Hagenbach, Karl Rudolf - Predigt über Psalm 24, 1

Hagenbach, Karl Rudolf - Predigt über Psalm 24, 1

vor einer ländlichen Gemeinde vorgetragen im Herbste 1839
von
Dr. K. R. Hagenbach,
Professor in Basel,

Text:
„Die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist“

Liebe Zuhörer!

Wir sind Fremdlinge und Gäste hienieden, wie unsre Väter alle. Wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern die zukünftige suchen wir. Unser Wandel ist im Himmel, droben unser Vaterland. Das sind Wahrheiten, die wir unserm Gemüthe nie tief genug einprägen können. Wahrheiten, die sich uns täglich aufdringen und an die wir besonders jetzt wieder nachdrücklich erinnert werden, wo die Natur allmälig wieder ihres Schmuckes entkleidet wird und dem Winter mit seinem Froste und seinen langen Nächten entgegen eilt. Je mehr wir es wahrnehmen müssen, daß die meisten Menschen in ihrer Verblendung, unbekümmert um die Zukunft, dahinleben, gleich als ob sie immer hier zu bleiben hätten, desto nothwendiger ist es, fort und fort an diese ewige Bestimmung zu erinnern, und jedes Mal, wenn wir wieder hier in dem Hause Gottes uns einfinden, soll es uns aufs Neue bewußt werden, daß wir für den Himmel geschaffen sind und darum auch dieses himmlische Ziel unablässig zu verfolgen haben.

An dieses unser himmlisches Ziel erinnert uns auch überall die heilige Schrift, die von dem Sichtbaren uns hinweist auf das Unsichtbare, von dem Vergänglichen auf das Unvergängliche, von dem Zeitlichen auf das Ewige, von der Erde und ihren Gütern zum Himmel und seinen Seligkeiten!

Gleichwohl aber würden wir den Sinn der heiligen Schrift verfehlen, wenn wir ihre Aussprüche so verstehen wollten, als ob wir jene ewige Bestimmung, die sie uns vorhält, nicht auch schon hier auf dieser Erde bis auf einen gewissen Grad erreichen könnten; wir würden unrecht thun, wenn wir uns überreden wollten, erst drüben in einer andern Welt beginne für uns das, was Christus, unser Herr, das ewige Leben nennt. Nein, schon hier soll das ewige Leben in uns beginnen und schon diese Erde, die wir bewohnen, soll für uns nicht etwa bloß ein düsterer Kerker oder ein trauriger Verbannungsort sein, aus dem dann einst der Tod uns erlöst, sondern in der That eine Schule, in der wir für den Himmel gebildet und auf die ewige Glückseligkeit vorbereitet werden. Warum ist es aber in der Regel nicht so? warum ist die Erde so Vielen nur ein Jammerthal, nur ein Land der Thränen und eine Stätte des Kummers?

Wir antworten: Das ist sie allein geworden durch der Menschen Schuld, durch die Sünde und den Fluch der Sünde. An und für sich ist die Erde nicht der Sitz des Bösen, wenn gleich ein Schauplatz vieler Unvollkommenheiten, ja vieler Ungerechtigkeit. Der Mensch ist es erst, der sie entweiht und entheiligt, der ihre Gaben mißbraucht und ihre Güter in eine Quelle von Leiden verkehrt. Um so nothwendiger ist es daher, daß wir uns von der Wahrheit gründlich überzeugen, die Erde und was darinnen ist, sei des Herrn, damit wir eben unsern Ausenthalt auf ihr von einem höhern Gesichtspunkte aus betrachten und zu unserm Heile benutzen lernen.

Ja, die Erde ist des Herrn und was darinnen ist. Das lehrt uns nicht nur der Psalmist in unserm Texte, das bezeugt uns auch schon Moses, wenn er seine Bücher, ja die heilige Schrift überhaupt mit den Worten beginnt: Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde, oder wenn er uns weiter erzählt, wie Gott bald nach der Sündflut gesprochen: Ich will die Erde hinfort nicht mehr verfluchen um der Menschen willen, sondern so lange die Erde steht, soll nicht aufhören Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (Gen. 8, 21, 22), ja, wie eben dieser Gott und Herr auch bei der Gesetzgebung es feierlich wiederholte: „Die ganze Erde ist mein“ (Exod. 19, 5). - „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist“, das bestätigen uns die Propheten, wenn sie die Erde seiner Füße Schemel nennen (Jes. 66, 4). Das lehren uns gleichermaßen Jesus und die Apostel; ja, der Apostel Paulus wiederholt ausdrücklich die Worte unsers Textes in seinem ersten Brief an die Corinther (10, 26): „die Erde ist des Herrn und was darinnen ist.“ Und in der That, was sollte geeigneter sein, es uns recht augenscheinlich zu machen, daß die Erde und Alles in ihr des Herrn ist, als die Erscheinung des Herrn selbst im Fleische? Hat er, der Sohn Gottes, es nicht verschmäht, die Erde zum Wohnsitz seiner Herrlichkeit zu wählen, ist er selbst, das ewige Wort aus Gott, der Abglanz und das Ebenbild seines Wesens, auf Erden erschienen in Menschengestalt - wie sollte sie durch ihn und seinen Wandel auf ihr nicht geheiligt und zu einem Wohnort des Friedens, zu einem Vorhof des Himmels geworden sein!

Friede sei auf Erden, so ertönte ja der Jubel der himmlischen Heerschaaren, als Jesus geboren wurde, im jüdischen Lande, und nachdem er diese Erde wieder verlassen, da schied er doch nicht ganz und auf immer von ihr. Meinen Frieden gebe ich euch, meinen Frieden lasse ich euch; ich bin bei euch bis an der Welt Ende. Das war sein Abschiedsgruß, sein Segen, den er den Erdenbewohnern hinterließ. Und so erbaute sich denn auf dieser Erde die Kirche Gottes, die Gemeinschaft der Gläubigen, die unter dem Einflüsse des Geistes von oben sich mehr und mehr verklären sollte zu einem Heiligthume Gottes, darinnen der Vater wohnt, mit dem Sohne und dem Geiste, hochgelobet in Ewigkeit.

Und so laßt uns, von dieser Ueberzeugung geleitet, die ernste Frage uns vorlegen: wozu der Gedanke, daß die Erde und Alles darin des Herrn ist, uns ermuntern soll? Wir antworten: Der Gedanke, die Erde ist des Herrn, soll uns ermuntern:

1) zum dankbaren Genüsse dessen, was sie uns bietet;
2) zum freiwilligen Verzichtleisten auf das, was sie uns versagt;
3) zur gewissenhaften Erfüllung des Tagewerks, das uns auf ihr zu verrichten ist aufgetragen worden;
4) zur geduldigen Uebernahme der Beschwerden und Leiden, die unser Aufenthalt auf ihr mit sich bringt, und endlich
5) zur Bereitwilligkeit, wieder von ihr zu scheiden, wenn der Herr uns abruft, in der Aussicht auf ein besseres Vaterland. -

Lasset uns diesen Gedanken noch etwas genauer erwägen.

„Herr des Himmels und der Erde! Schöpfer! Vater! in dessen Hand unser Leben steht; gib uns zu erkennen, daß wir deine Geschöpfe und deine Kinder sind, damit wir uns mehr und mehr deiner Vatergüte freuen, und im Gefühle dieser Freude auch den Gehorsam dir beweisen, den wir dir schuldig sind.“ Amen.

I.

Die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist! Dieser Gedanke soll uns vor Allem ermuntern zum dankbaren Genüsse dessen, was sie uns darbietet. Schauet an den Reichthum und die Mannigfaltigkeit der Gaben und der Geschöpfe, in die Gott uns hineingestellt hat. Das Alles, o Mensch! erschuf die Hand des Allmächtigen und Allgütigen, damit du dich deines Lebens auf eine würdige Weise freuen sollest! Sollte dieß nicht schon die Gefühle der Freude und des Dankes in dir erwecken? Ja, kommet doch, schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Die Erde ist voll seiner Güter; das ruft ja die ganze Schöpfung uns zu unter all den wechselnden Gestalten, die sie im Kreislause des Jahres annimmt. Der Frühling mit seinem jungen Grün und seinen hoffnungsreichen Blüthen, der Sommer mit seinen gesegneten Wiesen und Aehrenfeldern, der Herbst mit der Fülle seiner Gaben und selbst der Winter mit den gefüllten Scheunen und seinen warmen sichern Wohnungen, wenn draußen die Erde im Frost erstarrt oder vielmehr neue Kräfte sammelt, um abermals im Frühling zu neuem Leben zu erwachen - wer sollte nicht beim Anblick aller dieser, jedem Menschenauge, jedem Menschenherzen zugänglichen Herrlichkeiten erfüllt werden mit freudig dankbaren Gesinnungen, wer nicht in die Worte des frommen Dichters einstimmen:

„Mein Auge sieht, wohin es blickt,
Die Wunder deiner Werke;
Der Himmel, prächtig ausgeschmückt,
Preist dich, o Gott der Stärke!“

„Mich, ruft der Baum in seiner Pracht,
Mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht,
Bringt unserm Schöpfer Ehre.“ -

Aber freilich, weil wir diese Wundererscheinungen so gewohnt sind, weil sie uns in ihrer nie verschwindenden Festpracht als etwas Alltägliches vorkommen, so verlieren sie für uns so oft ihr Wunderbares und ihr Festliches, ihr Erbauliches und ihr Erweckliches, - und wir erheben uns zu dem stolzen vermessenen Gedanken, als ob wir die Herren der Erde seien, als ob es von uns abhänge, dem Felde seine Fruchtbarkeit zu entlocken; als ob die Früchte, die wir ernten, nur die wohl verdienten Früchte unsers Fleißes, und nicht vielmehr die unverdienten Gaben und Geschenke Gottes seien. Freuen mochten wir uns wohl der Erde; genießen möchten wir wohl die Früchte und Gaben, die sie uns darbietet, und zehren von dem Fette des Landes. Dazu bedarf es wahrlich keiner besondern Ermunterung von oben her. Die Genußsucht kommt leider nur- zu sehr von selbst und ungerufen. Aber eben darum zeigt sich auch diese Freude und dieser Genuß, weil von den Gefühlen des Dankes entblößt, bei den Meisten als rohe Sinnenfreude, die in ihrem Taumel kein Maß und Ziel kennt, in ihrer Ueppigkeit die Gaben Gottes mißbraucht und die Erde hier zu einem Tummelplatze der Lust und dort wieder in demselben Augenblicke zu einem Kampfplatze der wildesten Leidenschaften, des Zornes, des Zankes und Haders macht. Ja, der Undank gegen Gott ist auch immer die Quelle der Unmäßigkeit, des Unfriedens, die Quelle so vieler Thorheiten und Laster und eines unabsehbaren Verderbens in deren Gefolge. Er ist es, der den Vorhof des Himmels zu einem Vorhofe der Hölle macht und den Segen Gottes in Fluch wandelt. O, daß wir daher nie über dem frohen Genüsse der Gaben Gottes des Dankes vergessen möchten, den wir ihm schuldig sind. Diese kindlich dankbare Gesinnung, die Alles, was sie empfängt, aus der Hand des Vaters nimmt, sie allein bewahrt uns vor dem trotzigen Uebermuthe, womit so Viele an den Gaben Gottes sich versündigen; sie allein gibt uns die rechte innere Befriedigung, ohne die alle äußere Lust ein leeres eitles Ding ist, ein böser Traum, ein wilder Rausch, der alsobald zerrinnt und nur die bittern Spuren der Reue und der innern Verwüstung zurückläßt. Sie allein ist die Quelle der reinsten Freuden, deren wir auf dieser Erde theilhaft werden können: denn das ist meine Freude, spricht sie mit dem Psalmisten, daß ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf den Herrn Herrn; daß ich verkündige, ja dankbar verkündige all sein Thun. - Und wie uns denn diese dankbare Gesinnung vor dem Uebermuthe bewahrt, so auch vor dem Kleinmuthe und der Verzagtheit; denn

II.

der Gedanke, die Erde ist des Herrn u. s. w., ermuntert uns ferner zur freiwilligen Verzichtleistung auf das, was diese Erde uns versagt. - Trotz und Verzagtheit, die beiden Grundübel des menschlichen Herzens, sind auch gemeiniglich beisammen in ein und demselben Herzen. - Dieselben, die sich nicht zu Kalten wissen im Uebermaße der Freude, die wissen sich auch dann nicht zu fassen, wo ihnen Mangel und Entbehrung zugemuthet werden, oder wo sie sich in ihren Erwartungen getäuscht finden. Wer sich einmal gewöhnt hat, die Gaben Gottes da mit Undank zu ernten, wo sie ihm in reicher Fülle zuströmen, der wird sich auch des Murrens nicht enthalten, wo die Quelle dieser Gaben versiegt oder nur sparsam fließt. Er betrachtet das Land, das er bebaut, als sein wohlerworbenes Eigenthum und zürnt dem Erdboden, wenn seine Berechnung ihm fehlschlägt. Er wagt es vielleicht nicht offen, Gott selbst anzuklagen, er fürchtet sich der Sünde, ihn frech und verwegen zu lästern; aber er klagt die Natur an und ihre Kräfte und hadert mit den Elementen und der Witterung, die doch alle in Gottes Hand sind, und so lästert er in den Geschöpfen den Schöpfer. Wer bist du aber, der du mit Gott rechten willst? wer hat des Herrn Sinn erkannt? wer ist sein Rathgeber gewesen?- „Wer hat mir etwas zuvorgethan, daß ich's ihm vergelte? Es ist mein, was unter allen Himmeln ist“, spricht der Herr (Hiob 44, 2). Was murrest du denn also? Lege deine Hand auf den Mund und sprich mit Hiob: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet.“ - Siehe, das ist die einzige Sprache, die dem Geschöpfe geziemt, seinem Schöpfer gegenüber, die Sprache der Demuth und der Ergebung. Wohl dem, der nicht nur an diese Sprache, sondern an diese Gesinnung sich gewöhnt hat, der auch die kleinste und geringste Gabe, womit Gott ihn segnet, als eine unverdiente betrachtet, und darum auf alle weitern Ansprüche vor Gott von vorne herein verzichtet. Ist doch Alles, was wir unser nennen, nur ein anvertrautes Gut, wie der Odem unsers Leibes, wie die Seel? selbst. Wir haben ja nichts mit auf diese Welt gebracht, darum auch offenbar ist, daß wir nichts mit hinausnehmen werden. Darum nennt es die Schrift einen so großen Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm genügen. Genügsamkeit, Zufriedenheit mit dem, was wir durch Gottes Gnade besitzen, das ist es, ja das, was nächst dem Danke gegen Gott den Ausenthalt auf dieser Erde uns versüßt und uns reich sein läßt bei scheinbarem Mangel, während der Undankbare und Unzufriedene darbt mitten im Ueberflusse. Wenn nun aber wir nichts zu fordern haben an Gott, so hat er vielmehr zu fordern an uns: darum sagte ich, daß der Gedanke, die Erde sei des Herrn, uns auch

III.

