15) Ihre fleischliche Vermessenheit

Die im 8ten Abschnitt bemerkte Auszeichnung in der Kleidung riß nach und nach in St. Gallen bis zum Aergerniß etc., und so wie diese Schwärmer vorher in großen Filzhüten, verzerrten Zwillichhosen, ohne Schwert und Messer, ganz demüthig und in englischen Schuhen einher schlichen, so erschienen sie nun in köstlichen Bareten, mit Federn und Blumensträußen geziert, trugen zerschnittene und getheilte Kleider nach griechischer Sitte, mit Seide und Sammet verbrämt um den Hals, und an den Ermeln mit Gold und Seide erhaben und gestickt. Das weibliche Geschlecht, welches vorher die Haarbindel, Juppen, Schlutten und Krägen verbrämt oder hinweggeworfen hatte, macht jetzt alles wieder zweifach kostbar. Man hüpfte und tanzte und trieb allen Muthwillen und Leichtfertigkeit, so daß endlich der Stadtrath zu einigen zweckmäßigen Verordnungen veranlasst wurde. Aus diesen wollen wir bloß die für unsre gegenwärtigen Zeiten auffallendensten Stellen ausheben.

„Unter der Regierung des Bürgermeisters Joachim v. Watt,“ schreibt Keßler, „verordneten die kleinen und großen Räthe der Stadt, den 6ten Brachm. 1527, daß alle Bürger und Einwohner in St. Gallen, so zerhauene oder abgehauene Hosen und Wämmeser trügen, solche zusammen nähen, und fernerhin in der Stadt, oder in den Gerichten, nicht mehr tragen sollten, bei einer Buße von 3 Pf. Pfennigen von jedem mal, so dick (oft) das geschähe.1) - Man beeidete die Schneider, daß sie keine solchen zerhauenen Kleider machen sollten, bei dergleichen Buße. Auch sollten diese nicht einen großen und wüsten Latz an die Hosen, sondern fürohin fein ziemlich machen, bei derselben Buße. Ferner haben die kleinen und große Räthe berathen und ermessen, die unmögliche schnöde Schandbarkeit und ärgerliche Reitzung der Schuhe, welche Manns- und Weibspersonen tragen, und darauf gesetzt und verordnet, daß hinfür kein Bürger noch Einwohner der Stadt Schuhe mehr tragen solle, als solche, welche über die Zehen drei Finger breit Leder hätten, bei einer Buße von 3 Pfund Pfenningen, von jedem mal tragen. Auch hat man den Schumachern ein Maaß gegeben, nach welchem sie die Schuhe ausschneiden sollen. Bei obbemelder Buße wurde ferner abgestreckt und verboten, daß keiner mehr so köstliche von Seiden zweierlei Hosenbindel tragen soll.“ u.s.w.

Keßler meldet ferner, es sei bisher bei reichen und gemeinen Töchtern ein Mißbrauch gewesen, daß sie ihr Herz vornen und hinten bis auf die Brust, eine schändlicher als die andere, in den Kirchen, auf den Gassen, Hochzeiten und wenn sie sich feiertäglich bekleiden, entblößen und entdecken. Diese Entdeckung der Herzen und Hälsen habe man genannt: die Tafel aufthun; dies wolle so viel sagen: gleich wie man bisher in der Götzen Kirchen, so man hochzeitlich Fest halten wollte, der Götzen Tafeln auf den Altären aufgethan, und die Bilder zu verehren, die sonst zu gemeinen Tagen beschlossen wären, habe sehen lassen; also hätten auch die Töchter damals, wenn sie sich hochzeitlich bekleiden wollen, ihre Herzen entblößt. u.s.w.

Bei diesem hoffärtigen und leichtsinnigen Leben, in welches diese armen Verblendeten versunken waren, hatte es nicht etwa sein Bewenden, sondern nun fielen sie nach und nach in die größten Ausschweifungen und Unsittlichkeiten. Manns- und Wibspersonen setzten sich in Stuben und Wäldern und an andern einsamen Orten zusammen, und übten die schandbarsten Laster, oder wie sie es nannten: die Werke ihres Glaubens aus, so daß Keßler schreibt: „sie wurden in solche Brunst gegen einander erhitzt, daß sie ohne alle Schaam zusammen fielen, die Werke der Hury so grad geübt, daß ich nie glaub je bie den Heiden der Unmaßen gebraucht, ohn angesehen Jungfrauen und Ehefrauen, - und mich beschäm solches einem christlichen Leser zu entdecken. Derhalben sie auch in den Wäldern und auf dem Felde über Nacht gelegen, damit sie solcher ungestümen Hitz möchten genugsam nach Lust und Willen statt geben, hierdurch viel frommer ehrsamen Jungfrauen von ihrer züchtigen Reinigkeit in diese grobe Hury verrickt sind.“ Er wendet daher die Stelle Pauli Römer 1, 23. u.f. ganz auf sie und ihr schandbares Leben an, indem es hier heißt: Gleichwie sie nicht geachtet haben, daß sie Gott erkenneten, hat sie Gott auch dahin gegeben in verkehrten Sinn zu thun das nicht taugt u.s.w.

Wenn man sie zur Rede stellte, warum sie ein so ausschweifendes, den Vorschriften Gottes entgegen laufendes Leben führten, und sich nicht einmal schämten solche Laster sogar öffentlich zu begehen, antworteten sie ganz trotzig: warum urtheilest du Heuchler also? und versuchten wohl gar dasselbe mit Schriftstellen zu vertheidigen und sagten: wir sind dem Fleische abgestorben, und durch den Tod hindurch gedrungen, was wir nun thun, geschieht alleswider unsern Willen im Geist, und aus dem Willen des Vaters! - !

Keßlers Freund, Sebastian Rüggensperger, kam zu einem solchen fanatischen Wiedertäufer, der die Tochter eines würdigen Mannes zu Gaiß, unter dem Vorwand - es sei keine Sünde, sondern geschähe aus dem Willen des Vaters - beschlief, setzte ihn zur Rede: warum er eine so große Sünde begangen, und ein unschuldiges Mädchen verführt habe? verwies ihm seine schändliche Handlung und ermahnte ihn zur Besserung. Jener aber antwortete darauf ganz kaltblütig: das halte er wahrlich für keine Sünde, sondern für ein Werk und Willen des Vaters, der ihm die Kraft dazu gegeben!! Ja, was würdest du dazu sagen, setzte er frecher Weise hinzu, wenn ich jetzt in dein Haus käme, und mich der Vater erweckte, deine Frau zu beschlafen? Sebastian gab ihm die passendste Antwort auf seine unverschämte Rede, indem er entgegnete: was würdest aber du sagen, wenn mich dann der Vater auch erweckte, dich mit einem derben Bengel wacker durchzuprügeln, und zum Haus hinaus zu werfen?

Etliche hielten sich durch die Stelle Jesu, beim Joh. 8,36: so euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei, - berechtiget, solche und ähnliche Fleischeslust ungestraft verüben zu können, und meinten, da sie sich für solche von Jesu Befreiete hielten, so dürften sie wohl ihre Freyheit auch ganz nach Herzenslust gebrauchen, ohne aber zu bedenken, daß doch Petrus 1. Brief, 2,11. schreibt: Liebe Brüder, ich ermahne euch: enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten. Auch Paulus den Christen zu Galt. 5,13 einschärft: Ihr lieben Brüder seid zur Freiheit berufen. Allein sehet zu, daß ihr durch die Freiheit dem Fleisch nicht Raum gebet.

Wie nun diese freigenannten Wiedertäufer auf vorangezeigte Weise in ihrer Fleischeslust und unordentlichen Liebe gegen einander entbrannten, so geriethen sie jetzt auf einen andern schwärmerischen Einfall, indem sie einander Ringe an die Finger steckten, wie Eheleute zu thun pflegen, welche durch diese sinnbildliche Handlung Liebe und Treue gegenseitig bestätigen wollen. Den Grund dafür fanden sie im Gleichniß Jesu von dem verlornen Sohne, welchem der Vater, nachdem er ihn wieder zu Gnaden angenommen, einen Ring an seinen Finger gesteckt, und damit habe anzeigen wollen, das Band der Liebe und Treue solle dadurch von neuem wieder fest geknüpft werden. Und so gaben sie auch zur Beurkundung dessen, daß Gott mit ihnen vermählet sei, einander Ringe und sagten: auch wir waren todt, und sind wieder lebendig worden. Anfänglich reichten sie einander nur hölzerne dar, nach und nach aber artete diese Gewohnheit in großen Luxus aus, indem man die kostbarsten Ringe von Silber und Gold verschenkte. Keßler bemerkt: „Nicht weiß ich zwar, wie sich Gott mit ihnen vermählet habe, aber das weiß ich, daß diese Ringe zu sehr fleischlicher Liebe unter ihnen nach Buhler- und Hurer-Gewohnheit, zu unkeuschen Begierden gedient haben.“

1)
1 Pfund Pfennig betrug damals ohngefahr 1 fl. 12 kr.
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