Hofacker, Ludwig - I. Am Grabe eines unvermuthet schnell abgerufenen Jünglings.

Hofacker, Ludwig - I. Am Grabe eines unvermuthet schnell abgerufenen Jünglings.

HErr JEsus Christus! der Du warest, ehe die Berge waren, und ehe die Welt und die Erde geschaffen worden – ach, wie Nichts sind wir vor Dir, wie so gar nichts! – Auch das, was stark scheinet und blühet, wie bald ist es verwelkt! Wenn der Wind darüber gehet, kennet man seine Stätte nicht mehr.

HErr! siehe, wir legen hier ein junges, edles Saatkorn in die Erde; bewahre es, und rufe es hervor, wenn Deine große Stunde gekommen ist, Du Todes-Ueberwinder; rufe es zum neuen Leben, zur Auferstehung der Gerechten. – O! welch’ ein Tag, wenn Deine Stimme einst durch die Gräber dringt, und das Verwesliche wird anziehen die Unverweslichkeit, und das Sterbliche die Unsterblichkeit! Indessen wird gesäet in Unehre, aber bey Dir ist Herrlichkeit. So befehlen wir dieses todte Gebeine Dir, der Du Herrlichkeit hast, und bitten Dich, Du wollest ihm Herrlichkeit verleihen am Tage der Auferstehung. Ja, thue es, um Dein selbst willen! Amen.

Unerwartet schnell und unverhofft hat der treue Gott und Schöpfer, welchem unsere Seelen angehören, dem Leben des Jünglings, dessen Verwesliches wir so eben seiner Ruhe übergeben haben, ein Ende gemacht, und dadurch die zärtlichsten Bande, die zwischen dem Verewigten und seinen Eltern, seinen Großmüttern, seinen Geschwistern und Anverwandten geknüpft waren, für diese Zeit aufgelöst. Der Entschlafene war ein stiller Jüngling, nicht wie so Viele, die ihre kostbare Jugendzeit und Jugendkraft dem Willen des Fleisches und den mancherley Lüsten und Spielereien dieses Zeitlaufes aufopfern, sondern ein gehorsamer Sohn, fleißig und treu in seinem Berufe, seines Vaters Freude, und was freilich das Hauptsächlichste ist, er glaubte an das Evangelium von dem Heil der Sünder in dem Lamme Gottes, das geschlachtet ist für die Sünden der Welt. Mancherley Züge des himmlischen Vaters zu dem Sohne waren in seiner Seele kräftig geworden, was ihn vor den, leider! so gewöhnlichen Lüsten der Jugend am besten bewahrte. Und so hat ihn denn der Heiland, früher zwar als wir Alle es vermutheten, aber doch, wie wir im Glauben gewiß wissen, zu rechter Zeit aus der Angst und den Verführungen dieser Welt erlöset, und ihn, wie wir glauben, hinüber gerettet in das Land, wo keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsterniß mehr ist, sondern wo Der, so gestern und heute und derselbe bleibet in Ewigkeit, JEsus Christus, Licht und Sonne ist, und die theuer erkauften Sünder als Seine Schafe waidet und leitet zu den lebendigen Wasserbrunnen, und abwischet alle Thränen von ihren Augen.

Das letzte Vernehmliche, das man aus dem Munde des Verewigten hörte, was eine Uebergabe seines mit dem Tode kämpfenden Geistes in die Hände Dessen, der in Christo unser Vater seyn will: „Vater!“ – sagte er – „ich befehle meinen Geist in Deine Hände!“ – und damit hat er seinen kurzen Pilgerlauf in dieser Zeit beschlossen, und das in ihm angefangene Werk Gottes für den Durchgang durch’s Thal des Todes, und für den Eingang in das ewige und herrliche Königreich des großen Gottes auf das Festeste versiegelt.

