Ischebeck, Gustav - Aus den Verfolgungstagen der freikirchlichen Gemeinden am Niederrhein im 16. Jahrhundert

Ischebeck, Gustav - Aus den Verfolgungstagen der freikirchlichen Gemeinden am Niederrhein im 16. Jahrhundert

Eine kirchengeschichtliche Skizze von Gustav Ischebeck

„Lange war es nicht möglich, eine zusammenfassende Darstellung über die Schicksale der „Brüder-Gemeinden“, die wir seit vielen Jahrhunderten unter wechselnden Namen kennen, zu bieten. denn die orthodoxen Kirchen hatten aus guten Gründen einen Schleier geworfen über jene verfolgten Christen, die man „Ketzer“ oder „Secten“ nennt. Die „rechtgläubigen Parteien“ haben viele Jahrhunderte im Namen Christi mit Feuer und Schwert gegen die Secten Krieg geführt, und die Wogen des Religionshasses drohten oft über den Verfolgten zusammenzuschlagen Wer die Vorurteile und Hindernisse zu beurteilen weiß, die sich der Erforschung und Darstellung der Verfolgungszeiten dieser „Brüder“ entgegenstellen, wird unmöglich schon jetzt eine tadellose Schilderung all' der Leiden und Arbeit dieser „Ketzer“ und „Secten“ erwarten. Denn wer könnte all den traditionellen Widerstand gleich beim ersten Anlauf überwinden, auf welchen jeder derartige Versuch stößt.

Eine solche Geschichte läßt sich nicht schreiben, ohne daß mancherlei Vorgänge an's Tageslicht kommen, über die noch heut Viele lieber Schweigen beobachtet sehen möchten; und wer dieses Schweigen bricht, der wird darauf rechnen müssen, daß ihm, soweit die Zeitverhältnisse es gestatten, diejenige Behandlung zuteil wird, welche in solchen Fällen bisher üblich war.“ So schreibt der Geheime Archivarrat L. Keller (Reformation S. IV-V), der aus Wahrheitsliebe nicht den gewöhnlichen Geleisen folgte und auf Schritt und Tritt durch Einsicht der Akten und Urkunden selber zu kontrollieren in der Lage war. Keller und manche andere Quellenforscher älterer und neuerer Zeit (z.B. Gottfried Arnold, Rembert) haben hin und her manchen Aktenstaub aufgescheucht, selbst auf die Gefahr hin, daß einiger Staub sich auf die glanzvollen Namen großer Männer und auf die in Unschuld sich waschenden Kirchen lege. Die Wahrheit voran!

In der Nr. 2 des „Gärtners von 1907 boten wir unseren Lesern Teile eines Erlasses, den Herzog Wilhelm von Cleve, Jülich, Berg, Mark, Ravensberg usw. im Januar 1565 gegen die „freien Gläubigen“ erließ. Der ganze Erlaß ist in den Publikationen des Staatsarchives, Band IX, S. 114-119 abgedruckt. 1)

Wie bedeutungs- und verhängnisvoll diese Art Regierungsbefehle war, erhellt erst wenn man bedenkt, daß es vor, während und strichweise auch nach der Reformation mehr Freikirchliche im deutschen Reich gab - im Verhältnis zur Volkszahl - als heute. Und auf dem ganzen Kontinent waren diese durch päpstliche Bannflüche und Reichstagsbeschlüsse entrechtet, denn die Beschlüsse erkannten nur die katholische, lutherische und reformierte Kirche an. Wer ahnt es, wie viele Verfolgungen, Leiden und Bande jene fürstlichen Erlasse über die Gläubigen heraufbeschworen, sonderlich in den ganz katholischen Bezirken? Am Niederrhein kam hinzu, daß dort an der deutschen Grenze der spanische Mordbrenner Alba seine blutige Herrschaft ausübte; in Köln war der päpstliche Nuntius, der Jesuit Gropper, eifrig gegen die Bekenner Jesu tätig; der oben genannte Herzog war der Schwiegersohn des römischen Königs und seit einem Schlaganfall (1566) ein geistesschwacher, kranker Mann und ein Spielball der katholischen Partei. Auf ihr Drängen entließ er alle protestantischen Hofbeamten und auf Veranlassung des Kaisers - seines Schwagers - auch den protestantischen Hofprediger Veltius (1588). Die Sectierer vollends galten nach dem herrschenden Gesetz und recht den größten Übeltätern gleich, so heißt es z.B. einmal, daß 25 Reisige ausgesandt wurden gegen „herrenlose Knechte, Mordbrenner, Wiedertäufer, Straßenräuber, mutwillige Banden, Aufrührer“ (Rembert, S. 414-415; z. derg. Gesch. Band XXIII, S. 58). Geheimrat Keller sagt: „Seit der Zeit der päpstlichen Weltherrschaft galten die Sectierer, Ketzer - bekanntlich der Spottname für die Freikirchlichen - als „pestilenzialische Personen“, die sich schwererer Strafen schuldig machen als die, welche sonst grobe Sünden begehen.“ Gesetz und Recht, die öffentliche Meinung, die geistliche und die weltliche Gewalt waren also gegen die wehr- und schutzlosen Gläubigen. Sie konnten das Wort Pauli auf sich anwenden: … durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte, als die Verführer und doch wahrhaftig, als die Unbekannten und doch bekannt, als die Sterbenden und siehe, wir leben, als die Gezüchtigten und doch nicht ertötet, als die Traurigen, aber alle Zeit fröhlich …“ Mit Recht sagt Professor Ritschl, den auch Keller für einen gründlichen Kenner jener Zeit hält: „Das siegreiche Fortschreiten derselben („Secten und Ketzer“) ist nur durch die Gewalt der Obrigkeit verhindert worden“. und Keller selbst schreibt im Blick auf unsere Brüder: „es gibt keine einzige christliche Confession oder Kirche, welche eine so große Zahl von Märtyrern aufzuweisen hätte wie diese Ketzer.“ (Reformation, S. 16).

Seit den Reichstagen von Speyer und Augsburg waren die Freikirchlichen im ganzen deutschen Reiche und darüber hinaus gesetz-, schutz- und rechtlos. Das kaiserliche Edikt vom 4. Januar 1528 erklärte kurz und hart, „daß sie dem Tode verfallen sein sollten.“ In Speyer wurde 1529 beschlossen: § 6: „daß alle und jede Wiedertäufer und wiedergetaufte Mann- und Weibsperson verständigen Alters vom Leben zum Tode durch Feuer, Schwert und dergleichen nach Gelegenheit der Personen ohne ein vorhergehend geistlich Gericht und Inspection gerichtet und zum Tode gebracht werden.“ Also, sie waren vogelfrei! Und das beschloß man in Speyer unter Zustimmung aller Stände. Die Bemühungen des Landgrafen Philipp von Hessen, die Lutheraner von dieser Zustimmung abzuhalten, waren erfolglos. Philipp geriet darüber mit seinem Nachbar, dem Kurfürsten von Sachsen bzw. den Wittenberger Theologen, Luther und Melanchthon, in einen heftigen Konflikt. Man konnte und wollte nach diesen feststehenden Reichstagsbeschlüssen die Sectierer wie die wilden Tiere zu Tode hetzen - jede Menschlichkeit, jede Gerechtigkeit schien diesen frommen Verbrechern gegenüber erloschen zu sein. So und mehr schreibt Keller (Reformation I, S. 447-448) und Rembert (Geschichte der Reformation am Niederrhein, S. 49-50). Mit Recht ruft Keller: Jener verhängnisvolle Beschluß (von Speyer) hat das deutsche Geistesleben in einer außerordentlichen Weise beeinflußt (a.a.O. S. 464).

