Harms, Claus - Am siebenten Sonntage nach Trinitatis 1818

Harms, Claus - Am siebenten Sonntage nach Trinitatis 1818

Ges. 750. Du sorgst, o Gott, was helfen unsre Sorgen!

Ich bin zufrieden! - Ist es wahr? So Viele von euch das Wort gesungen haben: „Ich bin zufrieden“ - hat Jeder es mit Wahrheit gesungen nach seiner wirklichen Gesinnung und Empfindung? Du, auch du, mein Christ? Lasset mich Antwort nehmen aus der Seele aller Besseren, die hier sind; - doch, es soll hier nicht Einer für schlechter gelten, als der Andre, die Unterscheidung ist Gottes, - lasset mich als Antwort nehmen aus eurer aller Seelen: Ja, wir sind zufrieden! Hier, an diesem Orte sind wir zufrieden, wo wir uns hinan- hinaufgesungen haben zu der stillen, seligen Höhe des Glaubens und Gottvertrauens, so daß wir hinter uns gelassen haben die ganze Welt, und zu unsern Füßen sehen all' ihre Herrlichkeit. Jetzt, zu dieser Stunde sind wir zufrieden, da die größere Gottesnähe unser Herz erfüllt, da der Herr uns den Tisch bereitet, wie David es rühmet im 23. Ps., da er voll einschenkt uns Allen, die wir kommen mit dem Durste der Andacht, bei welchem geistlichen Male vergessen wird das leibliche Bedürfniß und in der Theilnahme an dem himmlischen Gute hintenangesetzt werden alle kleinen weltlichen Sorgen. - Zu dieser Stunde sprechet ihr, und an diesem Orte kann Jeder von uns sagen mit Wahrheit: Ich bin zufrieden. - Ja, das ist die rechte Sonne des Sonntags, daß an ihm die irdischen Sorgen, diese Nebel um die Seele, verschwinden. Das ist die Macht des Gesanges und die Gewalt des Gotteswortes und der Segen gemeinschaftlicher Andacht, daß davor weichen muß, was die bessere Natur in uns halten, anhalten, niederhalten will, und uns alles Glück innerhalb des Irdischen aufjagen, nachjagen, erjagen lehrt. Das ganze Gezeug: Eitelkeit, Habsucht, Genußgier, Neid, Scheelsucht, Geldstolz, wie auch die eingebildete Armuth, Einbildung - alles muß weichen, sobald göttliche Gedanken sich des Herzens bemächtigen. Sie machen das Wort zur Wahrheit, wenn gesungen wird: Ich bin zufrieden. - Ich war es nicht, setzt die Aufrichtigkeit hinzu; aber nun bin ich's, hier bin ich's!

Und bleibst du es nicht? Fahre fort, mein andächtiger Zuhörer, in der Aufrichtigkeit, dann wirst du sprechen: Ach, ich fürchte, nicht! Es sind Geständnisse manches Christen: Sobald ich meinen Fuß wieder setze aus dem Hause Gottes und trete auf die Steine der Gasse, legen sich die vorigen Sorgen wieder wie Steine auf mein Herz. Sobald ich die Straßen entlang gehe und schaue nur rechts oder links, so fahren die häßlichen Gedanken der Vergleichung mir wieder durch die Seele, bald sind's neidische, bald hoffärtige Gedanken; sobald ich in mein Haus trete, empfanget mich, umfänget mich das ganze Heer weltlicher Angelegenheiten, eine Schaar Schwarmgeister, deren einer mir meine Armuth zeigt, ein andrer mein vergebliches Streben, ein dritter meine Schwachheit in Erfüllung meiner Pflicht, ein vierter meine Versäumnisse und unersetzlichen Verluste. Und wenn sie mich auch nicht heimsuchen den Sonntag über, Montags stellen sie doch sich ein und nehmen die Woche lang alles Gute und Herrliche, was ich im Gotteshause gehört und erworben, wieder weg; lassen keinen Gedanken übrig, daß ich am neuen Sonntag wieder so arm bin wie zuvor und von der alten Last der Welt beschweret bin, wie ich immer gewesen. Wenn ich hier bin, so bin ich zufrieden; wenn ich draußen bin, so bin ich's nicht. In dieser Stunde bin ich's; später schon nicht mehr. Das ist, leider! manches Christen Geständniß.

