Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 5

Calvin, Jean - Der Römerbrief - Kapitel 5

1 Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus, 2 durch welchen wir auch den Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade, darin wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll.

V. 1. Nun wir denn sind gerecht geworden usw. Der Apostel beginnt nun, die Gerechtigkeit, die er bisher beschrieben, um ihrer Früchte willen noch höher zu rühmen. In solchen weiteren Ausführungen, welche doch zugleich noch manches für den eigentlichen Beweis beibringen, ergeht sich dieses ganze Kapitel. Hatte der Apostel vorher ausgesprochen, dass der Glaube dahinfalle, wenn man die Gerechtigkeit in den Werken sucht, weil die Seele, die in sich selbst keinen festen Grund findet, in ewiger Unruhe sich verzehren muss -, so heißt es jetzt umgekehrt: sind wir durch den Glauben gerecht geworden, so haben wir Frieden mit Gott. Unvergleichliche Frucht der Glaubensgerechtigkeit! Wollte jemand die Ruhe des Gewissens auf Werke gründen -, wie dies Leute zu tun pflegen, welchen wahre Frömmigkeit und seines Empfinden abgeht -, der würde einem Luftgebilde nachjagen. Denn das Herz vergisst entweder das göttliche Gericht und wird gleichgültig darüber, oder es ist voller Furcht und Schrecken, bis es in Christus seine Ruhe findet. Denn er allein ist unser Friede. „Friede“ heißt die heitere Ruhe des Gewissens, welche aus der Gewissheit erwächst, dass wir einen versöhnten Gott haben. Solchen Frieden besitzt weder der Pharisäer, welchen das Vertrauen auf seine Werke aufbläht, noch der gleichgültige Sünder, welcher im süßen Genusse des Lasters keiner Unruhe Raum gibt. Beide scheinen freilich nicht in offenem Kriege mit Gott zu leben, wie ein Mensch, an welchem das Bewusstsein seiner Sünde nagt. Frieden mit Gott haben sie auch sicher nicht, weil sie ja dem richtenden Gott nicht nahe kommen dürfen. Die Gleichgültigkeit ihres Gewissens ist eine Art Flucht vor Gott. So stellt der Apostel den Frieden mit Gott im Gegensatz zur trunkenen fleischlichen Sicherheit. Denn das erste Erfordernis bleibt, dass ein jeder dazu erweckt werde, von seinem Leben Rechenschaft zu geben. Keiner aber wird ohne Zittern vor Gott treten, wenn er nicht auf die Versöhnung aus freier Gnade trauen darf. Solange Gott als Richter dasteht, muss alles Fleisch ihn scheuen und fürchten.

V. 2. Durch welchen wir auch den Zugang haben usw. Denn unsere Versöhnung mit Gott stützt sich auf Christus. Er ist der einige geliebte Sohn, wir alle sind von Natur Kinder des Zorns. – Solche Gnade wird uns durch das Evangelium geschenkt, welches als eine Predigt von der Versöhnung uns in Gottes Reich einführt. Redet der Apostel von „Zugang“, so lehrt er damit, dass unser Heil in Christus seinen Anfang nimmt: damit fallen alle selbst erwählten Vorbereitungen, mit welchen törichte Menschen das Erbarmen Gottes unterbauen zu können meinen. Es ist, als hieße es: Christus begegnet uns ohne Verdienst, welches wir zuvor erwerben, und streckt uns seine Hand entgegen. Alsbald aber fährt die Rede fort: dass unser Heil fest und beständig bleibt, ruht auf der Fortsetzung derselben Gnade; also auch die Gabe der Beständigkeit danken wir nicht unserer Kraft und Treue, sondern dem Herrn Jesus Christus. Der Ausdruck, darin wir stehen, zeigt dabei zugleich an, wie tiefe Wurzeln das Evangelium in den Herzen der Gläubigen schlagen muss, damit sie, in seiner Wahrheit gefestigt, wider alle Anläufe des Teufels und ihres eigenen Fleisches feststehen können. Das Wort lehrt uns, dass der Glaube mehr sein muss als eine flüchtige Tagesmeinung: fest und tief muss er im Gemüte sitzen, damit er ein Leben hindurch aushalte. Nicht der, den ein stürmischer und plötzlicher Antrieb zum Glauben bewegt, zählt schon unter die wahrhaft Gläubigen, sondern nur der, der treulich und festen Fußes auf dem von Gott angewiesenen Posten aushält und dabei stetig an Christus hängt.

Und rühmen uns der Hoffnung usw. Das gibt der Hoffnung auf das ewige Leben Kraft und frohe Spannung, dass wir auf dem festen Fundament der Gnade Gottes feststehen dürfen. Sind die Gläubigen auch auf Erden Fremdlinge und Pilgrime, so steigt ihre Zuversicht doch über alle Himmel empor, und sie bergen das zukünftige Erbe getrost in sich. Damit fallen zwei der verderblichsten Lehrsätze der römischen Kirchenlehrer: der eine, dass die Christen höchstens eine ungefähre „moralische Wahrscheinlichkeit“ bezüglich ihres Gnadenstandes gewinnen dürften; der andere, dass keiner wissen könne, ob er endlich selig werde. Aber wenn wir für die Gegenwart nichts Sicheres wissen und für die Zukunft nichts Gewisses hoffen dürfen -, wer sollte dann noch wagen, sich der Hoffnung zu rühmen? Durchs Evangelium aber strahlt uns der Glanz der zukünftigen Herrlichkeit entgegen, die Gott geben will. Denn es bezeugt uns, dass wir teilhaftig werden der göttlichen Natur, dass wir Gott sehen werden von Angesicht zu Angesicht, und werden ihm gleich sein.

