Hoffmann, Wilhelm - Predigt am Erscheinungsfest

Hoffmann, Wilhelm - Predigt am Erscheinungsfest

Von
Diaconus Hoffmann
in Winnenden

Text: Jesaja 42, 1-8.

Am heutigen Tage feierten die Alten in den ersten Christengemeinden die segensreiche Erscheinung Jesu Christi unter den Menschen zum Trost Seines Volkes Israel und zur Errettung der in Sünde, Noth und Tod versunkenen Völker der Erde. Wir erfreuen uns einer noch reicheren Feier, indem wir erst der mit wundervollem Himmelsglanze umleuchteten Krippe, dann des heilbringend durch alle unsere Jahre und Zeiten tönenden Erlöser-Namens Jesus gedenken, und zuletzt noch einen besondern Festtag, den heutigen, der Anbetung der auch den Heiden in Christo erschienenen heilsamen Gnade Gottes weihen dürfen. Die Weisen aus dem Morgenlande mit ihren Gaben der Huldigung an den neugeborenen König verkünden uns Christum als das Licht der Heiden, dessen Bild der weitstrahlende Stern ist, welcher sie zu der Hütte in Bethlehem geleitet hatte. Die vielleicht schon altergrauen Häupter, welche die alte Ueberlieferung mit Königskronen schmückt, beugten sich demüthig vor dem unmündigen Kinde, ein leuchtendes Vorbild für alle Zeiten, indem es in That ausdrückt, was hernach Paulus mit Worten sprach, daß die göttliche Thorheit weiser ist, als die menschliche Weisheit. Das Kinderlallen des eingeborenen Sohnes Gottes entzückte die Demüthigen, weil sie, berührt von dem heiligen Wehen der Weissagung und der Sehnsucht, das auch die Heidenlande durchzog, den Weckruf und die Heilsverkündigung ahneten, die einst aus dem Munde des Mannes hervorschallen sollte, den sie hier, ein schwaches Kindlein, vor sich sahen. Die stolzen Schriftgelehrten in Jerusalem konnten dagegen wohl sagen, wo der Heiland sollte geboren werden; sie vermochten den Rath Gottes aus der Schrift zu deuten: aber ihnen regte die Botschaft der Weisen keine Sehnsucht an, indem jener Ahnungshauch ihnen unverständlich geblieben war. Denn zu laut hatte sie immer der Wind ihrer eigenen Gerechtigkeit umrauscht, als daß sie das stille, sanfte Wehen hätten vernehmen können. So kam es, daß sie, zu Lichtträgern berufen, selbst im Todesschatten sitzen blieben. Herodes erschrak sogar über die frohe Kunde, angstvoll vor dem wohlverdienten Verlust schier blutbefleckten Krone zitternd; so wenig verstand der abgefallene Sohn des alten Bundes den Rath der göttlichen Liebe.

Uns aber, die wir auf jene theils freundlich angezogenen, theils feindlich zurückgestoßenen Menschengruppen zurückschauen, die sich um die Krippe Jesu näher oder ferner stellen, uns steht heute an derselben ein gewichtiger Zeuge und deutet uns mit weissagenden Worten die erschienene Gnade, Jesaja, der Evangelist des Alten Bundes, dessen Rede in unserem Texte lautet:

Siehe, das ist mein Knecht, ich erhalte ihn; und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben, er wird das Recht unter die Heiden dringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen, und das glimmende Docht wird er nicht auslöschen. Er wird das Recht wahrhaftiglich halten lehren. Er wird nicht mürrisch noch gräulich seyn, auf daß er auf Erden das Recht anrichte; und die Inseln werden auf sein Gesetz warten. So spricht Gott, der Herr, der die Himmel schaffet und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk, so daraus ist, den Odem gibt, und den Geist denen, die darauf geben. Ich der Herr, habe dich gerufen mit Gerechtigkeit, und habe dich behütet, und habe dich zum Bund unter das Volk gegeben, zum Licht der Heiden; daß du sollst öffnen die Augen der Blinden, und die Gefangenen aus dem Gefängniß führen, und die da sitzen in der Finsterniß, aus dem Kerker. Ich der Herr, das ist mein Name: und will meine Ehre keinem andern geben, noch meinen Ruhm den Götzen.