Das macht, daß Welt und Kirche, Irdisches und Himmlisches so getrennt worden sind, wie sie es früher in dem Maße nicht waren. Da gab es mit der häuslichen Andacht eine Kirchzeit mehr, als die einmalige am Sonntage, und der frühere Glaube sah Gottes Hand und Finger da wirksam, wo man jetzt lauter natürliche Ursachen oder eine Schickung ohne den, der sie schickt, wahrnimmt. Nur, wem im tiefsten Elend unerwartet eine helfende Hand erschienen ist, und wer aus großer Noth durch einen, wie man es nennt, günstigen Zufall gerettet wird, dem läßt man es hingehen, wenn der glaubt, daß noch Wunder geschehen. Oder wenn ein theures Kind nun eben aus dem elterlichen Hause gehen soll zum eignen Erwerb, spricht der bewegte Vater noch wohl: Gott segne dich, mein Sohn! - Nur noch in solchen Fällen ist die Rede von Gottes Segen, daran doch früher Alles gelegen war. Wahrlich, wie man die Menschen zu Werke gehen sieht, scheint Gott seine Hand gar nicht mehr dabei zu haben und aus dem Regiment gedrängt zu sein von der Menschen Selbstwissen und Selbstkönnen. Nun, da ist's denn auch, als wenn Gott wirklich zurückgetreten wäre und die Menschen machen ließe, so gut sie's können ohne ihn. Es geht, wie's geht: Der Sohn ist eben so reich, wie der frömmere Vater, der immer Gott um Segen zu seiner Arbeit anlag; der Sohn wird vielleicht noch eher reich. Doch wohin er nicht kommt, das ist zu der Zufriedenheit, die nicht in dem Maße der Güter, sondern im frommen Glauben, daß Gott sie gegeben, in solchem Maße, viel oder wenig, sie gegeben, ihren Grund hat. Wohin er nicht kommt, das ist zu der Dankbarkeit, mit der ein Frommer jegliches, nicht gleichsam aus Gottes Händen, sondern wirklich aus Gottes Händen kommen sieht. - „Du thust deine milde Hand auf“. - Wohin er nicht kommt, das ist zu allen den Tugenden, die aus solchem Glauben wie Pflanzen aus fruchtbarem Erdreiche hervorgehen: Gottvertraun, Ergebung, Folgsamkeit, milder Sinn und Wohlthun um Gottes willen. Dein Lebenlang - sagte Tobias zu seinem Sohn - habe Gott vor Augen und im Herzen - erst vor Augen, daß du ihn erkennst in seinen Werken und Wegen. Hier offenbart sich die Scheidung der alten und neuen Zeit, und hier zeigt es sich, daß der Weg, welchen man jetzt einschlägt, nämlich den von Innen nach Außen, der verkehrte sei. Von Außen nach Innen ist der rechte - daß wir Gott erst erkennen vor uns, um ihn dann anzunehmen in uns. Und das ist die Stätte, wo eine Betrachtung des göttlichen Segens ein Licht verbreitet über alle Wahrheiten unsers Glaubens, gleichwie dieselbe, was die Absicht der Predigt zunächst ist, uns führt mitten in unser öffentliches und häusliches Leben hinein. Wir stellen diese Betrachtung an und gehn ihr nach, wie das heutige Evangelium uns leitet, unter dem stillen Anruf, daß er, der allein den Segen hat, auf unsre Betrachtung ihn legen wolle.

Marc. 8, 1,-9. Zu der Zeit, da viel Volks da war, und hatten nichts zu essen, rief Jesus seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert des Volks; denn sie haben nun drei Tage bei mir verharret und haben nichts zu essen; und wenn ich sie ungegessen von mir heim ließe gehen, würden sie auf dem Wege verschmachten. Denn Etliche waren von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen mir Brod hier in der Wüste, daß mir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viel habt ihr Brode? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volke, daß sie sich auf die Erde lagerten. Und er nahm die sieben Brode, und dankte, und brach sie, und gab sie seinen Jüngern, daß sie dieselbigen vorlegten; und sie legten dem Volke vor. Und hatten ein wenig Fischlein; und er dankte, und ließ dieselbigen auch vortragen. Sie aßen aber und wurden satt; und Koben die übrigen Brocken auf, sieben Körbe. Und ihrer waren bei vier tausend, die da gegessen hatten; und er ließ sie von sich.

Da ist das Thema, da sind die Theile der Predigt in dem verlesenen Evangelio:

Vom Segen Gottes.

  1. Er kommt meistens zur Zeit der Noth,
  2. und knüpft sich an ein vorhandenes Geringes,
  3. will aber von Gott erbeten und -
  4. wie wunderreichlich er auch kommt -
  5. doch sorgfältig bewahrt sein.

Auf diese Art und Eigenschaft des göttlichen Segens führt uns das heutige Evangelium.

1.

Was da geschieht, meine Zuhörer, die Speisung der viertausend Mann, es geschieht zur höchsten Noth. Jesus spricht: „Mich jammert des Volks; denn sie haben nun drei Tage bei mir verharret und haben nichts zu essen; und wenn ich sie ungegessen von mir heim ließe gehn, würden sie auf dem Wege verschmachten“. Das ist des himmlischen Helfers Weise, wie sie erkannt worden ist vor Alters schon. Denn der Spruch ist alter, wie wir Alle sind, welcher diese Gottesweise mit den Worten angiebt: Wenn die Noth am größten, so ist Gott am nächsten. Dieses Nahestehen, dies Hinzutreten Gottes, sein Hinzulegen von dem Seinen zu unsrer Armuth, sein Mitanfassen unsers Werks bei unsrer Schwachheit sind das freundliche, günstige Wetter in unsern Schicksalen, bei welchem allein der äußre und innre Mensch gedeiht, das aber der Mensch so wenig in seiner Macht hat, wie jenes, das über der Erde steht und über die Felder geht. Das nennen wir den Segen Gottes. O, ich muß mich wohl einlassen auf diese nähern Bezeichnungen und Beschreibungen dessen, was göttlicher Segen ist; denn wie das Göttliche überhaupt fremder geworden ist, so der Gottessegen insonderheit. Mit dem Glauben daran ist auch der Verstand davon abhanden gekommen, fremd geworden dermaßen, daß auch das Wort „Segen Gottes“ schon aus der Sprache zu verschwinden anfängt. Daher - um nur eine zu nennen von den vielen Erscheinungen, welche hervorgehn aus dieser veränderten Denkart der Menschen - daher kommt das Treiben und Trachten in jenem bürgerlichen Stande besonders, wo der Mensch rechnet, berechnet und mittelst Kraft der Zahl eindringen will in's Leben. Das hieß früher Gottes Segen, der den Ertrag pflanze in das Einmaleins und in's Wachsen bringe nach dem Fortschritt der Procente. Jetzt aber macht man das ganze Leben mehr oder weniger zu einem Rechenexempel, rechnet sich aber Armuth zum Facit heraus, und steht dann darüber mit Kopfbrechen: da sollte doch etwas andres kommen; - bis Manchem der Kopf bricht auf die eine oder andre Weise. Nun, dann steht denn der Mensch wieder am Anfange mit denen auf einer Stelle, welche den ersten Anfang noch machen sollen, und dabei auf den Segen Gottes rechnen, denselben zu ihrem größern Nenner machen, ihren frommen Glauben zum Zähler. Dann lernt er auch so thun, von der Noth gelehrt. Ich will mich wenden zu den Gesegneten Gottes, deren gewiß viele in dieser Versammlung mein Wort trifft, um es von ihnen bestätigen zu lassen, daß Gottes Segen meistens zur Zeit der Noth komme. Kennt ihr jene drei Tage im Evangelio, die ihr habet harren müssen, bis Gott mit seinem Segen herzutrat? Ihr sprecht: wir kennen sie wohl, und es sind uns drei lange Tage gewesen, länger als drei Jahre. Wir sahen Andre, die weit zurück gewesen, uns weit voraus kommen, und begriffen nicht, wie? Andren, die doch unsrer Meinung nach offenbar sich die Sache weniger angelegen sein ließen, gerieth es besser. Andre, die weder den Verstand, noch die Geschicklichkeit, noch die Aufmerksamkeit und den Fleiß bewiesen, die doch von uns bewiesen wurden, wurden reich und wir blieben arm; sie erreichten ihr Ziel und wir blieben fern, sie fanden Alle das Glück des Lebens, das sie zu suchen schien, während wir Suchende es nirgends fanden, durch keinen Anschlag desselben habhaft werden konnten. Wir wurden müde, das Herz im Busen schmachtete, der Weg schien sich nicht abzukürzen, es senkte die Nacht sich herab, Bangen umfing uns, Zweifel stiegen auf, wie Assaph, Ps. 73, fragten wir: Soll's denn umsonst sein, daß mein Herz unsträflich lebet? umsonst die Arbeit und der Schweiß und die Sorgen? und stehet Gott mich nicht weinen? Hast du, Gott, auf der weiten Erde bloß für mich keinen Platz, kein Brod? Das ist gewiß die Erfahrung Vieler von euch, und immer die Antwort von Gott, welche der Herr seiner Mutter gab: Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Sie kam und eure drei Tage waren um. Es kam der Segen Gottes zur Zeit der Noth mit vollen Händen

2.

und knüpfte sich an ein vorhandenes Geringe. So fahren wir fort des göttlichen Segens Art zu beschreiben. Wir lesen es aus dem Evangelio. Sieben Brode und ein wenig Fischlein war's, aus dem durch den Wundersegen so viel ward, daß einige Tausende damit gesättigt werden konnten. Wer that es? Derselbe, welcher auch wohl hätte können Brod vom Himmel fallen lassen, wie er gethan in der Wüste Arabiens; derselbe, welcher auch wohl hätte Steine in Brod verwandeln können, welches der Versucher dem Gottessohn zutrauete. So kann die Allmacht, aber es ist ihre Weise, daß sie den Wundersegen an ein vorhandenes Geringes knüpft, gleichwie geschah vor den Augen Gehasis, des Prophetenschülers, 2. Kön. 4, welcher sprach: Was soll ich hundert Mann an dem geben! gleichwie geschah bei der Wittwe zu Sarepta, 1. Kön. 17, das Mehl im Cad wurde nicht verzehret und dem Oelkruge mangelte nichts; gleichwie noch geschieht, wo nur mit gläubigen Augen die Sache wird angesehn. Es ist Erfahrungssache. Da frage ich denn wiederum die Gesegneten des Herrn, daß sie antworten nach ihrer Erfahrung, du, der du zu ansehnlichem Vermögen gekommen bist, womit hast du angefangen? was konntest du Gott vorhalten vor einigen Jahren und ihn bitten: Segne das, o Gott! Wieviel war's? Du willst sagen: Nichts; - freilich ein nichts gegen den jetzigen Reichthum, oder wirklich nichts, wie Jacob auch nichts hatte, als den Stab, da er über den Jordan ging. Oder war es ein Kleines doch, mit dem du ansingest? Wie, sind hier nicht Mehrere in dieser Stadt, bei denen Gott aus dem Wenigen viel gemacht hat, die ihre Thaler konnten im Dunkeln zählen und es jetzt nicht vermögen bei des Tages Länge? Nach einer andern Vorstellung: der seine Familie ernährt mit seiner Hände Arbeit, wie viel wohl braucht er in einem Jahre für sich und die Seinigen, daß sie satt werden und Kleidung haben? Es ist eine Summe, er erschrickt vor diesem Ueberschlag, wo soll's herkommen? Und es kommt doch, wie es ja immer gekommen ist. Ein Schilling, auf dem Gottes Segen liegt, schaffet mehr, als zehn Schillinge, bei welchen kein Segen ist. Der Ungläubige wird stutzig davor, und Gott macht doch alle Tage solche Exempel. Der Ungläubige will's wahrnehmen, doch er vermag's nicht, es ist Algebra Gottes und ihm fehlet das unbekannte X, welches ist der Segen des Herrn, ohne den solche Aufgaben nimmer gelöst werden können, und wenn auch alle natürlichen Ursachen würden zusammengezählt; ohne den Segen Gottes, der auf das Geringe gelegt worden, erklärt es sich nimmermehr. Trösten sich deß Alle diejenigen, welche in Sorgen gehn über ihre Armuth, daß sie so wenig haben. Seht, es braucht nur ein Geringes, wenn der vermehrende Segen Gottes kommt! Trösten sich deß Alle diejenigen, welche nichts haben und Gott nichts zeigen können als ihre beiden Hände, die sie betend zu Gott erheben: aber Gott braucht auch nicht mehr, um den Anfang bei ihnen zu machen. Es sind so viele junge Leute hier, die wohl mit zagender Seele vor der Welt stehen: Wie komme ich durch? es ist eine lange Reise, und ich bin arm. - Wieviel hast du denn? Ihr Dienstboten, ihr Handwerker, die wenigen Mark in eurem Kästlein werden zureichen, wenn Gott seinen Segen dazu thut. Und ihr Familienväter, tröstet euch deß, wenn ihr euren Vorrath und euren Erwerb unzulänglich findet und fürchtet, zuletzt noch in die Wüste zu gerathen und verschmachten zu müssen auf dem Wege mit eurem Weibe und den lieben Kindern, -tröstet euch deß: Gottes Segen knüpft sich an ein Geringes an - sollt's auch nur Brod und Wasser sein, 2. Mos. 23, 25., haben wir ja doch eine Verheißung: dem Herrn, eurem Gotte sollt ihr dienen, so wird er segnen dein Brod und dein Wasser; - du seufzest: wenn ich krank werde; lies weiter: - und ich will alle Krankheit von dir wenden.

3.

Der Segen Gottes kommt meistens zur Zeit der Roth, knüpft sich an ein vorhandenes Geringes, will aber von Gott erbeten sein. Wie wir sehen den Herrn thun. Und er nahm die sieben Brode und dankte; und hatten ein wenig Fischlein und er dankte: darnach - darnach? das Wort ist mißgläubig - darauf, auf dieses Gebet, erfolgte es, daß so wenig so viel ward. Der Segen Gottes will erbeten sein. Wir haben die Vorzeit auch hierin zum Muster, wer kann es leugnen? sie betete mehr, als wir thun. Ich erinnere mich Eines Gebetes um den himmlischen Segen, das ich in meiner frühsten Kindheit habe sprechen hören von Manchem - o, daß auch wiederum Manche und auch hier es nicht verschmäheten, mit diesen schlichten Worten den großen Segengeber anzuflehen! Es heißt: „Laß dich, Herr Jesu Christ, Durch mein Gebet bewegen, Komm in mein Haus und Herz, Und bringe du den Segen. All' Arbeit, Müh' und Kunst Ohn' dich nichts richten aus, Wo du in Gnaden bist, Kommt Segen in das Haus“. Soll ich mich einlassen auf einen Kampf mit dem Widerspruch? Das ist das rechte Amt der Predigt, da die Welt ja in beständigem Widerspruch mit der Kirche steht, daß sie, die Kirche, die Gemeine der Gläubigen und deren Sache vertheidige und nach Vermögen die Ungläubigen herüberziehe. Man spricht: Wozu ist's nöthig, daß wir unsre Noth erst Gott vortragen? Christus spricht selbst, Matth. 6, 32., Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr deß alles bedürfet! - Stehet nicht mehr da? Wissen und Wollen ist doch zweierlei. Daß Gott auch wolle thun, wie er weiß, daß uns nöthig sei, dazu sollen wir ihn bewegen durch unser Gebet. Ihn bewegen durch unser Gebet, spricht man, das ist eine unwürdige Vorstellung. Nun, wenn ihr würdiger lehren könnt, als die Bibel gelehret hat, die weiset uns sonst auf Abraham, 1. Mos. 18, wie der doch Gott zu bewegen suchte und der Allmächtige ihm Gehör gab - oder ich lege das Wort Christi vor, wo er durch ein Gleichniß lehrt, daß man allezeit beten und nicht laß werden sollte, Luc. 18, im Anfang. Dann: hat er uns nicht auf's Vaterunser gewiesen? und wie betete er selbst! Das sei genug; ich setze nur hinzu: Wenn es sich denken ließe, daß Gott das Bitten verboten hätte, jeder Fromme hielte dann doch die Sünde der Uebertretung so vieler guter Gedanken alltäglich Gott vor. Allein haben diejenigen denn mehr, spricht man, die um Gottes Segen bitten? sind sie reicher, zufriedner, glücklicher? Ja, das sind sie! Sie haben mehr, welche ihr Gut auf Bitte von Gott erlangt - ich sage: haben ihr Gut; von denen, die nicht beten, muß man sagen: das zeitliche Gut hat sie, hält ihr Herz inne, hält ihre Seele besetzt. Auch haben sie mehr, wenn es auch weniger ist nach der Zählung; denn was die Beter haben, jegliches hat das pretium affectionis d. h. den besondern Werth einer lieben Hand und eines theuren Andenkens, es ist ihnen ein Gottesgeschenk. Das ist, was sie glücklicher macht, zufriedener, reicher. Da kann Jemand lange beten, spricht man, wenn er nicht arbeitet, so bekommt er doch nichts. Ein nichtiger Vorwurf; denn wer betet, der arbeitet auch, es öffnet die Augen, wo zu thun ist, es erfüllet das Herz mit freudiger Lust, an die Arbeit zu gehen, daher auch Luther gesagt: Gut gebetet ist halb gearbeitet, es gießt in jede Ader Leibes und der Seele die Kraft der Beharrlichkeit. Wir geben den Einwurf zurück: Da kann Einer noch so lange arbeiten, wenn er nicht betet, bekommt er doch nichts. Nehmen kann der, was Andre liegen lassen, an sich reißen und raffen, was Andre als eine Sünde scheuen. Und wer weiß, wozu es ihm in's Haus gegeben ist, ob als Wohlthat oder als Strafe - als Segen nimmermehr; denn der liegt mit dem einen Ende gebunden an Gottes Hand und mit dem andern Ende an unser Gebet, er will erbeten sein.

