Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 13

Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 13

1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. 2 Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebet Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen.

V. 1. Jedermann usw. Dass der Apostel diesen Gegenstand in seiner Unterweisung für das christliche Leben so nachdrücklich behandelt, lässt darauf schließen, dass ein besonderer Anlass dafür vorlag. Stets wird ja die Predigt des Evangeliums auch auf diese Frage führen, aber in damaliger Zeit war dies besonders der Fall. Unruhige Geister gibt es immer, welche glauben, dass das Königreich Christi nur dann zu seinem vollen Majestätsrecht kommt, wenn alle irdische Obrigkeit abgeschafft wird, und dass man der Freiheit eines Christenmenschen nur froh werden kann, wenn man jegliches Joch menschlicher Dienstbarkeit abschüttelt. Insbesondere aber steckten die Juden in diesem Irrtum. Ihnen schien es unwürdig, dass Abrahams Nachkommen, die vor der Ankunft des Erlösers einst ein blühendes Königreich ihr eigen nennen durften, jetzt bei seiner Erscheinung in politischer Abhängigkeit verharren sollten. Und noch ein anderer Grund musste nicht bloß die Christen aus den Juden, sondern auch aus den Heiden ihren Herrschern entfremden. Standen doch alle Obrigkeiten damals jeglicher Frömmigkeit fern, ja sie verfolgten die christliche Religion mit der heftigsten Feindschaft. Es musste also widersinnig erscheinen, dass man diejenigen als rechtmäßige Fürsten und Herrscher anerkennen sollte, welche alles daran setzten, Christus, dem einigen Herrn Himmels und der Erde, sein Königreich zu entreißen. Diese Anlässe haben den Apostel wahrscheinlich dazu geführt, von der Macht der Obrigkeit mit besonderer Sorgfalt zu handeln. An die Spitze stellt er den Hauptgrundsatz, der alles Folgende bereits in sich schließt. Dann fügt er hinzu, was zur Entfaltung und Bewährung der Hauptvorschrift dienen kann. Er sagt von der Obrigkeit, dass sie Gewalt über uns hat. Er schreibt ihr also nicht die denkbar höchste Vollmacht zu, sondern nur eine tatsächliche Gewalt über die andern. Der Apostel scheint damit den vorwitzigen Fragen begegnen zu wollen, die oft aufgeworfen werden, nämlich, woher die Menschen das Recht haben, über andere zu regieren. Es soll uns genug sein, dass sie eben ihre Gewalt haben. Denn sie sind nicht durch ihre eigne Kraft zu dieser Höhe emporgestiegen, sondern Gottes Hand hat sie dorthin gestellt. Heißt es aber: Jedermann sei untertan, so fällt jegliche Ausnahme. Niemand soll glauben, sich der allgemeinen Unterwerfung entziehen zu dürfen.

Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott. Das ist der Grund, weshalb wir der Obrigkeit untertan sein müssen: sie ward durch Gottes Ordnung eingesetzt. Weil es dem Herrn gefällt, auf diese Weise die Welt zu regieren, so widerstrebt jeder, der die Obrigkeit verachtet, der Ordnung Gottes und damit Gott selbst. Denn die Vorsehung dessen verachten, der auch die staatliche Rechtsordnung geschaffen hat, heißt den Kampf mit ihm selbst aufnehmen. Übrigens wollen wir ausdrücklich feststellen, dass die Obrigkeit nicht etwa so von Gott kommt wie etwas Pest, Hungersnot, Krieg und sonstige Sündenstrafen. Vielmehr hat Gott die Obrigkeit eingesetzt, damit sie die Welt mit Recht und Gesetz verwalte. Stammen nun auch Gewaltherrschaften und ungerechte Regierungen, bei denen Unruhe und Unordnung herrscht, nicht aus Gottes wohlgeordnetem Regiment, so hat doch Gott die Obrigkeit und die Herrscherrechte an sich zum Besten der Menschheit eingesetzt. Weil also die Obrigkeit dem Kriege wehren und jeglichem Schaden steuern soll, darum will der Apostel, dass wir uns freiwillig und gern ihrem Regiment unterwerfen sollen: denn das frommt dem menschlichen Geschlecht.

