Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Tabeera).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Tabeera).

Zwölfte Lagerstätte: die Lustgräber.
Schluss.

4 Buch Mose 11,18-24.

Lange haben wir uns in Taberra verweilt. Jetzt rüsten wir uns zum Aufbruch, betrachten aber vorher noch Mosis Verhalten gegen das göttliche Versprechen, und seine Zurechtweisung.

Zuerst betrachten wir das göttliche Versprechen. Doch geht demselben eine Vorbereitung vor, denn es heißt: Heiliget euch auf morgen, haltet euch darauf gefasst, setzt euer Gemüt in eine angemessene Stimmung und Verfassung; erwartet es mit Zuversicht und freut euch darauf. Dies ist ein angemessenes Verhalten gegen die Verheißungen überhaupt, sonderlich aber wird es dann zur Pflicht, wenn sie in den heiligen Sakramenten uns gleichsam sichtbar entgegen treten. Gewöhnlich erfordern die Verheißungen auch Geduld, und wohl eine um so viel größere, je vortrefflicher sie sind. Hier war nicht lange not zu warten, bloß bis morgen. Jedoch kann uns auch das ein langes Warten zu sein dünken.

Der Grund und die Veranlassung zu dem Versprechen war nicht erfreulich. Euer Weinen ist vor die Ohren des Herrn gekommen, hieß es, die ihr sprechet, es ging uns wohl in Ägypten (was brauchte er uns heraus zu führen) und habt den Herrn verworfen. Es war also ein Versprechen und ein Geben, nicht in Gnaden, sondern im Zorn, nicht zum Segen, sondern zum Verderben. Und geht’s nicht noch oft so? Ist das edle Gut der Gesundheit für diejenigen ein Segen oder ein Unsegen, welche sie dazu missbrauchen, Verbrechen zu begehen, und würde nicht mancher einem Unglück entgangen sein, wäre er krank gewesen? Ist nicht manchen ihr großer Verstand und ihre Gelehrsamkeit zum Fallstrick geworden? Und was ist dem Menschen gesegnet, wofern der Herr nicht seinen Segen drin legt, und wenn er das tut, was wäre dann nicht heilsam für ihn? Wie heilsam war für Joseph und Manasse das Gefängnis, für Hiob sein Jammer, für den Schächer das Kreuz! Was nutzt aber ohne des Herrn Segen die Predigt des Evangeliums selber? Wird sie nicht manchen ein Geruch des Todes zum Tode? Das Weinen Israels kam vor die Ohren des Herrn. Was meint ihr wohl, wenn euer Lachen und Toben, wenn eure Worte und Handlungen vor die Ohren des Herrn kommen, was wird euch das bringen? Wohlgefallen oder Ungnade, ein freundlich oder finsteres Angesicht? Machte dies Weinen, - was doch offenbar nicht ohne Grund war, den Herrn so ungehalten, glaubt ihr, euer gottloses Tun würde ihm gleichgültig sein? Oder haltet ihr nicht dafür, dass Gott Ohren habe, die alles hören, und Augen, die alles sehen, und ein Buch, worin alles verzeichnet wird? Der aber das Ohr gemacht hat, sollte der nicht hören? Der das Auge geschaffen hat, sollte der nicht sehen? Du weinendes Israel aber, sei versichert, dass er deine Tränen zählt. Ihre Zahl muss freilich voll sein, endlich, aber wird doch die Letzte geweint, worauf ewige Freude folgt. Selig ihr, die ihr hie weint, ihr werdet lachen. Wehe aber euch, die ihr hie lachet, ihr werdet weinen. Wer zuletzt lacht, der lacht wohl.

