Hofacker, Ludwig - Predigt am Charfreitage

Hofacker, Ludwig - Predigt am Charfreitage

- Die drei Gekreuzigten

Text: Leidensgeschichte.

Unstreitig feiern wir am heutigen Tage das Andenken an die größte That Gottes, von der wir wissen. Die Schöpfung der Welt kostete Ihn Ein Wort der Allmacht. „Er sprach, so geschah es; Er gebot, so stand es da.“ Die Auferstehung JEsu Christi von den Todten war etwas ganz Natürliches; denn wie konnte Der im Tode bleiben, der das Leben in Ihm selbst hatte? Die Ausgießung des Geistes Gottes über die Apostel, und das seitdem auf der Erde angezündete Feuer war und ist nur eine selige Frucht der Dahingabe des Sohnes Gottes in den Tod. Aber diese Dahingabe selbst, an die wir uns heute anbetend erinnern, geht über Alles.

O Wunder ohne Maaßen,
Wenn man’s betrachtet recht!
Es hat sich martern lassen
Der HErr für Seine Knecht’;
Es hat sich selbst der wahre Gott
Für uns verlornen Sünder
Gegeben in den Tod.

Dieses Wunder werden wir in allen Ewigkeiten nicht ausdenken, nicht genug preisen können. Es ist zu groß. Ach! daß es uns verlornen Sündern einmal auch recht groß würde! daß es unsere harten Herzen zerschmölze und dahinnähme! Ist es nicht schrecklich, einen Charfreitag um den andern feiern, und doch kein Herz für den treuen Heiland haben, Der aus heißem Liebesdrang für uns am Holz in den Tod versank. Er blickt uns aus Seinem Todesleiden heraus an, und spricht: hast du mich dennoch nicht lieb, ob ich gleich Solches für dich gelitten habe? Ach, wie beschämend ist diese Frage. Sollte sie uns nicht in den tiefsten Staub beugen vor Ihm?

O meine Lieben! lasset uns nicht in unserer Härte und Unbußfertigkeit beharren! Wie wollten wir doch dem Gerichte entfliehen, so wir darin blieben! Wir wollen heute, am Todestage unseres Erlösers, ein Neues pflügen, und nicht mehr unter die Hecken säen, nicht mehr so gleichgültig an JEsus vorübergehen, sondern Ihn in’s Auge fassen, und unter herzlichem Seufzen um die Erleuchtung des Heiligen Geistes Ihn recht betrachten. Ich will euch zu dem Ende vor die Augen zu malen suchen

die drey auf Golgatha Gekreuzigten.

O Lamm Gottes, das der Welt Sünde trug, erbarme Dich über uns! Du weißt es besser als wir, wie fremd der größte Theil unter uns gegen Dich ist, wie wir Alles lieben, uns an Allem, an den elendesten Dingen vergnügen können und mögen, nur an Dir nicht, nur an Dir nicht, ewige Liebe. Schönster unter den Menschenkindern! O vergib uns diese große Schuld! schreibe sie auch in die Handschrift, die Du vor 1800 Jahren aus dem Mittel gethan und an das Kreuz geheftet hast. Aber laß uns um Deiner Erbarmungen willen nicht in dieser Gleichgültigkeit fort- und ferner dahingehen. Stelle Dich in Deiner Todesgestalt vor die Augen unseres Gemüthes, damit unser Herz breche über Dir; denn wir bleiben todt, wo nicht Dein Geistesodem uns anweht. Laß dazu Deinen heutigen Todestag an uns Allen gesegnet seyn. Amen!

