Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - XII. Abrahams Lebensrichtschnur.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - XII. Abrahams Lebensrichtschnur.

Wenn wir einen Ueberblick über eine Christenversammlung hin werfen, wie sie sich hier im Hause des Herrn zusammengefunden hat, dann mag uns wohl die Frage beschäftigen, was doch diese Menge bewogen habe, in diesen Mauern zusammen zu kommen, und was wir bei jedem Einzelnen, der hier erschienen, voraussetzen dürfen? Wir werden, das hoffe ich, im Allgemeinen in einer solchen Versammlung ein Zugeständniß zu der Wahrheit des Evangeliums voraussetzen dürfen. Denn was um Gotteswillen, hätte sonst dies Zusammenkommen im Hause des Herrn zu bedeuten, wenn uns die Wahrheit entweder völlig gleichgültig, oder, wie dem Pilatus, ein Unwesenhaftes, ein blos Eingebildetes wäre, oder wenn wir an der Göttlichkeit des Christenthums zweifelten, oder wenn wir gar Partei gegen dasselbe genommen hätten? Ein anderes dagegen stehet unsrer Ueberzeugung noch fester, als diese Hoffnung; es ist die Besorgniß, die schmerzliche Besorgniß, daß auch, wo dies Zugeständniß zur Wahrheit stattfindet, doch bei den Meisten dies Zugeständniß ohne Leben, ohne Kraft und deshalb ohne Wesenheit ist. Ja, sagen sie, wir glauben an Gott, wer sollte nicht an einen Gott glauben? Wir gehören nicht zu den Verstandlosen, von denen David sagt: Die Thoren sprechen in ihrem Herzen, es ist kein Gott. (Ps. 14,1.) Aber wenn wir von dieser Versicherung nähere Auskunft begehren, so finden wir, ja, sie haben einen dunkeln, verworrenen Begriff von einem ersten, höchsten Wesen, von welchem alles Leben ausgeht, aber sie wissen weiter nichts damit anzufangen. Dieses Wesen ist ihnen ein unendlich fernes, sie lassen es ruhig in seinem heiligen Dunkel, sie treten in keine Beziehung zu ihm. Der lebendige Gott bleibet ohne Einfluß auf ihr Wollen und Entschließen, er läßt sie kalt und unbewegt Tag für Tag. Ist es denn nicht so? Kannst du denn sagen, du glaubest wahrhaft an einen allmächtigen Gott, wenn du dich nicht mit heiliger Schauer der Ehrfurcht dich zu einem unbedingten Gehorsam gegen ihn verpflichtet und deinen Willen durch ihn gebunden fühlst? oder an einen heiligen und gerechten Gott, wenn du nicht aufrichtig deine Uebertretung in das Licht vor sein Angesicht stellst und dich selbst richtest, damit du nicht gerichtet werdest? oder an einen allweisen Gott, wenn du nicht sein gnädiges Walten in allem, was dir widerfährt mit kindlicher Ergebung ehrest?

Weiter, sie glauben an Jesum, ja so sagen sie; wie wäre es einem sehenden Auge möglich, so fügen sie hinzu, das Licht, das er der Welt gebracht und die Segnungen zu verkennen, die von ihm über die Welt ausgeströmt sind? Aber wenn wir nun auch von dieser Versicherung nähere Auskunft verlangen, so finden wir wiederum, der Erlöser selbst ist ihnen ferne, die Erkenntniß von ihm ist keine Bekanntschaft mit ihm, sie liegt wie ein todter Schatz in einem verschlossenen Gefäß. Oder glaubest du wahrhaft an den Namen, der Jesu gegeben ward, weil er sein Volk selig macht von ihren Sünden, wenn du deinen Durst nicht gestillt hast aus dem offenen Brunnen, welchen das Haus Israel wider jede Sünde und Uebertretung hat, wenn du dich der Vergebung nicht freuest, die wir haben in seinem Blut, wenn du ihn nicht anerkennst, als den Herrn, dem du angehörst, ihn zu lieben, weil er dich mit dem unermeßlichen Preise seines Blutes zu seinem Eigenthum erkauft hat?

