Gossner, Johannes Evangelista - Am Tage der Kirchweihe.

Gossner, Johannes Evangelista - Am Tage der Kirchweihe.

Evang. Luc. 19, 1 - 10.

Jesus in Zachäi Haus. Unsere Kirchen sind Gott geweiht, Gottes Tempel, denn Gott wohnt darin durch Sein Wort und Sakrament, und durch unser Gebet und Gesang. Wir können jedesmal, so oft wir in unsern Kirchen zusammen kommen, zum Gebet, zum Worte Gottes und um die Sakramente zu empfangen, können allemal sagen: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren,“ wie Christus sagte, als Er bei Zachäus einkehrte. Darum ist auch dieses Evangelium von der Einkehr Jesu bei Zachäus mit Recht das Kirchweih-Evangelium.

Allein, nicht nur unsere Kirchen sollen Gott geweiht - Tempel Gottes seyn, sondern auch unsere Wohnungen und Häuser, ja vor Allem unsere Herzen. Christen haben vier Tempel Gottes, vier Gott geweihte Orte, wo sie Gott anbeten, Gottes Wort hören, Gottes Nähe spüren und Gottes Heil empfangen. Erstens: die Kirche, zweitens: die Wohnung, Haus und Familie, drittens: das eigne Herz. Wessen Herz keine Wohnung Gottes im Geiste ist, wo Gott, Christus nicht erfahren, geglaubt und geliebt wird, wessen Haus und Familie kein Tempel Gottes ist, wo das Reich Gottes nicht befördert wird, dem wird auch die Kirche kein Haus Gottes, kein Ort der Offenbarung und des Heils Gottes seyn - Sie kann es ihm wohl werden, aber dann muß auch gleich Herz und Haus Gott geweiht und gewidmet werden und bleiben. Und wenn er diese drei Tempel Gottes kennt und hat, so findet er noch einen Vierten - die ganze Natur und Kreatur - Alles ist ihm nun Offenbarung und Wohnung Gottes, überall findet er Gott und seinen Heiland, Alles erinnert ihn an seinen Schöpfer und Erlöser, weil Alles von Ihm und durch Ihn und zu Ihm gemacht ist und in Ihm besteht, wie Paulus Apg. 17, 24. sagt: Gott wohnt nicht (allein) in Tempeln von Menschenhänden gemacht - Er ist nicht fern von einem Jeden von uns, in Ihm leben, weben und sind wir - Darum sollen wir Ihn auch nicht nur in Kirchen und Tempeln, sondern überall suchen, ob wir Ihn fühlen und finden möchten.

Wer dieses recht versteht und erfährt, der ist und wandelt immer in der Kirche, im Tempel Gottes, wo er geht und steht, wo er arbeitet und ruht. Wo soll ich hinfliehen vor Deinem Angesicht, wo hingehen vor Deinem Geist - heißt es bei ihm, wie Psalm 139. - führe ich gen Himmel, so bist Du da; bettete ich mir in die Hölle, siehe so bist Du auch da, nähme ich Flügel der Morgenröthe, und bliebe am äußersten Meer, so würde auch Deine Hand mich führen, und Deine Rechte mich halten.

Das Alles erkennt, glaubt und erfährt aber nur der, welcher Christum so in seinem Hause und Herzen erfahren hat, wie Zachäus. Darum laßt uns dieses schöne Evangelium betrachten; wozu Gott uns Seinen Geist durch Jesum Christum geben wolle.

1. Und Er zog hinein und ging durch Jericho. Jesu komm herein, kehre bei uns ein, und laß uns Deine Wohnung seyn! Ziehe nicht bloß durch, sondern bleibe bei uns in Zeit und Ewigkeit, wir können ohne Dich nicht seyn, und nichts thun, was vor dir besteht. Wenn wir nur Dich haben, so fragen wir nichts nach Himmel und Erde.

