dem andern zuvorkomme, Röm. 12,10. Aber die Ehrung soll niemand annehmen, als wäre sie ihm widerfahren, oder auf sich ruhen lassen, sondern man soll sie heiligen und Gott heimbringen, dem sie gehört, samt allem Gut und Werk, aus dem die Ehre kommt. Denn niemand soll ein unehrbares Leben führen. Soll er denn ehrbar leben, so muß Ehre dasein; aber wie das ehrbare Leben Gottes Gabe und Werk ist, so sei auch der Name allein sein Eigentum, heilig und unangetastet von eignem Wohlgefallen. Das bitten wir im Vaterunser: „Dein Name werde geheiligt.“

5. Und seine Barmherzigkeit währt von einem Geschlecht zum andern bei denen, die ihn fürchten. (Vers 50)

Wir müssen uns an die Schrift gewöhnen, die unter „Geschlechtern“ die Folge der natürlichen Erzeugung oder Geburt versteht, daß nämlich fort und fort ein Mensch vom andern geboren wird, wie schon oben gesagt worden ist. Darum ist das deutsche Wort „Geschlechter“ nicht genügend; ich weiß aber doch kein besseres. Denn „Geschlechter“ heißen wir die Sippschaften und zusammengehörenden Blutsverwandtschaften. Dagegen hier soll es heißen die natürliche Folge vom Vater zu Kindeskindern, so daß jedes Glied dieser Folge ein „Geschlecht“ heißt; so meine ich, wird es nicht übel folgendermaßen verdeutscht sein: „Und seine Barmherzigkeit währt von Kind zu Kind bei denen, die ihn fürchten.“ Diese Redeweise ist sehr gebräuchlich in der Schrift; sie hat ihren Ursprung in den Worten Gottes, die er auf dem Berg Sinai beim ersten Gebot zu Mose und allem Volk folgendermaßen sagt: „Ich bin dein Gott, stark und eifrig, der da straft die Sünde der Väter bei den Kindern bis ins dritte und vierte Geschlecht bei denen, die mich hassen, und bin barmherzig in viel tausend Geschlechtern bei denen, die mich lieben und meine Gebote halten.“ (2. Mo. 20,5 f.)

Nachdem Maria jetzt von sich und den ihr eigenen Gottesgütern ausgesungen und Gott gelobt hat, spaziert sie nun durch alle Gotteswerke, die er insgemein bei allen Menschen wirkt, und singt ihm auch davon; sie lehrt uns die Werke, die Art, die Natur und den Willen Gottes recht erkennen. Es sind viel hochverständige Menschen und Philosophen auch damit umgegangen; sie hätten gerne gewußt, was doch Gott wäre, und haben viel von ihm geschrieben, einer so, der andere so; aber alle sind darüber in Verblendung geraten und haben den rechten Blick nicht gewonnen. Und fürwahr, das Größte im Himmel und auf Erden - wenn es jemand zuteil werden kann - ist, daß man Gott recht erkenne. Die Mutter Gottes lehrt es hier sehr gut, wenn einer sie verstehen will; es entspricht dem, was sie auch oben an und in ihr selber lehrt. Wie kann man Gott aber besser erkennen als aus seinen eigenen Werken? Wer seine Werke recht erkennt, der kann in der Erkenntnis seiner Natur, seines Willens, seines Herzens und Sinnes nicht fehlgehen. Darum ist's eine Kunst, seine Werke zu erkennen.

Und um es zusammenzufassen, so zählt Maria sechs göttliche Werke an sechserlei Menschen in diesen vier Versen (V. 50-53) nacheinander auf und teilt die Welt in zwei Teile; auf jeder Seite sind es drei Werke und dreierlei Menschen, und der eine Teil steht immer dem andern gegenüber. Da zeigt sie, was Gott auf beiden Seiten tut, und malt ihn so ab, daß er nicht besser abgemalt werden könnte.

Diese Einteilung ist in schöner Ordnung verfaßt und an mehreren Stellen der Schrift begründet, namentlich Jer. 9,22 f., wo Gott folgendermaßen sagt: „Es poche kein weiser Mensch auf seine Weisheit; es poche kein Gewaltiger auf seine Gewalt; es poche kein Reicher auf seinen Reichtum. Sondern wer da pochen will, der poche darauf, daß er mich erkenne und wisse, daß ich ein Gott bin, der da Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit auf Erden schafft. Solches gefällt mir wohl, spricht Gott.“ Das ist ein vortrefflicher Text und stimmt überein mit diesem Gesang der Mutter Gottes. Hier sehen wir gleichfalls, daß Gott alles, was die Welt hat, in drei Stücke einteilt: in „Weisheit“, „Gewalt“< und „Reichtum“, und daß er das alles zerbricht damit, daß er sagt, man solle nicht darauf pochen, denn da werde man ihn nicht finden, er habe auch kein Gefallen daran. Drei andere Stücke stellt er dem gegenüber: „Barmherzigkeit“, „Gericht“, „Gerechtigkeit“. „Da bin ich,“ spricht er, „ja, ich schaffe solches alles; so nahe bin ich: ich schaffe es nicht im Himmel, sondern auf Erden; da findet man mich. Wer mich daraus erkennt, der kann auf solches wohl trotzen und pochen. Denn ist er nicht weise, sondern armen Geistes, so ist da meine Barmherzigkeit bei ihm; ist er nicht gewaltig, sondern unterdrückt, so ist da mein Gericht und wird ihn erretten. Ist er nicht reich, sondern arm und bedürftig, so ist bei ihm um so viel mehr von meiner Gerechtigkeit.“

Unter „Weisheit“ faßt er alles zusammen, was geistliche Güter und hohe Gaben sind, auf Grund deren ein Mensch ein Wohlgefallen, Ruhm und eine hohe Meinung haben kann, wie es der folgende Vers zeigen wird, zum Beispiel Verstand, Vernunft, Weisheit, Können, Rechtschaffenheit, Tugend, gutes Leben; kurz, alles, was in der Seele ist, was man göttlich und geistlich nennt, so hohe Gaben es sein mögen, ohne daß es doch Gott selber ist. Unter „Gewalt“ faßt er zusammen alle obrigkeitliche Stellung, adligen Rang, Freundschaft, Würde und Ehre; dabei mag es sich handeln um Gewalt über zeitliche oder geistliche Güter und Volk, samt allen Rechten, Freiheiten und Vorteilen usw., was darin enthalten sein mag. In der Schrift freilich gibt es keine „geistliche Obrigkeit oder Gewalt“, sondern nur Dienstbarkeit und Untertänigkeit! Unter „Reichtum“ ist zusammengefaßt Gesundheit, schöne Gestalt, Lust, Stärke und alles, was dem Leib äußerlich Gutes begegnen mag. Im Gegensatz dazu stehen nun drei andere: die Geistesarmen, die Unterdrückten und die leiblich Bedürftigen. Nun wollen wir die sechs Werke und Stücke der Reihe nach nacheinander ansehen.

Davon handelt dieser Vers:

Seine Barmherzigkeit währt von Kind zu Kind bei denen, die ihn fürchten.

Maria fängt am Höchsten und Größten an, nämlich an den geistlichen, inwendigen Gütern; die machen ja die hoffärtigsten, stolzesten, halsstarrigsten Leute auf Erden. Es ist kein reicher Mann, kein mächtiger Herr so aufgeblasen und dreist wie ein solcher Überkluger; der fühlt sich und bildet sich ein, er habe recht, er verstehe die Sache wohl und sei weiser als andere Leute. Besonders wenn es ernst wird, daß er nachgeben oder unrecht haben soll, da ist er so verwegen und ganz ohne alle Gottesfurcht, daß er sich zu rühmen wagt, er könne nicht irren, Gott sei bei ihm, die andern seien des Teufels; und er wagt auf Gottes Gericht sich zu berufen. Kann er Befugnis und Gewalt dazu bekommen, so fährt er zu und setzt seinen Kopf durch; er verfolgt, verurteilt, lästert, würgt, verjagt, verstört alle, die ihm widerstehn; und nachher sagt er dann, er habe es Gott zu Dienst und Ehren getan, und ist eines großen Dankes und Verdienstes vor Gott so sicher und gewiß, daß die Engel im Himmel kaum so gewiß sind. Oh, was für eine große Aufgeblasenheit ist das! Oh, wieviel handelt die Schrift von solchen Leuten, wie schrecklich droht sie ihnen; aber sie fühlen's weniger, als der Amboß des Schmieds die Hammerschläge fühlt. Und in diesem Stück handelt es sich um eine große, weitverbreitete Sache.

Von diesen Leuten sagt Christus Joh. 16,2: „Es wird die Zeit kommen, da die, die euch töten und verjagen, meinen werden, sie tun Gott einen großen Dienst.“ Und Ps. 10,5 f. sagt von dem Haufen derselben Leute:; „Er überwältigt alle seine Widersacher und spricht: Es wird mir kein Übles begegnen“, als wollte er sagen: „Ich habe recht, ich tue wohl; Gott wird mir großen Lohn dafür geben usw.“. Ein solches Volk war Moab, von dem Jer. 48,29 f. und Jes. 16,6 sagt: „Wir haben von Moab gehört, es ist über die Maßen hochmütig; sein Hochmut, seine Aufgeblasenheit, seine Vermessenheit, sein Rühmen und sein Zorn ist größer als seine Macht.“ Demnach sehen wir, daß solche Leute vor großem Übermut gerne mehr täten als sie vermögen. Ein solches Volk waren die Juden Christus und den Aposteln gegenüber. Solche Leute waren die Freunde S. Hiobs, die über die Maßen weise gegen ihn redeten und Gott sehr hoch lobten und predigten. Solche Leute hören nicht, lassen sich nichts sagen; es ist nicht möglich, daß sie Unrecht haben oder nachgeben. Nur hindurch - und wenn die Welt darüber ganz in Trümmer gehen sollte! Die Schrift kann einen solchen verlorenen Haufen nicht genug tadeln. Bald nennt sie ihn eine Schlange, die ihre Ohren zustopft, daß sie nichts höre (Ps. 58,5), bald ein unbezwingliches Einhorn (Ps. 22,22), bald einen wütenden Löwen (Ps. 7,3), bald einen großen, unbeweglichen Felsen (Jer. 5,3), bald einen Drachen (Ps. 74,13), und so fort noch vieles mehr.