Das Versprechen selbst bestand darin, sie sollten Fleisch genug haben, und das nicht für einen Tag, nicht zwei, nicht fünf, nicht zehn, nicht zwanzig, sondern einen ganzen Monat hindurch. Doch sollte es ihnen nicht zur Freude gereichen, sondern zum Eckel werden. Hatten sie gesagt von dem Manna: uns ekelt dieser losen Speise, so sollten sie nun dasselbe noch vielmehr vom Fleisch sagen müssen, und gern wieder mit dem Manna verlieb nehmen. Lasst euch begnügen an dem, was da ist, heißt es, und Paulus sagt: ich habe gelernt, bei welchem ich bin, mir genügen zu lassen. Man lerne die große Kunst, zufrieden zu sein. Sie hängt gar nicht von äußeren – ich weiß nicht, ob ich hinzusetzen darf: und von inneren? – Umständen ab. Sie ist ein Gut für sich. Wer’s hat, der hat’s; wer’s nicht hat, wie wird der dran kommen? Denkt jemand, wenn dies anders wäre, so würde ich zufrieden sein, der verrechnet sich; denn die Zufriedenheit musst du in dir selbst finden, oder du findest sie gar nicht. Lies in dieser Beziehung das merkwürdige Predigerbuch, worin du auch unter anderen finden wirst, dass ein fröhlicher und guter Mut eine Gabe Gottes sei. Kap. 2,14. So ist es. Das Entbehren der Kreatur kann uns Gott ersetzen, aber das Entbehren Gottes ersetzt alle Kreatur nicht. Durstet deshalb nach Gott! – Das Manna des Evangeliums ist vielen auch ebenso sehr zum Eckel geworden, als den Juden ihr Manna. Sie wollen das ägyptische Fleisch der Menschenweisheit, die nicht nach Christo ist, sondern nach der Welt. Aber o! wie sehr wird euch dasselbe zum Eckel werden, wenn es Gott gefallen sollte, seine Barmherzigkeit auch über euch auszubreiten und euch Buße zu schenken! Wenn euch die Barmherzigkeit widerführe, dass euch euer Sündenelend drückte, o! wie geflissentlich würdet ihr euch – seid ihr wer ihr wollt – nach dem verachteten Evangelium umsehen, und wie ein Bienlein aus dieser Blume etwas Honig zu saugen suchen. Ein solches Versprechen tat der, an seiner Ehre angegriffene, Herr. Es war bestimmt. Es war groß. Es schien unausführbar. Dies erinnert uns an die großen Verheißungen des Evangeliums, als da sind: gänzliche Vergebung aller Sünden, auch der sündlichen Art, womit der Christ sein Lebelang zu streiten hat; eine in kurzer Zeit, nicht selten in wenigen Stunden, ja in einem Augenblick, ganz und gar vollendete Heiligung und Erneuerung, wo alles Sündliche so gänzlich aus der Seele verbannet wird, wie die Nacht durch die aufgehende Sonne, - eine Bewahrung, so mächtig, dass diejenigen, welche einmal in der Hand Jesu sind, niemand herausreißen soll, und sie nimmermehr umkommen; so genau und umständlich, dass auch kein Haar von ihrem Haupte fällt; so gewiss, dass, ehe Berge weichen und Hügel hinfallen, ehe die Gnade von ihnen wiche, - eine Durchhülfe, dass, wo sie durchs Wasser gehen, der Herr bei ihnen ist, so, dass die Fluten sie nicht ersäufen, - eine Annahme zur Gottes-Kindschaft und Gottes-Erbschaft. Was sind das für große Vorstellungen des Evangeliums, nach welchen diejenigen, welche ihm gehorsam sind, nicht mehr unter dem Gesetz setzen, welches ihnen nichts zu befehlen, nichts mehr zu verbieten, nichts mehr zu drohen, nichts mehr zu verheißen hat, dem sie getötet sind, und gegen welches sie nach Röm. 7. eben so wenig Verpflichtungen haben, als ein Weib gegen ihren verstorbenen Mann, sintemal sie bei einem anderen, nämlich Christo, sind. Was sind das für erstaunliche Vorstellungen, nach welchen bußfertige Sünder, die nichts als Sünde und Elend, wenn gleich auch Kummer und Betrübnis darüber, so wie Hass und Widerwillen dagegen, in sich finden, im Evangelio angewiesen werden, sich dafür zu halten, die samt Christo – ich will nicht sagen: gekreuzigt und gestorben, - ich will auch nicht sagen: samt ihm auferwecket sind, um in einem neuen Leben zu wandeln, - sondern – was noch mehr ist, - sich für solche zu halten, welche samt ihm schon gen Himmel gefahren sind, die also nicht erst selig zu werden brauchen, sondern es schon längst sind, die bei Leibes Leben den Tod, das Grab, das Gericht, nicht mehr vor sich, sondern schon längst hinter sich liegen haben, dieweil sie durch den Glauben vom Tode zum Leben durchgedrungen sind, und nicht ins Gericht kommen. Sind das nicht ganz außerordentliche Dinge, und sollte man nicht geneigter sein, zu denken: bei solchen Vorstellungen liege mehr Übertreibung als echte Wahrheit zum Grunde? So wird’s aber dem Glauben vorgehallten, so soll er Christum fassen, so soll er lauter Sieg sein.