Endlich, sie glauben an den heiligen Geist, ja, so sagen sie; wie sollten wir, so fügen sie hinzu, eine Einwirkung Gottes in die Menschenseele und eine Kraft aus der Höhe verkennen, welche sich in die Herzen ergießt, die sich ihr betend öffnen? Aber wenn wir auch von dieser Versicherung nähere Auskunft verlangen, so finden wir wiederum, dieser heilige Geist ist auch ferne von ihnen; er hat an ihrer Seele gearbeitet, aber er hat in ihrer Seele nicht Wohnung machen und die Frucht eines neuen Lebens schassen können. Oder glaubst du wahrhaft an einen erneuernden, heiligenden Geist, wenn du von seinen Wirkungen in deinem Innern nicht zeugen kannst, wenn er dich um deine Sünde nicht hat strafen und die Macht derselben brechen können, wenn kein Trieb zur Heiligung und zum Gebet in dir erweckt ist und du weißt nicht, was Leben aus Gott, was Kindschaft und Gemeinschaft Gottes ist?

Sehet denn, Geliebte, der Glaube an die Wahrheit ist nur dann im Menschen Wahrheit geworden, wenn sie sein ganzes Wesen durchdringt, leitet, läutert, heiligt, stärkt. So war es bei dem Mann, auf dessen Geschichte ich noch einmal und zum letzten eure Andacht richte. W geschieht in der Absicht, damit wir, ehe wir von ihm scheiden, in dieser seiner innern Stellung zur Wahrheit den Mittelpunkt und die Nichtschnur seines äußern Lebens und Wandelns erkennen.

1. Mose 17, 1.

Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und sei fromm.

Die Aufopferung Isaac's bildet den eigentlichen Höhepunkt in dem Leben des Erzvaters Abraham. Von da ab ziehet sich dieses vielversuchte Leben ohne besondere weitere Störungen auf ebener Bahn bis zu einem Alter von 175 Jahren fort. Und nahm ab, lesen wir 1. Mose 25., und starb in einem ruhigen Alter, da er alt und lebenssatt war und ward zu seinem Volk gesammelt und es begruben ihn seine Söhne, Isaac und Ismael, in der zwiefachen Höhle auf den Acker, den Abraham von den Kindern Heth gekauft hatte, da ist Abraham begraben mit Sarah, seinem Weibe.

So wäre es denn wohl schicklich gewesen, mit der Betrachtung über Isaac's Aufopferung die Reihe der Predigten über die Glaubenswege Abrahams zu schließen. Aber, wie man auf den sonnenbeglänzten Gipfel einer Höhe angelangt, doch auch wieder in das unten gelegne Thal hinabblickt und die gewöhnlichen Erscheinungen, die tägliche Arbeit und Mühe gewahrt, so dürfen auch die diesen Predigten treu gebliebenen Zuhörer erwarten, daß ihnen zuletzt, vor dem Abschied, den sie von Abraham nehmen, gezeigt werde, welcher Grundsatz ihn im täglichen Leben leitete, und was in dem ruhigen Gang seiner Tage, wie ein solcher in der Regel uns beschieden ist, der Kern und das Mark seiner Gesinnung war. Hier ist uns der Schlüssel gegeben. Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und sei fromm. Welche einfache Worte, aber in ihrer heiligen Einfalt wie inhaltsvoll, wie umfassend! O daß sie, wie Abrahams Richtschnur, so der leitende Stern unseres Lebens würden! Wir würden nimmer irre gehn. Es sind wenige Worte, sie sind leicht für jeden zu fassen, zu behalten und wenn das geschähe, wenn sie mit brennenden Buchstaben dem Herzen eingegraben würden, wenn sie bei jedem Schritte uns entgegen leuchteten, - o wenn das geschähe! Von welch' unbeschreiblichem Segen das wäre, wollen wir betrachten.

Abrahams tägliche Lebensrichtschnur, so nenne ich die vom Herrn ihm zugerufenen Worte,

  1. das erste: ich bin der allmächtige Gott,
  2. das zweite: wandle vor mir,
  3. das dritte: und sei fromm.

