Carnotensis, Arnoldus - Auf Palmarum.

Carnotensis, Arnoldus - Auf Palmarum.

Sieben Worte

"Es ist vollbracht! Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!"

Nachdem Johannes vom vermyrrheten Kelche und dem anderen Gespötte berichtet hat, das mit Christo am Kreuze getrieben ward, fügt er auch noch das Wort hinzu, das Matthäus, Markus und Lukas übergehen, das Wort, das Christus sprach, nachdem er Alles wohl ausgerichtet und das Testament der Gnade untersiegelt und die Anweisung auf das ewige Erbe ausgestellt hatte, um uns dadurch gewiß zu machen, daß nun Lehre und Werk der Gerechtigkeit voll ständig vollendet sei. Er sprach: „Es ist vollbracht!“ Und als er hierauf seinen Geist in des Vaters Hände befohlen hatte, neigte er, gleichsam Dank sagend, sein Haupt, und gab freiwillig seinen Geist auf

Also hat er die Opfer, die das Gesetz gebot, zum völligen Abschluß gebracht und an die Lösung der alten geheimnißvollen Räthel die letzte Hand angelegt. Die Erfüllung jenes „ganzen Opfers“ war herbeigekommen, als er sich ganz dem Vater darbrachte und zugleich Leib und Seele zum Opfer darstellte. Weil es für Leib und Seele des Menschen geopfert wurde, hat nun der ganze Mensch den ganzen Christus zu seinem Heilande. Während sein Fleisch zur Heilung des Fleisches am Holze in den Tod gegeben ward, ist ein Geist, um die Heiligung der Seelen zu Wege zu bringen, in die Hölle hinab und zum Himmel hinaufgestiegen, hat dort die ehernen Riegel zerbrochen, hier die Thore der Ewigkeit geöffnet. Aber ob auch die Seele Christi während jener drei Tage sich von ihrem Leibe zurückgezogen hatte, so hatte sie doch die Gottheit nicht gleicher Weise wie das Fleisch verlassen, sondern Gott blieb von ihr ungeschieden und versöhnte die Welt mit ihm selber. Er nahm von uns die Furcht des Todes durch seine schleunige Auferstehung. Von der bittern Angst, mit der uns giftige Lüfte erfüllt hatten, machte er uns frei durch seinen glorreichen Sieg über Himmel und Hölle. Und durch die Rettung Aller, die diese Heilsthat ermüdend lange erharrt hatten, stillte er auch das Sehnen der Engel, die über diese Begnadigung der Menschen Freude empfanden. Zwischen der Darbringung und der Wirkung seines Opfers war nicht ein einziger Augenblick, sondern in allergrößter Eile vereinten sich mit einander sein Leiden für die Sünder und die Vergebung der Sünden. Das Eine war so sehr im Andern enthalten, daß er zu ein und derselben Stunde sowohl den Himmel erfüllte, als das Gefängniß gefangen führte. Doch durften die Himmlischen jene Freude längere Zeit genießen, denn die Seele Christi kehrte nicht alsbald wieder in ihren Leib zurück, sondern hat in der Zwischenzeit mit der Gegenwart ihres göttlichen Lichtes die beglückt, die sie zuvor von so lange währender Finsterniß befreit hatte. Denen aber, die in der Welt waren, entzog er eine kleine Weile die Mittheilung seines Trostes, um durch den Verzug ihr Verlangen zu steigern und dann ihr ganzes Herz mit der Freude über seine Auferstehung zu erfüllen. Weil denn hierin der Sohn den Willen des Vaters erfüllte, und weil dadurch ein lange erwartetes und durch vielerlei Vorbilder angedeutetes Geheimniß, das von der Welt her verborgen gewesen war, ans Licht trat, so duldete Christus hinfort nicht mehr, daß das seiner Sünden entbürdete Volk mit unnützen frommen Bräuchen beschwert würde. Von nun an wäre es nicht rechtgläubig, sondern abergläubisch gewesen, wenn man mit dem reinen Weine im Kelche des Evangeliums die Hefen der alten Ceremonien hätte mischen wollen. Jedermann sollte erkennen: daß nicht nur seinen Leiden, sondern auch den Aufsätzen der Alten ein Ende gemacht sei; daß, nachdem die Wahrheit herbeigekommen war, die Schatten weichen mußten; daß die Gläubigen nicht länger überflüssiger Weise auf dornenvollen Pfaden und irreführenden Umwegen sich abmühen dürften, wenn die Wahrheit selbst ihnen den Weg zeigte und der öffentlich zu ihnen redete, der da sprach: Siehe, hier bin ich. Christus war nun gesalbt mit Freudenöle vor allen seinen Genossen, mit denen er der menschlichen Natur theilhaftig war, ja er hatte einen höheren Namen ererbt, denn die Engel. Angesichts dieses Oeles war die jüdische Salbung bereits zusammengetrocknet; es war die Zeit gekommen, den hohenpriesterlichen Leibrock abzuthun und die Götzen in Israel zu verbergen; Bezaleels künstliche Arbeiten in Seide und Erz mußten weichen den Realitäten voll Leben und Geist; es mußten in die Ferne treten die Schatten und Bilder und typischen Webstücke, als die Wahrheit selbst ihre unverhüllte Gestalt und ihren hellen Schein den Augen der Beschauer darbot. Darum steht am Ende der Leiden Christi ein deutliches Zeugniß, daß das Ende des Gesetzes herbeigekommen war. Alles was die mannigfaltigen Vorschriften des Gesetzes von Alters her mit der Böcke und Kälber Blut, oder auch mit allerlei Räucherwerk und Trankopfer zur Sühnung der Sünden zu thun geboten, das faßte die Gnade ins Kurze zusammen. Nachdem sie jenen so ermüdenden Weg abgekürzt, hat sie ein einiges Blut, ein einiges Brandopfer hingestellt, und dies einige Alles in sich fassende ganze Opfer so billig hergerichtet, daß auch der bettelärmste Mensch im Stande wäre es zu erkaufen und Niemand weder durch Person, noch durch Ort gehindert werden könnte, dies so werthvolle Gut zu erwerben. Ein Opferlamm also hat die Kirche, und es thut bei der Wiederkehr des Passahfestes nicht noch ein zweites zu suchen. Und da das Christenvolk Ein Geschlecht und Eine Familie bildet, genügt für das Eine Volk. Ein Opfer und wird in Einem Hause. Ein Tisch gedeckt. Die Gesammtheit der Christen hat. Ein Brot und Einen Kelch, und der Menge der Gläubigen wird die Eine Speise geboten, die wohl verzehrt, aber nie aufgezehrt wird; und wenn sie auch Alle erfüllt hat, bleibt immer noch übrig die Fülle. Alle Sabbathe wurden die Schaubrote erneuert, die warmen aufgelegt, die kalten hinweggenommen. Selbst