Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 6

Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 6

1 Was wollen wir hierzu sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, auf dass die Gnade desto mächtiger werde? 2 Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde wollen leben, der wir abgestorben sind?

V. 1. Was wollen wir hierzu sagen? In diesem ganzen Kapitel redet der Apostel davon, wie Christus fälschlich auseinander gerissen wird, wenn man behauptet, dass er uns seine Gerechtigkeit aus Gnaden schenke, ohne zugleich ein neues Leben zu wecken. Er kleidet diese fehlerhafte Ansicht in eine schroffe Form und stellt die Frage: ob man denn nicht der Gnade den größten Raum eröffne, wenn man ruhig an der Sünde hängen bleibt? Nichts geschieht ja leichter, als dass das Fleisch es sich unter irgendeinem Vorwande bequem macht. Und dann ersinnt der Satan allerlei Verleumdungen, um mit leichter Mühe die Lehre von der Gnade in üblen Ruf zu bringen. Denn da es für die menschliche Vernunft nichts Fremdartigeres gibt als die Predigt von der freien Gnade Christi, so kann es uns nicht überraschen, wenn unsere fleischliche Vernunft die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben zwar annimmt, dann aber die verkehrtesten Folgerungen daraus zieht. Wir können aber deshalb nicht ablassen, die Wahrheit zu bezeugen und dürfen von Christus nicht stille schweigen, weil er für viele ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses ist. Denn derselbe Christus, welcher den Gottlosen zum Fall wird, ist den Frommen zum Auferstehen gesetzt. Immerhin muss man unzeitigen Fragen zuvor kommen, damit nicht der Verdacht bestehen bleibt, dass die christliche Lehre Torheiten in sich schließe. Der Apostel beschäftigt sich nun mit dem geläufigsten Einwurf gegen die Predigt der göttlichen Gnade; nämlich: wenn es wahr wäre, dass Gottes Gnade den größten Raum für ihre Verzeihung findet, wo die größte Last der Sünde ist, so könne man ja nichts Nützlicheres ausdenken, als immer tiefer zu fallen und mit immer neuen Sünden Gottes Zorn zu reizen. Dabei müssten wir ja wohl am reichlichsten Gnade erfahren. Wie der Apostel diese Torheit widerlegt, werden wir alsbald sehen.

V. 2. Das sei ferne! Es könnte scheinen, als wollte dieser Ausruf den frevelhaften Unsinn ohne weitere Widerlegung einfach als solchen kennzeichnen. Andere Stellen aber (Röm. 3, 6; 9, 14; Gal. 2, 17; 3, 21) zeigen, dass Paulus diese Redewendung auch gebraucht, wo er keineswegs auf einen mitunter sehr ausführlichen Beweis verzichtet. So wird er auch hier alsbald den verleumderischen Einwurf gründlich widerlegen. Zunächst aber soll der Ausdruck des Abscheus dem Leser eine Empfindung davon erwecken, wie ungereimt es ist, dass Christi Gnade, die doch unsere Ungerechtigkeit heilen will, uns im Laster bestärken solle!

Wie sollten wir in der Sünde wollen leben, der wir abgestorben sind? Ein Beweis aus der Behauptung des Gegenteils. Wer nämlich sündigt, der lebt unbestreitbar der Sünde. Wir aber sind durch Christi Gnade der Sünde gestorben. Also ist es falsch, der Sünde, die Christus austilgt, noch eine Lebenskraft zu belassen. Denn der Tatbestand liegt so: wenn Gott die Gläubigen mit sich versöhnt, so schenkt er ihnen stets auch ein neues Leben. Ja, es ist der Zweck der Rechtfertigung, dass wir dann dem Herrn in Reinheit unseres Lebens dienen. Wenn uns Christus mit seinem Blute wäscht und durch sein Sühneopfer einen gnädigen Gott schafft, so gibt er uns zugleich Anteil an seinem Geiste, welcher die Erneuerung zu heiligem Leben schafft. Es würde also eine schlimme Verkehrung des Werkes Gottes bedeuten, wenn die in Christus geschenkte Gnade Gelegenheit bieten sollte, der Sünde neue Kräfte zuzuführen. Die Arznei nährt die Krankheit nicht, gegen welche sie gegeben wird. Übrigens müssen wir im Gedächtnis behalten, was schon früher kurz festgestellt wurde (zu 2, 11), dass Paulus hier nicht davon redet, in welchem Zustand uns Gott zur Gemeinschaft seines Sohnes beruft, sondern wie wir werden müssen, nachdem die freie Gnade uns zu Kindern Gottes angenommen hat.

3 Wisset ihr nicht, dass alle, die wir in Jesum Christum getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? 4 So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln.

V. 3. Wisset ihr nicht usw. Der zuletzt ausgesprochene Gedanke, dass Christus in den Seinen der Sünde ein Ende mache, empfängt nun eine weitere Bestätigung durch den Nutzen der Taufe, welche uns in den Glauben an Christus einführt. Denn das ist ja außer Frage, dass wir in der Taufe Christus anziehen, und dass wir die Taufe empfangen, um mit Christus eins zu werden. Dazu fügt Paulus den andern Grundsatz, dass wir wahrhaft mit Christi Leib zusammenwachsen, wenn sein Tod in uns seine Frucht bringt. Und er lehrt, dass man bei der Taufe ganz besonders diese Gemeinschaft des Todes ins Auge fassen soll: denn dort wird uns nicht bloß die Abwaschung, sondern auch die Abtötung und das Sterben des alten Menschen vorgestellt. So ist offenbar, dass, sobald wir in Christi Gnade aufgenommen werden, die Wirkung seines Todes alsbald sich zeigen muss. Was aber diese Gemeinschaft mit dem Tode Christi bedeutet, folgt sofort.

