Frommel, Emil - Das Gebet des Herrn in Predigten - I. Allgemeines zum Vaterunser

Frommel, Emil - Das Gebet des Herrn in Predigten - I. Allgemeines zum Vaterunser

Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Text: Lucä Kap. 11, Vers 1 - 5.

In Christo geliebte Gemeinde! Am kurpfälzischen Hof gab sich zur Zeit (es war bald nach 1555), als das Land von den Feinden gefährlich bedroht war, über der Tafel die Rede, wie sich wohl ein jeder durchzubringen gedächte, wenn der Kurfürst von Land und Leuten sollte vertrieben werden. Darauf gab's allerhand Antwort. Da sagte der Eine: „Ich kann fechten,“ ein Anderer: „Ich kann Netze stricken,“ ein Anderer: „Ich kann die Laute spielen“ und wieder Einer: „Ich kann Dreherarbeit.“ Als die Reihe an den frommen Junker Otto von Grünrad kam, sagte er: „Und ich kann beten. Und von dieser Stund‘ an will ich solches Handwerk, nämlich das Gebet, bei dem treuen Gott anwenden, er wolle uns behüten, daß wir all der vorangedeuteten andern Handwerke nicht bedürfen.“

Wer von Allen das beste Handwerk gekonnt, das mögt ihr leicht sehen. „Eines Christen bestes Handwerk ist Beten“ sagt Luther. Das ist das einzige, das einen ächt goldenen Boden hat. Denn wo bei einem Handwerk das Beten fehlt, da hat der goldene Boden ein Loch, zu dem Alles wieder hinaus rinnt. Darum sagen wir mit dem Liede:

Wer ist ein Mann?
Der beten kann.

„Ich kann beten“ hat also der Junker gesagt. Kannst du's auch mein Christ? Du brauchst es so nothwendig als er. Die Zeiten sind noch böser. „Beten“, sagst du, „das kann ich; ich lese meinen Morgen- und Abendsegen alle Tage.“ Das will ich glauben. Aber damit kannst du noch nicht beten. Das tiefste Gebet muß ein eigenes sein, das aus dem Herzen frisch hervorquillt. Das muß aber gelernt sein, wie man jede Kunst lernen muß. - Zu welchem Lehrmeister wollen wir da in die Schule und Lehre gehen? Ich meine zu dem Herrn, der gebetet hat, wie nie ein Mensch gebetet, dem kein Gebet fehlgeschlagen; zu Dem, der in den Tagen seines Fleisches Thränen und Gebet und starkes Geschrei geopfert hat dem, der ihm konnte vom Tode aushelfen. Dieser Meister im Gebet ist unser Herr Jesus. Er hat seine Jünger einst beten gelehrt, und ein theures Vermächtniß hinterlassen, daraus alle Geschlechter nehmen sollen. Ein Vermächtniß, das bis in das Ende der Tage reicht, an dem sich das letzte Menschenkind noch erquicken wird. Das ist das heilige Vaterunser. Alle wahren und rechten Gebete fließen aus ihm heraus und stießen wieder da hinein. Es ist gleichsam die Weise und Melodie nach der alle Gebete gehen sollen, wenn auch nicht immer dieselben Worte gebraucht werden. Diese goldene Regel aller Betkunst möchte ich Euch in diesen Stunden ans Herz legen und Euch in den Reichthum derselben in aller Schwachheit einführen.

Für's Erste lasset mich Euch heute das Vaterunser lieb machen, indem ich Euch den vollen Werth desselben zeige; und dann wollen wir in den nächsten Stunden die uns geschenkt werden, daraus recht beten lernen, auf daß wir beten können in der bösen Zeit und einst aufgenommen werden in die selige Beterschaar dort oben an seinem Throne.

