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13) Verena Baumann die Wahnsinnige

Gleichzeitig mit dieser Margretha Hottinger trat Magdalena Müller von St. Gallen, eine Näherin auf, und lehrte frei und öffentlich, sie sei Christus, der Weg, die Wahrheit und das Leben, und wer ihr nachwandle, der werde nicht zu Schanden werden; Gott habe sie ohne ihr Bitten und Begehr, aus der Hölle genommen, und in den Himmel gesetzt, und was der thörichten Reden mehr waren, die sie aussprach. Noch weiter trieb Verena Baumann, eine Dienstmagd von Appenzell, den Unsinn. Auch sie gab sich für Christus aus, welches ihr auch auf's Wort geglaubt wurde. Sie sagte nun zu ihren Gespielinnen, sie müsse 12 Jünger haben, und nannte eine ihrer Mitschwesterinnen, Namens Wibratha, Martha, eine andere Maria, noch eine Dritte, Barbara Mürglin von St. Gallen, mußte gar den Petrus vorstellen. Genannte Verena Baumann begab sich nun zu Martha, und redete sie mit den Worten an: der Herr hat mich zu dir gesandt, daß du dich von Stund an, rüstest, und mir nachfolgest. Nun begaben sie sich noch vor Tages Anbruch nach Buch (Hagenbuch) in der Gemeinde Tablath. Hier befand sich ein Wiedertäufer, Namens Leonhard Wirth, von Lichtensteig, welcher hier die Weberei erlernte, und in der Folge die Verena Baumann heirathete. Sie begab sich zu ihm in den Webkeller, und beschwur ihn, bei allem was ihm theuer sei, herauszukommen, und dem Herrn nachzufolgen. Auch er verließ seinen Webstuhl und war gehorsam.

Diese fröhliche Nachricht, daß Christus sogar im Hagenbuch angekommen sei, wurde von den übrigen Jüngern in und vor der Stadt allenthalben verbreitet. Ja die Martha und Maria begaben sich zu ihren Freundinnen, und riefen mit eifrigen und hitzigen Worten: wir beschwören euch bei der Kraft Gottes, daß ihr hinaus gehet gen Buch, allda ist Christus der lebendige Sohn Gottes. Etliche giengen hinaus, etlichen aber fiel die treue Warnung Christi ein, so er spricht: Es werden kommen falsche Propheten und sprechen: siehe hier ist Christus oder da ist er, - hütet euch vor ihnen, und gehet nicht hinaus, Matth. 24. 23. 24. Diese gaben den Abgeordneten ihr höchstes Mißfallen über solche unbesonnene Reden zu erkennen, kamen zur Erkenntniß, und gaben von nun an ihre Gemeinschaft mit einer Weibsperson gänzlich auf.

Nachdem sich nun in Buch viel Volk versammelt hatte, beichteten sie einander ihre Sünden, die sie Zeit ihres Lebens begangen hatten, und solche Sachen, daß Keßler behauptet, ehe würde ein vernünftiger Mensch sich alle Adern ausziehen lassen, als solche Dinge von sich bekennen. Verena, die die wahnsinnigste unter allen war, brach vor allem Volke in die Worte aus: sie müsse den Antichrist gebähren, und bald darauf: sie müsse das Knäblein zur Welt bringen, von welchem in der Offenbarung Johannis 12,1-4 stehe. Nach solchen Reden nun befahl sie den Anwesenden sich nackend auszuziehen, was ihr Apostel Petrus, die Barbara Mürglin auch ohne alle Widerrede that. Nun setzten sie sich nackend, wie sie Gott erschaffen hatte, vor allem Volke auf den Erdboden, und dies geschah im Monat Dezember, 14 Tage vor Weihnachten! Eine Mannsperson, welche ihr gegenueber saß, gab ihr zu verstehen, sie möchte doch wenigstens ihre Schaam bedecken; das nahm sie so übel, daß sie ihn deshalb hart züchtigen wollte. Ueberhaupt, wenn man ihr nur im mindesten was einredete, so wurde sie so zornig darüber, daß sie den Andern zerreissen wollte.