Es ist uns, meine Lieben, aus dem ganzen Ton und Zusammenhang dieser Rede klar, daß der „Knecht Gottes“ Niemand sonst ist, als der Heiland, daß in Ihm der Anfänger und Vollender aller Bekehrung und alles Glaubens geschildert, Seine Laufbahn und ihr Ziel mit kurzen Worten bezeichnet und Er uns zugleich als Vorbild dargestellt ist, dessen Fußstapfen wir nachzufolgen haben. Bekehrung aller Menschenherzen von den falschen Götzen, äußerlichen und innerlichen, hölzernen, steinernen, goldenen, silbernen, fleischernen, aber ebenso auch von allen Gefühls- Einbildungs- und Gedanken-Götzen zu dem lebendigen Gott, dieß ist ohne weitere Frage Sein Ziel und Seine Absicht, ist darum auch unsere Aufgabe. Von was anderm könnten wir daher bei diesem Texte und an diesem Tage reden als von der

Bekehrung der Menschheit

  1. als der Sache, die Gott unter den Menschen hat;
  2. die aber auch auf göttliche Weise nur kann betrieben werden;
  3. und an der dennoch wir thätigen Antheil zu nehmen haben.

„Herr unser Gott und Vater in Christo Jesu! Du willst, daß wir, daß alle Menschen bekehret werden zu Dir! Dem Geist, Dein Wort, Deine Sacramente, Deine Thaten drängen uns dazu. O! fördre dieses Werk der Gnade in uns und in Allen zum Preise Deines herrlichen Namens.“ Amen.

I.

Daß die Menschenbekehrung die Sache des großen Gottes ist, steht klar in unseren Textesworten. Er deutet auf Christum durch Seinen Propheten, wie mit ausgestrecktem Finger und spricht: „Siehe das ist mein Knecht, ich erhalte Ihn; und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe Ihm meinen Geist gegeben. Er wird das Recht unter die Heiden bringen.“ Niemand hat Ihn dazu gedrungen, Niemand ist Sein Rathgeber gewesen, sondern allein Sein ewiges Erbarmen hat Ihn bewogen, den Sohn zu verheißen und zu senden, das Lamm, das der Welt Sünde träget, wie es die Liedesworte so schön als Rede Gottes ausdrücken:

„Geh' hin, nimm Dich der Sünder an!
Dein Tod ist's, der sie retten kann
Von meines Zornes Ruthen.
Die Straf' ist schwer, der Zorn ist groß;
Du kannst und sollst sie machen los
Durch Sterben und durch Bluten.“

