Hofacker, Ludwig - Erste Bußtags-Predigt.

Hofacker, Ludwig - Erste Bußtags-Predigt.

Text: 1. Thessal. 4,1–12.

Weiter, lieben Brüder, bitten wir euch, und ermahnen in dem HErrn JEsu (nachdem ihr von uns empfangen habt, wie ihr sollt wandeln und Gott gefallen), daß ihr immer völliger werdet. Denn ihr wisset, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den HErrn JEsum. Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, daß ihr meidet die Hurerey, und ein Jeglicher unter euch wisse sein Faß zu behalten in Heiligung und Ehren, nicht in der Lustseuche wie die Heiden, die von Gott nichts wissen; und daß Niemand zu weit greife, noch vervortheile seinen Bruder im Handel; denn der HErr ist der Rächer über das Alles, wie wir euch zuvor gesagt und bezeuget haben. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung. Wer nun verachtet, der verachtet nicht den Menschen, sondern Gott, der Seinen Heiligen Geist gegeben hat in euch. Von der brüderlichen Liebe aber ist nicht noth euch zu schreiben; denn ihr seyd selbst von Gott gelehret, euch unter einander zu lieben. Und das thut ihr auch an allen Brüdern, die in ganz Macedonien sind. Wir ermahnen euch aber, lieben Brüder, daß ihr noch völliger werdet; und ringet darnach, daß ihr stille seyd, und das Eure schaffet, und arbeitet mit euern eigenen Händen, wie wir euch geboten haben; auf daß ihr ehrbarlich wandelt gegen die, die draußen sind, und ihrer keines bedürfet.

„Wisset, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöset seyd von eurem eiteln Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem theuren Blute Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ So ruft der Apostel Petrus in seinem ersten Briefe und dessen erstem Kapitel im 18. und 19. Verse seinen Gläubigen zu, um sie zu ermuntern und zu ermahnen, fest zu stehen in der Wahrheit, und sich nicht mehr zu beugen unter das knechtische Joch, dem sie entronnen. Auch unser heutiger Text zielt auf denselben Gegenstand; wir wollen deßwegen diese Worte Pauli an jene Worte Petri so anlegen, daß wir in dieser Stunde reden

  • I. von dem eiteln Wandel nach väterlicher Weise,
  • II. wie wir davon erlöset seyn.

I.