2. Und siehe, da war ein Mann, genannt Zachäus, der war ein Oberzöllner und war reich. Ein Oberzöllner war ein römischer Beamter, Oberzolleinnehmer, der die Gelder von den Unterzöllnern an die Zollpächter ablieferte oder selbst ein solcher Oberpächter, welcher ein angesehner Mann, auch ein großer Sünder war, denn Zöllner und Sünder war damals eins, weil die Zöllner gewöhnlich Betrüger waren, und mehr von den Leuten forderten als gesetzt war, wie Johannes Luc. 3,13. den Zöllnern predigte, sie sollten nicht mehr fordern, als ihnen gesetzt wäre. Da also Zachäus ein Oberzöllner war, so wird er auch ein Hauptbetrüger und höchst ungerechter Mann gewesen seyn, der viel zu viel von den Zöllnern forderte, und diese also auch die Leute übervortheilen mußten. So hat er nicht nur selbst gesündiget, sondern auch Andere zum Sündigen verleitet und gezwungen. Das gesteht er auch nachher: Herr! wenn ich Jemand betrogen habe…, also bekannte er vor allen diese seine größte Sünde des Betrugs. Dadurch ist er auch reich geworden. Aber er hatte dabei keine Ruhe, sein Gewissen plagte ihn. Selig, wer nicht ruhig bei der Sünde bleiben kann. Aber unselig, wer ohne Gewissensbisse und Herzensunruhe in der Sünde verharret.

3. Und er begehrte Jesum zu sehen, wer Er wäre. - Wenn in einem Sünder diese Begierde erwacht, Jesum kennen zu lernen, wer Er wäre, ob Er wirklich ein Heiland der Sünder wäre und Sünder annehme rc., so hat sein Heil angefangen, und er hat den ersten Schritt zum Himmelreiche gethan. Zwar Herodes begehrte auch Jesum zu sehen -aber nicht in der Absicht, wie Zachäus, aus Heilsbegierde, sondern aus Neugierde, um Ihn ein Wunder wirken zu sehn, und sich eine Unterhaltung zu machen, um ein Hof-Schauspiel zu haben. Er sah Ihn auch, aber seine Augen waren ihm gehalten, er kannte Ihn nicht, hielt Ihn für einen Thoren. Er spottete Sein und schickte Ihn mit einem Narrenkleide zurück. Ganz anders ist es, wenn ein Sünder vor Gewissensangst und Heilsbegierde Jesum zu sehen und kennen zu lernen begehrt. Das ist die alleredelste Wißbegierde. Wollte Gott, alle Welt, alle Sünder begehrten also Jesum zu sehen und kennen zu lernen. Er würde einem Jeden Gelegenheit verschaffen und ihm zu lieb an Ort und Stelle kommen, wo Ihn Alle sehen und kennen lernen könnten, wie Er es dem Zachäus gethan hat. Armer Sünder! der du dich mit der Sünde schleppst und plagst, weder Ruhe und Friede, noch Kraft zur Ueberwindung finden kannst, begehre doch Jesum zu sehen - im Glauben zu sehen, d.h. Ihn als deinen Heiland kennen zu lernen, so wird dir bald geholfen seyn. Wer Ihn nicht so kennen zu lernen begehrt, ist ein Herodianer, den bloße Wißbegierde oder Neugierde treibt, der wird Ihn nie recht kennen lernen, sondern dem Wort vom Kreuz auch ein weißes Kleid umhängen und es für Thorheit achten.

