Hofacker, Ludwig - Predigt am achtzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Hofacker, Ludwig - Predigt am achtzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Text: Matth. 22,34-36.

Da aber die Pharisäer höreten, daß Er den Sadducäern das Maul gestopfet hatte, versammelten sie sich. Und Einer unter ihnen, ein Schriftgelehrter, versuchte Ihn, und sprach: Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? JEsus aber sprach zu ihm: du sollst lieben Gott, deinen HErrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüth: Dieß ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. In diesen zween Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten. Da nun die Pharisäer bey einander waren, fragte sie JEsus und sprach: wie dünket euch um Christo? Weiß Sohn ist Er? Sie sprachen: Davids. Er sprach zu ihnen: wie nennt Ihn dann David im Geist einen HErrn, da er sagt: der HErr hat gesagt zu meinem HErrn: setze Dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße. So nun David Ihn einen HErrn nennet, wie ist Er denn sein Sohn? Und Niemand konnte Ihm ein Wort antworten, und durfte auch Niemand von dem Tage an hinfort Ihn fragen.

Der Schriftgelehrte in unserem evangelischen Abschnitte meinte Wunder, wie sehr er den Heiland in Verlegenheit bringen werde, wenn er Ihm eine Streitfrage, die unter den Pharisäern öfters besprochen wurde, vorlege, und Ihn frage: „Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetze?“ Er hielt diese Frage wohl für die wichtigste Frage von der Welt; er meinte wohl, an der Beantwortung derselben könne man am besten erkennen, weß Geistes Kind einer sey; offenbar wollte er mit dieser Frage die israelitische Rechtgläubigkeit des Heilandes prüfen, deßwegen heißt es im Evangelium: „er versuchte Ihn.“ Aber hierin irrte er sich. An der Beantwortung dieser Frage liegt nicht so viel, als der Schriftgelehrte meinte. Zwar hat ihm der Heiland eine Antwort gegeben, die dem gesunden Menschenverstande als die einzig richtige einleuchten muß; aber wenn Einer auf diese Frage auch eine richtige Antwort geben kann, so ist doch damit noch nicht entschieden, daß er ein Mensch Gottes ist, ein Mensch, der seinem Herzenszustande nach – zum Volke Gottes gehört. Denn es ist wohl denkbar, daß Einer nur auf dem Wege des Nachdenkens hierin zu einer richtigen Ansicht komme, ohne daß er Erfahrung davon hätte, was es heiße, Gott und den Nächsten wahrhaftig zu lieben; es ist eben deßwegen auch denkbar, daß Einer wirklich ein ächter Israelite nach dem Geiste sey, ohne daß er gerade die Frage des Schriftgelehrten auf eine befriedigende Art zu beantworten im Stande wäre. Die Frage des Schriftgelehrten ist nicht, wie dieser Mann meinte, eine Frage, womit man die Geister prüfen kann; es kann Jemand sie schlecht beantworten, und doch aus Gott seyn; und es kann Jemand sie gut beantworten, und doch von der Welt seyn.

In diesem Betrachte hat der HErr JEsus den Pharisäern, als sie bey einander waren, auch eine Frage vorgelegt, als wollte Er ihnen sagen: ihr habt mich mit einer Frage auf die Probe gestellt, und die Absicht gehabt, zu erfahren, weß Geistes Kind ich sey; ich will euch nun eine andere vorlegen, welche euren Herzenszustand tiefer als eure Frage beleuchten, und mir zeigen wird, weß Geistes Kind ihr seyd: „was dünket euch von Christo?“

Liebe Zuhörer, wir wollen hiebey stehen bleiben, und unter dem Beystande Gottes mit einander betrachten:

  • I. wie wichtig es sey, was wir für Gedanken von Christo haben;
  • II. wollen wir unsere Gedanken in dieser Beziehung untersuchen, und die Frage des Heilandes an uns selber stellen: was dünket uns von Christo?

I.