V. 2. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt usw. Weil jeder Widerstand gegen Gott zu unserm Verderben ausschlagen muss, so droht der Apostel, dass auch der nicht ungestraft bleiben wird, welcher in diesem Stück der Vorsehung Gottes widerstrebt. Wir sollen uns also hüten, dass diese Drohung nicht uns treffe! Bei dem Urteil, welches den Widerspenstigen ereilen soll, haben wir nicht bloß an die Strafen zu denken, welche freilich auch die Obrigkeit selbst verhängt, sondern vor allem daran, dass Gott zu seiner Zeit sein Gericht wird ergehen lassen. Der Apostel weist darauf hin, was derer wartet, welche den Kampf mit Gott aufnehmen.

3 Denn die Gewaltigen sind nicht den guten Werken, sondern den bösen zu fürchten. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, so wirst du Lob von ihr haben. 4 Denn sie ist Gottes Dienerin dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst; sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.

V. 3. Denn die Gewaltigen usw. Jetzt empfiehlt uns der Apostel den Gehorsam gegen die Obrigkeit noch besonders um seines Nutzens willen. Dieser besteht darin, dass nach Gottes Absicht bei einem geordneten Zustand für die Ruhe der Wohlgesinnten am besten gesorgt ist und der Übermut der Bösen am sichersten gezügelt wird. Und dies beides ist nötig, wenn das Menschengeschlecht seinen unversehrten Bestand behalten soll. Denn wenn man kein Mittel gegen die Wut schlechter Menschen in Händen hat, und die Unschuldigen von deren Launen abhängig sein sollen, so wird das Ganze ein böses Ende nehmen. Haben wir also hier das einzige Mittel, das Menschengeschlecht vor dem Untergang zu bewahren, so müssen wir es wohl in Acht nehmen, wenn wir nicht als offene Feinde der Menschheit dastehen wollen. Sagt der Apostel aber weiter: Willst du dich aber nicht fürchten, so tue Gutes -, so entnehmen wir daraus, dass für einen gutgesinnten Menschen gar kein Grund vorhanden ist, eine Abneigung gegen die Obrigkeit zu hegen. Es ist nur das stumme Zeugnis eines bösen Gewissens und unsaubere Absichten, wenn jemand dieses Joch durchaus abschütteln möchte. Im Übrigen ist hier von der wahren und im Wesen der Sache liegenden Pflicht der Obrigkeit die Rede, von welcher freilich die Inhaber des Regiments nicht selten abweichen. Trotzdem gebührt auch solchen der Gehorsam, auf welchen jede Regierung Anspruch besitzt. Ist ein böser Herrscher eine Geißel Gottes, mit welcher das Volk für seine Sünden gestraft werden soll, so müssen wir es ja wohl verdient haben, wenn sich in Fluch verwandelt, was an sich ein unermesslicher Segen Gottes ist. Wir wollen also nie ablassen, Gottes gute Ordnung in Ehren zu halten; und dies wird uns leicht werden, wenn wir nur uns selbst zuschreiben, was etwa daran mangelhaft ist. Paulus lehrt uns also hier, zu welchem Zweck Gott die Obrigkeit eingesetzt hat; die heilsame Wirkung wäre stets vorhanden, wenn wir nicht durch unsere Schuld eine so herrliche und heilsame Einrichtung verdürben. Übrigens missbraucht kaum je ein Herrscher seine Macht derartig, dass er bloß gute und unschuldige Menschen drangsalierte, und dass nicht wenigstens eine Spur von gerechtem Regiment bestehen bliebe. Es könnte ja auch eine Gewaltherrschaft sich keinen Augenblick aufrechterhalten, wenn sie nicht wenigstens in etwa zum Schutze der menschlichen Gesellschaft diente.