4. Und er konnte nicht vor dem Volk, denn er war klein von Person. Und er lief vorn hin und stieg auf einen Maulbeerbaum, auf daß er ihn sähe; denn allda sollte Er durchkommen. Der kleine Mann stellt sich nicht nur auf die Zehen, er steigt auf einen Baum - so hoch er konnte, damit Jesus seinen Augen nicht entgehen möchte. Wem Ernst ist, zu Jesu zu kommen, der denkt auf allerlei, es möglich zu machen. Er hätte denken können: ich bin nun einmal Nein gewachsen, mir ist's unmöglich, warum soll ich mich lange bemühen?! Nein, er dachte vielmehr: ich muß Ihn sehen, ich will sehen, wie ich's mache - es muß mir doch gelingen. Er betete wohl auch - das kannst du ja auch - Mein Gott, hilf mir, zeig mir Jesum, Deinen Sohn, führe mich zu Ihm! Der Vater zieht gern zum Sohn, und zeigt Ihn gern - Er ruft wohl vom Himmel herab: Sehet, das ist mein lieber Sohn -! Er kann, wenn du auch Nein und niedrig, arm und gering bist, dir doch Gelegenheit verschaffen, kann dir wohl einen Baum zeigen, den du besteigen kannst, um Jesum zu sehen. Es ist sonst Niemand eingefallen, auf einen Baum zu steigen um Jesum zu sehen, als diesem kleinen Zöllner. Die Blinden schrieen, bis Er stille stand, die Kranken suchten den Saum Seines Kleides, Andere ließen sich hintragen. Dieser aber dachte, ich bin's nicht werth, mich Ihm zu nahen; aber sehen muß ich Ihn, darum will ich mich auf einen Baum setzen, wo ich Ihn gewiß sehen kann. Aber es wurde ihm mehr zu Theil, als er erwartete. Jesus suchte ihn eben so sehr, als er Ihn suchte, denn gewiß nicht von Ungefähr ging Jesus da vorüber; Er wußte wohl, bei Jericho wartet ein Sünder auf mich, will mich gern sehen. Darum ging Er dahin. O Sünder! wenn du Jesum als deinen Heiland ernstlich kennen lernen willst, so kommt Er gewiß bald in deine Nähe. Merke nur auf alle Gelegenheiten, wie Zachäus, der gewiß sich erkundigt hat, ob Jesus nicht nach Jericho komme und wann? und sobald er es hörte, stieg er auf den Baum, wo Er seinen Augen nicht entgehen konnte. Wer sucht, der findet. Manchem wird eine Predigt, dem Andern ein Buch, dem Dritten ein frommer Freund, oder sonst etwas zu dem glücklichen Baum, auf dem er, wenn er ihn besteigt, und seine Augen aufthut, Jesum sehen und erkennen kann.

5. Und als Jesus kam an dieselbige Statte, schaute Er auf, und sah ihn an, und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilends herab, denn ich muß heute in deinem Hause einkehren. Ein reumüthiger Sünder, dem um Gnade bange ist, der Ruhe sucht und nach Jesum sich umsieht, den übersieht Jesus gewiß nicht, wo Er immer seyn mag. Jesus war immer mit viel Volks umgeben, und hatte genug mit ihm zu reden, so daß man meinen sollte, Er hätte das kleine Männchen auf dem Maulbeerbaum übersehen, hätte nicht Zeit gehabt, nach ihm hinauf zu sehen. Aber Seine Augen gehen in alle Lande, und Sein Herz begehrt eben so brünstig, solche Sünder zu sehen, als sie Verlangen haben, Ihn zu sehen. Er übersieht Keinen. Er weiß ja zuvor, wer Ihn sucht. Er ist's ja selbst, der die Begierde nach Ihm in uns erweckt und uns zieht durch Seinen Geist und Sein Wort.

Jesus schaute auf und sah ihn an - den Oberzöllner, den großen Sünder! - wer den Mann kannte, wird gedacht haben: was will Er mit diesem Zöllner? der ist nicht werth, daß Er ihn anschaut. O ja, gerade solche will Er, der tiefer schaut als die Menschen; denn wir sehen in das Gesicht, Er in's Herz; und im Herzen sah Er einen ganz andern Mann, als die Leute äußerlich sahen; sie kannten und sahen den alten Zachäus, Jesus sah im Herzen desselben schon den beginnenden neuen Menschen. Ein Sünder, der Buße thut, oder nach Vergebung und Heil verlangt, ist ja das Augenmerk und die Freude des ganzen Himmels, sollte Jesus - der Sünder Freund und Heiland ihn nicht anschauen, nicht auf ihn achten?! O Blick, o Gnadenblick der Augen Jesu! Was bist du einem verlorenen Sünder werth! Zachäus hat gewiß gleich den ersten Blick Jesu verstanden, was Seine Augen redeten und ihm sagen wollten. Wie! wird er gedacht haben, Er sieht mich an - so freundlich, so einladend, so viel versprechend! das habe ich nicht erwartet. Können wir mit den Augen reden, sollten Jesu Augen nicht sprechen, nicht viel sagen können?! Freilich mag ihm auch das Herz gebebt haben, dem kleinen Mann und großen Sünder! Freilich mögen ihm auch seine vielen und großen Sünden zugleich wie noch nie eingefallen seyn, und er sich durch Jesu Blick als den größten Sünder, und doch zugleich als Candidaten der Gnade, als den Gegenstand des Erbarmens und Erlösens erblickt haben, denn das geht Alles mit einander im Herzen vor, wenn Jesus Einen anblickt, man zittert und man jauchzt, man fühlt sich als den Unglücklichsten und Glücklichsten, als den Verdammungswürdigsten und Seligsten. Wie es dem Petrus war, da ihn Jesus in des Priesters Hof anblickte - er weinte bitterlich, und doch wird er sich gefreut haben: Er hat mich doch angeblickt, und Seine Augen, so sehr sie straften, so sehr versprachen sie zugleich Gnade, darum lief er auch am ersten zum Grabe, und kriegte den ersten Gruß. Hätte Judas dem Herrn Jesu, als Er ihm sagte: Freund, wozu kommst du! in's Auge geblickt, der Blick Jesu hätte in ihm gewiß auch Zuversicht und eine Reue, die Niemand gereut, erweckt, hätte ihn nicht in der Verzweiflung gelassen - aber der Schelm konnte gewiß Jesum nicht ansehen. Wer Jesum ansieht, nach Ihm sich umsieht, wie Zachäus und Petrus, der bekommt Gnade und Zuversicht. Darum heißt es: Wer den Sohn sieht und glaubt an Ihn - der hat das ewige Leben. Joh. 6, 40.

Als nun Jesus vollends redete und ihn eilends herabsteigen hieß, sich selbst bei ihm einlud - da wird seine Hoffnung und Freude noch gewisser geworden seyn, und sein Herz ihn, gehüpft haben. Das war über alle Erwartung. Vorwürfe, Strafe hat er eher erwartet - aber solche Güte und Freundlichkeit konnte er sich nicht denken. Das hieß doch: du sollst mich nicht nur sehen, wie ich aussehe, wir müssen näher mit einander bekannt werden, du sollst in der That erfahren, wie ich bin, und was ich thue, wozu ich in die Welt gekommen bin. Und das nur geschwind - herab vom Baum - näher zu mir - und ich näher zu dir - in dein Haus und Herz! Wer da die Liebe Jesu zu den Sündern nicht kennen lernt, lernt Ihn nimmermehr kennen. Das thut einem armen Sünderherzen so wohl! wenn man Ihn auch sechzig bis siebzig Jahre kennt, so ist es uns doch allemal wieder neu, wenn man das liest oder hört, daß Er so mit Sündern umgeht, sich so bei ihnen einladet, sie so an sich zieht, und zu sich kommen heißt. - Es hatte Eile bei Jesu - als wenn's brennete; ja, es brennt auch in Seinem Herzen, eine Gluth der Liebe zu Sündern. Und dem reumüthigen so wie dem begnadigten Sünder brennt ja auch das Herz nach Ihm! Nur eilends herab von allen Höhen und Maulbeerbäumen, Jesus steigt nicht hinauf, du mußt herab, mußt dich erniedrigen zu Seinen Füßen, in Seine Arme. Er muß bei dir einkehren - Er will dir so nahe kommen, wie möglich. Er ist nicht ein Heiland und Helfer der fern ist, sondern der nahe ist - Er will's Herz - Seine Wohnung. O das ist köstlich, das ist schön! Wo ist ein solcher Heiland! Ach wenn Ihn doch Alle kennten!