1.

Ich bin der allmächtige Gott! Mit diesem Zurufe will der Herr sich selbst, sein Leben und Walten, sein Schützen und Richten der Seele Abrahams so tief und lebendig eindrücken, wie es wirklich seiner Seele eingeprägt war. Ich bin der allmächtige Gott! Bedenket es, dies Centnerwort, das allen Leichtsinn vertreibt, alle willkürliche Entscheidung untersagt, das alle Eigenheit einem höchsten Gebieter, einem vergeltenden Richter unterwirft. Er sagt nicht nur überhaupt: ich bin dein Gott, dein beständiger Gefährte, der alles sieht und hört, er beruft sich vielmehr ausdrücklich auf seine Allmacht, auf seinen starken Arm und was hat das zu bedeuten? Ist es nicht, daß wir in ihm beides erkennen, den gewaltigen Richter alles Bösen, den wir fürchten sollen, und den machtvollen Freund, Beistand und Retter, auf den wir zu hoffen haben, und unsre Hoffnung wird nicht zu Schanden werden? Ist er für dich, wer mag wider dich sein? Ist er wider dich, wer mag für dich sein? Ihm kannst du nicht entrinnen; und wenn du Flügel der Morgenröthe nähmest und weiltest am äußersten Meere, so würde doch seine Hand dich daselbst führen und seine Rechte dich halten (Ps. 139, 9.) und die Pfeile des Allmächtigen würden dich treffen. O eine starke, gewaltige Hand! was ist gegen sie die Schattenmacht der nichtigen Kreatur! Eine Hand, die nicht nur den Leib, sondern auch die Seele verderben mag in die Hölle - eine Hand aber auch, die überschwenglich thun kann, über alles, was wir bitten und verstehn, die in der Wüste einen Tisch bereiten, die aus Feuer und Wasser erretten, die aus dem Rachen des Todes, der Hölle und des Teufels reißen kann - die Furcht des Menschen auf Erden und seine Hoffnung, sein Schrecken und sein Trost, überall dadurch sein Schutz und Schirm wider alles Arge, seine Kraft und Stärke zu allem Guten.

So zeigte sich's bei Abraham. Er hatte die Kraft, Heimath, Vaterhaus, Freundschaft zu verlassen, Haus und Heerd, Besitz und Gut daran zu geben: woher? der allmächtige Gott rief. Da weiß er nichts von Bedenken, von Einwendungen; er überlegt nicht, er schwankt keinen Augenblick. Der allmächtige Gott ruft - alles in ihm beuget sich und schweigt. Er hatte die Kraft, den Sohn seiner Liebe und seiner Hoffnung zu opfern. Woher? der allmächtige Gott befiehlt. Was bei Menschen unmöglich, das ist möglich bei Gott! Ifaac, der Träger der allergrößten Verheißungen wird leben, ob er gleich stirbt. Das Wie? kannte er nicht, aber den allmächtigen Gott kannte er und war eines herrlichen Ausgangs gewiß. O Macht in- des Menschen Ohnmacht! o Stärke in seiner Schwachheit! o Sieg im Unterliegen

Sehn wir nun von Abraham auf uns, ist es auch uns eingeprägt, tief innerlich gewiß dies: Ich bin der allmächtige Gott? Wir müssen das Geschlecht dieser Zeit anklagen. Viele, viele Menschen haben keinen allmächtigen Gott. Entweder verschmelzen ihre thörichten Gedanken Gott und die Welt so mit einander, daß ihnen kein persönlicher, allmächtiger Gott über der Welt bleibt, oder sie reden von dem allmächtigen Gott, oder er ist nur eine todte Vorstellung ihrer Seele, ein leeres Gedankenbild im Schutte, vor dem sich Niemand beugt, den Niemand beachtet. Kennst du wahrhaft den allmächtigen, lebendigen Gott, so kennst du einen sich selbst wissenden, frei wollenden Gott, der nicht blos von seinem Himmelsthron sein Auge auf die Menschenkinder richtet, sondern er bethätigt sich selbst unter ihnen, einen Gott, der über der Welt erhaben, sie mit den Kräften seines Lebens allgegenwärtig durchdringt, der in stetem Verkehr mit der Welt war und ist und bleibt, und von dem wir lesen: Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige. (Offenb. 1, 8.)

