Hofacker, Ludwig - Predigt am siebenten Sonntage nach Trinitatis

Hofacker, Ludwig - Predigt am siebenten Sonntage nach Trinitatis

Text: Röm. 6,19-23.

Ich muß menschlich davon reden, um der Schwachheit willen eures Fleisches. Gleichwie ihr eure Glieder begeben habt zum Dienst der Unreinigkeit, und von einer Unreinigkeit zu der andern: also begebet nun auch eure Glieder zum Dienst der Gerechtigkeit, daß sie heilig werden. Denn da ihr der Sünde Knecht waret, da waret ihr frey von der Gerechtigkeit. Was hattet ihr nun zu der Zeit für Frucht? Welcher ihr euch jetzt schämet, denn das Ende derselben ist der Tod. Nun ihr aber seyd von der Sünde frey, und Gottes Knechte geworden, habt ihr eure Frucht, daß ihr heilig werdet, das Ende aber das ewige Leben. Denn der Tod ist der Sünden Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo JEsu, unserm HErrn.

Der Apostel Paulus schreibt in unserer heutigen Epistel an Menschen, welche bereits aus dem Tode in’s Leben hindurchgedrungen waren, an Menschen, welche vormals Knechte der Sünde, nun aber Knechte der Gerechtigkeit geworden waren. Als die Kinder Israel aus Egypten zogen und das rothe Meer hinter sich hatten, so hatten sie aufgehört, unter der Knechtschaft und dem Joche Egyptens zu seyn; nach dem Durchgange durch das rothe Meer wurden sie für das eigenthümlich, auserwählte Volk Gottes erklärt. Wie es nun hier den Kindern Israel gieng, so muß auch mit einer jeden Seele, die da selig werden will, eine ähnliche Veränderung vorgehen; durch das Blut JEsu Christi hindurch muß sie aus der Knechtschaft und dem Banne der Sünde hinüber gerettet werden zu der Freiheit der Kinder Gottes, sie muß einverleibt werden dem Volke Gottes, den Auserwählten JEsu Christi. Die Menschen, an die der Apostel schreibt, waren von derselben Art wie die Korinther; an diese schrieb der Apostel Paulus: „Die Hurer, die Abgöttischen, die Ehebrecher, die Diebe, die Geizigen, die Trunkenbolde, die Lästerer, die Räuber werden das Reich Gottes nicht ererben: das sind euer Etliche gewesen; nun aber ist es anders mit euch geworden, ihr seyd abgewaschen, ihr seyd geheiliget, ihr seyd gerecht geworden durch den Namen des HErrn JEsu und durch den Geist unseres Gottes.“ – Wollte Gott, daß ich von euch Allen auch sagen könnte: ihr seyd’s gewesen, Knechte der Sünde, Knechte der Finsterniß seyd ihr gewesen; - nun ist’s anders mit euch geworden. Aber vielleicht ist es der Fall, ja mehr als vielleicht, wahrscheinlich ist es, aber nicht nur wahrscheinlich ist es, sondern ich weiß es gewiß, daß ich Vielen unter euch nicht zurufen kann: ihr seyd es gewesen; sondern zurufen muß: ihr seyd es noch jetzt. Aber heute noch kann es anders mit euch werden; heute noch kann eine große Veränderung mit euch vorgehen, wenn ihr durch das rothe Meer hindurch wollet, durch die Wunden des Lammes. – Wenn ich freilich von euch sagen könnte: ihr seyd’s gewesen, so wüßte ich wohl, von was ich mit euch reden würde. Ich würde euch ermahnen und zurufen: Kindlein, bliebet bey Ihm, bey dem Heiland, der euch mit Seinem Blute gewaschen hat von euren Sünden; weichet doch nicht von Ihm, bleibet im Dienste der Gerechtigkeit. – Aber weil ich Jenes nicht sagen kann, so muß man noch von dem Dienste der Sünde reden. Und deßwegen will ich unter dem Beystande Gottes zu euch sprechen:

I. von dem Dienste der Sünde oder der Knechtschaft der Sünde; und
II. von dem Dienste der Gerechtigkeit oder der Knechtschaft der Gerechtigkeit.

HErr JEsu! wenn Du mit uns nach unsern Verdiensten handeln wolltest, so hättest Du nicht auf diese Erde herniederkommen dürfen, Du könntest uns nimmermehr Deinen Segen schenken. Aber wir bitten Dich, handle nicht mit uns nach unserem Verdienst, sondern nach Deiner großen Barmherzigkeit, und gib uns einen rechten Segen für unser armes Herz. O Durchbrecher aller Bande! durchbrich auch alle die Bande, in welchen unsere Seelen gefangen liegen; beweise Deine Macht, Herr JEsu Christ! Laß uns doch auf Dein theures Wort, auf das Blut der Versöhnung recht aufmerken, laß uns durch Dein Blut erlöset werden von der Knechtschaft der Sünde, und geheiliget werden zu Deinem Volk, das Dir williglich dienet im heiligen Schmuck! Amen.

I.

Liebe Zuhörer! es gibt nur zwey Reiche, zwey Welten, in welchen sich ein Mensch bewegen kann, ein Reich des Lichts und ein Reich der Finsterniß, ein Reich des Lebens und ein Reich des Todes. Wer in dem einen sich befindet, der kann nicht zugleich im andern seyn; denn ein jedes dieser Reiche hält diejenigen Geister, die zu ihm gehören, in einem gewissen Bann; wer in der Finsterniß wandelt, und die Finsterniß lieb hat, kann nicht in das Licht eindringen und zugleich Werke des Lichtes vollbringen; und wer im Lichte wandelt, der ist an das Licht gebunden, er kann nicht zugleich der Finsterniß dienen und die Finsterniß lieb haben. „Ihr könnet nicht zugleich Gott dienen und dem Mammon“ – spricht der HErr. – Oder „wie stimmet Christus mit Belial?“

So gibt es also nur zweyerley Gattungen von Menschen in der Welt, einmal Knechte der Gerechtigkeit, die im Lichte wandeln, die ihre Glieder begeben haben zu Waffen der Gerechtigkeit, die als gute Bäume in den Garten Gottes gepflanzt sind, von denen es im ersten Psalme heißt: „sie sind wie die Bäume, gepflanzt an den Wasserbächen, die ihre Frucht bringen zu ihrer Zeit, und ihre Blätter verwelken nicht“; - oder wie der Heiland zu Seinen Jüngern: „ihr habt mich nicht erwählet, sondern ich habe euch erwählet und gesetzet in meinen Garten, daß ihr Früchte bringet, und eure Frucht bleibe.“ – Für’s Andere gibt es aber auch Knechte der Sünde oder der Finsterniß, welche die Sünde mit ihrem inwendigsten Wollen umfassen und lieb haben, und weil sie faule Bäume und Kinder des Verderbens sind, auch nichts Anderes hervorbringen können denn faule und verdorbene Früchte des Todes, die den Tod bringen, wie sie selbst Kinder des Todes sind. Das sind die zwey Klassen unter den Menschen; es gibt geborene, aber dabey wiedergeborene, - und geborene, aber noch nicht wiedergeborene. Doch möchte ich noch eine dritte Klasse von Menschen annehmen, solche nämlich, die gerade darin begriffen sind, aus der Finsterniß in das Licht hindurchzudringen, bey welchen die Scheidung zwischen Finsterniß und Licht, zwischen Sünde und Gerechtigkeit noch nicht so ganz vorgegangen ist, die aber ernstlich hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, die da ringen und seufzen in ihrem Inwendigen: ach, ich möchte ja ein Kind des Lichtes, ein Kind Gottes seyn! aber ich habe noch nicht ganz durchdringen, ich habe die Kraft des neuen Lebens; die Kraft der Versöhnung noch nicht so ganz in mir erfahren können. Das sind nicht die lauen Christen, die da hinken auf beyden Seiten, und weichlich sind gegen sich selbst, und es nicht verderben wollen weder mit dem Heiland, noch mit der Welt; nein, denn solche sind noch Knechte der Sünde; - sondern ich meine euch, ihr armen, verschüchterten Seelen, die ihr gerne zu etwas Ganzem, zu einer ganzen Kraft des Glaubens, zum ganzen und rechtschaffenen Wesen in Christo JEsu kommen möchtet, die ihr euch nicht begnügen könnet mit einem einzelnen Gnadenschein, wie das Volk Israel, das sich am Lichte Johannes des Täufers vergnügte, und eine Weile fröhlich seyn wolle bey seinem Lichte, sondern die ihr euch fest vorgenommen habt: ich will nicht mehr rufen noch rasten, bis ich ganz des Heilandes und der Kraft Seines Geistes theilhaftig bin, und ich es gewiß weiß, daß ich erkauft bin mit dem Blute des Lammes, und ein Eigenthum JEsu auf Zeit und Ewigkeit; ich will nicht vorher ruhen, bis ich sagen kann:

Wie freut sich doch mein ganzer Sinn,
Daß ich nun eingeschrieben bin
In der verlobten Glieder Zahl,
Durch meines holden Königs Wohl!
Wie gerne mache ich mich mit nichts gemein,
Weil in der Gemeinschaft JEsu ich will seyn.

O meine lieben Mitpilgrimme, das ist ein edler Vorsatz, den der Geist Gottes in euch gewirkt hat; darüber werdet ihr gewiß nicht zu Schanden, sondern wenn ihr dabey bleibet, so werdet ihr die große Freude erfahren, daß euch euer Licht aufgehen wird, wie der Morgenstern aufgehet, im Herzen; daß ihr fröhlich rühmen und sprechen könnet: „Im HErrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke; mein Freund ist mein, und Er hält Sich zu mir; durch Sein Leiden und Sterben, durch Seinen Angstschweiß und Sein Blutvergießen bin ich erkaufet, bin ich Sein Kind und Sein Erbe geworden in alle Ewigkeit.“ So gewiß als ihr jetzt darum verlegen seyd, so gewiß werdet ihr auch an euch selbst erfahren, wenn ihr im Ringen fortfahret, daß Seine Kraft in den Schwachen mächtig ist. Denn Die auf den HErrn harren, bekommen ja neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, und schon vielen tausend Seelen ist es gelungen durch die Kraft des Blutes Christi, hindurchzudringen zur völligen Freiheit; an vielen Tausenden hat sich das Evangelium schon erprobt „als eine Kraft Gottes, selig zu machen Alle, die daran glauben.“ Nun, lieber Zuhörer! es ist kein Mensch in der Welt, kein Mensch in dieser Versammlung, der nicht zu einer dieser drey Klassen gehört; nimm es also zu Ohren und zu Herzen: du bist entweder ein Knecht der Gerechtigkeit, ein Kind des Lichts, oder im Begriff es zu werden; oder aber ein Knecht der Sünde und der Ungerechtigkeit, ein Kind der Finsterniß. Jetzt frage dich, zu welcher Klasse denn du gehörst; denn das ist eine hochwichtige, hochnöthige Untersuchung:

Frage dich, liebes Herz, kennst du dich
In der Natur so recht jämmerlich?
Kennst du dein Elend und JEsu Wunden?
Hast Du Vergebung gesucht und gefunden
Durch ihr Verdienst?

Es gibt also Knechte der Sünde, Sklaven der Sünde, Leute, deren Herr die Sünde ist. Habt ihr je etwas Schrecklicheres gehört, als daß ein Mensch soll ein Knecht der Sünde seyn? Die Sünde sitzt in ihm wie eine Gebieterin; sie spricht: thue das, gehe dahin; er muß, er kann nicht anders, er ist ihr Knecht, sie ist sein Herr, und ein Knecht darf sich nicht widersetzen, es muß thun, was der Herr ihm gebietet. Darum spricht der Apostel von einem Verkauftseyn unter die Sünde. In jenen alten Zeiten war es nämlich oft der Fall, daß Kriegsgefangene auf dem Marktplatze aufgestellt, und in öffentlicher Versteigerung als Sklaven verkauft wurden. Wenn nun Einer eine gewisse Summe erlegte, so bekam er einen solchen unglücklichen Gefangenen zu seinem Eigenthum; dieser gehörte nun sein, er durfte mit ihm beginnen, was er wollte, er konnte ihn brauchen und mißbrauchen, zu was er wollte, er konnte ihm Gutes thun, er konnte ihn aber auch peitschen und schlagen, ja sogar tödten, ganz nach seinem Belieben. Auf dieselbe Weise nun, sagt die heilige Schrift, sey jeder Mensch, der sich nicht habe erretten lassen aus der Obrigkeit der Finsterniß, der noch nicht wiedergeboren ist, ein Sklave der Sünde, in ihrer Knechtschaft gefangen, mit ihren Ketten umstrickt, umgarnt und gebunden, von ihrem Gifte in allen seinen Gliedern, Sinnen und Gedanken durchdrungen, so daß er ihr folgen und zu Willen seyn muß. –

Aber wie Viele möchten wohl unter uns seyn, die da sagen: von dieser Knechtschaft fühle ich nichts, davon weiß ich nichts, habe auch nie davon etwas gewußt; so weit ist es doch mit mir noch nicht gekommen, daß ich das wäre, was du unwiedergeboren heißest; ein Sklave der Sünde bin ich nicht, ich kann doch thun, was ich will, kann doch auch Gutes thun; ja freilich, und ich habe euch schon Gutes gethan, wie sollte ich also ein Sklave der Sünde seyn? Lieber Mensch, du bist es doch, ob du es schon nicht zugeben willst. Du gleichst einem Menschen, der im Rausche aufgegriffen und gebunden, und in ein dunkles Loch geworfen ist. Er schläft und träumt, er träumt von den schönsten Dingen, von der Freiheit, und kann lange so träumen. Du träumest auch, denn was du von deiner Freiheit sagst, das ist geträumt; wache nur einmal vorher auf, dann wirst du erst sehen, in welchem Zustande du bist. Oder meinest du, der Apostel Paulus habe unbesonnener und irriger Weise geschrieben: „in meinem Fleische wohn nichts Gutes, ich bin fleischlich und unter die Sünde verkauft?“ Die heilige Schrift lügt nicht, wenn sie sagt: „ihr seyd nun frey geworden von der Knechtschaft der Sünde;“ und der Heiland lügt nicht, wenn Er sagt: „der Sohn allein kann euch frey machen.“ Wenn das wahr ist, was die Schrift von einer Befreiung sagt, so muß auch das wahr seyn, was sie von einer Knechtschaft sagt. Meinest du denn, wenn die Knechtschaft der Sünde nicht so groß und nicht eine wirkliche Knechtschaft der Sünde wäre, so hätte es einer so großen Anstalt der Erlösung und des Blutes JEsu Christi bedurft, um uns herauszureißen und zu versetzen in das Reich der Gerechtigkeit Christi? Ja, in welchem tiefen Verfall muß der Mensch liegen, wenn, wie der Apostel Paulus im Brief an die Epheser versichert, dieselbe Macht und Kraft Gottes dazu gehört, einen Sünder vom Tode zum Leben zu bringen, wie die gewesen ist, welche wirksam war bey der Auferweckung JEsu Christi von den Todten? Dieß Alles weist ja darauf hin, daß wir von Natur von der Sünde umschlossen und gefangen sind, und können uns selbst in keinem Wege heraushelfen; die Knechtschaft der Sünde ist so groß, daß nur der Sohn Gottes selber, der Schöpfer aller Dinge, der Lebendige, der die Schlüssel des Todes und der Hölle hat, der dem Starken die Macht genommen, der die Werke des Teufels zerstört, und alle Riegel und Ketten der Finsterniß zerbrochen hat, daß nur Er die Gefangenen aus der Grube erlösen konnte; nur wen Er frey macht, der ist recht frey.

Dieß bestätigt sich auch durch die Erfahrung. Freilich die groben Sündenstricke werden oft bald zerrissen, dazu reicht die eigene Kraft zur Noth noch hin, und darum irren sich noch so manche Menschen und glauben, wenn sie von den groben Sünden frey seyen, und sich der Laster entledigt haben, dann seyen sie auch von der Knechtschaft der Sünde frey; sie verwechseln Sünde mit Laster. Das ist aber weit gefehlt. Denn es gibt feine Sündenstricke, eine feine innere Knechtschaft der Sünde, die innerste Seele ist mit der Sünde umgarnt, von ihr gefesselt und gefangen, und ob sich der Mensch auch anstrengt, ob er auch dieses oder jenes Mittel ergreift, er vermag sich nicht los zu machen, seine Ketten nicht zu zerbrechen. Es liegt hier nicht an Jemandes Wollen oder Laufen, sondern allein an Gottes Erbarmen.

Wenn der Durchbrecher aller Bande, wenn JEsus der gefangenen und unter ihrer Knechtschaft seufzenden Seele nicht zu Hülfe kommt, und sich nicht als JEsus, als Erlöser und Befreier an ihr beweist, so muß sie liegen bleiben, muß als ein finsterer Sündenwurm dahinfahren in die Finsterniß, und nimmermehr wird sie zu Freiheit der Kinder Gottes hindurchbrechen. O, man kennt freilich diese Gefangenschaft lange nicht, man weiß lange nicht, daß man ein elender Sklave der Sünde ist, weil man die Sünde lieb hat, weil man sich gerne darin bewegt; man hält ihren Dienst für einen süßen Dienst, man glaubt, sie sey eine wohlmeinende Herrscherin, obgleich das Herz, der innerste Geist, zuweilen darunter seufzt, weil er durch sie nicht befriedigt werden kann. Erwacht man aber aus dem Sündenschlafe, und stellt sich das Gesetz mit dem mahnenden Rufe vor die Seele: „Ich, der HErr, bin heilig, darum sollst du auch heilig seyn!“ dann erst erkennt der Mensch, daß er mit inwendigen festen Stricken gebunden und in Wahrheit ein elender Knecht der Sünde ist, daß er nichts eigentlich Gutes thun kann aus sich selber, wenn er auch wollte; da heißt es denn: „ich elender Mensch, wer wird mich erlösen aus diesem Todesleide?“ Da seufzet man denn:

Hüter, wird die Nacht der Sünden
Nicht verschwinden?
Hüter, ist die Nacht schier hin?
Soll die Finsterniß der Sinnen
Nicht zerrinnen,
Darin ich verwickelt bin?

Oder wie es in einem andern Liede heißt:

Komm und sieh’ doch uns’re Ketten,
Da wir mit der Kreatur
Seufzen, ringen, schreyen, beten
Um Erlösung von Natur,
Von dem Dienst der Eitelkeiten,
Der uns noch so harte drückt.
Ohngeacht’t der Geist in Zeiten
Sich auf etwas Bess’res schickt.

Vorher war der armen Seele es noch ziemlich wohl gewesen, sie hatte nicht gewußt, was für ein Elend und tiefer Abgrund in ihr ist, ob sie gleich in derselben Knechtschaft der Sünde steckte; nun aber wird ihr tiefer Fall und ihr gänzliches Unvermögen offenbar.

II.

Wir sind Knechte der Sünde von Natur. Das ist ein hartes Wort, wer mag es hören? Höret es doch, ihr stolzen, ehrbaren und frommen Leute, die ihr so klein von der Sünde denket, und meinet, schon längst über die Knechtschaft derselben durch eure Kraft euch emporgeschwungen zu haben. O ihr seyd noch ganz mit Blindheit geschlagen, ihr habt noch nicht den Anfang des Christenthums gefaßt. Wie würdet ihr erschrecken, wenn ihr die Stricke sehen solltet, welche der Teufel um eure arme Seele herumgeschlungen hat; wie würdet ihr erstaunen, wenn ihr eure wahre Seelengestalt, nicht die Truggestalt, die ihr euch vorbildet, nicht das Gemälde von euch, das ihr durch einige oberflächliche Züge eures Inwendigen entworfen habt, sondern eure wahre Seelengestalt sehen solltet, wie der Wurm der Sünde und des Todes an eurem innersten Lebensmarke nagt und frißt. Stoßet euch nicht daran, ihr leidtragenden Seelen, die ihr euer geistiges Unvermögen erkennen und fühlen müsset; glaubet nicht, daß ihr die Einzigen seyd, die den Tod der Eitelkeit und Adam’s Fall in sich spüren, die da fühlen, daß sie nichts als Sünder sind, untüchtig und unvermögend zu allem Guten. O wie glücklich ist ein Mensch, dem dieß offenbar wird; ihr solltet Gott danken, daß Er diese Erkenntniß euch schenkt. Zwar gehört sie zu den Schmerzen der geistlichen Wiedergeburt. Auch „ein Weib, wenn sie gebieret, hat Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen; wenn sie aber geboren hat, denket sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß der Mensch zur Welt geboren ist.“ Sehet, so gewiß ihr jetzt eure Knechtschaft erkennet, so gewiß werdet ihr auch zur Freiheit kommen. Denn wer jene erkennt, der ist schon im Anfange der Freiheit. Ja, es gibt eine Freiheit für die Gebundenen, eine Oeffnung für die schmachtenden Gefangenen, eine Freiheit für die unter der Knechtschaft seufzende Kreatur, es gibt ein angenehmes Jahr des HErrn.

Das meint der Apostel in der Epistel, wenn er zu seinen Lesern sagt: „nun ihr seyd von der Sünde frey, und Gottes Knechte geworden.“ Es gibt also, liebe Zuhörer, eine Freiheit von der Sünde, wo man nicht mehr ihr Sklave ist, nicht mehr dem Teufel den Hof-Dienst verrichten muß, nicht mehr am Gängelband der verkehrten Welt läuft, sondern wo man weiß: die verborgenen Teufelsstricke sind entzwey, JEsus hat mich frey gemacht, ich bin der Welt und der Sünde und dem Fleische gekreuziget, ich habe nicht mehr mit ihnen zu schaffen; ja, es gibt einen Zustand, wo man die Sünde unter dem Fuße hat, und in der Freiheit der Kinder Gottes einhergehen darf. Zwar sagen Viele: von der Sünde müsse man sich fort und fort beherrschen lassen; man könne es nie so weit bringe, daß sie unter den Füßen, und ihre Herrschaft gebrochen sey; aber diese lügen. JEsus ist JEsus; der Sieger auf Golgatha hat uns auch diese Freiheit erworben durch Sein Verdienst und Leiden; Er hat die Fesseln der Sünde zerbrochen, und will sie durch die Kraft Seiner Versöhnung noch heute zerbrechen in einem Jeglichen, der sie nur zerbrechen lassen will.

Denn das ist gewiß, daß in JEsu Christ
Vollkommen lauteres Wesen ist,
Daß sich arme Sünder erlöset wissen;
Daß sie der Sünde nicht mehr dienen müssen,
Ist auch gewiß.

Ja, arme Seele, die du von dieser oder jener Sünde unter dem Banne gehalten wirst, die du vom Geize oder von der Hoffart oder von der Augenlust oder von der Wollust umhergetrieben, und auf das Jämmerlichste geplagt wirst, meinest du, du könnest nicht mehr davon los werden? Meinest du, der starke JEsus sey zu schwach geworden, dich dieser deiner Knechtschaft zu entbinden? Die Kraft Seines Blutes habe aufgehört, wirksam zu seyn? Nein, so du Ihn suchest, wird Er Sich finden lassen, und Sich als Den erweisen, dem kein Gefängniß zu fest ist, daß Er die Thüren desselben nicht sprengen könnte.

Freiheit, Freiheit! das darf man den Gefangenen predigen, - Freiheit vom elenden Sündenjoche, Freiheit von der Dienstbarkeit Satans. Armer, gebundener Mitbruder! wird dir nicht auch wohl um’s Herz, wenn du von der Freiheit reden hörst? Bedenke es, aus einem Knecht der Sünde kannst du ein freies Kind der freien Gnade Gottes werden.

Dem Lamm ist nichts zu schlecht,
Es sind ihm Alle recht.

Bey Ihm ist Freiheit, Freiheit im Blute des Lammes. – Aber fragst du, ist denn das auch Freiheit? Der Heiland spricht doch von einem Joche, da man auch sich nehmen soll, und von einer Last, die man tragen soll; und der Apostel Paulus spricht von einer Knechtschaft der Gerechtigkeit. O liebe Zuhörer! wenn es nun auch ein schweres Joch wäre, das der Heiland uns auflegte, sollte man es nicht gerne tragen, um nur von dem allerschwersten Sündenjoche los zu werden? Aber meinet ihr, es sey eine harte Knechtschaft, ein drückendes Joch? o nein, Er führt über die Seinigen ein sanftes Regiment, es ist wahr, was in jenem Liede steht:

Mein Salomo! Dein freundliches Regieren
Stillt alles Weh, das meinen Geist beschwert.
Wenn sich zu Dir mein blödes Herze kehrt,
So läßt sich bald Dein Friedens-Geist verspüren,
Dein Gnaden-Blick zerschmelzet meinen Sinn,
Und nimmt die Furcht und Unruh’ von mir hin.

O was ist süßer als dem Heilande dienen, im Dienste der Gerechtigkeit einhergehen! Denn bey Ihm hat man es ja gut;

Unter Seinem sanften Stab
Geh’ ich aus und ein, und hab’
Unaussprechlich süße Waide,
Daß ich keinen Mangel leide;
Und so oft ich durstig bin,
Führt Er mich zum Brunnquell hin.

Ihr schnöden Sündenknechte, ihr könntet noch die große Ehre erlangen, wenn ihr wolltet, Knechte Gottes und Diener des HErrn JEsu zu werden, und was geht denn über diese Ehre, die euch angeboten wird? Sie ist doch wohl werth, daß man Alles daran setzt, und Alles dagegen fahren läßt.

Muß man auch dabey was leiden,
Sich von allen Dingen scheiden
Bringt’s ein Tag doch wieder ein.

Der Apostel fragt in unserer Epistel: „was hattet ihr zu der Zeit für Frucht, da ihr der Sünde Knechte waret?“ und er antwortete in ihrem Namen: „solche Frucht hattet ihr davon, welcher ihr euch jetzt schämet; denn das Ende derselbigen ist der Tod.“ – Ja wohl, wie könnte auch diese bittere Wurzel andere Früchte treiben als solche, deren man sich zu schämen hat! Gestehet es nur selbst, ihr Knechte der Sünde, sind eure Früchte nicht von der Art, daß ihr euch derselben, wenn ihr sie recht betrachtet, jetzt schon schämen müsset, noch mehr aber am jüngsten Tage, wann eure Schande offenbar werden wird? O großer Tag der Offenbarung, mit welcher Schande wirst du die Knechte der Sünde überhäufen, daß sie wünschen werden, daß die Hügel über sie fallen und die Berge sie decken, und der Erdboden sie verschlinge, auf daß ihre Blöße nicht offenbar werde. Ich meine nicht bloß die äußerlichen, groben Sünder, sondern auch die übertünchten Gräber, äußerlich zwar fein und ehrbar und gebildet, innen aber voll Moders und Todtengebein. Dann wird der Rath der Herzen offenbar werden, deine inwendigen Herzensgedanken werden zum Vorschein kommen, deine heimlichen Lüste, die du in deiner Brust genährt und gepflegt hast, deine hoffärtigen Gedanken, deine Anschläge, dich über Andere hinaufzuschwingen, dein boshaftes, neidisches Herz, während du Andern in das Gesicht hinein freundlich thatest, deine Schalkheit wird offenbar werden. Ach, das sind ja Früchte des Todes, die den Tod bringen; in dieser Welt haben sie unter ihrer Herrschaft keinen Frieden und keine Ruhe, sind geplagt und gepeinigt, und in der Ewigkeit ernten sie von ihren Todesfrüchten den ewigen Tod. „Denn“ – sagt der Apostel – „das Ende derselben ist der Tod“; der Tod, der geistliche Tod ist der Sünde Sold. Und der Psalmist sagt von ihnen: „sie liegen in der Hölle wie Schafe, und der Tod naget sie, und der Wurm der Sünde, der sie gedienet haben, stirbt nicht, und ihr Feuer verlöschet nicht.“ Dieß ist das Ende der Sklaven der Sünde. Von den Knechten der Gerechtigkeit lautet es aber ganz anders; von ihnen sagt der Apostel: „nun ihr aber seyd von der Sünde frey und Gottes Knechte geworden, habt ihr eure Frucht, daß ihr heilig werdet, das Ende aber das ewige Leben.“ Das ist die selige Frucht, welche die Knechtschaft der Gerechtigkeit hervorbringt, daß man immer mehr erneuert wird und geheiligt an Leib, Seele und Geist, und darf mit Freudigkeit warten auf seines Leibes Erlösung. Denn auf die Zeit der Fremdlingschaft folget das ewige Leben, und man sehnet sich, einzugehen in das ewige Königreich JEsu Christi durch Sein Verdienst.

Sollten nun Einige unter uns seyn, die mich fragen, wie sie es denn anzugreifen haben, daß sie einer so seligen Frucht theilhaftig, daß sie aus der Knechtschaft der Sünde in die Freiheit der Kinder Gottes versetzt werden, so habe ich für sie keine andere Antwort als die: solches Alles geschieht durch die Kraft der Versöhnung, durch die Kraft des Verdienstes Christi. Schon vor 1800 Jahren ist das Lösegeld von der Knechtschaft der Sünde für alle armen Sünder erlegt worden; denn „wir sind ja erkauft nicht mit vergänglichem Silber oder Gold von dem eiteln Wandel nach väterlicher Weise“ (d.h. vom Dienst der Sünde), „sondern mit dem theuren Blute JEsu Christi, des unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ Die Freiheit ist einer jeden Seele bereits erkämpft und erstritten; es steht nun nur bey ihr, ob sie sie auch genießen will. Ach, darum bittet den Heiligen Geist, daß Er JEsum Christum verkläre in euren Herzen, so werdet ihr in der Freiheit wandeln, so werdet ihr sprechen:

Was hab’ ich denn, o Welt, zu schaffen
Mit deiner leichten Rosenkron’?
Fleuch hin und gib sie deinen Affen,
Laß mir des Kreuzes Dorn und Hohn.
Besitz’ ich JEsum nur allein,
Ist Alles, was ich wünsche, mein.

Was wollen wir denn hiezu sagen, liebe Zuhörer? Wollen wir in der Gefangenschaft bleiben, und nur mit den Träbern der Welt sündigen, bis wir von hinnen müssen? Wollen wir im Dienste der Sünde bleiben, oder Diener JEsu Christi werden?

Blick’ auf das Lamm, das dich mit Freuden
Dort wird vor Seinem Stuhle weiden,
Wirf hin die Last und eil’ herzu;
Bald ist der schwere Kampf geendet,
Bald, bald der saure Lauf vollendet,
So gehst du ein zu deiner Ruh’.

Nein, liebe Zuhörer! es ist nicht umsonst, wenn man ringt und trachtet, der Erlösung, die uns der Heiland so theuer erworben hat, theilhaftig zu werden; es ist nicht umsonst; denn „wer hier säet, wird dort ernten ohne Aufhören.“ Wir wollen deßhalb den HErrn noch mit einander anrufen: Lieber Heiland! wir haben vom Dienste der Sünde und der Gerechtigkeit mit einander geredet. Wir bitten Dich, befestige das, was wir gehöret haben, an unsern armen Herzen, damit es eine Frucht schaffe, und wir etwas werden zum Lobe Deiner herrlichen Gnade. Reiße doch alle diese Seelen hier heraus aus ihren Sündenbanden; erlöse alle Seelen, die noch in der Grube gefangen lieben, die kein Wasser gibt, aus derselben, und führe sie zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Ach, das ist ja der Lohn Deiner Schmerzen, daß Dir Dein Volk williglich opfern soll in heiligem Schmucke.

O JEsu, nimm zum Lohn der Schmerzen
Mich Armen an, so wie ich bin!
Ich setze Dir in meinem Herzen
Ein Denkmal Deiner Liebe hin,
Die Dich für mich in Tod getrieben,
Die mich aus meinem Jammer riß.
Ich will Dich zärtlich wieder lieben,
Du nimmst es an, ich bin’s gewiß.

Ach, erbarme Dich über uns, barmherziger Gott, und hilf’ uns! Amen.

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