6. Und er stieg eilend herunter und nahm Ihn auf mit Freuden. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er schätzte sich der Gnade nicht werth, darum stieg er auf den Baum, und wollte Ihn bloß sehen - aber nun greift er doch mit beiden Händen darnach, da es ihm angeboten wird. Nun will er, der vorher anstand, Ihn selber zu sprechen und sich Ihm zu nahen, Ihn herzlich gern aufnehmen und in sein Haus einfuhren, da er weiß, Er will's, Er befiehlt es mir, Er kehrt bei mir ein. Wer kann das beschreiben, wie einem Sünder da ist? Wer es erfahren hat, kann es nicht, wie will es der verstehen, der nichts davon geschmeckt hat. Wer wird nicht eilen, einzukehren in Sein Herz, wenn Jesus sich anmeldet? Wer wird nicht Alles verlassen, aus Allem heraus, von Allem hinweg, und herab von allen Höhen und dahin, wo Jesus sich offenbart, und uns Sein Heil mittheilen will? -Die Freude und den Freudenausdruck des kleinen Männchens hatte ich sehen mögen bei seinem Herabsteigen vom Baume, und bei der Aufnahme des Herrn Jesu-wie er Ihn in sein Haus einführte, Ihm die Thüre öffnete! Selig ist, wer sich das denken und vorstellen kann, weil er so etwas erfahren hat! - Wer noch nichts dergleichen geschmeckt hat, der lasse es doch nicht anstehen; der Herr Jesus geht noch ungesehen umher, das Herz darf Ihm nur aufpassen, und die Richtung und Stellung annehmen, in der Er zu sehen und zu finden ist; wem es Ernst ist, der findet das schon, wie der kleine Mann. Und der Heiland findet ihn auch, und übersieht ihn nicht. Er nimmt heute noch so gern Sünder an, als damals - die Zachäusse sind Ihm heute noch so bemerkenswerth und so lieb als in Seinen Menschensohnstagen. Sey wie ein Zachäus, suche nur Jesum so ernstlich, und sieh dich nach Ihm um, Er wird dich und du wirst Ihn gewiß finden und erfahren.

7. Da sie das sahen, murrten sie alle, und sprachen: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. Ist das eine Sünde an dem Sünderheiland? wo soll Er denn sonst einkehren? Ihr wollt Ihn ja nicht, und glaubt, Ihn nicht nöthig zu haben, weil ihr euch selbst helfen und selig machen wollet. Wo soll denn Jesus einkehren? - Das ist merkwürdig, daß sie so murrten, und gingen doch nicht mit Jesu! hörten Ihn, und folgten Ihm, als wenn sie Seine Jünger wären, und verstanden doch das Geheimniß nicht. Seht, so giebt's wohl noch Viele, die als Christen gelten, und kennen doch des Heilands Sünderliebe nicht, ärgern sich daran; weil sie nicht wissen, daß ein Sünder, der Buße thut und Gnade hat, heiliger ist als alle Heilige und Gerechte, die der Buße nicht bedürfen oder nicht nöthig zu haben glauben. Laß sie murren, wir wollen anbeten und frohlocken, daß Er bei einem Sünder einkehrte, daß das von Ihm geschrieben steht. Was wollten wir machen, wenn Er nicht bei Sündern einkehrte? wo wollten wir hin? wer könnte uns trösten und unsern armen Herzen helfen? Höret erst, was diese Einkehr Jesu bei einem Sünder ihm ausgetragen und in ihm gewirket hat.

8. Zachäus aber trat dar, und sprach zu dem Herrn: Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und so ich Jemand betrogen habe, so gebe ich's vierfach wieder. Seht ihr's, daß ein Sünder, bei dem Jesus einkehrt, heiliger ist, als die größten Heiligen? oder wer hat von euch das schon gethan und thun wollen, was Zachäus nun thut? Welcher Heilige unter euch hat nur de n Zehnten, geschweige die Hälfte seines Vermögens den Armen gegeben? welcher vierfach ersetzt, was er betrogen, gestohlen, übervortheilt, veruntreuet, vernachlässigt, mißbraucht oder wie immer bei Gott und seinem Nächsten verschuldet und geschadet hat, an Ehre, Namen, Gesundheit oder an den Lebensgütern überhaupt in jeder Hinsicht?