Vor ungefähr 1800 Jahren, am heutigen Tage, um diese Stunde, konnten Diejenigen, die sich damals in der jüdischen Hauptstadt Jerusalem aufhielten, ein ungewöhnliches, unerhörtes Schauspiel sehen. Auf dem Hügel Golgatha, der außerhalb des Thores von Jerusalem, aber nahe bey der Stadt gelegen war, hiengen drey Männer an drey Kreuzen. Das war nicht das Unerhörte bey dieser Sache, daß Menschen gekreuzigt wurden; denn solches ist in alten Zeiten eine nicht sehr ungewöhnliche Todesstrafe gewesen. Das Unerhörte dieses Schauspiels lag in der Person Dessen, der in der Mitte gekreuzigt ward. Auf Diesen besonders hatten sich die Augen der versammelten Volksmenge gerichtet. Wir wollen auch unsere Augen auf Ihn vornehmlich und zuerst richten.

Wer ist denn nun dieser Mann, den sie zwischen zwey Mörder hinein gekreuzigt haben? Es ist der Sohn des lebendigen Gottes, der Schöpfer der ganzen Welt, es ist der längst verheißene Messias und König Israels; es ist Der, von dem alle Propheten geweissagt haben, die Hoffnung der Väter des Alten Bundes, der Trost Israels – und siehe, hier hängt Er am Kreuze! – Tritt näher hinzu, Seele, und betrachte und beschaue Ihn recht, den Mann der Liebe und der Schmerzen; beschaue Ihn von Kopf bis zu Fuß. Sieh’, hier hängt Er mit ausgespannten Armen zwischen Himmel und Erde! Sie haben große Nägel genommen, und Ihn damit an Händen und Füßen an das Kreuzholz angenagelt. Aus diesen Nägelwunden fließt Sein Blut über Seinen heiligen Leib hinunter, und fällt in großen Tropfen auf die Erde. Er aber hängt da, bloß und entstellt; Sein Haupt ist mit einer Dornenkrone gekrönt; Sein Angesicht ist mit Blut überdeckt; Seine Wangen sind aufgeschwollen von den vielen Backenstreichen; Sein Rücken ist zerfleischt von den Geißelhieben; Sein ganzer Leib ist matt bis zum Tode. So hängt Er da, „Er ist ausgeschüttet wie Wasser; alle Seine Gebeine haben sich zertrennet; Sein Herz in Seinem Leibe ist wie zerschmolzen Wachs; Seine Kräfte sind vertrocknet wie ein Scherben; Seine Zuge klebt an Seinem Gaumen; Er ist gelegt in des Todes Staub“ (Ps. 22,15.16.). So hängt Er da, der HErr der Ehren, am Schandpfahl, nackt, in der alleräußersten Verachtung, ein Spott der Leute, eine Verachtung des Volks, sechs Stunden lang, bis Er Sein Haupt in den Tod neigt.

O Welt, sieh hier dein Leben
Am Stamm des Kreuzes schweben,
Dein Heil sinkt in den Tod!
Der große HErr der Ehren
Läßt willig sich beschweren
Mit Banden, Schlägen, Hohn und Spott.

Tritt her und schau’ mit Fleiße,
Mit Blut und Todesschweiße
Ist ganz Sein Leib bedeckt,
Und unnennbare Schmerzen
Fühlt Er in Seinem Herzen,
Da Er den Kelch des Vaters schmeckt.

O betrachtet Ihn doch recht, unsern allertreuesten JEsus, wie Er am Kreuze hängt! Können wir etwas Bejammernswürdigeres sehen; können wir etwas sehen, das uns mehr zur Buße reizte als den großen, den starken, den allmächtigen, den lebendigen JEsus, wie Er so unter den heftigsten Qualen als ein geschändeter Missethäter, als ein Verfluchter am Holze des Fluches dahinstirbt! Aber sehet, was Er äußerlich am Leibe litt, war nicht Sein größtes Leiden. Er sollte von innen und außen den Fluch des Gesetzes, den Zorn Gottes tragen, und war das, was Er im Unsichtbaren an Seiner heiligen Seele erduldete, noch viel schrecklicher als das Aeußerliche.