Ach, die Schauer der Furcht vor diesem allmächtigen Gott, wie sind sie gerade in der Gegenwart unserer Tage dem Geschlechte dieser Zeit entschwunden. Es steckt etwas in diesem Geschlecht, was keine Scheu vor Gott hat, was sich nicht dem absoluten Ansehn seines Willens unterwerfen, was sich über sein Gesetz erhöhen will und seine ewigen Ordnungen antastet. Ich beweine dies gerade, als die tiefe Wunde, an der unsere Zeit blutet. Wohin führt das, wohin hat es geführt, wenn man die Furcht vor dem allmächtigen Gott verbannt, die Furcht vor seinem Wort, davon David sagt: Ich fürchte mich vor deinem Wort, daß mir die Haut schaudert, verleugnet, die Furcht vor seinem Gericht für kindische Schwachheit erklärt und die Hölle verlacht? Darnach antwortet der Apostel: Deshalb sieht er die Menschen so trüglich handeln mit ihrer Zunge, und ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit und ihre Füße sind eilend Blut zu vergießen und eitel Unfall und Herzeleid auf ihren Wegen, weil keine Furcht Gottes vor ihren Augen ist. (Röm. 3, 14.) Ist dieser starke Damm niedergerissen, wer will's dann wehren, daß nicht die Ruchlosigkeit einbräche, wie ein wilder Strom? Ist diese böse Wurzel eingesenkt in's Gemüth, so kann nicht andres kommen, als was der Psalmist bezeugt i Es ist von Grund meines Herzens, von der Gottlosen Wesen gesprochen, daß keine Gottesfurcht bei ihnen ist. (Ps. 36, 2.) Deshalb erachten wir diese unsre Zeit als ein Gericht des Herrn über die, die sein Joch von sich werfen, sein Ansehn verleugnen und ihren Nacken gegen ihn steifen, wie er ein solches in gleichem Fall immer über Israel verhängte. Möge die Verblendung dem Lichte der Wahrheit weichen, der Taumel der Besinnung und die Schuppen von den Augen fallen! Doch ich vergesse nicht, daß ich zu einer Christen-Versammlung rede, die mir im Stillen zuruft: Wir sind nicht von diesen, wir sind nicht gesonnen, uns mit dem allmächtigen Gott zu verfeinden, wir verlangen, uns mit ihm zu befreunden: So stärket denn auch eure Seelen in diesem Vorsatz! Der Gedanke, daß der allmächtige Gott sein Auge auf euch gerichtet hält, ist vielleicht in keinem Einzigen unter euch ausgestorben; aber warum ist er so matt, so bleich und kraftlos? warum tritt er oft wie vergessen in den Hintergrund eurer Seele? Lasset das Gewicht des göttlichen Zurufs mit seinem ganzen Ernste auf das so leicht bethörte Herz fallen! Lasset das drohende Wort des Apostels: Unser Gott ist ein verzehrend Feuer, es ist schrecklich in die Hände des lebendigen Gottes zufallen, (Hebr. 10,31.) in dieser versuchungsreichen Welt euch immer zur Seite sein! Lasset es auch euch die beständige Richtschnur eures Lebens sein: ich bin der allmächtige Gott!

2.

Denn sehet, meine Zuhörer! gerade dieses, die treue Bewahrung, die sorgsame Pflege dieser Vorstellung, schreibt uns das zweite Wort vor: wandle vor mir, das heißt, wandle, wie du wandeln würdest, wenn ich sichtbar vor dir stände, wandle in dem Lichte meiner Gegenwart, in der Ueberzeugung, daß ich dir unsichtbar nahe, alle deine Gedanken, Worte und Werke weiß und beachte, wandle in dem steten Bewußtsein meiner unsichtbaren Nähe. Nein, es genüget zum Heil unsrer Seele nicht, daß wir einen allmächtigen Gott bekennen; wir müssen ihn auch haben, ihn uns nahe halten, ihn stets vor Augen und im Herzen haben.