ermuntern soll zur gewissenhaften Erfüllung des Tagewerkes, das uns auf dieser Erde zu verrichten ist aufgetragen worden. Die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist. Wir sind nicht die Herren, nicht die angestammten Besitzer und Eigenthümer der Erde. Gäste und Fremdlinge sind wir, wie schon gesagt; Arbeiter im Weinberge des Herrn, Verwalter und Haushalter über den Reichthum Gottes. Von einem Haushalter aber wird gefordert, daß er treu erfunden werde. Weit entfernt also, daß wir etwa, aus mißverstandener Demuth und Ergebung, nur müßig abwarten sollten, was Gottes Gnade zu seiner Zeit uns schenken möge, sollen wir allerdings selbst uns rühren und die Kräfte weislich und redlich benutzen, die Gott uns gegeben hat. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“, spricht der Herr zum Stammvater unsers Geschlechtes, als er ihn aus dem Paradiese verbannte und den dornenvollen Acker zur künftigen Werkstätte ihm anwies. Wohl uns aber, wenn wir die Arbeit nicht als einen Fluch, sondern als einen Segen betrachten, als ein heilsames Mittel, wodurch der ursprüngliche Fluch der Sünde gemildert und ermäßigt, ja wodurch allmälig wieder ein besserer, freudigerer Zustand der Dinge herbeigeführt werden kann. Nützliche Thätigkeit, das werden Alle gestehen, die sich nicht dem Müßiggange verkauft haben, ist die höchste Wohlthat auf Erden. Sie schafft - wenigstens bis auf einen gewissen Grad - die Erde wieder in ein Paradies um, und weiß auch da, wo die Natur uns karg erscheint, eine Mannigfaltigkeit des Reichthums hervorzuzaubern, die uns in Erstaunen setzt. Blicket um euch auf dieser Erde, die wir bewohnen: überall begegnen euch die Spuren dieser nützlichen Thätigkeit. Die wohlbestellten Aecker und Felder, die bequemen Wohnungen um uns her, von der Hütte des Armen bis zum Palaste des Reichen, die vielen Anstalten des menschlichen Verkehres, Handel und Gewerbe, die vielen schönen Erfindungen, die diesen Verkehr erleichtern und beleben und deren besonders unser Zeitalter sich rühmt, sie alle zeugen von der Strebsamkeit und Regsamkeit des menschlichen Geistes, und sie alle können und sollen in der Hand des Menschen ein Segen werden für Alle, die mitarbeiten an dem großen Ganzen.

Aber freilich nur dann wird die Arbeit uns und Andern ein Segen, wenn sie nicht, wie leider! so oft geschieht, nur dem Eigennutze und der Gewinnsucht dient, sondern wenn sie Arbeit ist im Dienste des Herrn. - Die Erde ist des Herrn und wir sind seine Lehnleute, die das große Familiengut, das er uns anvertraut hat, zum gemeinen Besten also bearbeiten, daß Jedem davon das Seine werde, das ihm gebührt. Nicht dir allein, Glücklicher! gehört die ganze Erde, der du Mittel und Wege hast, dir zum bequemen Wohnorte sie einzurichten; auch der arme Bruder hat Anspruch an ihren Mitbesitz, der nicht hat, wo er sein Haupt hinlege und von dem Gott gleichwohl will, daß er auch eine Stätte auf ihr finde, so gut als die Füchse ihre Gruben und die Vögel ihre Nester haben. Darum bereite du ihm durch freundliches Entgegenkommen eine Wohnstätte auf dieser Erde, deren er sich freue. Brich dem Hungrigen dein Brot und die, so nackend sind, die führe in dein Haus, und was du dem Geringsten deiner Brüder also thust, siehe, das thust du dem Herrn. Durch diese Thätigkeit für das Wohl der Brüder und das gemeine Beste, die eben darum Wohlthätigkeit und Gemeinnützigkeit heißt, wirst du das Tagewerk erst recht erfüllen, das dir hienieden aufgetragen ist, und erst dadurch des Segens froh werden, den dir Gott bereitet. Und Jeder von uns hat ein solches Tagewerk. Und wenn der Reiche arbeiten soll auch für den Armen, so soll auch der Arme und der niedrig Gestellte sein Tagewerk verrichten im höhern Auftrage des Herrn, und nicht nur um seiner selbst willen; denn jedes Geschäft, in Gott gethan, und wäre es auch die geringste Handleistung, ist gewissermaßen ein Gottesdienst, wie ja auch der Apostel den Sklaven zu Colossä zuruft: Was ihr thut, das thut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, und wisset, daß ihr von dem Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes; denn ihr dienet dem Herrn Christo (Col. 3, 23, 24).