3 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, dieweil wir wissen, dass Trübsal Geduld bringt; 4 Geduld aber bringt Erfahrung; Erfahrung aber bringt Hoffnung; 5 Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden. Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.

V. 3. Nicht allein aber das. Leicht könnte der spöttische Einwurf erhoben werden: die Christen erführen doch trotz ihres Rühmens mannigfachen Jammer und Kampf, und das sei eine sonderbare Glückseligkeit. Deshalb kommt der Apostel diesem Einwand zuvor und spricht es zuversichtlich aus, dass Trübsal das Glück der Frommen nicht stören kann, sondern nur ihr Rühmen vermehren muss. Zum Beweise dessen dienen die Früchte, welche die Trübsal bei den Frommen zeitigt. Stufe für Stufe steigt die Rede empor, bis sie endlich auf der Höhe den Schluss verkündet, dass alle Anfechtung sich uns in Heil und Segen wandeln muss. Dass aber die Heiligen sich der Trübsale rühmen, will nicht so verstanden sein, als wenn sie widrige Geschicke nicht fürchteten und nicht lieber vermeiden möchten, oder als ob keine Last sie wirklich drückte: denn wenn sie die Bitterkeit überhaupt nicht fühlten, könnte keine Geduld daraus erwachsen. Aber in allem Schmerz und Seufzen fehlt ihnen nicht der große Trost, dass alles, was sie tragen, ihnen die Hand des gütigsten Vaters zum Besten auferlegt; deshalb heißt es mit Recht: sie rühmen sich. Denn wo ein Fortschritt des Heils ist, fehlt nie der Anlass zum Rühmen. Hier lernen wir, was das Ende unserer Versuchungen sein muss, wenn anders wir uns als Kinder Gottes beweisen wollen. Sie müssen uns zur Geduld erziehen, und wenn sie das nicht erreichen, so hat unserer Verkehrtheit Gottes Werk um seinen Erfolg und Segen gebracht. Dem widerspricht nicht, dass die Schrift manche verzweiflungsvolle Klagen der Heiligen enthält. Denn zuweilen und für Zeiten drängt und presst Gott die Seinen also, dass sie kaum aufatmen können und des Trostes vergessen: aber alsbald führt er ins Leben zurück, die er zuvor in des Todes Dunkel versenkt. So wird allezeit erfüllt, was Paulus sagt (2. Kor. 4, 8): „ Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.“

Dass Trübsal Geduld bringt. Dies kommt freilich nicht aus der Natur der Trübsal, welche vielmehr den größeren Teil der Menschen dazu reizt, Gott zu widersprechen und sogar zu fluchen. Wenn aber die Widerspenstigkeit in jene innere Folgsamkeit sich wandelt, welche der Geist Gottes samt seinem Troste uns ins Herz gibt, dann werden dieselben Trübsale, welche bei den Widerspenstigen nichts als Groll und Zähneknirschen erzielen, für die Frommen Mittel, Geduld zu wirken.

V. 4. Geduld aber bringt Erfahrung. Paulus denkt an die Erfahrung von der Zuverlässigkeit der göttlichen Fürsorge, welche die Gläubigen machen, wenn sie im Vertrauen auf Gott alle Schwierigkeiten überwinden. Denn wenn sie in der Geduld fest bleiben, erfahren sie, wie viel Gottes Kraft vermag, deren Beistand der Herr den Seinen für alle Zeit verheißen hat. Der Segen solcher Erfahrung ist, dass wir festhalten: Gott trägt uns, wenn wir dulden müssen. So schöpfen wir für die Folgezeit die Hoffnung, dass die bisher erfahrene gnädige Durchhilfe uns niemals fehlen wird. Also: Erfahrung bringt Hoffnung. Diesen Segen verliert nur die Undankbarkeit, welche die erfahrenen Wohltaten vergisst und damit den Grund zu künftiger Hoffnung zerstört.

V. 5. Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden. D. h. sie führt aufs

allergewisseste zu einem fröhlichen Ende. Gott übt uns also nur deshalb in Widerwärtigkeiten, um unser Heil von einer dieser Stufen zur andern (Geduld – Erfahrung …) zu fördern. Das Elend kann uns nicht elend machen, denn es ist in seinem Maße ein Mittel zur Seligkeit. Nun ist bewiesen, was der Apostel sagte, dass die Frommen mitten in der Anfechtung immer einen Grund zum Rühmen haben.

Denn die Liebe Gottes usw. Diese Aussage bezieht sich nicht bloß auf den letzten Satz, sondern auf die ganze bisherige Gedankenreihe: deshalb muss Trübsal in uns Geduld wirken und Geduld eine Erfahrung der Hilfe Gottes schaffen, die uns zu weiterer Hoffnung