So war es mit Abraham. Ob der Erzvater wohl einen Schritt seines Lebens mag gethan haben, ohne ihn in das Licht vor Gottes Angesicht zu stellen? Ich denke, wie die Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren, wie die Augen der Mägde auf die Hände ihrer Frauen sehen, also sehen seine Augen auf den Herrn, seinen Gott, daß er ihm gnädig sei. (Ps. 123, 2.) Wo nun vollends sein Prüfungsweg dunkel und schwer war, da richtete er seine Seele zu dem unsichtbaren Begleiter auf und stärkte sie an seiner hülfreichen Treue.

Meine Freunde, daß ihr durch sein Beispiel bewogen würdet, wie er vor Gott zu wandeln! Was dann geschehe, welche Stellung euer innres, welche Gestalt euer äußeres Leben gewinne, das ist leicht zu sagen. Ihr werdet zunächst dem prüfenden Blicke Gottes euer Inneres offen darlegen, wie ein aufgeschlagenes Buch. Thut das; ihr werdet, wenn ihr den Augen, die wie Feuerflammen sind, stille haltet, von allen Seiten eurer Ungerechtigkeit und der euch anklebenden Sünde überführt werden, aber das ist kein geringer Gewinn. Vor ihm ist kein Lebendiger gerecht. Leget ihr ihm endlich alle Falten eures Herzens aus einander, daß der Strahl seines heiligen Gesetzes hineinfalle, so werdet ihr in allen euren Neigungen, Wünschen und Begehrungen den Staub sündhafter Regungen entdecken, ihr werdet dann aber auch, wenn es euch redlich um die Freundschaft des Allmächtigen zu thun ist, um so dringender flehen und rufen: Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz, prüfe mich und erfahre, wie ich's meine, und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege. (Ps. 139, 23.) So wandelt ihr vor Gott. Aber ihr werdet noch mehr thun. Ihr werdet keinen Schritt eures Lebens thun, kein Werk beschließen, keine Verbindung knüpfen, ohne die Ueberlegung, ob es Gott gefalle oder nicht. Ach, meine Freunde, wir halten, wenn wir irgend einen neuen Weg zu wählen, so oft und so viele Gespräche mit uns selbst; ach, daß wir vielmehr das Gespräch unsres Herzens mit Gott pflegen und seines Willens gewiß zu werden suchten! So lange wir den eignen Eingebungen folgen, und hin und her fragen nach irdischen Beziehungen und Rücksichten, nach dem Erfolge, der doch immer so unsicher ist, so lange sind wir in Sorge, beunruhigt, und von den bald fürchtenden, bald hoffenden Gedanken hin und her geworfen. Dagegen erkennen wir Gottes Willen, das macht muthig und entschlossen, ruhig und getrost. Er hat es verheißen: Ich will dich mit meinen Augen-leiten, ich will dir den Weg weisen, den du wandeln sollst, ich will dich mit meinen Augen leiten. (Ps. 32, 8.) Halte, o meine Seele, fest an diesem Worte und so oft sich deine Aussicht verdüstert und dein Weg dir zweifelhaft ist, frage nicht nach dem, was menschlich ist, was dein eigen, was dein Vortheil ist; komm bittend zu deinem Gott, daß er dich unterweise und seines Willens gewiß mache. Dann fällt alle Unsicherheit hin, eine feste Entscheidung ist getroffen, das Auge wird klar, das Herz getrost und du hast Ruhe, du wandelst vor Gott. Sehet, Geliebte, das nenne ich vor Gott wandeln. Wer ich berühre noch eins. Die Stunde einer Versuchung nahet. Sind wir auch nicht zu so schweren Versuchungen berufen, wie Abraham, sie begegnen uns doch, sie begegnen uns schon in dem täglichen Verkehr, wie viele Versuchungen im Handel und Wandel zu trüglichen Künsten, zu heimlicher Uebervortheilung, zu Geiz und Mammonsdienst! Sie begegnen uns in unserm häuslichen Kreise wie viele Versuchungen zu einer lieblosen Härte gegen die, die uns die Nächsten sind, zu einem unbilligen Zürnen und Schelten, zu Unverzeihlichkeit gegen die Schwächen und Vergehungen der Unsrigen! O was ist es doch, wenn dann das Licht des allmächtigen, allgegenwärtigen Gottes in die bedrohte Seele hineinstrahlt und sie gedenkt an den Zeugen im Himmel und richtet durch die aufgestiegenen Wolken hindurch das Auge zu dem Gott hinauf, in dessen Gegenwart sie wandelt! Nein, es läßt sich nicht sagen, welche Kräfte der Gottseligkeit der gewinnt, der also vor Gott wandelt.