Aber es ist nur gar zu leicht, sich gegen diese großen Dinge ein ähnliches Verhalten zu Schulden kommen zu lassen, als Moses gegen das göttliche Versprechen bewies. Er ließ sich in eine vernünftige Zergliederung desselben ein. Und so lief’s auf den Schluss hinaus: wie mag das zugehen? Und dann lag der Gedanke ganz nahe dabei: es kann nicht geschehen; und dieser Gedanke sollte mehr Gültigkeit haben, als die göttliche Verheißung. Erbärmliches Verhalten – und das bei einem solchen Manne, dem Mittler des alten Bundes, bei ihm, der in dem Namens-Verzeichnis der Glaubenshelden Hebr. 11. mit oben ansteht! Er versteht das Versprechen wohl, welches ja auch nur natürliche Dinge betrag, und also mit dem natürlichen Verstande begriffen werden konnte, ohne höheres Licht dazu zu bedürfen. Es betraf Fleisch. Das sollten sie morgen haben, und zwar einen ganzen Monat hindurch und im größten Überfluss. Das schien ihm was großes, wie es denn ja auch wirklich war. Und wie groß und erstaunenswürdig ist nicht dasjenige, was wir so eben aus dem Gnadenbunde anführten! Nicht bloß Vergebung der Sünden haben, sondern in Christo gerecht, nicht bloß gerecht, sondern vollkommen, nicht bloß vollkommen, sondern Gerechtigkeit Gottes in ihm sein, nicht ein, nicht zwei, nicht fünf, nicht zehn, nicht zwanzig Tage, sondern die ganze Ewigkeit hindurch. – Ist das nicht mehr als ein schwaches, enges Menschenherz zu fassen und aufzunehmen vermag.

Wie kann es sein? ich sag’ es noch.
Herr! ist es auch Betrug?
Ich armer Sünder hab’ ja doch
Verdient deinen Fluch.

Nun stellte die Vernunft dem Moses auch die Schwierigkeiten vor, warum dies große Versprechen wohl schwerlich oder gar nicht in Erfüllung gehen könne und werde. Von Abraham heißt es Röm. 4.: er vernünftelte nicht, sondern glaubte aufs allergewisseste, dass, was Gott verheißen hat, er auch tun könne. Das konnte diesmal von Mose nicht gesagt werden, wohl aber das Gegenteil. Seine Vernunft erinnerte ihn an Zahlen und Mittel, und hemmte dadurch den Glauben. Zuerst trat ihm die Zahl des Volks vor die Augen, die sich, ohne die Kinder, d.h. die unter 20 Jahre waren, und ohne Zweifel auch ohne die Weiber, auf 600,000 Mann Fußvolk belief, den Pöbel nicht mitgerechnet, wovon wir neulich redeten. Und die sollten einen ganzen Monat hindurch Fleisch essen? Das war schwer zu glauben. Lasst es uns denen doch so übel nicht nehmen, die der Heiligen Schrift nicht wohl glauben, wenigstens nicht alles glauben können. Das ist auch so leicht nicht. Moses selbst glaubte ja, wenigstens diesmal, nicht alles. Sie hatten allerdings auch viel Vieh aus Ägypten mitgenommen. Aber das mochte wohl in der Wüste ziemlich beigeschmolzen sein, aus Mangel an Futter, oder so mager, dass es nicht für den Tisch taugte. Aber wenn das auch nicht war, so hätten doch, wenn wir uns auch ans Rechnen geben, und alles sehr gering anschlagen wollen, täglich eine anderthalb tausend Ochsen geschlachtet werden müssen, wenn jeder ein nicht sehr Bedeutendes an Fleisch hätte bekommen sollen. Da wäre denn ihr Vieh bald alle gewesen, und man hätte doch auch nicht so geradezu sagen können: Gott habe ihnen Fleisch gegeben. Setzten Mosen Zahlen in Verlegenheit, sind die nicht noch immer vermögend, den Glauben zu lähmen, wenigstens aufzuhalten? Die Zahl der Sünden, die mehreren Heiligen die Zahl ihres Haupthaars, ja des Sandes am Meer zu übersteigen schien; die große Zahl derer, die zur Verdammnis wandeln; die kleine Anzahl derer, die den Weg zum Leben finden, - kann einem Bekümmerten was zu schaffen machen. Nun mute man ihm zu, mit Paulo zu fragen: wer will verdammen? so wird ihn dies wahrscheinlich eher stutzig machen, als beruhigen.

Die Mittel zur Ausführung des Versprechens erregten beim Moses ebenfalls Bedenklichkeiten, und beides zusammen genommen machte, dass der Unglaube ins Gewehr trat. Moses ist hier kein Kind, sondern ein kluger Mann. Und da er keine Mittel und Wege zur wirklichen Darstellung des Versprochenen sieht, so denkt er, es gebe überhaupt dazu kein Mittel. War das Demut? Kindersinn? Berücksichtigung dessen, was Gott und was er selber ist? Der kluge Mann denkt an Ochsen und Fische, aber an Vögel – und die sind doch auch Fleisch – denkt er nicht. Dabei übertreibt er’s, wenn er fragt: werden sich alle Fische des Meeres herzu versammeln, ihr Element verlassen, und durch den Sand dieser Wüste schwimmen, - dass ihnen genug sei? Kurz, es scheint ihm die Unmöglichkeit selber. Wie? ist denn Gottes Wollen nicht genug, um alles zur Wirklichkeit zu bringen? Ist sein Arm verkürzt, dass er nicht sonderlich weit mehr reicht? Sollen uns seine Worte nicht mehr gelten, als unsere eigenen Gedanken? – Nun ja, fahrt getrost über den gedemütigten Moses her, weil ihr’s besser zu machen versteht! Nicht wahr, wenn ihr in Not seid, trauet ihr zuversichtlich, er könne, er wolle und werde euch daraus erretten, oder sie doch zum Besten wenden. Wenn ihr gar keinen Ausweg mehr seht, so freut ihr euch darüber, dass er dem ruft das nicht ist, dass es sei, Ihr antwortet in allen, auch den schwierigsten, Fällen auf alle Fragen und Rätsel: Christus, - und damit sind sie gelöst. Stellen sich eure Sünden in Schlachtordnung wider euch auf, so könnt ihr sein Blut nur zeigen und gleich muss ihr Trotz schweigen; rückt das Gesetz mit seinen strengen und dringenden Forderungen wider euch heran, so haltet ihr ihm den Schild der Gerechtigkeit Christi vor und sprecht:

Die Sünde kann nicht mehr
Mich durchs Gesetz verdammen:
Denn alle Zornesflammen
Hat Jesus ausgelöscht;

wollen die geistlichen Feinde euch binden und rufen schon: Philister über dir, Simson! – so gerät alsbald der Geist Gottes über euch, und alle Bande reißen, wie ein flächsern Faden am Lichte versengt, und ihr ruft, stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke: in dem allen überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat. Ihr habt recht, ihr habt recht. Gehet fort in dieser eurer Kraft, und lasst euch nichts irren. Bei Mose stand es aber diesmal nicht also. Wer sollte sich nicht verwundern, wenn er hier bei diesem großen Gottesknecht einen solchen Unglauben, eine solche blinde Klugheit, eine solche Verwegenheit hervorbrechen sieht! Dass es keine bescheidene Frage war, in der Absicht, Belehrung zu empfangen, wie die Frage Mariä: wie mag solches zugehen? Dass es Unglaube war, erhellet aus der Gegenfrage des Herrn: ist denn mein Arm verkürzt? Was für erstaunliche Erfahrungen hat das ganze Volk, und insbesondere er selber gemacht! Die Geschichten in Ägypten, beim roten Meer usw. Schützen denn alle gemachte Erfahrungen nicht vor Äußerungen des Unglaubens bei nächstens vorkommenden Fällen? Was hatte er für eine ausnehmende Erkenntnis Gottes, was für einen vertraulichen Umgang mit ihm, so dass der Herr mit ihm redete, wie ein Freund mit dem anderen. Wie unmittelbar war alles geschehen. Unmittelbar hatte Gott selbst zu ihm gesagt: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden.

Sollte man nicht sagen, wem das einmal widerführe, der wäre für sein ganzes Leben gedeckt? – Welche Blindheit wird in seiner vermeintlichen Klugheit offenbar! Er steht ja ordentlich den anderen gleich, die da sagen: Er kann’s nicht. Er macht Einwendungen, die ihm sehr berücksichtungswert dünken, und die er aus der Vernunft hernimmt. Die 600,000 Mann stehen ihm im Wege, und da sein Verstand keine Mittel weiß, wo für so viele all das nötige Fleisch herkommen soll, so ist er unbescheiden genug, zu glauben, es sei die Unmöglichkeit selber. Im Paradies wurde in Zweifel gezogen: ob Gott wohl sollte gesagt haben. Hier aber ging’s noch einen bedeutenden Schritt weiter. Dass er das wirklich gesagt hatte, wurde nicht bezweifelt, konnte es auch nicht, aber nun betrag der Zweifel die Möglichkeit der Ausführung. Wo soll’s herkommen? Das ist des Unglaubens ganze Art und Kunst, Einwendungen zu machen, so lange er manierlich bleibt; denn wenn er grob wird, leugnet er keck und gerade zu ab und widerspricht, und wer das am geschicktesten treibt, gilt für den Klügsten. Ein gut Teil der heutigen Gelehrsamkeit besteht eben hierin. In dieser Kunst ist unser aller Herz nur allzu wohl geübt, und weiß eine lange Reihe von Einwendungen aufzustellen, die aber immer – wie scheinbar sie auch sein mögen – auf etwas Ungereimtes hinauslaufen, und entweder fragen: sollte Gott gesagt haben, oder: wie mag solches zugehen? – Ja, es zeigt sich bei Mose eine Art von Vermessenheit und Verwegenheit, als ob er klüger wäre wie Gott, und die Sachen besser überschlagen hätte, wie Er. Er scheuet sich ordentlich, dem Volke dasjenige bekannt zu machen, was Gott ihm gesagt hat, dass sie einen ganzen Monat hindurch Fleisch genug zu essen haben sollten, weil es ihm unausführbar dünkt, und er befürchtet, die Ehre Gottes und seine eigene Ehre als Prophet zu gefährden, wenn er’s bekannt machte, und hernach doch nichts daraus würde. Wenn der Apostel sagt: ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht, - so gibt er damit doch zugleich zu erkennen, dass es an Anlass, sich dessen schämen zu können, nicht fehle. Man könne wirklich unter Leute geraten, wo man sich zu scheuen Ursache hätte, oder zu haben glauben könnte, das Evangelium frei heraus zu verkündigen, aus Furcht, diese Perle vor die Säue zu werfen; da sie sich, wenn es geschähe, wenden und euch zerreißen könnten; oder man könnte auch Ursache haben, das Evangelium nicht in seiner ganzen Fülle auszuschütten, und den ganzen, wunderbaren Reichtum desselben, und der Gnade, die es verkündigt, offen zu legen, sondern es zu umschleiern, wie die Apostel in ihren Briefen es mit bewundernswürdiger Klugheit wirklich so halten, wenn gleich keiner mehr als Jakobus. Wer ist hierzu tüchtig? Medad war auch im Lager, das heißt: das rechte Maß. Wer trifft das immer? Hier zu viel – da zu wenig – dort mangelt dies und da das! Und Moses kommt mit seiner Ungestalt nicht klagend vor den Herrn, sondern entschieden, als rechthabend, nicht als ob bei ihm, sondern bei dem Herrn etwas zu verändern sei. O! Unverstand.