ermutigt -, weil wir bei allem Druck und selbst angesichts des Todes noch das Gefühl der Güte Gottes festhalten, welche der beste Trost ist, besser als alles äußere Glück. Ist Gott wider uns, so wandelt sich in Elend, was Glück scheint. Ist aber Gott für uns, so ist kein Zweifel, dass selbst das Unglück einen guten und fröhlichen Ausgang gewinnen muss. Denn alles steht dem Willen des Schöpfers zu Dienst: und seine väterliche Güte wird alle Anfechtung des Kreuzes zum Besten wenden (Röm. 8, 28). Diese Gewissheit von der göttlichen Liebe gegen uns ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist. Welche Güter Gott denen bereitet hat, die ihn recht anbeten, ist vor den Augen, Ohren und Gedanken der Menschen verborgen: der Geist allein kann es offenbar machen. Mit herrlichem Nachdruck sagt der Apostel „ausgegossen“. Denn die überreiche Offenbarung der Liebe Gottes durchflutet unser ganzes Herz. Sie durchdringt jeden Winkel und mildert nicht allein die Traurigkeit: sie mischt sich wie eine milde Würze allen Anfechtungen bei und verleiht ihnen Wohlgeschmack. „Liebe Gottes“ ist also hier Gottes Liebe zu uns, nicht etwa unsere Liebe zu Gott. Gewiss ist es auch richtig, dass wir das Unglück geduldig und hoffnungsvoll nur tragen können, wenn der Trieb des Geistes uns in der Liebe zu Gott erhält. Hier aber will Paulus sagen: fester Glaube an Gottes Liebe ist der einzige Quell unserer Liebe zu ihm. Und solcher Glaube muss uns nicht bloß flüchtig berühren: er muss unsere Herzen völlig durchdringen.

6 Denn auch Christus, da wir noch schwach waren nach der Zeit, ist für uns Gottlose gestorben. 7 Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen dürfte vielleicht jemand sterben. 8 Darum preist Gott seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren. 9 So werden wir ja vielmehr durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind.

V. 6. Denn auch Christus usw. Der Apostel will sagen: zu einer Zeit, da wir noch schwach waren, ist Christus bereits für und gestorben. Unter Schwachheit versteht er dabei unsere Unwürdigkeit, die uns nicht wert macht, dass Gott sein Auge auf uns richte. Es ist also nicht bloß im Allgemeinen von der Weltzeit vor Christi Erscheinung die Rede, da die Menschen schwachen Kindern gleich, unter der Zucht des Gesetzes standen; vielmehr zielt die Rede auf die Erfahrung jedes einzelnen von uns: die Zeit der Schwachheit ist die, welche vor eines jeden Versöhnung mit Gott liegt. Denn da wir alle als Kinder des Zorns geboren werden, so stehen wir unter dem Fluch, bis uns Christus zu seinen Gliedern macht. „Schwache“ sind dieselben Leute, welche sofort darauf „Gottlose“ heißen: sie tragen in sich nichts als Verderben, und der Abschied von der Gottlosigkeit erfolgt erst durch den Glauben, der ja allen fern lag, für welche Christus starb. Auch sonst heißt im Sprachgebrauch des Paulus „schwach“, was keine Würde und Ehre besitzt (1. Kor. 12, 22; 2. Kor. 10, 10). Als wir also noch „schwach waren“, d. h. als wir gänzlich unwürdig und ungeeignet waren und den Anblick Gottes wahrhaftig nicht verdienten – da ist Christus „für uns Gottlose gestorben“. Denn die Gottesfurcht beginnt mit dem Glauben – und den hatte keiner, für den Christus starb. Das gilt auch für die Väter des Alten Bundes, die vor Christi Tod die Gerechtigkeit erlangt haben. Denn sie hatten diese Gnadengabe aus Christi damals zukünftigen Sterben! – Die im Eifer der Rede etwas ausgerenkte Beweisführung des Apostels steigt nun gewissermaßen vom Größeren zum Geringeren hinab und nimmt (V. 7 – 10) folgenden Gang: hat sich Christus der Gottlosen erbarmt, hat er Feinde mit seinem Vater versöhnt, und hat er dies getan durch die Kraft seines Todes -, so wird er jetzt viel mehr selig machen, die gerecht gesprochen werden, wird in seiner Gnade bewahren, die er in dieselbe aufnahm, zumal ja zu seinem Tode jetzt die Kraft seines Lebens kommt.

V. 7. Um eines Gerechten willen. Unter Menschen ist es, wenn nicht völlig ausgeschlossen, so doch äußerst selten, dass jemand einem Gerechten zugute den Tod auf sich nimmt. Mag dies aber immerhin vorkommen: - für einen Gottlosen wird sicher niemand sterben wollen. Das tat nur Christus. So zeigt dieser Vergleich die ganze Herrlichkeit der unter Menschen unerhörten Wohltat Christi.

V. 8. Darum preist Gott seine Liebe gegen uns. Dass Gott seines Sohnes nicht verschont, sondern ihn für Sünder dahingegeben hat, ist der festeste und gewisseste Beweis seiner Liebe zu uns. Wie Johannes sagt (1. Joh. 4, 9–12): Daran sei Gottes Liebe erschienen, dass er uns zuerst geliebt hat, ehe wir ihn liebten. Da wir noch Sünder waren. „Sünder“ sind hier, wie auch sonst, Leute von völliger Sündhaftigkeit, verworfene Sündenknechte, von denen es Joh. 9, 31 heißt: „Wir wissen, dass Gott die Sünder nicht hört.“ Ein „sündiges“ Weib ist ein Weib von schmutzigem Lebenswandel. Was der Apostel meint, macht alsbald der Gegensatz klar (V. 9): Nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind. „Gerecht“ ist der Mensch, welchem die Schuld der Sünde erlassen ward. Im Gegensatz dazu ist ein „Sünder“, wer die Vermaledeiung für seine Sünde zu tragen hat. Und der Gedanke ist: wenn Christus Sündern durch seinen Tod Gerechtigkeit erworben hat, wie viel mehr wird er jetzt Gerechtgesprochene vor dem Verderben schützen! Damit empfängt der Beweisgang des Apostels seine Abschluss: dass uns einmal Heil geschenkt ward, würde nichts helfen, wenn Christus uns nicht bis zu einem gewissen und seligen Ende führte. Nun aber brauchen wir nicht zu fürchten, dass der Herr sein angefangenes Gnadenwerk abbreche. Denn seit er uns mit dem Vater versöhnt hat, stehen wir in einem Stande, über welchen er seine Gnade nun täglich reichlicher ausschütten will.