V. 4. So sind wir ja mit ihm begraben. Jetzt beginnt der Apostel, vorläufig, wenn auch noch nicht vollständig, darzulegen, worauf unsere Taufe auf Christi Tod abzielt: dass wir nämlich uns selbst absterben und neue Menschen werden. Denn von der Gemeinschaft des Todes führt eine notwendige Verbindung zur Teilnahme am Leben hinüber: der alte Mensch wird durch Christi Tod vernichtet, damit seine Auferstehung Gerechtigkeit begründe und uns zu neuen Kreaturen mache. Ward uns Christus zum Leben geschenkt, was sollte es dann nützen, mit ihm zu sterben, wenn wir nicht mit ihm zu besserem Leben auferstünden? Was in uns sterblich ist, tötet Christus nur dadurch, dass er uns wahrhaft neues Leben schenkt. Weiter gilt es festzustellen, dass der Apostel hier nicht eine einfache Ermahnung zur Nachfolge Christi ausspricht, als wäre Christi Tod ein bloßes Beispiel zur Nacheiferung für alle Christen. Die Meinung des Apostels geht viel tiefer: er trägt eine Lehre vor, aus welcher sich erst später die Ermahnung entfaltet. Diese Lehre lautet: Christi Tod hat Kraft, unser sündliches Fleisch niederzuhalten und zu töten, Christi Auferstehung aber, das neue Leben einer besseren Natur zu erwecken -, und die Taufe gibt uns Anteil an solcher Gnade. Damit erst ist ein festes Fundament gewonnen, auf welchem die Ermahnung Platz findet, dass die Christen ihres Berufes würdig wandeln sollen. – Dass die beschriebene Kraft nicht in allen Getauften wirkt, verschlägt nichts: denn da Paulus zu Gläubigen spricht, so denkt er, wie er es immer tut, mit dem äußeren Zeichen dessen Wesen und Wirkung zusammen. Denn wir wissen ja, dass eben der Glaube zu Bestand und Geltung bringt, was Gott in sichtbarem Zeichen anbietet. In Summa: Paulus lehrt, was die recht empfangene Taufe wahrhaftig nützt. So heißt es auch Gal. 3, 27 ganz allgemein: „Wie viel euer auf Christus getauft sind, die haben Christus angezogen.“ So lässt sich mit Recht reden, wo Gottes Ordnung und der Glaube der Frommen aufeinander treffen. Leere und bloße Zeichen sind nur da, wo unsere Undankbarkeit und böser Wille das Wirken der göttlichen Gnade hindert.

Durch die Herrlichkeit des Vaters, d. h. durch seine unvergleichliche Kraft, durch welche er seine Herrlichkeit und Majestät offenbart. In dieser erhabenen Weise rühmt die Schrift häufig Gottes Macht, die in Christi Auferstehung kundgeworden ist. Es bedarf für uns eines so eindrücklichen Hinweises auf Gottes einzigartige Kraft, damit der Glaube nicht nur an die letzte Auferstehung, welche alles Begreifen übersteigt, sondern auch an die übrigen Früchte der Auferstehung Christi gestärkt werde.

5 So wir aber samt ihm gepflanzt werden zu gleichem Tode, so werden wir auch seiner Auferstehung gleich sein, 6 dieweil wir wissen, dass unser alter Mensch samt ihm gekreuzigt ist, auf dass der sündliche Leib aufhöre, dass wir hinfort der Sünde nicht dienen.

V. 5. Gepflanzt werden zu gleichem Tode. Der bisher vorgetragene Beweis wird mit deutlicheren Worten weitergeführt. Das jetzt gebrachte Gleichnis schließt jede Unsicherheit aus: wo von „Einpflanzung“ die Rede ist, handelt es sich nicht bloß um Vorbild und Nachfolge, sondern um eine geheimnisvolle Verbindung, vermöge deren wir mit Christus so zusammenwachsen, dass sein Geist als unser Lebenssaft seine Tugenden in uns wirksam werden lässt. Der Nachdruck liegt nicht darauf, dass wir mit eigner Anstrengung leisten sollen, was Gott von uns fordert, sondern auf dem, was Gott tut, wenn er mit eigner Hand die Einpflanzung vollzieht. Wie das Pfropfreis mit dem Baume, in welchen man es eingesenkt, Tod und Leben teilt, so verstehen wir, dass wir in gleicher Weise an Christi Leben und Tod teilhaben. Sind wir mit Christus gepflanzt zu gleichem Tode und ist Christi Tod nicht ohne Auferstehung geblieben, so wird auch unserm Tode die Auferstehung nicht fehlen. Übrigens können die Worte in doppelter Weise verstanden werden. Entweder: Christus eingepflanzt, so dass dabei eine Ähnlichkeit mit seinem Tode zustande kommt; oder, was ungezwungener dem griechischen Wortlaut entspricht: eingepflanzt zur, d. h. in die Ähnlichkeit seines Todes, mit derselben zusammengewachsen. Sachlich bedeutet dies aber keinen Unterschied. Von Ähnlichkeit oder Gleichgestalt des Todes soll nach einigen Auslegern hier ganz in dem Sinne die Rede sein, wie es (Röm. 8, 3; Phil. 2, 1) von Christus heißt, er sei in der Gestalt des Fleisches oder gleich wie ein anderer Mensch erschienen. Ich glaube jedoch, dass der Sinn des Wortes hier noch eine besondere Schattierung aufweist. Das Wort „Ähnlichkeit“ deutet an, dass nicht eine volle Übereinstimmung, sondern nur eine gewisse Parallele zwischen Christi leiblichem Tode und unserm Sterben mit ihm obwaltet: wie Christus in dem Fleische starb, welches er von uns genommen hat, so sterben wir in uns, um in ihm zu leben. Es ist nicht derselbe, sondern ein ähnlicher Tod: eine gewisse Gleichartigkeit zwischen dem Absterben des zeitlichen Lebens und der geistlichen Erneuerung soll ins Auge gefasst werden. – Übrigens ist es unerlaubt, den Vergleich bis in seine letzten Konsequenzen durchzutreiben. Wollte man dies versuchen, so würde sich alsbald ein bedeutender Unterschied zwischen dem Pfropfen der Bäume und unserer geistlichen Einpflanzung in Christus ergeben. Natürlicherweise zieht das Pfropfreis seine Nahrung aus der Wurzel, behält aber die Eigenart seiner ursprünglichen Früchte. Geistlicherweise aber ziehen wir aus Christus nicht bloß Kraft und Lebenssaft, sondern wir gehen aus unserer Natur in die seinige über. Der Apostel wollte nur im Allgemeinen die Wirkungskraft des Todes Christi beschreiben, welche in dem Absterben unseres Fleisches zur Erscheinung kommt, wie auch die Macht der Auferstehung, die neue geistliche Natur zu erwecken.