Aber nirgends sind sie besser geschildert als Hiob 40,15 ff.; 41,1 ff.: Da nennt Gott diesen Haufen Behemoth. (Behema heißt 'ein Tier', Behemoth 'ein Haufen Tiere'. Das sind also Leute, die den Verstand eines Tieres haben und nicht Gottes Geist in sich regieren lassen.) Da beschreibt ihn Gott: „Augen hat er wie die Morgenröte“ (Hiob 41,10); denn ihre Klugheit ist unbegrenzt. „Seine Haut ist so hart, daß er einen Spott daraus macht, wenn man darauf schießt oder sticht“ (Hiob 41, 18-21), d.h. wenn eine Predigt auf sie geht, verlachen sie es, denn ihr Recht soll man nicht tadeln können. Ferner (Hiob 41,7-9): „Eine Schuppe klebt an der andern, daß kein Lüftlein dazwischen geht“; denn sie halten untereinander zusammen, daß kein Geist Gottes in sie hineinkommen kann. „Sein Herz“, spricht Gott (Hiob 41,16), „ist verhärtet wie eines Schmiedes Amboß“. Es ist die Verkörperung des Teufels; drum schreibt Gott auch solches alles dem Teufel zu an derselben Stelle. Ein solches Volk ist zu unserer Zeit vor allen andern der Papst mit seinem Haufen, und er ist's schon seit langer Zeit gewesen. Die machen's auch so, und jetzt mehr als jemals früher: Da gibt's kein Hören, kein Einlenken; da hilft kein Sagen, kein Raten, kein Bitten, kein Drohen, kurzum nichts mehr. Denn: „Wir haben recht, dabei bleibt's, trotz jemand anders, und wenn's die ganze Welt wäre!“

Nun könnte aber jemand sagen: „Wie soll sich das zusammenreimen? Soll man die Wahrheit fahren lassen? Ist's nicht ein Gebot, daß man um des Rechts und der Wahrheit willen sterben soll? Haben nicht die heiligen Märtyrer um des Evangeliums willen gelitten? Hat nicht auch Christus selber recht bekommen wollen? Es kommt jedenfalls vor, daß solche Leute einmal offenkundig (und, wie sie es laut ausrufen, vor Gott) recht haben, gut und weise handeln!“ Darauf antworte ich: Hier ist's an der Zeit und nötig, die Augen aufzutun; hier sitzt der eigentliche Knoten; da kommt's ganz darauf an, daß man über das „Rechthaben“ rechten Unterricht gebe. Es ist gewiß wahr, um der Wahrheit und um des Rechtes willen soll man alles leiden und sie nicht verleugnen, mag es sich dabei um etwas so Geringfügiges handeln, als es will. Es kann auch sein, daß sie zuweilen recht haben. Aber darin liegt das Verderben, daß sie ihr Recht nicht in rechter Art ausrichten, nicht in Furcht damit umgehen, nicht Gott sich vor Augen stellen; sie meinen, es sei genug, daß es recht sei, und sie sollen und wollen in eigener Vollmacht weitermachen und so das Spiel hinausführen: damit verwandeln sie ihr Recht in Unrecht, auch wenn es von Grund aus Recht wäre; viel gefährlicher aber ist's, wenn es ihnen bloß so vorkommt bei den hohen Sachen, die Gott und seine Rechte betreffen. Aber wir wollen zuerst von dem leichtverständlichen, menschlichen Recht sprechen und ein leichtverständliches, handgreifliches Beispiel anführen.

Ist's nicht wahr, daß Geld, Gut, Leib, Ehre, Weib, Kind und Freunde usw. auch gute Dinge sind, die Gott selber geschaffen und gegeben hat? Setze dann den Fall: Weil es Gottes Gaben sind und nicht dein Eigentum, wollte er dich versuchen, ob du auch imstande wärest, sie um seinetwillen fahren zu lassen und mehr an ihm allein als an diesen seinen Gütern zu hängen; er würde dir einen Feind zuschicken, der sie dir ganz oder teilweise nähme und dir Schaden zufügte, oder du würdest durch Sterben und Verderben sonstwie drum kommen. Meinst du, daß du da billigerweise einen Grund hättest, zu toben, zu wüten, mit Sturm und Gewalt sie wieder an dich zu bringen, oder ungeduldig zu sein, bis du sie wieder im Besitz hättest? Du würdest geltend machen, es seien gute Dinge und Gottes Geschöpfe, die er selber gemacht habe, und die ganze Schrift nenne solche Dinge gut; darum wollest du Gottes Wort halten und dieses Gut mit Leib und Leben schützen und es wieder an Dich bringen, oder du wollest doch wenigstens nicht freiwillig entbehren noch geduldig sie fahren lassen. Wäre das nicht ein feiner Schein? Wolltest du nun da richtig gut handeln, so darfst du nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Was dann? Du sollst Gott fürchten und so sagen: „Nun, lieber Gott, es sind gute Dinge und deine Güter, wie dein eigen Wort, die Schrift, es sagt; aber ich weiß nicht, ob du mir sie vergönnen willst. Wenn ich wüßte, daß ich's nicht haben sollte, so wollte ich auch nicht ein Haar davon wieder an mich bringen. Wüßte ich aber, daß du sie lieber bei mir haben wolltest als bei jenem, so wollte ich dir darin zu Dienst und Willen sein und mit Einsatz von Gut und Blut sie wieder an mich bringen. Weil ich aber keine von beiden weiß und die Tatsache sehe, daß du sie mir im gegenwärtigen Augenblick nehmen lässest, befehle ich dir die Sache. Ich will warten, was ich dabei tun soll, und bereit sein, sie zu haben und zu entbehren.“

Sieh, das ist eine rechte Seele; die fürchtet Gott, und bei ihr ist Barmherzigkeit, wie die Mutter Gottes hier singt. Daraus kann man ersehen, aus welchem Grund Abraham, David und das Volk Israel vorzeiten stritten und viele erwürgten: Sie gingen hin nach Gottes Willen, standen in Furcht und stritten nicht um des Gutes willen, sondern weil es Gott von ihnen haben wollte. So erzählen es die Geschichtsbücher, und gewöhnlich weisen sie vorher den Befehl Gottes nach. Nun sieh, hier wird die Wahrheit nicht verleugnet: Die Wahrheit sagt, es seien gute Dinge und Gottes Geschöpfe. Ja, eben dieselbe Wahrheit sagt auch und lehrt, du sollst solch gute Dinge fahren lassen und allstündlich bereit sein, darauf zu verzichten, wenn Gott es haben will, und sollst allein an Gott hangen. Damit, daß sie sagt, die Güter seien gut, drängt dich die Wahrheit nicht, daß du sie wieder an dich bringen sollst; sie drängt dich auch nicht, daß du sagen sollst, sie seien nicht gut. Vielmehr sollst du ihnen mit Gelassenheit gegenüberstehen und bekennen, daß sie gut sind und nicht böse.

Geradeso muß man's auch machen mit dem Recht und den mancherlei Gütern der Vernunft oder Weisheit. Recht ist ein gutes Ding und eine Gabe Gottes; wer zweifelt daran? Gottes Wort sagt selbst (Ps. 37,28; 94,15), das Recht sei gut, und gewiß soll nie jemand zugestehen, daß seine gute oder rechte Sache unrecht oder böse sei; eher soll er drüber sterben und alles, was nicht Gott ist, fahrenlassen. Das hieße ja, Gott und sein Wort verleugnen; denn er sagt, das Recht sei gut und nicht böse. Wolltest du aber deshalb schreien, wüten, toben und alle Welt erwürgen, wenn dir dieses Recht genommen oder unterdrückt würde? (So machen es manche, die zum Himmel rufe, allen Jammer anrichten, Land und Leute verderben, mit Kriegen und Blutvergießen die Welt erfüllen.) Was weißt du, ob Gott dir diese Gabe und dies Recht lassen will? Ist's doch sein, und er kann dir's nehmen heut und morgen, draußen und drinnen, durch Feind und Freund und wie er will. Er versucht dich, ob du auch um seinetwillen aufs Recht verzichten, Unrecht bekommen und leiden, um seinetwillen die Schande tragen und an ihm allein hangen wollest.

Bist du nun gottesfürchtig, dann denkst du: „Herr, es ist dein, ich will's nicht haben, außer ich weiß, daß du mir's gönnen willst; fahr hin, was fahren will, sei du nur mein Gott.“ Sieh, dann tritt dieser Vers in Kraft: „Und seine Barmherzigkeit ist bei denen, die ihn fürchten.“, die nichts tun wollen ohne seinen Willen. Siehe, da ist Gottes Wort in beiden Stücken gehalten: Erstens bekennst du, das Recht, deine Vernunft, deine Erkenntnis, deine Weisheit und deine ganze Absicht sei recht und gut, wie Gottes Wort selber davon redet (Ps. 26,1 ff. u.ö.); zweitens entbehrst du solches Gut gerne um Gottes willen und lässest dich gerne wider alles Recht verderben und zuschanden werden vor der Welt, wie Gottes Wort auch lehrt (Mat. 5,10 f. u.ö.).

Es sind zwei Dinge gut oder recht: Bekennen und Gewinnen. Für dich genügt das Bekenntnis, daß du das Gute und Rechte habest; kannst du nicht gewinnen, laß es Gott befohlen sein: dir ist das Bekennen befohlen, Gott hat sich das Gewinnen vorbehalten. Will er, daß du auch gewinnen sollst, so wird er das selber tun oder es dir, ohne daß du daran gedacht hast, so vorlegen, daß du es in die Hand nehmen und auf eine Weise gewinnen mußt, wie du es niemals gedacht und begehrt hättest. Will er es nicht, so laß dir genügen an seiner Barmherzigkeit. Nimmt man dir den Sieg des Rechten, so kann man doch das Bekennen dir nicht nehmen. Sieh, so müssen wir Abstand nehmen nicht von den Gütern Gottes, sondern von dem bösen, verkehrten Kleben an ihnen; wir müssen sie mit Gelassenheit entbehren und gebrauchen können, daß wir auf alle Fälle an Gott allein hangen.