Der Name „Wiedertäufer“ war 1524 in Zürich gebildet worden. Bald benannte man alle und jede gläubige Gruppe, die außerhalb der drei anerkannten Landesreligionen stand, mit diesem Namen; selbst Kreise in der Art der heutigen kirchlichen Gemeinschaften wurden, sofern sie nicht unter der Leitung von Pastoren standen, mit diesem Schimpfnamen (Keller, Waldenser S. 17) belegt. Keller sagt: „Noch immer gilt es in den landläufigen Geschichtsbüchern für zulässig, unter der einen Bezeichnung „Wiedertäufer“ die verschiedenen Männer und Richtungen als eine Partei hinzustellen, ja, man geht so weit, selbst solche Personen wie z.B. die Zwickauer Propheten und Thomas Müntzer, die niemals für eine Spättaufe eingetreten sind, mit jenen zu einer Partei zusammenzufassen, während gleichzeitig Männer wie Adolf Clarenbach u.a. noch fortwährend Märtyrer der lutherischen Kirche heißen, obwohl sie erweislich Mitglieder jener alten (evangelischen) Gemeinden gewesen sind, die man „Täufer“ nannte (a.a.O. S. 173). „Aber die Kreise selbst,“ sagt Keller an anderer Stelle (Reformation, S. 287), „haben ihren Zusammenhang mit den älteren Gemeinden (vor der Reformation) so zäh festgehalten, daß sie den neuen Namen stets zurückgewiesen und sich wie ihre Vorfahren einfach „Brüder“ genannt haben.“ „Es ist erwiesen, daß die altapostolisch-evangelischen Gemeinden, die uns im 16. Jahrhundert begegnen, viel weiter hinaufreichen als gemeinhin angenommen wird … und ihr Einfluß reicht viel tiefer in die neuere Zeit hinein als die meisten ahnen“ so schreibt wiederum Keller in seinem Werk über die Waldenser (S. 163) - Zum Dank für seine mühevollen Arbeiten und seine Wahrheitsliebe ist Keller von dem lutherischen Professor Kolde ein „begeisterter Apostel der Wiedertäufer“ gescholten worden. Mit Recht aber hat Keller erwidert, daß Kolde und seine Geistesverwandten bei solchem Denunzieren in alten, ausgefahrenen Gleisen wandelten, denn die lutherischen Theologen hätten ihren ehemaligen Amtsbruder Valerius Weigel auch „Wiedertäufer“ gescholten, allerdings erst 21 Jahre nach seinem Tode. Den Gipfel der Unehrenhaftigkeit aber habe dieser unerhörte Mißbrauch des alten Scheltnamens in den Kämpfen der lutherischen Orthodoxie mit dem Pietismus (im 17. Jahrhundert) erreicht: habe doch im Jahre 1624 der Tübinger Theologe Osiander eigens eine Schrift geschrieben, in der er keinen anderen als den Verfasser des „Wahren Christentum“, Johann Arndt, als „Wiedertäufer“ entlarvte und Schreckbilder an die Wand malte, wenn Arndts Lehre ungehindert ihren Lauf nehmen würde - (ein rechtes Beispiel der verbohrten und bornierten Lutheraner-Theologie).

Wie einflußreich dem Allem zum Trotz im 16. Jahrhundert am Niederrhein die freien Gläubigen und wie zahlreich sie dort gewesen sind, erhellt aus folgendem: Vor den Augen aller politischen und kirchlichen Machthaber fand der oben erwähnte Erlaß den Herzogs vom Januar 1565 mancherorts kräftigen Widerstand, besonders im Gebiete von Jülich, in Wesel, Hamm, Soest und anderen Orten. Die westfälischen Städte hatten dieserhalb am 29. März 1565 eine Ratsversammlung in Rhonern, die klevischen in Wesel. Die märkischen Städte (Bochum, Dortmund, Witten, Wetter, Hamm, Soest, Iserlohn, Altena etc.) beschlossen, den Erlaß nicht zu veröffentlichen, und die niederrheinischen scheinen es ähnlich gehalten zu haben. Am 8. Juli 1566 sandte der Herzog mit Berufung auf seine früheren Befehle, die bis jetzt wenig befolgt seien, seinen Amtleuten ein neues Edict, das sich besonders gegen verdächtige Bücher wandte und die Ausweisung der Fremden forderte, „wenn sie nicht ein Attest ihrer früheren Obrigkeit beibringen, daß sie mit der wiedertäuferischen und anderen Lehren nicht befleckt seien.“ Mit dem 25. August 1566 ging für die clevischen Städte ein Befehl aus die fremden Prediger auszuweisen, „denn die Untertanen sollen an ihre rechtmäßigen Pastoren gewiesen werden.“ Drei Tage danach folgte ein Befehl zur Verhaftung der fremden Prädikanten, und am 11. September wurde den Städten befohlen, die Edicte von den Kanzeln verlesen zu lassen. Schon am 9. Dezember des gleichen Jahres mußte von Düsseldorf aus, woselbst der Herzog zumeist residierte, wiederum genötigt werden, die öffentliche Verkündigung nicht zu unterlassen und die Verfolgung strikt durchzuführen (vgl. Publicationen des Staats-Archivs B. I, S. 120-124).

Im nahen kurfürstlichen Erzbistum Köln ging man zu derselben Zeit noch bündiger vor. Im Jahr 1552 schon brach dort die Verfolgung mit Macht aus, die der Jesuit Gropper eifrig betrieb. Trotzdem war eine Abnahme der Freikirchlichen nicht zu erzwingen, denen auch viele Adlige, wie z.B. von Palant (dieser Name kommt unter ihnen am Niederrhein oft vor), von Brempt, von Tangern u.a. anhingen. Diese wurden auf Fürsprache des Grafen von Neuenahr und Moers der Stadt verwiesen: „sie sollten aber, wenn sie, ohne sich bekehrt zu haben, zurückkehren, binnen 24 Stunden mit dem Tode bestraft werden.“ In den „Rheinischen Acten vom Jesuitenorden“, denen das Folgende zumeist entlehnt ist, heißt es S. 335: „Vom Jahr 1559 an beginnt eine Epoche entschiedenen Auftreten des Kölner Rates gegen die Wiedertäufer, worüber zahlreiche Akten im Stadtarchiv vorliegen.“ (Das war also die zweite Verfolgungsepoche in Köln) Seite 365 heißt es: „Dieweil vil Widderdöpper und Sacramentierer in diese Stadt kommen, ist, verdragen, daß kein Burger einige Fremdlinge aufnehmen, ihnen Behausung oder auch ein Haus vermeten soll, sy zeigens denn der Obigkeit erst an, und zu sehen und zu erfahren,. wie die von andern Orten geschieden sym. Welcher dawidertut, soll den Gewaltrichtern 10 Taler Buße geben.“ Bei alle dem „hatte ein reicher Patrizier in Köln sein eigenes aus den Genossen zum Asyl gegeben“, und obwohl im August des gleichen Jahres schon wieder verschärfte Vorschriften erlassen wurden, starben die Verfolgten nicht aus. Auch von der Eifel her kamen freie Gläubige; in den Kölner Akten wird 155 als „Hauptlehrer“ der Eifeler ein Köhler namens Zellis genannt, und noch im Jahre 1572 beschwert sich das Presbyterium der niederländischen reformierten Gemeinde über die „schadelijcker Sectierer“ aus der Eifel. 1560 wurde vom Rat in Erfahrung gebracht, daß die Gemeinde der Wiedertäufer 40 Personen stark sei und daß an ihrer Spitze stehe als Prediger der „Mützenacher Heinrich Krufft, ein kleiner, vierschössiger Mann, der auch außerhalb vielfach tätig sei.“ - In den Ratsprotokollen von 1561 bildet das Einschreiten gegen die Wiedertäufer eine ständige Rubrik (S. 246), oft wurde in einem Monat dreimal verhandelt (S. 464, 474). „Am 30. Juni 1562 ein Buchbinder Stephan ertränkt, weil er Bücher von Anton Kaiser in Jülich bekommen hatte.“

Im Frühjahr 1563 wurden mehrere ertränkt (S. 468). Im April 1565 wurde befohlen, daß sich die Wiedertäufer alle Abend melden sollten (S. 537). Am 24. Juni wurden 63 von ihnen gefangengesetzt (S. 514), manche wurden am 1. Oktober ausgewiesen, besonders die Vornehmeren, andere wurden „gerechtfertigt“, d.h. hingerichtet. Die Regierungen der an das Kölner Gebiet angrenzenden Länder ließen die Namen der Ausgewiesenen einfordern, selbst das mildgesinnte Cleve.

Welch ein Maß von Elend und Not bergen diese Umstände! Die Vertriebenen waren noch unsicherer als ein gejagtes Wild. In den Protokollen heißen sie immer wieder „die Wiedertäufer“, trotzdem sie zu der Taufe nicht die Stellung einnahmen, die den heutigen deutschen Baptisten eigen ist, wie das Keller genugsam dargetan hat. Gerade im Hinblick auf die Kölner „Wiederdöpper“ sagt Rembert: „die Zahl derer, die, ohne die Spättaufe empfangen zu haben, an den Versammlungen teilnahmen, war viel größer als die der Getauften (vergl. §§ 5 u. 7). Der Rat, der die ersteren nicht wohl fassen konnte oder wollte, erließ in einer „Morgenansprache“ (Bekanntmachung) angesichts der starken Zunahme der Bewegung eine Warnung.“ (S. 641). Im August, September und Oktober 1567 ging man mit neuer Schärfe vor, so daß gleichzeitig 57 Personen im Kerker waren. Der stereotype Ausdruck lautet: „Die Hartnäckigen werden dem Gewaltrichter übergeben und 'gerechtfertigt'„, d.h. gefoltert und hingerichtet. Hin und her in Kur-Köln, besonders im Siegtal und dessen Nebengebieten, starben viele „Ketzer“ und „Sektierer“ den Märtyrertod (Rembert, S. 506 ff). Obwohl man gewaltsam mit den Ketzern aufräumte, wurden im Jahre 1568 noch 23 Personen ausfindig gemacht, die im Geheimen „predigende Prädikanten“ seien, außerdem noch 12 Täuferfamilien und eine Anzahl „Sakramentierer“ (S. 561). Im Dezember 1570 werden 25 Prädikanten und 10 Sakramentierer genannt, außerdem wohnten noch an 4 Stellen der Stadt (Köln) Wiedertäufer. Als die ketzerfeindlichen Stadtbehörden auch gegen die Protestanten der Stadt schroff vorgingen, traten die Kurfürsten von der Pfalz, von Sachsen und Brandenburg für sie ein. Seltsam ist es, daß trotz aller Verfolgung der Täufer selbst im Jahre 1582 noch über 100 Seelen zählten. Rembert bemerkt dazu: „Was diese Zahl bedeutet, ermessen und würdigen wir erst, wenn wir die Mühen der Brüder in Betracht ziehen, aufrichtige Anhänger zu gewinnen… Welche Standhaftigkeit des Glaubens war nötig! Kaum der dritte Teil derjenigen, die die Versammlungen zu besuchen pflegten, waren in den Kreis der Auserwählten aufgenommen… Die Nichtaufgenommenen nannte man „Aspiranten“„ (vergl. S. 508). Dahin ist auch die Bemerkung des Karthäuser-Prior Havenius (gest. 1609) über die gleichen Kreise im Jülich'schen zu verstehen: „Man fand in einem Hause oft Anhänger von 3-4 verschiedenen Sekten, deren jeder sich für den gelehrtesten und vom Heiligen Geist erleuchtetsten hielt.“

