Gellert, Christian Fürchtegott - Brief an einen Freund, von der evangelischen Gnade

Gellert, Christian Fürchtegott - Brief an einen Freund, von der evangelischen Gnade

Ich denke so oft an Sie, ja ich bete selten für mich, ohne zugleich für Sie zu beten; warum sollte ich also nicht auch oft an Sie schreiben, da ich Zeit genug übrig habe? Es ist wahr, daß sich mein Unvermögen auch bis auf die Briefe erstreckt; aber um diesem Unvermögen nicht nachzugeben, will ich lieber schreiben, und Ihnen, wo nicht durch den Brief, doch durch meine Ueberwindung ein Vergnügen zu machen.

Meine Umstände sind fast diejenigen, in denen Sie mich letztens verlassen haben, und ohne klagen zu wollen sage ich Ihnen, daß ich viel leide; viel, das weiß Gott. Aber ich suche mich mit dem Troste seines Wortes zu beruhigen, mich zu stärken, wenn ich schwach werde, und zu hoffen, wo nichts zu hoffen scheint. Niemals habe ich vielleicht so sehr empfunden, wie wenig der Mensch ohne den beständigen Einfluß der göttlichen Gnade vermag, als in diesem Jahre, und ich lerne Davids Bekenntniß verstehen: Wenn dein Wort nicht wäre mein Trost gewesen, so wäre ich vergangen in meinem Elende. Ich lerne die Worte Röm. 9 verstehen: „So liegt es nun nicht an jemands Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ Er muß uns Kraft geben unser Elend und Verderben lebendig zu erkennen und zu fühlen, und Kraft, seine freie Gnade in Christo zu glauben, und ohne alle unsere Würdigkeit, und vielmehr als die Unwürdigsten, uns dieselbe zuzueignen, unser Gewissen dadurch zu beruhigen, und im Glauben an diese seine Gnade, an die Vergebung aller unserer Sünden um Jesu Christi Willen, uns mit Liebe und Vertrauen zu ihm, mit der Hoffnung des ewigen Lebens und mit Lust und Kraft zum Guten, und einen heiligen Abscheu vor allem Bösen zu erfüllen.

O Liebster -, wie sehr soll ich Gott blos für die Wohlthat danken, daß ich einen Freund an Ihnen habe, mit dem ich so christlich reden, und durch dessen Beispiel ich mich erwecken und trösten kann. Ja, des Menschen Herz ist ein trotzig und verzagt Ding. Wenn Gott es demüthiget, und zur bessern Kenntniß sein selbst, seiner Sünden, seiner bösen Neigungen und seines Unvermögens sich selbst zu heiligen, bringen will: so flieht dies Herz zu seinen eignen Bemühungen, sich zu helfen, und sich von seiner Angst durch Thränen und Gebete, durch Lesen und Studieren, durch gute Werke, durch mühsame Einsamkeit zu befreien, und Gott zu bewegen, ihm das Verdienst des Erlösers deßwegen zu Gute kommen zu lassen.

Luther sagt an einem Orte: „Wenn der Glaube rein und ungefärbt bleibt, fußet und gründet er sich nicht auf mich selbst, noch mein Thun, daß mir Gott darum sollte gnädig seyn, wie der falsche Heuchelglaube thut, welcher menget in einander Gottes Gnade und mein Verdienst, ob er auch wohl die Worte behält von Christo, aber doch des Herzens Zuversicht setzet heimlich auf sich selbst, also daß es nur eine angestrichene Farbe ist. - Das hebe an, und versuche es, wer da will, so wird er sehen und erfahren, wie trefflich schwer es sey, und wie sauer es wird, daß ein Mensch, der sein Lebtage in seiner Werkheiligkeit gestecket, sich herausschlinge, und mit ganzem Herzen erhebe durch den Glauben an diesen einigen Mittler. Ich habe es nun selbst zwanzig Jahre schier geprediget, daß ich sollte herauskommen sein; noch fühle ich immerdar den alten anklebrigen Unflatz, da ich gerne mit Gott so handeln wollte, und etwas mitbringen, daß er mir seine Gnade für meine Heiligkeit müßte geben, und will mir nicht ein, daß ich mich so gar soll ergeben auf die bloße Gnade, und muß doch nicht anders seyn.“

Wie bewundre ich den seligen Luther, in seiner biblischen Weisheit, in seiner freimüthigen Aufrichtigkeit und großen Demuth; und wie sehr fürchte ich, daß Gott oft ein erwecktes Herz, das sich aber selbst helfen will, nicht anders von seinem Irrthume und heimlichen Unglauben heilen und zur Erkenntniß seines großen Elends bringen kann, als wenn er es einige Zeit durch Entziehung seiner Gnadenkräfte sich selbst, seiner Weisheit und Stärke, das ist, seiner Thorheit und Schwachheit überläßt. Alsdann fühlen wir, wie viel Böses noch in uns wohnet; und wie selbst die Leidenschaften und Neigungen, die wir am gewissesten und seit vielen Jahren besiegt zu haben glaubten, noch in uns da sind, und nach der Herrschaft streben. Alsdann fühlen wir bei den Anklagen unseres Gewissens, wie wenig wir seine Unruhen stillen können, und wie nicht unsre Lebensbesserung, sondern das göttliche und unendliche Verdienst unsers Erlösers der Grund unsrer Gnade bei Gott allein, ganz allein seyn, und wie uns Gottes Geist durch den Glauben umbilden, heiligen und getrost machen muß.- Liebster - ich habe viel geschrieben, möchte ich etwas Gutes für mich geschrieben haben! -

Und wie leben Sie denn? Mein Herz sagt mirs, daß Sie glücklicher leben als tausend andere Menschen. Ich bitte Gott darum, bitte, daß er mich diesen Tag, so schwer er auch seyn mag, geduldig und voll Hoffnung wolle zubringen, und nicht so kleinmüthig sein lassen. Wer einen Gott zum Erlöser und Helfer hat, sagt Cramer einstens zu mir, der soll nicht traurig seyn, wenigstens es nicht bleiben. Ich grüße Ihre liebe, fromme, vortreffliche Frau, das Glück ihres Lebens,

und bin rc.

Quelle: Sander - Der Menschenfreund

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