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Geibel, Johannes - Vorwort.

Geibel, Johannes - Vorwort.

Diese Predigt auf Verlangen mehrerer Zuhörer dem Drucke übergebend, muß ich zuvor ganz kurz Etwas über die Umstände bemerken, unter welchen sie gehalten wurde, und auf welche sie sich bezieht.

Im vorigen Sommer nämlich wurde mein Sohn zufolge einer gehaltenen Wahlpredigt mit überwiegender Mehrheit der Stimmen zum Pastor der evangelisch-reformirten Gemeinde in Braunschweig gewählt. Die Wahlpredigt ist gedruckt, und Jeder kann sich überzeugen, daß sie aus einem von der Göttlichkeit des Evangeliums erfüllten Gemüthe hervorgegangen sei. Kaum indeß hatte er im Anfange Oktobers seine Antrittspredigt gehalten, so fanden auch schon Mehrere in derselben Lehren, die ihnen durchaus fremd und zuwider waren. Kein Wunder! denn die Vorsteher der Gemeinde sagen selbst in einer an die Synode der verbundenen reformirten Kirchen in Niedersachsen gerichteten Klageschrift: „daß der Kirchenglaube seit 50 Jahren ganz aus der Erinnerung gekommen, und Niemanden mehr verständlich sei.“ Allein eben diese Beschaffenheit der Gemeinde bestimmte meinen Sohn nun um so eifriger über die Grundwahrheiten des Christenthums: über die Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, über die Person des Erlösers und Sein vollbrachtes großes Werk zu predigen. Diejenigen, die schon einen Anstoß an der evangelischen Predigt genommen hatten, wurden noch mehr aufgeregt. Die Vorsteher traten ihrem Pastor mit Heftigkeit entgegen, verlangend, er solle predigen, wie sie es wollten; und da sie Männer von Einfluß sind, so konnte es nicht fehlen, daß die Parthei der Unzufriedenen groß wurde. Die Meisten derselben besuchten gar nicht mehr die Kirche; Einige nur kamen „aus Neugierde und der Absicht, immer mehr Gründe zu Beschwerden über den Prediger zu sammeln.“1) Endlich wurde eine Klageschrift der Synode übergeben. Die Hauptpuncte der Klage waren, daß mein Sohn einer andern Confession zugethan sei, als der der Gemeinde; und daß sein Karakter sich zweideutig und unwahr dargestellt habe.

Da ich die Absicht habe, wenn anders mein Sohn mir nicht zuvorkommt, die höchst merkwürdigen Actenstücke sowohl der Klageschrift, als der Gutachten der Synodalglieder mit meinen Bemerkungen drucken zu lassen, so wird es genug sein, hier nur wenige Worte den Klagepuncten entgegen zu stellen.

Mein Sohn also soll einer andern Confession sein, als die Gemeinde. Was ist denn aber die Confession dieser Gemeinde? Ist es nicht die evangelisch-reformirte? Nur diese konnte und durfte mein Sohn bei einer reformirten Gemeinde voraussetzen; nur nach dieser konnte und durfte er lehren; und gewiß hat er nicht ein Wort gesagt, was mit dieser im Widerspruche wäre. Hatte die Gemeinde aber eine andere Confession, so war es des Vorstandes Pflicht, dieselbe dem erwählten Pastor vor dem Antritte seines Amtes zur Unterschrift vorzulegen.