Wie allen Lesern bekannt ist, berichten die allgemeinen Kirchengeschichten nur von zwei Märtyrern in Köln, nämlich von Adolf Klarenbach aus der Nähe von Lennep und Peter Flystedten aus einem Orte bei Jülich, die 1529 in Melaten bei Köln verbrannt wurden. Die Kirchlichen nennen nur diese beiden, weil Luther u.a. sie zu den Ihrigen rechneten. Keller und Rembert haben aber aus den Gerichtsprotokollen dargetan, daß auch diese beiden zu den „Sektierern“ gehörten und Freikirchliche waren. Zudem waren diese 2 nicht die ersten und die erwähnten 57 nicht die letzten, die zu Köln um ihres Zeugnisses willen Kerker, Folter und Tod erduldeten. Dem Klarenbach und Flystedten hing man den kirchlichen Mantel um, sonst wären ihre Namen ebenso verschwiegen wie die der vielen „Sektierer“. Man rechne es nicht übel an, wenn wir uns freuen, daß die irdischen Kirchengeschichten nicht auch die himmlischen sind. Gott hat es sich vorbehalten, eine „unparteiische Kirchen-, Ketzer- und Weltgeschichte“ zu schreiben, und sie wird nicht ewig verborgen bleiben. Wir warten ihre „Herausgabe“ mit Geduld ab und glauben, daß die Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit dessen, der die Herzen und Nieren erforscht, sie für unsere „Sekten-Brüder“ gerecht ausfallen lassen wird.

Kehren wir aus dem kölnischen in das klevische Gebiet zurück! Ganze Gebiete, die heute fast nur katholische Bewohner haben, waren um jene Zeit von vielen freien Gläubigen bewohnt. So fand am Ostermontag 1566 also eineinviertel Jahr nach jenem ersten scharfen Erlaß des Herzogs von Kleve, in Hüls bei Krefeld eine Zusammenkunft von 700 Sektierern statt, die teilweise aus der Gegend im Westen und Süden Krefelds kamen. Der derzeitige Graf von Hüls, Gottfried von Haes (sprich Haas) war ein eifriger „Taufgesinnter“. Einer der Prediger, der im Krefelder Gebiet viel tätig war, war, wie die katholischen Pfarrer von Anrath, Hüls und Kempen schreiben: „so ein Landläufer namens Wolter, mit einem langen weißen Bart, so zu Krefeld wohnhaft, vorzeiten aber Pastor in Odenkirchen und daselbst ein Anhänger täuferischer Lehren.“ In gleicher Zeit schreibt der Abt Heinrich von Mühlheim in Süchteln, „daß etliche Schürenprediger allhie im Kirchspiel bei Tag und Nacht heimlich Zusammenkünfte und Predigten halten und anderwärts verbannten Feld-, Busch- und Winkelpredigern in seinem Gebiet Aufenthalt gewährt werde.“ Daraus geht hervor, daß trotz allen herzoglichen Befehlen und jesuitischen Mordplänen die freien Gläubigen geheim oder öffentlich zusammenkommen, jenachdem ihnen der Adel oder die Städte gesonnen waren. Uns nimmt nicht wunder, daß er wankelhafte Herzog am 7. Oktober 1567 durch einen längeren Befehl anordnete, daß die Amtleute die Wiedertäufer 2) Sakramentierer, Calvinisten 3) und Sekten strenger beobachten und „mehr Gegenwehr“ üben sollten, auch sollten die Busch- und Winkelprediger gefangen gesetzt werden. Ein Befehl folgte dem anderen und überbot die anderen, der beste Beweis, daß es nötig war und daß viele Freikirchliche da waren. Am 7. Mai 1572 bekam der Amtmann zu Goch eine scharfe Rüge, weil er geduldet hatte, daß die Ketzer daselbst Conventikel hielten. Im November desselben Jahres wurden 3 Richter und 3 Schützen nach Emmerich geschickt, um die Sektierer gefangen zu nehmen und ihre Zusammenkünfte aufzuheben. Noch am 16. August 1569 und am 16. Januar 1570 hatte der Herzog befohlen, endlich alle Fremden auszuweisen, und dazu alle die, „welche sich der Religion ungemäß halten, die heiligen Sakramente nicht empfangen und ihre Kinder ungetauft liegen lassen.“ Der reformierte Prediger aus Kempen berichtet über die verhaßten Sektierer: „Wiedertäufer sind hier nur wenige, und diese halten sich schweigsam, bescheiden und sind es nur im Stillen.“ Nachdem denn die lebhaften Versuche, die Freikirchlichen zur herrschenden Kirchenlehre zurückzuführen, diese nicht wankend gemacht hatte, begann man sie auszutreiben. „So haben die Wiedertäufer das Land räumen müssen“ heißt es überall kurz und teilnahmslos. Schnöde vertrieb man Leute stillen, schlichten, ehrbaren Wandels, die keine Spur von Gemeingefährlichkeit besaßen. Menschen, die ein mit dem Evangelium übereinstimmendes Leben zu führen suchten, wurden als Anhänger der „Sekten“ grimmig verfolgt (Rembert S. 417, Rettelshein S. 156).

Wesel bekam am 6. März 1571 ein Mandat, in dem der Stadt aufs Strengste befohlen wurde, die den Fremden eingeräumten Rechte und die Versammlungsfreiheit aufzuheben, denn der Herzog könne die Mißachtung seiner Befehle nicht länger geschehen lassen, und man möge ihn nicht zu schärferen Erlassen zwingen. Wesel blieb aber auf seinem Standpunkt, so daß der päpstliche Nuntius schrieb: „Wesel gehorche den Befehlen des Herzogs nicht und nehme die Rebellen gegen die kaiserlichen Befehle auf.“ Pastor Sardemann schreibt zu jenen Verhältnissen: „Der Unwille über den spanisch-kaiserlichen Druck und Zwang machte sich selbst am Hofe, wie im Lande fühlbar, unleugbar aber auch aus Rücksicht darauf, daß die Gläubigen, wohin sie kamen, Handel und Gewerbe nach sich zogen und, wie sie Gemeinden und Schulen gründeten, auch Webstühle aufschlugen, industrielles Leben weckten und müßige Hände in Tätigkeit setzten - (es ist ja öfters dargetan worden, daß fast die ganze westdeutsche Industrie ihr Wurzelgebiet in den verfolgten Gläubigen vergangener Leidenszeiten hat, die Red.) - und das alles nahm jenen Edikten die Kraft und förderte die Aufnahme der flüchtigen Fremden in solcher Weise, daß in wenigen Jahren fast kaum ein Ort und Flecken im Herzogtum Kleve war, in dem nicht durch eine evangelische (d.h. eine freie, unabhängige Gemeinschaft, in denen, wie der Erlaß vom 16. Januar 1570 zeigt, die Taufe nicht Norm war, vergl. Publikationen des Staats-Archivs IX, S. 148) - Gemeinde, wenn auch noch so klein, organisiert war“ - (auf Grund des allgemeinen Priestertums ohne besondere Pfarrer, wozu sie ja auch zu gering waren). Soweit Sardemann (die Einklammerungen sind von der ed. beigefügt). - Zum Glück für viele feie Gläubige gab es im klevischen Herzogtum 43 selbstherrliche Adelige, die teils aus liberaler Gesinnung, teils mit Rücksicht auf die guten Steuereinnahmen, teils aber auch aus geistlichen Ursachen denselben recht gewogen waren; zu diesen gehörten die Herrn v. Bylandt, v. Palant, von der Leyden - zwei dieses Namens starben den Märtyrertod - sowie die Grafen von Moers und Neuenahr u.a. - Die Gläubigen waren vielfach nicht nur die besten, sondern auch die begütertsten Bürger, wovon die noch vorhandenen Rechnungen über ihre konfiszierten Güter und ihre Unternehmungen zeugen. Jene kleinen Adeligen waren jedoch nur vorübergehend im Stande, einen Schutz zu gewähren; besser konnten das schon die befestigten Städte, aber beide mußten den gegen Ende des 16. Jahrhunderts eindringenden römischen und spanischen Horden freien Lauf lassen, und das Morden, Vertreiben, Foltern und Konfiszieren nahm kein Ende. Mit welcher Blindheit war doch jene Obrigkeit geschlagen, daß man von den Geistlichen gedrängt, die ruhigsten und besten Elemente des Bürgertums verdrängte! Gewiß dürfen wir uns heute jener Verfolgten als unserer Brüder annehmen und die Geduld und den Glauben rühmen, den sie in Leiden und Verfolgungen bewiesen; wandern wir doch darinnen biblische Pfade (2. Thess. 1,4)!

