Forstmann, Johann Gangolf Wilhelm - Siebente Betrachtung.

Forstmann, Johann Gangolf Wilhelm - Siebente Betrachtung.

Und Jesus rief laut und sprach: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt, verschied er.
Luc. 23, 46.

Das ist das letzte Wort, das der Heiland am Kreuz geredet. Nach diesem schließet sich sein Mund. Er rief laut.

Wie er kurz vorher die wehmüthige Jammerklage: „Mein Gott! Mein Gott! warum hast du mich verlassen?“ mit einem lauten Geschrei ausrief, so hörte man gleichfalls bei diesem letzten Worte seine starke und laute Stimme. Wir lesen zu unterschiedenen Malen in der Lebensgeschichte des Heilands, daß er seine Stimme erhoben und laut gerufen. Er hat seinen Grund, warum er auch diesen seinen letzten Seufzer mit lauter und erhobener Stimme in das Herz seines Vaters schüttet.

Dies Rufen gehört zu seinem hohenpriesterlichen Amte; er ruft laut uns zu Gute und für uns. Je heftiger ihn die Last unserer Missethaten gedrücket, desto stärker ist seine Stimme geworden, so, daß sie sich endlich nach Ebr. 5, 7. in ein starkes Geschrei verwandelt, welches er seinem Vater geopfert. Nun dürfen wir uns aufs Bitten und Flehen legen. Und wenn auch in den Stunden der Angst unser Gebet in ein lautes Geschrei verwandelt wird, so ist es in diesem Opfer des lauten Rufens Jesu schon geheiliget, und Gott angenehm gemacht, daher dasselbe nicht verschmähet, sondern gewiß erhöret wird. Ja dem Geschrei unsers Mittlers haben wir es zu danken, wenn wir das Rufen des Geistes in unserm Herzen hören: Abba, lieber Vater. Gal. 4, 6.

Was rufet er aber? Jesus sprach: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.

Sein ganzes Haus ist bestellet. Seinen Feinden ist alles vergeben. Der Schächer ist errettet. Seine Freunde sind getröstet. Der Angstkelch unter der Verlassung Gottes ist ausgeleeret. Ueber seinen Durst hat er sich erkläret. Alles ist vollbracht. Das Testament der Gnade ist geschlossen, und die Welt erlöset. Er denket an die Ueberlieferung seines Geistes in sichere Hände und wendet sich zu seinem Vater: „Vater ich befehle meinen Geist in deine Hände.“

Der hohe Rath zu Jerusalem hatte den Heiland zum Tode verdammet, weil er gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Hier bezeuget er aber nochmals, daß er bei diesem Bekenntniß beharre und dasselbe mit dem Tode versiegeln wolle. Wollen wir einen Beweis haben, daß er Gott ist! Da ist er. Er nennet Gott seinen Vater, so muß er auch sein wahrer Sohn sein. Er ist der Glanz der Majestät Gottes und das Ebenbild seines Wesens. Ebr. 1, 3. Seine Herrlichkeit soll uns beim Anschauen seiner elenden und schmählichen Gestalt am Holze nicht unbekannt bleiben. Darum heißt es: Vater.

Und also legte er zugleich mit diesem Worte an den Tag, daß er derjenige war, als den er sich ausgegeben, nämlich der Heiland der Welt. Er rechtfertigte sich damit vor den Menschen, daß er sich nicht mit seinem Vertrauen von Gott abgewendet, wie der Spottgeist ihn kurz vorher beschuldiget; er bezeuget hiermit, daß er nicht um seiner eigenen, sondern um fremder Sünden willen den Tod schmeckte; daß er für seine Person unschuldig sei und für die Sünden der Welt ein Opfer bringe. Er wurde aber auch schon jetzt vor Gott gerechtfertigt, indem die Aufnahme seines Geistes in die Hände des Vaters ein gewisses Merkmal war, daß er für die Missethat der ganzen Welt genug gethan Und von aller ferneren Schuld und Strafe derselben losgesprochen worden war.

Wer erkennet daraus nicht, daß der Vater den Sündern gnädig sei? Wäre der Gerechtigkeit nicht ein volles Genüge geschehen, wie hätte unser Bürge sich den Händen seines Vaters so zuversichtlich befehlen können?

Es wurde aber auch durch dies Wort offenbar, daß er der wahre Hohepriester des neuen Testaments sei. Sein letzter Seufzer beweiset noch, daß er mit einer priesterlichen Handlung beschäftigt ist.

An jenem großen Versöhnungstage des alten Bundes mußte der Hohepriester ein Sündopfer schlachten. Er mußte aber auch in das Allerheiligste gehen, das Blut des Opfers mitnehmen, dasselbe vor das Angesicht des Herrn bringen und gegen den Gnadenstuhl sprengen. Das war der Schatten; hier ist das Wesen. Unser Hoherpriester stellet sich selbst zum Opfer dar. Er vergießt sein eigen Blut. Damit ist Alles vollendet. Sein Geist gehet noch an dem Tage ins Heilige und tritt vor das Angesicht Gottes. Da ist der Beweis, daß er sein blutiges Priesterthum aus der Erde ausgeführet.

Unser treuer Hoherpriester hat aber auch sein letztes Wort geredet uns zu Gute, zur Stärkung unsers Glaubens.

Dieser höret hier den Gott rufen, an den er sich einzig und allein hält; er höret zugleich den wahren Menschen, der unsere Natur angenommen hat. Wir erblicken am Kreuz den gemarterten Leichnam eines Menschen. Und daß in demselben eine wahre menschliche Seele wohne, davon werden wir durch das Wort belehret: „Ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ Daher schließet sich der Glaube in Alles, was er ihn thun und leiden stehet, mit ein, und redet darauf die Sprache: Ich bin mit ihm an's Kreuz gehenkt, ich bin in seinen Tod versenkt, ich steh' in seinem Mute.

Und so ist sein letztes Wort uns auch ein gewisses Unterpfand, daß er uns damals seinem Vater mit angezeiget, und unsre Seelen, die auf seine Seele gebunden waren, zugleich in dessen Hände befohlen.

Wenn wir nun unsre unsterblichen Seelen den Händen Gottes anvertrauen wollen, so können wir solches mit desto größerer Freudigkeit, weil der Heiland sie schon in der Stunde, da er starb, denselben überliefert hat. Und wie sicher sind sie nicht da verwahret! Wer will uns aus den Händen reißen, denen nimmer nichts entfallen ist, was sich ihnen übergeben hat? Aus den Händen, die Wundenmale tragen? Ueber denen wir die Überschrift lesen: Niemand wird sie aus meiner Hand reißen? Joh. 10, 28. Wollen wir nun in die Hände eines erzürnten Richters fallen, da der sterbende Mittler unsre Seelen mit seinem Geiste den Händen seines Vaters eingereichet hat? Das müsse ferne sein. Laßt uns gläubig auf ihn sehen und freudig ausrufen: „Es kann uns Dir nichts nehmen, wir sind in Deiner Hand!“ Er läßt doch unsre Seelen nie aus seinen treuen Armen, und thut nichts anders spät und früh, als unsrer sich erbarmen. Weil er nun für uns gebüßet und den Tod von Gottes Gnaden für uns geschmecket hat, so sind wir die glückseligsten Geschöpfe auf Erden, sofern wir unser Gesicht nur nach dem Blutpanier unsers Lammes richten. Wer sich deß tröstet, der ist erlöst, dem kann fürwahr, nun ganz und gar, kein Tod noch Teufel schaden. Wir bringen jetzt unsre Tage im Segen und Friede zu, weil wir glauben, daß wir einen solchen treuen Seelsorger haben. Auch des Todes Schreckgespenst wird verächtlich angeschaut, wenn man seiner Gnade traut. Wenn unser Geist seine bisherige Wohnung auf eine kurze Zeit verlasset, so ist da an keinen Tod, an kein Ringen mit dem Tode zu gedenken. Wir schlafen ein, bis auf den Tag, da das Samenkörnlein unsers Lebens, das auf sein Beet, in Hoffnung reicher Frucht, gesäet ist, so herrlich wieder hervor grünen wird, und unsre Seele geht indessen hin das Lamm zu küssen. Am Ende aller Noth hält uns unser Herr und Gott. Das ist es, was wir dem letzten Seufzer unsers Herrn zu danken haben.

Damit schließen wir unter Furcht und Hoffnung.

Wir hoffen, ja wir glauben, daß diese letzten Predigten, die unser so tief erniedrigter Gott, mit starkem Geschrei, mit weinenden Augen, mit einem unaussprechlichen Verlangen nach unsrer Seligkeit, vom Kreuze gehalten, und darauf sein Haupt geneiget und verschieden, euch ermuntern werden, denselben so nachzudenken, daß ihr die Kraft dieser Worte, zur Rettung eurer theuer erlösten Seelen erfahret. Wir fürchten aber auch, daß wir bei manchen nichts weiter ausgerichtet, als ihnen damit alle Entschuldigung benommen, die sie sonst noch anführen könnten, wenn sie zur Rede gestellet würden, warum sie den Rath Gottes von ihrem Heile verachtet.

Diese letzten Reden Jesu haben an Millionen Seelen ihre seligmachende Kraft schon bewiesen, und sie haben noch nichts von ihrer mächtigen Wirkung verloren. Sie sind nach beinahe zwei tausend Jahren eben das, was sie in der Stunde waren, da sie unser sterbender Hoherpriester unter ängstlichem Herzklopfen aussprach. Und das ist die Ursache, warum es Seelen giebt, denen sein lautes Geschrei, seine letzten Seufzer den Eindruck machen, der ihnen das Leben giebt, ja das ewige Leben. Daher können sie dieselben nicht vergessen, sondern sie sind ihnen immer so neu und wichtig, als hätten sie in der Gesellschaft der Marien und Johannis gestanden, und alles persönlich angehöret.

Und was ist es Wunder? Wie diese Nachrichten, die sie vom Kreuze hören, den Glauben in ihren Herzen angezündet, so hat derselbe auch darin beständig seine Nahrung und wird durch dieselbe in seiner Kraft erhalten, bis er ins Schauen verwandelt wird. Alle Apostel und Märtyrer haben aus diesen Quellen ihre Weisheit, ihre Freudigkeit, ihren fast unglaublichen und bewundernswürdigen Muth geschöpfet. Und wenn der Vorhang zwischen Zeit und Ewigkeit wird weggerissen sein, so werden wir eine unzählige Schaar antreffen, die durch die Macht dieser Reden ihres Herrn dahin gebracht worden, wo er ist. Und wir, ach ja! wir wollen keine Vortheile davon genießen? Nur uns sollen diese mit dem Blute und Tode Gottes versiegelten Predigten nichts helfen? Wir wollen uns dabei anstellen, als ob sie uns nichts angingen? Das heißet unbarmherzig mit sich selbst umgehen und wider sein eigen Heil wüthen.

Lasset uns umkehren! Laßt uns an unsre Brust schlagen! Laßt uns Thränen vergießen, nicht über unsre Liebe, die wir am Holze sterben sehen, sondern über uns und unsre Härte, über unsern Unglauben und Gefühllosigkeit!

Laßt uns aufhören mit der Sünde zu scherzen, die wir in diesen Worten die Größe derselben, ihre Strafen und die Schärfe der göttlichen Gerechtigkeit erblicken. Laßt uns niederfallen vor der schrecklichen Majestät des Herrn, dessen Zorn über die Missethäter uns hier geoffenbaret wird. Da uns aber zugleich in diesen heiligen Reden unser Gnadenbrief eingehändigt, die Vergebung aller Sünden nicht nur angekündigt, sondern auch mitgetheilet und der Freibrief eingehändigt wird, so lasset uns dem Mann der Schmerzen zu Füßen fallen, und alles mit einem demüthigen armen Sünderkusse hinnehmen.

Diese Reden vom Kreuze sollen bei uns bleiben. Sie sollen unsre Herzen, Sinne und Gedanken einnehmen. Sie sollen den finstern Abgrund unsrer Seele erleuchten. Sie sollen uns einen immerdauernden Frieden und eine Freude verschaffen, die Niemand von uns nehmen kann. Dieser Schall soll uns in den Ohren klingen, wenn wir aufstehen, wenn wir uns niederlegen. Diese theuren Worte sollen uns das Verständniß öffnen, daß wir die Schrift verstehen. Sie sollen uns zum Schlüssel dienen, damit wir alle Schatzkammern Gottes aufschließen. Sie sollen unser Trost sein in Leibes- und Seelennoth.

Als Gott den Kindern Israel das Gesetz von der Heiligung der Erstgeburt gab und das Fest der süßen Brodte einsetzte, so fügte er die merkwürdige Ermahnung hinzu: Darum soll dies ein Zeichen in deiner Hand und ein Denkmal vor deinen Augen sein, auf daß des Herrn Gesetz sei in deinem Munde, daß der Herr dich mit mächtiger Hand aus Egypten geführet hat. 2. Mose 13,9.

Was sollen uns nun nicht diese Worte sein, in welchen uns das allergrößte Wunder vor die Augen gestellet wird, dadurch wir von allem Uebel, das uns drückte, erlöset sind? Wie? sollten wir uns die nicht ins Herz schreiben lassen? Wollen wir nicht lieber mit einem Herzen, das nichts scheuet, das sich vor nichts fürchtet, das auch alsdann getrost ist, wenn der Rest anderer Menschen zittert, unsre Tage zubringen? Wohlan! soll das geschehen, so nehmet alle diese Worte, und mit denselben die Marter, das Mut und den Tod eures Gottes hin, zum ewigen Unterpfande, daß nun Alles versöhnet ist, was im Himmel und auf Erden ist, damit, daß er Frieden machte durch das Blut an seinem Kreuze, durch sich selbst. Alsdann wird sich unsre Wüste in einen fruchtbaren Garten verwandeln, und man wird an euch Leute sehen, die sichs zwar nicht einfallen lassen, daß sie besser wären, als Andere, von denen man aber doch mit Wahrheit wird sagen können: Dies Volk hat Gottes Marter in Ehren!

Amen.

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