dieser Wechsel der Brote zeigt an, daß die Opfer des alten Bundes, weil sie gleichsam erkaltet und ohne Lebenswärme waren, zur Zeit der Gnade in Wegfall kommen mußten. Unser Opferlamm ist ein und dasselbe, es werden nicht verschiedene in den verschiedenen Familien geopfert. Die Einheit der Kirche darf nicht zertrennt und zertheilt werden, darum ist es nöthig, daß alle ihre Glieder ein und dasselbe thun, ihre gemeinsame Anbetung nach ein und derselben Form und Regel verrichten und der Einigkeit jenes Opfers in der Einmüthigkeit ihrer ganzen Gesammtheit einen Ausdruck geben. Darin aber, daß zum Essen des Passahlammes, falls etwas übrig geblieben wäre, der nächste Hausnachbar herzugeholt werden mußte, liegt eine Hindeutung darauf, daß die Heiden zum Mitgenusse der Sakramente der Kirche hinzugeführt werden sollten. Fürwahr das Evangelium hat sie berufen, der Duft jenes Gastmahles hat sie angelockt und als eine gütige Mutter hat die Kirche den Genuß Allen verstattet, die da hungerte nach der Speise, die das jüdische Volk nicht ganz zu essen vermochte. Ist es nicht überhaupt eine Rede, die unsere Verwunderung erregt, und ein Umstand, der an sich das geistliche Verständniß herausfordert, daß angenommen wird, eine Familie könne so wenig Glieder zählen und so arm an Kindern, Enkeln und andern Verwandten sein, daß sie möglicher Weise für sich allein das Eine Lämmlein nicht aufzuessen vermöge? War doch jenes Volk von einer so starken Fruchtbarkeit, daß viele Ehen eine zahlreiche Nachkommenschaft aufwiesen. Aber, wie wir schon sagten, in diesen Andeutungen liegt die Prophezeihung der Berufung der Heiden, die, weil sie glaubten, zur Theilnahme an den Sakramenten zugelassen wurden, während die Juden in ihrem fleischlichen Sinne am Buchstaben hängen blieben und nicht im Stande waren, zur Fülle geistlichen Verständnisses hindurchzudringen. So ward denn unser Lamm, nachdem unter ihm die Kohlen der Martern entzündet waren, am Spieße des Kreuzes gebraten; wir schmecken an ihm nichts mehr von rohem Fleischgeschmack, nichts mehr von unbereitetem weichlichem Wesen. Vielmehr ward auf dem Holze des Fluchs in heißer Flamme dies wohlduftende Brandopfer so stark geröstet und gehärtet, daß in ihm ferner nichts übrig blieb, was leiden und sterben könnte. Mehr noch, der Scheiterhaufen des Todes, der von Alters brannte, ward durch die Besprengung mit jenem Blute ganz ausgelöscht. „Somit ist an sich und für uns eine unversehrbare Unverletzlichkeit erwiesen, denn das durchaus Feste mag nimmer zerbrochen, das Ewige nimmer vermindert werden.“ Wir essen sein Haupt sammt den Füßen, und verschmähen nicht, was inwendig in ihm ist. Darin steht unseres Glaubens Leben und Wachsthum, daß er erkennt und bekennt: „Das Wort, das im Anfang bei Gott war, ward Fleisch“, als die Zeit erfüllet war; die göttliche Majestät ist bis in den tiefsten Abgrund unserer Schwachheit hinabgestiegen und hat die Mühsal unserer Gebrechlichkeit nicht verschmäht. Der unser Anfang war, kam herbei auch unser Ende zu sein. Er zeigt uns an sich selber unser Ziel und unsere Bestimmung, er beruft uns durch das zeitliche Ende zum unendlichen Ende, er bindet die Herrlichkeit des Leibes an die des Hauptes und faßt sie zu untrennbarer Verbindung in Ein Bündlein zusammen. Darum essen wir zugleich Haupt und Füße und innerstes Herz, denn so hoch wir die Erhöhung Christi preisen, so wenig schämen wir uns seiner Niedrigkeit; wir reden wohl von seiner Schwachheit, aber andererseits stellen wir eine Stärke nicht in Abrede; seine Thorheit bewundern wir als Weisheit. Es ist viel staunenswerther, daß die hocherhabene Gottheit, um unsere Erlösung zu vollbringen, in die völligste Selbstentäußerung einging, als wenn sie mit ihrer an sich unveränderlichen Kraft und unbegreiflichen Größe in beständiger ewiger Seligkeit unbeweglich verharrt hätte. Daher verdecken auch bei Ezechiel die Cherubim ihr Antlitz und ihre Füße, also gleichsam den Anfang und das Ende der Wege Gottes, und lassen nur sehen, was mitten innen ist. Denn wie es vor Grundlegung der Welt bei ihm aussah, oder was für ein Zustand der Dinge nach dem jüngsten Gericht eintreten wird, ist Gegenstand des Glaubens und der Hoffnung. In der Zwischenzeit mag es genügen zu erkennen, was er in den Tagen seines Fleisches that, den Spuren seiner Menschheit bis in das innerste Herz seiner Liebe nachzugehen, und in uns die wahre Frömmigkeit zu pflegen. Darum aber genießen wir das Fleisch völlig, verbrennen dagegen die Knochen mit Feuer, weil wir die Sakramente, die gleichsam fleischgewordene göttliche Kraft und Hülle der Wahrheit, nach ihrer äußerlichen Gestalt in sichtbarer Weise wahrnehmen und hinnehmen, ihr innerstes Wesen aber, das nach seiner unbegreiflichen und unsichtbaren Seite vollkommen unwandelbar und unantastbar ist, weder brechen noch mindern, sondern in die Flammen werfen, d. h. dem geistlichen Verständnisse anheimgeben. In den göttlichen Mysterien birgt sich Geist und Leben, und nach Gottes Ordnung vermag der menschliche Geist nicht hindurchzudringen zur Erkenntniß so hoher Geheimnisse, die vor der Hand der heilige Geist in sich verschlossen hält, bis endlich, wenn alles Stückwerk aufhört, das Vollkommene kommt und wir, weil wir erkennen gleich wie wir erkannt sind, nicht mehr im Glauben wandeln, sondern im Schauen. Nachts soll das Lamm geschlachtet werden, denn die tiefe Bedeutung dieses Opfers, die in demüthigem Glauben ergriffen sein will, ist noch nicht völlig klar, sie wird erst im Lichte der Heiligen deutlich und entdeckt vor unsern Augen stehen, wenn der neue Wein im Reiche Gottes uns eingeschenkt wird, wenn die jungfräulichen Seelen mit brennenden Lampen zum ewigen Hochzeitsmahle eingehen. Wenn das unauslöschliche Licht auf den Leuchter gesteckt sein wird, wird allen denen, die im Hause sind, die Wahrheit der Sakramente, ja das Geheimniß der Dreieinigkeit selber