Im August 1577 beschlossen die klevischen und am 22. September i Essen die klevischen und die märkischen Städte mit den Ritterbürgern, bei dem Herzog gegen die Inquisition zu protestieren, da man sie nicht nur gegen die Wiederdöpper, Sakramentierer und andere Sekten anwende, sondern auch, wie es in Orsoy und Büderich geschehen war, gegen anerkannte evangelische Gemeinden (zur berg. Geschichte I, 207-213). Hatten doch bereits 1574 die kaiserlichen Abgesandten den bekenntnistreuen evangelischen Töchtern des Herzogs inquisitorische Fragen vorgelegt (ebendaselbst). Der Herzog selbst war durch die höhnische, maßlose und verächtliche Art, womit Alba ihn behandelte - dieser plante sogar, das Herzogtum durch einen Spanier verwalten zu lassen, trotzdem die Kurfürsten von der Pfalz, von Sachsen und Brandenburg Schwiegersöhne des Herzog waren - so eingeschüchtert worden, daß er durch Edikte gegen die Flüchtlinge die Gunst des Spaniers erwerben wollte (Wolters, S. 327). Alba hatte sich beschwert, daß man niederländischen Flüchtlingen Herberge und Duldung gewähre, und Personen, die er geächtet (mit Namen genannt) habe, habe man in Wesel, Goch, Büderich, Duisburg, Herzogenbusch und anderwärts aufgenommen. Der herzogliche Gesandte erklärte dem kaiserlichen Vertreter in Brüssel: „unser gnädiger Herr kann die Seinen von Adel und Städten, wenn sie sich den ausgehändigten Mandaten nicht gemäß halten, nicht so von Stund an zwingen wie seine kaiserliche Majestät.“ Darauf erwiderte der kaiserliche Vertreter Viglius: „Laßt uns euch helfen, wir wollen sie euch wohl gehorsam machen.“ „So lange es aber ging,“ sagt Keller, „öffneten jedoch die Städte den Ketzern die Tore, selbst auf die Gefahr hin, das Schlimmste zu erdulden. Die einfachen Mandate in dieser Richtung hin hatten kaum irgend eine Wirkung.“

Dabei ist nicht außer Acht zu lassen, daß der Herzog durch seine Verwandtschaft mit Pfalz, Brandenburg und Sachsen sowie durch seine alte Freundschaft mit Philipp von Hessen und anderen protestantischen Höfen - er hatte auch im Juni 1558 an dem protestantischen Fürstentag in Frankfurt teilgenommen - innerlich dem protestantischen Zeugnis zugetan war, „auch wollte er nicht, daß die ganze Härte der kaiserlichen Gesetze nach spanischem Muster durchgeführt werde“ (Rembert, S. 399); er war ein schwankendes Rohr sowohl durch sein Leiden wie durch seine Unentschiedenheit. Den kaiserlichen Machtansprüchen und jesuitischen Umtrieben war er nicht gewachsen, und unter seinen Augen nahm die Erdrosselung der Zeugen der Wahrheit ihren Fortgang. Er nahm zudem ach der Entlassung des protestantischen Hofpredigers wieder mehr und mehr am römischen Kultus teil und ließ vom Frühjahr 1570 an sogar die Messe wieder lesen. Seine am Hofe weilende Schwester wie seine protestantischen Töchter weigerten sich entschieden, daran teilzunehmen, selbst als der Herzog, von den Jesuiten gedrängt, Gewaltmaßregeln gegen sie anwandte. Die Folgen der herzoglichen Stellungnahme sollten bald auch die „anerkannten Evangelischen“ inne werden, denn die römischen Räte wußten das oben (am Anfang des Artikels) angegebene Edikt vom Januar 1565 fortan auch gegen sie umzumodeln. Der Kurfürst Friedrich von der Pfalz schrieb am 5. September 1571 deshalb an den Herzog und legte Verwahrung dagegen ein, daß man „gegen die Anhänge der Augsburgischen Konfession Konfiszierung von Hab und Gut vornähme und sie das Land räumen lasse.“ Des Herzogs Antwort lautete ablehnend. „Die herzoglichen Mandate,“ hieß es, „sind vornehmlich auf die verdammten Sekten gestellt, die dem Religionsfrieden nicht einverleibt sind.“ Nachdem es aber offenkundig war, daß man die Verfolgungen nicht nur gegen die „verdammten Sekten“ anwandte, erließen die drei Kurfürsten von der Pfalz, von Brandenburg und Sachsen, die Herzöge von Braunschweig und Pommern sowie die Landgrafen beider Hessen am 20. November 1571 ein weiteres Gesuch an den klevischen Herzog, die Angehörigen ihrer Konfession und die niederländischen Flüchtlinge nicht zu verfolgen, zumal der Herzog vordem anderer Gesinnung gewesen sei. „Die Fürsten bitten den Herzog, er möge zu solchem Unheil keine Ursache geben und sich gegen die Armen erweisen, wie er es am jüngsten Tage von der Wiedervergeltung Gottes für sich erwarte.“ Die Vorstellungen blieben aber unwirksam (Keller, Gegenreformation 1, 38-39). Wenn man trotz allem so gegen die anerkannten Protestanten verfuhr, wie mag es da erst um die „verdammten Sekten“ gestellt gewesen sein, zumal diese auch in den Ländern der oben genannten protestantischen Fürsten mehr oder weniger grausam verfolgt wurden? Für sie verwandte sich keine Fürstenstimme, sie schützte kein Gesetz und keine irdische Macht. Sie waren „wie Schafe mitten unter den Wölfen“.

Die römische Partei wurde um so kühner, je mehr das Land von spanisch-kaiserlichen Truppen überströmt wurde. So setzte man im Jahre 1581 die protestantischen Mitglieder des Stadtrates von Rees ab; 1586 dekretierte man den Rat von Wesel, unverzüglich seine Prediger zu entlassen und ihre Stellen mit römisch-katholischen Geistlichen zu besetzen (z. Berg. Geschichte 1, 214). Wesel besaß vor allem niederrheinischen Städten ein selbstherrliche Verwaltung und hatte gar dem Herzog Trotz geboten, so daß er nachgeben mußte; zu dem war es (nach Wolters) im Jahre 1568 fast nur von Protestanten bewohnt und - fügen wir hinzu - vom frühesten Mittelalter her eine Zufluchtsstätte treuer Kinder Gottes, ein Rettungshafen für Ketzer und Sektierer 4). Die Schriften dieser wurden viel daselbst gedruckt und von dort aus verbreitet. So schrieb 1560 Gaspar Schets in Antwerpen an seinen früheren Studiengenossen, den Bürgermeister Groen in Wesel, er möge ihm keine Bücher mehr schicken, da sie keine im Hause haben dürften, die nicht von der Geistlichkeit genehmigt seien. Im Jahr 1569 wurde „David von Corselles, ein französisch Schoilmester, der so ein verdächtig Büchelchen gemacht“ mit dem Drucker ausgewiesen. Dasselbe Schicksal erfuhr ein Buchdrucker in demselben Jahre, der Loblieder auf Wilhelm von Oranien und Schmähschriften gegen die Spanier gedruckt hatte. Am 23. April 1573 war das Resultat einer Verhandlung gegen Clais Geifertzen, den Buchdrucker: „weil er etliche newe Tidungen buten Consens Senatus (ohne Erlaubnis des Rats) gedruckt, … alß soll er an stondt an mit Wiff und Kindern vertrecken (wegziehen)“ (zur Berg. Geschichte II, 364-366). Die hier erwähnten Zeitungen waren zweifelsohne kleine erbauliche Schriften und Traktate, die die Brüder für sich und andere gebrauchten, wovon noch etliche in Stadt- und Staatsarchiven (von den Gerichtsverhandlungen her) und im Privatbesitz erhalten sind. Die Unterdrückung und Vertreibung der Drucker, wie es nicht nur in Wesel, sondern in ganz Deutschland geschah, war für unsere Verfolgten um so folgenschwerer, „weil an die Stelle des gewaltsam gelösten Zusammenhangs der Täufergemeinden die schriftlichen Zeugnisse (Send- und Trostbriefe) traten; diese füllten die Lücken für stille Stunden der Erbauung aus zusammen mit den Liedern, die auch noch in großer Zahl erhalten sind.“ (Rembert). In Köln hatte man bereits im Jahre 1557 den Drucker Thomas aus Imbroich (bei Aachen) gefangen gesetzt, der einem großen Kreise angesehener, gelehrter Leute angehörte - er gehörte zu denen, die, wie Rembert sagt, an den Versammlungen teilnahmen, ohne die Spättaufe empfangen zu haben, und deren Zahl sehr groß war. Der Rat hatte gegen sie eine Warnung veröffentlicht, wie oben mitgeteilt ist. Wie groß und angesehen der Kreis im erzbischöflichen Köln war, ist daraus zu ersehen, daß ein Jahr später die Warnung wiederholt und erst 2 Jahre später der Drucker Thomas gefangengesetzt wurde. Er schrieb aus dem Gefängnis manche Zeugnisse für die Wahrheit, die teils gedruckt (ein Sammelband von 210 Seiten), teils anderweitig erhalten sind. Aus seinem Bekenntnis, das er aus dem Gefängnis an die Obrigkeit und die Schöffen der Stadt Köln schrieb, seien im folgenden, da sie sehr lehrreich sind, einige Sätze wiedergegeben (die Schrift umfaßt 76 Druckseiten).

