Ischebeck, Gustav - Hexen, Waldenser und freie Gläubige

Ischebeck, Gustav - Hexen, Waldenser und freie Gläubige

Unter dem Titel „Inquisition und Hexenverfolgungen im Mittelalter“ hat. J. Hansen aus Köln eine Schrift verfaßt, wozu der uns wohlbekannte Geheimrat Keller in den Monatsheften der Comenius-Gesellschaft, 7. Jahrgang unter anderem folgendes bemerkt:

Hansen weist nach, daß etwa vom Jahre 1400 an eine „Vermischung“ der beiden Begriffe „Hexen“ und „Waldenser“ eintrat und daß diese Vermischung besonders für die romanischen Länder während des 15. Jahrhunderts charakteristisch wurde. Es ist sicher, daß auf diese Weise ein Kampfmittel vorzüglicher Art zur Bekämpfung der „Sektierer“ und „Ketzer“ d.h. der nicht staatskirchlichen Gläubigen gewonnen wurde. Man besaß damit eine Handhabe, um nicht nur die „Ketzer“ vor der öffentlichen Meinung in den schlimmsten Verdacht zu bringen, sondern man konnte ihnen nun auch auf dem Rechtswege in bequemster Art beikommen. Es wurden nämlich im 15. Jhdt. Die Verfolgungen und Hinrichtungen bloß um des Glaubens willen stark anrüchig und besonders verstärkte der aufkommende Humanismus die Opposition dagegen; es führten auch die sogenannten Glaubensprozesse den „Ketzern“ viele wahrheitssuchende Seelen zu. Die erhobenen Beschuldigungen reichten auch nicht mehr aus, um der Ketzerei beizukommen, die Opposition zu brechen und den Anhang zu verringern. Nachdem man aber dem Volke glauben machen konnte, daß die „Hexensekte“ nur eine Abart der „Ketzersekte“ sei und umgekehrt, gewannen die Anklagen gegen die Ketzer neuen Boden. Erst wenn man diese Entwicklung der Ketzerverfolgungen kennt, versteht man manche bis dahin unerklärbare Tatsache. Man hat z.B. unbegreiflich gefunden, weshalb die Täufer, oder wie man sie von Zürich aus seit 1524 schalt, die Wiedertäufer, wenn sie wirklich Waldenser waren, sich nicht so nannten, und aus dieser ihrer Weigerung hat man den Schluß gezogen, daß sie eben auch keine Mitglieder jener freien gläubigen Kreise gewesen seien. Aber wie konnten die Täufer, die sich ebenso wie die Waldenser einfach „Christen“ und „Brüder“ nannten, wie konnten sie sich einen Namen geben, der sie in den gefährlichsten Verdacht und in die unmittelbarste Lebensgefahr stürzte? Zudem war ja auch für das Empfinden der Brüder der Name „Waldenser“ bis in die Mitte des 16. Jhdts. ein Ketzername, den sie bis dahin keineswegs als Gemeinschaftsnamen angenommen hatten.

Hansen weist nach, daß die Inquisitoren, wie z.B. Ludwig von Paramo, die hierüber ja am besten unterrichtet sein mußten, schon um das Jahr 1550 die Zahl der seit d.J. 1400 – also in 150 Jahren – zum Feuertode verurteilten Hexen auf 30 000 schätzten! Die Mehrzahl der Verbrannten waren Frauen, daß aber auch viele Männer darunter waren, zeigen die einzelnen Prozesse. So wurden in einem Hexenprozeß, der vom Jahre 1427 an in der Dauphine stattfand, neben 110 Frauen auch 57 Männer verbrannt oder ertränkt. Immer und überall sind in den älteren Zeiten die Prozesse und Opfer gerade in den Ländern am zahlreichsten, wo auch die Waldenser am zahlreichsten waren. Keller fragt mit gutem Recht: „Was sind gegen solche Verirrungen alle „Häresien“ und „Irrtümer“, deren man die Ketzer unausgesetzt beschuldigt?“ Es ist allbekannt, daß man überall mit großem Fleiß die wirklichen und vermeintlichen Verirrungen der nicht landeskirchlichen Christen hervorgezerrt hat; aber die Verirrungen und Verzerrungen sind bei diesen gewiß nicht zahlreicher als anderwärts.

Wie viele freie Gläubige als angebliche Hexen vom Leben zum Tode gebracht wurden, wie viel Opfer das oben genannte Kampfmittel gefordert hat, das werden diesseitige Schriftsteller schwerlich je ganz dartun können, trotzdem durch unparteiische Quellenforscher in den letzten Jahrzehnten Großes geleistet wurde, um den „Ketzern“ und „Sektierern“ früherer Jahrhunderte gerecht zu werden. Die besten und sachlichsten Schreiber aller Geschichte sind in der oberen Welt, und ihre Quellen werden reden, einst, „wenn die Bücher aufgetan werden..“

Als Goethe die bekannte, vielgeschmähte „Kirchen- und Ketzergeschichte“ von Gottfried Arnold gelesen hatte, schrieb er: „Dieser Mann ist nicht bloß ein reflektierender Historiker, sondern er ist gleich fromm und fühlend. Seine Gesinnungen stimmten sehr zu den meinigen, und was mich in seinem Werk besonders ergötzte, war, daß ich von manchen Ketzern, die man mir bisher als toll oder gottlos vorgestellt hatte, einen vorteilhafteren Blick erhielt.“

Es ist mit Freuden zu begrüßen, daß es jetzt, mehr denn 100 Jahre nachdem Goethe solches schrieb, mehrere gibt, die diese Einsicht mit Goethe teilen, obschon ihre Zahl – besonders im Vergleich mit den Widersachern – immer noch sehr gering ist. Die heutigen freien Gläubigen sollten sich noch mehr, als im allgemeinen geschieht, bei den wohlwollenden Geschichtsschreibern umsehen, die den gläubigen Christen vergangener Jahrhunderte Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihnen eine Ehrenrettung zu bereiten suchen. Wir sind den Forschern für ihre Mühe Dank schuldig. Wer soll denn diesen Männern und ihren Arbeiten Beachtung schenken, wenn wir es nicht tun? Die Kirchlichen tun es nicht, oder doch nur ausnahmsweise und dann meist nur, um sie zu befehden. Unsere historischen Zusammenhänge mit den Gläubigen weit vor Luther und Zwingli sollten uns bekannt und der Beachtung wert sein, denn wir sind nicht erst seit „etlichen Jahrzehnten erst vorhanden.“ Freilich ist die Hauptsache, daß wir auf Gottes Wort gegründet sind und mit ihm im Zusammenhang stehen; aber das Bewußtsein, eine ununterbrochene Wolke von Zeugen vor uns zu haben, ist der Beachtung auch wert und nicht zu unterschätzen.

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1908

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