Es ist eine sehr wichtige Frage: „was dünket euch von Christo?“ was habt ihr für Gedanken von Ihm? Ja, was sage ich, eine sehr wichtige Frage – es ist die allerwichtigste Frage, die man an einen Menschen stellen kann, von deren richtigen Beantwortung alles Heil, alles Leben, alle Seligkeit eines Menschen abhängt in der Zeit und in der Ewigkeit, eine Frage, deren Beantwortung den Himmel auf ewig verschließen oder auch öffnen kann, eine Frage, bey welcher wir uns nicht ruhig zum Schlafe niederlegen sollten, bis wir gewiß sind, wir können dieselbe herzmäßig, wahrhaft, gründlich aus Erfahrung beantworten. Wenn Einer vermittelst einer Kunst oder eines Handwerkes sich in dieser Welt durchbringen, Weib und Kinder ernähren, und sich ehrlich und redlich durchschlagen will, so ist doch gewiß eine sehr vernünftige Frage, die er an sich selber machen kann, diese: verstehe ich auch meine Kunst? bin ich auch Meister darin? werde ich mich und die meinigen auch damit ernähren können? Wenn Einer sich ein Bauerngut, Aecker und Wiesen und Weinberge kaufen, und auf diese Art sein Fortkommen in dieser Welt suchen will, was ist natürlicher, als daß er sich vorher untersucht, ob er auch diesem Geschäfte gewachsen ist, dasselbe versteht, ob er auch im Stande ist, Aecker und Weinberge und Wiesen, und was zur Landwirtschaft gehört, nach der Ordnung zu behandeln? Solcherley Untersuchungen findet man sehr natürlich und nothwendig; aber viel nothwendiger ist die Untersuchung, die ein Jeder mit seinem Herzen anstellen soll: was denke ich denn von Christo? Wir sind Menschen, zur Ewigkeit geboren; wir haben eine unsterbliche Seele, die ihre Bedürfnisse hat, ihre schreienden Bedürfnisse so gut als der Leib; mit jedem Tag, mit jeder Stunde rücken wir der Ewigkeit näher; dieser Leib ist in einem beständigen Verzehrungs-Prozeß begriffen; dazu sind wir Sünder, vor Gott verschuldet, und „es ist dem Menschen gesetzt, zu sterben, und darnach das Gericht.“ – Liebe Zuhörer! es ist sehr wichtig, unter diesen Umständen zu wissen: was für Gedanken wir von Christo haben, wie wir mit Ihm stehen, ob Er uns der Mann geworden ist, zu welchem Ihn der Vater allen Menschen machen will.

Ja, wenn es wahr wäre, was die falschen Propheten sagen, dann wollte ich sagen: es wäre einerley und völlig gleichgültig, was für Gedanken man sich von Christo macht. Wenn es wahr wäre, was sie sagen, daß der Mensch ohne einen Mittler zu Gott kommen könne, wenn er könnte aus sich selbst tugendhaft werden und weise zur Seligkeit, wenn es keine Erbsünde und keinen Fall gäbe, wenn es wahr wäre, daß wir Alle von Natur Gottes Kinder sind, wie die falschen Propheten behaupten, wenn es wahr wäre, daß der HErr und Richter der Menschen ein Muster von Gutmüthigkeit sey, der einen Jeden nur nach seiner verfluchten Eigenliebe behandeln werde, wie die falschen Propheten in ihrer unsinnigen Thorheit meinen; - liebe Zuhörer, wenn das Alles wahr wäre, dann wollte ich sagen: es ist die gleichgültigste Frage von der Welt: „was dünket euch von Christo?“ Christus ist der gleichgültigste Mann von der Welt; dann wollte ich sagen, wie schon Viele gesagt haben: glaubet, was ihr wollet; lebet nur so, daß ihr es verantworten könnet. Aber das wäre weit gefehlt; da würde ich euch große, unverantwortliche, seelenmörderische Lügen predigen; da würde ich mich und euch in die ewige höllische Verdammniß, in das allerschwerste, ja unerträgliche Gericht vor dem Angesichte des Erzhirten, wann Er nun erscheinen wird, hineinpredigen. Denn es ist nun einmal der Wille des Vaters, daß durch den Sohn Alles gehe, daß Derselbe, durch den Er die Welt gemacht hat, auch der große Wiederhersteller der gefallenen Welt seyn soll; es ist des Vaters Wille, daß der Sohn das Oberhaupt seyn soll über Alles, was genannt mag werden im Himmel und auf Erden, daß alle Geister nur im Sohne sollen ihre Seligkeit suchen und finden, daß man den Sohn ehren soll, wie man den Vater ehret, und daß, wer nicht glaubet an den Sohn Gottes, geoffenbaret im Fleische, über solchem der Zorn Gottes bleibe. Der Vater hat zum Sohne gesagt: „setze Dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße.“ Wer sich nun dieser Ordnung Gottes widersetzt, wer nicht glaubet, wer meint, er sey zu klug dazu, wer meint, er sey über das hinausgewachsen mit seinem Verstande; wer also dem Heilande, dem Sohne, die Ehre nicht gibt, die Ihm gebühret, und beugt sich nicht als ein armer Sünder unter Den, der gekommen ist, Sünder selig zu machen, wer nicht alle Seligkeit und alle Gnade und alles göttliche Leben und alle Vergebung der Sünden und Alles, was seine unsterbliche Seele bedarf, von dem Sohne holen will, sondern suchet andere Wege und Künste, wer in den Schafstall hineinkommen will, aber nicht durch die Thüre, die da heißet JEsus Christus, der ist ein Dieb und Mörder, und wird eines Diebes und Mörders Lohne empfahen. „Wer nicht glaubet“, - sagt der Heiland – „der wird verdammt werden“, d.h. der hat keine Gnade, keine Barmherzigkeit zu hoffen; Alles, was er sich vorstellt von Barmherzigkeit Gottes, ist ein eitler Traum und Wahn, er hat nichts Anderes zu gewarten, als daß er von dem Richter der ewigen Finsterniß und Feuerqual wird zugewiesen werden. Schrecklich aber ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.

