Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - VI. - Abrahams Fürbitte für Sodom.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - VI. - Abrahams Fürbitte für Sodom.

Meine theuren Freunde! Ihr gesteht, das menschliche Elend ist groß auf Erden. Das leibliche Elend ist groß, und wir allesammt sind angewiesen, ihm zu helfen. Die Samariterliebe mit ihrem Wein und Oel am Schmerzenlager der hülflosen Kranken, die Barmherzigkeit gegen die flehende Noth, die Wohlthätigkeit gegen die weinende Armuth, das tröstende Mitleid gegen Verlassne - alles das und wie viel mehr! - ist nicht blos denen vorgeschrieben, welche Mittel, Macht und Vermögen genug haben, solche Hülfe zu leisten; die Pflicht, Liebe zu erweisen, ruhet auf allen ohne Ausnahme; sie gilt nicht blos euch, die ihr in einer glücklichen und sorgenfreien Lebenslage seid, sie gilt auch euch, die ihr selbst dürftig, gepreßt, entblößt seid und ein kümmerliches Dasein mit Mühe und Sorgen hinfristen müßt. Das große Gebot des Herrn: Du sollst deinen Nächsten lieben, schließt Niemand aus, und mit welchem Ernste blickt es uns an: du sollst ihn lieben als dich selbst! in welchem Umfang dehnt es sich vor uns aus, da wir auch unsre Feinde lieben, unsern Beleidigern wohlthun und die segnen sollen, die uns fluchen! Ich habe es in diesen Worten in seiner schneidenden Schärfe genannt, aber es spricht das Gebot unsres Gottes so, es ist unbedingt, es umfaßt alle Menschen, auch die Unbekannten, auch die auf ferngelegenen Inseln wohnenden Heiden, auch die, die unsrer bittenden Stimme den Zugang verschließen, auch die Undankbaren, auch die, welche unsres Mitleids nicht werth zu sein scheinen. - Mein Gott, sagst du, ist es denn möglich, diesem Gebote Genüge zu leisten? Ja, es ist möglich. Durch Fürbitte kannst du deine Liebe erweisen, durch Fürbitte kannst du dein Unvermögen ersetzen; durch Fürbitte kannst du denen wohlthätig werden, die deine Hand zurückstoßen; durch Fürbitte kannst du ihnen Heil vom Vater der Barmherzigkeit herabflehen. Wie arm, wie schwach und gering ich sey und wo ich sonst nichts vermag, da habe ich eine Macht, eine unfehlbare, eine Gott wohlgefällige, eine von ihm hochgesegnete Macht, die Macht der Fürbitte!

Auch das geistliche Elend ist groß auf Erden. Ich kann es jetzt nur mit zwei Worten andeuten. Unzählige gehn in den Banden der Sünde, die Weg des Verderbens hinab und in welche Tiefe hinunter! Wir sind es, die sie warnen, die die Binde von ihren Augen nehmen, die ihrer Seele vom Tode helfen sollen. Kain's Wort: Soll ich meines Bruders Hüter sein? wird keinen von uns entschuldigen, wenn er unbekümmert um die, welche der Prophet die Erschlagenen im Volke nennt, dahingeht. Und auch für deren geistliche Wohlfahrt, für die ewige Errettung ihrer Seele ist dir eine Macht in die Hände gegeben, die Macht der Fürbitte!

Darauf weiset nun ein Vorfall in der Geschichte eines Mannes, dessen Leben ein allzureicher Born der Lehre und Ermahnung ist, als daß ich nicht die Betrachtungen darüber, welche durch eingetretene Festzeit abgebrochen worden, wieder aufnehmen und fortsetzen sollte. Der Herr lege seinen Segen darauf!

1. Mose 18, 16-33.

Da standen die Männer auf von dannen, und wandten sich gegen Sodom; und Abraham ging mit ihnen, daß er sie geleitete. Da sprach der Herr: Wie kann ich Abraham verbergen, was ich thue? Sintemal er ein großes und mächtiges Volk soll werden, und alle Völker aus Erden in ihm gesegnet werden sollen. Denn ich weiß, er wird befehlen seinen Kindern, und seinem Hause nach ihm, daß sie des Herrn Wege halten, und thun, was recht und gut ist; auf daß der Herr auf Abraham kommen lasse, was er ihm verheißen hat. Und der Herr sprach: Es ist ein Geschrei zu Sodom und Gomorrha, das ist groß, und ihre Sünden sind fast schwer. Darum will ich hinabfahren, und sehen, ob sie alles gethan haben, nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist; oder obs nicht also sei, daß ichs wisse. Und die Männer wandten ihr Angesicht, und gingen gen Sodom; aber Abraham blieb stehen vor dem Herrn, und trat zu ihm, und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es möchten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen, und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die drinnen wären? Das sei ferne von dir, daß du das thust, und tödtest den Gerechten mit dem Gottlosen, daß der Gerechte sei gleichwie der Gottlose. Das sei ferne von dir, der du aller Welt Richter bist; du wirst so nicht richten. Der Herr sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt; so will ich um ihrer willen allen den Orten vergeben. Abraham antwortete, und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden zu reden zu dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin. Es möchten vielleicht fünf weniger denn fünfzig Gerechte drinnen sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünfe willen? Er sprach: Finde ich drinnen fünf und vierzig, so will ich sie nicht verderben. Und er fuhr fort mit ihm zu reden, und sprach: Man möchte vielleicht vierzig drinnen finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts thun um vierziger willen. Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, daß ich noch mehr rede. Man möchte vielleicht dreißig drinnen finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig drinnen, so will ich ihnen nichts thun. Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden mit dem Herrn zu reden. Man möchte vielleicht zwanzig drinnen finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen Und er sprach: Ach zürne nicht, Herr, daß ich nur noch einmal rede. Man möchte vielleicht zehn drinnen finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen. Und der Herr ging hin, da er mit Abraham ausgeredet hatte; Und Abraham kehrete wieder an seinen Ort.

Unser Text ist ein sehr reicher. Wollen wir die Fundgrube herrlicher Wahrheiten, die er uns aufschließt, nicht erschöpfen, nicht ausbeuten, sondern nur in etwa kennen lernen in der Kürze der Zeit, die uns auch die Jahreszeit inne zu halten gebietet, dann müssen wir ohne weitere Vorbemerkung zu unserer Betrachtung übergehn, deren Verlauf ohnehin von unserm Text wird geleitet werden. Ich gebe dieser Betrachtung die Überschrift:

Abrahams Fürbitte für Sodom

  1. Ein Dreifaches tritt in derselben vornehmlich hervor: die herzliche Bekümmerniß Gottes um unsre Noth,
  2. das Wohlgefallen sodann, das Gott an der Fürbitte der Menschen hat, und
  3. sein Segen, der darauf ruht.

1.

Wie lieb und wie willkommen ist es mir, daß die Vorgänge, in deren Mitte uns unser Text versetzt, mir Anlaß geben, zu allererst die herzliche Bekümmerniß des allerhöchsten Gottes um unsre Noth Euch bemerklich zu machen. Stoßet Euch nicht an diesem Ausdrucke Bekümmerniß, er rechtfertigt sich, wenn wir da, wo von der Bosheit der Menschen vor der Sündfluth geredet ist, lesen: es bekümmerte Gott in seinem Herzen (1. Mos. 6,6.). In andern Stellen heißt sie, etwas weiter gefaßt, Gottes herzliche Barmherzigkeit (Jes. 63, 15., Luc. 1, 78.) und anderswo sein herzlich Jammern, daß ihm sein Volk so verderbet sei. (Jer. 8, 21.) Sehet nun aber, Geliebte, was damit unser Vertrauen auf Gott für eine felsenfeste Grundlage gewinnt! Unsre Fürbitte fußet darauf, daß er ein Herz der Erbarmung habe.

Sein Name ist, daß er so gnädig ist, sein Ruhm, daß er so gerne hilft.