„Obwohl ein großes Geschrei sich erhoben hat über unseren Glauben, so daß wir vom gemeinen Volk als Aufrührer und Ketzer gescholten werden, so sollen sich doch die Ehrsamen Herren nicht darüber wundern, denn solches Geschrei ist auch von Paulus und Seinen (des Herrn) Aposteln ausgegangen. Wie sollte nicht ein gleiches auch von uns geschehen, obwohl wir nach der Frömmigkeit nicht wert sind, daß wir Paulo die Schuhe tragen. Wie soll einer, der sich des Namens Christi rühmt, aufrührerisch und unfriedsam sein? Wir suchen kein Reich auf Erden, das mit Eisen und Geschütz zu überwinden ist. Unser Schwert ist Gottes Wort … Dieses schreibe ich nicht, meine Ehrsamen Herren, um meinen Leib zu schonen, sondern Euch zur Warnung; dieweil es schwerlich ist, vor Gott zu verantworten das unschuldige Blut zu vergießen Aber Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, gebe Euch zu tun seinen Willen. Amen.“

Über die Taufe schrieb er unter anderem: „Ein äußerlich Zeichen allein gilt nichts vor Gott, sondern Glaube, Neugeburt, ein recht christliches Wesen, wodurch der Mensch mit Gott vereinigt wird. Darum fördert auch die äußerliche Taufe nicht die Seligkeit, wo die innerliche Taufe nicht da ist, nämlich die Veränderung und Erneuerung des Gemüts. Paulus nennt die Taufe (Tit. 3) ein Bad der Wiedergeburt, darum daß die Taufe die Wiedergeburt abbildet … Also wird die Taufe ein Bad der Wiedergeburt genannt, darum, daß sie den wiedergeborenen Kindern Gottes zukommt, die da geboren sind aus dem unvergänglichen Samen, nämlich dem lebendigen Worte Gottes.“

Kurz, seine Verteidigungsschrift zeigt, daß er mit der Schrift vertraut, mit den Kirchenvätern bekannt und in der Theologie seiner Zeit zu Hause war. Aber, was verschlug es, daß sein treuer Bürgersinn nicht anzufechten war, daß er friedfertig und geschäftsfähig der Stadt Bestes suchte, daß er biblisch nüchtern dachte und lehrte und nun monatelang standhaft und fest die Foltern der geistlichen Inquisition erduldete; er war ein überzeugungstreuer - Sektierer, genug, um des Todes schuldig zu sein. Und am 5. März 1558 lag sein edles Haupt neben dem Block. „Im Namen Christi!“ O blinde Christen-Welt! Ja, sie meinen, sie täten Gott einen Dienst damit. Obwohl erst 25 Jahre alt, aber er war daheim bei dem Herrn, welches auch viel besser ist, denn er hat sein Leben nicht geliebet bis an den Tod. Gewürdigt um des Namens Christi willen Schmach, Folter und Tod zu erleiden! Eine Saat mehr „auf Hoffnung“. „Wir preisen selig, die erduldet haben!“

Die Verfolgungen und Leiden der „Sektierer“ nahmen kein Ende, sondern nahmen zu in dem Maße, wie die kaiserlichen Truppen in das klevische Gebiet eindrangen. Der Herzog wurde älter und leidender, die jesuitische Partei drängte den in ihren Schulen erzogenen „Jungherzog“ zur Regierung, wodurch die Gläubigen noch mehr ihrer Güter beraubt und ihre Zahl verringert wurde. Zum Beispiel gab es in Sittard, westlich von Rheydt (seit 1815 niederländisch), trotz mancher Hinrichtung seit 1529 im Jahre 1557 noch 75 Sektierer, hingegen 1575 nur noch 18 - wo waren die übrigen geblieben? Vielleicht ausgewandert, vielleicht teilweise „gerechtfertigt“ und daheim beim Herrn.

Seit Oktober 1565 hatte die jesuitische Partei den Jungherzog mit zur Regierung gedrängt. In Wesel bereitete man ihm einen außergewöhnlich großartigen Empfang, den Professor Bouterwek (ein Mitbegründer des „Brüder-Vereins“) schildert (Zur Berg. Geschichte II, 1537). Als Gegendienst sandte er den Weselern einen schroffen Befehl zur Verfolgung der „Nichtkatholiken“, der „verderblichen Sekten“ und „sektischen Prädikanten“. Der Erlaß war der Art, daß die Weseler sich bei dem Herzog über den Ton beschwerten (Keller, Gegenreformation 2, S. 9). Der Jungherzog ließ sich aber nicht abschrecken, sondern gab fürs ganze Land neue Befehle aus gegen „Wiedertäufer, Winkeltäufer, Sakramentierer und verderbliche Sekten“ und befahl, daß diese Erlasse alle 4 Monate in den Städten und Herrengedingen (Adelssitze) öffentlich bekannt gemacht werden sollten und ihm jedesmal solle Bericht erstattet werden (Publ. Staats-Arch. Bd. 33, S. 8 u. 75,76). Der Erlaß ist ebendaselbst abgedruckt und verrät die jesuitische Schule und Energie. Keller schreibt (Gegenreformation, Bd. II, S. 9): „In der Tat scheinen die zahlreichen Auswanderungen, von denen wir bald hören werden mit diesem Befehl ursächlich zusammenzuhängen. Die Zahl und Bedeutung der anabaptistischen Gemeinden ging von da an fortdauernd zurück.“ Man könnte versucht sein, es als eine Wohltat der „freien Gläubigen“ anzusehen, daß der forsche, jesuitische Jungherzog am 1. Januar 1590 wahnsinnig wurde, zumal hernach der weitherzige Kurfürst von Brandenburg, Schwiegersohn des Herzogs, seinen Einfluß mit konnte geltend machen. Aber dies alles war nicht hinreichend, den intoleranten, römischen, kaiserlichen Machtfaktor auszuschalten: man konfiszierte, vertrieb, knechtete, mordete; es handelte sich ja doch nur um „Sektierer“, „Entrechtete“, „Verdammungswürdige“, denen ja selbst Luther und Melanchthon und andere führende Männer den Richtblock zuerkannten (Keller, „Reformation“, S. 446-449; Rembert S. 407).

Wer will den Brüdern einen Vorwurf machen, daß sie fortan unter dem Namen „heimliche Gemeinde“ hin und her ihr dürftiges Dasein fristeten? Wir müssen hier darauf aufmerksam machen, daß in streng katholischen Gegenden auch die „evangelischen Gemeinden“ unter gleicher Benennung hin und her vorkommen, legen aber Verwahrung dagegen ein, wenn kirchliche Geschichtsschreiber kurzer Hand alle diese „heimlichen Gemeinden“ als kirchliche bezeichnen. Auf der Synode zu Bedburg 1573 fragte die „heimliche Gemeinde“ zu Oberwinter (bei Bonn) an, ob sie, da der dortige evangelische Pastor den „heimlichen Dienst“ zu verstören suche, denselben aufgeben sollte (Keller, Gegenreformation II, S. 5) - „Im tiefsten Geheimnis und oft unter dem Schleier der Nacht versammelten sich diese 'Hauskirchen' in den Wohnungen einiger Genossen.“ Fest angestellte Prediger gab es nicht überall, noch weniger eine regelmäßige Übung der Sakramente. Aber gleichwohl wurden regelmäßige Versammlungen und Andachten gehalten (Keller). Die „heimliche Gemeinde in Calcar, die sich in einer Beschwerde „die Brüder und Schwestern in Calcar“ nennt, wird vom Stadtrat der „Täuferei“ beschuldigt. Daß es unter den „heimlichen Gemeinden“ der jülich-klevischen Lande noch eine große Zahl taufgesinnter Gemeinden gab ist erwiesen, und doch sagt der gründlichste und nicht durch Voreingenommenheit beeinflußte Quellenforscher, der Geheime Archivarrat Keller-Berlin: „Die Forschungen sind auf diesem Gebiete noch weit zurück.“ Hoffen wir, daß es diesem gründlichen Forscher gelingen wird, uns die Quellen noch mehr zu erschließen! Nach Kellers Angabe gab es noch 1550 im jülich-kleve-bergischen Gebiete noch Gemeinden der Art, die neben der Glaubenstaufe auch hie und da die Kindertaufe gelten ließen (wie schon oben nach Kellers und Remberts Berichten erwähnt ist). Solche gab es z.B. in Sittard, Linnich, Montjoie, wo die Gemeinde noch 1711 existierte, Jülich, Düren, Aachen und Burtscheid (bis ins 19. Jahrhundert), Dortmund, Kleve (auch bis ins 19. Jahrhundert), Emmerich (desgleichen), Goch, Rees, Calcar, Elberfeld, Kronenberg (von letzterem reden Synodalacten vom 3. Januar 1590 5) und vom 5. Juni 15956) (Publc. des St.-Arch. XXXIII, S. 102 und 180); in Gennep und Emmerich hatten Bürger im Jahr 1603 sogar ihr Täuferschule (ebenda, S. 238). Keller sind noch mehr Orte bekannt, wo solche Gemeinden waren. Rembert macht im Blick auf diese und frühere derartige Gemeinden mit Recht den Hinweis: „Diese Gemeinden hatten die Leute gefunden, die Luther - in seiner Anfangs- und Blütezeit vergeblich suchte; sie gründeten die Gemeinden welche er vergeblich wünschte. Schon versuchten sie, die Ideale zu realisieren, die Luther und seinen ersten Mitarbeitern in Bezug auf die Gestaltung der neuen Kirche vorschwebten. Luther meinte 1526: „Diejenigen, so mit Ernst Christen sein sollen und das Evangelium mit Hand und Mund bekennen, müssen mit Namen sich einzeichnen und abgesondert von dem allerlei Volk in einem Hause allein sich versammeln, zum Gebet, zum Lesen, zum Taufen, das Sakrament zu empfangen und andere christliche Werke zu üben. In dieser Ordnung könnte man die, so sich nicht christlich hielten, kennen, strafen, bessern, ausstoßen oder in den Bann tun. Hier könnte man auch ein gemeines Almosen den Christen auflegen, „das williglich gegeben und unter die Armen ausgeteilt würde.“„ Bekanntlich klagte Luther aber, daß er eine solche Gemeinde noch nicht errichten könne, „denn ich habe noch nicht die Leute dazu, sehe auch nicht viele, die dazu dringen.“ (S. 74) Es ist von manchen Forschern bewiesen worden, daß später, nachdem Luther sich mehr und mehr von seinem Ideal trennte, er je und dann die Leute befehdete - aber er nicht allein - die mit Ernst und Treue dieses Ideal zu verwirklichen suchten. Und wie machten es seine Schüler erst?

Es ist noch ein „Concept von Köln“, d.h. die Beschlüsse einer taufgesinnten Versammlung erhalten, welche am 1. Mai 1591 in Köln stattfand. Rembert gibt es (Seite 615-618) wieder und sagt dazu: „Dieses sogenannte „Concept von Köln“ ist nach mehr als einer Seite hin für uns bemerkenswert. Nach zahlreichen heftigen, inneren dogmatischen Streitigkeiten seit fast 50 Jahren - (es handelte sich dabei um die Menschwerdung Christi, seine Person in oder bei dem Abendmahl und um die baptistische Taufstellung) - gibt es uns einen erfreulichen Beweis der Duldung und Wertschätzung. Für die Entwicklung dieser Gemeinden am ganzen Niederrhein sind die Verabredungen dieses Concepts außerordentlich wichtig. Sie vermochten endlich wieder bei der absichtlichen äußeren Kürze und weiten Fassung des Inhaltlichen ein gemeinsames Band um die zerstreuten Glieder zu schließen. Es wird darin gesagt, daß der Beschluß gefaßt sei mit Zustimmung der Diener und Gemeinden im Elsaß, Breisgau, Landesheim, Worms, Kreuznach u.a.; für die Kölner Gemeinde hat unterschrieben David Rütgers, für Odenkirchen Walter von Wetscheuel, für Mönchen-Gladbach T. Cornes, für die Gemeinden im Bergischen Land Arnold Buchholz, für Solingen L. de Grand und J. Gerhardts, für Rees L. Butterweiß; für die Gemeinden am Niederrhein gibt Rembert die Namen nicht, wozu er sagt: „wie viele und welche Gemeinden hier zusammengefaßt sind, läßt sich leider nicht feststellen.“

Durch diese Skizze haben wir versucht, unseren Lesern aus Quellen darzutun, daß nicht erst, wie man kirchlicherseits glauben macht, seit etwa 60 Jahren unabhängige freie gläubige Gemeinden in Deutschland sind; noch viel weniger, wie man in und außerhalb der Landeskirche behauptet, daß die Wurzeln dieser Kreise im Ausland zu suchen und darum dem deutschen Christentum fremd seien. Es ist heute gar nicht schwer, akten- und quellenrein die Belege zu erbringen, daß es vor Luther freie gläubige Gemeinschaften in Deutschland gab, ja daß diese strichweise viel zahlreicher im Vergleich zur Volkszahl waren als heute. Daß diese Gläubigen ihre deutsche Bibel und Lieder hatten, ja schon fast 200 Jahre vor Luther, haben Professor Hopf, Krafft, Haupt und andere genügend bewiesen. Wenn trotzdem noch heute in den meisten Schul- und Lehrbüchern es anders steht, so ist damit nur bewiesen, daß man althergebrachte Meinungen höher achtet, als geschichtliche Tatsachen. „Wer zu behaupten wagt, daß die evangelischen Glaubensüberzeugungen älter sind als der 31. Oktober 1517, wo Luther das Licht des Evangeliums in die Welt brachte, der gilt in den Augen der gläubigen Lutheraner als ein Fälscher.“ „Bezüglich der formellorganisierten und konstituierten Gemeinden werden die weiteren Forschungen sicherlich ganz andere Resultate zu Tage fördern, als diejenigen anzunehmen geneigt sind, welche die Sache nach den in den landläufigen Handbüchern stehenden Notizen beurteilen.“

„Jedenfalls sind die Gemeinden selbst in solchen Epochen, wo die Verfolgungen am schwersten waren, stets vorhanden gewesen und haben gleichsam das Rückgrat einer geistlichen Strömung gebildet, die aus dem Bestehen geschlossener Gemeindeverbände von Zeit zu Zeit immer neue Kräfte zog; ihr Bestehen hat es verhindert, daß sich die Ideen verflüchtigten und sie haben es bewirkt, daß von Zeit zu Zeit immer neue Bewegungen einsetzten.“ Dieses und das folgende sind Worte, die Keller in seinen Schriften ausspricht.

„Seit einer Reihe von Jahren ist es mein Bestreben gewesen, die Geschichte dieser alten Gemeinden, deren Bedeutung und Einwirkung auf das allgemeine Leben viel größer gewesen ist, als man gemeinhin annimmt, aus dem Dunkel, welches darüber ausgebreitet liegt, hervorzuziehen. In meinem Buch (die Reformation der älteren Reformparteien) hatte ich mir in erster Linie die Aufgabe gesteckt, den Beweis zu erbringen, daß durch die drei großen Epochen der deutschen Geschichte im 14., 16. und 18. Jahrhundert (d.h. von etwa 1300 an) sich jene Gemeinden, die unter verschiedenen Ketzernamen, besonders unter dem Namen „Waldenser“ und „Wiedertäufer“ bekannt sind, in continuierlicher Folge hindurchziehen und in jeder der drei Perioden sich zur Geltung gebracht haben.“

„Die wissenschaftliche Kritik, welche sich inzwischen sehr lebhaft mit den Resultaten meiner Schrift beschäftigt hat, hat an verschiedenen Punkten Widerspruch erhoben - die behauptete Continuität aber ist nirgends erfolgreich angegriffen worden. Viele Kritiker haben die Continuität anerkannt. Hermann Haupt sagt ausdrücklich: „Für den Zusammenhang zwischen Waldensern und Wiedertäufern, den auch wir nicht in Abrede stellen, hätte sich noch manches wichtige Argument erbringen lassen.“ Das Letztere ist ganz richtig und ich hoffe, mit der Zeit so erdrückendes Beweismaterial geben zu können, daß diese Frage als abgeschlossen gelten darf.“

„Mit einer gewissen Absichtlichkeit haben diese Gemeinden es vermieden, sich einen anderen Namen beizulegen als den der „Christen“ oder „Brüder“. Vielleicht widerstrebte es ihnen, sich durch einen anderen Parteinamen als eine besondere Art von Christen zu charakterisieren, aber gerade hierdurch gaben sie ihren Gegnern Veranlassung und Gelegenheit, allerlei Schelt- und Spottnamen in Umlauf zu setzen.“

„Schon im 14. Jahrhundert finde ich, daß sie als unterscheidendes Kennzeichen ihre Gemeinschaft gegenüber der römischen Kirche den Umstand anführen, daß sie „die Wahrheit des Evangeliums“ unter sich festgehalten hätten, während die römische Kirche das nicht tue.“ - „Auch die Chroniken, die meist auf sehr alte Quellen dieser Gemeinden zurückgehen, bestätigen, daß ihre Partei sich „Evangelische“ genannt habe. Die Schweizer gebrauchten für sich den Namen „altevangelisch“„