4.

Und mancher Beter empfängt mehr, als um was er gebeten hat. Sehen wir in's Evangelium oder vielmehr, durch das Evangelium gewiesen, auf jenen Vorgang, den es beschreibt. Schaffet, daß sich das Volk lagere. Eine nicht kleine Zahl, es waren bei viertausend Mann. Sie zu sättigen mit dem geringen Vorrath, das war die Absicht und das Gebot des Herrn, aber es geschah mehr, es blieben noch sieben Körbe übrig. Sehet, so wunderreichlich kommt zuweilen der Gottessegen! Was lieget zu unserm weitern frommen Nachdenken daran? Einmal dieses, daß wir schätzen selber, wie viel, wie wirklich sehr und wunderreichlich uns von Gott gegeben sei. Jagt darum den alten Feind weg, der immer kommt, uns in solcher Betrachtung zu stören, darein redet von seinen natürlichen Ursachen. O, was ist hier Natur? Es ist alles Gnade für den, der von der Höhe des Glaubens herab die menschlichen Dinge ansieht! Was ist Menschenwerk? Es ist alles ein Gotteswerk und ein Wunder, und kein Unterschied dazwischen, es fließt in einander zu Einem breiteren Strom, wie zwei Bäche aus verschiedenen Quellen, die unter der Erde d. h. verborgen dem gewöhnlichen Blick wie aus Einem Urquell entspringen. Gott hat uns Allen wunderreichlich gegeben. Ich rufe euch weg von dem Tisch; auf dem die leibliche Speise steht, haben wir nicht vielleicht schon zu lange dabei verweilet? Noch Eins lasset mich sagen davon: Wer mit Gebet und frommen Gedanken Mahlzeit hält, der empfänget ein zwiefaches Brod, das leibliche zur Erhaltung des Leibes; und die Vorstellung: das giebt ein gütiger Vater mir! das lässet er mich gesund genießen, um diesen Tisch hat er gepflanzt als Oelbäume meine Kinder - oder was sonst die Andacht mit sich führt, das ist das geistliche Brod zugleich, das Jesus meinte, wenn er sagte, Joh. 11, 32., Ich habe eine Speise, da wisset ihr nicht von; die höhere Speise nach sacramentlicher Art, dazu das Gebet, welches ich eher gehört: Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was du uns bescheeret hast. - Aber ich wollte euch abrufen von diesem Speisetisch nach eurem Arbeitstische, zu verstehen in euren Beruf: was euch da Gutes widerfährt und von welchem Segen ihr darin begleitet seid. Hier sind so Manche, deren näherer Beruf es ist, für das Wohl Anderer in geistlicher, rechtlicher, bürgerlicher