einleuchten. Inzwischen handelt es sich um eine Sache, die fürwahr von unermeßlicher Wichtigkeit ist. Es müssen offenbare Thaten die sonst nicht sichtbare Tugend bezeugen, Gnadenerweisungen die Gewißheit des Glaubens stärken und aus der Erwägung dessen, was uns die Gegenwart bietet, muß eine feste und unentwegliche Erwartung dessen hervorgehen, was uns die Zukunft bringen wird. Es wird uns dies Lamm zur Speise gegeben, sein Blut zum Tranke. Es muß dies Blut auswendig auf die Schwellen und Thürpfosten unserer Häuser zu einem Zeichen gesetzt werden, das da schirme was sichtbar und was unsichtbar ist. Leib und Geist sollen eine sichere Schutzwehr daran haben, daß eine Speise und ein Trank von göttlicher Art die Seele inwendig nährt und belebt; und auswendig soll feindselige Mächte abtreiben das Zeichen des Kreuzes und die Marke des Blutes. Es steht nicht zu bezweifeln, daß überhaupt die bösen Geister vor dem Symbole des Leidens Furcht haben, und daß der bloße Anblick dieses Malzeichens ihnen Schrecken einjagt. Die heiligen Sakramente und die Zeichen des Glaubens schirmen selbst jene, deren Standpunkt offenbar den Anforderungen der christlichen Lehre und der strengen Sittlichkeit nur in ungenügender Weise entspricht, die aber noch irgendwie auf dem Grunde stehen bleiben wollen, außer dem kein anderer gelegt werden kann. Mögen sie auch fahrlässiger Weise Holz und Heu darauf gebaut haben, die Dämonen, die das sehen, stürmen deswegen doch nicht sofort auf sie ein gleich wie auf andere fleischlichgesinnte Menschen, sondern scheuen sich vor jenem Grunde; sie entweichen vor jenem lebengebenden Zeichen und nahen nicht leicht einem Hause, das durch den Balsam des Blutes geweiht ist. Verhielte sich das anders, hörte auf einzelne Versündigungen hin die Kraft der Sakramente vollständig auf ihre Wirkung zu äußern, so würde die Stirn derer, die irre gehen, ganz vergeblich mit dem Zeichen des Kreuzes gezeichnet sein, und Alle, die da fallen, hätten gar keine Hoffnung mehr. Falls der Heilige Geist von denen weicht, die in Sünde verfallen, so bleibt zwar die Schuld auf ihnen haften, aber doch sind die Sakramente nicht wirkungslos, weil mittelst derselben eben dieser Geist zurückkehrt, sobald der Abtrünnige Buße empfindet. Selbst wenn der Geist nicht mit ihnen ginge, wären die Sakramente von so großem Gewichte, daß der böse Feind nur dann eine Seele ganz einzunehmen wagen würde, wenn sie von Verzweiflung und gewohnheitsmäßiger Sünde besiegt und hingerissen, nach reiflicher Ueberlegung das heilige Zeichen mit dem Grabscheit des Abfalls vollständig ausgegraben hätte. Daher kam es, daß der Würgengel, der alle Erstgeburt in Aegyptenland schlug, beim Anblick dieses Zeichens wie angedonnert dastand und die Thüren mied, die mit Blut bestrichen waren. Die Aegypter wurden getödtet, aber unversehrt und unverletzt bleiben. Alle, deren Brust und Stirn der rothe Saft dieses Blutes besprengt hat. Also wurde Rahab, obschon sie eine Sünderin war, durch das rothe Seil gerettet, das sie ans Fenster knüpfte, und sie allein entrann heil aus Jericho; Verwüstung und Plünderung drang nicht in ihr Haus, das durch die Ehrfurcht vor dem so herrlichen Zeichen beschirmt ward. Ferner war verordnet, daß sie dies Mahl in Eile und mit Begier genießen sollten; Reisestäbe in den Händen, um die Lenden gegürtet sollten sie ungesäuertes Brot essen mit Kräutern des Feldes. Die erkoren waren ein so großes Werk auszurichten, durften nicht träge und weichlich sein. Die ihre Wegzehrung empfangen hatten zum Auszuge aus Aegypten, sollten nicht die Stätten der Lust suchen, sondern beim Auszuge aus dem „fremden Volke“ mußten sich eng mit einander vereinigen Bitterkeit der Buße und Reinheit des Lebens. Alle diese äußerlichen Vorbilder, stammt den andern geheimnißvollen Vorschriften des Gesetzes hatten dereinst ihren Nutzen, bis der fromme Glaube die Erfüllung der wahrhaftigen Verheißung erlebte. Aber als „die Zeit erfüllet“ und das Ende des Gesetzes herbeigekommen war, nämlich Christus, der in ausreichendster Weise alle dem entsprach, und nach seinem eigentlichsten Sinne alles das darbot, was das Gesetz durch seine Vorschriften über Lamm und Bock und rothe Kuh erreichen wollte, so hörte das Vielerlei auf, und das Eine trat zu allgemeiner Befriedigung an seine Stelle. Man brauchte nicht länger Zeichen zu brauchen, als das Bezeichnete herbeigekommen war. Die Opfer auf Rost und in Pfanne waren eine Weissagung auf den heiligen Eifer und die Andachtsgluth der Frommen; die Weihrauchwolken eine Weissagung auf die heißen Gebete, auf die frommen Gelübde und Gefühle der Heiligen; die angezündeten Fettstücke eine Weissagung auf das Ersterben der Lüste. Die priesterlichen Kleider bargen in sich den Schmuck vielfältiger Gnaden. Die Niederkleider, die als Scham verhüllend an erster Stelle stehen, verkünden laut die Nothwendigkeit einer züchtigen Enthaltsamkeit, die nicht einmal üblen Verdacht aufkommen läßt. Auch die letzte Spur von Unehrbarkeit sollte so sehr verdeckt werden, daß keinen Falls selbst der schärfste Blick etwas wahrzunehmen vermöchte. Das zweite Stück der Kleidung, der „enge Rock“, reicht bis zu den Knöcheln und ist von Linnen. Er deutete auf beständige Reinheit und lautere Unbeflecktheit des Lebens. Er war eng anschließend auf den Leib gegürtet, weil dieser Stand das Einzelnstehen liebt, und die Diener des Heiligthums unbehindert sein und in Haltung und Kleidung und ganzem Gebahren etwas Abgeschlossenes haben müssen. An dritter Stelle kam der Gürtel, der den linnenen Rock zwischen Leib und Brust zusammenhielt. Thun und Denken sollten auf demselben Wege nach demselben Ziele streben; Leib und Geist sollten gewissermaßen unter einer zwingenden Nothwendigkeit stehen, sich in allen ihrer Regungen dieselbe aus freien Stücken als ein Gesetz auferlegen, und fortwährend in gemeinsamem Eifer darnach trachten, einmüthigen Sinnes zu sein.

Das vierte Stück war der Hut, der das Haupt, den Sitz der Sinne und die Wohnung der Weisheit zierte, und das Ziel andeuten sollte, wohin sich alle Gedanken richten müßten. Das Alles sollte nach dem Gesetz von Linnen sein, weil es vieler Waschungen bedarf, um zur rechten Reinheit zu gelangen. Die fleischlichen Begierden müssen lange gekreuzigt und niedergehalten werden, wenn sie nicht im Andrange der Versuchungen sich wieder geltend machen sollen. Jener Hut bedeutet Christum, unser Haupt, von dem aller Ruhm unserer Reinheit herkommt, so daß wir nur dann vollkommen sicher sein können, wenn wir auf ihn all unser Vertrauen und unsere Hoffnung setzen. Diese vier Kleidungsstücke kamen nach der Bestimmung des Gesetzes eben so gut den niederen Priestern als dem Hohenpriester zu. Dieser aber hatte noch vier sonderliche Schmuckstücke, deren Bedeutung wir hier geschweigen.

Eins nur sagen wir, alle die Verheißungen, die in jenen Dingen lagen, hat unser Hoherpriester, angethan mit Ehre und Kraft, im Geist und in der Wahrheit erfüllt. Er schritt in heiligerem Schmucke einher, denn Aaron, und wollte, daß wir die angedeuteten Tugenden vielmehr durch unsern Wandel, als durch unsere Kleider darstellen sollten.