Liebe Zuhörer! Christus ist der allerunentbehrlichste Mann für einen Sünder; Er ist unentbehrlicher als Brod, unentbehrlicher als Kleider – doch was brauche ich solche Gleichnisse – wenn man nicht sterben, nicht ewiglich sterben will, so muß man Ihn haben. Ohne Ihn ist dieses Leben ein elender, schwerer Traum; ohne Ihn bleibt das arme Herz unbefriedigt und unselig; ohne Ihn ist der Tod erst ein Tod, und die Ewigkeit Schrecken und Finsterniß. Ach, was sind wir ohne JEsus? Ja wohl elender als elend, jämmerlicher als jämmerlich, bloßer als bloß, so elend und jämmerlich, daß der ganze Himmel über unser Elend weinen möchte, so bloß, daß die Ewigkeit nicht lang genug ist, um uns ganz über unsere Blöße zu schämen. Saget selbst: was ist dieses arme Leben ohne Christus? was ist es, wenn man Ihn nicht hat, Ihn nicht leibt, an Ihn nicht glaubt, wenn das Herz nicht in Ihm seine Befriedigung und Nahrung sucht, wenn man also keinen Heiland hat, was ist denn dieses arme Leben? Es sind doch jetzt Leute unter uns, welche auch schon etwas erlebt haben in dieser Welt, welche die Welt gesehen und geschmecket haben, was daran ist; Leute, welche es wohl aus eigener langer Erfahrung sagen können, was für ein Leben das ist, das man ohne Christus lebt, - ich wende mich an euer Bewußtseyn, ihr Alten, ihr werdet mir Zeugniß geben müssen, wenn ich sage: ein Leben ohne den Sohn Gottes ist kein Leben, sondern ein schlechter elender Traum. Doch was wende ich mich an da Bewußtseyn der Alten? es träumen ja Viele im Alter noch fort; es wissen ja Viele im Alter noch nichts vom Leben im Glauben des Sohnes Gottes; die Geduld Gottes geht ja an Vielen durch des Teufels und der Sünde Betrug so verloren, daß sie eben zuletzt im hohen Alter dahinfahren als alte, graue, finstere Sünder, ohne Vergebung, ohne Gnade, mit einem herzen, das an dieser armen Erde hängt, als Erdenwürmer, ohne daß sie etwas Rechtes vom Heilande wissen, d.h. aus Erfahrung wissen. Aber was ist denn ein solches langes Leben ohne den Sohn Gottes? was ist es denn? Man wird geboren; man wird geschult; man hat viele Mühe und Arbeit; man muß sich entsetzlich abmühen und zerarbeiten, bis man hinaussieht in seinem äußerlichen Fortkommen; man strebt nach Vergnügen; man malt sich dieselben als Wunder wie vortrefflich vor, so lange man sie nicht hat, und hat man sie, so ist das arme Herz doch nicht befriedigt. Zu diesem kommt mancher Strich durch gute Rechnung, manche Plage, der man nicht ausweichen kann, man schleppt sich darunter; man murrt darunter; man begehrt und wünscht bessere Tage: inmittelst wird man alt und immer älter; die Kräfte nehmen ab, und der arme Geist soll in die Ewigkeit. Man wünscht; man suchet; man hoffet; man ist überdrüssig; man wünscht wieder, suchet auf’s Neue, treibt sich um, greift dieß und das an, suchet Ruhe und findet sie nicht. Sehet, das ist das Leben ohne den Heiland in der Welt; es hat keinen Werth, keine Bedeutung, keinen Halt. Was ist es denn auch, wenn du ein Paar hundert oder tausend Gulden zusammengespart hast, daß du deinen Kindern etwas hinterlassen kannst? Wenn sie vor dir liegen, diese Paar tausend Gulden auf einem kleinen Klumpen, und der Heiland würde zu dir sagen: das ist also der Zweck deines Lebens gewesen; um dieses also hast du gearbeitet, und gesorget Tag und Nacht; über diesem elenden Klumpen Silber oder Goldes hast du Mich vergessen, und nicht bedacht, daß Ich dich erkauft habe, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit Meinem theuren Blute; diesem Klumpen, den du mit deinen Füßen hinwegstoßen kannst, hast du geknechtet so viele Jahre her, und deiner Seele ewiges Heil vergessen; vergessen, daß es dem Menschen nichts hülfe, wenn er auch die ganze Welt gewänne, und nähme doch Schaden an seiner Seele – was könntest du da antworten? wie würdest du da bestehen? Liebe Zuhörer! es ist nicht der Mühe werth, zu leben und gelebt zu haben, wenn man ohne den Heiland lebt; ein Leben ohne den Sohn Gottes ist zu erbärmlich, zu elend, zu armselig, und wenn man auch im größten äußeren Reichthum, in der größten Ehre sitzt; es ist eben ein Mückenleben. Aber wenn es nur ein Mückenleben wäre, so wäre es noch gut; es ist noch jämmerlicher als ein Mückenleben. Sehet, eine Mücke lebt und stirbt dahin, und hat keinen Geist, und hat keine höheren Bedürfnisse, und lebt nach ihrer Natur, wie sie Gott geschaffen hat; aber nicht so der Mensch, der ohne Christus in der Welt lebt. Liebe Zuhörer! wir haben ein tiefes Bewußtseyn in uns, ein Bewußtseyn unseres Falles, unserer Schuld; es ist ein tiefes Verlangen nach Gnade und Vergebung in uns, denn wir sind Sünder. Damit ist Alles gesagt. Wie wollen wir denn gerecht werden vor Gott? wie wollen wir denn unser Gewissen beschwichtigen? wie sollen denn unsere Schulden bezahlt werden? wie wollen wir denn bestehen ohne Christus vor dem Flammenauge des Richters, wenn die Bücher aufgethan werden, wenn unsere geheimste Schuld offenbar wird? Was bleibt uns denn übrig ohne Christus als ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird?

O ich Sünder; ich Verdammter!
Ich von Sündern Abgestammter!
Was wollt’ ich von Troste wissen,
Wäre dieses weggerissen,
Daß ich einen Heiland habe,
Der vom Kripplein bis zum Grabe,
Auf dem Thron, da man Ihn ehret,
Mir, dem Sünder, zugehöret!

Ich weiß wohl, man belügt und betrügt sich, so lange man kann; man denkt: ich bin nicht so arg; man denkt: ich habe doch noch viel Gutes; man denkt: Gott nimmt es nicht so genau; man meint: Gott sey doch barmherzig; man legt sich auf solche Gedankenpolster hin, und will Ruhe haben vor sich selber; man hat deßwegen in unseren Zeiten die christliche Lehre so verwässert, entstellt, verdreht, um doch ja der Sache von ihrem schrecklichen Aussehen etwas zu benehmen, und sie wo möglich noch erträglich und lieblich zu machen; - aber das sind Alles lauter vergebliche Bemühungen; da innen im herzen ist eine Stimme, die nicht schweigt, eine ewige Stimme der Wahrheit, welche nur um so schrecklicher herausbricht, je länger sie geschweigt und übertäubt wurde, die aber gewiß herausbricht, sey es nicht in dieser, doch in jener Welt gewiß. Liebe Zuhörer! gehet doch nicht so unveranwortlich leichtsinnig mit eurer Seele um. Es bleibet, so wahr Gott lebt, dabey, ich bezeuge es: ohne Christus sind wir die allerelendesten Kreaturen. Wenn ihr es auch jetzt nicht glaubet, so wird es der künftige große Gerichtstag in’s Licht stellen, daß ich die Wahrheit geredet habe, und ihr werdet mir dann, wenn auch unter der bittersten Reue und Verzweiflung, Recht geben müssen. O meine Lieben, davor bewahre euch der so unentbehrliche Heiland! Warum wollet ihr Ihn denn nicht? Es kann doch Niemand selig werden als durch Ihn, nur in Seinem Namen wird Heil, Buße und Vergebung der Sünden gegeben, sonst nirgends, und as habt ihr doch Alle so hochnöthig. Bedenket, daß ihr eine unsterbliche Seele habt; bedenket, daß diese Zeit dahineilt, und daß ihr morgen eine Leiche seyn könnet. Lasset uns eilen und unsere Seele erretten, so lange es heute heißt; lasset uns zu den Wunden Christi fliehen, so lange wir noch können. Ein Mensch ohne den Heiland ist die allerelendeste Kreatur; er ist elender als ein Thier; denn der Mensch hat die Ewigkeit in sich, und ohne Christus hat er keine Hoffnung auf sie als auf eine selige Ewigkeit; das ist jämmerlich. Mit was wollet ihr euch denn getrösten, ihr Leute dieser Welt, wenn ihr hinaus und fort müsset? Wollet ihr euch dann trösten mit der Kunst des Arztes, oder mit der Vortrefflichkeit der Arzney, und denken, euer Leben werde noch länger währen? Aber wenn ihr eben dennoch fort müsset, und kein Arzt und keine Arzney mehr hilft? Sehet, ihr könnet euch doch nicht an den Wänden halten, ihr könnet euch nicht an dieser Erde anklammern; ihr müsset eben fort. Mit was wollet ihr euch denn trösten? Was soll denn euer Trost seyn, wenn ihr des Trostes am meisten bedürfet? Wollet ihr den euch eures guten, rechtschaffenen Lebens getrösten, eurer Pflichterfüllungen, eurer Redlichkeit, eures Brudersinnes? Aber wenn euch euer Gewissen dann eines ganz Andern belehren, wenn es euch zeigen sollte, daß ihr nur für euch in der Welt gelebet habet, daß Alles, auch das Beste an euch, verunreiniget, ein Gestand vor dem HErrn ist durch eure Eigenliebe, durch euern Geiz, durch eure geheimen Wollüste, wenn der Teufel euch einen Fetzen eurer eigenen Gerechtigkeit um den andern herunterreißen, und euch in eurer Blöße und Nacktheit darstellen wird, wenn der Feind das Leben wird verklagen, wenn es kommt, wie es in jenem Liede steht: „mitten in dem Tod anficht uns der Höllen Rachen.“ – Mit was wollet ihr euch dann trösten? O es ist entsetzlich, wenn man so ohne den Heiland dahinlebt, ohne die Versöhnung, ohne Vergebung der Sünden, ohne wahren Trost, ohne gegründete Hoffnung, und träumet so fort durch des Teufels List (denn Satan sucht immer den Menschen hinauszuschieben), und schläft fort, bis die scharfe Luft der Ewigkeit anfängt, den Menschen anzuwehen, und seine ungeheilten, entsetzlichen Geschwüre aufbrechen. Es ist schrecklich, wenn erst im Tode der ganze Grund und Bau zusammenstürzt, und man hat keinen Grund für die Ewigkeit gelegt, und muß fort, und die Gnadenzeit ist vorbey, und man muß vor den Richterstuhl Gottes, um den Lohn seiner Thaten zu empfahen.