So wie Jesus eingeht und einkehrt, geht die Sünde hinaus aus dem Herzen und dem ganzen Wesen des Menschen. So wie die Gnade da ist, so ist auch die Gerechtigkeit, die Liebe, die Besserung des Lebens und ganzen Sinnes, so ist Jesus Aehnlichkeit da. Wer Vergebung der Sünde, Gnade hat, der ist gleich ein anderer Mensch, nicht nur im Gefühl und Sinn, sondern in der That und Wahrheit. So wenig Licht und Finsterniß, Tag und Nacht beisammen bleiben und neben einander wohnen können, so wenig Jesus und Welt, Gnade und Sünde, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Wenn's Licht kommt, weicht die Finsterniß, wenn die Sonne aufgeht, verschwindet die Nacht. Eher wird die finstre Mitternacht mit dem hellen Mittag zusammentreffen, als daß Jesus und Belial, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in Einem Herzen mit einander verträglich seyn können. Darum sind das blinde Menschen, die da sagen, sie seyen gerecht und selig, hätten Gnade, weil sie glauben, wenn sie gleich noch in Sünden leben, und die Sünde lieb haben. Sie sind heimlich einverstanden mit der Sünde, und ziehen die Gnade auf Muthwillen. Oder sie verstehen das Geheimniß nicht, eben so wenig wie die Murrenden und wie Alle, die da meinen, die Gnade, das Verdienst Christi leide Schaden durch die Heiligung und gute Werke. Aber Zachäus hat diese Werke nicht gethan, um Gnade zu verdienen, hat nicht so reichlich Almosen gegeben, und Gestohlnes vierfach wieder ersetzt, um Vergebung zu erlangen und sich erst selig zu machen, sondern er hat heilig und gerecht gehandelt, weil er Vergebung und Gnade schon hatte, weil er heilig und gerecht gemacht war durch die Gnade und Heimsuchung Jesu. Jesus in ihm hat es gethan, er konnte nun nicht mehr anders, der Geist der Gnade trieb ihn und erfüllte ihn mit heiligem Sinn und Kraft. Wenn's Licht angezündet ist, so darfst du dem Lichte kein Gesetz geben, es soll leuchten, es leuchtet von selbst, kann nicht anders. Wenn ein Mensch sagt, er habe Gnade, habe Christum gefunden, und sey gerecht und selig geworden, aber der Heiligung nachjagen könne und wolle er nicht, er möchte in ein gesetzliches Wesen und Wirken hineingerathen, und Christi Verdienst und der Gnade Abtrag thun; so sage ihm in's Gesicht hinein: er habe weder Gnade gefunden, noch Christum erkannt - sondern habe sich's nur eingebildet und nachgebetet, was er von Andern gehört; oder: er habe die Gnade vergeblich empfangen, und ziehe sie auf Muthwillen, habe vergessen der Reinigung seiner vorigen Sünden, und fresse wie der Hund wieder, was er gespieen habe. Wer Gnade hat, wo Jesus einkehrt, wie bei Zachäus, der spricht und handelt wie Zachäus, er kann nicht anders, es ist seine neue Natur - wie es ihm vorher natürlich war zu sündigen, so ist es ihm jetzt natürlich - nach der neuen Natur - heilig zu seyn, nach Sinn, Muth und allen Kräften. Man darf's ihm nicht gebieten, sondern er dankt Gott, daß er nicht mehr sündigen muß wie vorher; kann er was Gutes thun, er thut's gern, und wenn's dann gethan, denkt er nicht weiter dran, und macht so wenig ein Verdienst daraus, als ein vernünftiger Mensch sich's zum Verdienst macht, daß er athmet, ißt und trinkt, geht und steht und thut, was ein gesunder Mensch thut. Es ist ihm nur allzuwenig, was er thut, es ist ihm nicht gut genug, gebrechlich und schwach, weil er noch Mensch ist, er möchte Alles, Alles thun und Alles recht und ganz und vollkommen machen, darum bleibt er bei aller Heiligkeit doch ein Sünder, der nur von der Gnade des Herrn lebt, die ihm täglich reichlich die Schuld vergiebt rc. Darum singt man:

Laß Du mich bei der Sünderschaft ein göttlich Leben führen,
Und schenke mir dazu die Kraft durch Deines Geists Regieren!
Ach nimm Dir ohne Ausnahm hin, Geist, Seel' und alle Glieder;
Mit dem Verlangen sinkt mein Sinn - vor Dir im Staube nieder.

9. Nun sprach der Heiland: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, sintemal er auch Abrahams Sohn ist, weil er Abrahams Glauben hat, der in seinem Glauben handelte und gehorsam ward, seinen Isaak schlachtete, und in Allem that, was dem Herrn gefiel, nicht weil er mußte, oder ein Verdienst suchte, sondern weil es ihm so angethan, gegeben war, weil er darin selig war, nicht um heilig zu werden, sondern weil er heilig und geheiligt war. Der Vogel fliegt, weil er Schwingen hat und es kann, der Fisch schwimmt, weil er im Wasser lebt und Flossen hat, und außer dem Wasser und ohne Schwimmen nicht leben kann. So, wer im Element der Gnade lebt, der kann nicht anders, er kommt ohne Heiligung und Gottseligkeit so wenig fort, als der Fisch in der Luft oder auf der Erde, und der Vogel im Wasser.

Dieses Heil ist dem Zachäus widerfahren mit dem Eintritt Jesu in sein Haus, dies ist das wahre Heil, das den ganzen Menschen heilt, und ihn umwandelt und neuschafft, daß ihm nun leicht und Lust wird, was ihm zuvor schwer und Unlust, ja unmöglich war. Er wird ein umgekehrter Mensch. Ist die Sünde vorher mächtig gewesen in ihm, so ist jetzt die Gnade viel mächtiger. Hat ihn die Sünde und der Satan vorher in alles wüste Wesen hineingestürzt und mit fortgerissen, so hat ihn jetzt Christus und die Gnade nicht nur aus dem Schlamme herausgezogen, sondern auch stark gemacht in der Macht Seiner Stärke, daß er Alles vermag, in Dem, der ihn stärket.

10. Denn des Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Zu suchen ist Er gekommen, die Sünder zu suchen und selig zu machen. Er geht ihnen nach, Er sucht sie auf, er sendet ihnen Boten nach, Er hat eine Anstalt - das Amt der Versöhnung gestiftet, und läßt in alle Welt hinein rufen: wir bitten an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott! Das ist die einzige Absicht Seiner Menschwerdung, Seines drei und dreißigjährigen Lebens, Leidens und Sterbens, die Sünder zu suchen und selig zu machen. Noth zur Rechten des Vaters über alle Himmel erhoben, hat Er keine andere Absicht und keinen andern Zweck, als Sünder zu sich zu ziehen und sie Seiner Herrlichkeit theilhaftig zu machen. Doch sucht Er nur das Verlorne, wer sich für verloren, arm und elend Hält, und sich selbst nicht helfen kann, dem geht Er nach, den sucht Er, wie den Zachäus auf dem Baum, der ist Sein Augenmerk, und wenn Tausende Ihn umgeben, Ihn drücken und drängen, die nicht wissen, was sie wollen, so sieht Er doch nur nach dem, der Ihn sucht, von Ihm gern Hülfe hatte, Ihn irgendwie anrufet, oder sich nach Ihm umsieht, um von Ihm etwas zu empfangen, oder Ihn kennen zu lernen. Kurz, wer Gnade sucht, bei dem kehrt Er ein, und läßt ihm Heil widerfahren. Und solche sind dann die Tempel Gottes, die Kirche Christi, die können und sollen Kirchweih feiern, weil ihnen Heil widerfahren ist, weil sie den Heiland haben; es sey nun Einer allein, oder es seyen einzelne Familien, kleine Häuflein, oder größere Gemeinen, wenn sie Jesum haben, und Sein Hell erfahren, so ist's eine Kirche und Kirchweihe, ein Fest, das die Engel im Himmel mit feiern. Wo aber Jesus und Sein Heil nicht ist, und nicht erfahren wird, da ist keine Kirche und keine Weihe, kein Fest und keine Freude - man mag noch so viel wissen, und reden, fromm und gut seyn, und Schein und Geschrei machen, als man will. O so weihet eure Herzen dem Heiland, weihet Ihm eure Familien, eure Häuser, daß Er unter euch sey und wohne! Sehet euch nach Ihm um, wie Zachäus, so wird Er nach euch sich umsehen, bei euch einkehren und euch Heil widerfahren lassen, so werdet ihr dann lauter Tempel Gottes, Kirchen Christi, Gemeinen des Herrn, in denen er ein und ausgeht, sich stets mehr offenbart, und Gnade um Gnade mittheilt.

Komm, Liebe! komm und schütte Deinen Segen
Noch heute über unser ganzes Haus;
O laß sich Deine Gnade drinnen regen,
Es mach' vor Dir nur Eine Seele aus!
Gieb, daß Dein Volk sich Deiner freuen mag,
So wird ihm jeder Tag ein Kirchweihtag.

O führe doch ein Feuer aus, aus unsers Meisters Munde,
Und reinigte Sein Tempelhaus durchaus noch diese Stunde,
Daß wir nur säh'n auf Ihn allein, und Gnade nur begehrten;
Wir würden bald so Zeugen seyn, die Seinen Ruhm vermehrten.

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