IV.

Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist. Dieser Gedanke soll uns auch ermuntern zur geduldigen Uebernahme der Beschwerden und Leiden, die unser Aufenthalt auf derselben mit sich bringt. Allerdings sind wir mit einer Menge Unvollkommenheiten umgeben auf dieser Erde, welche auch die regsamste Thätigkeit der Menschen und alle Klugheit der Sterblichen nicht vollkommen beseitigen kann, und wo uns nichts anders übrig bleibt, als daß wir uns eben mit Geduld und Ergebung in dieselben schicken. Aber wohl uns, wenn wir dieß nicht nur als eine harte Nothwendigkeit uns gefallen lassen, sondern wenn wir es in der Ueberzeugung thun, daß die Erde des Herrn sei, und daß folglich auch die Leiden und Unvollkommenheiten nicht ohne seinen Willen, ja nicht ohne seine heilsamen Absichten über uns kommen. Der Gott, der die Erde so schön geschmückt und zu einem Wohnplatze so vieler Freuden sie bereitet hat, er weiß auch, warum er das Maß von Leiden ihr zugetheilt und in das Leben eines jeden Einzelnen verflochten hat, und wie denn die nützliche Thätigkeit mit zur Aufgabe des Lebens gehört, so nicht minder das Leiden und Dulden an seinem Orte. Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist. Nicht nur die blumenreichen Gefilde, die ergiebigen Aecker und die gesegneten Hügel, über die dein Fuß leicht dahin wandelt und an denen dein Auge mit Wohlgefallen hangt; nicht nur die heitern Triften und die schattigen Walder, auch die rauhe, steile Felsenbahn, die durch das dunkle Thal der Leiden führt, auch die öde Wüste, die oft lange Strecken weit den Pilger dem sengenden Sonnenstrahl aussetzt, auch die Meereswogen und die Stürme, die Schluchten und die Untiefen, in die wir nur mit Schauer blicken, sind sein Werk. Wohl uns aber, wenn wir auch diese Bahnen zu gehen wissen an seiner Hand. Der Gedanke, daß die Leiden, wo sie uns begegnen, von ihm kommen und nicht vom blinden Ungefähr, ja, daß sie unser ewiges Heil beabsichtigen; vor allem aber der Gedanke, daß Christus selbst, der auch einst ein Erdenpilger geworden, diese Leiden und dieses Kreuz der Erde vor Allem erwählt hat, statt der Freude, die er doch wohl Hütte haben mögen, wird uns in dieser geduldigen Gesinnung mehr und mehr befestigen, und uns üben in der christlichen Tugend der Ergebung, die da weiß, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, und die deßhalb mit dem Erlöser spricht: Vater! nicht wie ich will, sondern wie du willst. Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.

V.

Und was uns denn endlich hauptsachlich ermuntert, auszuhalten auf dieser Erde, auch mitten unter den Beschwer? den und Mühsalen, die der Ausenthalt auf ihr mit sich bringt, das ist endlich die Betrachtung, von der wir ausgegangen sind, daß nicht hier unser Vaterland ist, sondern daß ein besseres unser wartet, und so ermuntert uns denn der Gedanke, daß die Erde des Herrn ist, auch endlich noch zur Bereitwilligkeit, wieder von ihr zu scheiden, wenn der Herr uns abruft, in der Aussicht nämlich auf jenes bessere Vaterland.