V. 4. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Hier kann auch die Obrigkeit lernen, wozu sie berufen ist. Sie besitzt die Gewalt nicht um ihretwillen, sondern für das gemeine Wohl. Sie hat auch keine unumschränkte Macht empfangen, sondern nur soviel, als das Wohl der Untertanen erfordert. Ihre Herrschaft ist ein Dienst Gottes und der Menschen. Weil Gott die Obrigkeit eingesetzt hat und sie seine Stelle vertritt, ist sie ihm Rechenschaft schuldig. Weiter soll der Dienst der Obrigkeit den Untertanen zugute kommen: darum hat sie auch ihre Pflichten gegen diese. Wir Privatleute empfangen dabei die Erinnerung, dass es eine Gabe der Güte Gottes ist, wenn uns die Herrscher mit ihrem Schwert wider die Angriffe verbrecherischer Menschen verteidigen.

Sie trägt das Schwert nicht umsonst. Das ist die Kehrseite der obrigkeitlichen Pflicht: wer sich nicht freiwillig durch die Gesetze regieren lässt, dessen böse Unbotmäßigkeit soll die Obrigkeit mit Gewalt bezwingen. Und sie soll über Freveltaten die Strafe verhängen, welche Gottes Rechtsordnung erheischt. Denn sie trägt das Schwert nicht zum leeren Schein, sondern um die Missetäter zu schlagen. Sie ist eine Rächerin zur Strafe, d. h. dasjenige Organ, welches die von Gott verhängte Strafe vollzieht. Zum Beweise dessen dient eben das Schwert, welches Gott in ihre Hand gelegt hat. Unsere Stelle ist besonders wertvoll, um das Recht des Schwertes zu erhärten. Denn wenn der Herr den Obrigkeiten das Schwert eben dazu gegeben hat, damit sie es gebrauchen, so ist jeder Vollzug einer gerechten Todesstrafe nur der Vollzug der Vergeltung, welche Gott befohlen hat. Wer es also für Unrecht erklärt, das Blut eines Verbrechers zu vergießen, der streitet wider Gottes Ordnung.

5 Darum ist´ s not, untertan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen. 6 Derhalben müsst ihr auch Schoß geben; denn sie sind Gottes Diener, die solchen Schutz sollen handhaben. 7 So gebet nun jedermann, was ihr schuldig seid: Schoß, dem der Schoß gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

V. 5. Darum ist´ s not, untertan zu sein. Was der Apostel bisher über den Gehorsam gegen die Obrigkeit ausgeführt hat, fasst er rückblickend noch einmal zusammen, doch mit dem Zusatz, dass wir uns nicht bloß um der menschlichen Notwendigkeit willen unterwerfen müssen, sondern auch deshalb, weil es sich dabei um Gehorsam gegen Gott handelt.

8 Seid niemand nichts schuldig, als dass ihr euch untereinander liebet; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn was da gesagt ist: „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten“; und so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ 10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.

V. 8. Seid niemand nichts schuldig usw. Die zuvor gegebene Vorschrift bezüglich der Gewalt der Obrigkeit bringt nun Paulus in den Zusammenhang mit dem Gesetz der Liebe und verleiht ihr damit erst die entscheidende Stütze. Er will sagen: wenn ich verlange, dass ihr den Herrschern gehorchen sollt, so fordere ich nur, was vermöge des Gesetzes der Liebe jeder Gläubige zu leisten schuldig ist. Denn wenn ihr den Guten eine Wohltat erweisen wollt (und dies nicht zu wollen wäre ja unmenschlich), so müsst ihr mithelfen, dass Gesetz und Recht Bestand behalten, dass die Hüter der Gesetze ein gehorsames Volk haben. Denn nur auf diese Weise wird jedermann den Frieden genießen. Wer Ungehorsam und Anarchie fördert, aus welcher doch alsbald der allgemeine Umsturz folgen muss, verletzt das Gebot der Liebe.

Denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Paulus will alle Einzelgebote auf das Grundgebot der Liebe zurückführen. Wir sollen wissen, dass wir nur dann die Gebote in Wahrheit halten, wenn wir in der Liebe bleiben. So darf uns keine Last zu schwer werden, welche dazu dient, die Liebe zu bewahren. Dass Paulus hier sagt, der erfülle das Gesetz, der den andern liebe, das bereitete manchen Leuten eine schier unlösbare Schwierigkeit. Sie wenden ein, unter solchen Umständen werde ja die Verehrung Gottes, die man doch durchaus nicht auslassen dürfe, beiseite geschoben. Aber Paulus denkt ja hier gar nicht an das ganze Gesetz, sondern redet von den Pflichten, die uns das Gesetz dem Nächsten gegenüber auferlegt. Und da ist es wirklich wahr: das ganze Gesetz wird erfüllt, wenn wir unsern Nächsten lieben; denn die wahre Liebe zum Nächsten fließt ja allein aus der Liebe zu Gott und ist deren Bezeugung und Wirkung zugleich. Indessen denkt hier Paulus nur an die zweite Tafel des Gesetzes. Er will sagen: Wenn einer seinen Nächsten liebt wie sich selbst, so hat er damit gegen die ganze Welt seine Pflicht getan. Aus diesen Worten des Paulus einen Ansatzpunkt für die Werkgerechtigkeit zu machen, ist aber Phantasterei. Denn Paulus redet nicht von dem, was der Mensch tun oder lassen soll, sondern er spricht ja eine Bedingung aus, die nirgendwo erfüllt wird! Wenn wir dagegen sagen, dass der Mensch nicht durch Werke gerechtfertigt wird, so leugnen wir damit keineswegs, dass die Beobachtung des Gesetzes Gerechtigkeit ist. Aber eben diese Beobachtung des Gesetzes leistet ja kein Mensch -, und deshalb sind wir alle von der Gerechtigkeit ausgeschlossen und können allein in Christus eine Zuflucht finden.

V. 9. Denn was da gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen usw. Diese ganze Aufzählung will die Gebote der zweiten Tafel weder erschöpfen noch sich gerade an dieselben binden. Denn sie schließt mit der allgemeinen Wendung: und so ein anderes Gebot mehr ist. Trotzdem muss es verwunderlich erscheinen, dass gerade das eine Gebot fehlt, welches am meisten zur Sache zu gehören schien: du sollst deinen Vater und deine Mutter (also auch die Obrigkeit) ehren. Vielleicht hat Paulus es eben darum ausgelassen, um den Fortschritt seines Beweisganges nicht zu stören. Gerade ein Blick auf die übrigen Gebote der zweiten Tafel soll zeigen, dass das gesamte Gesetz auf gegenseitige Übung der Liebe zielt. Den eigentlichen Schluss des Beweises muss dann ein verständiger Leser für sich ergänzen, dass also eine der wesentlichsten Aufgaben, um Frieden und brüderliche Liebe zu bewahren, der Gehorsam gegen die Obrigkeit ist.

V. 10. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Ein Hinweis auf das, was die Liebe leistet, zeigt nunmehr, dass sie alle andern Gebote unter sich begreift. Denn wessen Herz von Liebe erfüllt ist, dem wird es nie in den Sinn kommen, seinen Brüdern Schaden zu tun. Und worauf anders zielen alle Verbote des Gesetzes, als darauf, dass wir dem Nächsten nichts Böses zufügen sollen? Doch gilt es nun, diesen Gedanken in den gegenwärtigen Zusammenhang einzufügen. Ist die Obrigkeit die Hüterin des Friedens und des Rechtes, so wird ein Christ, der jedem das Seine gönnt und möchte, dass keinem Menschen ein Unrecht geschieht, die staatliche Ordnung aufrechterhalten helfen, soviel an ihm ist. Wer aber seiner Begehrlichkeit den Zügel schießen lassen möchte, der wird zu den Feinden der öffentlichen Ordnung zu rechnen sein. Wenn der Apostel zum Schluss wiederholt: So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung -, so müssen wir wiederum bedenken, dass dies von dem Teil des Gesetzes gilt, welcher sich mit dem Verhältnis der Menschen zueinander beschäftigt. Von der ersten Tafel des Gesetzes, welche von der Verehrung Gottes handelt, ist hier überhaupt nicht die Rede.

11 Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf (sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir gläubig wurden; 12 die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen): so lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. 13 Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; 14 sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus und wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde.