Es war Nacht, und schon spät; alle legten sich zur Ruhe, denn sie waren müde, und suchten den Schlaf. Nur Verena fand ihn nicht. Sie hatte weder etwas gegessen noch getrunken, sondern brachte in einer Art von Wahnsinn die Nacht zu; einstmals sagte sie: Judas müsse sich denken! Wirklich trat auch ein Wiedertäufer hervor, um diesen Befehl zu vollstrecken, und indem er hastig zur Thüre hinauseilen will, stößt er sich so gewaltig mit dem Kopf an die Thürpfosten, daß ihm Hören und Sehen und zugleich die Lust vergieng sein Vorhaben auszuführen. Die Verena aber lief eilends mit den Worten zur Stubenthüre hinaus: wer in das Reich Gottes kommen will, der folge mir nach. Von diesem Lärm wurden die übrigen, in der Ruhe befindlichen Personen wachbar, und folgten ihr wirklich nach; da es aber völlig Nacht und Verena voraus geeilt war, konnte sie Niemand finden, so daß die Vernünftigern unter ihnen auf den Gedanken kamen: sie möchte sich wohl gar aufgehenket haben. Da diese wieder in das Haus zurückgekehrt, und in großer Besorgniß bei einander waren, kam sie endlich, bis an den Gürtel des Leibes ganz durchnäßt, herein; man erfuhr nun, daß sie in den Bach gelaufen, und darin herum gestampft wäre. Da es aber sehr kalt war, fror sie stark, und man fand für gut, sie ins Bett zu bringen. Kaum hatte sie sich etwas erwärmt, so trat der Parexismus wieder bei ihr ein, so daß sie das unsinnigste Zeug unter einander schwatzte, und öfters auffuhr und rief: hier liegt die große Hure von Babylon, mit welcher gehuret haben alle Geschlechter der Erde; wiederum: hier liegt der wahre lebendige Sohn Gottes u.s.w. Mit solchen und ähnlichen Ausdrücken fuhr sie den ganzen Tag fort, so daß man sich nicht wundern durfte, daß der Hausherr, dieser Auftritte müde, dieses Unwesen nicht länger bei sich dulden wollte. Sämmtliche Schwärmer eilten daher davon, und warfen bei ihrem Weggehen ihre Geldseckel und das darin befindliche Geld in die Stube und sprachen: das soll seyn zum Zeugniß über euch, daß ihr den Herrn ausgetrieben habt. - Mit diesen Worten suchten sie nun die Wohnung eines andern Wiedertäufers auf.

Unterdessen hatte man in St. Gallen und in der Umgegend diesen Unfug vernommen, und aus allen Gegenden lief das Volk herbei, um zu sehen, ob es dem also sey. Der Stadtmagistrat, der nun nicht wünschte, daß die Verena und ihre Mitschwärmerinnen gefänglich eingezogen, und wohl gar zum Tode verurtheilt würden, weil der Unfug in des Abts Gerichten getrieben worden war, nahm diese drei Weibspersonen mit Erlaubniß der äbtlichen Beamten, in gefängliche Verwahrung. Auf dem Wege zum Rathhaus ermahnten sie das Volk mit lauter Stimme zur Buße und Besserung, denn der Tag des Herrn sei nahe, und schon dem Baume die Axt an die Wurzel gesetzt worden.

Ihr Aufzug harmonirte ganz mit dem innern Zustande ihres Gemüths, besonders aber zeichnete sich Verena aus, die mit wild herabhängenden Haaren, zerstörtem Gesichte, schäumendem Munde einhertrat, alle ihre Gliedmaaßen verzerrte, und unaufhörlich mit den Händen rang, gleich einer Person, die in einem starken Fieber liegt, so daß sich Jedermann darüber entsetzte, und - wie Keßler meldet, besonders schwangere Frauen in Schrecken versetzt wurden.

Der versammelte Bürgermeister und Rath ließ nun die vermeinte Martha und Maria wegen verübter Unzucht an den Pranger stellen, und ihren Verwandten mit dem Beifügen übergeben, daß man eine Zeitlang Niemand zu ihnen lassen, sondern diese Geisteszerrütteten mit kräftigen Speisen versorgen möchte, in der Hoffnung, daß sie durch eine freundschaftliche Behandlung wieder zu Verstande kommen möchten.

Der Verena aber, weil sie nicht Bürgerinn, sondern von Appenzell gebürtig war, wollte man die Freiheit schenken, und nach Hause gehen lassen, aber sie schlug diese Begünstigung aus. Man wollte sie daher in einem Bürgerhause vertischgelden, warten und pflegen lassen, und sogar die Kosten selbst tragen (!) aber auch dazu wollte sie sich nicht verstehen, sondern sagte: weil sie nicht freiwillig gekommen sei, so wolle sie auch nicht wieder freiwillig gehen. Daher schaffte man sie ins Seelenhaus1) gab ihr ein besonderes Gemach, und legte sie gleich einer Wahnsinnigen an Ketten. Mehr als 6 Wochen saß sie hier in Verwahrung, und wurde von den Predigern der Stadt besucht. Aber alle Bemühungen derselben und einiger vernünftigen Leute von der Secte der Wiedertäufer, die zu ihr kamen, waren nicht im Stande etwas bei ihr auszurichten. Nach und nach wurde sie ruhig, und da sie auf dem Wege der Besserung zu seyn schien, hätte man gern gesehen, wenn sie sich nach ihrer Heimath verfügt hätte, sie that's aber nicht; man sah sich als genöthiget, sie aus den Stadtgerichten zu verweisen.