Dem Apostel Petrus war es bey jenen Ermahnungs-Worten hauptsächlich darum zu thun, die Christen vor dem Zurückfinden in das alte heidnische und jüdische Leben nach väterlicher Weise zu warnen, und sie zu einem ernsten, mit Furcht und großer, heiliger Aufmerksamkeit auf ihr Seelenheil zu führenden Wandel zu ermuntern, daß sie sich doch ja dieser Welt, aus der sie ausgegangen, nicht mehr gleichstellen, sondern durch Erneuerung ihres Sinnes, dem Gott, der sie erlöset habe von der Welt, zur Ehre und zum Wohlgefallen leben möchten. Wie nöthig diese Ermahnung gewesen, und wie nöthig sie noch sey, das weiß Jeder, der sein eigenes Herz kennet, und der da weiß, welchen Einfluß das Herkömmliche und Gewohnte auf die Denk- und Handlungs-Weise aller Menschen und auch Derjenigen ausübt, welche bereits dem Unflath der Welt entronnen sind. So hat es mein Vater gemacht, so macht es der große Haufe, so macht es dieser oder jene kluge und gescheidte Mann, so habe ich es bisher gemacht – dieß sind ja bey den meisten Menschen die Gründe, aus welchen heraus sie handeln, reden, sogar denken und empfinden; und so ist es gekommen, daß sich in jedem Zeitalter ein Zeitgeist gebildet hat, von welchem Alle, die in solchem Zeitalter leben, angesteckt sind, nur die Einen mehr, die Andern weniger. Diese Art, nach dem Herkömmlichen sich zu richten, und nicht über das Herkömmliche oder die Art eines klugen und geachteten Nachbars hinauszugehen, sondern in dem blieben zu wollen, in dem nun einmal der große Haufe auch beharrt, in dem, was einmal Mode ist – diese Art der Menschen erstreckt sich nicht nur auf den Wandel, sondern auch auf die Gebilde des Herzens und die Grundsätze des Geistes. Wenn Juden oder Heiden nicht mehr gegen die christliche Religion einzuwenden wissen, und in ihrem Innern der Predigt des Evangeliums beifälliges Zeugniß geben müssen, aber dennoch die Liebe zur Wahrheit nicht annehmen, sondern lieber in der Lüge beharren, weil sie nicht aus der Wahrheit sind – wenn sie nichts mehr einzuwenden wissen, so ist das Letzte, was sie erwiedern: ich will keine Ausnahme machen, ich bleibe bei dem Sinn und bei dem Bekenntniß der Meisten; was meine Eltern geglaubt, bei dem will ich auch beharren; wo meine Eltern sind, da will ich auch hingelangen, oder wie das bey uns gangbare Sprüchwort lautet: „wer seine Religion verwechselt, taugt schon um deßwillen nicht“; denn der alte Wandel nach väterlicher Weise hat dieselbe Geltung unter Christen wie unter Juden und Heiden. An manches Herz ergeht durch das Wort und durch den Geist der Wahrheit die Anforderung: du solltest anders werden, du solltest dich dieser oder jener Dinge, die nicht in das Reich Gottes taugen, entledigen, du solltest mit aller Macht in das Element der Liebe JEsu Christi hineinzudringen suchen, und mit Furcht und Zittern schaffen, daß du selig würdest; du weißt ja nicht, wann der HErr dich abfordert, und du wirst Rechenschaft geben müssen, und deine Thaten werden gewogen werden, was sie werth sind. Wie Manchem wird auf Einmal durch äußere Umstände, durch eine Krankheit, durch äußere Noth und äußern Druck, durch dieß und jenes das Gewissen erschüttert, daß er unwiderstehlich fühlt und gedrungen ist: so kann, so darf es nicht bleiben! wie Manchem ruft der Geist und das Wort Gottes in das Herz hinein, das seine Gebeine erbeben, und seine Haut schaudert! „wach’ auf, o Mensch vom Sündenschlaf, ermunt’re dich, verlornes Schaf, und beß’re bald dein Leben.“ Der HErr ist ja geschäftig, die verlornen Schafe zu suchen und zu sammeln, aber was fruchtet es? was hat es gewirkt, was ist der Erfolg dieses Gnadenantrags Gottes an die Herzen? Ach, bei Vielen, bei den Meisten ist er nirgends zu finden; trotz aller Lockstimmen des HErrn bleiben sie, wie sie waren, und warum? darum, weil sie sich mit Fleisch und Blut besprechen, darum, weil sie umher sehen auf die sie umgebende Welt, auf den großen Haufen, auf die Klugen und Weisen dieser Welt. Während sie nun darüber zu Rathe gehen, ob es auch Recht sey, vor andern Menschen, die doch auch zu leben wissen, etwas Besonderes zu haben und zu suchen, ob es auch recht sey, den eiteln Wandel nach väterlicher Weise zu verlassen, man könne ja, ohne den Sonderling zu spielen, dieß und jenes noch mitmachen, freilich auf eine Art, die besser sey als die vorherige; während sie so sich mit Fleisch und Blut besprechen, geht die Kraft des Gnadenantrags Gottes an das Herz verloren, und man bleibt, was man war, ein fauler Baum, dem die Axt an die Wurzel gelegt ist, reif zum Abhauen, zu nichts mehr nütze, denn daß er ausgerottet und in’s Feuer geworfen werde. Gerade gegen diese Art und Weise, auf andere uns umgebenden Menschen zu sehen, und sich nach ihnen zu richten, kämpft der Apostel Petrus in jenen genannten Worten an. Es gilt jetzt, will er sagen, keine Entschuldigung mehr, daß wir uns nach dem großen Haufen richten müssen; wisset, erkennet es, schreibt es euch in’s Herz, daß ihr gerade davon erlöset seyd, nicht mit Silber oder Gold, sondern mit einem viel kostbarern Lösegeld, mit dem theuren Blute JEsu Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.

Worin besteht denn nun aber eigentlich der eitle Wandel nach hergebrachter Weise? Offenbar deutet der Apostel hin auf die alte Sinnesart nach heidnischer Weise, von welcher er im vierten Kap. desselben Briefes spricht: „es ist genug, daß wir die vergangene Zeit des Lebens zugebracht haben nach heidnischem Willen, da wir wandelten in Unzucht, Lüsten, Trunkenheit, Fresserey, Saufferey und greulichen Abgöttereyen.“ Wenn er aber jetzt an uns, die wir Christen heißen, zu schreiben hätte, so wüßte ich nicht, warum er nicht die nämlichen Ermahnungen auch an uns könnte und dürfte ergehen lassen, indem ja alle diese Sünden und Laster auch bey uns zur hergebrachten Art und Gewohnheit, zu dem Laufe dieser Zeit gehören, von welchem man wohl sagen möchte, was von den Menschen zur Zeit der Sündfluth galt: „alles Fleisch hat seinen Weg verderbet auf Erden.“

Der Apostel Paulus in unserem heutigen Texte gibt uns bey so mancherlei Winke darüber, was zum eiteln Wandel nach der Weise dieser Welt zu rechnen sey. „Das ist der Wille Gottes“ – spricht er – „eure Heiligung; daß ihr meidet die Hurerey, und ein Jeglicher unter euch wisse sein Gefäß zu behalten in Heiligung und Ehren.“ Es ziemt sich nicht für mich, über dieses Geschwür unserer Zeit mich weitläufig zu verbreiten. Ich mache nur aufmerksam auf die tägliche Erfahrung, daß Keuschheit und Zucht und Schamhaftigkeit je mehr und mehr aus der Welt entschwinden. Ich will nichts davon sagen, daß sich das Laster immer weniger scheut, frei und öffentlich an das Tageslicht hervorzutreten, nichts davon, daß, wenn man den Fuß über die Straße setzt, man schandbare und schmutzige Worte vernehmen kann, die aus vergifteten Herzen, als verderbliches Gift für Junge und Alte, ausgeschäumt werden; ich will auch nicht sagen davon, daß die Welt voll ist von einem Wuste von Büchern, durch welche in manches junge unschuldige Herz ein furchtbarer Keim und Zündstoff der Sünde hineingeworfen wird; auch davon will ich nicht reden, daß in mancher Gesellschaft, die mit dem gleißnerischen Ruhme der Bildung sich schmückt, es zum guten Tone gerechnet wird, durch Augen und durch Mienen, durch Gebärden und durch Worte, durch Anzug und durch Tanz mehr oder minder zu unreinen und unzüchtigen Gedanken zu reizen, und sich darzustellen und zu betragen wie die Heiden, die da hingegeben sind in ihres Herzens Gelüste; und zu leben, wie wenn kein Gott vom Himmel hernieder schaute, der nicht nur die That, sondern auch die Gedanken, die Phantasieen, den innersten Rath der Herzen wägen und richten wird; wie wenn es keinen Christus gäbe, der Sein Blut vergossen hat, auf daß wir durch dasselbe uns reinigen von aller Befleckung des Fleisches und Geistes; wie wenn es kein Wort Gottes gäbe, das so deutlich und klar uns bekennet: die Hurer und Ehebrecher werden das Reich Gottes nicht ererben. Aber dieß gerade gehört zum eiteln Wandel nach hergebrachter Weise, daß, wenn an die in solchen Dingen verstrickten Geister die Stimme Gottes ergeht: waschet euch, reiniget euch, thut das böse Wesen von euch, sie dennoch sich wieder zurückwenden zu diesen oder jenen bösen Gelegenheiten, zu diesen oder jenen Gelegenheiten der im Argen liegenden Welt, und sich wieder fangen lassen im knechtischen Joch der Sünde, zur Schmach und zur Unehre des Blutes JEsu Christi, das kräftig genug wäre, um auch die festesten Bande und Stricke des Teufels zu zerreißen, und das Herz zu waschen und zu reinigen von aller Unsauberkeit und Unreinigkeit.

