Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Eine scharfe Zunge

Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Eine scharfe Zunge

„Dieser dein Sohn…“ (V. 30)

Hart und scharf spricht der ältere Sohn nicht nur gegen den Bruder, der ein beflecktes Leben hinter sich hatte, sondern auch gegen seinen Vater, der ihm sein Leben lang mit Liebe entgegengekommen war. Uns scheint, dieser ältere Bruder hätte gar nicht so sehr lange bei sich selbst nach Sünden zu suchen brauchen. War das nicht Übertretung des göttlichen Gesetzes, dass er in dieser Tonart gegen seinen Vater murrte: „Ich habe dir alle die Jahre treu gedient, und du hast mir nie einen fröhlichen Tag bereitet!“? Gottes Gebot heißt nicht: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ernähren“, auch nicht: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter belehren“, auch nicht: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter bekehren“, sondern: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“ Lag nicht in diesem Wort „dein Sohn“ auch eine Anzüglichkeit gegen den Vater? Er hatte eine scharfe Zunge, der älteste Sohn im Hause. Und wie hat sie sich nun erst recht gegen den jüngeren Bruder gewandt! Unbarmherzig und ohne Schonung zieht er dessen Sünden ans Licht.

„Dieser dein Sohn ist gekommen.“ Wie abweisend und hart klingt schon der kurze Satz: dieser dein Sohn. Er sagt nicht: „Mein Bruder ist gekommen.“ Er hat keinen Bruder mehr. Den werde ich nie wieder Bruder nennen, dem nie wieder die Hand geben. Mag der Vater sich so wegwerfen; das ist seine Sache. Ich tue das nicht. Ich will mit dem Menschen nichts mehr zu tun haben.

„Er hat dein Gut mit Huren verschlungen.“ Hören wir recht? War der Mann auch noch geizig? Er hatte doch genug. Aber ihm stand nur vor Augen, was der andere durchgebracht hatte. Er sagte nicht: sein Gut, er sagte: dein Gut. Ein großes Stück des Familiengutes war vertan. Das schöne Geld! Das wurmte ihn. „Er hat es mit Huren verschlungen.“ Vorher hieß es in der Erzählung ganz einfach: mit Prassen. Jetzt kommt dies heraus. Der bisherige Bericht hätte es sonst gern zart verschwiegen. Aber der ältere Bruder sorgt dafür, dass das bekannt wird. Wie hart können manche Leute anderer Menschen Sünden aufzählen, die einmal tief gefallen sind! Hier dieser ältere Bruder verklagt seinen jüngeren Bruder. Welche Bitterkeit lebt in seinem Herzen! Das war doch des Vaters Sache, wie der verlorene Sohn sein Gut verprasst hatte. Was ging das ihn an? Aber das ist die Art solcher „älteren Brüder“.

Weiß jemand auch etwas Derartiges von dir? Die scharfe Zunge eines „älteren Bruders“ wird schon dafür sorgen, dass es bekannt und unter die Leute getragen wird. Gott würde in seiner vergebenden Gnade es still auslöschen. Aber ein Sünder sorgt für des andern Sünders Schande, auch vor den Leuten. So sind wir Menschen. Das sind die „älteren Brüder“, die so stolz über einen anderen reden, der eine „Vergangenheit“ hat. So deuten sie es an. Man kann sich dabei denken, was man will, und hoffentlich möglichst das Schlimmste. Ob er das so ganz genau wusste, dass der andere wirklich mit Huren umgegangen war oder nicht, darüber macht er sich keine Gewissensbisse. „Man weiß ja, wie es dabei zugeht.“ So allgemein wird es angedeutet. Und er sagt es möglichst scharf, nicht möglichst milde. „Es wird ja wohl so sein.“ So klingt es schon ganz bestimmt. Solche Leute können es sich viel leichter verzeihen, wenn sie zu scharf, als wenn sie zu milde gewesen sind.

Der ältere Bruder kann nicht vergeben und vergessen. Der Vater kann es. Das ist Gott! Die Menschen können nicht vergeben und vergessen und sind oft kalt wie ein Eisberg, fahren scharf einher über des andern Haupt. Aber bei dem Herrn ist viel Vergebung.

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