Jedoch wenden wir uns, das zu erkennen, zu unsrer Geschichte! Was haben wir gehört? Ein Gespräch, wunderbarer, wahrhaft rührender Art; ein Gespräch zwischen dem, der der Welt Richter ist und zwischen einem Menschen, der sich Staub und Asche nennt; ein Gespräch, das von der einen Seite überfließt von Liebe und Huld, wie es von der andern Seite die tiefste Demuth und Ehrfurcht athmet. Drei Männer sind gegenwärtig, welche Abraham auf ihrem Wege nach Sodom begleitet. Wer sind diese? Die Eingangsworte der ganzen Erzählung geben den Schlüssel des Verständnisses. Sie lauten: und der Herr erschien Abraham im Haine Mamre. Der Herr! (V. 1.) Als aber Abraham seine Augen aufhob, und sah, siehe, da standen drei Männer gegen ihm. (V. 2.) Drei, zwei derselben aber treten ganz und gar in den Hintergrund und bleiben unbeachtet. Einer nur der ists, der fesselt sein Auge. Was für Majestät und Herrlichkeit und Hoheit strahlt ihm aus dem Angesicht dieses Einen entgegen! Sein Geist giebt ihm das Zeugniß: es ist der Herr. Darum lesen wir: Da er die drei Männer sah, lief er ihnen entgegen vor die Thür seiner Hütte und bückte sich nieder auf die Erde - aber zu wem redet er nun? - und sprach - nicht zu ihnen allen, sondern zu dem Einen: Herr, habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so gehe nicht vor deinem Knechte über. Er sagt Herr, und gebraucht genau den Ausdruck, mit welchem Gott allein angeredet wird. Was ist das also? Die Antwort ist leicht. Wir wissen alle, daß das Wort, das von Anfang war und bei Gott war und Gott war und in der Welt war (Joh. 1.) und das, da die Zeit erfüllet war, Fleisch ward, schon vor seiner Menschwerdung die Welt geliebt, der Gefallenen sich herzlich angenommen, Heilspläne über sie gefaßt, ihre Erlösung beschlossen und Verkehr mit ihnen gehabt habe. Hier mit Abraham, anderwärts mit Jacob, dem Kämpfer Gottes, mit Mose im brennenden Busch und in der Wolkensäule, mit Samuel im nächtlichen Schlaf, mit Eliä im linden, sanften Sausen auf Horeb und wo nicht sonst? Ueberall, meine Lieben, überall, wo uns in diesen Gottesmenschen des alten Bundes tiefe Aufschlüsse über die verhüllte Zukunft, überall, wo uns hohe und erhabene Gottesgedanken in der Brust dieser Menschen entgegen leuchten, wie sie uns jetzt noch in ihren heiligen Schriften ergreifen, überall Nahesein Gottes! Einwirkung seines Geistes! Erweisung der Gegenwart des Herrn. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.

Doch wir kehren zu unsrer Geschichte zurück. Nachdem Abraham dem Einen der Fremdlinge seine Ehrfurcht bezeugt, so richtet er nun an die Wandrer alle seine Bitte, sie mögen in seine Hütte einkehren und sich bei ihm erlaben. Sie lassen sich erbitten und er beeifert sich, ihnen jede Erquickung zu bereiten. Gastfrei zu sein ruft darum ohne Zweifel mit Rückblick auf diesen Auftritt der Apostel (Hebr. 13.) gastfrei zu sein vergesset nicht, denn durch dasselbe haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt. Und mehr noch wie Engel; auch den, aus dessen Munde Abraham die Verheißung eines Sohnes empfängt und der zugleich der Sarah ein Zeugniß seiner alles durchblickenden Augen giebt. Dann brechen die Gäste auf. Sie wenden sich des Weges gen Sodom, Abraham begleitet sie. Nun beginnen die großen Eröffnungen über Sodoms Geschick. Der Herr sprach: wie kann ich Abraham verbergen, was ich thue? Denn was ihm offenbart wird von des Herrn Wegen auf Erden und von dem Walten seiner Hand, das wird ein Licht, ein Segen der kommenden Geschlechter werden; er wird befehlen seinen Kindern nach ihm, daß sie des Herrn Wege halten und thun, was recht und gut ist. Ihm enthülle ich den Beschluß meiner Gerechtigkeit, auf daß er den Geschlechtern der Erde die Furcht meines Namens ans Herz lege. Die Sünden, fährt er fort, zu Sodom und Gomorrha sind groß und schwer, darum will ich hinabfahren und sehn, ob sie alles gethan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder obs nicht also sei, daß ichs wisse. Daß ich es wisse; muß denn der Herr erst erfahren, was seine Menschenkinder auf Erden treiben? Nein, das bedarfs nicht; aber ehe er den richterlichen Ernst seines heiligen Zornes offenbart, läßt er uns die Gerechtigkeit desselben in die Augen leuchten. Es ist der Zuruf an den ungerechten Haushalter: wie höre ich das von dir, thue Rechnung von deinem Haushalten. Er urtheilt, ehe er zur Strafe schreitet: er bringt das Verborgene ans Licht, daß kein Mensch vor ihm sich entschuldigen und mit ihm rechten könne.