Oh, dieses Sachverhalten sollten sich alle Fürsten und Obrigkeiten bewußt sein, die sich nicht begnügen mit dem Bekennen des Rechten, sondern auch unbedingt gewinnen und obliegen wollen ohne alle Gottesfurcht. Sie machen die Welt voll Bluts und Jammers und meinen, sie tun gut und recht daran, weil sie eine rechte Sache haben oder zu haben vermeinen. Was ist das anders als der stolze, übermütige Moab, der sich selber dessen würdig macht und achtet, daß er das edle, schöne Gottesgut und die Gottesgabe, das Recht, haben müßte. Und dabei ist es, wenn er sich recht ansähe vor Gottes Augen, nicht würdig, daß ihn die Erde trägt und er die Rinden vom Brot ißt - um seiner Sünde willen. O Blindheit! O Blindheit! Wer ist auch nur einer kleinsten Schöpfung Gottes würdig? Und sie wollen die höchsten Schöpfungen, das Recht, die Weisheit und ihre Ehre nicht bloß haben, sondern auch mit Wüten, Blutvergießen und allem Unheil festhalten und herholen. Und dann gehen wir hin, beten, fasten, hören die Messe, stiften Kirchen mit einem solch blutigen, wütenden, rasenden Sinn, daß es kein Wunder wäre, die Steine zersprängen vor unsrem Gesicht.

Hier legt sich eine Nebenfrage nahe: „Soll denn ein Herr sein Land und seine Leute nicht vor Unrecht schützen, sondern einfach stille halten und sich alles nehmen lassen? Was sollte daraus werden in der Welt?“ Dazu will ich jetzt meine Meinung aufs kürzeste sagen. Weltliche Gewalt ist schuldig, ihre Untertanen zu schützen, wie ich schon oft gesagt habe. Denn darum trägt sie das Schwert, um die, die sich dieser göttlichen Lehre nicht zuwenden, in der Furcht zu erhalten, damit sie die andern in Frieden und Ruhe lassen. Auch sucht sie darin nicht ihren eigenen Vorteil, sondern des Nächsten Nutzen und Gottes Ehre; sie wäre wohl gerne auch stille und ließe ihr Schwert liegen, wenn Gott dies nicht verordnet hätte, um den Bösen zu steuern. Doch darf dieses Schützen nicht so vonstatten gehen, daß ein viel größerer Schaden dabei entsteht und ein Löffel aufgehoben wird, während man eine Schüssel zertritt.

Es ist ein schlechter Schutz, wenn man um einer Person willen eine ganze Stadt in Gefahr bringt, oder wegen eines Dorfes oder Schlosses das ganze Land aufs Spiel setzt. Ausgenommen den Fall, daß Gott wie vor Zeiten eigens den Befehl gäbe, das zu tun. Es nimmt ein Wegelagerer einem Bürger sein Gut, und du brichst mit einem Heere auf, um das Unrecht zu strafen, und suchst das ganze Land mit Steuern heim: Wer hat hier mehr Schaden getan, der Wegelagerer oder der Herr? David sah vielmals durch die Finger, wo er nicht ohne Schaden für andere strafen konnte. Ebenso muß es jede Obrigkeit machen; andererseits muß auch ein Bürger etwas leiden um der Allgemeinheit willen, und er darf nicht verlangen, daß um seinetwillen alle die andern in größeren Schaden kommen. Es kann nicht immer gleich zugehen. Christus wollte (Mat. 13,29 f.) das Unkraut nicht ausrotten lassen, daß nicht auch der Weizen mit ausgerottet würde. Wollte man wegen jeder Rechtsverletzung Streit führen und gar nichts übersehen, so gäbe es niemals einen Frieden und dann noch lauter Verderben obendrein. Darum ist das Recht oder Unrecht nimmermehr ein genügender Grund, um unterschiedslos zu strafen oder zu streiten, obwohl Anlaß genug vorhanden ist, mit Fug und ohne Schaden für einen andern zu strafen; es muß jedenfalls ein Herr oder eine Obrigkeit mehr auf das sehen, was dem ganzen Volke, als auf das, was nur einem einzelnen Teile dient. Es wird ein Hausvater nicht reich werden, wenn er die Gans hinterdrein wirft, weil man ihr eine Feder ausgerupft hat. Aber es ist jetzt nicht Zeit, von Kriegen zu reden.

Ebenso muß man's auch bei den Sachen machen, die Gott angehen, wie mit dem Glauben und Evangelium, welches die höchsten Güter sind; sie darf niemand fahren lassen. Aber ob ihnen Recht, Gunst, Ehre, Beifall und Anhängerschaft zuteil wird - das muß man auch darauf ankommen lassen und Gott darüber walten lassen. Nicht ums Gewinnen, sondern ums Bekennen soll man besorgt sein, und man soll es gerne leiden, wenn man darob als ein Ungerechter, ein Verführer, ein Ketzer, ein Irreführender, ein Frevler usw. vor aller Welt geschmäht, verfolgt, verjagt, verbrannt oder auf andre Weise umgebracht wird. Denn dabei ist Gottes Barmherzigkeit. Man kann einem wenigstens den Glauben und die Wahrheit nicht nehmen, wenn man einem auch das Leben nimmt. (Freilich gibt es in diesem Punkt nur wenige, die, wie es beim zeitlichen Gut und Recht der Fall ist, toben und sich wunderlich benehmen, um zu gewinnen und obzuliegen; denn es sind auch nur wenige, die es recht und aus Überzeugung bekennen.)

Doch wird ein solcher Mensch um anderer willen Leid tragen und klagen, weil ihnen durchs Unterliegen des Evangeliums ein Hindernis für ihrer Seelen Seligkeit bereitet wird; ja, er wird hier, jedoch vor Gottes Augen, zum Schutz vor solcher Schädigung der Seele viel mehr Klage erheben und sich abmühen, als die Moabiter es um ihre zeitlichen Güter und Rechte tun, wie oben gesagt wurde. Denn es ist zum Erbarmen, wenn Gottes Wort nicht gewinnt und obliegt, nicht um des Bekenners willen, sondern um derer willen, die dadurch hätten errettet werden sollen. Daher sehen wir bei den Propheten, bei Christus und den Aposteln so großes Leid und Klagen, weil das Wort Gottes unterdrückt wurde, obwohl sie doch fröhlichen Muts waren, jedes Unrecht und Schaden zu leiden; denn hier liegt ein andrer Grund vor, gewinnen zu wollen, als bei allen andern Gütern. Freilich soll darin doch niemand selber mit Gewalt zufahren und ein solches recht des Evangeliums mit Ungestüm und Unvernunft festhalten oder erringen, sondern man soll sich vor Gott demütigen, da man ja vielleicht dessen nicht würdig sei, daß ein solch großes Gut durch einen geschehe, und soll alles mit Bitten und Klagen seiner Barmherzigkeit anheimstellen.

Sieh, das ist das erste Werk Gottes, daß er barmherzig ist gegen alle, die ihre Meinung, ihr Recht, ihre Weisheit und was geistliche Güter sind, gerne entbehren und aus freiem Willen arm am Geiste bleiben. Das sind die rechten Gottesfürchtigen: sie dünken sich keiner Sache würdig, so geringfügig sie auch sein mag; sie stehen gern vor Gott und der Welt nackt und bloß da; was sie aber an Gütern haben, betrachten sie als etwas, was ihnen nur aus lauter Gnade ohne jedes Verdienst gegeben wurde, und benützen es mit Lob, Dank und Furcht wie fremde Güter; sie suchen nicht ihren eignen Willen, Lust, Lob oder Ehre, sondern allein die Gottes, dem sie gehören. Und Maria macht deutlich, wieviel lieber Gott solche Barmherzigkeit, sein edelstes Werk, erzeigt als das Gegenstück, die Strenge, indem sie sagt, es währe dieses Werk Gottes unaufhörlich von Kind zu Kind bei den Gottesfürchtigen, während jenes Werk nur bis ins dritte oder vierte Glied währt (2.Mo. 20,5), und in dem gleich folgenden Vers überhaupt kein Ziel und keine Zeit bestimmt wird, wie im folgenden deutlich wird.

Er hat Gewalt geübt mit seinem Arm und zerstreut die, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn (Vers 51)

Niemand lasse sich an der Verdeutschung irremachen, daß ich oben verdeutscht habe: „Er wirkt gewaltiglich“, und hier: „Er hat Gewalt geübt“. Es geschieht darum, daß wir die Worte desto besser verstehen; denn sie sollen an keine Zeit gebunden sein, sondern Gottes Art und Werke offen dartun, wie er sie allezeit getan hat, allezeit tut und allezeit tun wird. Es würde also gleichviel bedeuten, wenn ich's in folgender Weise deutsch sagte: „Gott ist ein solcher Herr, dessen Wirken so vor sich geht, daß er kraftvoll die Hochmütigen zerstreut und barmherzig ist gegen die Gottesfürchtigen.“

Gottes „Arm“ heißt in der Schrift die ihm eigene Gewalt, womit er ohne Vermittlung der Kreaturen wirkt. Dabei geht's still und heimlich zu, daß es niemand gewahr wird, bis es geschehen ist; derart, daß diese Gewalt (oder der Arm) nur allein durch den Glauben verstanden und erkannt werden kann. So klagt auch Jesaja darüber, daß so wenige Glauben haben an diesen Arm, wenn er Kap. 53,1 sagt: „Wer glaubt unserer Predigt, und wer sind die, denen der Arm Gottes bekannt ist?“ Das kommt alles daher, daß es, wie es eben dort nachher ausgeführt wird, heimlich zugeht, so daß diese Gewalt kein entsprechendes Ansehen hat. Auch Habakuk (Kap. 3,4) spricht davon, daß Hörner in Gottes Händen seien, um seine große Stärke anzuzeigen; und doch klagt er, seine Stärke sei daselbst verborgen. Wie geht das zu?

