Danichius, Hilarion - Brüderliche Ansprachen (2)

Danichius, Hilarion - Brüderliche Ansprachen (2)

Meine lieben Brüder! Unter all den wunderbaren Dingen, die im Leben Johannis des Täufers vorkommen, nimmt nicht die letzte Stelle ein, daß er fast noch als Knabe, der kaum das Kindheitsalter überschritten hatte, Heimath, Aeltern und Verwandte verließ, dazu die Freuden dieser Welt verschmähte, und sich in die tiefste Einsamkeit der Wüste zurückzog, um einzig und allein mit Gott zu leben. Mit ihm ward er immer mehr eins und in demselben Grade ward er immer wunderbarer.

Der Mensch ist von Natur dazu bestimmt und geboren, an der Gesellschaft und Gemeinschaft mit seinesgleichen Freude zu finden, darum gewöhnt er sich nur sehr schwer an die Einsamkeit, darum liebt er durchaus nicht die Abgeschiedenheit. Wer aber so lebt, daß er sich vertrauten Umweg mit Niemand, außer mit Gott, verstattet, der scheint bereits nicht mehr zu den Menschen, sondern zu den Engeln zu gehören. Nicht mit Unrecht hat ein weiser Mann gesagt: „Ein einsamer Mensch ist entweder ein Engel, oder eine Bestie.“ Eine Bestie, wenn er ohne Grund den Verkehr und die Gemeinschaft mit Menschen meidet, deren Rath ihn lehren, deren Beistand ihm helfen kann. Ein Engel aber, wenn er aus gutem Grunde die Menschen um Gottes willen verläßt und sich mit Leib und Seele dahin wendet, wo er ganz Engelwerke thun kann, als da sind: an Gott hangen und Ein Geist mit ihm sein; Gott unaufhörlich in Gedanken tragen; ihn unablässig loben; seine Wohlthaten in dankbarem Gemüthe fortwährend erwägen; noch auf Erden weilen und schon mit einem Fuße die Schwelle des Himmels berühren.

Solch einer war der selige Johannes der Täufer, er war ein irdischer Engel, der in der Wüste ein Beispiel so seltener Frömmigkeit gab, daß vor ihm Niemand lebte, der ihm gleich käme, nach ihm wenige lebten, die ihn übertrafen. Auf ihn mag man das prophetische Wort anwenden: „Siehe, ich gab Flucht in die Ferne und blieb in der Einöde.“ Siehe, konnte er sagen, im Mutterleibe bin ich erfüllt mit dem heiligen Geiste, als Knabe that ich weit von mir alle Eitelkeit und Lust dieser Welt und blieb lange Jahre in der Wüste allein Gott und seinen Engeln bekannt.

Aber was that er in der Wüste? Unter sehnsüchtigen Seufzern und Gebeten wartete er auf den, der ihn selig machen sollte. Er wartete auf den Heiland, auf den Herrn Jesum, und rüstete sich auf seine Ankunft, darum ist er hernach auch gewürdigt worden, ihn mit seinen heiligen Händen zu taufen. Wer doch im Winkel gesessen und das Leben dieses Heiligen heimlich beobachtet hätte. Der würde ohne Zweifel wunderbare Dinge gesehen haben. Er hätte gesehen, wie er oft ganze Nächte im Gebete zubrachte, wie er bald seine Kniee beugte, bald seine Hände zum Himmel erhob, bald sein Antlitz mit Thränen benetzte, bald an seine Brust schlug. Er hätte ihn gesehen im rauhen, härenen Gewande, die Glieder in den Staub gestreckt, erschöpft von langem Fasten und kaum bei sinkender Sonne ein wenig Honig und Wasser genießen. Mit einem Worte, er hätte ihn in irdischem Körper ein englisches Leben führen sehen.

Wer kann mit dem Geiste fassen und mit Worten aussprechen, was für heftige Versuchungen vom bösen Feinde des menschlichen Geschlechtes jener erfahren und was für Siege er hiebei davongetragen haben mag. Es knirschte die höllische Bestie, daß der Knabe in der Wüste ihrer spottete, sie knirschte, daß sie von ihm besiegt ward, und daß sie diesen Knaben ebenso wenig, wie einen schweren Stein, von der Stelle bewegen und zur Sünde verleiten konnte. Vielmehr ward der Knabe stark in dem Herrn und kämpfte als ein Mann. Denn der Engel des Herrn lagerte sich schützend fortwährend um ihn, daß er nicht übermocht würde; gewiß war er es werth, daß ihm also gedient ward, da er um Gottes willen auf allen Dienst von Menschen verzichtet hatte. Denn wenn einer um Gottes willen die Menschen verläßt und einzig und allein Gott von ganzem Herzen dient, so ist gar nicht möglich und denkbar, daß er von Gott verlassen werden sollte.

Meine geliebten Amtsbrüder, einen guten Theil unseres Lebens bringen wir in einsamer Arbeit zu, und wir wollen uns freuen, daß wir öfter aus dem weiten Meere dieser Welt in den stillen Hafen der Einsamkeit einlaufen dürfen, aber doch wollen wir die Furcht und Sorge nicht bei Seite setzen, daß uns in dieser Einsamkeit vom Widersacher eins versetzt werden könnte. Denn der einst die Väter in der Wüste auf die verschiedenste Weise versucht hat, der schläft und schlummert nicht bis auf den heutigen Tag. An meisten lauert er den Einsamen auf und sucht, wie er sie in die Ferse steche.