Oder sollte vielleicht die Sendung der Engel nach Sodom ein letzter Versuch sein, der Blindheit und Verhärtung dieser Stadt zu wehren, und dann erst, wenn das Maaß ihrer Bosheit erfüllt sei, statt der Ruthe zum Schwert zu greifen und geschehn zu lassen, was einer sagt:

Mit Feuer wird gesalzen
Was milde Zucht verschmäht.
Und was den Thau verachtet
Mit Flammen übersäet.

Es ist nicht ausdrücklich gesagt, aber jedenfalls redet hier doch derselbe, der, als Johannes und Jacobus wollten Feuer vom Himmel fallen und eine widerspenstige samaritanische Stadt verzehren lassen, sprach: der Menschensohn ist nicht gekommen, Seelen zu verderben, sondern zu erhalten, der über Jerusalem Thränen weinte, weil sie nicht bedachte, was zu ihrem Frieden diente, und der für den unfruchtbaren Feigenbaum, über welchen das Urtheil der Gerechtigkeit gesprochen, haue ihn ab! was hindert er das Land? noch um Verschonung bat, er wolle ihn noch einmal umgraben und bedüngen, ob er wolle Frucht bringen.

Aber sehet, das ist unser Gott! voll herablassender Gnade gegen die Seinen, voll Barmherzigkeit und Geduld und Langmuth gegen die Schuldigen! Er kümmert sich um dein Thun und Lassen, das Geschrei der Sünden trifft sein Ohr, das Verderben der Sünder bewegt sein Herz, die Stimme des Gebets dringt zu ihm hinauf. So lernen wir aus dem rührenden Wechselgespräche, das uns:

2.

Gottes Wohlgefallen an der Fürbitte der Menschen sichtbar werden läßt. Der Apostel fügt 1. Tim. 2. der Ermahnung, daß man Gebet und Fürbitte thue für alle Menschen, die Bekräftigung hinzu, denn welches ist gut; dazu auch angenehm vor Gott unserm Heiland, welcher will, daß allen Menschen geholfen werde. Er nennt Gott unsern Heiland, er versichert, die Fürbitte sei ihm angenehm, er wolle, daß allen Menschen geholfen werde. So weit, so umfassend ist Gottes Erbarmen und es sollte ihm nicht wohlgefällig sein, wenn seine Kinder in diesem Liebestrieb ihm ähnlich werden? Höret hier den Thatbeweis!

Nach diesen Eröffnungen wenden die zwei Männer ihr Angesicht und gehen gen Sodom. Und Abraham, der geheimsten Willenserklärungen des Allerhöchsten gewürdigt, er bleibt bestürzt, von mitleidigem Kummer gefesselt, vor dem Herrn stehn und legt Fürbitte für Sodom ein. Willst du den Gerechten, wie den Gottlosen umbringen? Es möchten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein. Er will ihre Zahl nicht in weite Grenzen ziehn, aber so hoch schätzet er sie doch. Willst du die umbringen und dem Ort nicht vergeben, um fünfzig Gerechter willen, die darin wohnen? Das sei ferne von dir, daß du das thuest, der du der Welt Richter bist, du wirst so nicht richten. Welch eine Sprache! „Er hat nichts anders,“ sagt Luther bei dieser Stelle, „als eitel feuerige Worte und ein so herzlich Gebet, als ich keins in der Schrift weiß.“ Und mißbilligt der Herr auch nur mit einem Worte diese andringende, kühn scheinende Bitte? Nicht im Mindesten, keine Spur davon! Leutselig und langmüthig und freundlich ist der Herr! Er antwortet: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihrer Willen den Orten vergeben; nicht der Stadt allein, sondern allen Orten ringsum. Abraham bekam Muth, noch weiter zu bitten. Ach siehe, ich habe mich unterwunden zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin. Es möchten vielleicht fünf weniger denn fünfzig Gerechte darinnen sein, und die göttliche Langmuth in dem Munde des Weltrichters antwortet: Finde ich fünf und vierzig, so will ich sie nicht verderben. Abraham wagt noch einen Schritt weiter: man möchte vielleicht vierzig, dreißig, zwanzig und zuletzt bis zum sechstenmal, so muthig schlägt er die Flügel des Gebets, man möchte vielleicht zehn darinnen finden. Die göttliche Erbarmung antwortet: so will ich sie nicht verderben um der zehn willen.

Das heißt Fürbitte einlegen! Das heißt das Wohlgefallen erkennen, das der Herr an der Fürbitte hat! Das ist wahr, was der alte Vers sagt:

Was die Liebe fleht,
Ist ein Kern, in Gottes Herz gesäet.

Abraham bittet, der Herr hört zu. Abraham bittet sechsmal, der Herr stehet es nicht als Anmaßung an, er wird nicht müde ihn anzuhören. Fasset es, wie angenehm vor Gott die Fürbitte ist, mit der wir vor ihn treten. Wie, diesem großen Gottesherzen, welches bekennt: ist nicht Ephraim mein theurer Sohn und mein trautes Kind? Darum bricht mir mein Herz gegen ihn, daß ich mich sein erbarmen muß, diesem mitleidigen, liebreichen Heilandsherzen sollte es nicht angenehm sein, wenn wir mit einem Fünklein der Liebe, die, eine ewige Flamme in seinem Wesen brennt, fürbittend für andere, vor sein Angesicht kommen? Dort lastet ein schwerer Druck auf dem Gemüth eines Angefochtenen oder es schwebet eine drohende Gefahr über dem Haupte eines theuren Kranken, und es sollte dem Nothhelfer Israels nicht angenehm sein, wenn wir da, wo die Hoffnung sich verdunkelt, unsre Zuflucht zu ihm nehmen? Dort geht einer hin in Stricken des Verderbens, ohne Gefühl des Gewissens, dem Tage des Zornes entgegen und es sollte dein Gebet für seine Errettung dem nicht angenehm sein, der nicht will den Tod des Gottlosen, sondern daß er lebe und sich bekehre? Seid fest versichert, er hat Wohlgefallen daran, wir werden ihm in einer seiner erhabensten Eigenschaften ähnlich, wir werden Nachfolger des Sohnes des Wohlgefallens, der in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen zu Gott geopfert, der für Petrus gebeten, daß sein Glaube nicht aufhöre, der unter den Qualen des Kreuzes für die Uebelthäter bat: Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.

Seid seine Nachfolger, und seine willigen um so mehr, da:

3.

Gottes Segen auf der Fürbitte ruht. Aber so scheint es hier doch nicht. Unsre Geschichte schließt: der Herr ging hin, da er mit Abraham ausgeredet hatte, und Abraham kehrte wieder hin an seinen Ort. Seine Fürbitte war vergeblich. Ja, das kann sie sein, sie kann fruchtlos sein, wenn, wie hier, der Richter aller Welt, seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit wegen, den Untergang der Gottlosen nicht hindern, das Verhängniß, dem sie sich selbst geweiht, nicht aufhalten kann, wenn die, für die wir ihn anrufen, sich gegen die Arbeit seiner Gnade, wie Pharao, immer entschlossner verstocken, und er sie nun ein Ende nehmen läßt mit Schrecken. Wiederum aber ein Segen für andere, sie durch den Ernst seiner Gerichte zu erschüttern. Ohne Segen ist also die Fürbitte nimmer. Sie war es an Abraham nicht. Er kehrte wieder hin an seinen Ort, und was wird er aus diesem Gespräche gewonnen haben! welche Schätze werden in seinem Innern niedergelegt sein! Wie jedes Gebet den Bittenden erhebt, erleichtert, tröstet, heiligt, so hat auch diese Fürbitte das liebreiche Mitleiden Abrahams gegen die verblendeten geweckt und genährt, seine Demuth belebt, seine Gottesfurcht, seine stille Ergebung in Gottes Rathschlüsse geübt und mit welchem Eifer wird er nun seinen Kindern und seinem Hause nach ihm befohlen haben, daß sie des Herrn Wege halten und thun, was recht und gut ist.