O das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trug – das ist uns nothwendig, das ist unentbehrlich, wenn wir wollen errettet werden, das ist nothwendig für solche armen, verlornen, verdammten Sünder, für solche verzweifelte Leute, wie wir sind. Ohne Ihn sind – ohne Ihn bleiben wir Knechte der Sünde, des Todes, des Teufels und der Hölle; ohne Ihn gehen wir für zeit und Ewigkeit verloren; ohne Ihn wäre es besser für uns, nie geboren zu seyn; ohne Ihn fallen wir dem zweiten Tod anheim; ohne Ihn geht es uns, wie der Psalmist sagt: „sie liegen in der Hölle wie Schafe, der Tod naget sie.“ Christus ist der allerunentbehrlichste Mann.

II.

Was dünket euch aber von Ihm? Was für Gedanken von Ihm habt ihr bisher in eurem Herzen gehabt? Liebe Zuhörer! es handelt sich nicht um das, was man etwa vom Heilande auswendig gelernt hat, sondern welche Eindrücke, welche Grundgedanken man von Ihm im Herzen hat, wie man sich gegen Ihn betragen, was das inwendige oder äußere Leben für oder gegen Ihn bewiesen hat. Lasset uns doch unser Herz und Leben ernstlich durchsuchen, damit wir nicht im allerjämmerlichsten Betruge über diese wichtigste Angelegenheit der Menschen dahinfahren. Denn unser Leben ist kurz, und wenn uns der Tod übereilte, ehe wir uns hierüber recht besonnen hätten, so wäre Alles verspielt und verloren.

„Was dünket euch von Christo?“ Wenn ich mich mit dieser Frage an die falschen Aufklärer unserer Zeit wenden würde, an die falschen Propheten, die in Wort und Schrift Schafskleider anziehen, inwendig aber reißende Wölfe, Mörder sind, die, wie ihr Vater, der Teufel, die Seelen um ihr ewiges Heil bringen, so würde ich bald zur Antwort bekommen (denn sie sind wohl gefaßt, ihre frechen Reden mit frevlem Munde auszuschäumen): meinest du, würde es heißen, daß Gott einen Sohn habe, kannst du dieß auch vernünftiger Weise glauben? Wir halten dafür, daß JEsus ist ein weiser, tugendhafter Mann gewesen. – Solche und ähnliche Reden, die ich nicht über meine Lippen bringen mag, würde ich zur Antwort bekommen. Denn wer mag Ihn in unsern Tagen noch leiden? Sehet, so weit ist es gekommen, daß diese Lügen öffentlich ausgeschrieen, ausposaunt, in Bücher hineingeschrieben werden, daß man es gar keinen Hehl hat, daß es Viele geradezu für die größte Dummheit, Unvernunft und Sinnlosigkeit erklären, wenn man, da gegenwärtig das Licht der Vernunft so helle scheine, noch an den alten Fabeln hängen möge. Zwar hat es gute Zeit mit diesen Menschen, sie werden Christum nicht von dem Throne stoßen; es kommt ein Tag, wo die Spötter nicht mehr spotten, und die Lästerer nicht mehr lästern werden; aber sagen muß man es euch doch, schon darum, damit ihr wisset, wie viel Uhr es ist in der Christenheit, denn der Apostel Paulus sagt: der Abfall müsse zuvor kommen; und Johannes sagt: „ihr habt gehöret, daß der Widerchrist kommt, und nun sind Viele Widerchristen geworden.“ Ueberdieß weiß ich auch nicht, ob vielleicht unter uns Solche sind, die in diesem selbstgemachten, leichtsinnigen, gotteslästerlichen Wesen stehen. Denn das Wort des Unglaubens frißt um sich wie der Krebs, und vergiftet und durchsäuert nach und nach die ganze Christenheit, und wird so fortfahren, bis es endlich heißen wird: es sind die Reiche der Welt unseres HErrn und Seines Christus geworden.