Die Einsamkeit ist ja gut, ja sie ist das Beste für einen, der sie recht anzuwenden versteht, aber sie ist ein Uebel für den, der sie nicht mit fleißiger Arbeit auszufüllen weiß. Was hilft es, dem Leibe nach allein zu sein, aber im Geiste einen bunten Schwarm von Gedanken zu hegen? Zwischen den vier Wänden seiner Studierstube zu sitzen und mit den Gedanken an aller Welt Enden umherzuschweifen? Diese Art Einsamkeit gefällt Gott nicht, sondern jene gefällt ihm, in der sich mit dem Leibe zugleich auch der Geist befindet.

Also gefielen einst Gott und wurden von ihm bewährt gefunden viele Patriarchen und Propheten. So blieb Adam gerade so lange im Stande der Unschuld, als er allein war, und er fiel, sobald er die Eva zur Genossin erhielt. Als Abraham allein in der Thür seines Zeltes saß, ward er von den Engeln besucht. Als Jakob allein im Gebete verharrte und mit dem Engel rang, empfing er den Segen. Als Moses allein in der Wüste war, sah er den brennenden Busch und hörte er Engelworte. Elias wird allein in der Wüste von einem Engel gespeist. Hesekiel muß allein aufs Feld gehen, um Gesichte zu sehen. Die Jungfrau Maria endlich ist allein, als der Engel die begrüßt. Doch genug.

Aber ist es nicht schwer, auf länger allein zu sein? Gewiß ist es nichtff Jedem gegeben, und in rechter Weise allein sein lernt nur, wer dem Rathe des Hieronymus folgt, der da spricht: „Durchwandele im Geiste das Paradies und rede mit Gott, so wirst du nicht allein sein.“ Die rechte Einsamkeit ist mit dem Paradiese zu vergleichen.

Nun stand im Paradiese der Baum des Lebens und der Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses, und vier Flüsse sprudelten dort hervor. Der Baum des Lebens in der Einsamkeit ist Gott selbst, wer von diesem Baume gegessen hat, der wird ewiglich nicht sterben. Kommt über dich in wasserarmer Einsamkeit Elias-Ueberdruß, so eile zu diesem Baume und schmecke, wie freundlich der Herr ist, und schwerlich wirst du anderwärts nach anderm Troste suchen.

Der Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses ist die Gabe, das ganze Thun und Leben wohl zu ordnen, daß man wohl zu scheiden wisse Zeit und Zeit, die Zeit zum Lesen und die Zeit zum Beten, die Zeit zu schweigen und die Zeit zu reden, die Zeit zu wachen und die Zeit zu schlafen, die Zeit zur Arbeit und die Zeit für die Erholung. Zwischen dem allem hat der Einsame mit nüchterner Ueberlegung guten Unterschied zu machen, daß er nicht arbeite, wenn er beten sollte, und umgekehrt; nicht schweige, wenn er reden sollte, und umgekehrt; daß er nicht die Zeit, die zum Schlafen bestimmt ist, zum Wachen, und die zum Wachen bestimmte zum Schlafen verwende.

Auch vier Flüsse müssen in der Einsamkeit quellen: Lesen, Nachsinnen, Beten, fromme Betrachtung. An das Lesen muß sich das Nachsinnen schließen, das Gelesene muß mit aller Sorgfalt wieder überdacht werden. Auf Nachsinnen folge Gebet, auf Gebet fromme Betrachtung, die ein süßer Vorschmack ist der himmlischen Güter. Weß Land diese Flüsse bewässern, der ist ein gut Land, in dem das Gold der göttlichen Liebe wächst und das Gold dieses Landes ist das beste. Weß Herzensboden aber diese Flüsse nicht wässern, der ist ein unfruchtbares Land und nahe dem Verderben.

Von diesen Flüssen ward reichlich durchzogen und befruchtet die Einsamkeit der alten Väter, die oft ganze Nächte im Gebete zubrachten. Einer von ihnen, obwohl er sich allzu großer Zurückgezogenheit ergab, sprach dennoch ein Wort, aus dem sich etwas lernen läßt: Gott weiß es, daß ich keinen Menschen hasse, aber die Menschen sind mir zu veränderlich und wandelbar, sie wollen nicht alle dasselbe; Gott hingegen ist immer ein und derselbe, in ihm ist kein Wechsel noch Wandel. Darum suche ich mehr den Umgang mit Gott, als mit Menschen, damit also mein Wille auf das Eine und höchste Gut gerichtet werde.

Laßt mich noch von drei Männern reden, die ein ganz verschiedenes Leben führten; auch von ihnen laßt uns lernen. Der eine war ein Schiedsrichter, der andere ein Krankenpfleger, der dritte ein Greis, der zu den Stillen im Lande zählte. Dem ersten glückte es wenig und selten, Streitige zu versöhnen, vielmehr gerieth er selber in große Unruhe; darum ging er zum zweiten, aber der bitte auch üble Erfahrungen genug gemacht. So beschlossen sie denn, sich zum dritten aufzumachen und ihn zu fragen, wie es ihm in seinem stillen Leben erginge. Als sie ihm ihre Noth geklagt hatten, füllte er ein Gefäß voll Wasser und hieß beide ihr Angesicht im Wasser beschauen. Da es noch unruhig war, so wartete er eine Weile, bis die Bewegung des Wassers sich gestillt hatte und es ganz klar geworden war; dann ließ er sie wieder in's Wasser schauen, und sie sahen ihr Antlitz ganz deutlich. Nun erst sprach er: Niemand vermag das Antlitz seiner Seele zu schauen im unruhigen Wasser des Lebens. So lange deine Seele ein unruhiges Wasser ist, vermag sich darinnen nicht zu spiegeln die Herrlichkeit Gottes mit aufgedecktem Angesicht … Was mag er wohl weiter gesagt haben? - Dem denket nach! Amen.

Quellen: Kessler, Hermann/ Senf, Friedrich - Fromme Betrachtungen aus alten Tagen. Nach der Ordnung des Kirchenjahres

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/d/danichius/danichius_2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain