Hofacker, Ludwig - Predigt am neunten Tage nach Trinitatis

Hofacker, Ludwig - Predigt am neunten Tage nach Trinitatis

Von der guten Hoffnung, die man für diejenigen fassen dürfe, in welchen die Predigt von Christo kräftig geworden ist.

Text: 1. Kor. 1,4-9.

Ich danke meinem Gott allezeit eurethalben, für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christo JEsu, daß ihr seyd durch Ihn an allen Stücken reich gemacht, an aller Lehre und in aller Erkenntniß. Wie denn die Predigt von Christo in euch kräftig geworden ist, also, daß ihr keinen Mangel habt an irgend einer Gabe, und wartet nur auf die Offenbarung unsers HErrn JEsu Christi; welcher auch wird euch fest behalten bis an’s Ende, daß ihr unsträflich seyd auf den Tag unsers HErrn JEsu Christi. Denn Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seyd zur Gemeinschaft Seines Sohnes JEsu Christi, unsers HErrn.

Unsere heutige Epistel ist abermals ein Abschnitt, der nur für die Gläubigen gilt. Der Apostel Paulus äußert darin die Hoffnungen, die er für seine Gläubigen zu Korinth im Herzen trage. Wo von jeher das Evangelium hingekommen ist, ist es entweder angenommen oder verworfen worden; von jeher hat es Freunde und Feinde gefunden; von jeher gab es Kinder Gottes und Kinder der Welt. Von letzteren kann man freilich keine Hoffnung haben, aber von den ersteren kann man Großes hoffen. Es thut meinem Herzen wohl, daß der Apostel Paulus von Denjenigen, die aus der großen Menge zu Korinth gläubig geworden waren, die das Wort von der Gnade Gottes in Christo JEsu angenommen hatten, solche schöne Hoffnungen äußert. Obgleich sich viele Irrthümer und manche Sünden in die Gemeinde zu Korinth eingeschlichen hatten, sagt der Apostel dennoch: „Der Gott, der die Sache in euch angefangen hat, wird euch fest behalten bis an’s Ende, daß ihr unsträflich seyd bis auf den Tag der Zukunft unseres HErrn JEsu Christi.“ Ich habe mir nun vorgenommen, dieses Mal unter dem Beistande Gottes zu euch zu reden

Von der guten Hoffnung, die man für diejenigen fassen dürfe, in welchen die Predigt von Christo kräftig geworden ist.

Und zwar wollen wir sehen,

  • I. was das für Leute seyen, in welchen die Predigt von Christo kräftig geworden ist; und
  • II. welche gute Hoffnung man für sie fassen dürfe.

HErr Gott, Du treuer Gott, der Du gegen uns untreue Menschen dennoch treu bleibst, o beweise Deine Treue dadurch an uns, daß Du einem Jeglichen unter uns seinen Herzens-Zustand offenbar werden lassest aus Deinem Wort; - beweise sie auch dadurch, daß Du diejenigen, die Dich kennen lernten, die von JEsu Christo ergriffen sind, bewahrest, daß sie unsträflich erhalten werden bis auf die Zukunft unseres HErrn und Heilandes. Amen!

I.

Unsere ganze heutige Epistel ist ein Abschnitt voll guter Hoffnungen, die der Apostel in Absicht auf die Korinther hegte; voll Hoffnungen, die aber nicht Menschen-Hoffnungen, nicht auf Sand und allerley gute Meinungen gebaut und gegründet waren, sondern auf die unwandelbare, ewige Treue Gottes selbst, auf das beständige Herz Dessen, der die Korinther berufen hatte zu der Gemeinschaft Seines Sohnes JEsu Christi, unseres HErrn. Hat einmal, will der Apostel sagen, Gott die Predigt von Christo kräftig werden lassen unter euch, hat Er einmal so viel gethan, daß Er euch aus der Finsterniß errettet und in das wahre Licht des Evangeliums verpflanzt hat: so wird Er auch fernerhin Derselbe bleiben, und Die, so Er berufen hat, auch festhalten bis an’s Ende, und euch nach Seiner Treue erhalten, regieren, bewahren und beschützen, daß ihr Seiner Zukunft mit Freudigkeit entgegen sehen könnet, daß ihr, wann Ihn sehen werden alle Augen, und die Ihn gestochen haben, und wehklagen werden alle Geschlechter der Erden, daß ihr dann in Seine feuerflammenden Augen hineinsehen könnet, unsträflich, gewaschen und gereiniget durch das Blut und den Geist JEsu. – Dasselbe schrieb der Apostel auch an die Philipper: „Ich bin dessen in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis auf den Tag JEsu Christi.“ O eine große Hoffnung, ein großer Blick! Die Menschen hoffen auf so Vieles in dieser Welt; man hofft auf Vermehrung des Geldes und Gutes; man hofft auf bessere Tage; man hofft auf Erhöhung der Ehre, auf die glückliche Ausführung dieses oder jenes Planes; man hofft auf Dinge, die, wenn sie auch einträfen, das Herz doch nicht stillen und sättigen, den Menschen doch nicht glücklich machen würden. Der Mensch hofft immerdar: aber meistens gehen seine Hoffnungen auf das Sichtbare; meistens ist es eine Seifenblase, nach welcher er hastig greift wie ein Kind, die aber, während man sie fassen will, zerplatzt und verschwindet. O wie viele Schlösser sind schon von den klügsten Köpfen in die Luft gebauet worden! Fraget einen jeden Menschen, er wird euch gestehen müssen, daß er immerdar etwas hofft, und mehr in der Zukunft lebt als in der Gegenwart. Aber was sind alle diese Hoffnungen gegen die große Hoffnung, welche der Apostel ausspricht, daß eine Seele, die berufen ist zur Gemeinschaft des Sohnes Gottes, in der die Predigt von Christo kräftig geworden ist, nicht durch die Verführungen der Welt, nicht durch das eigene Fleisch und Blut, nicht durch den Satan oder sonst etwas zum Abfall gebracht, sondern durch die Macht Gottes bewahret werde zum ewigen Leben. Das ist eine Hoffnung, von welcher zu reden wohl der Mühe werth ist.

Wenn ich nun in diese Versammlung hineinblicke, so darf ich zum Preise der überschwänglichen Gnade Gottes mit guter Zuversicht glauben, daß hier manche Seelen sind, in welchen die Predigt von Christo kräftig geworden ist. Zwar sind Viele unter uns, die von Jugend auf in der heilsamen Lehre unterrichtet wurden, die das Wort der Wahrheit, das Zeugniß von Christo schon unzählige Mal gehört haben, bey welchen aber dieses Wort der Wahrheit noch nicht zu der Kraft gekommen ist, daß sie den Muth gefaßt hätten, zu verläugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, sowohl alte graue Sünder als auch junge Sünder, die ihre Bekehrung, ihre Wiedergeburt, die Sorge für ihr Seelenheil von einem Tage zum andern aufschieben, und denken: Gott wird ja wohl heute noch nicht die offene Gnadenpforte schließen; noch ist es Zeit und hat keine Gefahr. Trotz dem, daß solcher Viele unter uns sind, sind doch auch andere Seelen hier versammelt, von denen man eine gute Hoffnung fassen, und denen man, weil die Predigt von Christo in ihnen kräftig geworden ist, getrost zurufen darf: „Der, so euch berufen hat, wird euch auch fest behalten bis an’s Ende.“ – Aber welches sind denn Die, an welchen die Predigt von Christo kräftig geworden ist? Wir müssen doch deutlicher zu erforschen suchen, wer unter ihnen zu verstehen sey.

Die Predigt von Christo wird an aller Menschen Herz kräftig, beweist sich als Kraft an aller Menschen Herz. Denn so spricht der HErr: „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt, und nicht wieder dahin kommt, sondern befeuchtet die Erde, und macht sie fruchtbar und wachsend, daß sie gibt Samen zu säen, und Brod zu essen, also soll das Wort, so aus meinem Munde gehet, auch seyn: es soll nicht wider zu mir leer kommen, sondern thun, was mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich es sende“ (Jes. 55,10.11.); und der Apostel Paulus sagt: „Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig, und schärfer denn kein zweischneidiges Schwert, und durchdringet, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Gebein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ – Und das bewährt sich auch in der Erfahrung. Das Wort von JEsu Christo, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, das Wort von der großen Liebe des Vaters, der Seines eingebornen Sohnes nicht hat verschonet, sondern Ihn für uns Alle dahin gegeben, das Wort von der Liebe des großen Erzhirten, der Sein Leben ließ für das Leben der Schafe, das Wort vom zukünftigen Gericht und von der Vergeltung, wenn es lebendig und in der Beweisung des Geistes Gottes vorgetragen wird, läßt keinen Menschen, wie er ist, sondern es macht einen Eindruck auf ihn, dem er freilich entweder Gehör geben kann oder nicht, einen Eindruck, der ihm ein Geruch des Lebens zum Leben, oder ein Geruch des Todes zum Tode werden kann. So war es von jeher bey der Predigt von Christo. Als Petrus am ersten Pfingstfeste, des Heiligen Geistes voll, auftrat unter dem Volke und ihm zurief: „diesen JEsum, den ihr gekreuziget habt, den hat Gott auferwecket und zu einem HErrn und Christ gemacht“, da gieng es ihnen durch die Seele; dieß Wort machte einen herzdurchschneidenden Eindruck auf sie, „und es ließen sich taufen drey Tausend auf ein Mal.“ Und wie gieng es zu Athen? Als Paulus unter den Weltweisen auftrat, und das Wort Gottes predigte von dem Gericht Gottes und von dem Manne JEsu Christo, durch welchen Gott beschlossen habe, den Kreis des Erdbodens zu richten mit Gerechtigkeit, da empörte sich ihr Grimm; das Wort Gottes hatte sie aus ihrer Gleichgültigkeit alsobald aufgejaget. Und wie gieng es bey Felix? Warum sprach er zu Paulus: „gehe hin, ich will dich ein ander Mal rufen lassen?“ Dieß kam daher, weil Paulus von der Keuschheit, von der Gerechtigkeit und vom Gerichte predigte. Da erschrack Felix; da wurde er unruhig, und suchte sich des Eindrucks, den das Wort Gottes auf ihn gemacht hatte, zu entledigen. So ist Christus gesetzt zum Fall und zur Auferstehung für Viele. Und so berufe ich mich hier öffentlich auf euer eigenes Gewissen, liebe Zuhörer! ob das Wort Gottes nicht eine Kraft in sich hat, ob es nicht Eindrücke in das Herz macht? Bekennet es, ihr, die ihr dem Worte Gehör gegeben habt, und seyd dadurch zum Leben aus Gott hindurchgedrungen, oder seyd wenigstens auf dem Wege vom Tode zum Leben, - bekennet es, was hat euch den ersten Anstoß gegeben, was hat euch euer elend, euren erbärmlichen, ungöttlichen Zustand geoffenbaret, was hat euch angetrieben, daß ihr den Heiland, daß ihr Vergebung der Sünden, daß ihr wahre Wiedergeburt gesucht habt? War es nicht von dem Worte Gottes? Kam es nicht, wie der Apostel sagt, aus der Predigt von Christo, die in euch lebendig und kräftig geworden ist durch den Heiligen Geist? Und ihr, die ihr schon so oft den Weg des Lebens vorgenommen habt, und seyd immer noch auf dem Wege des Todes, oder schleppt euch siech oder elend auf den Wegen Gottes dahin, - ihr, die ihr bis jetzt so manche Stimme der Wahrheit verachtet oder bald wieder vergessen habt, die vergängliche Lust dieser Zeit lieber habt als die ewige Seligkeit, und betrogene verirrte Knechte der Sünde seyd, - saget selber: ist das Wort Gottes an eurem jämmerlichen Zustande, worüber dem Heilande das Herz brechen möchte, worüber ihr, wenn ihr die Augen hättet zu sehen, nur genug weinen und heulen würdet, ist das Wort Gottes an eurem jämmerlichen Zustande schuld= Bekennet es: nein! – gestehet es: die Predigt von Christo ist schon oft lebendig an mein Herz getreten, wenigstens hat mir das Wort Gottes schon Unruhe gemacht, ich habe bey der Predigt desselben schon ein Mißbehagen empfunden, das ich freilich nicht recht aufkommen ließ, das ich aber Mühe hatte zu unterdrücken. Bekennet es: es ist mir schon oft gewesen, es kann nicht mehr so bleiben, du muß in den Ernst der Wiedergeburt hinein; aber es hat sich in meinem Herzen ein Widerwille gegen das Wort erzeugt, ein Widerwille, den ich hinter verschiedene Namen und Entschuldigungen hineingesteckt habe. Woher das Alles? Woher bey Einigen diese willige Aufnahme, bey Andern dieser Widerwille und Trotz gegen die Wahrheit? Lauter Beweise von der Kraft des Wortes, das keine Gleichgültigkeit gegen sich duldet, das hineindringt in die innersten Nester des Herzens, in das innerste Fleischesleben, und die Seelen aufjagt aus ihrem geistlichen Todesschlaf; lauter Beweise von der Wahrheit, daß Derselbe der den Menschengeist geschaffen, und ihn kennt nach seinen innersten Tiefen, daß Derselbe uns auch Sein Wort gegeben hat, das Wort, das lebendig und kräftig ist, und schärfer denn kein zweyschneidig Schwert.

Die Predigt von Christo beweist sich also als eine Kraft. Aber von dieser allgemeinen Kraft des Wortes redet der Apostel nicht, wenn er sagt, daß die Predigt von Christo an den Herzen seiner Korinther kräftig geworden sey. Er will nicht sagen, daß das Wort sie bloß unruhig gemacht, und einen Eindruck auf ihr Herz hervorgebracht habe, sondern er will sagen: daß die Predigt von Christo Raum in ihren Herzen gewonnen habe, von ihnen sey aufgenommen worden als ein Same der Wiedergeburt, daß der Geist Gottes die Herzen seiner Gläubigen vom Tode zum Leben gebracht, und durch das Wort Gottes zu neuen Menschen umgewandelt habe. „Die Predigt von Christo ist kräftig geworden in euch“; heißt also so viel: „ihr seyd durch diese Predigt aus Knechten der Sünde und des Todes zu Kindern der Gerechtigkeit und des Lebens, aus Sklaven des Teufels zu Liebhabern JEsu umgeschaffen, aus der Obrigkeit der Finsterniß in das Reich des Lichts versetzt worden; ihr seyd neue Menschen, ihr seyd Christen geworden; wer aber in Christo ist, der ist eine neue Kreatur; „denn das Alte ist vergangen, es ist Alles neu worden.“ –

Aber es ist etwas gar Seltenes, daß das Wort also kräftig und lebendig wird, daß es eine solche neue Geburt und gänzliche Umwandlung nach sich zieht. Der Heiland selbst theilte einst die Hörer Seines Wortes in vier Klassen, und nur vom vierten Theil der Hörer des Wortes sagt Er: daß es in ihnen Früchte getragen habe. Doch auch ich werde wohl meine Zuhörer in dieselben vier Klassen eintheilen dürfen, und will es thun, ob etwa dadurch Manchen unter uns sein Herzenszustand offenbar werden. – Der Heiland sagt: „Es gieng ein Säemann aus, zu säen den Samen, und indem er es säete, fiel Etliches an den Weg, und ward zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen es auf.“ Sollten nicht auch unter uns Solche seyn, bey welchen das große Wort von der Gnade Gottes in Christo, das Wort vom ewigen Leben und vom ewigen Tode bloß auf die Oberfläche ihres Herzensbodens fiel, ohne von ihnen verstanden und begriffen zu werden, so daß der Teufel es wieder wegnahm, und die Kraft desselben verloren gieng, ehe sie sich es versahen? – Man ist etwa in der Kirche, und hört ein Wort, dessen Wahrheit man Recht geben muß, aber man denkt nicht an sich, sondern an seinen Nachbar; man denkt: dieses Mal hat der Prediger es den Leuten recht gesagt! und dann geht man davon, und bleibt, was man vorher war, d.h. ein armer, unbegnadigter, in Sünden und Uebertretungen todter Mensch. O wie Vielen von uns ist es schon recht deutlich gesagt worden, wo der Weg hinausgehe nach dem ewigen Leben, nach dem neuen Jerusalem, so daß sie den Weg finden müssen, wenn sie ihn wandeln wollen; aber an Vielen ist das Wort verloren; sie haben Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören nicht; sie haben es noch nicht verstanden; sie haben es noch nicht einmal gefaßt. Und warum seyd ihr denn bis jetzt todt geblieben in Sünden, warum habt ihr das große Wort der Wahrheit, das Wort, worüber die arme Menschheit in Staub niedersinken sollte dankend und anbetend, bisher nicht zu Herzen genommen? warum hat es keine Kraft an euch bewiesen? warum habt ihr es nicht verstanden? Ich will es euch klar und deutlich sagen, woher es kam, daß ihr bisher nicht recht gehört habt, daß ihr umsonst gebetet, umsonst gelesen, umsonst gehört und keinen Eindruck verspürt habt. Das hat Satan nicht zugelassen; denn so spricht der Heiland: „der Arge kommt und nimmt es von den Herzen weg.“ So steht ihr in seiner Gewalt, daß er das Wort der Wahrheit in euch nicht kräftig werden lässet, daß eure Ohren verstopft und eure Augen verblendet sind, daß ihr mit sehenden Augen nicht sehet, und mit hörenden Ohren nicht höret. Ach, daß ihr einmal eure Teufelsstricke zerhauen ließet durch das Schwert des Geistes Christi, ach, daß ihr einmal zum Heiland kämet. – Ach, so komm doch, liebe Seele, wir wollen zum Heilande gehen; wir wollen zu dem Gott Jakobs gehen, da wirst du Frieden finden. Er ist gekommen, die Gefangenen Zions zu erlösen, den Blinden die Augen aufzuthun, und Sein „Hephata“ auszurufen über Die, welche nach Licht und Erlösung seufzen.

„Etliches vom Samen aber fiel auf einen Felsen, und da es aufgieng, verdorrete es darum, daß es nicht Saft hatte.“ Dieß sind Die, welche das Wort mit Freuden annehmen, und nicht Wurzel haben, eine Zeit lang glauben, und zur Zeit der Anfechtung abfallen. Es gibt Herzen, liebe Zuhörer, die einen Felsengrund in sich haben, über den aber eine weiche Empfänglichkeit und Reizbarkeit hergegossen ist; sie werden leicht gerührt und erschüttert; sie geben dem Worte alsobald Recht; sie nehmen es auf und bringen Frucht; der Same geht lustig auf; es ist eine Freude zuzusehen, wie sie einen schönen Anfang machen, und es scheint, als ob Alles bey ihnen gewonnen wäre. Doch der schnelle Anlauf wird bald matt und immer matter, wenn Anfechtung kommt, wenn es etwas zu verläugnen gibt, wenn der alte Mensch soll daran gegeben werden, wenn man um Christi willen etwas leiden soll, wenn man eine Lust durch Christi Kraft zerbrechen soll; ja, dann sieht man, daß das Wort noch keine Wurzeln unter sich geschlagen hat; dann sieht man, daß solche Menschen in immer steigender Lauheit und Trägheit sich dahin schleppen; das innerliche Leben trocknet immer mehr aus; es hat keinen Zufluß aus der Kraft Christi, und so kommt es, daß es endlich verdorrt und erstirbt. Ich muß euch bekennen, daß ich glaube, von dieser Art seyen Viele unter uns, und mein Hauptwunsch ist, daß doch Alle möchten ihren Grund tief legen lassen, und Diejenigen unter uns, die zu einigem Leben erwacht sind, möchten sich nicht mit ein paar guten Gefühlen und Rührungen begnügen, und dieß für ihr Christenthum halten, sondern trachten, daß sie rechtschaffen werden vor dem HErrn. Ach, ich fürchte für Viele, es möchte von ihnen heißen: sie sind lustig aufgegangen; es war eine schöne Blüthe da: aber sie sind verwelkt und verdorret. Es ist zwar eine große Gnade, wenn einige Funken göttlichen Lebens in unsere Seelen fallen; aber begnüge sich doch Keines damit: denn wir müssen ein ganzes Eigenthum Christi, Er muß unser Ein und Alles werden.

„Etliches aber fiel unter die Dornen, und die Dornen giengen mit auf und erstickten es.“ Dieß sind die sorgen, der Reichthum und die Wollust dieses Lebens. Ach, wie viel gibt es dieser Dornen! Da sind die Sorgen der Nahrung; da ist Betrug des Reichthums; da ist die anziehende Kraft der irdischen Dinge; da sind die Freuden und Vergnügungen dieser Welt, Augenlust und Fleischeslust; da ist Hochmuth und Geiz. Mit diesen Dingen ist das Herz angefüllt, und so hört man nun das Wort; es macht keinen Eindruck; es kommt nicht zur Kraft, und es bleibt Alles, wie es war, ja, es bleibt nicht einmal so, sondern es wird noch schlimmer; denn wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausfährt und eine Zeit lang zurückgedrängt wird, so „durchwandelt er dürre Stätte, suchet Ruhe und findet sie nicht; darum kehrt er um in sein Haus, aus dem er gegangen ist, und wenn er kommt, so findet er’s mit Besemen gekehret und geschmückt; dann gehet er hin, und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger sind denn er selbst, und sie wohnen da, und wird hernach mit demselben Menschen ärger, denn es zuvor war.“ Z.B. du bist jetzt in der Kirche, wo dir der Geist Gottes vielleicht sagt: eile und errette deine Seele. Nun gehet man aus der Kirche, nun fähret in die Seele sogleich dieser oder jener Plan hinein: dahin will ich heute gehen oder dorthin; man geräth in ein Geschwätz hinein, man redet dieß oder das, man läßt seiner Zunge im Reden über Dinge dieser Welt freien Lauf; so verschwatzt man die beste Kraft des Eindrucks, die Dornen des Weltlebens ersticken den Samen, und man wird nur stumpfer gegen fernere Eindrücke. So wird man denn wieder hineingezogen in den weltlichen Strudel und in den Schlendrian des täglichen Einerley, so daß man seine edle Gnadenzeit elendiglich vergeudet, keinen Ernst anwendet im Ringen nach der Seligkeit, und zuletzt mit Schmerzen bedauert, in dieser Welt vergeblich gelebt zu haben. Das Herz bleibt voll Hochmuth, voll Eigenliebe, voll Anhänglichkeit an das Irdische; und weil die Seele eine Behausung des Teufels ist, so ist kein Plätzchen mehr da für Christum und Sein Wort; und wenn ein Sämlein desselben hineingefallen war, so wird es wieder ausgerauft und erstickt. Frage dich doch einmal, was ist denn der Hauptgedanke, der dich begleitet Tag für Tag, was trägst du denn in deinem Sinne, was beschäftigt dich denn Tag und Nacht, was treibt dich um? Ist’s Gott oder die Welt? Fleisch oder Geist? Vergängliches oder Ewiges? Christus oder Belial? Ach, ist es Der nicht, der es allein werth ist, daß Ihn jeder Blutstropf’ ehre, ist’s Er nicht, so haben die Dornen noch die Oberhand in deinem Herzen; und so lange dieß der Fall ist, so lange kann man auch nicht sagen: die Predigt ist kräftig geworden in dir; so lange kann man auch keine gute Hoffnung von dir haben.

