Kierkegaard, Sören Aabye - Am Fuße des Altars - Vorwort

Kierkegaard, Sören Aabye - Am Fuße des Altars - Vorwort

Eine stufenweise vorwärtsschreitende schriftstellerische Wirksamkeit, die ihren Anfang nahm mit „Entweder-Oder“, sucht hier ihren entscheidenden Ruhepunkt, am Fuße des Altars, wo der Verfasser, seiner eigenen persönlichen Unvollkommenheit und Schuld selber am besten sich bewußt, keineswegs einen Wahrheitszeugen sich nennt, sondern nur eine eigene Art von Dichter und Denker, der, „ohne Autorität“ nichts Neues zu bringen gehabt hat, sondern „der individuellen, humanen Existenzverhältnisse Urschrift, das Alte, Bekannte und von den Vätern überlieferte wiederum und noch einmal, wenn möglich auf eine innerlichere Weise, durchlesen gewollt hat“ (vgl. mein Nachwort zur „Abschließenden Nachschrift“).

So gekehrt, habe ich nichts weiter hinzuzufügen. Bloß dieses jedoch lasse man mich sagen, was ja in gewisser Weise mein Leben ist, mir meines Lebens Inhalt, seine Fülle, sein Glück, sein Frieden und seine Zufriedenheit - dieses oder diese Lebensanschauung, die der Gedanke der Menschlichkeit ist und der Menschen-Gleichheit: christlich ist jeder Mensch (der Einzelne), unbedingt jeder Mensch, noch einmal, unbedingt jeder Mensch Gott gleich nahe; und wie nahe, und gleich nahe? geliebt von Ihm. Also die Gleichheit ist da, die unendliche zwischen Mensch und Mensch. Ist da ein Unterschied, oh, dieser Unterschied, wenn er ist, er ist die Friedfertigkeit selber; unverstört stört er nicht im entferntesten die Gleichheit, der Unterschied ist: daß einer bedenkt, daß er geliebt wird, vielleicht tagaus und tagein, vielleicht siebzig Jahre lang tagaus und tagein, vielleicht nur mit der einen Sehnsucht: nach der Ewigkeit, um recht Fuß fassen und fortfahren zu können, mit dieser seligen Beschäftigung sich abgibt, zu bedenken, daß er - ach, und nicht um seiner Tugend willen! - geliebt wird; ein anderer denkt vielleicht nicht daran, daß er geliebt wird, vielleicht geht Jahr über Jahr hin, Tag über Tag, und er denkt nicht daran, daß er geliebt wird, oder er ist vielleicht froh und dankbar, weil er geliebt wird von seiner Frau, von seinen Kindern, von Freunden, von Zeitgenossen, aber er denkt nicht daran, daß er geliebt wird von Gott, oder er seufzt vielleicht darüber, daß er von keinem geliebt wird, und er denkt nicht daran, daß er geliebt wird von Gott. „Dennoch“, so müßte der erste wohl sagen, „ich bin unschuldig, ich kann ja nichts dafür, wenn ein anderer die Liebe übersieht oder verschmäht, die auf ihn verschwendet wird genau so reich wie auf mich“. Unendliche göttliche Liebe, die keinen Unterschied macht! Ach - menschliche Undankbarkeit! - wenn das nun die Gleichheit wäre zwischen uns Menschen, in welcher wir einander ganz gleichen, daß keiner von uns recht daran denkt, daß er geliebt wird!

Indem ich darauf nach der andern Seite mich kehre, hätte ich den Wunsch und wollte mir die Erlaubnis nehmen (dankend für alles, was an Teilnahme und Wohlwollen mir erwiesen worden sein mag), die Schriften gleichsam zu überreichen und anzubefehlen dem Volk, dessen Sprache ich mit der Hingebung des Sohnes und mit fast weiblicher Verliebtheit geschrieben habe, stolz auf diese Ehre, und doch wieder mich vertröstend, daß es auch keine Schande davon haben wird, daß ich sie geschrieben habe.

Kopenhagen, im Spätsommer 1851

S. K.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/kierkegaard/vorwort.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain