Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage der Apostel Philippus und Jakobus

Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage der Apostel Philippus und Jakobus

1) Von der Kindschaft Gottes.

Text: Röm. 8,12-17.

So sind wir nun, lieben Brüder, Schuldner, nicht dem Fleische, daß wir nach dem Fleisch leben. Denn wo ihr nach dem Fleisch lebet, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tödtet, so werdet ihr leben. Denn welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtlichen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten müßtet: sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Derselbige Geist gibt Zeugniß unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi; so wir anders mit leiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhaben werden.

Vor nicht langer Zeit haben wir in einer unserer sonntäglichen Betrachtungen dreierley Klassen von Menschen unterschieden: erstens nämlich solche, die im Reiche des Lichtes, zweitens solche, die im Reiche der Finsterniß sich befinden, und drittens dann solche, welche im Uebergang aus dem Reiche der Finsterniß in das Reich des Lichts begriffen sind. In unserer Abend-Lection finden wir wiederum dreierley Gattungen von Menschen: für’s Erste nämlich solche, in welche der kindliche Geist gepflanzet ist, durch welchen sie rufen: „Abba, lieber Vater!“ und dieß sind die wiedergebornen Christen; für’s Zweite solche, die noch in dem knechtischen Geiste unter dem Gesetze gefangen liegen, und dieß sind die Menschen des Alten Testaments, welche unter dem Gesetze des Buchstabens sich sehnen nach der Freiheit der Kinder Gottes, und drittens endlich solche, die weder den kindlichen Geist empfangen, noch sich unter das Gesetz geschmiegt haben, und dieß sind die, welche im Fleisch leben, und des Fleisches Geschäfte vollbringen. Es ist nun eine sehr wichtige Frage, die ein Jeder an sein eigenes Herz machen sollte: zu welcher Klasse gehöre ich? Habe ich den kindlichen Geist empfangen, der das Abba ruft? oder bin ich noch unter das Gesetz verschlossen? oder bin ich noch ferne von der Wahrheit Gottes, ihr Feind und Widersacher? Zu richtiger Beantwortung dieser hochwichtigen Frage wollen wir in dieser Gott geweiheten Stunde unter Seinem Beistande weiter reden:

Von der Kindschaft Gottes,

und zwar

  • I. von der hohen Gnade,
  • II. von einigen Merkmalen dieser Kindschaft.

HErr, unser Gott! wir bitten Dich, mache uns zu Kindern, zu Deinen Kindern in der That und in der Wahrheit, auf daß wir mit freudigem Aufblick zu Dir sprechen können: „Abba, lieber Vater!“ Reiße uns Alle aus der Gottlosigkeit, aus dem knechtischen Geiste heraus, zerstöre durch Dein Evangelium und durch Deinen lieben Sohn Alles, was uns hindert, Dir allein zu leben, auf daß wir als Deine Kinder Dir leben, leiden und sterben! Amen.

I.

„Sehet, welch’ eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen!“ so ruft mit großer Inbrunst des Geistes der Apostel Johannes seinen Lesern zu. Sehet doch (er will damit ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen), sehet doch, wie groß, wie unübersehbar diese Liebe ist; achtet doch auf die Länge, Breite, Höhe und Tiefe dieser Liebe; ihr werdet sie nicht ermessen können, sie wird euch immer anstaunungswürdiger erscheinen; sie wird euch immer mehr zur Beugung bis in den tiefsten Staub gereichen; je mehr und mehr wird es euch mit staunender Bewunderung erfüllen, wenn ihr bedenket und erwäget, was mit euch vorgegangen ist, daß ihr nur durch das ewige Erbarmen Kinder Gottes geworden seyd, daß euch die Macht gegeben ist, Kinder Gottes zu heißen, ja, daß ihr diesen Namen mit Fug und Recht führen, und ihn vor aller Welt, vor allen Engeln und Teufeln, und sogar vor dem HErrn selbst am großen Gerichtstage kühn behaupten dürfet. Aber, möchte vielleicht Einer fragen: Ist es denn um die Kindschaft Gottes etwas so Großes, daß der Apostel Johannes ihrethalben einen solchen – ich möchte fast sagen – Triumph- und Lob-Gesang anstimmt? Ja, wir mögen die Sache von einer Seite betrachten, von welcher wir wollen, so müssen sagen: Es ist etwas Großes, es ist etwas Erstaunliches, es ist etwas, das keines Menschen Herz, das keines Engels Geist zu fassen und zu begreifen vermag, daß wir Gottes Kinder sollen heißen.

Wir sollen Gottes Kinder heißen? Wir? Und wer sind denn wir? Ist es denn möglich, eine so elende Kreatur, wie der Mensch ist, soll dieser hohen Ehre theilhaftig seyn? O darin liegt etwas, was kein Verstand ermessen, keine Zunge aussprechen kann. „Wer bin ich, HErr, Herr, was ist der Mensch, daß Du sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß Du Dich seiner annimmst?“ ja, nicht nur gedenkst, nicht nur annimmst, sondern ihn zur Kindschaft gegen Dich selbst verordnet hast? Ein schnöder Sünder, eine Kreatur, die nicht werth ist eines einzigen Gnadenblicks ihres Gottes, ein Geschöpf, das mit Ketten der Finsterniß umstrickt ist, und sich in seiner eigenen Finsterniß und Feindschaft gegen den Allmächtigen wälzt: der Mensch, so erbärmlich, und doch so stolz, so arm, und doch so hoffärtig und empörerisch, so hülfsbedürftig und doch ein Verächter der Gnade, bei welchem es viel Zucht und Arbeit des Geistes kostet, bis er nur an ihr froh wird, bis er nur aufhört, ihr Verächter zu seyn, und ein so stolzer Sünder, ein so hochmüthiges, satanisches Sündergeschlecht soll zur Kindschaft Gottes berufen seyn, und zwar zur Kindschaft des Gottes, der da heilig ist, vor dem die Seraphim ihr Angesicht bedecken, des Gottes, gegen Den wir uns empört haben, aus Dessen heiliger Ordnung wir gewichen sind, zur Kindschaft Dessen, Den es ein Wort kosten würde, das ganze Geschlecht zu verteidigen, oder in den untersten Abgrund der Hölle zu verstoßen, wohin wir von Rechts wegen gehörten, zur Kindschaft des allmächtigen und heiligen Gottes sollen die Sünder berufen seyn, wer kann das fassen? O bedenke doch, armes, ungläubiges Herz, diese erstaunungswürdige Herablassung zu dir!

Er schämt sich nicht, dem armen Thon
Den Unflath abzuwaschen,
Verächter ohne Dank und Lohn
Mit Liebe zu erhaschen.

Wenn die ungefallenen Geister, wenn die Morgensterne zusammen kämen, um Gott zu loben, wo sollte dann der Sünder bleiben, der schnöde Sünderhaufen, der sich freiwillig aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen hatte, der in freiwillige Empörung gegen Gott getreten war? Ach, nur Schande und Schrecken müßte ja sein Loos seyn; nur ein schreckvolles Erzittern vor dem Angesichte Dessen, der auf dem Stuhle sitzt. Wenn alle Geschöpfe sich ihres Schöpfers gefreut hätten, so wäre der Mensch ausgeschlossen gewesen, und zwar von Rechts wegen. Nun aber ist es ganz anders geworden.

Ich habe nichts als Zorn verdienet,
Und soll bey Gott in Gnaden seyn,
Gott hat mich mit Ihm selbst versöhnet,
Und macht durch’s Blut des Sohns mich rein;
Wo kam dieß her, warum geschieht’s?
Erbarmung ist’s und weiter nichts!

Ach, es war freilich keine so geringe Sache, schnöde Sünder wieder zur Kindschaft zu führen. Ein dreyunddreißigjähriger Lauf des Sohnes Gottes durch die Welt in Niedrigkeit und Verachtung, in Schmach, Hohn und Spott, ein heißer Kampf in Gethsemane und auf Golgatha, ein blutiger Schweiß und grauenvoller Tod; - das Alles ist ein großer Zeuge dafür, was es gekostet hat, schnöde Sünder zur Gemeinschaft Gottes zurückzuführen; es erforderte einen ganz neuen Haushalt im Reiche Gottes, den Haushalt der Gnade; es erforderte die tiefste Aufopferung des Sohnes Gottes; es erforderte, daß der Fürst des Lebens Höllenangst und den Tod selber schmeckte; es erforderte Dinge, welche zu beschreiben und zu preisen die Ewigkeit zu kurz ist.

Das Alles hat Er uns gethan,
Sein’ große Lieb’ zu zeigen an,
Deß freut sich alle Christenheit,
Und dankt es Ihm in Ewigkeit.

Wir mögen nun hinblicken, wohin wir wollen, auf unsere Schnödigkeit und Sündhaftigkeit, oder auf die Herablassung des barmherzigen Gottes, der sich unserer nicht schämet, oder auf die große Gnaden-Anstalt, wodurch wir zur Kindschaft Gottes erworben und erkauft sind; wir mögen uns hinwenden, wohin wir wollen, dieß Geheimniß ist uns zu tief, solche Erkenntniß ist uns zu wunderlich und zu hoch, wir können’s nicht begreifen. Kinder Gottes sollen wir werden, gibt es eine größere Ehre? Sehet an die Kinder der Fürsten und Gewaltigen, wie hoch sind sie gehalten, wie fürstlich werden sie behandelt! Aber ein Kind Gottes, ein Kind des Allerhöchsten zu seyn, das übertrifft weit alle menschliche, alle weltliche Ehre, und dieser Würde können auch Solche theilhaftig werden, welche einhergehen in Lumpen und in der tiefsten Verachtung, welche die hochmüthige Welt ausweist aus ihrer Mitte.

Alles Ehre ist zu wenig,
Wenn man das dagegen stellt,
Daß der Ewigkeiten König
Uns für Seine Kinder hält.

Kinder Gottes – gibt es ein lieblicheres Verhältniß als das, welches zwischen einem Kinde und einem wohlwollenden Vater Statt findet? Sind wir denn Kinder, so ist Er der Vater, der himmlische Vater und Erbarmer, so darf das Herz Ihn als Vater und Erbarmer anrufen, und zutrauensvoll und keck alle seine Sorgen, alle seine Anliegen in das Herz des Vaters senken, so geht es dann, wie Luther gesungen hat:

Wir schauen hinauf,
Der Vater herab,
An Lieb’ und Gnade geht uns nichts ab,
Bis wir zusammen kommen.

O was muß es doch seyn um ein Herz, in welchem diese Kindschaft vollkommen offenbar ist, wo keine knechtische Furcht mehr herrschet, sondern ein völliges ungezweifeltes Zutrauen, eine Freudigkeit, die alle Noth und alle Angst verschlingt, ja auch eine Freudigkeit auf den Tag des Gerichts. Wie, mein lieber Mitbruder, möchtest du nicht auch dieses Glückes theilhaftig werden, gelüstet es dich nicht auch, aus deinen finstern, ungläubigen Herzensgedanken in das heitere, freundliche Licht der Kindschaft versetzt, und von ihrem milden Strahle erwärmt und erhellt zu werden?

Freilich, wer den Fluch des Gesetzes noch niemals gefühlt hat, wen das knechtische Joch noch niemals gedrückt hat, der wird wohl schwerlich das Glück erwägen können, das die Kindschaft Gottes mit sich bringt. Darum rede ich auch nicht zu euch, ihr Gottlosen, die ihr noch nicht einmal den knechtischen Geist empfangen habt, sondern noch ohne Gott, noch ohne Gesetz, ohne dem Willen Gottes gehorsam zu seyn, in der Welt lebet, die ihr kein höheres Gesetz kennet als eure eigene Lust und Begierde, die ihr keine andere Regel kennet, wornach ihr euer Leben einrichtet, als euer eigenes Gutdünken und die sündlichen Gewohnheiten eures Fleisches und der Welt; nicht zu euch wende ich mich, die ihr dahin gehet in eurem eiteln Sinne, die Oberherrschaft Gottes noch nicht anerkannt, euren steifen Nacken noch nicht gebeugt habt unter den Gehorsam der Wahrheit; zu euch nicht, die ihr euer eigenes Gesetz, eure eigene Tugendvorschrift euch gesetzet, aber das Gesetz des lebendigen Gottes verschmähet habt; sondern zu euch, die ihr mühselig und beladen seyd, die ihr im knechtischen Geiste bis jetzt gewandelt, und mit der Kreatur geseufzt, und euch gesehnt habt nach der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Ihr seyd ja gewöhnlich recht mühselig und beladen; ihr habt doch wohl in dem Gesetze und in euren Bemühungen, demselben gehorsam zu seyn, bis jetzt keinen Frieden gefunden; es ist ja doch wohl unter dem Gesetze eure Feindschaft gegen Gott recht hervorgebrochen und offenbar geworden. O ihr gebeugten Knechte des Gesetzes, ihr leidtragenden Kinder des Höchsten, euch möchte ich eine recht lebendige Beschreibung geben können, was es heißt, ein Kind Gottes zu seyn; euch möchte ich reizen und locken können, ob ihr etwa durch die Gnade Gottes den Sprung wagen möchtet aus der Knechtschaft in die Freiheit der Kinder Gottes. Ach, bedenket es doch, wir sind nicht dazu verdammt und verflucht, in diesem knechtischen Geiste, in dieser Feindschaft, in diesen sich unter einander verklagenden und entschuldigenden Gedanken, in diesem innerlichen Grimme des Gesetzes, wodurch es an unserem innersten Lebensmarke nagt, zu bleiben: nein, es ist noch eine Ruhe vorhanden, wir können, ja, wir können noch Kinder werden, wenn wir uns einfältig machen lassen durch den Geist der Wahrheit; wir können noch mit ganzem Herzen das Abba rufen lernen, wir können noch dahin kommen, daß wir mit jenem Liede singen:

Was freut mich noch, wenn Du’s nicht bist?
HErr Gott, der doch mir Alles ist,
Mein Trost und meine Wonne.
Bist Du nicht Schild, was decket mich?
Bist Du nicht Licht, wo finde ich
Im Finstern eine Sonne?
Keine reine, wahre Freude,
Auch im Leide,
Auch für Sünden,
Ist, HErr, außer Dir zu finden.

Was freut mich noch, wenn Du’s nicht bist?
Mein HErr, Erlöser, JEsu Christ?
Mein Friede und mein Leben.
Heilst Du mich nicht, wo krieg’ ich Heil?
Bist Du nicht mein, wo ist mein Theil?
Gibst Du nicht, wer wird geben?
Meine Eine wahre Freude,
Wahre Waide,
Wahre Gabe
Hab’ ich, wenn ich JEsum habe.

O, was ist es doch für eine große Gnade, ein Kind Gottes zu seyn, in der Huld des treuesten Vaters zu stehen! wie erhält man unter dieser Gewißheit das ganze Leben eine ganz andere, höhere Bedeutung! wie nimmt man das Erfreuliche so gern aus der Hand des Vaters an, und ist in allen Dingen kindlich dankbar! So lange man unter dem Gesetze seufzt, kann man nicht danken, das Herz ist verschlossen, der Mund ist verstummt, man kann nicht mit David sprechen: „Es ist ein köstlich Ding, dem HErrn danken, und lobsingen Deinem Namen, Du Höchster!“ Nur wann man den kindlichen Geist empfangen hat, wann das Abba ertönet im Herzen, dann kann man dem Vater der Barmherzigkeit für das Kleine und Geringe eben so kindlich, eben so inbrünstig danken wie für das Große. Aber auch die Leiden, wie ganz anders sieht man auch sie an! Gleich nach unsern Textesworten ruft der Apostel Paulus mit großer Glaubens-Freudigkeit aus: „Ich halte dafür, daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht werth sind, die an uns soll offenbar werden.“ Ein Kind Gottes darf es freudig sich zurufen: Derjenige, der mit den Sohn geschenket hat, Derjenige, der der rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, Derjenige, der mich in Christo geliebet hat vor Grundlegung der Welt, Er sollte es böse mit mir meinen? Er sollte mir etwas zuschicken, was nicht zur Beförderung meines wahren Heils diente, Er sollte mich verlassen, wenn die Noth am größesten, Seine Hülfe also am nothwendigsten ist? Nein, nein, das thut Er nicht, ich weiß, daß meine Haare auf meinem Haupte gezählet sind; Er ist mein Vater in Christo; zwar bin ich’s nicht werth, aber Er hat sich doch meiner angenommen aus freiem, unergründlichem Erbarmen, Er hat, da ich in meiner Sündennoth zu Ihm schrie, mir die Sonne Seiner Gnade und Gerechtigkeit aufgehen lassen, und das Verdienst Seines Sohnes meinem Glauben zugeeignet; jetzt wird Er mich zwar in schwerer, aber doch geringerer Noth nicht verlassen, noch versäumen; Er hat es mir ja beschworen: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.“

Ist Gott für mich, so trete
Gleich Alles wider mich;
So oft ich ruf’ und bete,
Weicht Alles hinter sich;
Hab’ ich das Haupt zum Freunde,
Und bin geliebt bey Gott,
Was kann mir thun der Feinde
Und Widersacher Rott’?

Nun weiß und glaub’ ich feste,
Ich rühm’s auch ohne Scheu,
Daß Gott, der Höchst’ und Beste,
Mir gänzlich gnädig sey,
Und daß in allen Fällen
Er mir zur Rechten steh’,
Und dämpfe Sturm und Wellen,
Und was mir bringet Weh.

So denkt ein Kind Gottes unter den Leiden dieser Zeit; denn wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet, und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibet, der spricht zu dem HErrn: „Meine Zuversicht, meine Burg, mein Schutz, mein Fels, mein Erretter, meine Zuflucht, mein Gott, auf den ich hoffe.“ Freilich ist es nicht immer gleich hell und lichte in der Seele; die feurigen Pfeile des Bösewichts dringen auch noch manchmal ein auf sie; sie wird auch noch hin und her geworfen durch die Stürme des Lebens; aber Eines bleibt ihr doch feste stehen; „wenn auch Leib und Seele verschmachten“ – spricht sie mit Assaph – „so bist doch Du, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theils.“ Denn dieß ist das Vorrecht des Geistes der Kindschaft.

„Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, so wir anders mit leiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“ Gottes Erben und Miterben Christi – welche Ehre für einen schnöden Sünder, für eine arme Creatur, daß sie in ein ewiges, unvergängliches und unverwelkliches Erbe versetzt werden soll. Freilich ist es noch nicht erschienen, was wir seyn werden; wir wissen aber, daß, wenn es erscheinen wird, wir Ihm gleich seyn werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. Jetzt ist die Herrlichkeit der Kinder Gottes noch verborgen unter der Larve des Kreuzes; jetzt scheinen die Kinder des Höchsten noch verächtliche Lichter zu seyn in dieser Welt; aber auch bey dem König der Herrlichkeit war es nicht anders, Seine Herrlichkeit war verdeckt; tiefe Schmach und Verachtung verbarg sie den Augen der Menschen, und so soll es auch noch jetzt seyn bey Seinen Gliedern; wer die Schmach Christi nicht höher achtet als die Ehre bey Menschen, ist nicht werth, ein Kind Gottes zu heißen. Wir müssen mit Ihm hinausgehen vor das Thor aus der heiligen Stadt, und Seine Schmach tragen. Wenn aber JEsus sich offenbaren wird in Herrlichkeit, so wird auch die Herrlichkeit der Kindschaft hervorbrechen in Siegesklarheit; da wird an einem Jeglichen erfüllt werden, was der HErr gebeten hat: „Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bey mir seyen, die Du mir gegeben hast, auf daß sie meine Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast.“ Da wird es klar werden, wer sie waren, wenn das große Erbe ihnen zugetheilt, und ein Jeder seine Mitgabe empfangen wird in dem herrlichen Königreich des großen Gottes und unsers HErrn JEsu Christi. Dann wird das leichte und kurze Leiden, wenn sie anders mit Christo geduldet haben, in Herrlichkeit und ihr Kampf in die Krone der Ueberwinder verwandelt seyn.

Wenn Christus, ihr Leben, wird offenbar werden,
Wenn Er sich einst, wie Er ist, öffentlich stellt;
So werden sie mit Ihm, als Götter der Erden,
Auch herrlich erscheinen zum Wunder der Welt.

II.

Doch es fragt sich nun, und dieß ist wohl die Hauptfrage: Sind wir Alle, die wir hier sind, Kinder Gottes? Sind keine Kinder der Welt, sind keine Kinder des Teufels unter uns? Ich denke, es sollte einem Jeden daran gelegen seyn, zu prüfen, ob er auch zu den Kindern Gottes gehöre, ob er auch in der That und in der Wahrheit diesen hohen Vorzug sich aneignen dürfe. Deßwegen wollen wir uns einige Merkmale vorhalten, woran wir es erkennen können.

Vor Allem ist das natürlich, daß, wer ein Kind Gottes mit Recht heißen will, auch aus Gott geboren seyn muß.

Wer von Oben ist geboren,
Ist zu dieser Schaar erkoren.

Wer nicht aus Gott geboren ist, und rühmt sich dennoch, er sey Gottes Kind, der wird einst, wann der Heiland erscheinen wird, zwar zu spät, aber gewiß aus Seinem Munde vernehmen müssen: Ich kenne euch nicht, ihr nennet euch wohl Kinder Gottes, ihr wollet wohl des Erbes theilhaftig werden, das ich durch Leiden und Tod erworben habe, aber ihr habt ja das einzige Bewährungszeichen, daß ihr es seyd, ihr habt ja das Siegel der Kindschaft, die neue Geburt, nicht an euch. O frage dich doch, bist du im wahrhaftigen Sinne ein Kind Gottes? Kannst du in Wahrheit sagen: Er hat mich gezeuget durch das Wort der Wahrheit? Ist es dir gewiß, daß eine Wiedergeburt, eine gänzliche Umwandlung deines Dichtens und Trachtens, deines Denkens, Fühlens, Wollens und Handelns mit dir vorgegangen ist? Ist eine brünstige, wahrhaftige Liebe zu Gott in dir, bist du durch Buße und Glauben der Vergebung der Sünden theilhaftig und ein Eigenthum JEsu geworden? Sind die finstern, mißtrauischen Gedanken gegen Gott durch das Licht der Wahrheit verschlungen, bist du bey dem Heilande geblieben bis auf diese Stunde, als ein lebendiges Glied an Seinem Leibe? Streitest du gegen alle Götzen, die sich neben Ihm in deinem Herzen auf den Thron setzen wollen? Frage dich doch: wie steht es in dieser Rücksicht bey dir? Ach, so Viele rühmen sich der Kindschaft Gottes und nehmen es mit nichts leichter als mit dieser Auszeichnung. Das verstehe sich ja von selbst, meinen sie, daß jeder Mensch ein Kind Gottes sey, es sey Thorheit und Ueberspannung, wenn man glaube, daß man erst noch ein Kind Gottes werden müsse, Gott sey der Allvater, die Menschen Seine Kinder. Dieß ist die gegenwärtige Mode-Religion, die so leicht ist wie die Spreu, welche vom Winde zerstreut wird, die den Weg zum ewigen Leben sehr breit und bequem macht, und von keiner engen Pforte der Buße, des Glaubens, der Wiedergeburt etwas wissen will. Aber die Lügenpropheten mögen sprechen, was sie wollen, wer nicht in herzlicher Reue verlegen war um Gnade, und im Glauben durch den Heiligen Geist derselben theilhaftig geworden ist, der ist kein wahrhaftiges Kind des lebendigen Gottes.

In unserem heutigen Texte sind noch weitere Merkzeichen verzeichnet, an denen man die Kinder Gottes erkennen kann. „So sind wir nun, lieben Brüder, Schuldner, nicht dem Fleische“ – spricht der Apostel – „daß wir nach dem Fleische leben; denn wo ihr nach dem Fleische lebet, so werdet ihr sterben müssen, wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tödtet, so werdet ihr leben.“ Bey einem wiedergebornen Menschen nämlich ist eine Scheidung vorgegangen zwischen Fleisch und Geist; es ist etwas in ihm, das des Fleisches Geschäfte das heißt Alles das, was aus der alten adamischen Natur kommt, haßt, dagegen streitet, und dasselbige zu tödten und zu überwinden sucht. Da kann man nicht mehr so ruhig im Fleische fortleben; man kann nicht mehr ruhig fortsündigen, sondern jegliche Sünde, sey sie auch nur in Worten in Gedanken und Begierden, ist eine Last und Bürde, welche einem Kinde Gottes Schmerzen verursacht. Nun, lieber Mensch, wie steht es denn bey dir? Bereitet dir die Sünde wirklich Schmerzen in deinem Innern, oder klagt dich dein Gewissen an, daß sie dir noch keine ernstlichen Schmerzen bereite, daß du noch in einer heimlichen Liebe zu ihr, in einer geheimen Verbindung mit ihr stehest? Es gibt Leute, welche sich im Kampfe mit der Sünde, unter dem Gesetze außerordentlich abmühen, es ist ein redlicher Eifer in ihnen, dem Heilande nachzufolgen, aber durch den Geist Gottes wird es ihnen erst nachher offenbar, daß sie noch die Sünde lieb haben, und mit ihrem innersten Willen in sie verstrickt sind. Woher kommt das? Sie sind noch Knechte, aber keine Kinder, das Kindesrecht haben sie noch nicht erlangt, die Vergebung der Sünden im Blute Christi noch nicht geschmeckt.

Wer der Heiligung nachjaget,
Und hat kein versöhntes Herz,
Wen das Gewissen noch anklaget,
Das die Sünde ihm kein Schmerz,
Wen der Glaub’ an JEsu Wunden
Noch nicht froh und frey gemacht,
Und zur wahren Ruh gebracht,
Der hat das noch nicth gefunden,
Woraus nach den Schrift-Ideen
Wahre Menschen Gott’s entsteh’n.

„Welche der Geist Gottes treibet“ – fährt der Apostel fort – „die sind Gottes Kinder.“ Dieses Merkmal der Kindschaft Gottes fällt mit dem vorhergehenden fast in Eines zusammen. Ein Kind Gottes wird nicht vom eigenen Geiste regiert, der immer zu viel, oder zu wenig thut, und in leichtsinnige oder finstere Schwärmerey stürzt. Die falschen Vernunfts-Gedanken, durch welche die Feindschaft gegen den Heiland im Herzen aufgerichtet wird, die vielen guten, eigenliebigen Meinungen, die aus der alten Natur kommen, fallen bey einem Kinde Gottes nach und nach hinweg, wenigstens arbeitet der Geist der Wahrheit immer darauf hin, die Seele in’s Ganze der Wahrheit, in kindliche Einfalt und wahre Demuth, in Liebe Gottes und des Nächsten, in lebendige Erkenntniß ohne Grübeley hineinzuführen, also, daß das Licht in dem Inwendigen immer mehr wächst, und der Heiland immer größer, hehrer, anbetungswürdiger, der Mensch aber selbst in seinen Augen immer kleiner, elender und hülfsbedürftiger wird. Das ist das Regiment des Geistes, um welches wir in jenem Pfingstliede bitten:

Gib in unser Herz und Sinnen
Weisheit, Rath, Verstand und Zucht,
Daß wir anders nicht beginnen,
Denn was nur Dein Wille sucht;
Dein’ Erkenntniß werde groß,
Und mach’ uns vom Irrthum los.

Ein weiteres Merkmal der Kindschaft Gottes führt der Apostel an, wenn er spricht: „Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!“ Das ist freilich ein herrliches Merkmal der Kinder Gottes, wenn das Abba im herzen ertönt, wenn alles finstere Mißtrauen, aller Unglaube durch den kindlichen Geist ausgetrieben ist. Freilich sagen Viele Abba, Viele reden vom himmlischen Vater, und haben doch keinen kindlichen Geist; der Name sitzt auf ihren Lippen ohne den kindlichen Geist; im Grunde, in der Tiefe ihres Herzens aber kennen sie ihn nicht. Ihnen gegenüber will ich dir einen Prüfstein an die Hand geben. Der Apostel Johannes sagt: „Furcht ist nicth in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibet die Furcht aus; daran aber ist die Liebe völlig bey uns, daß wir Freudigkeit haben auf den Tag des Gerichts.“ Stelle dich einmal hin im Geiste vor die Donner des jüngsten Gerichts, stelle dich vor den Richterstuhl Dessen, der Augen hat wie Feuerflammen, der Herzen und Nieren erforscht und den Geist in seiner Tiefe erkennt, vor Dem dein eigenes Leben offenbar ist, und deine inwendigsten Herzensgedanken aufgedeckt liegen wie am hellen Mittag, der dich erkennet, wie du bist, ob Wahrheit oder Lüge, Liebe zu Ihm, oder Abneigung gegen Ihn die Grundlage deines Herzens bildet. Oder stelle dich vor die Thore der Ewigkeit, so daß heute noch deine Rechnung abgeschlossen würde, und du nichts mehr zu bestellen, nichts mehr zu besorgen hättest in dieser Welt, und du heute noch stehen müßtest vor des Menschen Sohn. Tönt ein freudiges Abba von deinen Lippen? Bist du bereit, freudig und ohne Murren deine Straße zu ziehen? Ich rede nicht zu den Gottlosen, die nicht einmal den knechtischen Geist haben, denn solche sterben, weil ihr Gewissen abgestumpft und ertödtet ist, oft mit der größten Ruhe und Sicherheit; ich rede zu denen, die dem Gesetze Gottes unterthan sind.

Seelen! habt ihr Seelenfrieden?
Könnt ihr Trotz dem Teufel bieten?
Seyd ihr eures Heils gewiß?
Habt ihr Ruh’ vor euren Sünden?
Dürft ihr keine Angst empfinden?
Sterbt ihr ohne Kümmerniß?

Habt ihr Freudigkeit auf den Tag des Gerichts, oder wenigstens keine Furcht davor, sondern eine getroste Ueberlassung in die Hände eures himmlischen Erbarmers? Denn wenn auch nicht allezeit die Freudigkeit vorhanden ist, die mit dem HErrn über Mauern springt, so liegt doch zwischen Freudigkeit und Furcht das in der Mitte, daß man mit ruhiger, aber fester Ueberzeugung sich an das Herz seines Erbarmers anklammert, mit einfältiger aber doch getroster Zuversicht sprechen kann: ich bin zwar ein Sünder, aber Gottes Eigenthum durch das Opfer Christi, wer will mich deßhalb scheiden von Seiner Liebe?

„Derselbige Geist“ – so fährt der Apostel fort – „gibt Zeugniß unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind.“ Dieß gehört zu den besondern Wirkungen des Geistes Gottes, daß Er es unserem Geiste mit unmittelbarer göttlicher Gewißheit bezeugt und versiegelt, daß wir Gottes Kinder sind. Zum Beispiel: eine Seele hat sich müde gerungen in tiefer Traurigkeit, die Wogen der Reue und der Buße haben über ihrem Haupte zusammen geschlagen, sie ist nahe dem Erliegen und der Verzweiflung; da tönt es auf einmal in ihrem Innern: Fürchte dich nicht, deine Sünden sind dir vergeben, Friede sey mit dir in Ewigkeit“ Nicht als ob eine solche Erfahrung der regelrechte Gang eines jeden Kindes Gottes seyn müßte; o nein, wenn nur das Herz gebrochen wird, wenn nur der Mensch seines Erbtheils und seiner Kindschaft gewiß wird, wenn er nur kindlich Abba rufen, und ohne Zweifel und Widerspruch seines Herzens glauben lernt, so ist das genug, und reine Gnadensache des Geistes, der bey dem Einen schneller, bey dem Andern langsamer die Gewißheit der Kindschaft versiegelt, und die Freudigkeit des Glaubens zur Reife bringt.

Nun setzt aber der Apostel das Letzte hinzu: „Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi; so wir anders mit leiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhaben werden.“ Die Kindschaft Gottes bewährt sich namentlich auch unter dem Leiden. Von Natur und nach unserem alten adamischen Wesen herrscht ein großer Abscheu vor dem leiden, eine große Kreuzflüchtigkeit in unserem Sinne und in unseren Gliedern; wo aber ein neugepflanzter Leidenssinn sich kund gibt, da ist er ein sicheres Merkmal der Kindschaft Gottes, einer neuen Geburt von Oben. Dem Heilande ähnlich zu werden auch im Leiden, als Sein Jünger das Kreuz auf sich zu nehmen und Ihm nachzufolgen, und Stille und Geduld zu beweisen unter dem Leiden, ein solcher Sinn ist das große Merkzeichen, ob das Werk Gottes in uns rechter Art ist oder nicht. Freilich die Trübsal, wenn sie da ist, dünket sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu seyn; aber dennoch kann sich der Geist willig unter das Joch und Kreuz des Erlösers schmiegen und beugen lernen, dennoch kann ihm durch die Zucht von Oben jenes widerstrebende, empörerische Wesen abgestreift werden, welches das Joch lieber abschütteln als tragen will; dennoch kann im schwachen Menschenherzen ein stiller Leidenssinn gepflanzet werden, der geduldig harrt, bis der HErr mit Hülfe erscheint, und das Heil ihm aufgeht unter Seinen Flügeln.

Dieß sind die Merkmale der Kindschaft Gottes, woran ein Jeder erkennen kann, ob er ein Kind sey oder ein Knecht, oder ein Fremdling. Der HErr aber führe uns Alle auf der Bahn der Buße und des Glaubens aus der Fremdlingschaft und Knechtschaft zur Kindschaft! Amen.

1)
Gedenktag 3. Mai, heute bedeutungslos geworden
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