„Mit Rücksicht auf diese und andere Umstände kam ich zu dem Schluß, daß mehr als irgend ein anderer Name die Bezeichnung „altevangelische Gemeinden“ historisch berechtigt und zutreffend ist.“

Man möchte nun vielleicht noch fragen: was ist denn aus allen diesen Gemeinden geworden? Wir führten oben schon das Wort Ritschls an: „Das siegreiche Fortschreiten derselben ist nur durch die Gewalt der Obrigkeit verhindert worden.“ Also nicht mit Waffen der Wahrheit, sondern der Gewalt sind sie besiegt worden, wie dies ja auch in Zukunft noch einmal geschehen wird nach Off. 13,7 und 11,7. - Aber es muß auch zugestanden werden, daß die Frage aufgeworfen werden darf, ob jene „Brüder“ es nicht an der nötigen Missionsarbeit haben fehlen lassen und sie deshalb verschwunden sind? Sie besaßen ja freilich und verbreiteten zahlreiche Bibelübersetzungen (vor Luther!), und ihre Literatur, die sie in Gestalt von Büchern und Traktaten unter das Volk brachten, war größer als wir gewöhnlich denken. Aber wer will sagen, daß sie hätten fleißiger sein müssen, angesichts ihrer doppelt erschwerten Lage und den kümmerlichen Tagen? Haben wir nicht in „guten Tagen“ es darin übergenug fehlen lassen, so daß wir erst angefangen haben, den „eigenen Balken“ zu entfernen?

Wieviel in den ersten 50 Jahren nach dem 16. Jahrhundert noch am Niederrhein und den Grenzgebieten „von Amtswegen“ und „im Namen Christi“ zur Verfolgung der „Freikirchlichen“ geschehen ist, darüber reden heute schon manche entstaubte Blätter aus Staats-, Stadt- und Kirchen-Archiven; wie viele bestaubte und verstaubte noch ihre Worte, sei es unter oder hinter den Wolken werden vernehmen lassen, wer vermag es zu sagen? Der Herr, der Steine kann reden lassen, ist geschäftig, auch unseren Brüdern, die Jahrzehnte in Banden geschmachtet, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen - und wer kann's ihm wehren? Mag die Kirchenwelt mit oder ohne Absicht „aus guten Gründen“ (Keller) oder aus Unkenntnis (bei den Historikern herrscht die gewiß nicht vor) die Leiden und Namen der „Brüder“, der „Sekte, der an allen Enden widersprochen wird“ verschweigen: Der Herr redet! Der treue Zeuge, der das Verborgene offenbart, das Heimliche ans Licht bringt, der Himmel und Erde zu Zeugen aufruft für sein und der Menschen Tun, ist nicht ungerecht, daß er der Leiden seiner Kinder vergesse. Ihm sind die Unbekannten bekannt, er hebt die Armen, die viele reich machen, aus dem Staube. Er hat das letzte Wort. Und er hat sich das Recht vorbehalten, beschriebene und unbeschriebene, verbrannte und verbannte Zeugen der Wahrheit, aller kirchlichen Nichtachtung zum Trotz, weil sie seinen Namen bekannten, auch vor einem Vater zu bekennen und vor seinen heiligen Engeln. Der Tag ist nicht mehr allzu fern, wo er es tun wird.

In „Reformation und die älteren Reformparteien“ schreibt Keller S. 446 f.: „Es ist ein charakteristisches Kennzeichen der Unkenntnis über die Verhältnisse in jener Epoche (1500-1600), daß sehr viele Leute noch heute von der Vorstellung ausgehen, daß diese Hinrichtungen und Verfolgungen gegen die so gescholtenen Wiedertäufer nur wegen Aufruhrs verhängt seien und daß die Reformatoren an diesen Dingen unbeteiligt seien.“ Auf Luthers Gutachten vielmehr ließ 1531 der Kurfürst von Sachsen eine Anzahl Wiedertäufer nach Eisenach schleppen und foltern und einen Fritz Erbe zum Tode verurteilen. Am 27. Januar 1536 bestiegen bei Jena drei Täufer, die Melanchthon selbst zum Tode geleitete, das Schafott. Im Jahr 1537 unterschrieb der Kurfürst das Todesurteil zweier Männer wegen „Aufruhr des Glaubens“. Und die Stellung der Reformatoren bestimmte auch die anderen. Es war aber keineswegs Aufruhr, was man bestrafte, sondern die religiöse Stellung, und ist bei diesem schrecklichen Verfahren keine der beiden Kirchen unschuldiger als die andere. Es darf und soll ja freilich nicht vergessen werden, was wir Luther und Calvin verdanken. Auch muß es gesagt werden, daß die freikirchlichen Kreise, von denen wir reden, doch wohl die Rechtfertigungslehre des Paulus nicht mehr ganz verstanden und daß daher zum Teil auch Luthers Feindschaft gegen sie sich erklärt. Es ist des Nachdenkens wert, warum nicht die großen freikirchlichen und kirchlichen Gemeinschaftskreise des Mittelalters einen Mann wie Luther hervorbrachten, sondern der katholische Mönchsorden der Augustiner; ein Grund dürfte doch wohl auch der sein, daß jenen Kreisen die Gnadenlehre des Paulus, die nach dem Apostel ja niemand so gelebt hat wie in Augustinus und Luther, verdeckt war. Das ist ihr Mangel. Aber Luthers (ebenso wie Augustinus) und Calvins Mangel ist, daß sie das Formalprinzip der römischen Papstkirche wieder aufleben ließen, anstatt das Gemeindeprinzip der altevangelischen Gemeinden, das doch ihrem Evangelium allein entsprach, anzunehmen. Anfänglich wollte Luther, wie wir oben angeführt haben, das richtige, er wollte eine abgesonderte, gläubige Gemeinde. Aber er erklärte: „ich habe noch nicht die Leute dazu!“, und den Gemeinden, die die Leute hatten, wurde er wegen ihrer Abweichungen von seiner Rechtfertigungslehre fein. Allerdings hat auch Luther sein Ideal nie aufgegeben; gerade soeben lesen wir in der Schrift des Br. Warns „Wahrheit in der Liebe“ eine Äußerung von ihm aus späterer Zeit, die lautet: „Wenn ich jetzt das Evangelium sollte anfangen zu predigen, so wollte ich mich anders drein schicken. Den großen rohen Haufen wollte ich unter des Papstes Regiment lassen bleiben; sie bessern doch das Evangelium nichts, sondern mißbrauchen nur seiner Freiheit.“ - Aber Luther hat eben seine Ideale nie verwirklicht. Den Inhalt des Evangeliums hat er auf den Leuchter gestellt, aber er hat mit ihm die neue Staatskirche gegründet, und er wie die anderen Reformatoren scheuten sich, wie wir gesehen haben, nicht, mit Feuer und Schwert gegen die ihnen so nahestehenden Gläubigen vorzugehen. Nur der Landgraf Philipp von Hessen und die Stadt Straßburg haben ihre Hände wenigstens von Blut rein erhalten. Schon 1531 mußten Bünderlin, Sebastian Frank und andere den Reformatoren und den anerkannten Kirchen die Unnatur der Verfolgung vorhalten. Bünderlin schrieb gegen die Intoleranz der Katholiken ebenso wie gegen die der Lutheraner. Den Letzteren schreibt er ins Merkbuch: „Daß sie jetzt, wo sie die Oberhand bekommen haben, gegen Andersgläubige das Schwert gebrauchen wollen, was doch ganz gegen Christus sei, gerade bei ihnen, die doch vorher, als sie noch das Papsttum bekämpften, Gewissensfreiheit predigten.“ Geben wir noch einmal Keller, dem unparteiischen Quellenforscher, das Wort: „Es ist unmöglich, auch nur annähernd ein zutreffendes Bild von den Greueltaten zu geben, deren sich die herrschenden Parteien an diesen Leuten (den Freikirchlichen) schuldig gemacht haben. Keine Stadt, kein Flecken, ja selbst kein Dorf blieb von Verfolgung, Einkerkerung, Austreibung und Hinrichtung verschont. Wer beschreibt den Kummer und das Elend, welches in den zerrütteten Familien vieler Hunderttausender im Laufe der Jahre durch frommen Eifer der herrschenden Geistlichkeit angerichtet worden ist? Wie viele Witwen hat man verkomme lassen, wie viele Waisen sind elend dem Tode entgegengeschmachtet! Und dies alles im Namen Christi!“ „Es gab im Jahre 1685 v. Braght die Leidensgeschichte von 900 namentlich aufgeführten Märtyrern aus der Zeit zwischen 1525-1672, dazu kamen noch die von etwa 1000 hingerichteten Personen, über welche er nur einzelne Notizen hat erfahren können, zumal von Frauen, Mädchen und Jünglingen.“ Rembert sagt Seite 406: „Mit wahrer Wut wurden die Edikte ausgeführt. Wiedertäufer, Sakramentierer, Gotteslästerer, Aufrührer, Straßenräuber stehen ohne Unterschied auf gleicher Stufe neben einander.“ Seltsam, daß uns in der Zeit, worin die Rechtfertigung durch den Glauben wiedergegeben wurde, eine solche Verkennung biblischer Richtlinien und Rechtsanschauungen hier entgegen tritt. Wie nahe liegen die Grenzen von Gesetz und Evangelium, Recht und Gnade, Erbarmen und Härte! Mildernd wollen und müssen wir für jene Zeit und Männer den Geist der Tage, „Zeitgeist“ genannt, in Rechnung ziehen, aber alles das scheidet nicht aus - die Schuld!

Keller sagt: „Es war mit von großem Interesse, in Carl Hases „Handbuch der protestantischen Polemik“ eine lebhafte Mißbilligung der von den protestantischen Kirchen an den Wiedertäufern vollzogenen Exekution zu finden; Hase nennt sie „Justizmorde des religiösen Fanatismus“ und meint, daß dieselben aus der Phantasie einer „alleinseligmachenden lutherischen und calvinistischen Kirche“ entsprungen seien. Es ist eine Freude, daß wenigstens einzelne Kirchenmänner die Schuld unverhüllt anerkennen. Wir glauben, daß mit der Zeit noch mehr solcher kommen werden.“

Über die Verfolgten schreibt ein liberaler Forscher: „Es ist ein vorzügliches Zeugnis ihrer edlen Gesinnung, die allein aus reinstem Herzen und aus der wohlbewußten Überzeugung, nur das Gute zu wollen, entspringt, daß sie voll Mut, standhaft und freudig duldeten und das schwere Kreuz der Verfolgung auf sich nahmen. Aber nur allzulange dauerte es, bis sie die Mitwelt zu der Überzeugung von ihrer lauteren Absicht gebracht hatten.“ Wir müssen leider einschalten: das „hatten“ steht noch in weiter Ferne, es sind erst einige wahrheitsliebende Forscher, die ihnen „Gerechtigkeit widerfahren“ lassen, die Offiziellen schweigen sie tot oder greifen die an, welche für sie eintreten, wie Geh. Archivarrat Keller und andere es erfahren mußten.

Für heute schließen wir und zwar mit einem Wort Kellers: „Gemäß der Vorhersagung Christi: „Wenn sie mich verfolgt haben ,werden sie auch euch verfolgen“ sind die „rechten Christen“ von jeher als Sekten, Sektierer, Ketzer verfolgt, verleumdet und gehaßt worden, aber gemäß der weiteren Zusage des Erlösers, haben sie sich stets von Neuem aus der Asche erhoben und die Welt hat sie umsonst gehaßt. „Die göttliche Wahrheit ist untödlich“ hat einst einer dieser Sektierer gesagt, der selbst den Scheiterhaufen hat besteigen müssen - „und wiewohl sie sich etwa lange fangen läßt, geißeln, krönen, kreuzigen und in das Grab legen, wird sie doch am dritten Tage wieder auferstehen und in Ewigkeit regieren und triumphieren!“

1. Anm. Für die hinzugekommenen Leser und zur Orientierung für alle geben wir aus dem Erlaß hier nochmals etliche Sätze wieder: „Unsere Polizei-Ordnung geben wir nochmal zum Druck, um deutlich zu erklären, wie es mit den Taufgesinnten, dem Sakramentierern (d.h. Freikirchlichen) auch mit andern Sekten und Aufregern zu halten ist. Deren Güter und Eigentum sind ohne weiteren Befehl zu beschlagnahmen. Die Schulen, Lehrhäuser und Sammelplätze dieser täuferischen Rotte, Sakramentierer und anderer Sekten, ihre Zusammenkünfte, Unterkünfte, wo sie gelehrt und gepredigt haben, sollen ohne sonderliche Rücksicht abgebrochen und geschleift werden. Mit den beschlagnahmten Gütern soll folgender Weise verfahren werden: Deren Habe und Güter, die beschlagnahmt und konfisziert wurden, sollen nächsten Freunden und Verwandten auf ihr Begehr, vor den Fremden, billigst überlassen werden. Wenn Mann und Weib geflohen ist und sie haben Kinder zurückgelassen, welche den unchristlichen Sekten (Freikirchen) anhängen, sollen sie von dem Confiszierten unterhalten und erzogen werden. Im Falle unter den Kindern noch ungetaufte sind, wonach man sich mit Fleiß erkundigen soll, werden dieselben nach unserer christlichen Ordnung getauft….

Es sollen auch unsere Amtsleute und Befehlshaber gute und beständige Kundschaft und Aufsicht führen, sonderlich in den Büschen, Steinbrüchen und den Haiden, auch auf allen anderen einsamen Plätzen, besonders wenn die hohen Festtage vorhanden, dergleichen wenn Vollmond und der Mond lange scheint, vornehmlich auch, damit Vorgänger, Lehrer, Aufwecker (Evangelisten), Winkel- und Buschprediger an allen Orten, da sie ihre Zusammenkünfte haben, gefunden werden und sie in Haft gebracht werden, damit sie nach Gebühr bestraft werden. Auch werden unsere Untertanen fleißig gewarnt und ermahnt, sich nicht zu den Menschen zu begeben noch ihre verführerischen Bücher, so schön gedruckt und geschrieben und unter gutem Schein oder Titel sie auch sein mögen, gar nicht zu lesen. Wie denn auch solche Bücher in unsern Fürstentümern und Landen feilgeboten werden, aber nur ja zu vermeiden sind, weil sonst unverminderte Strafen mit Schärfe folgen usw.“

2. Anm. Wir führen angesichts dieses Namens nochmals die schon erwähnten Worte Kellers an: „Man hat es zu wenig beachtet, daß diejenige Partei, die im 16. Jahrhundert unter dem entschiedensten Protest ihrer Anhänger den Schelt- und Spottnamen Wiedertäufer erhalten, sich selbst in der Regel einfach „Brüder zu nennen pflegte“ (Ref. S. 11)

3. Anm. Zu dem Wort „Calvinisten“ bemerkt Sardemann: „Es war schon in bedenklicher Art das Wort „Sakramentierer“ in Calvinisten umgedeutet worden und ihnen so das „Sektenhafte“ angehängt worden, was denn auch für die anerkannten Evangelischen allerlei Leiden mit sich brachte, so daß an etlichen Orten selbst Amtleute den Evangelischen versagten, zu beerdigen, und Leichen ausgegraben und auf den Schindanger eingescharrt wurden.“ - So schwer dies für „Evangelische“ sein mochte, so war es doch ein geringes neben dem, was man unseren Brüdern, den „Sektierern“ antat. In Bergheim bei Rheydt wurden zwei Kinder einer „wiedergetauften“ Mutter, die ihre Mutter nächtlicherweise auf dem Friedhofe zu Bergheim beerdigt hatten, deswegen hingerichtet. (Rembert, S. 420)

4. Anm. Leider haben in Wesel auch „Brüder“ ihr Leben lassen müssen. Im Winter 1535 warf man 42 namhafte Bürger, darunter etliche Frauen ins Gefängnis und machte ihnen den Prozeß. Am 19. Februar und 10. April wurden 10 Personen enthauptet, andere des Landes verwiesen oder freigesprochen. Unter den Märtyrern des 10. April befand sich der Stadtrentmeister O. Vink und ein Wilhelm Schlebusch. Die Erregung war bei den Bürgern groß, und einer von ihnen sagte: „Meinen sy dat nu all Ding gut sy, nu die twee doit syn? Dair mochten noch wail 200 sterven.“ - Damals war die Hälfte der Bürger Wesels katholisch.

5. Anm. In diesen Acten lesen wir wörtlich folgendes: „Zum Fünften auf das Vorgehen der Kirche Elverfeld wegen der Wiederteuffer ist beschlossen, daß man gemelte Wiederteuffer ein, zwei oder dreimal mit freundlicher Ermahnung und Erinnerung ihr groben und großen Irthumbs für einem öffentlichen Consistorio soll fürnehmen und im Falle solches nicht würde helfen noch Frucht bringen, alsdann zween Sonntag nach einander in der Kirche über die Kanzel für sie bitten auch eine darzu bestellte Predig oder zwo halten, und ihren Irthumb zu widerlegen, damit sich das gemeine Volk und alle frommen Christen desto daß für ihren Irthumb und Gift warten können.“

6. Anm. In diesen Acten lesen wir wörtlich folgendes: „Was die Diener aufm Kronenberg wegen der Wiedertäufer fürgeben, ist beschlossen, daß beide Diener dieselben aus Gottes Wort sollen vermahnen, von ihrem Irrthumb abzulassen und da solche Vermahnung an ihnen keine Statt wurde haben, soll zum nächsten ferner bedacht werden, was Mittel und Weg mit denselben Geistern vorzunehmen.

Belangend die verweigerte Bekenntnuß der Wiedertäuffer zu Elverfeld underm Schein, daß dieselbe,ihre Bekenntnuß, über der Canzel vor der ganzen Gemein soll abgelesen werden, als ist beschlossen, daß solches geschehen könne, allein daß die Täufer selber daselbst persönlich zugegen erscheinen und ihre übergebene Carta in der Widerlegung mündlich verthedigen.“ (Aus dem Protokoll der 21. Berg. Synode Elberfeld 1595, Juni 5)

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1907

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