Es geht so zu: Wenn Gott durch Vermittlung der Kreaturen wirkt, so sieht man offenkundig, wo Gewalt oder Schwäche ist. Daher kommt das Sprichwort: „Gott hilft dem Stärksten.“ Wenn also ein Fürst den Krieg gewinnt, so hat durch seine Vermittlung Gott die andern geschlagen; wird jemand vom Wolf gefressen oder kommt er sonst zu Schaden, so ist das durch Vermittlung der Kreatur geschehen. In solcher Weise macht und zerbricht Gott eine Kreatur durch Vermittlung der andern; wer da liegt, der liegt, wer da steht, der steht. Wenn er dagegen selber wirkt durch seinen Arm, dann geht es anders zu; da ist's zerstört, eher als man meint, umgekehrt erbaut, ehe man es noch meint, und ehe es jemand sieht. In dieser Weise wirkt er nur in Beziehung auf die Rechtschaffenen und die Bösen, bei denen zwei Arten von Menschen, in die man die Welt einteilen kann.

Da läßt er die Rechtschaffenen ihrer Kraft beraubt und unterdrückt werden, so daß jedermann meint, es sei mit ihnen aus, es habe ein Ende; aber eben dann ist er mit seiner Stärke am nächsten, so ganz verborgen und heimlich, daß es diejenigen nicht einmal selber empfinden, welche die Bedrückung leiden; vielmehr sind sie aufs Glauben angewiesen. Da ist die volle Stärke und der ganze Arm Gottes. Denn wo Menschenkraft hinausgeht, da geht die Gotteskraft hinein, wenn der Glaube da ist und darauf wartet. Wenn nun die Bedrückung aus ist, dann kommt's heraus, was für eine Stärke unter der Schwäche dagewesen ist. Siehe, so ward Christus kraftlos am Kreuz, und eben daselbst bewies er die größte Macht; er überwand Sünde, Tod, Welt, Hölle, Teufel und alles Übel. In solcher Weise sind alle Märtyrer stark gewesen und haben's gewonnen, und so gewinnen's auch jetzt noch alle Leidenden und Unterdrückten. Darum spricht Joel (4,10): „Wer ohne Kraft ist, der soll sagen: Ich bin reich an Kraft“, aber im Glauben und nicht in der Empfindung, bis es ans Ende kommt.

Umgekehrt läßt Gott den andern Teil der Menschen sich groß und mächtig erheben. Er zieht seine Kraft von ihnen zurück und läßt sie nur aus eigner Kraft sich aufblasen. Denn, wo Menschenkraft hineingeht, da geht Gotteskraft hinaus. Wenn nun die Blase voll ist und jedermann meint, sie seien oben auf und hätten's gewonnen, und wenn sie selber nun auch sicher sind und haben's zu Ende geführt, so sticht Gott ein Loch in die Blase, dann ist's ganz aus. Die Narren wissen nicht, daß gerade, indem sie zunehmen und stark werden, sie von Gott ausgestoßen sind und Gottes Arm nicht bei ihnen ist. Darum währt ihre Sache ihre bestimmte Zeit; dann verschwindet sie wie eine Wasserblase, und wird, als wäre sie nie gewesen. Davon ist Psalm 73 die Rede, wo der Psalmsänger sich sehr verwunderte, wie die Bösen so reich, sicher und mächtig seien in der Welt; zuletzt sprach er (Ps. 73,16 ff): „Ich habe es nicht verstehen können, bis ich in das Geheimnis Gottes Einblick gewann und wahrnahm, wie es ihnen zuletzt gehen würde. Da sah ich, daß sie nur erhaben waren, damit sie sich selber täuschten, und daß sie eben darin erniedrigt waren, worin sie erhaben waren. Wie bald sind sie vernichtet, wie schnell hat's ein Ende mit ihnen gehabt, als wären sie nie gewesen, wie ein Traum vergeht bei einem, der aufwacht.“ Und Ps. 37,35 f. heißt es: „Ich habe einen gottlosen Mann gesehen, hoch aufgewachsen wie ein Zedernbaum auf dem Berg Libanon; ich bin nur ein wenig vorbeigegangen, und siehe da, er war schon dahin. Ich fragte nach ihm, da war von ihm nichts mehr da.“

Es fehlt nur am Glauben, daß wir nicht auch ebenso ein wenig die Zeit abwarten können; sonst würden wir es auch fein sehen, wie die Barmherzigkeit sich bei den Gottesfürchtigen mit aller Stärke Gottes findet, während der Arm Gottes sich gegen die Hoffärtigen wendet mit allem Ernst und aller Gewalt. Wir glaubenslosen Leute tappen mit der Faust nach der Barmherzigkeit und nach dem Arm Gottes, und wenn wir nichts davon spüren, so meinen wir, es sei bei uns verloren und bei den Feinden gewonnen, als wäre Gottes Gnade und Barmherzigkeit von uns gewichen und sein Arm gegen uns gerichtet. Das kommt daher, daß wir sein eigenstes Wirken nicht kennen; darum kennen wir ihn auch nicht, weder seine Barmherzigkeit noch seinen Arm; denn er muß und will im Glauben erkannt werden. Drum müssen die Sinne und die Vernunft das Auge schließen; es ärgert uns; drum soll man es ausstechen und wegwerfen (Mk. 9,47). Sieh, das sind zwei entgegengesetzte Werke Gottes; aus ihnen lernen wir, wie Gott so gesinnt ist, daß er ferne von den Weisen und Klugen ist und nahe den Nichtweisen und denen, die Unrecht haben müssen. Das macht dann Gott liebens- und lobenswert und läßt Seele und Leib und alle Kräfte getrost werden.

Nun betrachte die Worte: „Er zerstört die, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.“ Das Zerstören vollzieht sich, wie gesagt, eben, wenn sie am allerklügsten und voll eigener Weisheit sind ; dann ist Gotte Weisheit gewiß nimmer da. Wie könnte er sie aber besser zerstören, als wenn er ihnen seine ewige Weisheit entzieht und sie erfüllt werden läßt von ihrer zeitlichen, kurzen, vergänglichen Weisheit? Maria sagt ja: „Die da hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn“, d.h. ihnen gefällt ihr eignes Meinen, Denken und Verstehen, wie es nicht Gott, sondern ihr Herz eingibt, wie wenn es allein das richtigste, beste und weiseste von allen wäre. Damit erheben sie sich gegen die Gottesfürchtigen, unterdrücken deren Meinung und Recht, machen's zuschanden und verfolgen's aufs äußerste, damit ja nur ihre eigene Sache recht sei und Bestand habe; und wenn sie das erreichen, rühmen und erheben sie sich hoch. So handelten die Juden gegen Christus, sahen aber nicht, wie damit ihre eigne Sache zerstört und zuschanden wurde, während Christus zu allen Ehren erhoben ward.

So sehen wir, daß dieser Vers von den geistlichen Gütern redet und davon, wie man darin Gottes Wirken nach beiden Seiten hin erkennt. Wir sollen also gerne arm am Geiste sein, Unrecht haben und unsern Gegner Recht haben lassen. Sie werden's doch nicht lange treiben; die Verheißung ist hier zu stark: sie können dem Gottesarm nicht entrinnen, sie müssen herunter, so hoch wie sie sich erhoben haben, wenn wir das glauben. Wo aber der Glaube nicht ist, da wirkt Gott dieses Werk nicht; er läßt gehen und wirkt offenkundig durch Vermittlung der Kreaturen, wie oben gesagt ist. Das sind aber nicht die rechten Werke, daran man ihn erkennen kann; denn es laufen der Kreatur Kräfte mit unter, und es sind nicht bloß eigenste Werke Gottes. Die müssen so sein, daß niemand mit Gott zusammenwirkt, sondern er allein am Werke ist; das ist der Fall, wenn wir kraftlos werden und in unsrem Recht oder Sinn unterdrückt sind und Gottes Kraft in uns leiden; das sind edle Werke.

Wie meisterlich trifft Maria wieder die falschen Gleißner! Sie sieht ihnen nicht auf die Hände oder unter die Augen, sondern ins Herz, wenn sie sagt: „Die Hoffärtigen in ihres Herzens Sinn.“ Damit trifft sie besonders die Feinde göttlicher Wahrheit, wie es die Juden waren Christus gegenüber, und wie es auch jetzt noch Leute gibt. Diese Gelehrten und Heiligen sind ja nicht hoffärtig in ihren Kleidern oder Gebärden: sie beten viel, fasten viel, predigen und studieren viel, halten auch Messe; sie tragen das Haupt demütig und keine kostbaren Kleider. Sie wissen es selbst nicht anders, als daß es keinen größeren Feind der Hoffart, des Unrechts, der Gleißnerei gebe als sie selber, und keinen größeren Freund der Wahrheit und Gottes als sie: Wie könnten sie der Wahrheit überhaupt Schaden zufügen, wenn sie nicht so heilige, rechtschaffene, gelehrte Leute wären? Dieses ihr Wesen, das gibt den Schein und gleißt und macht Eindruck auf die Menge. Ach, sie meinen's so herzlich gut, rufen den lieben Gott an und äußern ihr Bedauern über den armen Jesus, daß er so Unrecht tut und hoffärtig ist und nicht so rechtschaffen, wie sie sind. Von denen sagt er Mat. 11,19: „Die göttliche Weisheit wird von ihren eigenen Kindern gerechtfertigt“, d.h. „die sind gerechter und weiser als ich selbst, der ich die göttliche Weisheit bin. Wie ich's mache, so ist's nicht recht, und ich werde von ihnen geschulmeistert.“

Das sind die giftigsten, schädlichsten Menschen auf Erden, das ist eine abgrundtiefe, teuflische Hoffart des Herzens, der nicht zu raten ist. Denn solche Menschen hören nicht; was man sagt, das geht sie nicht an, sie beziehen es auf den armen Sünder, der solcher Lehre bedarf; sie selber bedürfen's nicht. Johannes nennt sie Schlangengezüchte (Luk. 3,7) und ebenso Christus (Mat. 23,33). Das sind die eigentlich Schuldigen, weil sie Gott nicht fürchten; sie taugen nur dazu, daß Gott sie in ihrer Hoffahrt zerstreue. Denn niemand verfolgt Recht und Wahrheit mehr als sie, jedoch, wie gesagt, um Gottes und der Gerechtigkeit willen. Drum müssen sie auf dieser Seite unter den drei Feinden Gottes vornean stehen. Denn die Reichen sind die geringsten Feinde; viel mehr richten die Gewaltigen an; aber diese Gelehrten übertreffen alles, weil sie die andern reizen. Die Reichen vertilgen die Wahrheit bei sich selbst, die Gewaltigen verjagen sie von den andern, aber die Gelehrten löschen sie ganz aus, wie sie ist, und bringen anderes auf, ihres Herzens Eigendünkel, so daß die Wahrheit nicht wieder aufkommen kann. Soweit nun die Wahrheit, wie sie an sich ist, besser ist als die Menschen, in denen sie wohnt, soviel sind die Gelehrten ärger als die Gewaltigen und die Reichen. Oh, Gott ist ihnen in besonderer Weise feind, wie es billig ist.

Er hat die Gewaltigen abgesetzt von ihren Stühlen. (Vers 52)

Dieses Werk und die nachfolgenden sind nun leicht zu verstehen aus den zwei vorhergehenden; Gott verfährt nämlich hier wie bei den Weisen und Überklugen. Diese macht er zunichte in ihrem eigenen Sinnen und Denken; denn darauf verlassen sie sich und damit treiben sie ihren Hochmut den Gottesfürchtigen gegenüber; die müssen Unrecht haben und ihr Sinn und Recht muß verdammt sein, wie es denn am meisten um des Gotteswortes willen vorkommt. Ebenso macht Gott auch die Gewaltigen und Großen in ihrer Macht und obrigkeitlichen Gewalt zunichte und setzt sie ab; denn darauf verlassen sie sich und damit üben sie ihren Übermut aus gegenüber den Untergebenen und rechtschaffen Demütigen; die müssen von ihnen Schaden, Pein, Tod und Übel aller Art leiden. Und wie er die tröstet, die Unrecht und Schande haben müssen um ihres Rechts, um der Wahrheit und um des Wortes willen, so tröstet er auch die, die Schaden und Übel erleiden müssen. Und sosehr er diese tröstet, so sehr erschreckt er jene. Das muß aber auch alles im Glauben erkannt und abgewartet sein. Denn er macht die Gewaltigen nicht so schnell zunichte, wie sie es verdienen; er läßt sie eine Weile gehen, bis ihre Gewalt aufs höchste und letzte gestiegen ist. Dann hält sie Gott nicht; sie vermag sich auch nicht selber zu halten, und so zergeht sie in sich selbst ohne jeden Lärm und gewaltsamen Bruch. Und dann kommen die Unterdrückten empor, auch ohne jeden Lärm; denn Gottes Kraft ist in ihnen: die bleibt dann allein, wenn jener am Boden liegt.

Merke aber, Maria sagt nicht, daß er die Stühle zerbreche, sondern: „Er wirft die Gewaltigen heraus.“ Sie sagt auch nicht: „Er läßt die Niedrigen in ihrer Niedrigkeit“, sondern: „Er erhebt sie.“ Denn solange die Welt steht, muß Obrigkeit, Regiment, Gewalt und die Stühle bleiben. Aber daß man sie in übler und Gott widersprechender Weise dazu benützt, um den Rechtschaffenen Unrecht und Gewalt anzutun, und daß man ein Wohlgefallen daran hat, sich dessen überhebt und sie nicht mit Gottesfurcht gebraucht zu seinem Lob und zum Schutz der Gerechtigkeit - das duldet er nicht lange. So sehen wir in allen Geschichtsbüchern und in der Erfahrung, wie Gott ein Reich aufrichtet, das andere niederwirft, ein Fürstentum erhebt, das andere unterdrückt, ein Volk mehrt, das andere vertilgt. So hat er's mit Assyrien, Babylon, Persern, Griechen, Rom gemacht, obwohl diese doch meinten, sie würden ewig sitzen auf ihrem Stuhl. Ebenso vernichtet er auch nicht Vernunft, Weisheit und Recht (denn soll die Welt bestehen, so muß man Vernunft, Weisheit und Recht haben), sondern den Hochmut und die Hochmütigen, die sich selber damit dienen, Wohlgefallen daran haben, Gott nicht fürchten, die Rechtschaffenen und das göttliche Recht damit verfolgen und so die schönen Gaben Gottes gegen Gott mißbrauchen.

Nun ereignet sich's in den Sachen, die Gott angehen, daß die Überklugen und die Hoffärtigen mit ihrer Einbildung sich gewöhnlich zu den Gewaltigen schlagen und diese gegen die Wahrheit aufwiegeln, wie Ps. 2,2 steht: „Die Könige der Erde haben sich erhoben, und die Fürsten sind zusammengetreten gegen Gott und seinen Gesalbten usw.“ So muß das Recht und die Wahrheit immer die Weisen, die Gewaltigen, die Reichen zugleich gegen sich haben, d.h. die Welt mit ihrem größten und höchsten Vermögen. Darum tröstet der Heilige Geist sie durch den Mund dieser Mutter, daß sie sich nicht beirren noch erschrecken lassen: „Laß sie weise, mächtig, reich sein; es währt nicht lange.“ Denn angenommen, die Heiligen und Gelehrten würden zusammen mit den Gewaltigen und Herren und außerdem noch mit den Reichen nicht gegen, sondern für das Recht und die Wahrheit eintreten, wo sollte das Unrecht bleiben? Wer würde etwas Böses erleiden? Nein, nicht so; die Gelehrten, die Heiligen, die Mächtigen, die Großen, die Rechen und das Beste an der Welt muß gegen Gott und Recht streiten und des Teufels Eigentum sein. In diesem Sinn heißt es Hab. 1,16: „Seine Speise ist lieblich und auserwählt“, d.h. der böse Geist hat ein Leckermaul und frißt gern das Allerbeste, das Feinste, das Auserlesene, wie der Bär den Honig.

Drum sind die Gelehrten, die heiligen Gleißner, die großen Herren, die Reichen des Teufels feine Leckerbissen; dagegen, was die Welt verwirft, die Armen, Niedrigen, Einfachen, Geringen, Verachteten erwählt Gott, wie S. Paulus 1. Kor. 1,28 sagt; er macht, daß der geringste Teil der Welt unter dem besten leiden muß, damit gewiß erkannt werde; nicht in dem, was Menschen, sondern allein in dem, was Gott vermag und bewirkt, besteht unser Heil, wie auch S. Paulus sagt (1. Kor. 2,5). Daher kommt's, daß man recht mit Wahrheit sagt: „Die Gelehrten, die Verkehrten.“ „Ein Fürst ist Wildpret im Himmel“ „Hier reich, dort arm.“ Denn die Gelehrten lassen den Hochmut ihres Herren nicht, die Gewaltigen lassen ihre Gewalttat nicht, die Reichen lassen ihre Lust nicht; so geht's dem Verderben zu.

Und er hat die Niedrigen erhoben. (Vers 52b)

Unter den „Niedrigen“ sollen hier nicht die Demütigen verstanden werden, sondern alle, die vor der Welt kein Ansehen genießen und ganz nichtig sind. Denn es ist eben das Wörtlein, das Maria oben von sich selber sagt: „Er hat die Nichtigkeit seiner Magd angesehen.“ Jedoch sind diejenigen, welche von Herzen gern so niedrig und nichtig sind und nicht hoch zu sein suchen, gewiß demütig.

Das „Erheben“ ist nun nicht so zu verstehen, daß Gott sie auf die Stühle und an die Stelle derer setzt, die er abgesetzt hat, geradesowenig wie er die Gottesfürchtigen, wenn er ihnen Barmherzigkeit erzeigt, an die Stelle der Hochgelehrten setzt; nein, er gibt ihnen viel mehr, daß sie, in Gott und durch den Geist erhoben, über Stühle und Gewalt und alles Können Richter werden hier und dort. Denn sie wissen mehr als alle Gelehrten und Gewaltigen. Wie nun das zugeht, ist oben gesagt beim ersten Werk und bedarf keiner Wiederholung. Es ist alles den Leidenden zum Trost und den Zwingherrn zum Schrecken gesagt, falls wir soviel Glauben hätten, daß wir's für wahr halten.

Er hat die Hungrigen gesättigt mit Gütern, und die Reichen hat er leer gelassen (Vers 53)

Wie schon oben gesagt worden ist, sind unter den Niedrigen nicht Leute zu verstehen, die in unscheinbarer, verachteter Gestalt sind, sondern Leute, die gerne drin sind oder drin sein wollen, zumal wenn sie um des Gotteswortes oder des Rechte willen hineingezwungen werden. Dementsprechend sollen auch die Hungrigen nicht diejenigen sein, die wenig oder keine Speise haben, sondern die selber gerne Mangel leiden, zumal wenn sie von andern mit Gewalt um Gottes oder der Wahrheit willen dazu gezwungen werden. Was ist niedriger, nichtiger, dürftiger als der Teufel und die Verdammten, ferner diejenigen, die wegen ihrer Missetat gemartert, durch Hunger umgebracht, erwürgt werden, und alle, die unfreiwillig in Niedrigkeit und Dürftigkeit leben? Und doch hilft sie das nichts, ja es vermehrt und vergrößert nur ihren Jammer. Von denen redet die Mutter Gottes nicht, sondern von denen, die mit Gott eins sind und mit denen Gott eins ist, die an ihn glauben und auf ihn trauen.

Umgekehrt, was hindert es die heiligen Väter, Abraham, Isaak und Jakob, daß sie reich waren? Was hinderte den David sein Königstuhl, den Daniel seine Gewalt, die er in Babylonien inne hatte? Was hindert alle, daß sie in hohem Stand oder großem Reichtum waren oder noch sind, wenn ihr Herz nichts drauf gibt noch das Seine darin sucht? Salomo sagt Spr. 16,2: „Gott, der wiegt die Geister“, d.h. er richtet nicht nach dem äußerlichen Ansehen und den äußeren Formen, ob sie reich, arm, hoch oder niedrig sind, sondern nach dem Geist, wie sich der darin verhält. Es müssen solche Verschiedenheiten der Formen von Personen und Ständen auf Erden in diesem Leben bestehen bleiben; aber das Herz soll weder daran hängenbleiben noch davor fliehen: nicht haften an den hohen und reichen, nicht fliehen vor den niedrigen und armen. Ebenso sagt auch Ps. 7,10.12: „Gott erforscht das Herz und die Nieren; drum ist er ein rechter Richter.“ Menschen aber richten nach Augenschein; darum gehen sie oft fehl.

Diese Werke geschehen auch wie die obengenannten heimlich, daß sie niemand fühlt bis ans Ende. Ein reicher Mensch wird nicht gewahr, wie gar leer und elend er ist, außer wenn er stirbt oder sonst verdirbt; dann sieht er, wie sehr es alles nicht gewesen ist, alle seine Habe. In diesem Sinne heißt es Ps. 76,6: „Sie sind entschlafen, und da fanden sie, daß nichts in ihren Händen haben alle Männer, die Reichtümer besaßen.“ Die Hungrigen andererseits wissen nicht, wie voll sie sind, bis es ans Sterben geht; da finden sie dann, wie wahr das Wort Christi (Luk. 6,21) ist: „Selig sind die Hungrigen und Durstigen; denn sie werden satt werden“, und wie wahr hier die tröstliche Versicherung der Mutter Gottes ist: „Er hat die Hungrigen erfüllt mit Gütern.“

Es ist jedenfalls nicht möglich, daß Gott jemand leiblich Hungers sterben lasse, der auf ihn vertraut; es müßten eher alle Engel kommen und ihn speisen. Elias ward von den Raben gespeist (1. Kön. 17,6), und mit einer Hand voll Mehles ward er samt der Witwe zu Sarepta eine lange Zeit ernährt (1. Kön. 17,15 f.). Gott kann die nicht verlassen, die ihm vertrauen; darum spricht David Ps. 37,25: „Ich bin jung gewesen und alt geworden und habe noch nie einen Gerechten verlassen gesehen oder seine Kinder nach Brot gehen“. (Gerecht aber ist, wer Gott vertraut). - Ferner Ps. 34,11: „Die Reichen sind bedürftig und hungrig geblieben; aber die Gott suchen, haben keinen Mangel an irgendeinem Gut.“ Und Samuels Mutter, S. Hanna, 1. Sam. 2,5: „Die vorher satt und voll waren, haben sich lagern müssen, um Brot zu bekommen, und die Hungrigen sind gesättigt worden.“

Es steht aber der leidige Unglaube allezeit im Wege, so daß Gott solche Werke nicht in uns wirken kann, und wir sie nicht erfahren und erkennen können. Wir wollen satt sein und von allen Dingen genug haben, ehe der Hunger und die Notdurft kommt, und versorgen uns mit Vorrat für zukünftigen Hunger und Notdurft, so daß wir Gott und seine Werke nicht mehr brauchen. Was ist das für ein Glaube, der Gott traut, solange du fühlst und weißt, wie du mit deinem Vorrat dir helfen kannst? Der Unglaube bewirkt, daß wir Gottes Wort, die Wahrheit, das Recht unterliegen, das Unrecht siegen sehen und stille dazu schweigen, nicht tadeln, kein Wort darüber verlieren, nicht wehren und gehen lassen, was da geht. Warum? Wir haben Sorge, man greife uns auch an und mache uns arm, so daß wir dann Hungers sterben und für immer erniedrigt würden. Das heißt doch, zeitliches Gut höher als Gott achten und an seiner Stelle zum Abgott machen. Damit werden wir dann nicht würdig, diese tröstliche Gottesverheißung zu hören und zu verstehen, daß er die Niedrigen erhebe, die Hohen erniedrige, die Armen erfülle, die Reichen leer mache; daher kommen wir auch niemals zur Erkenntnis seiner Werke, ohne die es doch keine Seligkeit gibt, und müssen so ewig verdammt sein, wie Ps. 28,5 sagt: „Sie haben von den Werken Gottes keine Kenntnis, verstehen auch die Schöpfungen seiner Hände nicht. Darum wirst du sie zerbrechen und nimmermehr aufrichten.“ Und das ist auch billig; denn sie glauben diesen seinen Verheißungen nicht, achten ihn wie einen leichtfertigen, lügenhaften Gott und haben den Mut nicht, auf seine Worte etwas zu wagen oder anzufangen. So gar nichts halten sie von seiner Wahrheit. Es muß jedenfalls versucht und gewagt sein auf seine Worte hin; denn Maria sagt nicht: „Er hat die Vollen erfüllt, die Hohen erhoben“, sondern „die Hungrigen erfüllt, die Niedrigen erhoben.“

Du mußt im Hunger mitten in die Notdurft hineingekommen sein und erfahren, was Hunger und Notdurft ist, so, daß ein Vorrat und eine Hilfe bei dir oder den Menschen nicht vorhanden ist, sondern allein bei Gott; denn das Werk soll jedenfalls allein Gottes Sache sein als etwas, was für alle andern unmöglich ist. Ebenso darfst du nicht bloß an Erniedrigung denken und davon reden, sondern mußt hineinkommen, darin stecken, von niemand mehr Hilfe finden, daß Gott allein hier wirken könne; oder mußt du das wenigstens begehren und darfst es nicht scheuen, falls es mit der Tat nicht dazu kommen kann. Darum sind wir Christen und haben das Evangelium, das der Teufel und die Menschen nicht leiden können, damit wir dadurch zu Notdurft und Erniedrigung und so auch Gott in uns zu seinen Werken kommen kann. Denke du selber darüber nach: wollte er dich sättigen, ehe dich hungert, oder erhöhen, ehe du erniedrigt wärest, so müßte er sich gerade nur wie ein Gaukler stellen und könnte das nicht tun, was er vorgäbe, und seine Werke wären nichts als ein Spott, wo doch Ps. 111,7 geschrieben steht: „Seine Werke sind Wahrheit und Ernst.“ Wollte er auch gleich schon wirken, wenn deine Notdurft und Erniedrigung erst im Anfang begriffen ist, oder helfen, wenn deine Notdurft und Erniedrigung noch klein ist, so wären die Werke zu gering für Gottes Gewalt und Majestät, von denen doch Ps. 111,2 sagt: „Gottes Werke sind groß und auserlesen nach all seinem Begehren.“

Laß das Gegenteil sehen! Würde er die Hohen und Reichen zerbrechen, eh sie hoch und reich wurden, wie wollte er sich dazu stellen? Sie müssen zuerst so ganz in die Höhe und zu Reichtum kommen, daß es ihnen selber und jedermann so vorkommt, ja im Grunde auch so ist, daß niemand sie stürzen, niemand ihnen wehren könne; sie müssen ihrer Sache gewiß werden und sagen, wie von ihnen und Babylonien Jesaja /47,8 f.) sagt: „Höre zu, du Feine, die du so sicher sitzest und sprichst in deinem Herzen: Hier bin ich, und niemand kann mir etwas antun; ich bin gewiß, daß ich nicht eine Witwe noch ohne Kinder (d.h. ohne Stärke und Beistand) sein werde! Wohlan, es soll dies alles beides über dich hereinbrechen auf einen Tag usw.“ Da kann dann Gott in ihnen sein Werk wirken. So ließ er Pharao sich über die Kinder Israel erheben und sie unterdrücken, wie 2. Mo. 9,16 Gott selber von ihm sagt: „Darum habe ich dich erhoben, auf daß ich an dir mein Tun erzeige und mein Lob davon verkündigt werde, so weit die Welt ist.“ Und von solchen Beispielen ist die Bibel voll; sie lehrt ja nichts anderes als Gottes Werk und Wort und verwirft der Menschen Werk und Wort.

Nun siehe, ein starker Trost liegt darin, daß nicht ein Mensch, sondern Gott selber den Hungrigen nicht bloß etwas gibt, sondern sie erfüllt und „sättigt“. Außerdem sagt Maria: „Mit Gütern“, d.h. dieses Erfüllen so unschädlich, nützlich und heilvoll sein, daß es Leib und Seele samt allen Kräften wohl tue. Aber das weist auch darauf hin, daß sie vorher von allen Gütern entblößt sind und voll von allem Mangel. Denn, wie oben gesagt, unter dem „Reichtum“ sollen hier zeitliche Güter aller Art zur Befriedigung des Leibes begriffen werden, wovon die Seele auch fröhlich wird. Dementsprechend soll umgekehrt „Hunger“ hier nicht bloß Mangel an Speisen, sondern an allen zeitlichen Gütern bedeuten. Ein Mensch kann ja alle Dinge einmal entbehren außer der Speise (weshalb fast alle Güter um der Nahrung willen da sind); ohne Speise kann niemand leben, auch wenn er ohne Kleid, Haus, Geld, Gut und Leute zu leben vermöchte. Somit begreift hier die Schrift das zeitliche Gut unter dem, was man am allernotwendigsten braucht und benützt und am allerwenigsten entbehren kann, ebenso nennt sie darum auch die Geizigen und die auf zeitliches Gut Erpichten „Diener des Bauches“ (Röm. 16,18) und Paulus nennt den Bauch ihren Gott (Phil. 3,19).