welches jedoch nicht geschehen ist. Aeusserungen Einzelner über ihren besondern Glauben kommen hier nicht in Betracht; denn er sollte nicht dieser Einzelnen, sondern er sollte einer evangelischen Gemeinde Prediger sein. Aber er ist ein Herrnhuther, sagt man, ja, ein Katholik! - Seltsame Zusammenstellung! Das muß indeß bewiesen werden; und wie ist es bewiesen? - Das Erstere dadurch, daß er die Lehre von der Versöhnung der Menschheit mit Gott durch Christum Jesum, die Lehre von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott um der stellvertretenden Genugthuung Christi willen, zum Mittelpunkte aller seiner Vorträge mache, und behaupte, nur in dem gläubigen Ergreifen derselben liege das ganze Moment und alle Kraft der Besserung. - Das lehret nun allerdings die Brüdergemeinde; aber lehret sie allein dieses? Ist sie nicht eine evangelische Gemeinde, und stimmt eben darin mit allen evangelischen Gemeinden überein? Ist diese Lehre denn nicht die Lehre des ganzen neuen Testamentes? Findet sie sich nicht mehr oder weniger ausgesprochen auf jedem Blatte der apostolischen Briefe? Ist sie nicht das Fundament der ganzen Reformation? Luther sagt: „Mit dem Artikel von der Rechtfertigung stehet und fällt die christliche Kirche!“ - Und womit ist der Katholicismus des Predigers bewiesen? Damit, daß eine Stelle aus einem Briefe desselben an den Herrn Professor Petri angeführt wird, welche also lautet: „ich glaube, daß die Menschen einzig und allein durch den Glauben an den Opfertod Jesu Christi, und durch das gläubige Ergreifen und Anwenden der um Seinetwillen ihnen dargebotenen Gnade seelig werden können.“ - Siehe da, die allein seelig machende Kirche! rufen sie. Also das einzig und allein macht zum Katholiken? Haben wohl die Gegner bedacht, daß durch solche Beweisführung auch sie selbst, sie mögen wollen oder nicht, zu Katholiken werden? Behaupten sie denn nicht, der Mensch könne einzig und allein durch seine Werke gerecht und seelig werden? Kann ich aber nicht mit eben dem Rechte ausrufen: Siehe da, die allein seeligmachende Kirche!? - O der Sucht, nur Gründe zu Beschwerden zu sammeln! Vieles mögte ich jetzt über diesen Punct noch reden, aber ich verspare es auf eine andere Zeit, und frage nur: Hat nicht das Einzig und allein durch Christum auch der Apostel Petrus behauptet? Ap. G. 4, 12 heißt es: „Es ist in keinem Andern Heil, und ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen seelig werden.“ Ja, wahrlich, nicht blos der Kirchenglaube, sondern das heilige Bibelwort selbst ist aus der Erinnerung gekommen, und wird nicht mehr verstanden! -

Und wie ist die Zweideutigkeit und Unwahrheit des Karakters meines Sohnes bewiesen? - Man beruft sich auf Aeusserungen desselben, die theils in Gesprächen, theils in Zuschriften, vorgekommen sein sollen. Was nun die letzteren betrifft, so habe ich sie nicht vor mir, und muß meinem Sohne überlassen, sich darüber zu rechtfertigen. Er wird es gewiß, weil ich seinen Sinn kenne, und wenn er sich irgendwo übereilt hätte, es willig anerkennen. In der That, unter solchen Umständen, in einem solchen Gedränge, wäre eine Uebereilung auch dem Besonnensten nicht unmöglich! Was aber die Aeusserungen in Gesprächen betrifft, so weiß ja wohl ein Jeder, wie solche, aus ihrem Zusammenhange herausgerissen, auf die gräßlichste Weise verunstaltet werden können, so weiß es Jeder, wie viel es dabei auf die Beschaffenheit des Hörers ankommt. Ich könnte den Mißverstand mehrerer solcher Aeusserungen, die mir mitgetheilt worden sind, enthüllen; ich begnüge mich aber nur damit, an Einem Beispiele zu zeigen, was mein Sohn gesagt, und wie das der Herr Professor Petri gehört hat, weil gerade diese Aeusserung in die Klageschrift mit aufgenommen ist. Ersterer forderte Letzteren auf, ihn mündlich oder schriftlich zu widerlegen, und führte im Gespräche die allbekannte Stelle Luthers an aus einem Briefe an den Kurfürsten Friedrich: „Das Wort Gottes muß zu Felde liegen und kämpfen. Ist ihr Geist recht, so wird er sich vor uns nicht fürchten und wohl bleiben. Ist unser recht, so wird er sich vor ihnen auch nicht, noch vor Jemand fürchten. Man lasse die Geister auf einander platzen und treffen.“ Was aber hörte und berichtete Herr Prof. Petri? Er sagt, mein Sohn habe ihn aufgefordert, gegen ihn zu predigen, „und werde sich herzlich freuen darüber, dien bösen Geister auseinander platzen zu lassen, daß es krache!!!“ Welch ein Hörer! Welch' ein Berichterstatter des zu ihm Gesprochenen! Verzeihe ihm Gott! Aber wie kann ein Mensch dem Zeugnisse eines so mißverstehenden Mannes Glauben beimessen? - Doch für jetzt genug von den Klagepuncten.

Bei meiner Anwesenheit in Braunschweig wünschte ich sehnlichst, und that, was ich konnte, dieses traurige Verhältnis wieder in Ordnung zu bringen; aber ich richtete nichts aus, weil man in verjährten Vorurtheilen befangen, wider das positive, schriftgemäße Christenthum eingenommen war. Herr Professor Petri, an welchen mich die Herren Vorsteher gewiesen hatten, als an den, der das Wort habe für ihren Glauben, sagte mir unter Anderem geradezu: Er sei ein ganz entschiedener Rationalist; - er könne mit der heiligen Schrift gar nicht geschlagen werden; - mein Sohn habe sich dadurch so geschadet, daß er die heilige Schrift zum Maaßstabe für seine Vernunft annehme, da doch die Vernunft als Maßstab an die Schrift gelegt werden müsse, und er (P.) könne nichts Anders wünschen, als daß überall die Rationalisten von den Supernaturalisten sich trennen mögten. Nun wohl, laßt sie sich trennen! - Von der heiligen Schrift, als der einzigen Richtschnur ihres Glaubens und Lebens, dürfen evangelische Christen sich nicht trennen! - Ich wünsche von Herzen, daß alle, die sich trennen wollen, überall mögten die Freiheit erhalten, unitarische, philaletische und sonst benannte Gemeinden zu bilden; denn ich bin überzeugt, daß nur bei allgemeiner Glaubensfreiheit das biblische Christenthum recht gedeihen kann. Aber haben sie ein Recht, einen evangelischen Prediger zu verdrängen? Haben sie ein Recht, dem Theile der Gemeinde, der noch nur im Worte Gottes Nahrung findet, seine Nahrung zu entziehen? Und dies würde in Braunschweig geschehen. Nicht nur würde der Prediger, der nichts weder gelehrt, noch gethan hat, was eine Entfernung von seinem Amte rechtfertigte, aus seinem Amte vertrieben werden, wenn es nach ihrem Willen ginge; sondern auch ein grosser Theil der Gemeinde, der nicht die eigene Vernunft höher stellt als das Wort Gottes, vielmehr dasselbe für seinen köstlichsten Besitz achtet, und für die Distinctionen des Herrn Professors, von Rationalisten und Supernaturalisten kein Ohr hat, würde offenbar in der freien Entwicklung seines Lebens gehemmt, und genöthigt werden zu hören, was seine Bedürfnisse nicht befriedigt. Ich sage, ein grosser Theil der Gemeinde! Denn ob mir gleich von den Herren Vorstehern die Versicherung gegeben wurde, daß die ganze Gemeinde Eins sei wider meinen Sohn, so hatte ich doch wenige Tage nachher die Freude, daß 50 stimmberechtigte Glieder sich für denselben unterzeichneten und daß Mehrere, die gerade sich nicht unterzeichneten, doch bestimmt erklärten, sie seien für ihn. Und ist auf die Ueberzeugung der Einzelnen, die nicht unabhängig dastehen; der Armen; und der eingepfarrten Landgemeinde, obgleich sie nicht stimmberechtigt sind, denn gar nicht zu achten? Haben denn die Armen kein Recht auf die Verkündigung des Evangeliums, und kein Urtheil darüber? Und hängt es von den Reichen nur ab, zu bestimmen, ob es verkündiget werden solle und wie? - Doch sei die Zahl der Gemeindeglieder auf dieser oder jener Seite die grössere: so machen immer nur diejenigen die evangelische Gemeinde aus, welche bei dem Evangelio, wie es in der heiligen Schrift enthalten ist, bleiben wollen, nicht aber die, welche es nach ihrem Gutdünken gestalten, und meinen, des versöhnenden Opfers Christi nicht zu bedürfen.

Dies nun veranlasste mich am 17ten Jul. die vorliegende Predigt zu halten, und meine Absicht dabei war, gerade die wesentlichen Lehren des Christenthums, welche in den Vorträgen meines Sohnes so sehr angefochten wurden, kurz zusammen zu stellen, und ihre innige Verbindung unter einander fühlbar zu machen. Daß ich nicht ohne alle Frucht geredet habe, weiß ich, und gern übergebe ich denen, die es wünschten, diese Predigt nun gedruckt, mich ihrem Andenken empfehlend. - Die bei der von dem Moderator der Synode mir aufgetragenen Ordination meines Sohnes gehaltene Rede habe ich beigefügt, damit die Gemeinde das in Händen hätte, was mein Sohn bei der Uebernahme seines Amtes versprochen hat, und was, so lange er evangelischer Prediger ist, seine Lehre und seinen Wandel bestimmen muß.

Uebrigens bitte ich den Herrn der Kirche unablässig, daß Er selbst sich meines verkannten und verlästerten Sohnes annehmen, und in der Gemeinde desselben Sein heiliges und beseeligendes Wort recht reichlich wohnen lassen möge. Ihm sei Ehre!

Lübeck, den 29sten Jul. 1831.

1)
Worte der Klageschrift.
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