Darum befahl er uns die Lenden mit dem Gurte des Geistes zu umgürten, und selbst also gegürtet lehrte er, daß Niemand zum Lichte seiner Erkenntniß und zum Verständniß göttlicher Dinge kommen könne, ohne Reinigung des Fleisches und des Geistes. Sein ungenähter Rock, mit dem er angethan ist, als wie mit hohenpriesterlichem Kleide, mahnt uns an die ungefärbte Liebe und die Einigkeit des Geistes durch das Band des Friedens. Sein Kreuz aber legte er gleichsam als Schulterstück auf seine Schultern, da er opfern wollte für das Volk. Striemen und Blut, die waren sein Brustschildlein, auf dem nicht nur die Namen der zwölf Stämme Israels, sondern die des ganzen sündebebürdeten menschlichen Geschlechtes standen, wie schon die Ueberschrift besagte, die über sein Haupt geheftet war, geschrieben in Griechischer, Hebräischer und Lateinischer Sprache. Gegen das rothe Blut Christi gehalten, verschwindet die rosinrothe Wolle, von der das Gesetz spricht, in nichts; unser Blut der Besprengung ist sieben zigmal siebenmal besser, denn jenes; vor ihm erbleicht vollkommen aller Farbenglanz der Typen, die das Gesetz verordnete; und mit der Wahrheit selbst verglichen, erscheint alles gewebte Bildwerk wie matt und todt.