Als JEsus drey Stunden lang am Kreuz gehangen hatte, von Morgens neun Uhr bis Mittags zwölf Uhr: da fieng an die Sonne ihren Schein zu verlieren; es wurde Nacht in ganz Judäa und um Golgatha herum! die Sonne sollte die Todesleiden ihres Schöpfers nicht bescheinen. Mit dem äußerlichen Lichte schwand aber auch das innere Licht aus dem Herzen des Heilandes; Er fühlte die Nähe und Gemeinschaft des Vaters nicht mehr; Er fühlte sich vom Vater verlassen, von innen und außen nackt, den Qualen des Todes und der Hölle, und vielleicht auch der höllischen Geister, ganz Preis gegeben. Lange trug der große Hohepriester diese innere Qual in der Stille; Er kämpfte; Er betete; Er seufzte mit Seufzern, deren Kraft und ewige Bedeutung die Ewigkeit klarer machen wird. Da mag es wohl in Seinem Innern geheißen haben, wie wir im 22. Psalm lesen: „Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; Du warst meine Zuversicht, da ich noch an meiner Mutter Brüsten lag; auf Dich bin ich geworfen aus Mutterleibe; sey nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer; HErr, meine Stärke, eile mir zu helfen!“ Endlich um drey Uhr, da Seine innere Qual den höchsten Grad erreicht hatte, brach Er aus, und schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ O meine lieben Zuhörer, was liegt in diesen Worten! Er sagt nicht mehr: mein Vater! wie Er doch noch in Gethsemane thun konnte, Er sagt nur: „mein Gott!“ Er fühlt Sich so verlassen, so allein, hinausgestoßen und entblößt; Er fühlt den Zorn Gottes so sehr, daß Er den Vater nur Seinen Gott nennen kann, daß Er in dieser schrecklichen Stunde das lebendige Bewußtseyn Seines Sohnesverhältnisses zum Vater verliert, und wie ein anderer elender und verlassener Mensch zu Seinem Gott schreiet. Ja! der Todesschmerz von innen und außen, die Finsterniß von innen und außen bemächtigte sich Seiner heiligen Seele so sehr, daß Er wie irre wird an diesem schrecklichen Leiden und Todesweg, daß Er sich nicht mehr darein zu finden weiß, und darum ruft: „warum hast Du mich verlassen?“ In welcher Hölle muß JEsus gelegen seyn, als Er solches ausrief! Wie muß Ihm da um’s Herz gewesen seyn! Was für eine Todesfinsterniß mußte da seyn, die Ihm solche Worte auspressen konnte! Von früher Jugend an hatte Er doch allezeit das Bewußtseyn gehabt, daß Er der Sohn Gottes in besonderem Sinne sey; Er hatte auch dieses Bewußtseyn allezeit behalten; Sein ganzes inneres Leben ruhte darauf; nun auf einmal verliert Er es, fühlt Sich verlassen, und kann Sich selbst in den grauenvollen Weg, den Er als Versöhner der Menschen gehen sollte, nicht mehr finden. O, wer kann diese Leidenstiefe ermessen? Wer kann sich auch nur eine geringe Vorstellung von dieser Erniedrigung des Weltschöpfers machen!

Meine Stimm’ ist viel zu schwächlich,
Und die Sache unaussprechlich,
Mein Gemüth auch viel zu blöde,
Daß ich würdig davon rede.

