11) Sie zerfallen in mehrere Secten, und täglich kommen neue Meinungen unter ihnen auf

Eine geraume Zeit lang verstrich keine Woche, daß nicht fremde Lehrer nach St. Gallen gekommen, und sich unterstanden hätten, das Volk zu belehren und zu unterrichten. Jeder aber trug seine eigenen seltsamen Meinungen vor, und schien von einem geistlichen Stolze aufgeblasen zu seyn.

Zuerst kam Johannes Denk, welchen sie nur den Nürnberger nannten, ohne Zweifel, weil er eine Zeitlang daselbst als Lehrer gestanden hatte. Eigentlich war er aus dem Bayerischen gebürtig, und in der hebräischen und in andern alten Sprachen wohl erfahren. Er hatte auch einige Schriften vom freien Willen und andern Inhalts herausgegeben, und dem Ludwig Hetzer 1) bei der Uebersetzung der Propheten aus dem Grundtext ins Deutsche, 1527 beigestanden. Er gehörte zwar zu der Secte der Wiedertäufer, und nahm auch seine Einkehr bei ihnen, gab sich aber mit dem Taufen Anderer wenig ab, und lehrte, daß kein Mensch, selbst der Teufel und seine Mitgenossen nicht ewig verloren wären, sondern nach einer bestimmten Zeit, alle wieder selig würden.

Hierüber berief er sich auf die Stelle Pauli 1. Timotheum 2,4: Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Auch spräche Christus: es würde ein Hirt und eine Herde werden. Zwar rede die hl. Schrift von einem ewigen Feuer, dies sei aber gewiß nicht anders als von einer Zeitlang zu verstehen, gleich wie Gott die Beschneidung und andere Ceremonien im alten Testamente, ewig zu halten geboten habe, und doch hätten sie ihr Ende im neuen Testamente gefunden und dergleichen Dinge mehr. - Johannes Denk kam in der Folge nach Basel, und wurde daselbst von der Pest überfallen, aber bei diesem Anlaß durch Oekolampads treue Bemühungen zur bessern Erkenntniß gebracht. Dieser besuchte ihn nämlich in seiner Krankheit häufig und belehrte ihn eines Bessern, so daß er seine Irrthümer bekannte, mündlich widerrief, und in reiner Erkenntniß der Wahrheit ganz christlich starb. Uebrigens war er ein sehr redlicher und dabei demüthiger Mann, von langem Wuchs, freundlich und züchtigen Wandels, der auch allen Ruhm verdienen würde, wenn er nur sein Gemüth und Lehre nicht mit so groben Irrthümern befleckt hätte.

Nun trat Anton Kürsiner einer der Gefangenen auf, welche in Zürich aus dem Gefängnisse gebrochen waren. Denn da er in seinen Kanton nicht mehr zurückkehren durfte, wandte er sich in des Abts von St. Gallen Besitzungen, und schlug unter den Gotteshausleuten, in der Gemeinde Tablath, seine Wohnung auf. Hier gieng seine Absicht dahin, gleich wie zu Zollikon am Zürichersee, eine Gemeinschaft der Güter einzuführen. Diese Lehre fand aber wenig Ein- und schlechten Fortgang, weil jeder der Etwas hatte, dasselbe zu behalten wünschte. Um aber doch etwas neues aufzubringen, so legte er seinen Anhängern den Spruch Jakobi 5,16: bekenne einer dem andern seine Sünden aus, und lehrte nach demselben, daß jeder, welcher ein Christ seyn wolle, dem andern seine Sünden öffentlich vor der Gemeinde bekennen solle, und besonders die, welche ihn am meisten schmerzten. Nun wollte ein jeder für einen Christen angesehen und gehalten seyn, daher beichtete einer dem andern seinen Diebstahl, der andere seinen Ehebruch ec. Hierüber geriethen manche in großen Mißkredit, da man Sachen von ihnen öffentlich erfuhr, die sie vorher, auch ihren besten Freunden, nicht geoffenbahret hätten. Besonders kränkten sich die Frauen hierüber, wie sie vernahmen, wie ihre Männer ihren Ehebruch bekannten und statt der Absolution sagten: das vergelt euch der Teufel.

Zu solchem Unsinn und Ausschweifungen aller Art führte das eigenmächtige und übelverstandene Schriftauslegen, wodurch die zarte Pflanze der Reformation in ihrem ersten Aufblühen zu St. Gallen fast wieder erstickt worden wäre. Die Römischkatholischen hielten die Annahme der Wiedertaufe, und das Bekennen zu dieser Secte gewissermassen für eine gänzliche Verläugnung des christlichen Glaubens, und verachteten diese Leute. Die Evangelischen waren über diese Schwärmer aber noch aufgebrachter, weil ihnen von den Katholischen die Schuld dieses schwärmerischen Unwesens beygelegt und zugerufen wurde: sehet, wohin euch eine unberufene und schlecht verstandene Bibelauslegung führt!

Dies war auch der Fall mit einem gewissen Goldschmied, welcher damals in St. Gallen auftrat. Er gieng in den Dörfern des Appenzellerlandes umher, und hielt den Wiedertäufern den Spruch Christi, Matth. 18,3 vor: es sei denn, daß ihr werdet wie die Kinder, sonst werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Er ermahnte daher die Leute ohne Unterlaß, daß wo sie versammelt wären, sie sich sollten kindisch stellen, und geberden. Dies gefiel besonders dem weiblichen Geschlecht, das denn alsbald ein völlig kindisches Wesen annahm. Nun schlugen und tätschten die Wiedertäufer die Hände zusammen, und sprangen wie die Kinder in die Höhe; setzten sich nackend und bloß auf die Erde nieder, und ließen sich - schreibt Keßler, wie man kleinen Kindern zu thun pflegt, sal. v. den Hintern reinigen, spielten im Staube auf den Gassen, zogen Tannzapfen an kleinen Fäden befestigt, hinter sich her, und was dergleichen Unsinn mehr war. Jemehr sich einer nun nach leiblichen thörichten Geberden den Kindern gleich zu stellen bemühet war, desto näher vermeinte er dem Spruche Christi nachzuleben.

Noch besonders wurden die Weiber und Töchter von dieser unsinnigen Schwärmerei überfallen, indem sie sich um die Ohren herum die Haare abschnitten, und sich dieselben nicht mehr, wie vorher, flechten wollten. Auf die Frage: warum sie diese wider alle Sitte und Gewohnheit abgeschnitten hätten, gaben sie dieß zur Antwort: mit diesen Haaren hätten sie durch Hoffart gesündiget, daher wollten sie sie, gleich einem Gliede das zur Aergerniß diene, von sich werfen, wie Christus bey Matth. 5,29 u. 30 befohlen habe: ärgert dich dein Auge oder Hand ec. Wenn man ihnen nun entgegnete, daß wenn sie nach diesem buchstäblichen Sinne je leben wollten, so sollten sie sich billig die Augen auch ausstechen und die Hand abhauen, weil diese und nicht das Haar benennet würden, indem sie ja mit diesen so wohl als mit den Haaren gesündige hätten. Wenn man ihnen ferner einwandte: Paulus schreibt an die Corinther im ersten Briefe 11,6: Es stehe einem Weibe übel an, daß sie beschnittene Haare habe oder beschoren sei, indem die Apostel im Gegentheil lehrten und vermahnten das Haupt zu bedecken und zu verbergen, auch nicht mit Gold oder Silber und allerlei überflüssigen Flechten zu zieren - so zogen sie solche Einwendungen in bloßen Scherz und Gespött.

Keßler hatte also recht, wenn er schreibt: „wie ich diese beschornen Weiber und Töchter gesehen, haben sie mehr Hoffart und Arbeit mit täglichem Haarflechten, und ordentlichen Richten, wie sie die Stumpen mit sammt den Haarbüscheln möchten hinter den Ohren behalten.“

Mehrere unter ihnen traten als Propheten auf, ermahnten die Leute zur Buße und sprachen: der Tag des Herrn sei vor der Thür, und bestimmten sogar den Zeitpunkt, wenn der jüngste Tag, und mit ihm der Herr auf Erden erscheinen würde. Daher liefen unzählige von ihrer Arbeit hinweg, und ließen sich taufen, weil keiner der Letzte ungetauft erfunden, und verdammt werden wollte. Denn die bloße Taufe hielten sie für das erprobteste Mittel, der Verdammniß zu entfliehen. Anfänglich setzten sie diese Ankunft auf Ostern, und da Christus nicht erscheinen wollte, noch weiter hinaus, ohne zu bedenken, wie lächerlich sie sich dadurch machten, weil ihre Reden nie eintrafen.

1)
Ludwig Hetzer von Bischofzell, ein eifriger Anhänger der wiedertäuferischen Schwermer, und ein Mann von vielen Einsichten und Talenten, aber schlechten Sitten. Da nach wiedertäuferischen Lehren und Grundsätzen unter ihnen Gemeinschaft der Güter und Weiber herrschte, so bediente er sich dieser Erlaubnis dermaßen, daß er nach Otts (histo. anapbapt. §.4.p.50) Zeugniß, 13 Weibspersonen soll geschwängert haben. - Solche saubere Cameraden finden wir leider unter unsren Separatisten der östlichen Schweiz noch heut zu Tage. Sie wollen entweder gar nicht heirathen, oder wenn sie schon im Ehestande stehen, so halten sie die eheliche Beiwohnung für Sünde; aber unter einander schämen sie sich der Hurerei und des Ehebruchs keineswegs. Die pseudoheilige Margrethe Peter von Wildensbuch ist ein redendes Beispiel davon, und solche Personen beiderley Geschlechts, könnten wir aus unsern Umgebungen mehrere anführen.
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