Hinsicht zu wirken: Wir, schwache Menschen, was können wir? Je mehr wir ausrichten, desto klarer wird uns die Erkenntniß, daß wir's nicht sind, daß Gott es ist mit uns, durch uns, der solches thut; je höher unser Verdienst steigt nach dem Urtheile der Menschen, desto kleiner wird es nach unserm eignen Urtheile, immer geringer unser eigener Antheil, - so daß wir zuletzt nichts weiter wollen, als Gott mit uns machen lassen, und wir ausrufen mit David, Ps. 115: Nicht uns, Herr, nein, nicht uns, deinem Namen gebührt die Ehre. Ich denke mir einen Jugendlehrer, der eine Zahl Kinder um sich hat und seit Jahren um sich gehabt hat, die er gewiesen auf den rechten Weg zu Gott und gestärkt durch das fromme Wort seines Mundes - welch' wunderreichlicher Gottessegen auf einem solchen Manne ruht. Ein Andres, das wir daraus lernen, daß Gottes Segen oft wunderreich kommt, ist, daß wir um so stärker Vertrauen fassen zu ihm. Er ist der reiche Mann und giebt sich nimmer arm; Menschen müssen geben nach ihrem Vermögen, er nach seiner Allmacht aus der ewigen Fülle immerdar. Seinen Freunden giebt er's schlafend, heißt es Ps. 127. Welcher ist sein Freund? Fasset das Wort, Hohel. 5, 2: Ich schlafe, aber mein Herz wachet. - Wo das Herz, wenn auch der müde Leib zur Ruhe gesunken ist, von dem letzten Gebete, mit dem sich der Fromme Gott befohlen hat, noch hin zu ihm steht, - der ist ein Freund Gottes, dem giebt er's schlafend, für den arbeitet Gott fort, wenn er das Werk niedergelegt, und schaffet Gedeihn über des Menschen Erwarten; da kann Gott das Segnen nicht bleiben lassen, und sollt' er den Segen legen, wenn sein Freund noch kein Gefäß hat, auf einen andern Mann, - wie bei Joseph auf Potiphar. Und hier steht Beides immer in gleichem Verhältnisse: je weniger du haben willst, desto mehr bekommst du - denke an Salomons Gebet -, je ärmer du bist an Vertrauen zu dir selbst, auf die eigne Kraft, desto reicher ist Gott mit seiner Gnade da, desto näher mit seines Segens Macht, je schwächer und kleiner du, desto stärker und größer Gott, je tiefer du die Ebbe deiner Armuth gehn lässest, desto höher läßt Gott die Fluth seiner Segnungen steigen und macht dich zu einem Wunder vor Vielen, dich selber zu einem Haushalter seiner Gnade für die Brüder.

5.