Als dies ihre Anhänger erfahren hatten, liefen sie ihr nach, und trieben in den Dörfern der Appenzeller Rhoden ihr unsinniges Leben nach wie vor. Viele Landleute von dort, beiderlei Geschlechts schlugen sich zu ihnen, und trieben in den Häusern und Wäldern ein ärgerliches, abscheuliches Leben, und wenn sie etwa einen Unwiedergetauften erblickten, riefen sie ihm zu: o du verstocktes blindes Herz! das höllische Feuer wird dich taufen!

So saßen diese verblendeten Leute Tag und Nächte, ohne etwas zu arbeiten, unverdrossen bei einander, oder liefen ins gesammt, denn keiner wollte von dem andern bleiben, über Berg und Thal, vernachläßigten ihre häuslichen Angelegenheiten, Ehegatten und Kinder. Viele stießen ihre Thüren auf, und warfen alle ihre Haabe, Geld und Kleidungsstücke zum Haus hinaus, und ließen es gern geschehen, wenn sie von andern hinweg getragen wurden. Sie hatten sich nämlich vorgenommen, nichts mehr zu arbeiten oder zu hantieren, weil sie meinten, Gott werde sie schon speisen. So gab eine arme Wiedertäuferin vor, sie stehe im Umgang mit den höhern Geistern, und habe vom Engel Gabriel das Versprechen erhalten, er wolle ihr Brod vom Himmel senden. Auf vermeinten Befehl dieses himmlischen Freundes, legte sie das Tischtuch auf, und lud alle Nachbarn zusammen. Gott, sagte sie, wird alsbald Manna und Kuchen vom Himmel senden. Aber es erschien kein Manna und keine Kuchen. Endlich steckten daher die Gäste ihre Messer wieder ein, und begaben sich hungrig hinweg. Ein andres Weib rühmte sich, dass Gott sie auch ohne Speise erhalten werde, und fastete sich zu Tode.

Nun trat der Winter in Begleitung der Kälte ein, die armen Verblendeten klagten und seufzten nach Bedeckung. Hätten jetzt nicht mitleidige Nachbarn, die nicht zu ihrer Secte gehörten, aus Erbarmung und Liebe ihnen die Kleider aufgehoben und behalten, so hätten sie müssen Mangel leiden. Andere, die ihr Geld in der Beglaubigung, daß sie dessen nicht mehr benöthiget wären, von sich geworfen, suchten dasselbe im Mist, vor den Thüren und in den Ställen zusammen. Andere da sie sahen, daß sie an Speise und Trank ausgekommen waren, und vom Himmel herab keine Nahrung, und eben so wenig die gehofften Zufuhren von Rorschach aufkommen wollten, sahen sich genöthiget, ihr eigenes Werkzeug wieder hervor zu suchen, um etwas zu verdienen. Sie mußten daher zu ihrem größten Schaden ersehen, wie strafbar es sei, wenn man Gott versucht, der zwar für uns sorgt, und Speise bereitet, aber auch an eine natürliche Ordnung der Dinge uns verwiesen hat.

Im Appenzellerlande waren bei 1200 Personen von diesem Wahnsinne ergriffen; sie verließen ihre Wohnungen, Geschäfte und Angehörige, und liefen müßig umher. - Mit mehr Strenge und Nachdruck als in St. Gallen verfuhr hier die Landesobrigkeit gegen sie. Alles unordentliche Zusammenlaufen wurde ernstlich untersagt. Jeder der von seinem Nachbar aufgefundene Sachen und Geräthschaften hatte, mußte sie zurückgeben. Andere, die ihr Haab und Gut so leichtfertig verscherzt hatten, wurden als Wahnsinnige betrachtet, und unter Vormundschaft gesetzt, bis sie wieder zur Besinnung gelangt, und zu einer gesetzlichen Ordnung zurück gekehrt waren.

1)
Seelenhaus ist das Spital für Fremde, Knechte und Mägde, welche in St. Gallen erkranken. Diese finden darin entweder mit keiner oder gar kleiner Bezahlung die nöthige Wartung, Speise und den Arzt. Alles zwar nicht im Ueberfluß, doch genug. Weil der Kranke auch an der Seele seine Pflege erhält, so mag aus diesem Umstande, der Name dieser wohlthätigen Anstalt entstanden seyn.
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