Der violette Leibrock hält keinen Vergleich aus mit dem Fleische Christi. Denn als das Wort Fleisch ward, war es ganz rein und ohne alle Sündenflecke, der Fürst dieser Welt hatte ihm von dem Seinen nicht den geringsten Makel anzuheften vermocht. Purpur und köstliche Leinwand kommen nicht von ferne heran an seine Reinheit und Herrlichkeit.

Das Alles übertrifft seine Macht und Heiligkeit, die Unsträflichkeit seiner Natur, die Hoheit seiner Gerechtigkeit. Das Kleid, das er anhat, ist viel köstlicher, als wenn es von den kunstfertigsten Fingern mit allem Fleiß gewoben und mit dem Blute der Purpurschnecke gefärbt wäre. Statt des hohenpriesterlichen Hutes trägt Christus auf seinem Haupte eine Krone, die statt mit goldenen Fäden mit Dornen durchwoben ist; und statt des goldenen Stirnblattes, auf dem der Name Jehovah stand, ragt über seinen Scheitel das Holz empor, auf das Pilatus anstatt Bezaleels den Namen geschrieben hatte, der der allerheiligste, allermächtigste und allerwunderbarste ist im Himmel und auf Erden: JESUS NAZARENUS REX JUDAEORUM. Also schrieb der Heide, weil er nicht wußte, daß jener auch der Heiden König war. Darum also schrieb er so, weil er nicht die geringste Ahnung davon hatte, daß zu jenem Titel einst noch hinzukommen und hinzugefügt werden sollte: „und der Heiden“. Auch hat die Hände unseres Hohenpriesters, ja sein Haupt, seine Füße und Seite das Blut gesalbt, das kostbarer ist denn Balsam. Die Dornen und Nägel und die Lanze, die ihn verwundeten, haben es ihm ausgepreßt, und über ihn ergossen. Sein Saft war köstlicher, denn alles Salböl; denn es hat unsere Heiligung und Reinigung nicht blos bedeutet, sondern vollendet.

Das und vieles Andere hat das Gesetz, das eine Decke vor sein Antlitz hing, dem Moses verborgen, aber, nach der Verklärung Christi auf dem Berge, ist es zuerst einigen Jüngern klar, und nach seiner Vollendung am Kreuze ist es hernach Allen offenbar geworden. Denn es ist zerrissen jene Decke fleischlicher Verhüllungen, und es ward sichtbar der Leuchter und die Schaubrote und der Rauchaltar und die Cherubim und der Gnadenstuhl und das Allerheiligste. Selbst die Felsen zerrissen und die Gräber thaten sich auf, denn jenes „Es ist vollbracht!“ eröffnet auch steinernen Herzen das geistliche Verständniß und gibt auch denen wieder den lebendigmachenden Geist, die in Sünden erstorben waren.

Also sollen. Alle, die keine Hoffnung mehr hatten und in den Fesseln böser Gewohnheiten hart gebunden lagen, im Reiche unseres Gottes, in seiner heiligen Kirche, wiederum lebendig, und die längst Staub und Asche waren, sollen Weisheitslehrer, und die im Grabe ruhen, sollen Lehrmeister werden. Amen.

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