Wohl ist die Erde des Herrn und was darinnen ist, und wir sollen, so lange er uns auf ihr leben läßt, auch gerne da sein, eben weil sie des Herrn ist. Aber eben die Betrachtung, daß nichts Bestand hat auf dieser Erde, die Erfahrung, daß Alles auf ihr einem ewigen Wechsel und Wandel, und ein jedes Unternehmen auf ihr den unzähligen Schwankungen des Geschickes unterworfen ist, lehrt uns auch den Blick wieder erheben von dieser Erde zum Himmel, dem wahren Vaterlande. - Wenn wir von den Feldern, welche des Menschen Hand bebaut, von den Thalern und Hügeln, wo hier der Jubel der Glücklichen und dort die Klage der Gedrückten erschallt, wenn wir von dem Geräusche der Städte und der Märkte, von all den Wohnungen der Freude und des Elendes weg uns an jenen stillen einsamen Ort begeben, der bedeutsam genug in unserer Sprache Gottesacker heißt, weil da „Saat gesäet wird von Gott, zu reisen am Tage der Ernte“, so sprechen wir auch hier und sprechen es mit einer ganz besondern Empfindung aus: die Erde ist des Herrn und was darinnen ist. Ja, des Herrn ist die Erde, in der unsere Todten ruhen. Da ruhen sie in ihren Krimmern, bis der Allmachtsruf der Auserstehung sie wecken wird zu höherem Leben, wo eine neue Erde ihrer wartet und ein neuer Himmel, wo Gott abwischen wird die Thränen von ihren Augen, und wo kein Leid und Geschrei mehr sein wird.

Darum, ihr stillen Dulder und Dulderinnen, die ihr wenig Freude habt auf dieser Erde, die ihr euer Brot mit Thränen esset und euer Lager mit Thränen netzet, die ihr auf eurem Schmerzenslager ausrufet: Hüter! ist die Nacht vorbei?! harret aus geduldig, es nahet euch die Stunde der Erlösung. Die ihr weinet um den Verlust der geliebten Eurigen, weil sie nicht mehr bei euch und um euch sind auf dieser Erde: richtet euren Blick nach oben, da Christus ist, der uns den Zugang zum Vater, den Zugang zu den ewigen Himmelsfreuden uns eröffnet hat. Dort in des Vaters Hause sind viele Wohnungen, und es sind seine Wohnungen, wie die Erde auch die seine ist. Wo wäre etwas verloren in dem großen Haushalte des Vaters? Auf der Erde ist er, und im Himmel ist er; hier, wie dort, unser Glück, unser Trost, unser Ein und Alles.

Wenn wir nur ihn haben, so fragen wir ja nichts nach Himmel und nach Erde. Haben wir ihn hier, so haben wir ihn auch dort, und die hier mit Thränen säen, die werden dort mit Freuden ernten.

Ja, wir Alle, Geliebte in dem Herrn, wollen es nie vergessen, so lange wir auf dieser Erde sind, daß die Erde und Alles, was darinnen, ja was über und unter ihr ist, des Herrn sei, des Herrn, der sie geschaffen hat, der sie erhält, der sie heiligt und verklärt und sie zum Wohnsitze uns bereitet hat. Genießen wir nur, was sie uns bietet, stets mit freudigem Danke; verzichten wir nur immer willig auf das, was sie uns versagt; erfüllen wir nur gewissenhaft das Tagewerk, das uns auf ihr aufgetragen ist, und erdulden wir mit Ergebung die Leiden und Beschwerden, die sie nach Gottes weisen Absichten mit sich führt, o so werden wir auch bereit sein, von ihr zu scheiden, wenn der Herr uns ruft; ja wir dürfen dann sogar mit dem Apostel uns sehnen nach der Stunde, da uns vergönnt sein wird, abzuscheiden, um bei Christo zu sein. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Wir leben oder wir sterben, so sind wir des Herrn! Amen.

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