Denn daß Gott, der eine so große, zusammenhängende Anstalt zur Bekehrung aller Menschen gestiftet hat, dessen Weisheit auch die im Verlaufe der Menschengeschichte zu einer unüberwindlich scheinenden Macht gewordene Sünde, aus einem Hinderniß der Erlösung zu einer Förderung derselben umwandelte, durch dessen Thun die ganze unendlich mannigfache Weltgestaltung zu einem allumfassenden Netze wurde, das Christus als der wahre Menschenfischer ziehen sollte, Der denn auch zu uns, noch über ein Jahrtausend, ehe wir da waren, dem Evangelium Bahn gebrochen hat, damit wir in Seinem Lichte uns freuen und in Seiner Kraft selig seyn können, - daß diesem Gott an der Bekehrung der Menschen weit mehr liegt, als ihnen selbst, auch den Redlichsten unter ihnen, darum zu thun ist, dem zukünftigen Zorn zu entrinnen, dieß liegt, wie ich hoffe, wenigstens uns klar zu Tage. Hat denn nicht Er, vor dem ein ewiges Heute und kein Gestern und Morgen ist, vor dem ein Jahrtausend, worin dreißig Menschengeschlechter aufblühen und Staub werden, einer schnell verlaufenden Abendstunde gleicht, von der Seligkeit aller Völker geredet, derer, die jetzt schon im hellen Mittagsglanze des Evangeliums wandeln, derer, die von Seiner Morgenröthe angeleuchtet werden, und derer, die noch jetzt von der Mitternacht des Heidenthums bedecket sind? Im 22ten Psalm läßt Er weissagen: „Es werden sich zu Jehovah bekehren aller Welt Ende und vor Ihm anbeten alle Geschlechter der Helden“; im 47ten Psalme: „Gott ist König über die Heiden; die Fürsten unter den Völkern sind versammelt zu Einem Volke dem Gott Abrahams - denn Gott ist sehr erhöhet unter den Schilden auf Erden“; im 56ten Psalm: „alle Völker, die Du gemacht hast, werden kommen und vor Dir anbeten, Herr, und Deinen Namen ehren“: Jesaja aber spricht: „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, gewiß seyn höher, denn alle Berge, und über alle Hügel erhaben werden, und werden alle Heiden dazulaufen und viele Völker hingehen und sagen: Kommt, lasset uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakob, daß Er uns lehre Seine Wege und wir wandeln auf Seinen Steigen“ (2, 2 - 4.); Er schildert die Schaaren, die herzukommen werden zum Licht, das über Jerusalem aufgehe (Jes. 69, 1. ff.); Er bezeichnet unverkennbar deutlich den Gesalbten Gottes als Den, der die Heiden erleuchten solle (Jes. 49, 6. 7.), Er vergleicht mit Habacuc (2, 14. Jes. 11, 9.), die weitere Verbreitung der lebendigen Erkenntniß Gottes mit den Wasserweiten, die den Meergrund decken. Sacharia redet von der Zeit, da der Herr König seyn wird über alle Lande, da der Herr nur Einer und Sein Name nur Einer seyn wird„ (14, 9.) - doch ich müßte euch einen großen Theil der prophetischen Bücher des Alten Testamentes vorlesen, wollte ich alle Aussprüche der Weissagung hören lassen, in welchen das über alle Völker verbreitete Reich Gottes in Christo geahnet und unter dem Bilde des Sieges Israels geschaut wird.

In allen aber lautet es einstimmig: der Herr wird es thun.

Derselbe, der schon damals, laut unseres Textes, Sein ewiges Wohlgefallen aussprach an dem erlösenden Sohne, bezeugte dieses Wohlgefallen von Neuem mit denselben Worten bei Seiner Taufe und Verklärung und verkündete damit, daß Er Denselben in Seiner menschlichen Erscheinung gesalbet habe mit dem heiligen Geiste, und Christus selbst predigt es überall, Er komme nicht von sich selber, sondern der Vater habe Ihn gesandt, Er rede nicht von sich selbst, sondern was Ihm der Vater gegeben habe, Er wirke nicht Seine Werke, sondern des Vaters. Und was sagt Er denn, daß Er gekommen sey zu thun? „Die Sünder zur Buße zu rufen, die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Sprachlosen redend, die Todten lebendig zu machen“ kurz, um das Bild zu verlassen, die sündige Welt zu erneuern, zu gewinnen, zu erlösen, zu bekehren. Und wie weit erstreckt sich nach Seiner eigenen Erklärung Sein Werk? Ueber Alle. „Ich habe noch andere Schafe“, spricht Er, „die sind nicht aus diesem Stalle, dieselbigen muß ich herführen und wird Eine Heerde und Ein Hirte werden.“ Er gibt Seinen Jüngern denselben Geist, den Ihm der Vater gegeben und heißt sie dann hingehen in alle Welt und das Evangelium predigen aller Creatur.“ So kam das Recht unter die Heiden einzig durch Gottes Wirken und Walten in Christo, in den Aposteln, in der Predigt des Wortes bis diesen Tag. Denn wie wollte auch, wer einem in Unrecht und Gesetzlosigkeit versunkenen Geschlechte selbst angehört, Recht, göttliches Recht der Erlösung schaffen, wenn er nicht mehr als ein Menschenwerk ausrichtete? Denn dadurch wird das Recht aufgerichtet, daß die Sünder in's Licht gestellt, die Stolzen gebeugt, gedemüthigt werden, daß ein Gerechter das Unrecht auf sich nimmt und nun Gnade verkündet, daß die geschändete Ehre Gottes hergestellt, die Ehre der Götzen vernichtet wird, daß es ein Siegesruf wird, das Wort:

Die falschen Götzen macht zu Spott!
Der Herr ist Gott! der Herr ist Gott!
Gebt unserm Gott die Ehre!

Zu solchem Werke ist Christus vom Vater berufen und, wie Er gläubig am Vater blieb, also auch von Ihm an der Hand gehalten, bis Er sagen konnte: „es ist vollbracht!“ Denn nimmermehr hätte Er, Seiner Gottheit sich entäußernd, als ein Mensch vermocht, die aufgelegte Last zu tragen, das aufgetragene Werk zu vollenden, ohne diesen Trost. So gehalten, gestärkt, erquickt drang Er im heißen Seelenkampfe mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Sündergeschlechte hindurch zum Erlösungssiege. Genug gesagt, meine Freunde, um am Wort und an den Thaten Gottes zu zeigen, wie die Menschenbekehrung Gottes Werk ist, alle Mittel und Wege dazu von Gott bereitet, alle Kosten von Gott erschwungen werden und darum auch alle Ehre Gottes ist in Christo Jesu, unserem Herrn. Hiermit kann denn auch schon kein Zweifel mehr obwalten über die Art des Verfahrens bei der Bekehrung Anderer.

II.

Diese muß göttlich seyn. - Soll ich euch sagen, meine Zuhörer, warum die große Aufgabe, daß

Ein Christ auf Erden
Seines Nächsten Christus werde

vergleichungsweise mit andern gemeinnützigen und auf Bildung abzweckenden Anstalten noch so wenig Theilnahme findet, warum derer eine kleine Zahl ist, die sich mit der Bekehrung der Menschen einlassen? Darum, weil sie ein stilles Werk ist, eine göttliche Arbeit, die nicht gedeihet im Weihrauchdampfe des Menschenlobs, unter dem Schimmer von Ehrenstellen und Würden, im Glanz und Lärm des großen Weltmarktes. Die meisten Christen sind auch in ihrem wohlgemeinten Wirken zum Besten Anderer doch noch so schwach und so fleischlich gesinnet, daß ihnen Anerkennung ihres Wirkens, wo nicht Loben und Preisen ihrer Tugenden, ein Bedürfniß ist, ein Sporn, um fortzufahren. Das Gute, das Niemand bemerkt, will fast auch Niemand thun. Die Meisten freuen sich mehr, wenn ihr Name auf Erden einen guten Klang hat, als wenn er im Himmel angeschrieben steht, und nicht Wenige trösten sich mit der flitterhaften Ehre des schnell verfliegenden Augenblickes dieser Zeit über die ewige Schmach und Schande, die ihrer wartet, und seltene Gemüther sind es, die gerne die Schmach Christi tragen, um auch Seine Herrlichkeit zu theilen.

Lasset uns hören, wie der „Knecht Gottes“ seine Bekehrungswerke betrieb. „Er wird nicht schreien noch rufen, Seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.“ Still und sanft gieng Er einher, und wo Ihn das Elend ansprach, da half Er. Gleichwie Seine Geburt nicht gefeiert wurde durch prunkendes Getöse von Tausenden und Seine Wiege nicht umringt war vom feierlichen Wortgepränge der Glückwünschenden, nicht verkündet an den Orten, wo die Müßigen und Schaulustigen sich drängen, sondern auf einsamer Heide von armen Hirten und von Engelschaaren Sein Wiegengruß erscholl, in der Abgeschiedenheit der Hütte Ihm gehuldigt wurde, so ließ Er hernach Seinen Ruf: folge mir nach! ertönen, wo einige Fischer ihrem harmlosen Berufe nachgiengen, wo ein innerlich beengtes Gemüth unter der Last eines versuchlichen Geschäftes seufzte, wo stille und auf das Wort der Verheißung aufmerksame Seelen zubereitet waren, Ihn zu vernehmen. Er redete zwar zu Tausenden, aber nur die Stillen verstanden Ihn. - Noch heute waltet Sein Geist am nachhaltigsten im sanften Säuseln; noch jetzt ist es Seine Art, nicht unter dem Getöse des Marktes und dem Lärm der Gassen, sondern im stillen Betkämmerlein Seine wirksame Nähe kund zu geben. Aber desto anhaltender ist Sein Wirken. Er beschränkt sich nicht auf einen raschen Anlauf, eine schnell aufflammende Begeisterung. Darum arbeiten so wenige in Seiner Art, lassen so wenige Ihn auf sich wirken. Damit wissen wir denn schon, wie das Thun derer zu beurtheilen ist, die überall ihre Stimmen hören lassen, wo über „die großen Gegenstände der Menschheit“ wie man es nennt, verhandelt wird, besonders dann, wenn der Wiederhall den Namen des Rufenden zurückgibt, nie aber im verborgenen Kämmerlein, nie in den Kreisen, wo aus sanften Herzen das Lob der Gnade und das Flehen aufsteigt: Dein Reich komme! Während aber das Reich Gottes nicht mit äußerem Pompe heranzieht, können seine Förderer desto eher auf alles merken, was ihm Erfolg verspricht. „Das zerstoßene Rohr wird Er nicht zerbrechen und das glimmende Docht wird Er nicht auslöschen.“ Er, der Heilige, gieng nicht mit stolzer Verachtung und pharisäischem Eckel vor dem Schmutz der Sünde an den Armen vorüber, die in ihrem Blute lagen, sondern Er verband wie der barmherzige Samariter ihre Wunden. Er sprach nicht, auf das Verderben Seines Volkes hinblickend, von einer Versunkenheit, woraus kein Auferstehen sey, sondern Er hoffte bis an's Ende. Die Barmherzigkeit ist noch immer die Verkünderin davon, daß Christi Geist sich offenbaret. Sehen wir die Noch derer an, deren Lebensfünklein stets mit dem Erlöschen droht, denen ein wenig Licht in einer maßenhaften Finsterniß schimmert, die von ihnen selbst und von den meisten unverstandene Sehnsucht nach Leben, wie sie aus dem Innersten hervorseufzt, fühlen wir dabei unsere Unmacht zu helfen – wie dringt uns das, nach göttlicher Hülfe aufzuschauen, denn Gott stehet noch das Elende an, der Heiland belebt die Erstorbenen. Dahin also geht, wer göttlich wirken will, wo die Wahrscheinlichkeit der Rettung nach menschlicher Berechnungsart am kleinsten, aber auch zum Rettungsversuch die höchste Zeit ist. Siehe! wie gegen diese göttliche Handlungsweise die Entschuldigung in ihrer Blöße dasteht: dieser Mensch, diese Familie, diese Gemeinde, dieses Volk ist zu schlecht, als daß nicht jeder Versuch, sie durch das Wort Christi neu zu beleben, verloren seyn müßte. Wie muß sich vor dem göttlichen Wirken in der Menschenbekehrung die Ausflucht schämen, die auf so manche leibliche und nahe Noth hindeutet und den Blick von der geistlichen und fernen abzulenken sucht. Denn es gehört mit zu jenem, daß es nah und fern, mit gleichem freundlichem Entgegenkommen sich äußert, daß Ihm alles „mürrische“ Abweisen des Bedürftigen fremd ist, daß „die fernen Inseln“ an Seiner Segensfülle Theil haben dürfen. Nichts gilt Ihm der Einwurf, der sich auf eine bessere Kenntniß der menschlichen Natur stützt und aus dieser vermeintlichen Einsicht heraus verkündet: erst helft den Menschen klug seyn, lehret sie Gewerbe, Kunst und Bildung, dann setzet eurer Erneuerung die Krone auf, indem ihr sie zum Himmel weiset. Nein! spricht das Prophetenwort. Der das Reich Gottes „wahrhaftig halten lehret“, Er will nur das Gesetz des Geistes kundthun. Mit der Hauptsache beginnt Er, wartet nicht bis unter langsamem Mühen um Nebendinge das Füncklein vollends erloschen ist. Das ist Sein Thun, daß alles Volk der Erde den Geist Gottes sich regieren lasse. Darum will Er „die Augen der Blinden öffnen, die Gefangenen aus dem Gefängniß führen, und, die da sitzen in Finsterniß, aus dem Kerker.“ Ach! Er weiß wohl, welche Wunden es sind, die so große Seelenschmerzen machen; Er hat auch den Balsam Gileads, um sie zu stillen. Er kennet die Götzen, deren Gewalt ein Todesbann ist für die Menschenseele, die Entehrung des lebendigen Gottes, die den Frieden ferne hält. Darum handelt Er nach Seiner Weise, Er handelt göttlich und Sein Werk muß gelingen, indeß menschliches Bauen und Bessern, trotz alles Klügelns zunichte wird. O! daß an Seinem Thun Alle, die Seinen Namen hören, Theil nehmen möchten, daß der große Knecht Gottes, Jesus Christus, sich eine Knechte-Schaar nachziehe, daß nicht nur die Erstlinge der Heiden, sondern die Fülle der Heiden eingehe, und mit ihnen die Christenheit selig werde. Auf dieses große Erscheinungsfest warten wir noch; aber lasset uns nicht blos warten, sondern zu Herzen fassen, wie sehr dabei auf uns gerechnet ist.

III.

Freilich könntet ihr nun fragen: wenn es Gottes Sache ist, Menschen zu bekehren, nun so lasset uns ruhig harren, bis Seine Stunde kommt. Er wird es schon ausführen und bedarf meiner nicht.

Darauf antworte ich blos, daß, die solches reden, selbst noch keine Christen, sondern getaufte Heiden sind. Wisset ihr doch Alle, daß wer Christo angehöret, Seinen Sinn hat, Seine Werke treibt, Seine Liebe übt, daß ihm nichts theurer ist, als das volle Kommen Seines Reichs. Denn ihm ist die Scheidewand gefallen, welche Völker von Völkern trennt und jeden nur an seinem eigenen Herd zu Hause sitzen lässet. Er gedenkt der noch herzuführenden Schafe, sein Herz ist erweitert zum Brudersinn auch gegen die Millionen, die er nicht kennt. Er kann es nicht mitsingen das Schlaflied derer, die sich selbst und darum auch die andern, die noch draußen stehen, nicht wollen bekehren lassen: den Heiden, den ungläubigen Christen sey es wohl in ihrem Wesen, wir sollen nur warten und zusehen. Denn er weiß, welch ein furchtbar geängstetes Wohlseyn es ist, außer Christo, ohne Versöhnung mit Gott zu leben, vom Tode genaget zu werden. O! wer solche Schmerzen kennt, der wird, der kann nicht zögern, Heil und Frieden zu bringen, so viel es ihm gegeben ist. Denn was ist das für eine Liebe, die uns ruhig läßt, wenn unser Bruder in den Wellen untersinkt? die an seinem Krankenbette steht, die Arzenei in der Hand und ihm den Tropfen mißgönnt, der ihn retten kann? die ihn vor der Thüre verhungern läßt, während ihn die Brosamen von seinem Tische sättigen könnten? Oder was ist das für ein Dank gegen Christum, dem es gleichgültig ist, wenn das Werk ausgeführt wird, an das Er Sein Leben gesetzt hat? der sich nicht aus der behaglichen Ruhe des täglichen Treibens und Genießens bringen läßt und höchstens mit einem Geldstück sich abfindet, wo es Gebet und Herzenstheilnahme gilt? Nein, glaubet mir, lieben Freunde, es sind die vielgebrauchten Redensarten von Menschenliebe, Wohlwollen, Mitleiden doch nur ein leerer Schall, solange wir von der eigentlichen Barmherzigkeit, die zur Seelenrettung treibt, uns zurückhalten lassen. Denket nicht, diese Sache lasse sich mit andern wohlthätigen Zwecken in Eine Reihe stellen, so daß es gleichgültig wäre, welchem man sich zuwendete. Keineswegs! Ich darf euch nicht erst verweisen auf das Gebot des Herrn selbst, an die Wurzel der Mission und alles dessen, was mit ihr zusammenhängt, im innersten Leben der christlichen Gemeinschaft. Nur darauf will ich hindeuten, daß das Wort Christi nicht kann reichlich unter uns wohnen, wenn es nicht auch von uns ausgeht, ein tiefer klarer Lebensstrom, um dürre Auen zu feuchten. Die Freude will ich euch vorhalten, die ein Herz voll göttlichen Friedens genießt, wenn es zeugen darf von dem, was in ihm ist, die Kräftigung, die es erfährt, wenn eine Kraft von ihm ausgeht, um gedoppelt zu ihm zurückzukehren, an die Würde mahnen, die uns bestimmt ist, die wir Priester Gottes und des Lammes seyn und eben dadurch zur königlichen Herrlichkeit tüchtig werden sollen.

Wir haben die Wahl, ob wir uns kümmern wollen um die Unbekehrten, ja - wie wir auch die Wahl haben, ob wir selig werden oder verloren gehen wollen. Nicht als ob irgend ein äußeres Abzeichen, Eintreten in Vereine, große Gaben und dergleichen uns vor dem Herrn angenehm machten. Wissen wir doch, daß es auch möglich ist, Andern zu predigen und selbst verwerflich zu werden. Andern ein Mittel zur Seligkeit zu werden und selbst verloren zu gehen, bei äußerem Bekenntniß, ja Vielthun innerlich immer leerer und kraftloser zu seyn. Aber wer Christum haben will, der muß ihn in der That haben; wer ihn lieben will, muß ihn mit Werken der Liebe loben; wer ihn verstehen will, muß ihn erfahrend verstehen lernen, indem er in seine Wege tritt. So entsteht, so bildet sich weiter die Gemeinschaft mit ihm, die das ewige Leben ist. Wer sich dereinst freuen will über die Vollendung des göttlichen Raths zur Seligkeit, der lerne es schon hier, der mache Gottes Sache zu seiner Sache, der lebe sich ein in die göttliche Wirkungsweise.

Genug für uns, um zu sehen, wie zwar der Herr nicht unserer, wir aber Seiner, wie auch die Heiden kaum in höherem Grade unserer Hülfe, als wir des Segens von ihrer Bekehrung bedürfen. Dann gehen die lieblichen Worte im Propheten, vom Knecht des Herrn geredet, immer voller auch uns an. Die Weisen aus dem fernen Morgenlande sind uns nicht mehr blos vielbedeutende Gestalten der Ahnung, sie werden uns Brüder, die an der Spitze stehen eines zahllosen Bruderheeres; der Stern über der Krippe in der dunkeln Nacht hat sich zum ewigen Licht, zur Lebenssonne vergrößert, und unsere eigene Errettung von der Obrigkeit der Finsterniß mit der aller Menschen, die schon aufgeweckt sind oder die noch schlafen, ist uns das Werk, das unser Glaube hofft, erfleht, betreibt, bis die Ehre Gottes vor unsern Augen unter allen Menschenkindern in ungehemmtem Glanze strahlt. Amen.

Quelle: http://glaubensstimme.de/doku.php?id=verzeichnisse:quellen:schmid_zew1

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