Als vor etwa achtzehnhundert Jahren der Fürst des Lebens am Holze des Fluches für die Schulden Seiner Brüder als ihr Bürge verschmachtete, und sich Sein Leben zum Ziele und Sein Werk sich zur Vollendung neigete, und alle Seine dunkeln Kampfesstunden bereits durchgekämpfet waren, und hinter Ihm lagen – da brach Er noch in den lauten, in das Vaterherz Gottes gewiß tief eindringenden Ruf aus, mit dem unser Verewigter seine irdische Laufbahn beschlossen hat: „Vater, ich befehle meinen Geist in Deine Hände!“ – „und als Er das gesagt hatte, neigete Er Sein Haupt und verschied.“ Alles, was zur Rettung und Ausführung Seiner Schafe geschehen sollte, hatte der große Erzhirte vollbracht; die Seelen aller Sünder waren in Seinem Leiden, in Seinem gelassenen Gang durch die schrecklichste Finsterniß, und in Seinem Durchbruch zum Lichte geheiligt, und mit Seinem Opfer vollendet. So hatte also der treue Hohepriester nichts mehr zu thun, als für Sich selber zu sorgen, und Seinen Geist in die Hände Dessen zu befehlen, von welchem Er ausgegangen war, um eine ewige Erlösung zu erfinden für die gefallene Kreatur – in die Hände des Vaters.

Wenn nun ein Mensch, der im Glauben an den Heiland gelebt hat, und ist zu Seinen Schafen gezählet, und aufgeschrieben worden in dem lebendigen Buche des Lammes, und hat empfangen die Salbung des Heiligen Geistes, und die Besprengung des Blutes Christi – wenn ein Solcher dahinfähret aus diesem Elende, so darf er, wie sein Heiland, und im Glauben an Ihn, das, was ihm das Höchste und Theuerste ist, seinen Geist, oder sich selber in die Hände des versöhnten Vaters befehlen, und solch’ ein Ruf reichet hinein in das Inwendige des Vorhangs, und der Vater selbst recket Seine Hand aus, und bewahret die erlöste Seele, die Er dem Sohne gegeben hat, bey ihrem Gange durch’s finstere Todesthal vor allem Argen und Fremden, und versetzt sie in die ewigen Hütten, wo sie von keiner Qual mehr angerühret wird, sondern aus dem Vaterherzen Gottes selber Gnade um Gnade, Erbarmung um Erbarmung in unaussprechlicher Fülle dahinnimmt umsonst. – O! was haben doch arme Sünder an Christo, daß sie um Seinetwillen und in Ihm dürfen ein gläubiges Abba! rufen; daß ihnen der Zugang zum Vaterherzen Gottes so herrlich geöffnet ist, daß sie selbst in der letzten Noth, ja wenn der Feind das Leben verklagt, nicht verzagen, sondern getrost ihren Geist in Seine helfenden und errettenden allmächtigen Hände übergeben dürfen – das ist etwas, das sie nur ihrem Heilande verdanken; das sind Früchte der Erlösung, für welche wir erst vor dem Throne des Lammes werden rechten und vollkommenen Dank abstatten können. Doch auch schon hienieden sey Dir Dank, Du treuer Hirte und Bischof der Deinen, daß Du so selig verschieden, als Du all’ unsere Sünden bezahltest; dadurch erwarbst Du uns Leben und Frieden, daß Du dem Vater die Seele befahlst. Dieses Wort heißet der Gläubigen Seelen all’ in die Hände des Vaters befehlen, und da sind sie ja wohl, ewige wohl aufgehoben, denn es sind Vaterhände.

Doch nicht nur in der letzten Stunde, nein, auch in unserem ganzen Laufe durch’s Thränenthal, unter allen Mühseligkeiten und Trübsalen dieser Zeit, bey’m tiefsten Schmerz über den Hingang der Unsrigen, kurz in den peinlichsten Verlegenheiten, wo kein Mensch uns weder rathen noch helfen kann, hat ein Kind Gottes eine völlige, zuversichtliche, freudige und ganze Ansprache an das Vaterherz Gottes in Christo JEsu; ja, wenn auch unser Geist auf das Empfindlichste angegriffen und verwundet ist, so dürfen wir doch auch unsern durch die gewaltige Hand Gottes zerschlagenen Geist in die Hände Dessen befehlen, der in dem Sohne als Vater uns geliebet hat, und Der, wo kein anderer Trost sich mehr anlegt an dem Herzen, unseres Angesichts Hülfe und unser Trost seyn soll. Denn nur in Ihm ist Friede, nur in Ihm und im Glauben an Seine väterliche Führung ist Stillung alles Kummers, und Heiland aller, auch der tiefsten Wunden des Herzens; wer anderswo als bey Ihm Trost sucht, der gräbt Brunnen da, wo kein Wasser ist; wer aber Sein Angesicht mit Ernst gesucht hat, der ist noch niemals leer von Ihm zurückgegangen.