Sein hoher Werth wird uns aber recht offenbar werden, wenn wir schauen:

  1. Wer es gemacht hat.
  2. Wies darin gesagt und
  3. Wie Alles darinnen geordnet ist.

Herr Jesu! du großer und gewaltiger Beter, der du in den Tagen deines Fleisches gerungen und gebetet, und jetzt für uns betest auf dem Throne deiner Majestät! - Nimm du uns mit auf den Berg, da du deine Jünger beten lehrtest. Ach lege du auch uns die Bitte auf die Lippen: „HErr lehre uns beten!“ Falte du unsre Hände, hebe du unsre müden Augen auf zu den Bergen, von dannen uns Hülfe kommt! Mache aus unserer Gemeinde ein Heldengeschlecht von Betern, das dir Alles abbeten und abglauben kann! Wer nicht beten kann, den lehre Du es; wer nicht beten will, dem beuge seine Kniee in dieser Zeit, auf daß du sie ihm nicht brechen müssest am Tage deiner Wiederkunft! Wer da beten kann, den lehre Du recht beten! Dazu salbe meinen Mund, sende deinen Seraph mit der glühenden Kohle, der meine unreinen Lippen entsündige, und gib, daß ich dein heiliges Gebet nicht auslege nach armer Menschenweisheit! Segne dein Wort, daß an jedem Orte wieder heilige Hände aufgehoben werden und heilige Lippen dich preisen; hier in Schwachheit und in mancherlei Trauer, dort aber in großer Kraft und mit unaussprechlicher Freude! Amen.

1. Wer hat's gemacht?

Zweimal hat der HErr das Vaterunser gebetet. Es ist, als ob Er es uns damit recht fest hätte einbinden wollen. Einmal in der Bergpredigt, wo dies einfache Gebet neben dem vielen Plappern der Heiden steht; und das andere Mal, da ein Jünger den Herrn bittet um ein Gebet - um ein besseres als Johannes der Täufer die Seinen gelehrt, die mit ihm auf der Schwelle des neuen Bundes standen, - also um ein neutestamentliches Reichsgebet. Der Heiland willfährt, nachdem er zuvor über die rechte Art des Gebetes geredet und spricht zu ihm: Wenn ihr betet, so sprechet: Vater unser rc. Also der Herr Jesus ist es, der es gemacht hat, und daraus magst du schon seinen Werth erkennen. Die Welt und ihre Kinder fragen bei einem bedeutsamen Worte zuerst, wer's gesagt hat, noch ehe sie nur recht geprüft haben was gesagt worden ist; ist's einer ihrer Helden gewesen, da muß es wahr sein und schön; ist's einer ihrer Reichen, da muß es wie der Psalm sagt: „vom Himmel herab geredet sein“. „Er hat's gesagt,“ so sprachen einst die Schüler eines heidnischen Weltweisen und das war ihnen Beweises genug, daß es recht und wahr sei, was gesagt war. Das sollst du nicht thun, aber bei deinem Heiland darfst du's thun und kühnlich sprechen: „Er hat's gesagt“ und darum ist's vom Himmel herab geredet, ist's wahr und gut. Es ist ja des Vaters eingeborenes Kind, das da redet, das allein Gott gesehen und in seinem Schooße saß, das allein auch den Abgrund des väterlichen Herzens kennt. Er that darum den rechten Griff in's Vaterherz und weiß, wie man's fassen und zu sich neigen kann. Wie wäre es, (vielleicht ist dir's in deinem Leben schon einmal vorgekommen) wenn du an einen hochgestellten Herrn eine rechte Bitte hättest, wüßtest aber nicht, wie du ihm beikommen könntest und es träte das Kind jenes Herrn zu dir und sagte: „Komm, ich will dir zeigen, wie du meinem Vater die Bitte vortragen mußt und sein Herz bewegen kannst, ich kenne ihn;“ ja, setzte dir selber deine Bitte auf, und der Vater erkännte die Schrift und den Sinn seines lieben Kindes - meinest du nicht, daß du würdest gut damit fahren? Nun siehe; ist's hier nicht ebenso? ist nicht das, daß des Vaters einig Kind dich beten lehrt eine sichere Bürgschaft, daß du erhöret wirst? „Denn das ist ja die Freudigkeit, daß so wir etwas bitten nach seinem Willen, so erhört er uns.“ So sagt schon der Märtyrer Cyprian: „Dies Gebet hat der gemacht, deß Worte Geist und Leben sind, der uns den Geist des Gebets hat verdienen müssen, sollten seine Worte nicht die Kraft haben, daß über den Beter der Geist der Gnade reichlich herabkomme? Dies Gebet hat der gemacht, der gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit.“ Sollte nun Er, der kein Mensch ist, daß Er lüge. Etwas sagen und nicht thun? Sollte der Etwas reden und nicht halten? Sollte Gott nicht solches Gebet hören was aus der Wahrheit kommt, Er, der wahrhaftige Gott? Wie kann Gott eher gewonnen werden, als wenn Er seine eigenen Worte sieht? Was kann einem Vater eher das Herz brechen, als wenn er die Bittschrift sieht, die sein Kind mit eigenen Fingern geschrieben hat?“ und Augustinus setzt dazu: „Wie sollten wir nicht Hoffnung haben, unsere Sache zu gewinnen, da ein solcher Rechtsgelehrter uns die Supplik an die Hand gegeben?“ Er selber, das Kind aus des Vaters Hause, gibt uns die Schlüssel zum Vaterherzen und zu allen Schatzkammern. Ein Kind kennt die Schlüssel im Hause, und seine Schlüssel täuschen nicht!

Das bedenket, liebe Christen, ehe ihr euer Vaterunser betet! ihr würdet es ganz anders beten, wenn ihr euch immer zuvor sagtet, wer es gemacht hat. Siehe, da stände vor unserer Seele der Herr, der für uns mit seinem Blute eingegangen ist ins Allerheiligste droben! Nun trennt uns kein Vorhang mehr, denn der ist über seinem Sterbeseufzer zerrissen. Er voran und wir folgen! Da stünde vor uns der Herr, der jetzt in unserer verklärten Menschheit zur Rechten des Vaters sitzet und alle Gewalt hat im Himmel und auf Erden; wir sähen Ihn an, der sich so tief erniedrigt und jetzt so hoch erhöht und Er winkte uns zum Vater zu kommen, und in überströmendem Danke über dem Gedächtnis? seiner Liebe, würden wir niedersinken und im festen Glauben die Augen aufrichten und unsere Lippen sprächen dann: Unser Vater in dem Himmel! Ja gedenke daran, wer es gemacht hat!

2. Dann blicke aber auch kühnlich in den Inhalt deines Vaterunsers.

Hier sind goldene Aepfel in silbernen Schaalen. Das Heiligste und Tiefste und das Notwendigste was ein Menschenherz zu beten vermag, liegt drin. Es gibt keine rechte Bitte auf Erden, die nicht drin läge. Wer seine Tiefe nicht erkennt, der ist noch nicht hinabgestiegen in seinen reichen Inhalt, der vernimmt noch wenig vom Geiste Gottes. Vielen ist's nicht der Mühe werth gewesen, nur einmal recht zu prüfen, was drinnen steht. Es geht ihnen mit dem Vaterunser wie mit dem Frühling draußen oder mit dem Sternenhimmel der Nacht. Sie laufen vorbei und schauen nicht um und schauen nicht auf, es ist ihnen, als müßte es so sein. Weil mans alle Tage sieht, deßwegen hat's keinen Reiz mehr. So geht's mit dem Vaterunser; - weil du's so oft gehört, läufst du drüber weg, als verstünde sich das Vaterunser von selbst, oder als hättest du es ebenso gut machen können, als der Heiland. Darum thut's Noth, daß du davor stehen bleibst, dann werden dir solche Gedanken schon vergehen.

Alle Stücke die zu einem wahren Gebetsleben gehören, liegen drin. Dazu gehören nach dem Worte des Apostels: „daß man thue in allen Dingen Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung.“ Das Alles findest du. Das Gebet und die Anbetung liegt in der Anrede: „Unser Vater in dem Himmel;“ dann folgen die sieben Bitten, davon sind vier um Zuwendung alles Guten und drei um Abwendung alles Bösen. Die Fürbitte liegt in dem Wörtlein: „Unser“ und „uns“, womit du ja alle Menschen in dein Gebet schließest, und die Danksagung liegt im Schluß: „denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“

Es steht aber nicht nur darin, was du zu bitten, sondern auch was du zu thun und zu glauben hast. Gesetz und Evangelium, die theuersten Heilslehren findest du. Das Gebot des HErrn ist darin in ein Gebet übersetzt und dein christlicher Glaube in einen Lobgesang verschlungen.