„Niemand greife zu weit und vervortheile seinen Bruder im Handel“, setzt der Apostel hinzu. Wie? möchte man fragen; die Thessalonicher waren doch Gläubige und Auserwählte Gottes, wie kommt denn der Apostel dazu, ihnen solche Gebote einzuschärfen, denen sie längst entwachsen zu seyn schienen? Wie wäre es möglich, möchte man fragen, daß ein gläubiger Christ seinen Bruder sollte vervortheilen im Handel? Wenn ein Mensch, der ohne Gott in der Welt lebt, und seinem eigenen Geiste folgt statt dem Heiligen Geiste, an sich zu reißen sucht, was er an sich reißen kann, und auch mit Unrecht nimmt, wo er nehmen kann, so kann man sich dessen nicht wundern, denn die Welt hat das Ihre lieb, aber daß einem Christen noch solche Vorschriften sollten eingeschärft werden müssen, einem Christen, dessen Bürgerthum im Himmel ist, dessen Lebensschiff auf die ewige Heimath lossteuert, das könnte Manchem unnöthig und nutzlos erscheinen. Aber mit Unrecht, so schön und glänzend auch dieser Gedanke aussehen mag. Liebe Zuhörer! ihr könnet ja die Erfahrung an euch selber machen, daß der Mensch fast an keiner Seite seines Wesens empfindlicher und antastbarer ist, als wenn es sich um das Mein und Dein handelt. Prüfe dich doch, lieber Mitchrist, der du dich längst über diese Vervortheilungssucht hinweggeschwungen zu haben meinst, ob nicht, wenn du mit Andern ein Erbe zu theilen, oder einen wichtigen Handel zu schließen hättest, dein schwaches Herz dennoch in Anspruch genommen, und deine ganze Natur in Schwingung und Bewegung gerathen würde. Zudem gibt es auch im Handel einen Wandel nach väterlicher Weise; da gibt es alte Vorrechte, die schon der Vater und Großvater geübt hat, die alle Welt noch übt, die kein Mensch für eine Sünde achtet, die Mancher auch, der zum Glauben sich gewendet, ohne Scheu und Vorwurf seines Innern beibehält, weil es nun einmal Sitte ist, weil der Druck der Zeit so groß ist, weil man ja dennoch vor den Augen der Welt ein ehrlicher Mann bleiben kann. Der HErr aber ist über alles dieß Rächer, und wird alle diese Ungerechtigkeiten der Menschen an’s Licht ziehen, und wird sie strafen nach den Rechten Seiner ewigen Gerechtigkeit, die strenger und heiliger sind als die lauen und flauen Ehrlichkeits-Regeln dieser Zeit.

„Niemand greife zu weit und vervortheile seinen Bruder im Handel!“ O wie häufig wird dieses ernste Gebot überschritten und mit Füßen getreten, namentlich in jetziger Zeit, wo der irdische Sinn die höchste Höhe des Verderbens ersteigt, und trotz der Strafruthen Gottes, deren Er immer eine um die andere über dieses Geschlecht ausreckt, immer noch höher hinansteigt, wo Jeder sucht, wie er etwas gewinne, erjage, erhasche, erraffe, wo mit der wachsenden Ueppigkeit und Genußsucht auch die Bedürfnisse zu einer unersättlichen Größe anwachsen, und Neid und Mißgunst die Herzen beschleicht, und gegen einander verhärtet.. Daher kommt es, daß, wenn man selbst keinen Vortheil von irgend etwas davon trägt, man wenigstens dem Nächsten seinen Vortheil zu verkümmern, und gerade aus der Armuth, aus der Bedürftigkeit, aus der Verlegenheit des Mitbruders, Nutzen für sich selber zu ziehen sucht. Daher kommt jene empörende Härte, mit der man den Lohn des sauersten Schweißes noch weiter herabdrückt, und mit dem armen bedürftigen Mitbruder um ein paar Kreuzer marktet, während man sich nicht scheut, für seinen eigenen Leib, für sein eigenes Wohlleben, für seine eigene Bequemlichkeit das Zehnfache, das Hundertfache, ja das Tausendfache freudig und willig aufzuopfern. Das sind Ungerechtigkeiten, das sind Sünden, die zum Himmel schreyen, und das ernste Gericht Gottes über das ungerechte Wesen dieser Zeit herausfordern. Darum prüfet euren Wandel. Erforschet eure Verhältnisse, überblicket eure Einnahmen und Ausgaben, thut von euch den alten Sauerteig der Bosheit, tretet heraus aus dem eiteln Wandel nach väterlicher Weise, und wisset, daß der Zorn Gottes über die Ungerechtigkeit dieser Zeit entbrennen wird wie ein Feuer, und leuchten wie eine Fackel.