„Etliches aber fiel auf ein gut Land, gieng auf, und trug hundertfältige Früchte in den Seelen, die das Wort hörten und behalten in einem feinen guten Herzen.“ Und das sind Diejenigen, in welchen das Wort Gottes kräftig geworden ist. Das sind aber seltene Seelen, die das Eine, was noth thut, ihr Hauptbestreben seyn lassen, die nicht eher nachlassen, zu bitten und zu flehen, bis das Wort kräftig, und alle andere fremdartige Kraft aus ihren Herzen werde. Doch ich will dir, lieber Zuhörer, eine Frage, an deren Beantwortung du bald ein Kennzeichen haben sollst, ob das Wort in dir kräftig geworden ist oder nicht: Setzest du dein Christenthum in allerhand Gefühle und Wissenschaften vom Wege des Heils, oder ist ein Trieb in dir, im täglichen Leben Treue zu beweisen bey deinen Geschäften und Arbeiten, mögen sie auch noch so geringfügig seyn, kurz, in deinem ganzen Thun und Lassen den Namen des HErrn zu verherrlichen? Willst du dich dadurch als einen Christen beweisen, daß du in den Augen deiner Mitbrüder hoch stehest, und dich vor ihnen auszeichnest, oder bist du auch da, wo dich Niemand siehet, und in deinem Herzen, in das Niemand hineinschauet, ein wahres Kind Gottes, ein Nachfolger des Heilandes? Frage dich, hast du auch einen Kampf in dir mit dir selbst, und bedarfst du dabey des HErrn als deines Helfers, und kennst du Ihn als Rath, Kraft und Held? Frage dich, wirst du in deinen eigenen Augen kleiner oder größer? – Stößt dich die Predigt vom Kreuze Christi ab, oder zieht sie dich an? Je nachdem du nun diese Fragen beantworten kannst, ist auch das Wort Gottes bey dir kräftig geworden oder nicht. Von solchen Seelen aber, bey denen das Wort Wurzel geschlagen hat, darf man gute Hoffnung haben. Denn es gibt einen Grund, der auf Christo, der auf den ewigen Friedensgedanken Gottes, auf dem Rathschlusse der Liebe Gottes ruht. Wer aber auf diesem Grunde ruht, von dem kann man gute Hoffnungen haben.

II.

In wem einmal das Wort Gottes kräftig geworden ist, bey dem geht das Werk des Heiligen Geistes nicht mehr zurück, sondern vorwärts; solche rechtschaffenen Seelen werden je mehr und mehr gegründet, und endlich als volle Garben in die Scheunen des himmlischen Vaters gesammelt werden. Sollten Solche unter uns seyn, die da zaghaft sind, und in ihrem Herzen sprechen: ich bin noch weit zurück; es steht noch zu elend in meinem innerlichen Leben; ich bin noch zu schwach und nicht erstarkt; es ist mir bange, ob ich auch Treue beweisen werde bis an’s Ende; sollten solche Seelen unter uns seyn, so rufe ich ihnen zu: „seyd getrost!“ Derselbe, der das Werk in euch angefangen, der diese Furcht und das Verzagen an eigener Kraft in euch gewirkt hat, der wird auch die Sache hinausführen, und euch fest behalten bis an’s Ende. Fürchtet euch nicht, lasset nur Ihn walten; lasset nur Ihn sorgen; Er wird euch schon leiten und reinigen, und Seine Verheißung erfüllen, die Er gegeben hat: „Einen jeglichen Reben an mir, der da Frucht bringet, will ich reinigen, daß er mehr Frucht bringe.“ Trauet nur auf die Gnade, denn

Auf Gnade darf man trauen,
Man traut ihr ohne Reu’,
Und wenn uns je will grauen,
So bleibt’s, der HErr ist treu.

Freilich, wenn man die Welt ansieht, und sein eigenes Herz kennt, wenn man die Pfeile Satans empfindet, wenn man siehet die Verführung und die Stunde der Versuchung, und wie das arme Herz so geschwind davon hingenommen wird, und wie es so wetterwendisch ist, - da könnte es einer redlichen Seele bange werden, sie könnte denken: ich habe zwar wohl einen Bau angefangen, werde ich ihn aber auch hinausführen können? Aber sey nur getrost, du darfst es ja nicht hinausführen, - denn dann freilich wäre es weit gefehlt, - sondern Der, der es angefangen hat, der will es thun;

Und fragst du, wer Der ist?
Er heißt JEsus Christ,
Der HErr Zebaoth,
Und ist kein and’rer Gott,
Das Feld muß Er behalten.

Der HErr ist treu, ja wohl treu, gnädig und barmherzig ist der HErr, geduldig und von großer Güte. Wie treu ist Er in Aufsuchung Seiner Schafe; wie treu geht Er ihnen nach, wenn sie sich in der Irre befinden, und läßt Seine Stimme erschallen über Berg und Thal: „kehre wieder, du abtrünniges Israel.“ Wird Er Seine Treue nicht auch kund thun in der Bewahrung Seiner Schafe, die Er Sich gesammelt hat? Ist der himmlische Gärtner so treu und sorgsam in der Einsenkung des Samens, wie treu wird Er seyn in der Verwahrung, in der Verpflegung auch Seiner schwächlichsten Pflanzen? Denke zurück an deine Taufe, in der Er den Bund mit dir beschworen, und dir verheißen hat: „es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber Meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund Meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HErr, dein Erbarmer.“ Denke zurück an dein früheres Leben, findest du nicht viele Proben Seiner Treue, die deine Untreue tief beschämen? Denke zurück an die Zeit, da Er an dein Herz trat; beugt es dich nicht in den Staub, daß Er einem solchen schnöden Sünder an’s Herz getreten ist, daß Er dich gesucht hat, da du noch im Finstern wandeltest? Ja, Gott ist getreu.

An meiner Treue fehlt zwar Mancherley,
Er wußt’ es, der mit mir den Bund gemacht,
Und der mein Elend pünktlich überdacht,
Und schenkt mir doch das Wort: Gott ist getreu!

Ja, Gott ist getreu; denn Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lässet für seine Feinde, und das hat Er gethan. Was ist treuer als eine Mutter gegen ihr Kind? Er aber versichert: Wenn ein Weib ihres Kindleins vergäße, und sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes, so wolle Er doch dein nicht vergessen; denn in Seine Hände habe Er dich gezeichnet. Ach, lieber Mensch! verzagter Mensch! blöder Mensch! der du zweifelst, ob Er das angefangene Werk hinausführen könne, siehe doch Seine durchgrabenen Hände und Seine Liebe an: kannst du noch einen Augenblick daran zweifeln, ob Er sich als der rechte Josua an dir erweisen, und dich heraus, hindurch, hineinführen werde in’s Land der Verheißung?

Doch die Treue des HErrn preise ich nicht deßwegen, damit ich ein Ruhepolster unterschiebe den faulen Geistern; denn es bleibt dabey: „wer nicht an Ihm bleibet, der wird weggeworfen wie eine Rebe, und muß brennen.“ Aber bewundernd und staunend muß jeder Christ, wenn er seinen Lauf überdenkt, die Treue Gottes rühmen, die alle Tage neu über ihm gewesen ist. Und was wird es seyn an dem Tage JEsu Christi, wenn die Kinder Gottes durch alle Klippen und Stürme hindurch im Ruheport angelangt sind, und von allen Gefahren erlöst, und auf dem so schmalen Pfade, von der Gnade mütterlich bewahrt, die Treue und das Erbarmen Gottes im Zusammenhang und Ueberblick erkennen, und im Staube verehren werden? Ja, JEsus Christus gestern und heute, und Derselbe in Ewigkeit, ist der ewig Treue, und

So lange JEsus bleibt der HErr,
Wird’s alle Tage herrlicher.

Seine Schafe wird Er sicher hindurchbringen in das neue Jerusalem, und wird sie waiden auf den grünen Auen des ewigen Lebens.

O HErr JEsu, Du großer Hirte und Bischof Deiner Schafe, behalte Alle, die Dir zugehören, unsträflich bis auf den Tag Deiner Zukunft! Reiße alle Sünder heraus aus ihrer Kälte gegen Dich, aus ihren Unglauben, aus ihrer Lieblosigkeit, und laß bald Dein Feuer brennen auf Erden. Siehe gnädig auf uns Alle hernieder, Du treuer Gott, und laß Deine Treue gegen Dich verbleiben bis zum Tode, auf daß Du uns die Krone des ewigen Lebens geben könnest! Amen.

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