Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - I. Die Berufung Abrahams.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - I. Die Berufung Abrahams.

Ich hoffe, Geliebte in dem Herrn, es wird euch nicht unerwünscht sein, wenn ich in nachfolgenden Betrachtungen mit euch in den Saal der alttestamentlichen Glaubenshelden trete und eure Andacht auf einen Mann richte, der nicht blos als ein Held des Glaubens, sondern auch als der Vater der Gläubigen dargestellt ist. Ich meine Abraham. - Abraham, welch ein heiliger Name, der aus der Nacht von fast 4 Jahrtausenden wie ein leuchtend Gestirn hervortritt! Noch sind dessen Strahlen nicht erloschen; wer könnte die unermeßliche Bedeutsamkeit verkennen, die dieser Name in Beziehung auf das Reich Gottes hat? Diesem Reich ist mit Abraham wieder eine Hütte gebauet auf Erden, wo der Herr die Gegenwart seiner Gnade offenbart, und von welcher das Wort gilt: In diesem Hause will ich wohnen, denn es gefällt mir wohl. (Ps. 132, 14.) Und was für ein reicher Strom göttlicher Offenbarungen und Segnungen, der sich von dem Punkte der Berufung Abrahams an bis zu der Erscheinung des Weltheilandes ergossen hat! Doch was läßt sich von dem, zu welchem der Herr sich also herabgelassen hat, Höheres und Größeres bezeugen, wie schwindet aller Ruhm seines Namens gegen den höchsten Ehrentitel, den ihm die Schrift ertheilt, wenn sie ihn den Freund Gottes nennt! (Jer. 5, 27.) Von ihm wollen wir reden.

Müßte ich einen Einwand fürchten? etwa den, daß ihr sagtet: „wir kennen seine Geschichte, wir wissen sie noch von unserm Jugendunterricht her; kein Theil der biblischen Geschichte ist uns sorgfältiger und tiefer in Gedächtniß und Gemüth eingeprägt worden, als die Geschichte Abrahams“? Aber, meine Freunde, es ist ein großer Unterschied, wie wir etwas als Kinder fassen und lernen - und wie wir es als Erwachsene betrachten und erwägen. Wie viele sind unter uns, die bezeugen können, daß sie auch noch in älteren Jahren sich in die Lebensgeschichte Abrahams mit allem Nachdenken versenkt und die Eindrücke sich erneuert und verdeutlicht haben, welche sie in ihren Kinderjahren aus derselben empfingen?

Wenn ich aber die Grundbestimmung des Lebens Abrahams für das Reich Gottes und seine Mission für uns alle bezeichnen soll, so sage ich, ihn hat der Herr zum Zeugen seines Bundes erwählt, und hat ihn zu einer Zeit, als auch die letzten Funken des patriarchalischen Gottesdienstes ihrem völligen Erlöschen nahe waren, hingestellt als einen Heerd seines Feuers. In ihm lässet er uns sehn, was eine Menschenseele unter den Einwirkungen seines Wortes und Geistes werden kann. Sein Leben ist nicht das Ahnen und Suchen eines unbekannten Gottes, sondern es ist, und darin stehet seine Herrlichkeit und Größe, es ist das bestimmte Haben und Halten des unsichtbaren Gottes, als sähe er ihn; das fortschreitende geistliche Wachsen eines Mannes, dem der Glaube die Seele seiner Seele und seines Lebens und sein ganzer Wandel ein Wandel im Glauben und in der Hingebung, dem Gehorsam, der Opferwilligkeit dieses Glaubens war. Und aus der Betrachtung eines solchen Mannes sollten nicht Kräfte der Erbauung ausgehn?

Wohlan denn, betrachten wir heute jenen ersten großen Auftritt im Leben Abrahams, auf welchen auch Hebr. 11, 8 hingewiesen wird, da er berufen ward auszuziehen in das Land, das er ererben sollte und ging aus und wußte nicht, wo er hinkäme. Das ist je uns zum Vorbild geschehn: sein Ausgehn das unsre! sein Gehorsam gegen den himmlischen Ruf und sein Zerreißen der irdischen Bande in Kraft dieses Berufs - unser Vergessen dessen, was hier unten, unser Ausstrecken nach dem, was da vorne! Möchte da schon im Voraus unser Herz von dem Wunsche bewegt werden:

O wer alles könnte lassen,
Fester, frei vom Titeln all,
Wandelte die Friedensstraßen
Durch das thränenvolle Thal!
O wer alles hält' verloren,
Auch sich selbst, und allezeit
Nur das Eine hätt' erkoren,
Welches Geist und Herz erfreut!

1 Mose 12, 1-4.

Und der Herr sprach zu Abram: Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen und verfluchen, die dich verfluchen, und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter aus Erden. Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünf und siebenzig Jahre alt, da er aus Haran zog.

Einer der bedeutungsvollsten Momente in der Geschichte des Reiches Gottes! Fasset ihn recht in's Auge! Ja er ist ein einzelner Mann, der aus der Ebene Harans, er weiß nicht wohin, ausgeht, aber welche Zukunft gehet mit ihm aus! Hier sehn wir sie, wie in einem lebenvollen Keime. Ein großes Volk, ein Segen aller Geschlechter der Erde! Unter dem Morgenroth dieser Worte ziehet der Mann hin. Bestimmt, der Stammvater Israels zu werden, ist in ihm das ganze Volk des Bundes beschlossen, das heilige Volk der Wahl berufen, die großen Verheißungen Gottes von dem Heiland der Welt zu bewahren, ja ausersehn, daß aus der Mitte seiner Kinder der schöne Glanz Gottes hervorbrechen und der Verheißene in voller Wirklichkeit erscheinen solle. Wir können nichts Höheres sagen: er ziehet aus, der Welt den Segen aller Geschlechter, das Heil der Erde entgegenzutragen. Wir hören hier den einfachen Bericht seiner Berufung, aber sie ist ein Vorbild jeder Berufung zum Reiche Gottes; in dieser ersten wiederholt sich jede folgende: euer aller Berufung, die deine, die meine spiegelt sich darin ab. Was dem Vater des Volkes Gottes gesagt war, das gilt allen Kindern. Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause! Hinein in ein Land, das ich dir zeigen will! Dort will ich dich segnen! Wir ahnen, das alles gehet auch uns an. Erwägen wir es nach seinem vollen Inhalt! Erwägen wir die Berufung Abrahams.

  1. zuerst den Befehl, der Abraham ertheilt wird, sodann
  2. die Aufgabe, die uns darin gestellt ist, endlich
  3. die Verheißung, die ihm und uns gegeben ist.

1.

Suchen wir zuerst, theure Freunde, um den Befehl, den Abraham empfing, recht und ganz zu würdigen, uns die äußere und innere Lage dieses Mannes zu lebendiger Anschauung zu bringen. Was seine äußere Stellung betrifft, so ist hier von einem Mann die Rede, der, wie später (13, 2) bemerkt wird, in einem reichen Besitzthum stand von Vieh, Silber und Gold; eine ansehnliche Dienerschaft stehet unter seinen Befehlen, wird doch die Zahl seiner Knechte später (14, 4) auf 318 angegeben. Wer sollte aus diesen wenigen Zügen nicht einen Mann erkennen, der eine ansehnliche Macht auf den weiten, fruchtbaren Weideplätzen Chaldäa's und das bedeutende Ansehn eines reichen Stammfürsten besaß? Unsre Textesworte lassen den frühern Verlauf seiner Lebensgeschichte unberührt, und setzen uns in den Anfang der innern Gnadenführung Gottes hinein, die von da an den Gang seines Lebens verherrlichte. Und mit welchen Worten werden uns diese inneren Gnadenführungen eröffnet? Der Herr sprach zu Abram: Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Haus, in ein Land, das ich dir zeigen will; das heißt, gehe aus von allem, was dir lieb und theuer ist, von allem, woran du mit tausend Fäden deines innersten Lebens geknüpft bist, womit du durch die festesten Bande der Anhänglichkeit und einer langen Gewohnheit in Eins zusammengewachsen bist, scheide von diesem allen und ziehe in ein fernes, fremdes, unbekanntes Land. Meine Freunde, was muß bei diesem Befehl in dem Herzen Abrahams vorgegangen sein? Die Worte sind leicht gehört, aber stellet euch einmal das Gewichtvolle, das Schmerzliche vor, das darin für Abraham lag! Gerade die genaue Aufzählung aller dieser Einzelheiten will uns darauf aufmerksam machen. Wir hören, daß er bereits fünf und siebenzig Jahre alt war, als dieser Befehl des Herrn an ihn erging. Schon ist er bejahrt und auf eine Altersstufe hinaufgerückt, wo man nur ungern einen neuen Wechsel der Lebensverhältnisse begeht. Er hat das Land seiner Väter lieb, dessen Luft er von Jugend auf geathmet hat, und in dessen Boden man doch immer, je älter man wird, desto tiefer sich eingewurzelt fühlt. Eine zahlreiche Freundschaft trägt ihm von allen Seiten eine freiwillige Achtung und Verehrung entgegen; in ihrem Schooße wird er, der selbst kinderlos war, auch für den hülflosen Abend seines höhern Alters eine liebevolle Pflege finden, und für die letzte Stunde eine Hand, die ihm einst die müden Augen zudrückt. Dies alles nun verlassen, drangeben, des Vaterlandes Triften, die Annehmlichkeiten der Freundschaft, all die süßen Jugendbilder des Vaterhauses, die volle Gegenwart eines stillen Glücks, hinziehn wie in einen dunkeln Nebel hinein, in's Unbekannte, die Beschwerden eines weiten, vielleicht gefahrvollen Zuges vor sich, in ein Land, dessen Lage er nicht kennt, dessen Name ihm nicht einmal genannt wird: fürwahr es ist ein Opfer, das von ihm gefordert wird und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr sehe ich ein, es war eine große Glaubensthat, daß er es so willig brachte. Der Herr sprach, da zog Abram aus!

Damit meldet sich jedoch ein anderes weiteres Fragen, dies: warum denn rief der Herr Abraham hinweg von Vaterland, Freundschaft und Vaterhaus? Die richtige Antwort darauf unterliegt keiner Schwierigkeit. In jenen Gegenden, die zuerst, nach den Verheerungen der Sündfluth, in den drei Jahrhunderten bis zu Abraham wieder bevölkert worden, war Abgötterei und Götzendienst mächtig aufgekommen, und auch in Sems Familie, zu welcher Abraham gehörte, hatte eine heidnische Naturtrunkenheit überhand genommen. Noch war die Verheißung und der Dienst des einigen Gottes nicht völlig in ihr erloschen; dieser letzte, heilige Funke mußte geschützt und bewahrt werden und wie konnte das geschehn? So nur, daß er sammt dem Gefäß, in welchem er ruhte, aus der götzendienerischen Umgebung herausgezogen und ihren erstickenden Einflüssen entzogen ward. Abraham war dies edle Gefäß, und er wird von den Völkern, die ihre eignen Wege dahin gingen, abgesondert, um anderswo Wurzel und Stamm eines neuen Geschlechts zu werde, das für die Erscheinung des Welterlösers erzogen und zubereitet werden sollte, daß aus seinem Schooße das Heil für alle Geschlechter der Erde hervorgehe und der Senfbaum des Himmelreichs erwachse, der seine Zweige über alle Völker ausstrecken soll. Darum ordnete der Herr es also, o welche Tiefe der göttlichen Weisheit und Erbarmung! Darum wird das gute Weizenkorn, damit es zu reicher Erndte erwachse, aus dem Dornen- und Distelngestrüppe des verwilderten Ackers auf ein anderes Gebiet verpflanzt! Darum sprach der Herr dies ernste und doch so kündlich große Wort: Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Haus, in ein Land, das ich dir zeigen will.

2.

Gehet dies Wort nun auch uns an? Und darf ich eurer Zustimmung gewiß sein, wenn ich behaupte, darin sei uns allen die Aufgabe unsres Lebens gestellt? Dieses gehe aus, gehe aus! sei wirklich die ernstlich gemeinte Anforderung Gottes an alle und an einen Jeden? Mit andern Worten, es sei einem Jeglichen ein Aufbruch, ein Bruch mit der Welt, ein Ausgehn aus seinen eignen Gedanken, ein Aufgeben seiner selbst, ausnahmlos vorgeschrieben? In der That, ich fürchte, diese Behauptung findet von vielen Seiten Widerspruch. Vielleicht denkt ihr, ja die Sittenlosen, die Rechtlosen gehet das an, die nach Gott nicht fragen, alle, die in einer ausgesprochenen Feindschaft mit Gott dahinleben. Es sind deren wohl allzuviel unter uns; es ist gewiß, sie müssen aus den Verstrickungen ihres sündlichen Wesens heraus, sonst wird ihr Ende ein Ende mit Schrecken werden. Aber ich sage, es gehe auch die Gesitteten an, die, indem sie sorgsam in ihrem Thun und Lassen auf die Stimme ihrer Vernunft hören und ihr Leben nach den Gesetzen des Gewissens regeln, einer Umkehr und des Eintrittes in eine veränderte Lebensrichtung nicht zu bedürfen glauben. Jener reiche Jüngling äußerte sich auch so, und antwortete, als der Herr ihm die göttlichen Gebote vorhält, das alles habe ich gehalten von Jugend auf, was fehlt mir noch? Er ist auch heute nicht ausgestorben. Seid einmal recht aufrichtig. Dieses „was fehlet mir denn noch“, reget es sich nicht, wie leise und versteckt auch, in eurem Innern, wenn ihr zu ernstlicher Buße aufgefordert werdet? So höret denn, wie unsere Geschichte diese Selbsttäuschung zerstreut!

Der Herr sprach, lesen wir. Der Herr, dein einzig rechtmäßiger Herr spricht und fordert. Er, dein Herr will es ganz und gar sein, der Einige, dem du allem dienen, anhangen, angehören und dessen Willen du unbedingt und ohne Rückhalt folgen sollst. So viel du dein Herz, deine Liebe, dein Vertrauen etwas anderm zukehrst, so viel entziehst du ihm das, was ihm allein gehört und damit kann er nicht zufrieden sein. O prüfe dich selbst! Du nennst ihn deinen Herrn, du möchtest in ihm einen gnädigen Herrn haben und in seiner Huld stehn: ist er nun auch wirklich dein unumschränkter Herr? Ich irre gewiß nicht, wenn ich von vielen, vielleicht von den Meisten, möglich von allen in dieser Versammlung sage, daß sie es wohl begreifen, sie können eines gnädigen Gottes nicht entrathen, und wünschen ihn für jeden Nothfall auf ihrer Seite zu haben. Aber geben sie ihm auch die Rechte eines Herrn und Gebieters? Wo ist der völlig unterwürfige Gehorsam, das gänzlich ihm ergebne Herz, die unzertheilte Liebe? Gott weiß, wie es damit nach beiden Seiten hinkt! Bedenket, meine Theuern, diese eure Stellung zu dem lebendigen Gott, und schlaget an eure Brust, und erkennet, was ihr zu thun habt!

Das offenbart euch sein Befehl an Abraham: Gehe aus. Zwei Worte, in welchen unser ganzer Lebensberuf und unsre tägliche Christenaufgabe enthalten sind. Unser Lebensberuf im Ganzen: daß wir nemlich ausgehn aus dem Wesen der Welt, des alten Menschen, des fleischlichen Sinnes, daß ein neu Wesen des Geistes in uns zu Stande komme. Unsre tägliche Christenaufgabe, daß wir nemlich in diesem Ausgehn nicht ermüden, nicht rückwärts sehn, nicht stille stehn, uns täglich erneuern im Geist unsers Gemüthes. Es hilft nicht, daß ein Mensch, vom Worte Gottes geweckt, schwache Ansätze macht, und alsbald wieder den alten gewohnten Weg fortwandelt. Heißt das ausgehn? Nein, jene einzelnen, immer wieder unterbrochenen Weckungen, jene hie und da auf der Oberfläche unsres Lebens hingestreuten Entschlüsse und Versuche zu einem Wandel, dem Christenberuf gemäß, müssen zur That, zur ausdauernden That werden; wir müssen aufbrechen und ausgehn und den neuen Weg betreten, der eben so entschieden nach oben sich richtet, wie der, den wir von Natur wandeln, nach unten. Ich vergesse, ruft uns zum Vorbild ein heiliger Apostel, ich vergesse, was dahinten ist. Höret, er verläßt nicht nur, was ihm früher Gewinn war und was er jetzt als Schaden erkennt, er vergißt es sogar, er löschet es ganz und gar von den Tafeln seines Herzens hinweg und strecket sich mit allen Kräften zu dem, das da vorne, und jaget dem vorgesteckten Ziele nach. (Phil. 3, 13.) Das heißt ausgehn!

Auch verschweigt der Herr uns nicht, wovon wir ausgehen sollen. Er nennt uns Vaterland, Freundschaft, und unseres Vaters Haus. Wie denn nun, fraget ihr, darin soll auch unser Beruf vorgezeichnet sein? Gewiß, es ist so, aber es muß geistlich gedeutet werden. Gehe aus deinem Vaterland. So hebt der Befehl Gottes an. O, meine Theuren! sehen nicht Tausende die gegenwärtige Welt, diesen ihren Wohnort, wo sie doch keine bleibende Stätte haben, als ihr Vaterland an? die flüchtigen, vergänglichen Dinge, die uns hienieden ein paar Augenblicke zu Freude und zu Leid anliegen, als das Wesenhafte und Wichtige? Die zeitlichen Güter, die wir doch nur wenige Tage in Händen haben und über deren gottgefällige Verwaltung wir als Haushalter Gottes eine ernste Rechenschaft geben müssen, diese eiteln Güter, erachten nicht Tausende sie als wahren Besitz und ist es nun nicht natürliche Folge, daß Augenlust, Fleischeslust und hoffärtig Wesen die Götzen sind, vor denen ihre Kniee sich beugen? Gehet aus, aus diesem eurem Vaterlande! Nicht mit diesen euren Füßen, doch mit eurem Herzen. Ihr könnet die Welt nicht räumen, aber besitzet als besäßet ihr nicht, genießet, als genösset ihr nicht, weinet, als weinetet ihr nicht, freuet euch, als freuetet ihr euch nicht, kaufet, als besäßet ihr nicht, und die ihr dieser Welt gebrauchet, daß ihr derselben nicht mißbrauchet. (1. Cor. 7, 29.) Ihr aber, die ihr nicht besitzet, denen es nicht gelingt zu etwas zu kommen, o hütet euch! saget es euch, daß ihr hier ja in der Fremde seid; hütet euch, daß eure Herzen nicht mit Sorgen um fremde Dinge beschwert werden; streitet dagegen, daß sich deshalb kein Verdruß, kein Murren in euch erhebe und rufet euch mit Tersteegen zu:

Man muß wie Pilger wandeln
Frei, bloß und wahrlich leer,
Viel sammeln, halten, handeln
Macht unsern Gang nur schwer.
Wer will, der trag' sich todt;
Wir reisen abgeschieden,
Mit wenigem zufrieden
Und brauchen'nur zur Noth.

Gehe aus deiner Freundschaft, saget der göttliche Befehl fort. Gehet er auch uns an, so frage ich, was ist das für eine Freundschaft, die wir durchaus meiden müssen? Wenn der Herr sagt, des Menschen Feinde werden seine eignen Hausgenossen sein (Matth. 10, 38), so sind damit unstreitig die Menschen seiner nächsten Umgebung, seine Blutsverwandten vielleicht gemeint. Du nennst sie deine Freunde, und sie sind deine Feinde, weil ihr Umgang dir ein Hinderniß im Reiche Gottes wird und die Gemeinschaft mit ihnen ein Fallstrick für deine Seele, und dich von einer wahren und rechtschaffenen Bekehrung abhält. Aber ich frage weiter, sind diese eignen Hausgenossen des Menschen blos außer ihm? trägt er sie nicht in seinem eignen Innern? Ich meine die innerlichen Lüste, welche wider die Seele streiten, die bösen Gewohnheiten, die uns beherrschen, die Lieblingssünden, die uns gefangen halten.

Gehe aus von ihnen, befiehlt der Herr dein Gott. Hange diesen argen Gedanken nicht nach, die aus dem Grunde deines Herzens aufsteigen! Habe keine Gemeinschaft mit den unreinen Bildern, die sich in dich drängen! Unterhalte sie nicht, die sträflichen Neigungen, die in dir aufkeimen! Was du als Sündenreiz fühlst und erkennst, das greife an und überwinde es! Wirf die üble Laune, die dir und den Deinigen das Leben verbittert, von dir! Der scheele, mißgönnende Blick, womit du auf Andrer Glück und Wohlergehn hinsiehst, die geheime Freude, womit du eine böse Nachrede vernimmst und selbst verbreitest, verurtheile sie, entreiße dich allem, was dich in schimpflichen Banden hält, was dein Herz vereitelt, was deiner Seele schadet, jeder sündlichen Ergötzung, jedem Umgang mit verführerischen Freunden: der Herr spricht: gehe aus von deiner Freundschaft!

Und aus deines Vaters Haus, setzet der göttliche Befehl hinzu. Irre ich, wenn ich darunter für uns das gesammte Erbe des fleischlichen Sinns, der irrenden Vernunft, des krankhaften, eigenliebigen, selbstsüchtigen Willens, alles das Eigen- und Gottwidrige verstehe, was seit des ersten Vaters Übertretung auf uns fortgepflanzt ist? Hinweg mit diesem allen! Hinweg mit dieser Klügelei des stolzen Verstandes in göttlichen Dingen! Sie führt nicht zu Christo hin, sondern von Christo ab. Wir liegen krank an ihr von dem Tage an, als das Wort des Versuchers Eingang fand: „sollte Gott das gesagt haben?“ Gieb dies traurige Erbe des Vaterhauses auf, der Apostel mahnt, daß wir unsern Sinn nicht verrücken lassen von der Einfalt in Christo.

Hinweg mit allem selbstgenugsamen Wesen, mit aller Selbstzufriedenheit, mit aller eignen Gerechtigkeit! Nichts hält mehr vom Himmelreich ab. Nur die Demuth, das Gebeugtsein des Herzens, die Armuth im Geiste, das Kleinsein vor uns selbst macht fähig und empfänglich für die göttliche Gnade. Verliere denn das eigene Leben, um das ewige zu gewinnen! Gehe aus deinem Vaterland, und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Haus!

3.

Das ist nun freilich eine schwere, eine dem Natursinn schmerzliche Aufgabe. Aber sie ist es nur dann und so lange wir das Land der Verheißung nicht kennen, welches der Herr Abraham und allen, die in seine Fußtapfen treten, öffnet. Richten wir auch darauf unsre Andacht. Wie lautet die Verheißung, welche Abraham empfing, und in deren Licht er willig wurde, Vaterland, Freundschaft und Vaterhaus zu verlassen? In ein Land, das ich dir zeigen will, und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen, und dir einen großen Namen machen und sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen, und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Welche glänzende Zusagen! Wie vereinigt sich in ihnen leiblicher und geistlicher, irdischer und himmlischer Segen! Die Verheißung beginnt mit dem Worte, in ein Land, das ich dir zeigen will. Noch liegt es in unbekannter Ferne vor dir, aber es ist kein ungewisses, traue meinem Worte, folge meiner Leitung. Hier besitzest du einige Triften, siehe, ein ganzes Land liegt vor dir, es bietet dir reichen Ersatz, du verlierst nichts.

In diesem Sinne fährt die Verheißung fort. Ich will dich zum großen Volke machen und dich segnen, und dir einen großen Namen machen und sollst ein Segen sein. Zum großen Volke, zum Stammvater eines großen Volkes soll Abraham werden. Bedenket, Kindersegen und eine blühende Nachkommenschaft galt damals für den größten göttlichen Segen, und Abrahams Kinder sollen zum großen Volke aufwachsen und sein Name unter ihnen und weit über sie hinaus ein gepriesener und der gesegnete zu einem Segen für Andre werden. Und so, daß die ihn segnen, wiederum gesegnet, und die ihn verfluchen, wiederum verflucht werden. So will der Herr es anerkennen, was ehrfurchtsvolles Anschauen und Nachfolgen seines Freundes und was geringschätzige Verachtung seiner Gottesfurcht und seines Glaubens nach sich ziehe. Und in dir, die Verheißung schließet mit dem Höchsten, sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Herrlicher Hinausblick auf die Erfüllung der seligen Hoffnung, die in der Stunde des Falles gegeben war und die Abraham als das Kleinod seines Trostes und seiner Freude im Herzen trug! Er sah meinen Tag, spricht der Erlöser (Joh. 8, 56) und freute sich. Den Tag der Erscheinung Dessen, der, von einer Tochter Abrahams geboren, aus Israel die Wunderschätze seines Heils über die ganze Welt ausbreiten werde. Was sollen wir sagen? Mußte nicht bei dem Aufgang solcher Verheißungen, deren Strahlen die Gegenwart erhellten und die weiteste Zukunft erleuchteten, ja Zeit und Ewigkeit durchdrangen, mußte es Abraham da nicht leicht werden, auch das Liebste zu verlassen? Da zog Abraham aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte.

Gleiche hohe Verheißungen werden auch uns vorgehalten, wenn wir, zum Himmelreich berufen, den Befehl hören: gehe aus, gehe aus! Noch ist uns das Land ein unbekanntes, aber der Herr zeiget es dir; und ist es einmal deine Heimath geworden, singest du mit David: der Herr ist mein Hirte, dann frohlockest du auch mit ihm: er weidet mich auf einer grünen Au und führet mich zum frischen Wasser, er erquickt meine Seele, er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen (Ps. 23). Bin ich denn Israel eine öde Wüste und ein dürres Land, fragt der Herr, und die Seele, die ihn kennt und liebt, antwortet: nein, das bist du nicht, du machst auch die Wüste zu einem Lustgefilde, deine Brünnlein haben Wassers die Fülle, das Dürre zu tränken, und was du segnest, das ist wahrhaft gesegnet, das ist ewiglich gesegnet! O, warum vergessen wir das? Warum bleibet uns ein Wort, wie wir es schon so oft hörten: die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens, nicht unauslöschlich eingeprägt? Warum halten wir nicht für Wahrheit, was doch der Mund der Wahrheit sagt: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen?

Ich weiß wohl, was so Viele aufhält, in das Land zu gehen, das der Herr ihnen zeiget. Ihr findet das Scheiden, die Verleugnung, das Verlassen dessen, woran euer Herz hängt, das Verlieren des eignen Lebens so schmerzlich; ihr betrachtet die Bekehrung als ein höchst beschwerlich Werk. Wenn man auch von dem Stande der Christen sagt:

Jesu, daß du freundlich bist,
Und der Zustand wahrer Christen
Unaussprechlich selig ist,

so höret ihr das wirklich als einen Ton aus einem fremden unbekannten Land. Zu jener Samariterin sprach Jesus: wenn du erkenntest die Gabe Gottes, und wer der ist, der zu dir sagt, gieb mir zu trinken, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser. (Joh. 4, 10.) O, meine Lieben, wenn wir erkennten, was für Freude auf die Bitterkeit der Buße folgt und welch' ein Himmel in dem seligen Reiche Jesu Christi sich über die wölbet, die ihre Sünden unter dem Kreuze des Erlösers niedergelegt haben, wir würden rufen:

Auf, auf mein Geist, was säumest du,
Dich deinem Gott ganz kindlich zu ergeben?\\. Geh' ein, mein Herz, genieß die süße Ruh!
In Freude sollst du vor dem Vater schweben.

Wenn wir erkennten, was Vergebung aller Sünden bedeutet, was Bewußtsein der göttlichen Gnade, was Gerechtigkeit vor Gott, was Zeugniß der Kindschaft - o Gott, welche Güter! wir würden bitten: gieb mir solch lebendiges Wasser!

Und doch sind diese Güter nur ein Angeld weit höherer. Sind wir Kinder, so sind wir auch Erben. Dieses Erbe der Heiligen im Licht, dieses Land der Herrlichkeit, das der Herr den Berufenen zeigt, in das er seine Getreuen einführt: kein unbekanntes Land. Er ist vorangegangen, uns die Stätte zu bereiten; er hat es von seinem Vater verlangt: Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast. (Joh. 17, 24.) O selig, wer sich dieser Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit rühmt und versichert ist, daß wenn einst, wenn nach kurzer Zeit, wenn in der Todesstunde der Ruf an ihn ergeht: Gehe aus deinem Vaterland, von deiner Freundschaft, aus deines Vaters Haus, nun werde auch das andere Wort sich erfüllen, in ein Land, das ich dir zeigen will, in das Land der Lebendigen! Glaubet ihr das? O glaubet an die hohen, überschwenglich reichen Friedensgedanken Gottes über euch! Derselbe Apostel, welcher von einem Kleinod redet, welches ihm die himmlische Berufung Gottes in Jesu Christo vorhalte, betet auch für die Epheser um eröffnete Augen des Verständnisses, daß sie erkennen mögen, welche da sei die Hoffnung ihres Berufs, und welcher der Reichthum des herrlichen Erbes der Heiligen, und spricht dann von einer Größe der Kraft an denen, die da glauben. Glaubet an ein Land der Verheißung, das der Herr euch zeiget, glaubet an ein Gnadenreich hier und jenseits! und was Abraham stark machte, alles zu verlassen, das wird auch euch stark machen. Dem, der glaubet, sind alle Dinge möglich! Amen.

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