Auch die Kunst der Haushaltung mußt du lernen und üben, mein Christ. Wie wunderreichlich auch Gottes Segen kommt, will er doch, fünftens, sorgfältig bewahrt sein: „und hoben die übrigen Brocken auf“, erzählt der Evangelist. Ebenso heißt es in dem Evangelium von einer andern wunderthätigen Speisung, am Sonntag Lätare: Sammelt die übrigen Brocken, daß nichts umkomme. Hier tritt eine solche Seite der Sparsamkeit hervor, meine Zuhörer, dieser wirthschaftlichen Tugend, daß von ihr auch auf der Kanzel, die sonst nicht alles verträgt, die Rede sein kann. Es ist diese Seite: weil das zeitliche Gut eine Gottesgabe ist, sollst du es ehren als solche, und, wie sich's gebührt, mit ihr zu Werke gehn. Wohl darfst du denken: o, es hat Gott noch viel mehr, er kann ja wiedergeben alle Tage, darum will ich, was er mir giebt, auch nicht an mich halten; ich habe seinen Segen, darum will ich ausstreun mit vollen Händen davon und nicht achten auf Kleinigkeiten. Recht also, der Christ muß der größte Verschwender sein; nur daß er's sei, um Gutes zu stiften durch seine Mittheilungen, allerlei nützliche Werke zu fördern auf Erden, Menschen zur Freude und Gott zu Ehren; zunächst möge er die Hungrigen speisen und die Nackten kleiden, als wonach auch Christus fragen wird an jenem Tage, ob wir's gethan. Nun, in solchem Werke achten wir nicht auf Kleinigkeiten, wir geben aus fremdem Gute; Herr, wir geben von dem Deinen, heißt es im Gesang 773. Von der andern Seite soll der Christ auch der genaueste Wirth sein, als der keinen Schilling unnütz ausgiebt - wir haben bald das Evangelium vom ungerechten Haushalter - und immer denken: ob Gott mich segnen werde fortan, ebenso reichlich wie bisher, das weiß er und das weiß ich nicht. Vielleicht will er mich führen in eine Wüste: sei's, daß mich die Pflicht ruft und ein unwiderstehlicher Trieb, den er geweckt, bei dem die Sorge für das Zeitliche muß vergessen werden, gleichwie das Volk aus Liebe zum Worte Christi auf sein leibliches Bedürfniß zu achten vergaß - o, die schöne Vergeßlichkeit! - oder daß Gott mir seinen Segen entzieht eine Weile, nachdem seine Weisheit gefunden, es sei genug für mich, wenn ich's nur wollte zu Rath halten. Denn nicht immer speiset Gott an vollen Tischen. Warum läßt Jesus das Brod aufheben? Einmal, weil sich gebührt, ehrerbietig mit Gottes Gaben umzugehen, dann, weil eine Brosamenzeit kommen kann, daß man in derselben noch habe ein Weniges, um nicht zu verschmachten, daß ein Geringes vorhanden sei, daran Gott seinen neuen Segen dann knüpfen könne. O, wie Viele haben das aus der Acht gelassen und Gottes Segen vergeudet, meinend unbefugt, er höre nie auf und sie waren am Ende damit noch lange vor ihrem Ende. Das gab denn ein trauriges Alter, hätten gern die Brosamen gehabt, die in frühern Jahren von ihrem eignen Tische gefallen; und hatten auch die nicht einmal. Solche arme Menschen gehen allerwärts umher. Sie seien uns eine wandernde Lehre und eine Erinnerung an Jesu Wort: Sammlet die übrigen Brocken. Ihr zunächst, die ihr Kinder habt, gebet auf solche Lehren Acht, und höret noch einmal, was ich euch sagte an einem der vorigen Sonntage: Sorget für eure Kinder, auf daß der todte Vater ihnen gebe, was sie von dem lebendigen Vater nicht haben können! Ich setze hinzu: Lasset etwas zurück, damit man auf euren Sarg nicht eure Schlüssel lege zur Erklärung, die brauche man nicht. Wenn ihr mich aber fragt nach Grenze und Regel - wie weit sollen wir gehen in der Sparsamkeit und wie weit in der Wohlthätigkeit? - eine Regel weiß ich nicht; sucht ihr sie auch nicht, der fromme Sinn trifft's schon. Das höhere Leben, das wahre Christenthum ist erhaben über das Regelwerk und vernimmt allzeit, ich möchte sagen, unmittelbar, was dermalen recht und vor Gott wohlgethan sei.

„Und er ließ sie von sich“. Gehen auch wir, meine Brüder, die wir ebenfalls bei Christo sind Gäste gewesen. Nehmen wir sein Wort mit! Ob unser Leben uns auch erscheine als eine Wüste, wir sind versorgt! Und ob uns, Entbehrenden, die drei Tage auch noch so bald nicht um sind, wir sind doch auf diese Fälle versorgt. Sing', bet' und geh' auf Gottes Wegen, Verrichte treu, was er gebeut, Und so erwarte seinen Segen In kindlicher Zufriedenheit. Denn wer zu seiner Zuversicht Ihn wählet, den verläßt er nicht. Amen.

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