Aber auch o! Gnade des Herrn, der seinem Knecht, der hier wie ein verloren und verirrtes Schaf erscheint, treulich zurechthilft. Er tut ihm eine Gegenfrage, wodurch er ihn an seine Macht erinnert, und dadurch Mosis Gemüt auf den rechten Punkt leitet. ist denn mein Arm verkürzt, fragt er. So fragt Gott auch Jes. 50. Ist mein Arm so kurz geworden, dass er nicht erlösen kann, und ist mir keine Kraft, zu erretten? Ach! ja, wie tun ähnliche göttliche Erinnerungen einer bedrängten Seele so ungemein wohl, und setzen ihre Füße aus dem Schlamm aufs Trockene. Es kann eine Seele zagend niedersinken über ihrer Sünden Menge. O! wie wohltuend ist’s ihr da, wenn sie innerlich und kräftig an das Blut Christi erinnert wird, das zu unserer Versöhnung rann, wenn sie, im Gefühl ihrer Schwachheit an seine Kraft, im Gefühl ihres Elendes, an seine Durchhülfe erinnert wird. Alsdann bekommt sie wieder Flügel, und verjüngt sich wie ein Adler. So auch Moses. Ei, wie beschämt wird er geworden sein, dass er bei seinem Räsonieren die göttliche Macht so wenig oder gar nicht mit in Rechnung nahm, und wie fiel all sein Vernünfteln dahin, als er sie in die Augen bekam. Wie angenehm beschämt wird eine trauernde Christenseele, wenn sie nun einsieht, wie sie in ihrem Kummer das Blut, die Gerechtigkeit, die Gnade und Kraft Jesu Christi so übersehen, und so wenig oder gar nicht mit in Anschlag gebracht, und bei ihrem Turmbau mit in Aufrechnung genommen hat. Da wird der Unglaube wohl mit sehr süßen Tränen beweint und abgeschworen oder doch geschrien: ich glaube, lieber Herr! komm’ zu Hilfe meinem Unglauben, - oder mit Hiob gesagt: ich will’s nicht mehr tun. Kap. 39,35.

Der Herr kündigt ihm auch die eigene Erfahrung an. Du sollst jetzt sehen, ob meine Worte dir etwas gelten können oder nicht. Ein Mann wie Mose hätte billig glauben sollen ohne zu sehen, glauben sollen auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist. Aber Moses als Moses konnte dies so wenig, als jeder andere. Zuletzt läuft’s doch mit dem Glauben und Nichtglauben, aufs Sehen, aufs Erfahren hinaus. Der herrschende Unglaube wird’s zuletzt doch mit Schrecken gewahr, dass alles sich wirklich so verhalte, wie es das Wort Gottes, dem er nicht glaubt, gesagt, und von Hölle und ewiger Verdammnis und dem zukünftigen Gericht zuvor verkündigt hat. So wird auch der Glaube es endlich selig inne, was er geglaubt, und seine Hoffnung verwandelt sich in Schauen.

Und so wird Moses geheilt. Alle seine Einwendungen fallen gänzlich weg. Er geht zum Volke und sagt’s ihm, dass es einen ganzen Monat hindurch Fleisch zu essen haben solle. Er grübelt nicht mehr über die Art und Mittel, wie dies Versprechen möge zur Ausführung gebracht werden. Er glaubt, was Gott verheißen hat, das werde er auch tun. O! angenehmer Wechsel, wenn das Gemüt aus der Menge eigener Gedanken und dem trostlosen Gewirre eigener Überlegungen herausgezogen, sein Vertrauen gründen kann auf den lebendigen Gott.