Ob nun gleich die Leidtragenden dieß Alles gar wohl wissen, und in ihren vorigen Wegen wohl schon oft erfahren haben – ja, ob sie gleich schon durch die gegenwärtige Trübsal zu dem Throne der erbarmenden Liebe hingetrieben worden sind: so ist doch das Opfer, das der HErr von ihnen gefordert hat, zu groß, als daß es ihnen nicht auf’s Neue sollte gesagt werden: Befehlet euren Geist, euren zerschlagenen und tiefverwundeten Geist in die Hände des himmlischen Vaters, und überlasset es in stiller und kindlicher Gelassenheit Ihm, wie Er euch vollends gar über euern Verlust beruhigen und stillen wird. Besonders möchte ich dieses den jüngeren, zum Theil noch ganz in kindlicher Unschuld dahingehenden, zum Theil schon zu mehrerem Nachdenken erweckten Brüdern des Entschlafenen zurufen: Kindlein! befehlet euren Geist in die Hände eures himmlischen Vaters und Erziehers, und lasset euch durch den Hingang eures älteren Bruders bewegen, daß ihr es oft und ernstlich thuet, damit ihr durch die Verführungen einer argen lügenhaften Welt unbefleckt hindurchkommet, und einst zu der Schaar gesammelt werdet, welche der Vater im himmlischen Lichtreiche dem Sohne gegeben hat, wohin euer Bruder euch vorangegangen ist.

Es ist ein Großes, das der HErr von der Hand der Hinterbliebenen gefordert hat; aber Er, unser Gott, der Seinen Eingebornen in den Tod gab, damit Er mit Einem Opfer Alle vollendete, die da geheiliget werden – der wolle ihnen selbst die Kraft verleihen, daß sie den geliebten erstgebornen Sohn als ein Ihm geheiligtes Opfer in tiefer Willigkeit und Beugung unter Seinen heiligen Willen darbringen. Ja, Er selbst, JEsus Christus, heilige, weihe und reinige die Gabe durch Sein einst für die Sünden der ganzen Welt vergossenes Blut, und bringe sie dem Vater dar als einen Gegenstand des ewigen Erbarmens!

O himmlischer, erbarmender Vater! vollende um Christi willen auch an ihm Deinen Liebesrath, den Du über Sünder in Deinem Herzen trägst! Wir danken Dir für alles Gute, das Du an ihm an Leib und Seele in diesem irdischen Leben aus Gnaden erwiesen hast; daß Du ihn vor den Verführungen der Welt bewahret, daß Du Dich an seiner Seele geoffenbaret hast durch die Zucht Deines Geistes; daß Du ihn, wie wir im Vertrauen auf Deine Erbarmungen fest glauben, selig hineingebracht hast in das Land der Freiheit. So übergeben und überlassen wir ihn nun ganz und gar Deinen treuen Händen. Ach! brich doch auch bey uns immer mehr hindurch durch jede Nacht der Sünde, welche zwischen Dich und uns sich drängen will, und durch alle Finsterniß des Unglaubens, der uns untüchtig macht, Deine heiligen und weisen Wege zu verstehen, und ziehe uns im Geiste immer mehr zu der ewigen Heimath, damit das Werk Deiner Gnade an uns ganz und gar ausgeführt werde. Ja, das Werk Deiner Hände wollest Du fördern an uns und an Allen, die du erlöset hast durch Christum von der Sünde, an der ganzen Welt, die Du geliebet hast! Amen.

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