Luther, Martin - Gott und die Seele.

Luther, Martin - Gott und die Seele.

Seele. Vater unser, der du bist in den Himmeln, wir, deine Kinder auf Erden, von dir gesondert im Elend, wie ein groß Mittel ist zwischen dir und uns! wie sollen wir immer heim kommen zu dir in unser Vaterland?

Gott. Ein Kind ehret seinen Vater, und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich denn euer Vater: wo ist meine Ehre? Bin ich euer Herr: wo ist meine Furcht und Ehrerbietung? Denn mein heiliger Name wird bei und durch euch gelästert und verunehrt.

Die I. Bitte der Seele. - O Vater! das ist leider wahr. Wir erkennen unsre Schuld. Sey du ein gnädiger Vater, und rechte nicht mit uns, sondern gieb deine Gnade, daß wir also leben, daß dein heiliger Name in uns geheiliget werde; laß uns ja Nichts denken, reden, thun, haben oder vornehmen, es sey denn dein Lob und Ehre darinnen, daß also vor allen Dingen deine Ehre und Name, nicht unsre eigene, eitle Ehre und Name in uns gesucht werde; gieb uns, daß wir dich, wie die Kinder einen Vater, lieben, fürchten und ehren.

Gott. Wie kann meine Ehre und Name bei euch geheiliget werden, so all' euer Herz und Gedanken zum Bösen geneigt und in Sünden gefangen liegt, so doch mein Lob Niemand singen kann in fremden Landen?

Die II. Bitte der Seele. - O Vater! das ist leider wahr. Wir empfinden, daß unsre Gliedmaßen zu Sünden geneigt, und die Welt, Fleisch und Teufel in uns regieren will, und also deine Ehre und Namen austreiben. Darum bitten wir, hilf uns aus dem Elend, lass dein Reich kommen, daß die Sünde vertrieben und wir fromm, dir behaglich gemacht werden, du allein in uns regierest und wir dein Reich werden mögen, im Gehorsam all' unsrer Kräfte, inwendig und auswendig.

Gott. Welchem ich helfen soll, den verderbe ich, und welchen ich lebendig, selig, reich, fromm machen will, den tödte ich, verwerfe ihn, mach' ihn arm und zu nichte. Aber solch' meinen Rath und That wollt ihr nicht leiden. - Wie soll ich euch denn helfen, und was soll ich mehr thun?

Die III. Bitte der Seele. - Das ist uns leid, daß wir deine heilsame Hand nicht verstehen noch leiden. O Vater! gieb Gnade und hilf, daß wir deinen göttlichen Willen lassen in uns geschehen. Ja, ob es uns wehe thut, so fahre du fort; straf, stich, hau' und brenne. Mach alles, was du willst, daß nur dein Wille und ja nicht der unsere geschehe. Wehre, lieber Vater, und lass' uns nichts nach unserm Gutdünken, Willen und Meinung vornehmen und vollbringen; denn unser und dein Wille sind wider einander, deiner alleine gut, ob er's wohl nicht scheinet, unsrer böse, ob er wohl gleißet.

Gott. Es ist wohl mehr geschehen, daß man mich mit dem Munde geliebt hat, und das Herz weit von mir gewesen ist; und wenn ich sie angegriffen habe, zu bessern, sind sie zurückgelaufen und mitten im Werk mir entfallen, wie du liesest Ps. 78, 9. Sie sind abgefallen zur Zeit des Streits, die wohl angefangen und mich bewegt, mit ihnen zu handeln, sind umgekehret von mir und wiederum in Sünd und meine Unehre gefallen.

Die IV. Bitte der Seele. Ach Vater! es ist ja wahr. Niemand kann stark seyn in seinen Kräften1). Und wer mag vor deiner Hand bleiben, so du nicht selbst uns stärkest und tröstest? Darum, lieber Vater, greife uns an, vollbringe deinen Willen, daß wir dein Reich werden, dir zu Lob und zu Ehren. Aber, lieber Vater, stärk' uns in solchem Handel mit deinem heiligen Wort, gieb uns unser täglich Brod; bilde in unser Herz deinen lieben Sohn Jesum Christum, das wahre Himmelsbrod, daß wir, durch ihn gestärkt, fröhlich tragen und leiden mögen Abbruch und Tödtung unsers Willens. Ja, gieb auch Gnade der ganzen Christenheit, sende uns gelehrte Priester und Prediger, die uns nicht Traber und Spreu eitler Fabeln, sondern dein heiliges Evangelium und Jesum Christum lehren.

Gott. Es ist nicht gut, daß man den Hunden das Heiligthum vorwirft und das Brod der Kinder. Ihr sündiget täglich, und wenn ich euch viel lasse predigen Tag und Nacht, so folget und höret ihr nicht, und wird mein Wort verachtet.

Die V. Bitte der Seele. - Ach Vater! das lass dich erbarmen und versag' uns nicht darum das liebe Brod; sondern, daß wir nicht genug thun deinem heiligen Wort, ist uns leid, und bitten, wollest Geduld mit uns armen Kindern haben, und uns erlassen solch unsre Schuld und ja nicht mit uns ins Gericht gehen; denn Niemand vor dir gerechtfertigt ist. Siehe an deine Verheißung, daß wir unsern Schuldigern herzlich vergeben; denn du versprochen hast Vergebung: nicht, daß wir durch solche Vergebung würdig sind deiner Vergebung, sondern daß du wahrhaftig bist, und gnädiglich Vergebung versprochen allen, die ihren Nächsten vergeben. Auf dein Versprechen wir uns verlassen.

Gott. Gar oft vergebe ich und erlöse euch; und ihr bleibt noch bestehet nicht. Eines geringen Glaubens seyd ihr. Nicht ein wenig möget ihr mit mir wachen und beharren, fallet schnell wieder in die Anfechtung.

Die VI. Bitte der Seele. - So schwach und krank sind wir, o Vater, und ist die Anfechtung groß und mannigfaltig im Fleisch und in der Welt. O lieber Vater, halt uns, und laß uns nicht in Anfechtung fallen und wieder sündigen; sondern gieb uns Gnade, daß wir beständig bleiben und ritterlich fechten bis an unser Ende; denn ohne deine Gnade und Hülfe wir nichts vermögen.

Gott. Ich bin gerecht, und richtig ist mein Gericht; darum muß die Sünde nicht ungestraft bleiben; also müßt ihr das Uebel tragen; daß ihr davon Anfechtung habt, ist eurer Sünden Schuld, die mich dazu zwinget, sie zu strafen und ihr zu wehren.

Die VII. Bitte der Seele. - Dieweil denn das Uebel uns Anfechtung giebt und mit Sünden anficht; so erlöse uns, lieber Vater, daraus, auf daß wir, von allen Sünden und Uebel nach deinem göttlichen Willen erlöst, dir ein Reich seyn mögen, dich ewiglich zu loben, preisen und heiligen. Amen! Und dieweil du uns so hast gelehret und geboten zu beten, und Erhörung verheißen, hoffen wir, und sind gewiß, o allerliebster Vater, du wirst deiner Wahrheit zu Ehren dies Alles uns gnädiglich und barmherziglich geben. Am letzten möchte Jemand sagen: Wie denn, so ich nicht glauben könnte, daß ich erhöret bin? Antwort: So thue, wie der Vater des besessenen Menschen, Marc. 9., da Christus zu ihm sagt: „Kannst du glauben? Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Da schreit derselbe Vater mit weinenden Augen: „O Herr! ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Marc. 9, 24.

Dr. M. Luther. 1518.

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