10 Denn so wir Gott versöhnt sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnt sind.

Dieser Satz bewegt sich noch in der Spur des bisherigen Gedankenganges: nur fügt er einen steigernden Vergleich zwischen Tod und Leben hinzu. Wir waren, so sagt der Apostel, noch Feinde, als Christus sich ins Mittel legte, die Versöhnung mit dem Vater zu stiften. Jetzt sind wir Freunde geworden durch die Versöhnung. Konnte der Tod solches vollbringen, wie viel größer und wirksamer wird die Kraft des Lebens sein! Hier liegt ein fester Grund für die Gewissheit unseres Heils.

11 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch welchen wir nun die Versöhnung empfangen haben.

Jetzt ist der höchste Grad des Rühmens erreicht. Denn wenn wir rühmen dürfen, dass Gott unser ist, so wird aus diesem Quell alles Gute fließen, das sich nur erdenken lässt. Gott ist ja nicht allein das höchste Gut, er ist auch der Inbegriff aller Güter. Und er ist durch Christus unser geworden. Dahin bringt uns also des Glaubens Herrlichkeit, dass nichts zu unserm Glücke fehlen kann. In dieser Weise immer wieder die Kraft der Versöhnung zu rühmen, hat der Apostel guten Anlass. Wir sollen lernen, wenn es um unser Heil geht, das Auge fest auf Christi Tod zu richten. Weiter sollen wir erfahren, dass der Glaube nirgends anders ausruhen kann, als auf der Versöhnung der Sünden.

12 Derhalben, wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben; - 13 denn die Sünde war wohl in der Welt bis auf das Gesetz; aber wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde nicht. 14 Doch herrschte der Tod von Adam an bis auf Mose auch über die, die nicht gesündigt haben mit gleicher Übertretung wie Adam, welcher ist ein Bild des, der zukünftig war.

V. 12. Derhalben, wie usw. Jetzt schickt sich der Apostel an, die bisher vorgetragene Lehre dadurch in ein noch helleres Licht zu rücken, dass er ihr ihren Gegensatz gegenüberstellt. Ist Christus gekommen, um uns aus dem Elend zu erlösen, in welches Adam sich und alle seine Nachkommen gestürzt hatte, so können wir ja, was wir an Christus haben, nicht besser erkennen, als wenn uns gezeigt wird, was wir in Adam verloren haben. Freilich entsprechen sich nicht alle Stücke im Stande des Verderbens und im Stande der Erlösung völlig. Deshalb werden wir mit Paulus auch manchen Unterschied anzumerken haben. Einigermaßen undeutlich wird die Rede dadurch, dass das zweite Glied des angelegten Vergleichs abgebrochen erscheint. Unsere Auslegung wird den Gedankengang gegebenen Orts zu glätten suchen.

Durch einen Menschen usw. Beachtenswert ist hier die Reihenfolge der Stücke: die Sünde geht voran, und aus ihr folgt der Tod. Dies gilt es zu betonen. Es ist ja nicht so, dass Adams Sünde uns ohne jede eigene Schuld lediglich deshalb ins Verderben stürzte, weil er gewissermaßen an unserer Statt gesündigt hätte. Denn Paulus sagt ausdrücklich, der Tod sei zu allen Menschen hindurch gedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben. „Sündigen“ heißt hier: Verderben und Schlechtigkeit an sich tragen. Denn jene natürliche Verkehrtheit, die uns von Mutterleibe her anhaftet, ist vor Gott Sünde und verdient seine Strafe, wenn auch ihre Früchte nicht sofort sichtbar werden. Es handelt sich also um die so genannte Erbsünde. Als Adam geschaffen ward, schenkte Gott ihm die Gaben seiner Gnade für ihn und seine Nachkommen; als er vom Herrn abfiel, hat er in der seinigen auch unsere Natur in Verderben, Schlechtigkeit und Verkehrtheit hinab gezogen. Losgelöst von Gottes Ebenbilde konnte er nur eine Nachkommenschaft erzeugen, die ihm auch in diesem Stücke ähnlich war. Wir haben also alle gesündigt, weil wir alle in dem Verderben der Natur stecken und deshalb schlecht und untüchtig sind. Denn was die Pelagianer

(Anhänger des Mönchs Pelagius – gest. etwa im Jahre 420 -, welcher eine so weitgehende Freiheit des menschlichen Willens lehrte, dass jeder Einfluss sowohl der verderbten Natur als auch der göttlichen Gnade ausgeschlossen erscheint. Jeder einzelne Mensch soll seinen Fall wie seine Erneuerung lediglich dem eignen sittlichen Entschluss zuschreiben. Gegen diese Lehre, welche die Grundlage des christlichen Erlösungsglaubens zerstört, und deren Spuren in der rationalistischen Denkweise wiederkehren, ist namentlich Augustinus aufgetreten.) einst in Widerspruch mit dem Satze des Paulus vorgetragen haben, ist ein albernes Gerede: es soll nämlich lediglich dadurch die Sünde sich über das ganze Menschengeschlecht verbreitet haben, dass jeder einzelne Mensch ebenso in Sünde gefallen ist wie Adam. Dabei würde aber auch Christus nur als Vorbild, nicht als Urheber unserer Gerechtigkeit dastehen. – Weiter ist klar, dass Paulus von der Tatsünde hier gar nicht redet. Denn wenn jeder sich die Schuld persönlich zuziehen sollte, dürfte ja Adam nicht mit Christus in Vergleich gestellt werden. Also denkt der Apostel hier an die angeborene Erbsünde.

V. 13. Bis auf das Gesetz. Diese Worte kommen einem Einwurf zuvor. Da es nämlich ohne Gesetz keine Übertretung zu geben scheint, so konnte der Zweifel erhoben werden, ob denn vor dem Gesetz bereits Sünde vorhanden gewesen sei. Dass sie nach dem Gesetz vorhanden war, verstand sich von selbst: nur wegen der Zeit vor Erlass des Gesetzes blieb die Frage unentschieden. Deshalb stellt Paulus fest, dass das Menschengeschlecht auch damals schon, und zwar von Mutterleibe an, unter dem Fluch gestanden, obwohl noch kein geschriebenes Gesetz Gottes das Urteil sprach. Vollends kann für diejenigen keine Entschuldigung gelten, welche vor Erlass des Gesetzes in groben Sünden und Lastern gelebt haben. Denn von jeher existierte der Gott, welchem Ehre gebührte, und immer gab es irgendeine Regel der Gerechtigkeit. Diese Auslegung ist so klar und glatt, dass abweichende Ansichten damit von selbst hinfallen.

Wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde nicht. Ohne das Drohen des Gesetzes schlafen wir sozusagen auf unsern Fehlern ein. Dabei sündigen wir fort und fort: aber wir übertäuben, soviel an uns ist, die sich aufdrängende Erkenntnis des Bösen und suchen so schnell wie möglich zu vergessen. Endlich aber überführt und straft uns das Licht, es stößt uns gewissermaßen, um uns wach zu machen, und will das Gericht Gottes in unser Gedächtnis zurückrufen. Der Apostel sagt also: wie die Menschen nun einmal in ihrer Verkehrtheit stecken, bedürfen sie der Erweckung durch das Gesetz; ohne diese verwischen sie den Unterschied von Gut und Böse zu einem guten Teile und lassen sich in ruhiger Sicherheit gehen, als gäbe es kein Gericht Gottes. Dass übrigens Gott der Sünde wohl geachtet und sie den Menschen angerechnet habe, dafür steht die Strafe Kains ein, ferner die Sintflut, welche die ganze Erde überflutete, das Gericht über Sodom, die um Abrahams willen über Pharao und Abimelech verhängten Strafen. Auch die Menschen haben gegenseitig ihre Sünde geachtet und haben sie einander zugerechnet: dafür zeugen die mannigfachen Klagen und Streitereien, in welchen die einen den andern ihre Ungerechtigkeiten vorwerfen, und wiederum der Eifer, mit welchem sie ihre Taten zu rechtfertigen suchen. Endlich befasst auch jeder für sich ein Bewusstsein von Gut und Böse, wofür viele Beispiele sich beibringen ließen. Aber meistens nahmen sie es mit ihren Fehlern leicht, so dass sie ohne besonderen Zwang der Sünde nicht achteten. Wenn also der Apostel sagt: „Wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde nicht“ -, so meint er dies nur verhältnismäßig: die Menschen versinken in Sorglosigkeit, wenn sie kein Stachel des Gesetzes trifft.

V. 14. Doch herrschte der Tod von Adam an. Hier wird es vollends deutlich, dass den Menschen von Adam an bis zum Erlass des Gesetzes ihr leichtsinniges und sicheres Leben, in welchem sie sich über den Unterschied von Gut und Böse hinwegsetzen wollten, nichts genützt hat. War auch ohne die Mahnungen des Gesetzes die Erinnerung an die Sünde begraben, so trug die Sünde selbst doch ihre Frucht zur Verdammnis. Darum hat auch damals der Tod geherrscht; denn der Menschen Blindheit und Verstockung konnte Gottes Gericht nicht aufhalten. Auch über die, die nicht gesündigt haben mit gleicher Übertretung wie Adam. Dieser Satz pflegt gewöhnlich beigebracht zu werden, um zu beweisen, dass auch die kleinen Kinder, die noch keine Tatsünden begangen haben, um der Erbsünde willen in die Verdammnis gehen. Aber der Zusammenhang weist darauf hin, dass von solchen die Rede ist, welche vor dem Gesetz und ohne dasselbe gesündigt haben, und welche deshalb ihrer Sünde nicht achteten. Diese Leute haben nicht mit gleicher Übertretung wie Adam gesündigt, weil ihnen kein deutlicher Befehl den Willen Gottes vor Augen stellte. Dem Adam hatte Gott befohlen, vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen nicht zu essen. Die folgenden Geschlechter aber besaßen kein Gebot außer dem Zeugnis des Gewissens. Der Apostel will also zu verstehen geben, dass dieser Unterschied zwischen Adam und seinen Nachkommen für die Frage der Schuld und Verdammnis gar nichts austrägt. Unter diesen allgemeinen Grundsatz fallen dann allerdings auch die Kinder.

Welcher ist ein Bild des, der zukünftig war. Diese Worte bringen dem Sinne nach das zweite Glied des vorher (V. 12) abgebrochenen Vergleichs. Paulus wollte etwa schreiben: Wie durch einen Menschen die Sünde in die ganze Welt gekommen ist, und durch die Sünde der Tod -, so kehrte durch einen Menschen die Gerechtigkeit wieder, und durch die Gerechtigkeit das Leben. Dass er aber Adam als ein Abbild Christi bezeichnet, lässt sich wohl begreifen: denn auch bei dem stärksten Gegensatz bleibt eine bestimmte Übereinstimmung. Denn wie durch Adams Sünde alle verderbt wurden, so bringt Christi Gerechtigkeit für alle eine Wiederherstellung. Es ist aber zu beachten, dass Adam nicht als Urbild der Sünde und Christus nicht als Urbild der Gerechtigkeit bezeichnet wird -, als ob sie uns nur mit ihrem Beispiel vorangingen! Es wird vielmehr Adam mit Christus, Christus mit Adam verglichen.

15 Aber nicht verhält sich´ s mit der Gabe wie mit der Sünde. Denn so an eines Sünde viele gestorben sind, so ist vielmehr Gottes Gnade und Gabe vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus.

Aber nicht verhält sich´ s mit der Gabe usw. Jetzt schränkt der Apostel den Vergleich zwischen Adam und Christus ein, indem er in mehrfach wiederkehrenden Wendungen auch die Verschiedenheit heraushebt. Dabei fehlt des der Rede an Vollständigkeit und glattem Fluss. Doch tut dies der Majestät der himmlischen Weisheit, welche der Apostel zu lehren hat, keinen Eintrag. Vielmehr hat es Gottes unvergleichliche Vorsehung so geordnet, dass die höchsten Geheimnisse sich unter verwunderlich geringen Worten bergen müssen: so ruht unser Glaube nicht auf der Gewalt menschlicher Rede, sondern allein auf der Kraft des Geistes. Indem nun Paulus den Unterschied feststellt, will er nicht sagen, dass Christus etwa eine größere Zahl von Menschen gerettet, als Adam ins Verderben gestürzt, sondern: da Adams Sünden vielen das Verderben gebracht, so wird Christi Gerechtigkeit nicht geringere Kraft besitzen, um vielen das Heil zu schaffen. Gottes Gnade und Gabe. „Gnade“ steht der Sünde gegenüber, die „Gabe“, welche aus der Gnade hervorgeht, dem Tode. Darum bezeichnet hier „Gnade“ die freie Güte Gottes, die unverdiente Liebe, welche er uns in Christus zugewendet, um unserm Elend zu Hilfe zu kommen. Die „Gabe“ aber ist die Frucht der Barmherzigkeit, die uns erwächst: die Versöhnung, welche uns Leben und Heil bringt, Gerechtigkeit, neues Leben usw. Dabei spricht der Apostel von der Gnade des einen Menschen Jesus Christus, weil ihn der Vater als ein Quell verordnet hat, aus dem wir alle schöpfen sollen. Außer Christus lässt sich kein Tropfen Leben finden, und ein anderes Heilmittel für unsere Dürftigkeit und Leere, als dass Christus uns mit seinem Überfluss erfülle, gibt es nicht.

16 Und nicht ist die Gabe allein über eine Sünde, wie durch des einen Sünders eine Sünde alles Verderben. Denn das Urteil ist gekommen aus einer Sünde zur Verdammnis; die Gabe aber hilft auch aus vielen Sünden zur Gerechtigkeit.

Hier wird der eigentliche Grund ersichtlich, welcher den Apostel zur Einschränkung des Vergleichs veranlasste: die Schuld einer einzigen Sünde reichte aus, um über uns alle die Verdammnis zu bringen, aber die Gnade oder vielmehr das Geschenk der Gnade erwies sich wirksam zur Freisprechung von vielen Sünden. Unser Satz erklärt also erst vorangegangenen, welcher ja noch nicht völlig deutlich ausgesprochen hatte, inwiefern der Ertrag der Gnade Christi reichlicher war (V. 15), als die Folge der Sünde Adams. Aus vielen Sünden erlöst uns Christus, nicht bloß aus der Erbsünde oder den vor der Taufe begangenen Tatsünden, sondern alle Sünden sind eingeschlossen, mit welchen die Heiligen sich täglich neue Schuld zuziehen, welche auch ohne Zweifel zur Verdammnis führen müssten, wenn die Gnade sie nicht fortwährend deckte. – „Urteil“ und „Gabe“, welche in Gegensatz gestellt werden, bezeichnen die Strenge des göttlichen Gerichts und andererseits die unverdiente Verzeihung. Denn die Strenge wirkte Verdammnis, die Verzeihung Freispruch. Mit andern Worten: wollte Gott nach strengem Recht handeln, so müssten wir alle verloren werden -, aber er spricht uns aus Gnaden in Christus gerecht.

17 Denn so um des einen Sünde willen der Tod geherrscht hat durch den einen, viel mehr werden die, so da empfangen die Fülle der Gnade und der Gabe zur Gerechtigkeit, herrschen im Leben durch einen, Jesum Christum.