Aber möchte man nicht schließlich fragen: warum meldet Moses das doch von sich selbst, was ihm doch nicht zum Ruhme gereicht, sondern ihn im Urteil anderer herabsetzen könnte? Das war eben die erste Absicht, welche er dadurch erreichen wollte. Man sollte ihn nicht höher stellen, als er wirklich stand. Er hätte dies ja nicht zu melden brauchen, und wenn er’s nicht getan, wer würde was davon erfahren, und nicht wohl weit eher von ihm geglaubt haben, er sei über alle Regungen des menschlichen Verderbens weit hinaus. Aber er begehrt für sich keinen Ruhm, am wenigstens auf Kosten dessen, dem aller Ruhm allein gebührt. Er will es wohl Wort haben, dass er ohne Gnade ebenso elend sei, wie alle andere. Darum kommt auch Paulus so oft auf seine ehemaligen Vergehungen zurück, und wenn er rühmlich von sich selbst redet, so vergisst er selten zu bemerken: doch nicht ich, sondern die Gnade, die mit mir ist. Demut, Einsicht in sein Nichts nimmt zu, mit dem Wachstum in der Gnade. Er meldet die Ungestalt seines Gemüts, um auch damit die tiefe Verderbnis der menschlichen Natur zu beweisen, die auch bei den heiligen Personen noch wohl von Zeit zu Zeit durchblickt, dieses Verderbens, das sich besonders im Unglauben und so in geringen Gedanken von Gott, seiner Macht, Güte und Treue äußert, und also Gott große Unehre antut. Zugleich aber zeigt er an seinem Exempel, dass der Mensch seine Rechtfertigung nicht in sich selbst, seinen Werken und Bestehen finden könne, sondern sie anderswo suchen müsse durch den Glauben. Denn Paulus versichert uns, dass auch Moses diese Gerechtigkeit des Glaubens bezeuget habe. Auch er will als ein solcher angesehen sein, der aus lauter Gnaden gerecht, und ein Erbe sei des ewigen Lebens.

Indem er seine Ungestalt meldet, bezeuget er damit zugleich, wie sehr wir einer fortwährend wirkenden Gnade bedürfen, und wie abhängig wir von ihr seien. Was hilft da, wo es gilt, alle Erkenntnis und Wissenschaft, was helfen sogar alle Erfahrungen der göttlichen Aushülfe und Durchhülfe, alle vormaligen Versicherungen seiner Huld, was hilft’s sogar, ob wir hundertmal haben glauben können, wenn’s uns nicht auch zu der Stunde gegeben wird, wo es not tut? Dann sind wir eben so arm und elend, ebenso finster und erstorben, als ob wir auch noch nichts wüssten, noch nichts erfahren und noch nie geglaubt hätten, wie sich Moses denn wirklich also zeigte. Ihr vermögt das Geringste nicht, das gilt sowohl von der letzten als ersten Hälfte des Weges, und so ist uns ein sehr abhängliches Leben und Verhalten sehr anzuempfehlen. Tut er seine milde Hand auf, so sammeln wir.

Die Abweichungen, welche uns die Schrift auch an den heiligsten und ausgezeichnetsten Personen sehen lässt, dienen auch zum Beweise, dass auch sie nicht anders als aus Gnaden selig geworden sind, und dass es keinen anderen Weg zur Seligkeit gebe, als den neuen und lebendigen durch Jesum Christum, zum Beweise, dass es keine andere Gerechtigkeit gibt, worin wir im Gericht Gottes bestehen können, als diejenige, welche Christus uns durch seinen vollkommenen Gehorsam erworben hat, und die der bußfertige Sünder im Glauben ergreift.

Werden wir denn recht von Herzen demütig! Verzagen wir denn ganz an uns selbst, um vollkommen zu hoffen auf die Gnade, welche uns dargeboten wird in der Offenbarung unseres Herrn Jesu Christi. Amen.

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