V. 11. Nunmehr geht die Rede zu einer anderweitigen Ermahnung über. Da uns gleichsam die Morgenröte eines himmlischen Lebens aufgegangen ist, so müssen wir uns halten wie Leute, die mitten am Tage und unter den Augen der Menschen wandeln. In solcher Lage hütet man sich, etwas Gemeines und Unehrenhaftes zu tun. Denn für jeden Fehltritt stehen nur zu viele Zeugen bereit. Wie viel mehr müssen wir alles schändliche Wesen scheuen, die wir vor den Augen Gottes und seiner Engel stehen, und die Christus, die wahre Sonne der Gerechtigkeit, berufen hat, ihn zu schauen. Unsere Worte besagen also: da wir wissen, dass es schon Zeit ist, vom Schlafe aufzuwachen, so lasset uns wegwerfen, was noch der Nacht gehört! Lasset uns die Werke der Finsternis abschütteln, denn die Finsternis ist bereits vergangen! Lasset uns eifrig mit den Werken des Lichts umgehen und wandeln, wie es am Tage sich ziemt! Um den Zusammenhang der Sätze richtig zu fassen, wird man gut tun, den Zwischensatz in Klammern geschlossen zu denken. Und da wir es mit einem Gleichnis zu tun haben, wird es nützlich sein, die einzelnen Stücke auszudeuten. Nacht ist die Zeit, da man Gott noch nicht kennt und im Schlaf des Irrtums dahinwandelt. Denn die Ungläubigen leiden an einem doppelten Übel: sie sind blind und stumpf. Diese Stumpfheit wird unter dem Bilde des Schlafes dargestellt, von dem man ja sagt, dass er das Bild des Todes ist. Licht ist die Offenbarung der göttlichen Wahrheit, in welcher uns Christus als die Sonne der Gerechtigkeit aufgeht. Aufstehen heißt: sich gürten und rüsten, um auszurichten, was der Herr von uns haben will. Werke der Finsternis sind verbrecherische und schamlose Werke. Denn man sagt: Die Nacht kennt keine Scham. Waffen des Lichts sind ehrbare, nüchterne und züchtige Taten, wie man sie gern am Tage sehen lässt. Dabei heißt es nicht „Werke“, sondern „Waffen“, weil man mit solchen Taten die Kriege des Herrn führt. – Zu Beginn dieses ganzen neuen Absatzes sagt der Apostel den Gläubigen, dass wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ein neues Leben mit neuen Sitten zu beginnen. Denn Gott hat uns berufen, und der Tag seiner gnädigen Heimsuchung ist da.

Sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir gläubig wurden. Es ist näher gekommen, als es uns zu jenem Zeitpunkt war, da wir zuerst den Glauben annahmen, wie dies besonders die Fortsetzung deutlich macht (V. 12): Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. Jetzt ist also jener Zeitpunkt, da es gilt, Gutes zu tun. Stehen die Gläubigen auch noch nicht im vollen Lichte, so vergleicht doch der Apostel mit Recht die Erkenntnis des ewigen Lebens, welche uns aus dem Evangelium anstrahlt, mit der Morgenröte. Denn freilich bedeutet hier „der Tag“ nicht wie in andern Stellen das Licht des Glaubens: sonst hätte es ja nicht heißen dürfen, dass er nahe herbeigekommen, sondern dass er längst aufgegangen sei und auf seiner Höhe stehe. Der aufgehende Tag ist vielmehr der selige Glanz des ewigen Lebens, dessen Anfang wir bereits im Evangelium schauen. So ergibt sich als Hauptgehalt des Gedankens: sobald nur der erste Ruf Gottes an unser Ohr dringt und der erste Strahl des Lichtes uns darauf schließen lässt, dass bald das volle Licht der Sonne aufsteigen wird, müssen wir uns auf Christi Ankunft rüsten. Für uns ist also die Nacht vorgerückt, weil wir nicht mehr in der dichten Finsternis sitzen wie die Ungläubigen, welchen kein Fünkchen von Leben leuchtet, während uns das Evangelium die Auferstehungshoffnung vor Augen stellt. Also muss das Licht des Glaubens, welches die Nähe des vollen himmlischen Glanzes uns ankündigt, unsere Seele aufwecken, dass wir nicht in irdischer Stumpfheit verharren. Wenig später gebraucht der Apostel übrigens das gleiche Bild in etwas anderer Wendung (V. 13): Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage. Jetzt bezeichnet „Tag“ den gegenwärtigen Lebensstand, da Christi Licht uns leuchtet. Der Apostel mahnt uns das eine Mal, unsere Gedanken zum ewigen Leben emporzuheben, dann wieder, Gott, wie er sich uns jetzt zeigt, voller Ehrfurcht anzuschauen.