Das Gesetz beginnt mit dem: „Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine andere Götter neben mir haben,“ und du betest: „Unser Vater in dem Himmel“ - du allein bist unser Vater. Das Gesetz spricht: „Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht mißbrauchen“, und du betest: „Dein Name werde geheiliget,“ der Sabbath wird dir zur Heiligung geschenkt und befohlen, du gedenkst des Wortes das da gepredigt wird, wodurch alle Welt selig werden soll und bittest „dein Reich komme“ „Du sollst deinen Vater und Mutter ehren“ spricht das vierte Gebot und du gedenkst derer, die dir Gott bestellt hat zu seinen Stellvertretern, die dir das Brod brechen, du gedenkest dabei alles guten, väterlichen Regiments, des Friedens, der Zucht und der Ehre, der Gesundheit, durch welch Alles du deinen Unterhalt findest und betest: „Unser täglich Brod gib uns heute.“ Der Herr spricht: „Du sollst nicht tödten;“ du gedenkst seines Gebotes, das in diesem Verbot liegt, nämlich der Liebe zu deinem Nächsten, der Liebe, die Alles trägt und verträgt, die Alles duldet. Die Liebe aber kannst du nur haben, wenn sie von Gott aus dir geschenkt worden, du kannst nur vergeben, wenn du Vergebung empfangen hast, so gehest du denn hin, bittest und sprichst: „Vergib uns unsere Schulden, wie wir vergeben unsern Schuldigern.“ Das Gesetz spricht vom „nicht Ehebrechen“, vom „nicht Stehlen“, vom „nicht falsch Zeugniß reden“, und dir bangt; denn du weißt wie zart dein Fleisch, wie lockend und versuchungsvoll die Welt mit ihrer Lust, ihrem Gut, wie schnell deine Zunge ist, dieß unruhige Uebel, diese Welt voll Ungerechtigkeit, und bebend bittest du: „Führe uns nicht in Versuchung.“ In's tiefste Herz greift dir der Herr hinein, wenn er spricht: „Laß dich nicht gelüsten“ und dein Auge senkt sich, du weißt in deinem Fleisch wohnt nichts Gutes. Ein ewiger Kampfplatz ist dein Herz, das das Gute will und das Böse thut, du sprichst mit Paulo: „Ich elender Mensch wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes“ und siehe der Herr kommt, legt dir die Bitte selbst in den Mund: „Erlöse uns von dem Uebel!“ Wie im Gesetz dich das majestätische Wort: „Denn ich der Herr bin ein starker, eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missethat an den Kindern“, im Innersten durchzuckt und schlägt, so richtest du deine Augen auf am Schluß des Vaterunsers mit den Worten: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit Amen.“ Der ganze heilige Inhalt aber des Gesetzes schließt sich in die dritte Bitte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden.“ - So ist das Gesetz hinein geflochten in dies Gebet aller Gebete.

Mein Christ, hast du das schon bedacht? Hast du es bedacht, daß dein Gebet also ein Spott wird in deinem Munde, wenn du Gottes Gebot verachtest? daß jedes Vaterunser ein heiliges Gelöbniß ist auf dem schmalen Wege zu wandeln? Was bittest du: „dein Name werde geheiliget“, so du doch seinen heiligen Namen mißbrauchst? Was bittest du: „Führe uns nicht in Versuchung“, so du doch dich muthwillig in Seelengefahr stürzest und mit der Sünde spielst? Ja es gilt hier: „Was nimmst du mein Wort in deinen Mund, so du doch mein Gebot und meinen Bund verachtest und die Zucht hassest? Wenn ihr gleich viel betet, so höre ich euch doch nicht, denn eure Hände sind voll Bluts!“ Gedenke darum daran, daß du die Gebote betest, wenn du dein Vaterunser sprichst. -

Du bekennest aber auch darin zugleich deinen christlichen Glauben. Du sprichst: „Ich glaube an Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde - betest du nicht darauf hin: „Unser Vater in dem Himmel?“ gedenkest du nicht seines heiligen Namens, den Er dir geoffenbaret und bittest: „Geheiliget werde dein Name?“ Gedenkest du nicht bei dem allmächtigen Schöpfer dessen, der auch dich erhält und bittest: „Unser täglich Brod gib uns heute?“ Und wenn du sprichst: „Dein Reich komme,“ mußt du nicht dessen gedenken, der als des Vaters ewiger Sohn herabkam, empfangen von dem heiligen Geiste, geboren von der +Jungfrau Maria, der durch Leiden, Sterben, Auferstehen und Himmelfahrt sein Reich gegründet, ja der sein Reich in Herrlichkeit aufrichten und dem Vater übergeben wird, wenn Er kommt zu richten die Lebendigen und die Todten? Um was bittest du, wenn du sprichst: „Dein Wille geschehe, vergib uns unsere Schulden, führe uns nicht in Versuchung, erlöse uns von dem Uebel? Um was Anderes als um das Kommen des heiligen Geistes, der Gottes Willen in uns vollbringt, in die Gemeinschaft seiner Kirche und der Heiligen uns versetzt und darin Vergebung der Sünden, Bewahrung nach Leib, Seele und Geist, und endlich Erlösung von allem Uebel, in der Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben schenkt? Sind nicht so die Großthaten des dreieinigen Gottes in einen Lob- und Bittgesang verschlungen, der da bittet, daß sie allezeit noch in uns geschehen mögen? Gedenke darum mein Christ, daß das heilige Vaterunser ein Bekenntniß deines allerheiligsten Glaubens ist. Wie magst du also ein Vaterunser beten, so du nicht an den Vater glaubst? wie magst du um das Kommen des Reiches des Herrn Jesu bitten, wenn Er dir kein König ist? Wie magst du bitten um das Wirken des heiligen Geistes, so Er dir doch nichts ist, und du mit deinem Menschengeist meinst Alles ausfechten zu können?

O daß darum bei jedem Vaterunser das wir beten, vor unsern Augen stände der Berg Sinai, der da bebt und raucht, um den sich die Herrlichkeit gelagert, wo der Herr spricht unter Blitz und Donner, sein heiliges Gesetz gibt - und vor Augen stünden die Berge von dannen uns Hülfe kommt, da der ewige Gott ist, der Himmel und Erde gemacht hat! daß vor uns stünde der Berg Golgatha, da der dorngekrönte König des Reichs stirbt - daß wir hinschauten auf die Pfingsthöhen, da der heilige Geist ausgeht und die Gemeinde heiliget! und also niedergebeugt von den Donnern des Gesetzes und angeweht vom scharfen Wind vom Sinai, und aufgerichtet vom sanften Wehen des heiligen Geistes von den Bergen der Erlösung her, immerdar anfingen zu beten: „Unser Vater in dem Himmel!“

Dieser Inhalt ist aber auch in eine heilige Ordnung gebracht, darum lasset uns schauen:

3. Wie alles darin geordnet ist.

Meine Freunde! Gott ist nicht ein Gott der Unordnung sondern ein Gott der Ordnung. Durch das Reich der Natur geht eine heilige Ordnung und durch das Reich der Gnade auch. So soll auch eines Menschen Gebet in heiliger Ordnung einhergehen. Nicht als ob der liebe Gott diese Ordnung brauchte um seinetwillen, sondern du brauchst sie um deinetwillen. Sowie alle Gedanken eines Menschen in heiliger Zucht gehalten werden sollen, so sollen es auch seine Gebetsgedanken. Es gibt Gebete denen die rechte Zucht mangelt. Da betet mancher was ihm gerade in den Sinn und Mund kommt, Geistliches und Leibliches wild und ungeordnet durcheinander. Gar Mancher, der vor Andern betet, stellet sich hin und betet, ohne daß er nur zuvor weiß, um was er beten will; und sein langes, ungeordnetes Gebet zerstreut und ärgert oft die Zuhörenden. Darum will uns auch gewiß der Heiland in dieser goldenen Regel der Betkunst einen Fingerzeig geben, wie man in rechter Zucht und Ordnung beten müsse. -

Auf den ersten Blick sehet Ihr, wie das Gebet des Herrn beginnt mit der Anrede, fortfährt mit den sieben Bitten, und endigt mit der lobsingenden Danksagung. So ist's äußerlich schon anzuschauen als ein herrlicher Gebetstempel, mit dem Vorhof der Anrede, dem Inneren mit den sieben Säulen der Bitten, und mit dem himmelanstrebenden Thurm der Danksagung und der goldenen Spitze des Wörtleins: „Amen.“

Mit dem Wörtlein „Vater“ beginnt die Anrede und das ist natürlich daß man den bei seinem Namen nennt, von dem man Etwas begehrt; so thun's die Kindlein auch. Aber nur der Glaube an den eingebornen Sohn Gottes läßt dich also beten, darum ist dieses Wort „Vater“ ein Glaubenswort. Die Tochter aber des Glaubens ist die Liebe. Die lehret nicht für sich allein sondern für Alle zu beten und darum betest du nicht „Mein“ sondern Vater unser. So betet die Liebe mit dem Glauben. Das letzte Wort der Anrede heißt: „In dem Himmel“ dorthin geht unsere Sehnsucht, dorthin schaut unsere Hoffnung, die nicht zu Schanden wird. So betet auch die Hoffnung, die des Glaubens und der Liebe fröhliches Kind ist, mit den Anfang. Mit diesen Fingern klopfet das Kind Gottes an der Himmelspforte an.

Nachdem es so in rechter Art seinen Vater angeredet, darf es auch kühnlich und getrost bitten; denn der liebe Vatername, der am Anfang steht, gibt ihm fröhlichen Muth dazu.

Nun kommen die Bitten. Es sind ihrer sieben. Von dieser bedeutungsvollen Zahl, die oft im Worte des HErrn uns begegnet, sollst du am Schlusse des Vaterunser noch mehr hören. Auch die Bitten stehen in heiliger Ordnung. Mit dem dreimal „Dein“ beginnen sie, und mit dem viermal „uns“ schließen sie. Was will das sagen? Was stehest du hier zusammengebunden? Ist's nicht also, daß in dem drei Mal „Dein“ Gottes ewiger Reichthum liegt, und in dem viermal „Uns“ unsre Armuth seufzt und steht? Du schwingst dich auf zu deinem HErrn mit den drei ersten Bitten, und demüthigst dich in den vier letzten vor Ihm. Die drei ersten Bitten verlangen, daß du dich hingibst an deinen Gott und in den vier letzten sollst du hinnehmen aus der Fülle seiner Erbarmung Gnade um Gnade. Mit dem „Dein“ und „Uns“ stehest du also, wie sich die sieben Bitten theilen. Drei um göttliche Dinge, vier um unsre Dinge. So hat der Herr auch in dieser kleinen Gebetswelt geschieden, zwischen Himmel und Erde, wie einst in den Schöpfungstagen zwischen dem Wasser über der Veste, und unter der Veste. Oben rauschts im Vaterunser von göttlichen Gnadenwassern, und unten her von menschlichen Trübsalsfluthen. - Merke auch wie hier dein Gott in seiner Liebe wieder ungleich getheilt hat. Wie Er in den Geboten sechs Tage dir zur Arbeit und einen Tag für sich in Anspruch nimmt, und auch dieser eine Tag ja nur dir zum Heile und Segen gegeben ist; so nimmt Er drei Bitten für sich, und vier gibt er für dich. Und auch hier - hast du nicht den Segen wenn Gottes Name geheiligt wird, sein Reich kommt, und sein Wille geschieht? Bittest du das Alles nicht recht eigentlich für Dich und nicht für Ihn, der keines Menschen bedarf, und dessen nicht von Menschenhänden gepflegt wird? Hehr und heilig treten die drei ersten Bitten in herrlicher Ordnung einher. Da steht keine vor oder nach der andern, sondern jede am rechten Ort. Die erste bittet um „Heiligung des Namens Gottes.“ Sie steht mit Recht voran, denn ihr dienen die anderen alle. Luther sagt: „Sie ist die allergrößte. Denn dazu dienen und ziehen alle andern sechs Bitten, daß Gottes Name geheiligt werde. Denn so Jemand wäre, der Gottes Namen genugsam heiligte, der dürfte nicht mehr beten das Vaterunser.“ Je mehr Gottes Name geheiligt wird, desto mehr wird sein Reich ausgebreitet und wiederum, je mehr dieses Reich kommt, desto mehr wird sein Name geheiligt. Denn seinen Namen hat er in dem Herrn geoffenbart, der sein Reich aufgerichtet hat. Und Gottes Reich ist da wahrhaftig, wo Gottes Wille geschieht und so geschieht, wie die Engel im Himmel ihn thun.

Wir gehen hinüber zu der vierten Bitte, gleichsam zur andern Tafel des Vaterunsers. Das Wort: „Unser täglich Brod gib uns heute“ betrifft unser leiblich Leben, das dem Herrn geweiht sein soll. Mund, Herz und Hand sollen seinem Namen, seinem Reich und Willen dienstbar sein. Darum schaut diese Bitte zurück auf die drei ersten. Auf dem Leuchter unsers irdischen Lebens will Gott seine himmlische Flamme entzünden. Darum eilen die Bitten vorwärts und gehen ins geistliche Leben wieder über und haben da wieder dreierlei zu bitten. Beiläufig sei es gesagt und das merke dir: nur eine leibliche Bitte stehet im Vaterunser, aber sechs geistliche. Sechsmal mehr um geistliche als um leibliche Dinge sollst du darum bitten.

Die drei letzten Bitten entsprechen dem Anfang, dem Fortgang und Ausgang des geistlichen Lebens, Geboren wird das geistliche Leben aus der Rechtfertigung, die da kommt aus Buße und Glauben an die Erlösung und Vergebung unsrer Sünden. Darum bitten wir „vergib uns unsre Schulden.“ Gestärkt und gepflegt wird es durch die göttliche Bewahrung, darum bitten wir: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Dies geistliche Leben wird endlich verschlungen in das ewige Leben, wo alle anklebende Sünde, alles Uebel nicht mehr sein wird, darum bitten wir: „Erlöse uns von dem Uebel.“ Siehe, welche heilige Ordnung!

Nun kommt der Schluß. Mit dem Wörtlein: denn Dein ist das Reich, kommen wir wieder von uns und unserer Armuth weg und darum sind wir getrost, denn nun greifen wir frisch in den Reichthum Gottes hinein. „Dein ist das Reich“ da stehen wir auf der ersten Stufe zum Throne des Herrn. Es ist deine Sache, um die wir bitten und nicht unsre allein, und du wirst deine Sache nicht fallen lassen. Du willst helfen und erhören, aber du kannst auch helfen denn: „Dein ist die Kraft!“ Das sagen wir gegen allen Zweifel und Kleinglauben unsrer blöden Vernunft und steigen höher hinauf. Wir eilen voran und sehen die Herrlichkeit von der sein Thron umstrahlt ist, zu der auch wir berufen sind, zu deren Preis alle Dinge, alle unsre Gebete ausschlagen müssen und sprechen: „und Dein ist die Herrlichkeit!“ Da stehen wir denn vor dem Gotte, der unsre Zuflucht war, ehe denn die Berge und die Erde und die Welt geschaffen worden, der seine Treue den Vätern gehalten und je und je die Gebete der Seinen erhört hat und erhören wird und sprechen: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit! Auf Ihn hin wagen wir es - seine Herrlichkeit schreckt uns Sünder nicht, denn wir stehen ja vor dem Vater, der uns geboten hat, also zu beten und der Erhörung gewiß, sprechen wir „Amen“ und sinken ihm an sein Herz! So schließt sich das Amen wieder herrlich mit dem „Vater“ am Anfang zusammen, so reihen sich Anfang und Schluß dieser wunderbaren Perlenkette aneinander.

So steht das heilige Vaterunser vor uns mit Dem, der es gemacht, mit seinem tiefen Inhalt und seiner heiligen Ordnung. Wahrlich nur der eingeborne Sohn Gottes, in dem alle Schätze der Weisheit liegen, kann in so wenig Worte so unaussprechlich tiefen Sinn legen.

Preise Ihn denn dafür und lerne es recht beten. Menschliche Dinge verlieren an Werth, wenn man sie viel braucht, die göttlichen aber verlieren für uns, wenn man sie nicht braucht. Hier schon wirst du es erkennen, was du an deinem Vaterunser gehabt hast. Droben aber wird es dir völlig klar werden. Wenn am Ende der Tage die Millionen gläubiger Vaterunser erfüllt sind, da werden sich die Seelen droben mittheilen, was sie am Vaterunser gehabt. Die heißerflehten Güter sind da. Dann wird man das Vaterunser singen im Erfüllungstone, es wird kein Gebet mehr sein, sondern in einen herrlichen Lob- und Dankpsalm verklärt sein, der da lautet: Halleluja Unser Vater! Nun sind wir bei Dir! Nun ist dein Name geheiligt, dein Reich gekommen, dein Wille ist geschehen! Nun sitzen wir am Himmelstisch und essen dein Gnadenbrot! Nun sind die Sünden uns erlassen, nun ist groß Fried ohn' Unterlaß, all Fehd' hat nun ein Ende! Aus aller Versuchung hast du uns gehoben, aus allem Uebel erlöst und treulich alle Thränen von den Angesichtern gewischt! Nun sind alle Reiche der Welt dein und deines Christus geworden! Dein war und bleibt die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit! Und aus allen Himmeln der Ueberwinder und bis hinab aus den Tiefen der Verlornen und Verdammten wird es klingen, hie mit Freuden, dort unter Schauern: Amen! Amen! Ja so ist es! Amen.

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