V. 6. Dass unser alter Mensch usw. Vom „alten“ Menschen, wie auch vom „Alten“ Bunde, spricht man im Gegensatz zum Neuen. Der alte Mensch fängt an alt zu werden, wenn die beginnende Erneuerung ihn allmählich ums Leben bringt. Gemeint ist unser ganzes natürliches Wesen, welches uns vom Mutterleibe her anhängt, welches so wenig in Gottes Reich eingehen kann, dass es in demselben Maße vergehen muss, als das wahre Leben in uns wächst. Dieser alte Mensch ist mit Christus gekreuzigt, weil er durch Christi Kraft und namentlich durch die Gemeinschaft seines Todes den Todesstoß empfängt. „Gekreuzigt“ schreibt ja der Apostel nicht etwa, um weniger zu sagen als „getötet“, und um auszudrücken, dass in irgendeinem Grade der alte Mensch noch lebt. Das würde einen an sich ganz richtigen, aber im vorliegenden Zusammenhange völlig unpassenden Gedanken ergeben. Der sündliche Leib, von welchem Paulus redet, kommt nicht in Betracht, sofern er Fleisch und Bein ist, sondern nach seiner Naturart: der seiner Natur überlassene Mensch ist ein Gebilde von lauter Sünde. Als Zweck der Abtötung wird verzeichnet: dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Daraus ergibt sich die Folgerung, dass, solange wir Kinder Adams und nichts als natürliche Menschen sind, wir dermaßen in der Knechtschaft der Sünde stehen, dass wir nicht anders können, als sündigen. Erst die Einpflanzung in Christus befreit uns von diesem elenden Zwang -, nicht als ob alle Sünde sofort ein Ende hätte, aber so, dass wir doch endlich den Sieg gewinnen werden.

7 Denn wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde. 8 Sind wir aber mit Christo gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, 9 und wissen, dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen. 10 Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben zu einem Mal; was er aber lebt, das lebt er Gott. 11 Also auch ihr, haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebet Gott in Christo Jesu, unserm Herrn.

V. 7. Denn wer gestorben ist usw. Der Beweis gründet sich auf die Natur und Wirkung des Todes. Wenn der Tod alle Regungen des Lebens still stellt, so müssen wir, die wir der Sünde gestorben sind, von den Regungen frei sein, welche dieselbe verspüren ließ, solange sie noch lebte. Gerechtfertigt heißt soviel wie freigesprochen und von der Knechtschaft erlöst. Denn wie der Freispruch des Richters den Angeklagten aller weiteren Last entledigt, so befreit uns der Tod von allen Verbindlichkeiten dieses Lebens, von welchen er uns loslöst. Das, was der Apostel hier schildert, findet sich nun freilich erfahrungsgemäß nirgends vollkommen vor. Dennoch hören wir hier keineswegs bloß eine leere Spekulation. Auf der andern Seite dürfen wir auch nicht verzagen, wenn wir nicht finden können, dass unser Fleisch schon völlig gekreuzigt sei. Denn dieses Werk Gottes wird nicht am ersten Tage, an welchem es anhebt, alsbald auch zu Ende geführt, sondern es wächst allmählich und erreicht in täglicher Zunahme sein Ziel. Als Ergebnis wollen wir demgemäß festhalten: wer ein Christ ist, an dem müssen Anzeichen seiner Gemeinschaft mit dem Tod Christi sichtbar werden, deren Frucht ist, dass wir unser Fleisch gekreuzigt haben samt den Lüsten und Begierden. Im Übrigen wollen wir diese Gemeinschaft nicht deshalb als nicht vorhanden ansehen, weil wir spüren, dass die Reste des Fleisches sich noch regen. Vielmehr sollen wir eifrigst auf Fortschritte bedacht sein, bis wir das Ziel erreicht haben. Es ist gut, dass unser Fleisch fortwährend getötet werde, und es ist kein geringer Fortschritt, wenn es sein Herrschaftsgebiet mehr und mehr dem Heiligen Geist abtreten muss. Es gibt auch noch eine andere Gemeinschaft des Todes Christi, von welcher Paulus öfters, namentlich 2. Kor. 4 redet: das Tragen des Kreuzes, welchem die Gemeinschaft des ewigen Lebens folgt.

V. 8. Sind wir aber mit Christus gestorben usw. Diesen Gedanken wiederholt der Apostel, um eine Anknüpfung für den V. 9 folgenden Ausspruch zu gewinnen, dass Christus, einmal von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt. Damit soll eingeprägt werden, dass das Streben nach einem neuen Leben einen Christen sein ganzes Leben lang beherrschen muss. Denn wir sollen Christi Bild an uns tragen sowohl in der Abtötung des Fleisches als auch im Leben des Geistes: die erstere muss einmal für alle Zukunft geschehen sein, das letztere muss in aller Zukunft Bestand behalten. Nicht, wie wir schon gesagt haben, als ob unser Fleisch in einem Augenblick stürbe: aber wir dürfen in der Abtötung desselben nicht wieder rückwärts gehen. Denn wenn wir wieder in unsern Unflat versinken, verleugnen wir Christus. Seine Genossen können wir nur durch ein erneuertes Leben sein, wie er denn selbst ein unvertilgliches Leben besitzt: der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen. Darin scheint zu liegen, dass der Tod einmal über Christus geherrscht habe. Und in der Tat ist der Herr, als er sich in den Tod dahingab, demselben in gewisser Weise gewichen und ist seiner Macht unterworfen gewesen, doch so, dass des Todes Schmerzen ihn nicht halten oder verschlingen konnten. Er hat selbst den Tod verschlungen ewiglich, da er sich seiner Herrschaft für einen Augenblick unterwarf. In Summa: Christus, der jetzt seine Gläubigen mit seinem Geiste lebendig macht und ihnen sein Leben durch geheimnisvolle Kraft vom Himmel her einflößt, hat durch seine Auferstehung die Herrschaft des Todes überwunden, um alle die Seinen vom Tode frei zu machen.

V. 10. Er ist der Sünde gestorben zu einem Mal. Wenn es soeben hieß, dass Christi Vorgang uns für immer vom Joch des Todes befreit habe, so wird diese Wahrheit jetzt in den Dienst des eigentlichen Hauptgedankens gestellt, dass wir mit der Knechtschaft der Sünde fortan nichts mehr zu schaffen haben. Zum Beweise für diesen Hauptgedanken dient nämlich die Erinnerung an den Zweck des Todes Christi: Christus ist gestorben, um der Sünde ein Ende zu machen. Die Form der Rede müssen wir nun so verstehen, wie es in Rücksicht auf Christus allein möglich ist. Der Apostel kann nicht sagen wollen, Christus sei der Sünde gestorben, so dass er nun zu sündigen aufhöre. Dergleichen würde nur auf uns zutreffen. In Bezug auf Christus haben wir daran zu denken, dass er den Tod erlitten hat um der Sünde willen, damit er mit seinem Lösegeld Kraft und Recht der Sünde zunichte mache. Sagt der Apostel nun: Christus ist gestorben zu einem Mal -, so denkt er daran, dass er mit einem Opfer eine ewige Erlösung erworben und mit dem Vergießen seines Blutes die Gläubigen in Ewigkeit geheiligt hat (Hebr. 10, 12.14). Und dieses „zu einem Male“ soll auch in unserm neuen Leben zur Erscheinung kommen. Mag das geistliche Absterben in uns immerhin in allmählichem Fortschritt vor sich gehen -, die eigentliche Entscheidung fällt doch zu einem Male, wenn Christus, der mit seinem Blute uns dem Vater versöhnt, uns durch die Kraft seines Geistes zugleich die Wiedergeburt zum neuen Leben schenkt.

Was er aber lebt, das lebt er bei oder in Gott. Mag man die eine oder die andere Verdeutlichung vorziehen, der Sinn ist in jedem Falle: Christus lebt in Gottes ewigem und unvergänglichem Reiche ein über jeden Tod erhabenes Leben, dessen Abglanz in dem wiedergeborenen Leben der Frommen zu Erscheinung kommen muss. Dabei handelt es sich abermals nicht um bloße Nachahmung Christi, sondern um das Wirken seiner Gnade. Der Apostel sagt nicht: ihr seid mit Christus gestorben, also müsst ihr auch mit ihm leben. Sondern er redete V. 8 vom Glauben. Und der Glaube stützt sich immer auf göttliche Zusagen. So sollen die Frommen glauben: Sind wir durch Christi Gnade dem Fleische abgestorben, so wird derselbe Christus die Erneuerung unseres Lebens auch zu Ende führen. Heißt es aber (V. 8): Wir werden mit Christus leben, so will diese Zukunftsform uns nicht etwa bloß auf die letzte Auferstehung vertrösten, sondern uns den stetigen Fortschritt unseres Lebens für alle Zukunft vor Augen stellen.

V. 11. Haltet euch dafür usw. Jetzt kommt unsere Gleichgestaltung mit Christi Tod und Leben zu besonders deutlichem Ausdruck. Ist Christus einmal der Sünde gestorben und lebt er nun in Ewigkeit für Gott, so wendet der Apostel diese beiden Stücke auf uns an und zeigt, wie wir in diesem Leben sterben können, wenn wir der Sünde entsagen. Und auch dies vergisst Paulus nicht zu betonen, dass, wenn unser Glaube nur einmal Christi Gnade ergriffen hat, die Macht der Sünde einen derartigen Stoß empfing, dass das von Gott geschenkte geistliche Leben in alle Zukunft Bestand behalten muss. Mag dabei immerhin die Abtötung des Fleisches nur anfangs weise vorhanden sein. Hätte aber Christus die Sünde in uns nicht ein für allemal getötet, so würde es seiner Gnade an Kraft und Beständigkeit fehlen. Die Worte wollen uns zurufen: Haltet dafür, dass auch in euch geschehen sei, was Christus erfahren hat! Er ist einmal gestorben zur Vernichtung der Sünde: so seid auch ihr gestorben, so dass ihr nun ablasset, der Sünde zu dienen. Also müsst ihr in der begonnenen Abtötung täglich fortfahren, bis die Sünde gänzlich getilgt ist. Wie Christus erweckt ward zu unvergänglichem Leben, so seid auch ihr durch Gottes Gnade in ein neues Leben hinein geboren, welches ihr nun in Heiligkeit und Gerechtigkeit führen sollt: denn die Kraft des Heiligen Geistes, die euch erneuert hat, ist ewig und unverwelklich. Diese Erneuerung ist geschehen in Christus Jesus, nicht bloß durch ihn. Wir sollen dessen gedenken, dass wir in Christus eingepflanzt und dadurch mit ihm eins geworden sind.

12 So lasset nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten. 13 Auch begebet nicht der Sünde eure Glieder zu Waffen der Ungerechtigkeit, sondern begebet euch selbst Gott, als die da aus den Toten lebendig sind, und eure Glieder Gott zu Waffen der Gerechtigkeit.

V. 12. So lasset nun die Sünde nicht herrschen. Jetzt erst beginnt die eigentlich ermahnende Rede, die sich nunmehr wie von selbst aus der vorgetragenen Lehre von unserer Lebensgemeinschaft mit Christus ergibt: mögen die Reste der Sünde noch in uns sein, so wäre es doch ungereimt, dass die Sünde noch ihre ungebrochene Herrschaft ausüben sollte. Die Kraft der Heiligung muss ihrer Herr werden, damit man an unserm Leben spüren kann, dass wir wahre Glieder Christi sind. Dass bei dem sterblichen Leibe nicht an Fleisch, Haut und Knochen zu denken ist, sondern an das gesamte sündige Menschenwesen, daran ist oben schon erinnert worden (V. 6). Hier wird dies vollends deutlich; denn das zweite Satzglied nimmt vom Leibe den Übergang zur Seele. Paulus beschreibt das Wesen des alten Menschen, als ob er ganz Fleisch wäre: so groß ist das Verderben unserer Natur, dass nichts übrig blieb, was ihres ersten Ursprungs aus Gott noch würdig wäre. So lässt auch Gottes Spruch 1. Mose 6, 3, welcher darüber klagt, dass die Menschen Fleisch geworden wie das unvernünftige Vieh, uns nur noch irdische Bestandteile übrig bleiben. Eben dahin zielt Christi Wort (Joh. 3, 6): „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch.“ Wollte man demgegenüber sagen, dass wir uns doch immerhin noch im Besitze einer höher gerichteten Seele befänden, so bedeutet dies nichts. Denn in unserm gegenwärtigen Verderben ist unsere Seele derartig an die Erde gebunden und dem Leibe untertan, dass sie ihres ursprünglichen Vorzugs verlustig ging. Auch deshalb heißt die Menschennatur „Leib“, weil sie ohne die göttliche Gnade nur ein trügerischer Schatten, ein vergängliches Nebelgebilde ist. Dazu bezeichnet Paulus solchen Leib verächtlich als „sterblich“: So wird vollends anschaulich, wie unsere ganze Natur zu Tod und Vergänglichkeit neigt. Unter der Sünde, die nicht herrschen soll, wird die angeborene Verkehrtheit des Gemütes verstanden, die uns zum Sündigen treibt und aus welcher recht eigentlich alle Übeltaten und Laster hervorquellen. Zwischen ihr und uns stehen die Lüste des Leibes: die Sünde ist die Königin, die Lüste sind ihre Erlasse und Befehle.

V. 13. Auch begebet nicht eure Glieder usw. Wo die Sünde einmal die Herrschaft über die Seele gewonnen hat, da werden alle unsere Glieder fortwährend in ihren Dienst gezogen. Deshalb beschreibt der Apostel hier die Herrschaft der Sünde nach ihren Folgen, um uns eine desto bessere Anleitung zu geben, ihr Joch abzuwerfen. Wenn unsere Glieder „Waffen“ heißen, so ist dies Gleichnis dem Kriegswesen entlehnt: Wie der Soldat seine Waffen stets bereit hält, um sie zu brauchen, wann der Feldherr es befiehlt, und wie er sie ohne dessen Anordnung niemals braucht -, so müssen die Christen alle ihre Glieder als Waffen in einem geistlichen Kriege ansehen. Missbrauchen sie irgendein Glied zu verkehrtem Wesen, so dienen sie der Sünde. Sie haben aber Gott und Christus den Fahneneid geleistet; daran sind sie gebunden. Folglich müssen sie jeden Verkehr mit dem Feldlager der Sünde abbrechen. Wie schändlich missbrauchen also den christlichen Namen, die ihre Glieder als Satans Buhldirnen allezeit bereithalten, jegliche Scheußlichkeit auszuüben! Demgegenüber verlangt der Apostel, dass wir uns völlig dem Herrn zur Verfügung stellen sollen. Wir sollen unserm Sinn und Geist alle Abschweifungen versagen, zu welchen die Lüste des Fleisches uns verleiten wollen, und allein auf Gottes Wink schauen, bereit, seine Befehle zu empfangen, gerüstet, seinen Willen zu tun. Unsere Glieder sollen dem Dienste Gottes geweiht und geheiligt sein, so dass alle Kräfte Leibes und der Seele nichts anderes suchen als Gottes Ehre. Dafür gibt der Apostel noch einmal den Grund an: als die da aus den Toten lebendig sind. Denn nicht vergeblich hat Gott unser altes Leben getötet und uns zu einem neuen erweckt, welches ja nicht ohne Lebensbewegungen bleiben kann.

14 Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetze seid, sondern unter der Gnade. 15 Wie nun? Sollen wir sündigen, dieweil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? Das sei ferne! 16 Wisset ihr nicht: welchem ihr euch begebet zu Knechten in Gehorsam, des Knechte seid ihr, dem ihr gehorsam seid, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? 17 Gott sei aber gedankt, dass ihr Knechte der Sünde gewesen seid, aber nun gehorsam geworden von Herzen dem Vorbilde der Lehre, welchem ihr ergeben seid. 18 Denn nun ihr frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit.

V. 14. Die Sünde wird nicht herrschen usw. Das ist ein Trost für die Gläubigen und eine Ermunterung, um der Erfahrung ihrer Schwachheit willen nicht im Eifer der Heiligung nachzulassen. Der Apostel hatte uns ermahnt, alle Kräfte für den Dienst der Gerechtigkeit einzusetzen. Da aber die Reste des Fleisches uns umgeben, kann es nicht ausbleiben, dass wir einigermaßen hinken. Damit wir nun unter dem Bewusstsein der Schwachheit nicht den Mut verlieren, kommt uns das Trostwort zu rechter Zeit zu Hilfe: Gott fordert nicht mehr Werke nach dem strengen Maßstabe des Gesetzes, sondern er nimmt gnädig und nachsichtig an, was wir bringen, weil die anhaftende Unreinigkeit unter der Vergebung steht. Das Joch des Gesetzes kann man nicht tragen, ohne sich daran zu stoßen und zu reiben: so bleibt nichts übrig, als dass die Gläubigen zu Christus fliehen, ihrem Erlöser aus der Knechtschaft. Er erweist sich als der Erlöser. Denn er ward unter das Gesetz getan, dem er doch sonst nicht verpflichtet war, um die zu erlösen, die unter dem Gesetze waren (Gal. 4, 5). Die Gnade, unter der wir stehen, begreift die beiden Teile der Erlösung in sich: die Vergebung der Sünden, kraft deren uns Gott Gerechtigkeit zurechnet, und die Erneuerung durch den Heiligen Geist, welche uns zu guten Werken tüchtig macht. Diese Gnade steht im Gegensatz zum Gesetz; weil wir unter ihr stehen, sind wir nicht mehr unter dem Gesetz. Nun liegt der Sinn des Satzes klar: Die Gläubigen dürfen bei aller Unvollkommenheit nicht verzagen und müde werden, Gutes zu tun. Mag uns die Sünde mit ihren Stichen noch verwunden: überwinden kann sie uns nicht, weil Gottes Geist uns den Sieg gibt und weiter, weil wir, durch Gnade gedeckt, frei sind von den harten Drohungen des Gesetzes. Dabei erscheint ohne weiteres vorausgesetzt, dass alle, welche nicht im Besitz der göttlichen Gnade sich befinden, unter dem Druck und der Verdammnis des Gesetzes liegen. Und daraus lässt sich wiederum schließen, dass, solange die Menschen unter dem Gesetze sind, sie auch von der Sünde beherrscht werden.

V. 15. Wie nun? usw. Wieder muss der Apostel einem Einwand begegnen: denn die Weisheit des Fleisches hängt nur zu leicht ihre Missverständnisse an Gottes Geheimnisse. Ist das Gesetz als Regel des sittlichen Lebens den Menschen zur Zucht gegeben, so scheint mit seiner Abschaffung alle Zucht zu fallen, jede Schranke zu weichen und der Unterschied von Gut und Böse zu verschwinden. Aber es ist eben ein Irrtum, zu glauben, dass mit der Abschaffung des Gesetzes auch die Gerechtigkeit nicht mehr gelte, welche Gottes Gesetz fordert. Die Gebote zum rechten Leben bleiben in Geltung: Christus hat sie nicht beseitigt, sondern feierlichst bestätigt. Die Lösung der Schwierigkeit liegt darin, dass nur der Fluch des Gesetzes aufgehoben ward, welchem außerhalb des Bereichs der Gnade alle Sterblichen unterliegen. Diese Lösung gibt Paulus nicht rund und klar -, er lässt sie nur auf Umwegen erschlossen werden.

Das sei ferne! V. 16. Wisset ihr nicht usw. Zu der entrüsteten Abweisung des frevelhaften Gedankens fügt Paulus auch einen Beweis dafür, dass Christus und der Dienst der Sünde in Widerstreit stehen und man nicht Christus und die Sünde zugleich haben kann. Sündigen wir, so begeben wir uns zu Knechten in den Gehorsam der Sünde. Nun aber sind die Gläubigen im Gegenteil erlöst von der Tyrannei der Sünde, damit sie Christus dienen: also ist es für sie eine Unmöglichkeit, an die Sünde gefesselt zu bleiben. Doch es wird nützlich sein, den einzelnen Sätzen dieser Beweisreihe nach Anleitung des Apostels genauer nachzudenken.

Des Knechte seid ihr, dem ihr d. h. weil ihr ihm gehorsam seid. Der Gehorsam liefert den Beweis dafür, dass der, welcher solchen Gehorsam erzwingt, ein Recht zum Befehlen hat. Sind wir Knechte der Sünde, so muss die Herrschaft wohl der Sünde zukommen. Oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit. Eine ungenaue Redeweise. Streng genommen hätte der Apostel sagen müssen: der Gerechtigkeit zum Leben. So erst wäre der Gegensatz scharf gewesen. Da aber der Gedanke auch so verständlich bleibt, wollte der Apostel mit dem Worte „Gehorsam“ zugleich daran erinnern, worin eigentlich die Gerechtigkeit besteht. „Gehorsam“ schlechthin, ohne genauere Bestimmung, kann dabei gesagt werden, weil die Gewissen zuletzt an Gott allein gebunden sind und es einen andern Gehorsam als gegen Gott schließlich nicht gibt.

V. 17. Gott sei aber gedankt usw. Der Apostel erinnert nicht einfach daran, dass die Christen nicht mehr Knechte der Sünde sind, sondern er fügt eine Danksagung hinzu, um einzuprägen, dass diese Veränderung nicht auf eignem Verdienst, sondern auf dem besonderen Erbarmen Gottes ruht. Solcher Dank soll uns Gottes Wohltat umso besser erkennen und deshalb die Sünde umso tiefer verabscheuen lehren. Nicht deshalb werden wir aus der Knechtschaft des Gesetzes entlassen, damit wir hinfort sündigen dürften. Denn das Gesetz verliert seine Herrschaft erst, wenn uns die Gnade Gottes, welche in uns Gerechtigkeit schaffen will, zu ihrem Eigentum nimmt. Deshalb können wir unmöglich der Sünde dienen, wenn Gottes Gnade in uns herrscht. Haben wir doch oben schon ausgesprochen, dass diese Gnade den Geist der Erneuerung in sich birgt.

Aber nun gehorsam geworden von Herzen usw. Damit enthüllt Paulus den Gegensatz zwischen dem äußerlich fordernden Buchstaben und dem verborgen wirkenden Geist. Es ist als wollte er sagen: Viel besser als das Gesetz mit seinem Drohen und Zwingen weiß Christus die Herzen innerlich zu gestalten. Er gestaltet sie, nicht, wie einige übersetzen, nach der Form, sondern nach dem Vorbild der Lehre. Damit ist das ausgeprägte Bild eines gerechten Lebens gemeint, welches Christus in unserm Herzen erweckt. Dies entspricht der Vorschrift des Gesetzes, nach welcher alle unsere Handlungen sich bilden müssen, wenn sie weder zur Rechten noch zur Linken abweichen sollen.

V. 18. Nun ihr frei geworden seid von der Sünde usw. Es ist ungereimt, nach der Freilassung noch im Stande der Knechtschaft zu verharren. Es gilt, den Stand der Freiheit, den wir empfangen haben, festzuhalten. Wer durch Christi Erlösung frei geworden ist, der darf sich nicht wieder unter die Herrschaft der Sünde zwingen lassen. Dieser Beweis ergibt sich aus der erfolgten Tatsache der Freilassung. Ein weiterer Beweis wird aus deren Zweck und Absicht hergeleitet: ihr seid von dem Sündendienst erlöst, um in das Reich der Gerechtigkeit versetzt zu werden; also müsst ihr die Sünde gänzlich vergessen und euren ungeteilten Sinn zur Gerechtigkeit kehren, unter deren Herrschaft ihr getreten seid. Hier lässt sich beobachten, dass niemand der Gerechtigkeit dienen kann, er wäre denn zuvor durch Gottes Macht und Gabe aus der Knechtschaft der Sünde erlöst. So bezeugt ja auch Christus selbst (Joh. 8, 36): „So euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.“ Wie nichtig sind unsere Anstrengungen aus Kraft des freien Willens, wo doch die Grundlage alles Guten jene Freilassung ist, die allein Gottes Gnade vollbringt!

19 Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit willen eures Fleisches. Gleichwie ihr eure Glieder begeben habet zum Dienst der Unreinigkeit und von einer Ungerechtigkeit zu der andern, also begebet auch nun eure Glieder zum Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden.

V. 19. Ich muss menschlich davon reden. Der Apostel will sagen: Wenn ich den Wert der Gerechtigkeit und der Sünde miteinander vergleichen wollte, so könnte ich zeigen, dass die Gerechtigkeit eine viel eifrigere Nachfolge verdient als die war, mit welcher wir uns an die Sünde hängten. Aber um eurer Schwachheit einigermaßen nachzugeben, will ich solchen Vergleich unterlassen. Indessen muss ich auch bei der äußersten Nachgiebigkeit die gewiss berechtigte Forderung stellen, dass ihr der Gerechtigkeit wenigstens nicht lauer und lässiger dienet als einst der Sünde. Immerhin bedeutet dieser ganze Einleitungssatz nur eine rednerische Form, welche den Anschein erweckt, als solle weniger gesagt werden wie nachher tatsächlich gesagt wird. Denn in Wirklichkeit will Paulus allerdings die Mahnung erteilen, dass wir der Gerechtigkeit um eben so viel eifriger gehorchen sollen, als sie unseres Dienstes würdiger ist als die Sünde.

Gleich wie ihr eure Glieder begeben habet usw. D. h. als ehemals alle eure Glieder zum Gehorsam der Sünde bereit standen, musstet ihr schmerzlich erfahren, wie die Verkehrtheit eures Fleisches euch gefangen und geknechtet hielt. Deshalb seid jetzt ebenso schnell und bereit, euch Gottes Herrschaft zu unterwerfen! Euer Eifer, Gutes zu tun, sei nicht geringer als einst euer Eifer, zu sündigen! – Der Gegensatz zwischen den beiden Reihen des Bösen und des Guten wird nicht scharf innegehalten. Doch ist der Sinn klar. In die erste Reihe setzt der Apostel zwei Stücke: Unreinigkeit und Ungerechtigkeit. Die erstere ist das Gegenteil von Keuschheit und heiligem Wandel (vgl. auch 1. Thess. 4, 7). Bei der andern haben wir an das Unrecht zu denken, welches man dem Nächsten zufügt. Dabei steht das Wort „Ungerechtigkeit“ zweimal in verschiedenem Sinne. Zuerst bezieht es sich auf Räuberei, Betrug, Meineid, überhaupt auf die verschiedenartigsten ungerechten Handlungsweisen im Einzelnen. Dann aber bezeichnet es den verderbten Gesamtzustand des Lebens. Es ist, als ob dastünde: Ihr habt eure Glieder dazu hergegeben, ungerechte Taten zu vollbringen -, deshalb musste die Ungerechtigkeit in euch das Regiment gewinnen. Gerechtigkeit bezeichnet demgegenüber Gesetz und Regel rechten Lebens, welche darauf zielt, dass wir heilig werden, d. h. uns dem reinen Dienste Gottes weihen.

20 Denn da ihr der Sünde Knechte waret, da waret ihr frei von der Gerechtigkeit. 21 Was hattet ihr nun zu der Zeit für Frucht? Welcher ihr euch jetzt schämet; denn ihr Ende ist der Tod. 22 Nun ihr aber seid von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden, habt ihr eure Frucht, dass ihr heilig werdet, das Ende aber das ewige Leben. 23 Denn der Tod ist der Sünde Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu, unserm Herrn.

