Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Ich will zu meinem Vater gehen

Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Ich will zu meinem Vater gehen

„Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ (V. 18)

„Ich verderbe.“ Wie ein Blitz hat diese Erkenntnis dem verlorenen Sohn seinen Weg beleuchtet. Gott hat es bei ihm bis zum Äußersten kommen lassen, damit er umkehre. Hätte ihm der Vater Nahrung und Kleidung in seine Not geschickt, dann wäre es ihm äußerlich vielleicht besser gegangen; aber er wäre in der Fremde geblieben. Wie mancher hat in der Not zu Gott geschrien, und Gott hat die Gebete nicht erhört, nicht, weil Gott es nicht konnte, sondern weil er es nicht wollte. Gott hilft nicht aus der Not heraus, damit die Not über dem Menschen zusammenschlage, damit er sich nicht mit halber Hilfe begnüge, sondern umkehre. Erst muss er ganz ins äußerste Verderben. Dann ist der stolze Mensch so weit, dass er sich sagt: Ich will zu meinem Vater gehen.

Mancher ist durch die Not wie gelähmt. Alles neigt sich in ihm dazu, dass er liegenbleiben will: es hilft ja doch nichts; es wird nie besser; es ist zu spät. Andere aber gewöhnen sich an die Not und an das Elend aus Trägheit und innerer Schlaffheit. Das ist das Bild unzähliger in unseren Gemeinden. Sie empfinden gar nicht mehr, dass es einmal besser war, und hoffen gar nicht, dass es noch einmal besser werden könnte. Solche Leute wollen wir aufwecken. Sie sind wie die, die am Abgrund eingeschlafen sind und abzustürzen drohen. Ein alter Straßenwärter an einer Zollschranke ließ einfach die Schranke über den Weg gesperrt liegen und verschlief viel Zeit des Tages. Wenn man ihn rief, pflegte er wohl aus dem Schlaf heraus zu sagen: „Ich komme“ und schlief ruhig weiter, bis man ihn endlich unsanft aufweckte und zu seiner Pflicht rief. Manche unter uns sind eingeschlafen vor Not und Traurigkeit, und wenn man sie ruft, so sagen sie wohl: „Ich komme“ und versprechen das Beste, aber schlafen ruhig weiter.

Anders der verlorene Sohn. „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ „Mein Vater“ - das war ein Klang aus der Jugendzeit! Er hatte doch noch einen Vater! Ist es nicht auch bei dir so? Der Herr im Himmel will trotz aller Schuld dein Vater sein. Das hat uns Jesus gesagt, der auch dein Heiland ist. Und du bist doch noch sein Sohn, nach dem er ausschaut. Willst du nicht zu deinem Vater gehen? Der verlorene Sohn sagt nicht: „Ich will zu meinem Bruder gehen.“ Da wäre er schön angelaufen. Wohl sind unter uns manche Brüder, die ihre verirrten und verlorenen Geschwister anders aufnehmen würden, als der ältere Sohn im Gleichnis es tat, die sich über die Maßen freuen würden, wenn sie einem das Vaterhaus suchenden Bruder weiterhelfen könnten zum Herzen des Vaters. Aber für dich kommt es nicht zunächst darauf an, deine Brüder zu suchen. Halte dich nicht bei Menschen auf! Es kommt auf deinen Vater an!

„Ich will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt.“ Deinem Vater kannst du alles sagen, auch das Traurigste, auch das Schlimmste. Er versteht dich. Er weiß ja auch alles. Er hat ja alles gesehen. Was du keinem Menschen sagen kannst, kannst du diesem treuen Ohr anvertrauen.

„Ich will sagen: Vater.“ Rede doch einmal mit ihm, nenne ihn doch einmal bei Namen, rufe ihn einmal an: Vater! Wage es, dies Wort über deine Lippen kommen zu lassen, vielleicht zunächst nur dies Wort: Vater! Sag doch einmal wieder „du“ zu ihm! Rede nicht vom „Herrgott“, vom „Schöpfer“, lausche einmal, wie das klingt, wenn du sagst: Vater! Und wenn deine Hände sich falten: Herr Jesus! Ein treues Elternpaar erfuhr, dass sein verlorener Sohn auf der Heimkehr sei. In der Hafenstadt, wo das Schiff landete, nahmen sie ihn in Empfang. Er war schwerkrank und so völlig gelähmt, dass er nicht einmal mit den Fingern zucken konnte. Sie pflegten ihn lange und treu und sprachen mit ihm vom Heiland, wiewohl er kein Zeichen des Verständnisses gab. Eines Tages wurde es der Mutter überschwer. Sie flehte zum Herrn, und dann ging sie an das Bett des Todkranken. „Wilhelm“, sagte sie, „wenn du mich verstehst, dann zucke einmal mit dem Finger.“ Und dann sagte sie mit Herzensangst und brennender Mutterliebe ihm nur das eine Wort ins Ohr: Jesus. Als der Name über alle Namen, vom Mund der Mutter gesprochen, in seinen Ohren klang, da zuckte der Finger, der eigentlich nicht zucken konnte, und die Mutter war sehr getröstet. - Wie, wenn einer, der dies liest, der fast gelähmt ist am inwendigen Menschen und nicht weiß, wie er’s machen soll, dass er doch Gnade finde, in stiller Stunde auch nur einmal mit dem Finger zuckte, leise, ein erstes, zaghaftes, fragendes, suchendes Wort ausspräche: Vater!

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