V. 13. Nicht in Fressen usw. Drei Gruppen von Lastern werden je mit einem doppelten Wort beschrieben: unmäßiges und üppiges Leben, Fleischeslust und aller Schmutz, der damit zusammenhängt, endlich neidisches und zänkisches Wesen. Sind alle diese Dinge so schmählich, dass auch fleischliche Menschen sich schämen, sich vor Menschenaugen damit behaftet zu zeigen, so müssen sie uns, die wir im Lichte Gottes wandeln, völlig fern liegen, auch wenn kein Menschenauge uns beobachtet. In der dritten Gruppe steht zwar der Hader vor dem Neid: trotzdem wird Paulus daran erinnern wollen, dass aus dieser letzten Quelle Kampf und Streit entspringt. Legt es jemand darauf an, mehr zu sein als der andere, so stellt sich der Neid ein. Der tiefste Grund dieses doppelten Übels ist also streberischer Ehrgeiz.

V. 14. Sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus. Dieses Bild ist der Schrift sehr geläufig, wenn von Dingen die Rede ist, welche den Menschen sei es schmücken, sei es verunstalten: beides können ja Gewänder, die man anzieht, zustande bringen. Denn ein schmutziges und zerrissenes Kleid lässt den Menschen hässlich erscheinen, dagegen verleiht ein edles und sauberes Gewand ihm Wohlgestalt. „Christus anziehen“ bedeutet hier nur: mit der Kraft seines Geistes derartig umgeben werden, dass eine Bereitschaft zur Heiligkeit nach jeder Richtung entsteht. So wird Gottes Bild, der schönste Schmuck unserer Seele, in uns erneuert. Der Blick des Paulus richtet sich nämlich auf den Zweck unserer Berufung: als uns Gott zu seinen Kindern annahm, hat er uns in den Leib seines eingeborenen Sohnes eingefügt, damit wir dem alten Leben absagen und in ihm neue Menschen werden möchten. In demselben Sinne heißt es auch (Gal. 3, 27): „Wie viele euer getauft sind, die haben Christus angezogen.“

Und wartet des Leibes usw. Solange wir unser Fleisch noch an uns tragen, können wir die Sorge für dasselbe nicht gänzlich abschütteln. Denn wenn auch unser Wandel im Himmel ist (Phil. 3, 20), so wallen wir doch auch noch auf Erden. Man muss also die Anliegen des Leibes freilich befriedigen, aber nur so, wie man auf der Reise für alles Nötige sorgt und doch des Vaterlandes nicht vergisst. Auch Weltweise haben es ausgesprochen, dass die Natur mit wenigem zufrieden ist, dass aber der Menschen Wünsche alles erfüllbare Maß übersteigen. Wer also den Ansprüchen seines Fleisches Genüge leisten will, dessen Wesen wird nicht bloß völlig zerfließen, sondern geradezu in einen bodenlosen Abgrund versinken. Paulus aber will den Begierden des Fleisches einen Zügel anlegen. Denn er ist der Ansicht, dass alle sündliche Üppigkeit daher kommt, dass man das rechte und nüchterne Maß überschreitet. Darum setzt er eine Grenze: die Bedürfnisse unseres Fleisches sollen wir befriedigen, aber der Begierde nicht nachgeben. So wird das Ergebnis sein, dass wir diese Welt brauchen, als brauchten wir sie nicht.

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