„Was dünket aber euch um Christo?“ Lasset uns doch unser Herz fragen. Nicht wahr, die Meisten unter uns haben gar keine Gedanken von Ohm? Die Meisten werden wohl gar nie daran gedacht haben, was sie denn auch aus Ihm machen sollen? Man nimmt es eben so an, wie man es hört, wie man es lernt, man denkt nicht weiter darüber nach, man läßt Christus Christus seyn, und lebt, wie man meint, leben zu müssen. Da geht man dahin durch diese Welt, wie wenn es keinen Heiland gäbe, weiß nichts von Seiner Gnade, nichts von Seinem Geiste, nichts von Seinem Leben, nichts von Vergebung der Sünden im Blute des Lammes. Man hört von Ihm, aber es geht nicht zu Herzen; man liest von Ihm, aber es läßt einen, wie man ist; man ist eben todt in Sünden. Ist es nicht so bey Vielen? O Seele! das ist ein elender, ein gefährlicher Zustand! Ach, bedenket es doch, von Christo hören und nichts davon verstehen! von einem Heilande an sich hinpredigen zu lassen, und diesen Heiland nicht kennen, und auch kein Verlangen haben, Ihn zu kennen; ach, bedenket es doch, zu einer Seligkeit geboren, geschaffen, erlöset, getauft seyn, und sich nichts darum bekümmern, sondern sich an den Träbern satt essen, während das Abendmahl des Lammes bereit stehet, im Tage des Evangeliums leben und diesen Tag nicht sehen, ein Kind der Nacht, ein Kind der Unvernunft, ein Kind des Todes, ein Kind der Finsterniß seyn und bleiben- ist das nicht traurig? ist das nicht betrübt? Und was haben denn diejenigen für Gedanken von Christo, die Ihn zwar bekennen, und sich Seines Verdienstes rühmen, aber doch in ihren Sünden beharren? Die Knechte der Sünde bleiben, und in ihrem Leichtsinn, in ihrer Frechheit Ihn zum Deckel der Bosheit nehmen?

Und was dünket Diejenigen von Christo, welche sich der Heiligung befleißigen, und da, wo ihr Verdienst nicht zureicht, wo der Rock ihrer eigenen Gerechtigkeit einen Riß hat, mit dem Verdienste Christi ausfüllen, ausbessern und zuflicken wollen, die Christum zum Lückenbüßer ihrer selbstgemachten Gerechtigkeit machen?

Und was dünket die von Christo, welche nur immer vom Heiligseyn und Heiligwerden reden, die den Heiland bloß als Mittel brauchen zur Heiligung, welchen der gekreuzigte Heiland nicht der letzte Zweck ihres Lebens ist, die nur darauf es antragen, durch Seine Kraft immer besser zu werden, um sich dann in ihrer selbstgeschaffenen Heiligkeit immer mehr bespiegeln, und mit den Augen der Eigenliebe betrachten zu können?

„Ich glaube, daß JEsus Christus, wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch, sey mein HErr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben und gewonnen von allen Sünde, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit Seinem heiligen theuren Blut und mit Seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf daß ich Sein eigen sey, und in Seinem Reiche unter Ihm lebe, und Ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie Er ist auferstanden von den Todten, lebet und regieret in Ewigkeit.“ – In diesem Bekenntnisse, liebe Zuhörer, liegt Alles, was wir von JEsu Christo zu denken haben. Wer aus gründlicher Erfahrung also sprechen kann, und auf dieses Bekenntniß hin lebt, der lebet wohl, und wer auf dieses Bekenntniß hin stirbt, der stirbt wohl; denn er denkt recht von Christo und hat auf den Fels gebauet.

Der HErr wolle uns Alle diesen Grund finden lassen! Amen.

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