„Von der brüderlichen Liebe aber ist nicht Noth, euch zu schreiben“, fährt der Apostel fort, „denn ihr seyd selbst von Gott gelehret, euch unter einander zu lieben, und das thut ihr auch an allen Brüdern, die in ganz Macedonien sind; wir ermahnen euch aber, daß ihr noch völliger werdet.“ Ach, daß uns Allen der Apostel auch bald schreiben könnte; aber gestehet es nur, das könnte er nicht. Wir sollen seyn Glieder Eines Leibes, Kinder Eines Vaters, Erlöste Eines HErrn. Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater, der da ist über Allen, durch Alle und in Allen; das sollte die Inschrift seyn, die am Eingang jedes Hauses, jedes Dorfes und jeder Stadt angebracht wäre. Aber wo ist es also? Suchen nicht die Meisten das Ihre, gehört es nicht zum guten Tone, das Seine zu suchen, und nicht das, das des Nächsten ist? Hält man es nicht für einen Beweis von dummer Gutmüthigkeit, wenn eine Seele darnach ringt, in Wahrheit den Nächsten zu lieben wie sich selbst, den fremden Vortheil ebenso zu suchen wie den eigenen? Was ist verachteter, was ist von dem stolzen Geschlechte dieser Zeit mehr verkannt als wahre Liebe zu den Brüdern, zu den Brüdern Christi, wahre brüderliche, wahre allgemeine Liebe? Man sitzt zusammen, man ißt und trinkt, und läßt sich’s wohl seyn, man fröhnt der Augenlust, der Fleischeslust und dem Bauche, man fällt inmittelst über den abwesenden Bruder her und waidet sich an seinen Fehlern, Gebrechen und Schwachheiten, man genießt die Lüste dieser Zeit und siehet seinen Bruder neben sich darben, mit vornehmem Stolze erhebt man sich über ihn, wie wenn man aus einer eigenen, besonderen Natur geformt wäre; man wirft ihm etwas zu vom Ueberflusse, vom zusammengerafften oder ererbten Eigenthum, aber lieblos, hart, ohne Mitleiden und Zartheit. Der Arme dagegen ist bitter und neidisch auf den Wohlhabenden, und lebt bey seiner Armuth, die ihn zu Gott führen sollte, in Zank und Streit mit seiner nächsten Umgebung; die Armuth wird ihm, da sie ihm ein Erziehungs-Mittel für den Himmel und ein Sporn seyn sollte, zu trachten nach dem, was droben ist, zum täglichen Zank-Apfel, zum täglichen Anlaß des Verdrusses, der Bosheit, der Ungerechtigkeit, des Fluchens, des Schwörens, aller Ausbrüche seines bösen Herzens. Der HErr schlägt ihn, aber er achtet nicht darauf; der HErr züchtiget ihn, aber er thut doch nicht Buße; der HErr stäupet ihn, aber er läßt sich doch nicht gewinnen, daß er seine Sünde erkennen und sich demüthigen würde. Das ist der Lauf der Zeit, der eitle Wandel nach väterlicher Weise. Die Kinder reifen heran zu der Sünde der Väter, und wenn sie in die Stelle der Eltern getreten, so häufen sie noch die Schuld auf den hereinbrechenden Tag der Vergeltung, der alle Ungerechtigkeit und alle Lieblosigkeit an’s Licht bringen und mit ewigen Gerichte richten wird.

Ringet darnach, daß ihr stille seyd und das Eure schafft, und arbeitet mit euren eigenen Händen, so schließt der Apostel seine Ermahnung, und empfiehlt damit die stille, auf Gott blickende Arbeitsamkeit, die im Namen des HErrn ihre Geschäfte verrichtet, und ebendeßwegen mit dem Segen von Oben gekrönet wird; eine Arbeitsamkeit, die eben so weit von der ängstlichen Sorge der Nahrung als von der Trägheit des Fleisches entfernt ist; die zwar das Ihrige thut, aber den Segen und das Gedeihen dem HErrn überläßt; eine Arbeitsamkeit, bey der nicht, wie bey’m unseligen, unruhigen Scharrgeist und Geizessinn, jeder Gedanke an Gott und an die Ewigkeit verdrängt wird, sondern wo man in der Furcht Gottes geduldig harret auf Seine Gnade, wie der Landmann wartet auf den Frühregen und Spätregen; eine Arbeitsamkeit, wo man auch nicht dem Fleische Raum gibt, sondern die Zeit auskauft, die uns zum Wirken gegeben ist, so lange es Tag ist, und sie nicht vergeudet durch faules Geschwätz, durch Essen und Trinken, durch Lustparthieen und Lustgelage. Wie weit aber diese eigennützige und doch so bequeme, diese geldsüchtige und lieblose, und doch dabey so wollüstige und üppige Zeit von dieser heiligen, auf den HErrn gerichteten Arbeitsamkeit entfernt sey, das weiß Jeder, der nur einen oberflächlichen Blick in das eitle Getreibe derselben hineingeworfen hat. Alles dieß, was wir genannt haben, gehört zu dem Wandel nach hergebrachter Weise, und diesen Wandel nennt Petrus einen eiteln. Ja wohl ist er eitel, denn was hat denn der arme Mensch errungen und erlangt, der sein Leben unter den Lüsten und Sünden dieses Zeitlaufes zugebracht hat? was hat er geerntet für sein Leben, das er zugebracht unter grober oder feiner Hurerey, unter eitlem und faulem Geschwätz, unter Sorgen für Irdisches und Zeitliches, unter Ungerechtigkeit, sey sie unter Menschen erlaubter und unerlaubter Art, unter Selbstsucht und Lieblosigkeit? was trägt er davon als Beute seiner Arbeit und seiner Mühe, seiner Lust und seiner Freude? Nichts, ja weniger als Nichts. Unruhe und Elend in seinem Herzen, Leere und Oede in seinem Geiste, Jammer und Hoffnungslosigkeit in seiner Seele, denn sein Wandel nach der väterlichen Weise war eitel, ja ganz eitel.

II.

Darum gehe aus, mein Volk! gehe aus, wer seine Seele erretten will, aus Babel, aus diesem eitlen Wandel nach väterlicher Weise! Eile, und errette deine Seele, und laß dich von keinen Banden und Stricken des Fleisches, der Welt und des Teufels mehr halten, zerreiße sie, auch wenn sie noch so fein und noch so stark wären, und brich hindurch zu der Freiheit, damit du noch gerettet wirst. O ihr, die ihr der Welt bereits den Rücken gekehrt habt, und ihr, die ihr schwanket zwischen dem Dienste der Welt und dem Dienste Gottes, vernehmet es und bedenket es, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erkaufet und erlöset seyd, sondern mit dem theuren Blute JEsu Christi.

Wir sind aber schon erlöst, wir sind schon losgekauft. Die Kraft zu unserer völligen Erledigung aus den Banden der Sünde und der Welt ist bereits erworben, wir können und dürfen frey ausziehen aus dem eiteln Wesen dieser Welt; wir dürfen uns ermannen in der Kraft Christi, wir dürfen uns erheben in der Macht unsers Gottes; der Bann ist von uns genommen, der Strick ist entzwey, der Arge darf uns nicht antasten. Darum sey stark und männlich, muthig und keck, denn du bist erlöst und erkauft zur seligen Freiheit der Kinder Gottes. Und zwar nicht vergängliches Silber oder Gold ist unser Lösegeld, nicht der Götze dieser Welt, vor dem man die Kniee beugt, dem man huldigt, dem man dient, nicht der schimmernde Glanz von Gold und Silber, der die Augen der Menschen verblendet und doch nur Flitter ist, und die Seele nicht sättigen und stillen kann; nein, etwas Kostbareres ist unser Lösegeld, etwas, was in die Ewigkeiten hineinreicht, dessen Werth der Himmel und die Erde nicht aufzuwiegen vermag. Es ist das theure Blut JEsu Christ, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Um unsertwillen hat Er es vergossen, um unsertwillen als heiliges Opfer in das Allerheiligste gebracht, um eine ewige Erlösung zu stiften, und durch Seine Besprengung Alle zu vollenden, die da geheiliget werden.

Und du wolltest der Sünde länger dienen, du wolltest länger wandeln in der Eitelkeit deines Herzens nah der hergebrachten Weise? Bedenke, was du thust, du willst das Blut der Vergebung gering achten, das doch für dich geflossen, du willst Christum deine Seele rauben, die Er sich doch zum Eigenthum erkauft. Bedenke, daß keine Entschuldigung mehr gilt, weil Erlösung zu finden ist für alle Sünden in JEsu Blut, und daß ewige Pein Diejenigen treffen wird, die das Blut des Sohnes Gottes mit Füßen getreten und Seine Gnade verworfen haben. Amen!

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