Ja, sagst du, das war ein Segen für Abraham selbst, aber hat die Fürbitte diesen Segen auch für die, für welche wir bitten? Der ist es doch, dessen wir begehren. Wohlan, erwarte ihn mit aller Zuversicht von dem, der überschwenglich thun kann über alles, was wir bitten und verstehn. Er erhört Gebet, wenn's dir und andern heilsam ist. Er hat Erhörung verheißen, traue seinem Wort, er kann sein Wort nicht widerrufen, er kann seinen Kindern die Wünsche eines frommen, ehrerbietigen, geheiligten Herzens nicht versagen und sie unerhört von seinem Gnadenthron zurückgeht, lassen, des Herrn Wort ist wahrhaftig und was er zusagt, hält er gewiß.

Doch du fragst nach Bekräftigung dieses Worts durch Zeugnisse, durch Thaten. Nun, so sieh noch einmal in unsre Geschichte. Abraham hat gebeten, daß um zehn willen der Herr Sodom vergebe. Um weiteres, um fünf willen hat er nicht gebeten, und siehe! der Herr hat über sein Bitten gethan. Als die Stadt vertilgt ward, wurden Lot selb drei und die beiden Fremdlinge erhalten. Ist nun Abrahams Bitte fruchtlos gewesen? Da Gott die Gegend umher verderbte, lesen wir im folgenden Capitel (V. 19.), da gedachte er an Abraham und geleitete Lot aus den Städten, die er umkehrte, und auch Zoar, Lot's Zufluchtsstätte ward erhalten, blieb verschont. Ich will euch an die Menge andrer Beispiele, an Moses, an Samuel, an Elias nur erinnern; ich will von den unermeßlichen Segnungen der Fürbitte Jesu Christi, unsers ewgen Hohepriesters nicht reden, aber das, was ich eben von dem Korn gesagt, das durch jedes Flehen in Gottes Herz gesäet werde, will ich eurem Gedächtniß erneuern. Ein Korn, das, wenn es auch lange, wie erstorben, da zu liegen scheint, doch den Tag der Blüthe erlebt und Frucht bringt, das ist die Fürbitte! So hat es Augustins Mutter, so hat es mit ihr manche Mutter erfahren, die für ihren verirrten Sohn mehr geweint, als sonst Mütter über der Leiche ihrer Kinder weinen. Wer weiß, ob nicht das Gebet eines treuen Vaters eine Schutzmauer um die verlassenen Seinigen baut, ob es nicht eine heilige Engelwacht an ihre Seite ruft? Wer weiß, welch Verderben von Städten und Ländern durch die Fürbitte der Gerechten abgewendet wird? „Habe ich einen Christen, der für mich betet,“ sagte Luther, „so will ich guten Muthes sein und mich vor niemand fürchten, habe ich einen, der wider mich betet, so wollte ich noch lieber den türkischen Kaiser zum Feinde haben.“ Ist es nun ein Geringes zu nennen, wenn noch ein Saame der Gerechten, eine Auswahl der Gnade, eine Tochter Zion wie ein Hüttlein in dem Kürbißgarten in einem Lande übrig bleibt, die betend in den Riß treten? Ist das ein Geringes? Sie sind ein schützend Salz auf Erden, Stützen des Wankenden, lebendige Blitzableiter der göttlichen Gerichte, daß ich so sagen darf, das kühne Wort eines frommen Sängers: „sie bleiben ohnmächtig und schützen die Welt,“ hat seine vollkommne Richtigkeit, seine ewige Geltung. Heilige Macht der Fürbitte! Lasset uns hochachten, was in Gottes Augen theuer geachtet ist! Was aufgehobne Hände vermocht, was für Seelenkämpfe sie besänftigt, was für Leid erleichtert, was für Gefahren sie abgewendet, was für Raum zur Buße sie geschafft, was für Feinde versöhnt - die Ewigkeit wird das offenbaren. Sollte sie es nicht offenbaren, was an dir, an mir Armen die Gebete der Eltern, der Freunde bewirkt haben? Die Ewigkeit wird den Segen der Fürbitte offenbaren.

Gemeinde des Herrn, o daß auch in deiner Mitte in diesen dunkeln und verhängnißvollen Tagen die Zahl derer sich mehren möchte, die, bekümmert über den Schaden Josephs, ihr Anliegen vor Gott bringen, daß er sich aufmache und dem Verderben steure! Fasset Muth zu ihm und Vertrauen! Ihn selbst kümmert dies Verderben. Er sieht mit Wohlgefallen auf eure Bitte herab. Er erhört Gebet, wenn es ernstlich ist. Er thut, was die Gottesfürchtigen begehren. Amen.

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