Wiederum indeß, von der andern Seite, läßt es sich nicht sagen, in welche Ohnmacht du sinkest, wenn du deinen Gott aus den Augen verloren, wenn dein, in Welt- und Sündenliebe verstocktes Herz die schwache Beute der fremden Gewalten wurde, die dich in ihre schmachvollen Bande schlugen. Soll das geschehn? Nein, nein! rufe ich dir im Namen des Gottes zu, der Abraham zuruft: Wandle vor mir! Er bei jedem anbrechenden Tage die Sonne, die dir leuchtet! Er in jeder Gefahr dein Schild und dein Schirm! Ob du schon wandelst im finstern Thal, fürchtest du kein Unglück, der Herr ist dir zur Rechten, darum wirft du wohl bleiben. Welch eine feste Stellung des Herzens, welch eine selige Fassung des Gemüths, wenn es die Regel unsres Lebens bleibt: wandle vor Gott!

3.

Und sei fromm! Hier die Antwort auf die Frage, wodurch wir eine solche Herzensstellung zu dem Herrn, unserm Gott, gewinnen. Sei fromm! Hier der heilige Quell, aus dem das Wasser des Lebens in die Adern des innern Menschen strömt! Fromm sein das heißt Gott suchen in seinem Worte, im Gebet zu ihm, in der Andacht vor ihm; es heißt, ihm anhangen und ihm dienen; es bezeichnet noch mehr als das vorherige; denn der Wandel vor Gott kann mit der Furcht verbunden sein, welche Pein hat; die Frömmigkeit ist eine Vereinigung mit Gott in der Liebe und bezeichnet, daß wir durch ein inneres Band der Anhänglichkeit an Gott geknüpft sind. Fromm sein heißt ein inniges Wesen und Verhältniß mit dem Herrn haben, einen verborgnen Umgang, einen geheimen Seelenverkehr mit ihm pflegen, es heißt ihn anbeten, seinen Namen preisen, ihn über alles lieben, für alles loben. ,- So war Abraham gesinnt, und war das Wandeln vor Gott die That, dann war das Frommsein die Seele seines Lebens. Ueberall, wo er auf seinen Wanderungen sich niederließ, war es das Erste, daß er dem Herrn Altäre baute und den Namen des Herrn predigte. Sehn wir ihn in der Mitte der Seinigen, so hat er das Zeugniß erfüllt, das der Herr selbst ihm gegeben: Ich weiß, er wird befehlen seinen Kindern, und seinem Hause nach ihm, daß sie des Herrn Wege halten und thun, was recht und gut ist. In jeder Lage seines Lebens war der Herr sein erster, der Herr sein letzter Gedanke. Wie kann man diesen Sinn der Frömmigkeit hoch genug preisen? Gott selbst preiset ihn. Schon in den ersten Zeiten der Welt sprach er zu Cain: Ist es nicht also? Wenn du fromm bist, so bist du angenehm; bist du aber nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Thür. (1. Mos. 4, 7.) Beides, eine Mahnung und eine Warnung, die durch alle folgenden Zeiten sich hindurchziehn, die in der Geschichte des Volkes Israel einen lauten Wiederhall haben, und die bis in unsre Zeiten hinab an der täglichen Erfahrung ihre Bestätigung finden. Wohin führt- es denn ein Geschlecht, wenn es Gott verläßt und es vergisset nach ihm zu fragen? Unsere Zeit hat es uns gelehrt, welch ein Unheil dann über ein ganzes Geschlecht einbricht. Es hat seinen Schwerpunkt verloren und damit hat es den rettenden, bewahrenden Halt verloren. - Wohin führt es, wenn ein Haus ein gottentfremdetes, ein gebetloses wird, und aller Uebung der Frömmigkeit sich entzieht? Wahrlich, ich habe immer gefunden, daß es der erste Schritt zum unausbleiblichen Untergang des häuslichen Glückes ist. Unfriede und Zwietracht, Trotz und Unverträglichkeit und wie viele andre bösen Geister ziehen ungehindert ein, wo die Schutzwache eines frommen Sinns vertrieben ist. O ihr Ehegatten, die ihr vielleicht bei der Weihe eures Bundes auf das Wort Josuas eingesegnet wurdet: Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen, (Jos. 24, 15.) kehret doch aus dem zerrüttenden Wesen der Gottesvergessenheit zurück, zurück zu der edeln Ordnung, die den schönen Namen Morgensegen, Abendsegen trägt, und stoßet diesen Segen nicht länger von euch! - Wohin führt es, wenn irgend ein Mensch sich mit einem völligen Kaltsein gegen seinen himmlischen Wohlthäter wappnet, die Hand, den Blick seines Erlösers und Heilands flieht und sich alles Andenkens an Gott und göttliche Dinge entschlägt? Seine Gedanken zerstreuen sich, auf's mildeste gesagt, in dem Geräusch der Welt und ihrer Geschäfte umher, sie haben das rechte Ziel verloren; das Gemüth ist wehrlos den versuchenden und verlockenden Mächten des Verführers preisgegeben; es ist keine Wachsamkeit da, sich von dem zu reinigen, was jeden Tag von dem unreinen Wesen, das jeden Tag aus dem Innern aufsteigt und von dem Schmutz und Unrath zu säubern, der von außen sich ansetzt, das Unkraut wuchert, und es ist ein großes Glück zu nennen, wenn ein solcher noch bei Zeiten zur Besinnung kommt und der ewigen Geschiedenheit von Gott entrinnt!