Wie könnte nun jemand stärker, trostreicher zu freiwilligem Hungern und Armsein reizen als solche trefflichen Worte dieser Mutter Gottes, daß Gott alle Hungrigen mit Gütern erfüllen will? Wen diese Worte und solches Ehren und Preisen der Armut nicht reizt, der ist gewißlich glaubens- und vertrauenslos wie ein Heide. Wie könnte man andererseits den Reichtum stärker zurückweisen und die Reichen greulicher erschrecken als damit,, daß Gott sie leer läßt? Oh, wie sind's beide so große, überschwengliche Dinge, wenn Gott erfüllt und wenn Gott verläßt? Wie ganz unmöglich ist's da für eine Kreatur, dagegen zu raten und zu helfen! Es erschrickt ein Mensch, wenn er hört, daß sein Vater sich von ihm lossagt oder sein Herr ihm ungnädig ist, und wir Hohen und Reichen erschrecken nicht, wenn wir hören, daß Gott uns eine Absage gibt, ja nicht bloß absagt, sondern uns zu stürzen, zu erniedrigen und arm zu machen droht. Umgekehrt ist's eine Freude, wenn der Vater gütig, der Herr gnädig ist, und mancher verläßt sich so darauf, daß er Leib und Gut darüber läßt. Und wir haben hier eine solche Verheißung Gottes, einen so starken Trost, und können sie weder brauchen noch genießen, noch dafür danken noch uns darüber freuen! O du leidiger Unglaube, wie stockhart, wie steindürr bist du, daß du solch große Dinge nicht empfindest!

Damit sei von den sechs Werken Gottes genug gesagt.

Er hat Israel, seinen Diener, aufgenommen, nachdem er gedacht an seine Barmherzigkeit. (Vers 54)

Nach den Gotteswerken an ihr und allen Menschen kommt Maria wieder auf den Anfang und das Erste zurück und beschließt das Magnifikat mit dem großen Hauptwerk aller Werke Gottes, nämlich der Menschwerdung des Gottessohnes. Und sie bekennt hier frei, daß sie eine Magd und Dienerin aller Welt sei, indem sie bekennt, dies Werk, das in ihr vollbracht sei, sei nicht allein ihr, sondern ganz Israel zu gut geschehen. Doch trennt sie Israel in zwei Teile und nimmt nur auf den Teil Bezug, der Gott dient; niemand dient aber Gott, als wer ihn seinen Gott sein und seine Werke in sich wirken läßt, wovon oben die Rede war.

Man versteht und gebraucht freilich leider zur Zeit - dahin hat man es gebracht - das Wörtlein „Gottesdienst“ so andersartig, daß der Hörer gar nicht an solche Werke denkt, sondern an den Glockenklang, an das Stein- und Holzwerk der Kirchen, an das Rauchfaß, an die Flammen der Lichter, an das Geplärre in den Kirchen, an das Gold, die Seide und die Edelsteine der Chormäntel und Meßgewänder, an die Kelche und Monstranzen, an die Orgel und die Bilder, an die Prozession und den Kirchgang und, was das Wichtigste ist, an das Maulplappern und Paternosterzählen. Dahin ist's leider mit Gottes Dienst gekommen, wovon doch Gott so gar nichts weiß, während wir sonst nichts als dieses wissen; wir singen täglich das Magnifikat mit hoher Stimme und herrlicher Pracht und schweigen doch seinen rechten Ton und seine rechte Bedeutung je länger je mehr tot.

Aber es steht der Text fest da. Wenn wir diese Werke Gottes nicht lehren und uns gefallen lassen, so wird auch kein Gottesdienst dasein, kein Israel, keine Gnade, keine Barmherzigkeit, kein Gott, wenngleich wir uns in den Kirchen zu Tode mühten mit Sang und Klang und alles Gut der Welt zusammen hineinstifteten. Gott hat nichts davon geboten; darum hat er auch ohne allen Zweifel gar kein Gefallen daran. Solchem Israel nun, das Gott dient, dem kommt die Menschwerdung Christi zugut; das ist sein eignes, liebes Volk, um dessen willen er auch Mensch geworden ist, um sie aus der Gewalt des Teufels, der Sünde, des Todes, der Hölle zu erlösen und sie heraus in die Gerechtigkeit, ins ewige Leben und in die Seligkeit zu bringen. Das ist das „Aufnehmen“, von dem Maria hier sing. In diesem Sinne sagt Paulus Tit. 2,14, Christus habe sich für uns gegeben, daß er sich ein Volk zum Erbe und Eigentum reinigte. Und S. Petrus schreibt (1. Pet. 2,9): „Ihr seid das heilige Volk, das Volk, das Gott selber erworben hat, ein königliches Priestertum usw.“

Das sind die Reichtümer der göttlichen, unergründlichen Barmherzigkeit, die wir aus keinem Verdienst, sondern aus lauter Gnaden bekommen haben. Drum sagt Maria: „Er hat gedacht an seine Barmherzigkeit“; sie sagt nicht: „Er hat gedacht an unser Verdienst und Würdigkeit“. Bedürftig waren wir, aber ganz unwürdig. Darin besteht nun sein Lob und seine Ehre, und darüber muß unser Rühmen und Vermessen verstummen. Er hatte nichts „anzusehen“, was ihn bewegt hätte, als daß er barmherzig wäre. Und diesen Namen wollte er bekannt machen. Warum sagt Maria aber vielmehr: Er habe an seine Barmherzigkeit „gedacht“, und nicht, er habe sie „angesehen“? Deshalb, weil er sie verheißen hatte, wie der folgende Vers sagt. Nun hat er es lange hinausgezögert, sie zu geben, so daß es aussah, als hätte er sie vergessen, wie ja alle seine Werke aussehen, als vergäße er unser. Aber als er kam, da wurde erkannt, daß er nicht vergessen hatte, sondern unaufhörlich daran gedacht, sie zu erfüllen.

Jedoch ist es wahr, daß mit dem Wörtlein „Israel“ allein die Juden gemeint sind und nicht wir Heiden. Aber freilich wollten sie ihn nicht haben; dennoch hat er einige von ihnen auserlesen, hat damit dem Namen „Israel“ Genüge getan und hinfort ein geistliches Israel hergestellt. Das wurde 1. Mo. 32,25 ff. veranschaulicht, als der heilige Erzvater Jakob mit dem Engel rang und dieser ihm die Hüfte lähmte. Das sollte bedeuten, daß seine Kinder sich hinfort nicht der fleischlichen Geburt rühmen sollten, wie die Juden tun. Dort bekam er auch den Namen, daß er fernerhin Israel heißen solle, als ein Erzvater, der nicht allein Jakob, der leiblichen, sondern auch Israel, der geistlichen Kinder Vater sein sollte. Dazu stimmt das Wörtlein „Israel“; das heißt „ein Herr Gottes“. Das ist ein ganz hoher, heiliger Name und schließt das große Wunder in sich, daß ein Mensch durch die göttliche Gnade gleichsam Gottes mächtig wurde, so daß Gott tut, was der Mensch will. In solcher Weise ist, das sehen wir, durch Christus die Christenheit mit Gott vereinigt wie eine Braut mit ihrem Bräutigam, so daß die Braut Recht und Macht hat über des Bräutigams Leid und über alles, was er hat. Das geschieht alles durch den Glauben; da tut der Mensch, was Gott will, und andererseits Gott, was der Mensch will. So ist also „Israel“ ein gottähnlicher und gottmächtiger Mensch, der in Gott, mit Gott und durch Gott ein Herr ist, alle Dinge zu tun und zu vermögen.

Sieh, das heißt Israel. Denn „sar“ heißt „ein Herr“, „Ein Fürst“; „el“ heißt Gott; tu's zusammen, so wird auf hebräisch „Israel“ daraus. Ein solches „Israel“ will Gott haben; als Jakob mit dem Engel gerungen und es gewonnen hatte, sprach der darüber zu ihm (1. Mo. 32,29): „Du sollst Israel heißen; denn, wenn du stark bist Gott gegenüber, so wirst du auch stark sein den Menschen gegenüber.“ Davon ist viel zu sagen, denn es ist „Israel“ ein wunderbar hohes Mysterium.

Wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham, und seinem Samen in Ewigkeit. (Vers 55)

Da liegt alles Verdienst, alle Vermessenheit am Boden und ist so die lautere Gnade und Barmherzigkeit Gottes erhoben; denn Gott hat Israel nicht um ihres Verdienstes willen angenommen, sondern um seiner eigenen Verheißung willen. Aus lauter Gnade hat er es fest versprochen, aus lauter Gnaden hat er es auch erfüllt. Darum sagt S. Paulus Gal. 3,17 f., Gott habe vierhundert Jahre vorher, ehe er das Gesetz Moses gab, Abraham ein festes Versprechen gegeben, damit ja niemand rühmen oder sagen könnte, er habe diese Gnade und Zusage durchs Gesetz oder durch Gesetzeswerke verdient und erlangt. Eben diese Zusage preist und erhebt hier die Mutter Gottes auch über alles und schreibt dies Werk der Menschwerdung Gottes völlig den göttlichen, gnädigen, unverdienten Zusagen zu, die er Abraham gemacht hat. Die Verheißung Gottes an Abraham steht hauptsächlich 1. Mo. 12,3 und 22,18; auch sonst wird an vielen Stellen auf sie Bezug genommen. Sie lautet folgendermaßen: „Ich habe bei mir selber geschworen: In deinem Samen sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.“ Diese Worte Gottes hält S. Paulus hoch und alle Propheten, wie es billig ist. Denn mit diesen Worten ist Abraham samt allen seinen Nachkommen gerettet und selig geworden, und auch wir sollen noch alle darin selig werden; ist doch Christus darin enthalten und zugesagt als aller Welt Heiland. Und das ist der „Schoß Abrahams“ (Luk. 16,22), worin alle, die vor Christi Geburt selig geworden sind, geborgen gewesen sind, und ohne diese Worte ist niemand selig geworden, auch wenn er alle guten Werke getan hätte. Das wollen wir sehen.