Die vorige Aussage, dass die Gnade weiter reiche als die Sünde, empfängt einen neuen Beleg. Der Apostel kann eben Gottes Gnade nicht genug rühmen: er will die Menschen vom Vertrauen auf sich selbst zu Christus führen; in seiner Gnade sollen sie sicher ruhen und endlich den Antrieb zur Dankbarkeit empfangen. Der Hauptgedanke des Apostels lautet: Christus siegt über Adam. Denn Christi Gerechtigkeit überwindet Adams Sünde; Christi Gnade dämpft Adams Fluch; Christi Leben verschlingt den Tod, welchen Adam uns zugezogen. Übrigens stimmen die Glieder auch dieses Vergleichs nicht völlig überein. Paulus hätte sagen müssen: viel mehr herrscht die Gabe des Lebens vermöge der Fülle der Gnade; er sagt aber: die Gläubigen werden herrschen. Sachlich ist ja dies einerlei: denn die Herrschaft der Gläubigen im Leben ist auch die Herrschaft des Lebens in den Gläubigen. – Übrigens lohnt es sich, noch einen doppelten Unterschied zwischen Christus und Adam anzumerken, welchen der Apostel nicht deshalb übergangen hat, weil er ihn für unbedeutend hielt, sondern weil er für den vorliegenden Zusammenhang weniger austrug. Zuerst: die Sünde Adams zieht uns die Verdammnis nicht zu, weil sie uns lediglich zugerechnet würde, so dass wir nur die Strafe für fremde Schuld trügen. Vielmehr stehen wir in selbst erworbener Schuld, und die auf Adam gelegte Strafe trifft uns, weil unsere Natur in ihm zum Bösen verkehrt ward und nun vor Gott schuldig dasteht. Aber Christi Gerechtigkeit schafft in anderer Weiser unser Heil: sie gehört uns nicht etwa deshalb, weil sie in uns wäre, sondern weil wir Christus mit allen seinen Gütern besitzen, welchen des Vaters Gnade uns geschenkt hat. „Gabe zur Gerechtigkeit“ bezeichnet also nicht einen Zustand, welchen Gott in uns herstellt, sondern die unverdiente Zurechnung der Gerechtigkeit. Der Apostel sagt damit nur genauer, was er unter „Gnade“ versteht. Zweitens: die Wohltat Christi kommt nicht in gleicher Weise allen Menschen zugute, wie Adam das Verderben über das gesamte Menschengeschlecht brachte. Doch der Grund hierfür liegt auf der Hand: der von Adam erworbene Fluch kommt auf dem Wege der Natur zu uns: er betrifft also notwendig die ganze Masse des Geschlechts. Um aber in die Gemeinschaft der Gnade Christi zu gelangen, müssen wir ihm durch den Glauben eingeleibt werden. Um also die Erbschaft des Sündenelends anzutreten, genügt es, ein Mensch zu sein: denn dieselbe hängt an Fleisch und Blut. Wer aber Christi Gerechtigkeit genießen will, muss gläubig sein: denn nur der Glaube erschließt Christi Gemeinschaft. Auch den Kindern kommt dieselbe auf keine andere Weise zu. Denn das Kindschaftsrecht, vermöge dessen sie in Christi Gemeinschaft stehen, ruht auf dem Gnadenbunde. Aber dies gilt doch nur von den Kindern der Gläubigen, welche in die Verheißung der Gnade einbegriffen sind: die andern stehen unter dem allgemeinen Lose der Menschheit.

18 Wie nun durch eines Sünde die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, also ist auch durch eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen.

Dieser Satz stellt das Gesamtergebnis des bisher erörterten Vergleiches dar. Die Verschiedenheit tritt jetzt beiseite, und die Übereinstimmung wird in ihrem entscheidendsten Stücke deutlich. Wie die Sünde des einen uns zu Sündern machte, so ist es Christi Gerechtigkeit allein, welche unsere Gerechtigkeit schafft. Christi Gerechtigkeit und Gehorsam kam nicht seiner Person allein zugute, sondern greift weit darüber hinaus und macht die Gläubigen reich, welche sie zum Geschenk empfangen. Ein Gemeinbesitz für alle Menschen ist die Gnade nun deshalb, weil sie für alle öffentlich ausgeboten ward, nicht etwa weil alle sie wirklich hinnähmen. Christus hat zwar für die Sünden der ganzen Welt gelitten, und alle empfangen unterschiedslos das Angebot der Güte Gottes: aber nicht alle nehmen es an. „Rechtfertigung des Lebens“, d. h. eine lebendig machende Rechtfertigung; so heißt das göttliche, uns freisprechende Rechtfertigungsurteil, weil es uns den Zutritt zum Leben eröffnet. Denn die Hoffnung der Seligkeit ruht darauf, dass wir einen gnädigen Gott haben: um ihn aber haben zu können, müssen wir gerecht sein. Also kommt das Leben aus der Rechtfertigung.

19 Denn gleichwie durch eines Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch eines Gehorsam werden viele Gerechte.

Dieser Satz bildet nicht eine Wiederholung, sondern eine notwendige Erläuterung des vorigen. Denn er zeigt auf der einen Seite, dass die Verdammnis, welche die Schuld des einen Menschen uns zuzog, doch nicht ohne unsere Schuld über uns kommt. Zuvor hieß es (V. 18): die Verdammnis ist über alle Menschen gekommen. Dabei könnte noch jeder einzelne sich selbst allenfalls für schuldlos halten. Um diesen Gedanken abzuschneiden, fügt der Apostel hinzu: Die Verdammnis kam zu allen Menschen, weil sie alle Sünder waren. Wenn es auf der andern Seite heißt, dass wir durch Christi Gehorsam Gerechte werden, so schließen wir daraus, dass Christus uns die Gerechtigkeit erworben hat, weil er uns mit dem Vater versöhnt. So folgt: der Zustand wirklicher Gerechtigkeit findet sich in Christus, aber was ihm gehört, wird uns zugute gehalten. Zugleich beschreibt der Apostel Christi Gerechtigkeit genauer, indem er sie Gehorsam nennt. Dabei wollen wir bedenken, was wir alles vor Gottes Augen bringen müssten, wenn wir durch unsere Werke gerechtfertigt werden wollten. Ein nicht bloß teilweiser, sondern in allen Stücken vollkommener Gehorsam gegen Gottes Gesetz würde erforderlich sein. Denn wenn der Gerechte nur einmal fällt, so wird aller seiner vorigen Gerechtigkeit nicht mehr gedacht werden. Dabei werden auch alle selbst erwählten Werke nichts helfen, die Gott nur für Kot achtet. Denn Gehorsam ist besser als Opfer.