Wohl dem aber, der Lust hat an Gottes Gesetz und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht. Der ist wie ein Baum, gepflanzet an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blätter verwelken nicht und was er macht, das geräth wohl. (Ps. 1, 2.) Der Bach des ewigen Wassers, der Bach auf dem Wege, von welchem er trinkt und sein Haupt emporhebt, ist das Wort des lebendigen Gottes, das Wort, in welchem Gott sich ihm nahet, das große Gnadenmittel, durch welches Gott in Gemeinschaft mit uns tritt. Ich will nur dieses eine, aber, neben dem Herzensgebot, das untrügliche Zeichen der Frömmigkeit nennen und euch ermahnen, werdet solche Menschen, die in dem Element des göttlichen Wortes, in dem Lichte der Gnade und Wahrheit leben, die uns durch Jesum Christum geworden! Das ist die Speise, die von Gott kommt, die zu Gott führt, dadurch der innere Mensch des Herzens in der Gemeinschaft Gottes erstarkt, in der Liebe zu ihm gedeiht. O Mensch, hinfälliger Mensch, der du nur einen kurzen Tag der Gnade hast, und dann nimmt dich eine endlose Ewigkeit auf, eine Ewigkeit, entweder voll Ungnade und Zorn, voll Trübsal und Angst oder voll Ruhe und Freude, voll Seligkeit und Friede. Was hast du dringender, eilender zu thun, als die Freundschaft und Gemeinschaft Gottes zu suchen? Sei fromm, ruft dieser Gott dir zu, suche den Herrn, weil er zu finden ist, rufe ihn an, weil er wache ist. (Jes. 55, 6.) Was wünsche ich stärker, nun ich die Reihe dieser Betrachtungen schließe, als daß auch diese Predigt möge ein Saamenkorn des ewigen Lebens in euer Herz gesenkt haben, aus welchem eine Pflanze Gottes zum Preise erwachse! Amen.

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