V. 20. Da ihr der Sünde Knechte waret usw. Der Apostel wiederholt den bereits beschriebenen Unterschied zwischen dem Joch der Gerechtigkeit und der Sünde. Beide stehen in so scharfem Gegensatz, dass, wer der einen sich hingibt, der andern notwendig den Rücken kehren muss. Die Einzelbetrachtung, welche die Natur der Sünde und der Gerechtigkeit gesondert ins Auge fasst, lässt nun ein besonders scharfes Licht darauf fallen, was man von einer jeden erwarten kann und was aus ihr erwächst. Dabei wollen wir im Gedächtnis halten, dass der Beweis des Apostels sich auf die Hinstellung des Gegenteils gründet: Solange ihr der Sünde Knechte waret, da waret ihr frei von der Gerechtigkeit; jetzt aber seid ihr in umgekehrter Lage: ihr müsst der Gerechtigkeit dienen, weil ihr vom Joch der Sünde frei geworden seid.

Frei von der Gerechtigkeit ist, wer jeden Zügel des Gehorsams gegen die Gerechtigkeit abgeworfen hat. Solche Freiheit des Fleisches entfernt uns von Gottes Reich und lässt uns zum Eigentum des Satans werden. Elende und fluchwürdige Freiheit, welche mit zügellosen, rasenden Sprüngen in Verderben stürmt!

V. 21. Was hattet ihr nun zu der Zeit für Frucht? Eindrücklicher konnte der Apostel nicht sagen, was ihm am Herzen lag. Er greift seinen Lesern ans Gewissen und legt ihnen in den Mund, dass sie sich selbst ihrer vorigen Sünden schämen. Denn sobald die Frommen durch Christi Geist und die Predigt des Evangeliums erleuchtet werden, erkennen sie leicht ihr ganzes vergangenes Leben ohne Christus als verdammlich an. Es vergeht ihnen jede Entschuldigung, und Scham steigt auf. Ja, sie streichen die Erinnerung an diese ihre Schande geflissentlich nicht durch, um sich der wahren, schamhaften Demut vor Gott zu erhalten. Und nicht umsonst sagt der Apostel: Welcher ihr euch jetzt schämet. Damit erinnert er leise an die blinde Selbstliebe, in der wir wohl stecken mussten, da wir in der tiefen Finsternis der Sünde den gewaltigen Schmutz gar nicht bemerkten. Nur Gottes Licht kann unsere Augen öffnen und uns einen Blick in die unerkannte Verdorbenheit unseres Fleisches tun lassen. Der christlichen Lebensweisheit Anfang steht darin, dass wir ernstlich uns selbst missfallen und eine heilige Abscheu vor unserer Erbärmlichkeit fassen. Noch deutlicher zeigt ein Blick auf das Ende, wie sehr wir uns unserer Sünde schämen müssen: denn ihr Ende ist der Tod. Wir standen schon am Abgrund des Todes und des Verderbens, ja die Pforten des Todes würden sich schon hinter uns geschlossen haben, wenn Gottes Erbarmen uns nicht zurückgerissen hätte.

V. 22. Nun … habt ihr eure Frucht, dass ihr heilig werdet. Der doppelten Frucht der Sünde entspricht eine doppelte Frucht der Gerechtigkeit. Die Sünde zeitigt in diesem Leben die Qualen des bösen Gewissens, danach den ewigen Tod. Der Gerechtigkeit gegenwärtige Frucht ist die Heiligung, für die Zukunft erhoffen wir von ihr das ewige Leben. Der Blick auf diese Früchte wird bei einem nicht völlig abgestumpften Menschen Schauder und Hass gegen die Sünde und dagegen Liebe und Sehnsucht nach der Gerechtigkeit entzünden.

V. 23. Denn der Tod ist der Sünde Sold. Damit geißelt der Apostel die blinde Begierde, mit welcher die Sünder sich in die Lockspeise verbeißen wie der Fisch in die Angel. Wahrlich, eine reiche Löhnung, welche die Sünde den Verworfenen für ihre Dienste zahlt: der Tod! Unser Satz bildet den nachdrücklichen Abschluss des vorigen. Absichtlich sagt der Apostel mit veränderten Worten noch einmal dasselbe: Verdoppelte Furcht soll uns die Sünde umso verhasster machen. Aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben. Wie die Sünde den Tod gebiert, so bringt Gottes Gnadengabe, die Gerechtigkeit und Heiligkeit, das Glück des ewigen Lebens mit sich. Wie die Sünde zur Ursache des Todes wird, so gibt uns die Gerechtigkeit, mit welcher Christus uns beschenkt, das ewige Leben wieder. Der Ausdruck des Apostels weist mit voller Sicherheit darauf hin, dass unser Heil ganz auf Gottes freier Gnade und Gabe ruht. Paulus hätte ja auch sagen können: der Lohn der Gerechtigkeit sei das ewige Leben. Dann hätte sich eine vollkommene gegensätzliche Übereinstimmung der beiden Satzglieder ergeben. Aber es sollte noch deutlicher werden, dass das Mittel zur Erlangung des ewigen Lebens nicht unser Verdienst, sondern Gottes Gabe ist. Dahin weist auch der Zusatz: in Christus Jesus, unserm Herrn. Nicht in unserer Würdigkeit, sondern in ihm liegt der Grund der doppelten Gottesgabe: der Gerechtigkeit, mit der wir zur Versöhnung mit Gott bekleidet werden, und der Kraft des Geistes, welche unser Leben zu Heiligkeit erneuert.

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autoren/c/calvin/calvin-roemer/calvin-roemer-kapitel_06.txt · Zuletzt geändert: von aj
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