Hofacker, Ludwig - VIII. Am Grabe eines wohlbetagten Vaters und Großvaters.

Hofacker, Ludwig - VIII. Am Grabe eines wohlbetagten Vaters und Großvaters.

Ich danke Gott von ganzem Herzen, und meine Seele erhebet den HErrn, daß ich an diesem Grabe stehen, und den Gedanken erfassen und glauben darf: der Geist, dessen Verwesliches wir hier der Erde übergeben, ist daheim bey’m HErrn, ist zum Frieden gekommen, aller Versuchung, Angst und Noth entnommen; hat seinen Glaubenslauf vollendet, und ist durch das Blut der Versöhnung hindurchgedrungen und eingegangen dahin, wo die Plage aufhöret, und Satan keine Macht noch Gewalt mehr hat. „Nun hat der Vogel sein Haus gefunden, und die Schwalbe ihr Nest; nämlich Deine Altäre, HErr Zebaoth, mein König und mein Gott!“

Dieß ist mein Gefühl bey diesem Grabe, und ich glaube, daß alle diejenigen, die den Verewigten näher kannten, ob sie wohl durch ihren Verlust mögen darniedergebeugt seyn, doch mit mir einstimmen und den HErrn loben werden, daß Er die Leiden des Entschlafenen geendet, und ihn aus der Finsterniß zum Lichte durchgebracht hat. Wie wird’s dem erlösten Geiste gewesen seyn, als er seine Hütte hinter sich liegen, und sich auf einmal in der Freiheit, in der Sicherheit, in der Ruhe sah, und erkannte, daß er nicht umsonst gelaufen sey, und nicht umsonst sich glaubend hindurchgekämpft hat. Ja, er wird’s vielleicht angestimmt haben, aber mit anderem Muthe als hienieden, er wird’s mit neuer Zunge ausgerufen haben jenes Wort Davids, daß er in gesunden und frohen Tagen so gerne in den Mund nahm: „Lobe den HErrn, meine Seele, und was in mir ist, Seinen heiligen Namen; lobe den HErrn, meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes gethan hat; der dir alle deine Sünden vergibt, und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht, daß du wieder jung wirst wie ein Adler – lobe den HErrn, meine Seele!“ –

Gott ist getreu! das finde ich zuverlässig bestätigt an dem nun geendigten Glaubenslaufe des Entschlafenen. Er mußte mit ihm einen eigenen Weg gehen durch dieses Glaubensleben; Er mußte diesem starken und feurigen Temperamente und Geiste Zaum und Gebiß anlegen; Er mußte seine Kraft demüthigen auf dem Wege, sollte er anders reifen für die Ewigkeit; aber gerade darin hat Er sich als einen treuen Gott gezeigt.

Im Aeußerlichen zwar wollte der HErr den Verewigten nicht beschränken; Er segnete seinen Fließ; Er gab ihm das tägliche Brod reichlich; Er führte ihn durch manche Wunderwege, und ließ ihn empfinden bis an sein Ende, bis an sein 89stes Jahr, daß Er mit ihm sey, und ihn nicht verlassen noch versäumen wolle; ja, Er legte ihm deutlich vor Augen, daß Er ihm das Größere wohl geben wollte, wenn es ihm gut wäre, weil Er ihm das Geringere so reichlich darreichte. Aber im Geistlichen gieng Er mit ihm einen eigenen Weg. Sein Glaubensgrund, seine Liebe zur Wahrheit, seine große geistliche Erkenntniß sollte geläutert, von allen Naturschlacken gefeget, und für das himmlische Reich zubereitet werden. Darum machte sich der himmlische Schmelzer auf und faßte ihn an, und fieng an zu reinigen und durch den Ofen der inneren Trübsal und Anfechtung seine Seele zu führen, so daß es oft schien, das Licht seines Glaubens wolle vergehen, und durch das Treiben des Gesetzes gar ausgelöscht werden. In dieser Läuterung aber ließ Er ihn mehrere Jahre schmachten; Seine Hand war beständig ausgerecket und ließ nicht ab. Alle Selbstgerechtigkeit sollte verzehrt, aller Ruhm und alles Vertrauen auf die Erkenntniß der Wahrheit und auf die eigene Rechtschaffenheit sollte weggenommen, er sollte zu einem armen Sünder werden. Eine schwere Zeit! – Erkennet doch, liebe Brüder, daß der HErr Seine Heiligen wunderbar führet; gehe doch Jedes ins ich und denke: „so das geschiehet am grünen Holz, was will’s am dürren werden, und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo mag denn der Gottlose bleiben!“

Unser Entschlafener ist in dieser Probe bestanden. Die Wege seines Gottes haben ihn tief gedemüthiget und alle Höhen der Vernunft niedergerissen; er ist als ein armer, gnadenhungriger Mensch aus dieser Zeit gegangen. Beständig hat er aus seiner Tiefe zum HErrn gerufen, und ob er gleich aller Barmherzigkeit sich unwerth erkannte, doch die Barmherzigkeit seines Gottes gerühmet, ja, er hat seinem eigenen Herzen und der Macht der Finsterniß zum Trotz Glauben gehalten, und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes, wohl geführt. So ist er endlich, zwar in sich als ein armer, gnadenhungriger Sünder, als verglimmendes, aber doch nicht ausgelöschtes Tocht, als ein Sterbender, aber doch nicht ertödtet, aus der Zeit gegangen. Der HErr hat Sein Angesicht vor mir verborgen, sprach er oft, ich muß das leiden, ich will auf den HErrn warten, bis ich meine Lust an Seiner Gnade sehe. Was er aber unzählige Mal allen Anfechtungen entgegenhielt, und was ich wünschte, daß Alle es erwägen und recht tief in’s Herz fassen möchten, ist das Sprüchlein: „Wie durch Eines Menschen Sünde die Verdammniß über Alle gekommen ist, also ist durch Eines Menschen Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über Alle gekommen.“ Dieß war seine Festung, in die er sich immer wieder zurückzog.

Ein 89jähriger Lauf ist nun geendet, und wie wir getrost hinzusetzen dürfen, im Glauben geendet. Gelobet sey der HErr! – Wie hat er doch an dem Entschlafenen die Verheißung so herrlich bewährt: „Ich will euch heben und tragen bis in’s Alter und bis ihr grau werdet, Ich will’s thun; Ich will heben, tragen und erretten.“ O! ein treuer Gott! Er demüthiget und erhöhet; Er tödtet und macht lebendig. Er führet in die Hölle, aber erlöset auch wieder daraus; Er läßt Sein Werk nicht liegen; Er erlöset endlich von allem Uebel. Ein treuer Gott! –

Sein Thun kann Niemand hindern,
Sein’ Arbeit darf nicht ruh’n,
Wenn Er, was Seinen Kindern
Ersprießlich ist, will thun.

Er löschet das glimmende Tocht nicht aus, Er zerstößt das zerbrochene Rohr nicht, bis Er das Gericht hinausführe zum Siege. Gewiß ein treuer Gott! –

Was wird’s doch einst werden in der Ewigkeit, wenn Alle, die im Glauben des Sohnes Gottes vollendet worden sind, werden die Treue, die errettende, die durchhelfende, die mütterliche Treue ihres Gottes und Heilandes mit neuen Zungen preisen; wenn alle Angst dieser Zeit und alle Noth, in dieser armen Hütte einst erlitten, aus dem rechten Gesichtspunkte, nämlich als Bewährung für den großen Tag der Freiheit, wird angesehen werden; was wird’s seyn, wenn Alle, Alle, vom Ersten bis zum Letzten, dieses erbarmende Heben und Tragen rühmen, und, gestärkt aus dem Abgrund Seiner Gottesfülle, das Lied des Lammes singen, und keinen Grund ihrer Seligkeit wissen werden, als die sich unaufhörlich wiederholende Anbetung:

Lamm, Dein Blutvergießen und bitt’res Leiden
Und Dein am Kreuze für mich Verscheiden
Hat mir’s verdient!

Ja! wir dürfen wohl schon hienieden hinaufblicken dahin, wo wir ewig zu seyn wünschen und hoffen; dürfen wohl, wenn wieder der Lauf eines unserer Brüder im Glauben geendet, und der Kampf eines unserer Mitpilgrimme ausgekämpft ist: da dürfen wir wohl uns freuen des großen Tages der Erlösung, der einst Allen anbricht, die im Glauben des Sohnes Gottes leben; dürfen es wohl auch bey unsern mannigfaltigen Bedrückungen zu Herzen nehmen, daß alles Ding seine Zeit währet, aber Gottes Liebe nimmer aufhöret. Wenn ein Gefangener aus dem Kerker erlöset wird, so ist das ja ein Tag der Freude und Hoffnung für seine Mitgefangenen, die in den nämlichen Fesseln gefangen liegen; sie gönnen’s ihm, wenn sie sein Elend gesehen haben, und fassen auf’s Neue Freiheits-Gedanken für sich selber. Und so ist es auch uns erlaubt, Freiheits-Gedanken an diesem Grabe zu fassen, Gedanken der himmlischen Freiheit. – Seyen wir in Banden, in welchen wir wollen: JEsus kann sie zerbrechen; Er hat die Schlüssel der Hölle und des Todes, und wird sie auch zerbrechen, so wir anders festhalten an Ihm und an Seinem Worte, denn Er ist treu, Er züchtiget wohl, aber Er gibt doch darum die Seinen dem Tode nicht; sondern, wenn Seine Stunde gekommen ist, lässet Er Seine Gefangenen durch das Blut des Bundes aus der Grube, darin kein Wasser ist, und schmücket sie herrlich mit Seinem Schmuck: - die umsonst verkauft sind, sollen auch ohne Geld erlöset werden!

Wohin geht’s aber, wenn ein armer, aber gläubiger Sünder dieser Hütte und aus seinem Elende gerufen wird, wohin geht es dann? Es geht in’s Vaters Haus. Das ist das Ganze – es geht in’s Vaters Haus. O! darum hat gewiß Jeder genug.

Schon viele Tausende sind dort, jedes Alters, jeder Gemüthsart, geführt durch tausendfältige Wege, geprüft durch tausendartige Trübsale, geläutert durch die mannigfaltigsten Heimsuchungen des treuen Sünder-Freundes, Patriarchen und Propheten, Apostel und Märtyrer. Alle, die Glauben gehalten haben bis an’s Ende, sind dort, und wie wir hoffen, so ist nun dort auch unser betagter Freund und Vater, und siehet, was er hier dunkel, aber fest geglaubet hat. Und das ist genug. – Das ist aber auch genug Ursache für uns, um unsere Herzen und Hände zu dem HErrn emporzuheben, und Ihm hier an diesem Grabe noch herzlich für Alles zu danken, was Er in 89 Jahren an dem Entschlafenen gethan hat.

O! angebeteter HErr und Heiland! wir danken Dir von ganzem Herzen für Deine Barmherzigkeit, die Du an unserem Mitbruder während seines beschwerlichen und langen Pilgerlaufes gethan hast. Du hast ihn geläutert und recht geführet, Du hast ihn geistlich arm gemacht und ihm die Selbstgerechtigkeit zerstört, Du hast nicht nachgelassen, an seiner Seele zu arbeiten, und doch seinen sinkenden Glauben erhalten bis an’s Ende. O! wie können wir Dir genugsam danken, daß Du so gnädig mit ihm verfahren bist; denn ob es wohl oft schien, es sey zu hart, was Du ihm auflegtest, so wird es doch jetzt am Ende dem Glauben offen dargelegt, daß Du Friedensgedanken über ihn hattest, nichts als Friedensgedanken.

Barmherzig, gnädig, geduldig seyn
Und täglich reichlich die Schuld verzeih’n,
Ist Deine Lust.

Bring’ auch uns hindurch, weiche auch nicht von unserer Seele, bleibe treu; ob wir auch untreu sind, so bleibe doch Du treu, Du treuer Gott! Ja! Du wirst’s thun! Laß uns nicht, denn Du hast uns erkauft. Dir, Du Lamm, das erwürget ist, sey alle Ehre gegeben in Ewigkeit!

Amen.

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