20 Das Gesetz aber ist neben eingekommen, auf dass die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden, 21 auf dass, gleichwie die Sünde geherrscht hat zum Tode, also auch herrsche die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesum Christum, unsern Herrn.

V. 20. Das Gesetz … ist neben eingekommen usw. Der Gedanke an das Gesetz ergab sich notwendig daraus, dass Paulus zuvor ausgesprochen, schon vor Erlass des Gesetzes sei Sünde in der Welt gewesen (5, 13). Denn nun musste sofort die Frage aufsteigen, was denn das Gesetz ausrichten solle. Diese Schwierigkeit hätte schon an der früheren Stelle behoben werden sollen. Aber der Apostel wollte den Zusammenhang nicht unterbrechen. Jetzt trägt er die Lösung nach, aber auch nur flüchtig. Wenn es heißt, das Gesetz sei zwischeneingekommen, auf dass die Sünde mächtiger würde, so soll damit Nutzen und Wert des Gesetzes nicht etwa vollständig beschrieben sein: der Apostel greift lediglich eine Seite der Sache heraus, auf welche es im vorliegenden Zusammenhange ankommt. Er lehrt, dass für die göttliche Gnade Raum geschafft werden sollte und die Menschen deshalb zu tieferer Erkenntnis ihres Verderbens geführt werden mussten. Sie hatten ja längst vor dem Gesetz Schiffbruch erlitten, aber sie bildeten sich in ihrem Verderben ein, zu schwimmen: so mussten sie in die Tiefe getaucht werden, damit die Erlösung, die sie wider alles menschliche Begreifen von dort emporhebt, umso herrlicher erscheine. Man darf es auch keineswegs für unsinnig halten, dass ein Gesetz unter anderem auch dem Zwecke dienen soll, bereits verdammte Menschen noch einmal zu verdammen: denn nichts ist gerechter, als dass die Menschen auf alle Weise zur Erkenntnis ihres Übels geführt oder besser getrieben werden.

Auf dass die Sünde mächtiger würde. Vielfach versteht man dies Wort so, dass der Druck des Gesetzes die böse Lust nur noch mehr reize. Denn es liege in der Menschennatur, gegen Verbotenes sich aufzulehnen. Mir scheint indessen nur von dem Wachstum der Erkenntnis und Einsicht die Rede zu sein. Denn das Gesetz schiebt den Menschen ihre Sünde derartig unter die Augen, dass sie die ihnen bevorstehende Verdammnis notgedrungen sehen müssen. Die Sünde, welche man sonst unbeachtet hinter sich warf, ergreift nunmehr das Gewissen. Wer bisher nur einfach der Schranken der Gerechtigkeit übertrat, wird jetzt, seitdem es ein Gesetz gibt, zum Verächter des göttlichen Befehls, der ihm Gottes Willen bekannt machte: denn er tritt Gottes geoffenbarten Willen mit Füßen. So wird die Sünde durchs Gesetz gemehrt, weil das Ansehen des Gesetzgebers Verachtung und seine Majestät Herabsetzung erfährt.

Da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden. Nachdem die Sünde die Menschen im Abgrunde festgehalten, hat die Gnade Hilfe gebracht. Die Größe der Gnade tritt in ein umso helleres Licht, weil sie die überströmende Sünde so reichlich überflutet, dass sie die böse Flut nicht bloß bedeckt, sondern gänzlich verzehrt. Hier sollen wir lernen, dass das Gesetz uns nicht deshalb unsere Verdammnis vorhält, um uns darin zu lassen. Sondern nachdem wir unser Elend recht erkannt, sollen wir zu Christus empor gerichtet werden, welcher gekommen ist als ein Arzt der Kranken, ein Erlöser der Gefangenen, ein Tröster der Betrübten, ein Helfer der Unterdrückten (Jes. 61, 1).

V. 21. Auf dass, gleich wie die Sünde geherrscht hat usw. Wie die Sünde „der Stachel des Todes“ (1. Kor. 15, 56) heißt, weil der Tod nur um der Sünde willen ein Recht auf den Menschen hat, so macht sie ihre Kraft durch den Tod geltend. Deshalb heißt es, sie übe durch denselben ihre Herrschaft aus. Das zweite Satzglied entspricht nicht einfach dem ersten. Hätte dies der Fall sein sollen, so müsste es lauten: „Also auch herrsche die Gerechtigkeit durch Christus.“ Aber mit diesem einfachen Gegensatz wollte Paulus sich nicht begnügen: er schiebt noch das Wort „Gnade“ zwischenein um einzuprägen, dass in diesem Handel nichts an unserm Verdienst, sondern alles an dem freien Erbarmen Gottes hängt. Hatte der Apostel früher (5, 14) gesagt, dass der Tod selbst geherrscht habe, so schreibt er jetzt der Sünde die Herrschaft zu, doch so, dass deren Ziel und Ende der Tod ist. Und zwar heißt es: die Sünde hat geherrscht -, in der Vergangenheit. Damit soll gewiss nicht gesagt sein, dass sie aufgehört habe in denen zu herrschen, welche nur vom Fleisch und Blut geboren sind. Vielmehr wird die Zeit Adams und die Zeit Christi unterschieden. Sobald also in irgendeinem Menschen Christi Gnade ihr Regiment begonnen, hört die Herrschaft der Sünde und des Todes auf.

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