Aber wir leben jetzt davon; diese tiefe Erniedrigung des Heilandes ist unser Leben. Denn warum erduldete unser theurer Hohepriester an Leib und Seele solche Marter? Ist Er diesen schweren Weg um Sein selbst willen gegangen? Ach nein! Er war kein Sünder; Er war heilig und von den Sündern abgesondert. Seine Gerechtigkeit hat keinen Riß, wie die unsrige unzählige hat; Seine Gerechtigkeit ist kein beflecktes Kleid, wie die unsrige vor Gott ist. Er ist ganz heilig; aller Glanz der Cherubinen und Heiligkeit der Seraphinen ist gegen Ihn nur Dunkelheit; das lauterste, das reinste Wohlgefallen hatte der Vater an Ihm während Seines ganzen Laufes; „das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“, solches Zeugniß gab Ihm der Vater; der Vater, der heilige Vater, der ein Licht ist und ist keine Finsterniß in Ihm, der Vater, der Herzen und Nieren forscht, und der in Seinen Engeln sogar Thorheit findet (Hiob 4,18.), der Vater konnte an JEsus nichts sehen, das Sein Mißfallen im Mindesten erregt hätte; mit dem lautersten, innigsten Wohlgefallen sah Er den Sohn. O wie heilig muß JEsus seyn! Und dieser heilige JEsus muß nach Gottes vorbedachtem Rath und Willen am Fluchholze unter den peinlichsten Qualen dahinsterben, unter Qualen, wie sie noch kein Sünder empfunden hat. Warum geschieht Solches? Die Schrift sagt es deutlich. „Gott hat Den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde (oder zum Sündopfer) gemacht, auf daß wir würden in Ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ Dieß war die Bezahlung unserer Schuld. Unser Bürge war Er. Für uns, an unserer Statt, bloß lauterlich für uns, hieng JEsus sechs Stunden lang am Kreuz; für uns wurde Er vom Vater verlassen: für uns starb Er, an unserer Statt erduldete Er das alles; Solches ist geschehen zur Versöhnung für unsere Sünden. O Seele! was haben deine Sünden angerichtet! und wie hat die Liebe, die ewige Liebe, geliebt! Sieh dieses Haupt an, dieses Haupt voll Blut und Wunden, voll Spott und voller Hohn, sieh an dieses edle Angesicht, vor welchem der Weltkreis einst beben wird, siehe, wie es bespeit, wie es so übel zugerichtet ist! Warum ist dieß geschehen an diesem Haupte? In dieses Haupt war nie ein anderer Gedanke eingedrungen als die demüthigsten, die einfältigsten, die liebevollsten Sohnes-Gedanken gegen den Vater, die liebevollsten Gedanken gegen die Sünder; dieses Angesicht war jederzeit nur ein Spiegel der Freundlichkeit, der Leutseligkeit, der Majestät und der Herrlichkeit Gottes gewesen; keine sündliche Leidenschaft hatte jemals diese Züge entstellt und verzehrt, und nun siehe! wie ist dieses Haupt geschändet! wie ist es zugerichtet! wie verzieht sich das Angesicht des Heilandes zu einem blassen Todtengesichte! wie drückt der Tod, der Sold der Sünde, sein entsetzliches, starres Bild in dieses Angesicht des Schönsten unter den Menschenkindern ein! Das habe ich verschuldet. Mein Hochmuth hat Ihm die Dornenkrone in das Haupt gedrückt; mein Muthwillen hat Ihm die schweren Backenstreiche gegeben; mein ehebrecherisches Auge hat Seiner Augen Licht entstellt; meine Sünden haben es gethan. Und Er hat es erduldet, damit ich Armer mein Haupt, mein Sünderhaupt, emporheben, und, ob ich gleich ein fluchwürdiger Wurm in den Augen Gottes bin, doch getrost auf meine Erlösung warten dürfe. Aber Sein Leib gilt für meinen Leib, Seine Seele für meine Seele, Sein Blut für mein Blut, Seine Hände für meine Hände, Seine Füße für meine Füße; es kommt Alles mir und meinen Mitbrüdern und Mitsündern zu gut.

Sey mir tausendmal gegrüßet,
Der mich je und je geliebt,
JEsu, der Du selbst gebüßet
Das, womit ich Dich betrübt,
O! wie ist mir doch so wohl,
Wenn ich knie’n und liegen soll
An dem Kreuze, da Du stirbest
Und um meine Seele wirbest!

Ich umfasse, herz’ und küsse
Deine Wunden ohne Zahl,
Und die purpurrothen Flüsse
Deiner Füß’ und Nägelmaal’;
O! wer kann doch, schönster Fürst,
Den so hoch nach uns gedürst’t,
Deinen Durst und Lieb’sverlangen
Völlig fassen und empfangen!

Um die drey Kreuze herum stand eine große Menge Volks, Geringe und Vornehme, gemeines Volk, und Oberste und Hohepriester und Schriftgelehrte und Pharisäer. Neugierde, Grausamkeit, satanische Schadenfreude hatte die Volksmenge zusammengetrieben; vielleicht waren auch einige Freunde des HErrn unter dem Haufen verborgen. Sie standen wohl eine gute Zeit stillschweigend da, und sahen zu; endlich erhub sich eine Stimme, die des Heilandes spottete. Es ist gegen alles menschliche Gefühl, gegen alle natürliche Billigkeit und Ehrbarkeit, eines Leidenden, und zwar eines so schrecklich Leidenden, zu spotten. Aber hier durchbrach die innere Herzensfeindschaft gegen den Heiland alle Schranken der Menschlichkeit. Es fieng einer an zu spotten; dem stimmten bald Andere bey, und zwar Oberste und Hohepriester. Vornehme Leute lassen sich sonst öffentlich nicht so sehr heraus, weil sie fürchten, sie möchten sich vor den Augen des Volkes erniedrigen und gemein machen; aber hier war es anders, es gieng gegen Christum. Nach und nach riß unter der ganzen Menschenmenge ein so schrecklicher Spottgeist ein, daß Alle, die nur vorübergiengen, den Kopf schüttelten, das Maul aufrissen und den Heiland lästerten. Da rief der Eine hinaus an das Kreuz: „Arzt, hilf Dir selbst!“ Du hast ja immer den Arzt gemacht und Kranke geheilt, nun hilf Dir selbst, und heile Deine Wunden, wenn Du kannst. Ein Anderer schrie: „Andern hat Er geholfen und kann Ihm selber nicht helfen; ist Er der König Israels, so steige Er herab vom Kreuz, so wollen wir Ihm glauben.“ Andere sagten: „Er hat Gott vertrauet, der erlöse Ihn nun, lüstet es Ihn; denn Er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.“ Andere lästerten: „Pfui Dich, wie fein zerbrichst Du den Tempel Gottes, und bauest ihn in drei Tagen!“ So suchte immer Einer den Andern zu überbieten im Lästern, und mußten doch meistens, da sie spotten wollten, Worte reden, die, recht betrachtet, dem Heilande zur Ehre gereichten und Ihn rechtfertigten. Endlich wurden auch die rohen heidnischen Kriegsknechte vom Spottgeiste ergriffen, und stimmten auf ihre Art in das Gezisch der Menge ein; „bist Du der Juden König, so hilf Dir selber“, sprachen sie zum gekreuzigten Heilande, als wollten sie sagen: nicht war, Du elender König der Juden, Du eingebildeter Schwärmer, wir haben Dich brav angenagelt, daß Du keine Hand und keinen Fuß bewegen kannst. O was hat JEsus erduldet! Aber das war nicht genug. Auch einer der Mörder, die mit Ihm gekreuzigt waren, und mit Ihm Qual litten, fieng an, mit den übrigen gottlosen Menschen, trotz seiner furchtbaren Schmerzen, des Heilandes zu spotten, und sprach, nicht bittend, sondern trotzig und bitter: „bist Du Christus, so hilf Dir selbst und uns.“ Das hieß ungefähr: Du erbärmlicher Messias, daß Du Dich mußt kreuzigen lassen, und weder Dich noch uns Juden erretten kannst!

Dieses Wort des elenden Menschen öffnete dem andern Mörder den Mund, und da kam freilich etwas Anderes heraus als Lästerung. Denn als er Solches von seinem Mitgekreuzigten gehört hatte, da ergrimmte er im Geiste, und sein Herz empörte sich sehr über diese Gottlosigkeit, und sprach: „und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammniß bist? Und zwar wir sind billig darin, denn wir empfangen, was unsere Thaten werth sind, Dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt.“ Und wandte sich zu JEsu, und sprach: „HErr, gedenke an mich, wann Du in Dein Reich kommst.“ Wir müssen diese Worte des Schächers näher betrachten, denn sie sind sehr merkwürdig.

Vor Allem müssen wir ansehen die Majestät und die königliche Hoheit JEsu Christi. Er hängt zwar da am Kreuze in der alleräußersten Schmach und Verachtung, verspottet und verhöhnt, ein Abscheu der Leute; Er hängt da in den schrecklichsten Schmerzen und Qualen Leibes und der Seele, er hängt da unmächtig, am Fluchholze angeheftet; Er hängt da, den schmählichen Tod eines Missethäters sterbend; aber während allem diesem spricht Er das große königliche, majestätische Wort aus: „Wahrlich, Ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese seyn.“ Sehet da den HErrn und König des Himmels, sehet Ihn an, unsern großen König, der auch am Kreuze unser König ist, und mit Einem Worte die Pforten des Himmels aufschließen kann, sehet Ihn an, diesen großen Monarchen, diesen Herrn der Herrlichkeit, und betet Ihn an, tief im Staube betet Ihn an.

Sehet aber auch den Schächer an, der neben Ihm an Seiner Seite hängt! „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott?“ mit diesen Worten wendet er sich an seinen lästernden Kameraden. Sehet doch, wie dieser Mörder in diesen wenigen Worten das ganze Betragen der Obersten des Volkes verdammt! Er erkennt wohl, woher dieses Gespötte komme; er erkennt es als die höchste Gottlosigkeit; er erkennt und spricht es auch aus, daß sie nicht so spotten könnten, wenn sie nur einen Funken Gottesfurcht in sich hätten! wie viel gerechter ist dieser gekreuzigte Mörder als seine Obersten, als die Schriftgelehrten und die Pharisäer, als das ganze umherstehende Volk! Aber wie bußfertig ist er auch! das war ein großes, ein seltenes Bekenntniß: „ich empfange, was meine Thaten werth sind.“ Dazu gehörte schon viel Ueberzeugung von der Sünde; zu diesem Bekenntnisse gehörte ein ganz demüthiges, bußfertiges Herz. Ich leide zwar unnennbare Schmerzen, will er sagen; aber ich habe es nicht anders verdient; ich hänge zwar da zwischen Himmel und Erde, als ein Schauspiel alles Volks, aber so habe ich es verdient. „Dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt.“ Woher wußte er das? Wie kam diese Ueberzeugung in sein Herz? Hatte er schon vorher von JEsu gehört und an Ihn glauben gelernt, oder hatte das Wort, das der Heiland nach Seiner Kreuzigung ausrief: „Vater! vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!“ Hatte jenes Wort diese Ueberzeugung in ihm gewirkt? Ich weiß es nicht: genug! er legte hier am Kreuze ein lautes Zeugniß von der Unschuld des Heilandes und von seiner eigenen Schuld ab, und sprach zu JEsu: „HErr, gedenke an mich, wann Du in Dein Reich kommst.“ HErr, nennt er JEsum; HErr, nennt er Einen, der unter die Uebelthäter gerechnet ist, einen Menschen, der neben ihm am Kreuze hängt, in Allem aussieht wie ein Missethäter und sich in Todesqualen neben ihm verzehrt, den nennt er HErr! O welcher Respekt! welche tiefe Ehrerbietung, die sogar über diese Gestalt des Missethäters hinaussehen und dem Heilande noch in solchem Zustande Seine Ehre geben konnte!

Durch seinen Glauben an den Heiland stand dieser Mensch weit über den Jüngern; muthlos ließen sie alle Hoffnung, allen Glauben sinken; trostlos überließen sie sich der Traurigkeit. Aber während sie irre wurden an ihrem HErrn und an Seinem Reiche, da bekannte dieser am Kreuze sterbende Mörder, daß JEsus Christus der HErr sey, und der König eines ewigen, unvergänglichen Reiches.

Und woher diese Herzensstellung? woher dieser Glaube des Missethäters, der den Unglauben der Jünger so tief beschämte? Antwort: vom Heiligen Geiste, dem er sein Herz öffnete, während es der Andere vor ihm verschloß. Der Heilige Geist hatte Solches in ihm gewirkt. Darum sprach der Heiland ihm auch das Trostwort zu: „wahrlich, Ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese seyn.“

O liebe Zuhörer! was ist doch für ein großer Unterschied zwischen diesen zwey Mördern gewesen! Beyde litten gleiche Qualen; für Beyder Sünden duldete, litt und starb JEsus in ihrer Mitte; für Beyde floß das Blut der Versöhnung; Beyde hatten die große Ehre, mit dem Sohne Gottes das gleiche Loos zu theilen; Beyde sehen den Sohn Gottes mit ihren Augen; Beyde sehen Seine Wunde, und doch welch’ ein Unterschied! Der Eine lästerte, der Andere gab Christo die Ehre; der Eine blieb in seines Herzens Härtigkeit, der Andere demüthigte sich und that Buße; der Eine blieb finster und verstockt, der Andere flehte um die Aufnahme in das Paradies; der Eine fuhr nach seinem Tode in die Finsterniß, obgleich auf für ihn eine Erlösung erfunden war, dem Andern öffnete der Sohn Gottes die Pforten des Paradieses durch das Verdienst Seines allerheiligsten Leidens und Sterbens; der Eine war der Erstling der Verdammten des Neuen Bundes, der Andere der Erstling der Seligen des Neuen Bundes. Welch’ ein großer, gewaltiger Unterschied!

Diese zwey Mörder sind die Repräsentanten des ganzen Menschengeschlechts. Sie waren Beyde Sünder, große Sünder, wie wir Alle große Sünder sind; sie litten Beyde an den Folgen ihrer Sünden, wie wir Alle so um unserer Sünden willen viele Leiden an unserem Leibe, und endlich den Tod erdulden müssen. Das Blut der Versöhnung war für Beyde auf die Erde geflossen, und schrie um Barmherzigkeit für Beyde, wie es für uns Alle geflossen ist und um Barmherzigkeit schreiet. Zwischen Beyden hieng Christus; aber der Eine blieb verstockt, und fuhr nach diesem Leben in die ewige Qual; der Andere that Buße, und erlangte das ewige Leben. Dieß ist in kurzen Worten die Geschichte der ganzen Menschheit. Was hier auf Golgatha geschah, wie es hier aussah, so wird es einst auch aussehen am jüngsten Tage, wann Der, den sie heute gekreuzigt habe, wann unser geschändeter König wiederkommen wird in Seiner Herrlichkeit, und richten die Lebendigen und die Todten. Da wird auch ein Theil der Menschheit zu Seiner Rechten und der andere zu Seiner Linken stehen; ein Theil wird eingehen dürfen in das ewige Leben, der andere wird in das ewige Feuer gehen müssen, obgleich JEsus Alle versöhnet, Alle geheiliget, Alle vollendet hat mit Seinem einzigen Opfer, ob Er gleich das Sühnopfer für unsere Sünden ist, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für der ganzen Welt Sünden.

O liebe Zuhörer! Was wird das seyn! Auf welcher Seite werden denn wir stehen? Es offenbart sich aber schon in gegenwärtiger Zeit dieser Unterschied, wie er sich an den zween Mördern geoffenbart hat. Wo keine Buße, wo keine Anerkennung und Bekennung der Schuld, wo kein Verlangen nach Gnade, wo kein Gebet um Gnade ist, wo der HErr JEsus, der gekreuzigte JEsus, nicht als HErr angebetet, geliebt und verehrt wird, wo ein Mensch in seinem Sündenwesen, in seiner Verstocktheit, in seines Herzens Härtigkeit bleibt, liebe Zuhörer! einem Solchen hilft nicht das Blut der Versöhnung; an diesen ist das Leiden und Sterben des Heilandes verloren; diese genießen umsonst das heilige Abendmahl; diese hören umsonst das Wort Gottes; die Verdammniß bleibet auf ihnen, so lange sie in diesem Sinne stehen, und wenn sie darin sterben, so bleibet die Verdammniß auf ihnen in Ewigkeit.

Wir dürfen aber nicht wähnen, als ob zu einem solchen Herzenszustande, in welchem der verstockte Mörder stand, ein ungewöhnlicher Grad von Ruchlosigkeit gehöre. Nein! das war sein Verderben, daß er der Güte Gottes, Der ihn über seine Sünden strafte und zur Buße führen wollte, nicht Raum gab. Wenn ein Sonntag um den andern kommt, wo wir durch das Wort Gottes auf unser Elend, auf unsere Verdammungswürdigkeit aufmerksam gemacht werden, wenn ein Charfreitag um den andern kommt, wo uns das Leiden und Sterben des HErrn JEsu vor die Augen gemalet wird, und wir bleiben doch in unseres Herzens Härtigkeit, und thun doch nicht Buße; liebe Zuhörer! sind wir dann nicht ärger als der verstockte Schächer, der so viele Aufforderung zur Buße nicht hatte, sind wir dann nicht einer größeren Verdammniß werth?

O daß uns das zu Herzen gienge! Nicht wahr, liebe Seelen! ihr wollet doch nicht verloren gehen, sondern auch Theil haben an dem, was unser großer JEsus für uns erstritten und erkämpft hat? Und was hat Er uns denn erkämpft? Das hat Er uns erkämpft, daß auch ein Mörder, auch ein Schächer, auch ein Abschaum, ein Auswurf der Menschheit, daß der größte Sünder selig werden kann, wenn er zu den Füßen des Heilandes niedersinkt, und um Erbarmung schreit. O große Gnade! große Erlösung! und heute darf man diese Gnade ausrufen! heute darf man sie Allen anbieten, zwar alle Tage, doch heute besonders. Denn heute ist der große Versöhnungstag, der große Gnadentag der Menschheit. O Sünder! wollet ihr nichts von dieser Gnade? wollet ihr in euren Sünden und dadurch unter dem Zorne Gottes bleiben? Besinne sich doch; wer sich besinnen kann. Macht uns der Mann, der in Todesqualen am Kreuze hängt, nicht Muth dazu, den Weg zur Vergebung der Sünden, den Weg zur Gnade, den Weg zum ewigen Leben einzuschlagen?

Sehet, wie leicht dieser Weg ist! wie leicht ihn uns Seine Liebe gemacht hat! „Denn gleichwie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also ist des Menschen Sohn erhöhet worden, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

So komme denn, wer Sünder heißt,
Und wen sein Sündengreu’l betrübet,
Zu Dem, der Keinen von sich weist,
Der sich gebeugt zu Ihm begiebet.
Wie? willst du dir im Lichte steh’n,
Und ohne Noth verloren geh’n?
Willst du der Sünde länger dienen,
Da, dich zu retten, Er erschienen?
O nein! verlaß die Sünden-Bahn!
Mein Heiland nimmt die Sünder an.

Du aber, geschlachtetes Lamm Gottes, blicke gnädig auf uns hernieder! Die Gemeinde, die vor Dir hier ist, bringt Dir Ruhm, Ehre, Preis und Anbetung; die vollendeten Gerechten werfen ihre Kronen nieder vor Deinem Throne, der Du todt warest, und nun lebest von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ach, erwecke auch unsere Herzen, daß sie einstimmen in den Lobgesang Deiner oberen Gemeinde. Der Seraph stammelt Dein Lob, o Sohn! wer bin ich, daß ich mich in diesem Jubel menge? Aber ich thue es für mich und für alle diese theuer erkauften Seelen; ich thue es, HErr JEsu, obgleich mit schwachen und sündigen Lippen. Lob, Ehre, Preis und Anbetung sey Dir von Ewigkeit zu Ewigkeit, daß Du Dein theures Leben für uns aufgeopfert hast! Was können wir Dir geben für Deine Treue und Liebe, die auch den letzten Tropfen Blutes für uns dahingegeben hat? Nichts, HErr! als unsere Sünden! Darum nimm hin die Sünden des Volkes, und schenke uns dafür Deine blutige Gerechtigkeit. Amen!

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