Es folgt zuerst aus diesen Gottesworten, daß alle Welt außerhalb von Christus in Sünden, Verdammnis und verflucht ist samt all ihrem Tun und Wissen. Denn wenn Gott sagt, nicht „einige“, sondern „alle“ Völker sollen gesegnet werden in Abrahams Samen, so wird es ohne diesen Samen Abrahams keinen Segen geben in allen Völkern. Was brauchte Gott mit so großem Ernst und teurem Eide Segen versprechen, wenn bereits Segen und nicht lauter Fluch da wäre? Aus diesem Spruch haben die Propheten viel herausgelesen und geschlossen; nämlich, daß alle Menschen böse, nichtig, lügnerisch, falsch, blind und kurzum ohne Gott seien, so daß es in der Schrift keine große Ehre ist, ein Mensch zu heißen. Denn es gilt dieser Name vor Gott nicht mehr, als wenn jemand vor der Welt ein Lügner und ein Treuloser genannt würde; so ganz ist der Mensch durch Adams Fall verderbt, daß ihm die Verfluchung angeboren, ja geradezu seine Natur und sein Wesen wird.

Zweitens folgt daraus, daß dieser Same Abrahams nicht auf natürliche Weise von Mann und Weib geboren werden durfte; denn diese Geburt ist verflucht und gibt lauter verfluchte Frucht, wie eben gesagt wurde. Sollte nun in diesem Samen Abrahams alle Welt von diesem Fluch erlöst und dadurch gesegnet werden, wie die Worte und Eide Gottes lauten, so mußte der Same schon vorher gesegnet sein: er durfte von diesem Fluch weder berührt noch befleckt sein, sondern mußte lauter Segen sein, voller Gnade und Wahrheit. Wenn nun Gott, der nicht lügen kann, zusagt und schwört, es solle Abrahams natürlicher Same sein, d.h. ein natürliches, wirkliches Kind, das von seinem Fleisch und Blut geboren würde, so muß andererseits dieser Same ein richtiger, natürlicher Mensch sein vom Fleisch und Blut Abrahams. Da steht nun eins gegen das andere: natürliches Fleisch und Blut Abrahams sein, und doch nicht von Mann und Weib natürlich geboren werden. (Denn darum gebraucht Gott das Wort „dein Samen“ und nicht das Wort „dein Kind“, daß es ja klar und gewiß wäre, es solle sein natürliches Fleisch und Blut sein, wie es ja der „Same“ ist; ein „Kind“ kann ja gut auch nicht ein natürliches Kind sein, wie man weiß. Wer will hier einen Mittelweg finden, daß Gottes Wort und Eid wahr bleibe, worin solche sich widersprechenden Dinge aufeinander stoßen?

Das hat Gott selber getan. Er kann erfüllen, was er verheißt, obwohl es niemand begreift, bevor es geschieht. Darum erfordert sein Wort und Werk nicht Vernunftgründe, sondern einen freien, lauteren Glauben. Sieh, wie er diese zwei Stücke in Einklang gebracht hat: Er schafft dem Abraham den Samen, einen natürlichen Sohn von einer seiner Töchter, einer reinen Jungfrau, Maria, durch den Heiligen Geist, ohne Zutun eines Mannes. Da liegt keine natürliche Geburt und Empfängnis mit ihrem Fluch vor und hat diesen Samen nicht berühren dürfen; und doch ist der natürliche Same Abraham hier gerade so wirklich vorhanden wie in allen andern Kindern Abrahams. Sieh, das ist der gesegnete Same Abrahams, in dem alle Welt von ihrem Fluche los wird. Denn wer an diesen Samen glaubt, ihn anruft, ihr bekennt und an ihm hangen bleibt, dem ist aller Fluch vergeben und aller Segen gegeben, wie die Worte und Eide Gottes lauten: „In deinem Samen sollen gesegnet werden alle Völker der Erde“, d.h. alles, was gesegnet werden soll, muß und soll durch diesen Samen und sonst auf keine Weise gesegnet werden. Sieh, das ist der Same Abrahams, der von keinem seiner Söhne -darauf haben die Juden allezeit gesehen und gewartet - sondern allein von seiner einigen Tochter Maria geboren ist.

Das meint nun hier die liebe Mutter dieses „Samens“, wenn sie sagt, Gott habe Israel angenommen laut seiner Verheißung, die er dem Abraham gegeben hat, ihm und allen seinen Samen. Da sah sie wohl, daß die Verheißung in ihr erfüllt war; darum sagt sie, es sei nun erfüllt und er habe angenommen, seinem Wort Genüge geleistet. Hier sehen wir den Grund des Evangeliums, warum alle Lehre und Predigt darin zum Glauben an Christus und in den Schoß Abrahams treiben; es gibt nämlich sonst keinen Rat und keine Hilfe, wo dieser Glaube nicht ist, in welchem der gesegnete Same ergriffen wird, und fürwahr, es hängt die ganze Bibel an diesem Eidspruch Gottes, handelt sich doch alles in der Bibel um Christus. Weiter sehen wir, daß alle Väter im Alten Testament samt allen heiligen Propheten den gleichen Glauben und das gleiche Evangelium gehabt haben, das wir haben, sie S. Paulus 1. Kor. 10,1 ff. sagt; denn in diesem Eidspruch Gottes und Schoß Abrahams sind sie alle mit festem Glauben geblieben und so errettet worden; nur daß sie an den zukünftigen und verheißenen Samen geglaubt haben, während wir an den erschienenen und hingegebenen glauben. Es ist aber alles eine Wahrheit der Zusage, ebenso auch ein Glaube, ein Geist, ein Christus, ein Herr (Eph. 4,5), heute wie zu jener Zeit und in Ewigkeit, wie S. Paulus Heb. 13,8 sagt.

Daß aber später den Juden das Gesetz gegeben wurde, entspricht dieser Zusage nicht; das ist deshalb geschehen, daß sie durch das Licht des Gesetzes ihre fluchbeladene Natur desto besser erkennen möchten und nach diesem verheißenen Samen des Segens desto heißer und begieriger verlangen sollten. Damit haben sie einen Vorteil vor den Heiden aller Welt gehabt. Aber sie haben den Vorteil verkehrt und einen Nachteil daraus gemacht, indem sie es unternahmen, das Gesetz aus sich selber zu erfüllen, anstatt ihre Bedürftigkeit und Verfluchtheit dadurch zu erkennen; sie haben damit sich selber die Türe zugetan, so daß der Same hat vorübergehen müssen, und sie verharren noch dabei, Gott gebe, nicht lange. Amen.

Und das ist der Streit aller Propheten mit den Juden gewesen. Denn die Propheten verstanden des Gesetzes Absicht wohl (daß man darin unsere verfluchte Natur erkennen und Christus anrufen lernen solle); deshalb verwarfen sie alle „guten“ Werke und das „gute“ Leben der Juden, weil es sich nicht in dieser Richtung bewegte. So wurden dann jene zornig auf sie und töteten sie, weil sie Gottesdienst, gute Werke und gutes Leben verwürfen. So machen es ja immer die Heuchler und die Heiligen, die der Gnade nicht teilhaftig sind. Davon wäre viel zu sagen.

Wenn Maria aber sagt: „seinem Samen in Ewigkeit“, so soll die „Ewigkeit“ dahin verstanden werden, daß solche Gnade bei Abrahams Geschlecht (welches die Juden sind) von jener Zeit an durch alle Zeit hindurch währt bis an den Jüngsten Tag. Denn obwohl die große Masse verstockt ist, gibt es doch immer, wie wenig es auch sein mögen, solche unter ihnen, die sich zu Christus bekehren und an ihn glauben; denn diese Zusage Gottes lügt nicht, daß Abraham und seinem Samen die Zusage geworden sei nicht auf ein Jahr, nicht auf tausend Jahre, sondern in Saecula, d.h. von einem Menschheitszeitalter auf das andere, ohne Aufhören.

Daher sollten wir die Juden nicht so unfreundlich behandeln; denn es sind noch zukünftige Christen unter ihnen und werden's täglich. Zudem haben sie allein und nicht wir Heiden solche Zusage, daß es allezeit unter Abrahams Samen Christen geben werde, die den gesegneten Samen erkennen; unsere Sache steht auf lauter Gnade ohne Zusage Gottes, wer weiß wie und wann. Wenn wir christlich lebten und die Israeliten mit Güte zu Christus brächten, das wäre wohl die rechte Weise. Wer möchte Christ werden, wenn er Christen so unchristlich mit Menschen umgehen sieht? So soll es nicht sein, liebe Christen; man sage ihnen gütlich die Wahrheit; wollen sie nicht, dann laß sie fahren. Wieviel Christen gibt es, die Christus nicht achten, seine Worte auch nicht hören, die ärger als Heiden und Juden sind: und die lassen sie doch im Frieden gehen, fallen ihnen sogar zu Füßen und beten sie bald wie einen Abgott an.

Damit lassen wir's diesmal bewenden und bitten Gott um ein rechtes Verständnis dieses Magnifikat, daß es nicht allein leuchte und rede, sondern brenne und bleibe in Leib und Seele. Das verleihe uns Christus durch die Fürbitte und den Willen seiner lieben Mutter Maria. Amen.


Anmerkung: Luther schrieb diese Schrift 1520, vor seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Zumeist zitiert er Bibelstellen aus dem Gedächtnis; was das Neue Testament angeht, so hat er sich hauptsächlich auf den lateinischen Text der Vulgata berufen. Von daher ergeben sich Abweichungen zu heutigen Bibeln und auch zu seiner eigenen Übersetzung. In einigen Fällen beruft er sich auf Stellen aus den alttestamentlichen Apokryphen, die er zu dieser Zeit noch als biblische Bücher gelten ließ.

Quelle: Metzger, W - Martin Luther, Ausgewählte Werke, Band V.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/l/luther/m/das_magnifikat.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain