Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Vorwort.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Vorwort.

Im August 1901 hat der Unterzeichnete eine Vorbemerkung „über Zweck und Einrichtung des Unternehmens“ niedergeschrieben, als wir uns anschickten, mit den ersten Proben des Calvinischen Bibelwerkes vor die deutsche Öffentlichkeit zu treten. Vorliegende Zeilen, welche an der Spitze des ersten, in der Zeitfolge des Erscheinens aber letzten Bandes stehen sollen, werden im Oktober 1919 abgefasst. Über 18 Jahre hat sich die Arbeit an der verdeutschten Bibelerklärung Calvins und der Druck hingezogen, zuerst mehrfach aufgehalten durch Hemmungen der persönlichen Arbeitskraft, zuletzt namentlich durch die Weltkatastrophe des Krieges. Möge es denn in der Entzweiung der Völker ein Zeichen der Gemeinschaft der Heiligen sein, dass der französische Reformator deutschen Christen das Verständnis des Buchs der Menschheit erschließen und vertiefen kann.

Calvin selbst gedachte mit seinen Kommentaren der evangelischen Christenheit aller Länder zu dienen. Er widmete die einzelnen Bände zum guten Teil führenden Männern von Genf bis nach Deutschland hinein, bis Polen, Dänemark und England, Fürsten und Politikern, Theologen, Schulmännern und andern Gelehrten. Wie bei Luther war auch bei Calvin das Rückrat der gesamten Lebensarbeit die Beschäftigung mit der Bibel. Aus seinen Vorlesungen erwuchsen abgerundete Kommentare. Der erste, zum Römerbrief, erschien 1539. Dann folgten – nur mit Ausnahme der Offenbarung und der beiden kleinen Johannesbriefe – sämtliche Bücher des Neuen Testaments, 1555 mit der Evangelienharmonie abgeschlossen. Inzwischen hatte schon die Arbeit an den alttestamentlichen Kommentaren begonnen: 1554 erschien die Auslegung des 1. Buchs Mose, 1557 der Psalmen, 1559 des Propheten Jesaja, 1563 des 2. bis 5. Buchs Mose und des Buchs Josua. Zu den andern Propheten sowie sonstigen Schriften des Alten Testaments sind Calvins nachgeschriebene Vorlesungen veröffentlicht worden. Unsere Übersetzung beschränkt sich auf die vom Reformator eigens für den Druck bearbeiteten Stücke.

Über die kraftvolle Eigenart der Calvinischen Kommentare geben D. C. von Orelli und D. Siegfried Goebel in den bereits 1901 niedergeschriebenen Vorreden zur alt- und neutestamentlichen Reihe Auskunft. Aus der inzwischen erschienen Literatur sei noch hingewiesen auf: August Lang, Johannes Calvin, Leipzig 1909, S. 177 f. Es ist Calvins besondere Gabe, die Gedanken der biblischen Schriftsteller mit genauer philologischer Achtsamkeit auf den Ausdruck in ihrem eigenen Zusammenhang zu entwickeln. Er arbeitet in dieser Hinsicht viel exakter als Luther, nach einer Methode, die modern anmutet. Und doch erhebt er sich über eine nur geschichtliche Betrachtungsweise und vernimmt aus dem Munde der Propheten und Apostel Gottes Offenbarung zu unserm Heil. Eben diese Vereinigung strenger Sachlichkeit und persönlich-gläubiger Anteilnahme ist kennzeichnend für Calvin.

Selbstverständlich hat uns die Forschung von fast vier Jahrhunderten an vielen Punkten weitergeführt, und von Unfehlbarkeit irgendeiner Auslegung, sie sei im 16. oder im 20. Jahrhundert entstanden, ist keine Rede. Aber Calvin behauptet unter den Bibelauslegern aller Zeiten einen der obersten Plätze. Seine Kommentare haben auch der evangelischen Kirche der Gegenwart in ihren theologischen wie nichttheologischen Gliedern noch eine so reiche Förderung zu bieten, dass es sich wohl lohnt, sie aus dem Lateinischen in eine lebende Sprache zu übersetzen. Für streng wissenschaftliche Studien bleibt natürlich der Originaltext unentbehrlich. Indessen mögen nicht nur des Lateinischen unkundige Leser, sondern auch Pastoren, Kandidaten und Studenten für praktische und eigene exegetische Bedürfnisse lieber unsere Übersetzung zur Hand nehmen, als dass sie bei der unaufhaltsam wachsenden Scheu vor lateinischer Lektüre die überall gerühmten und doch so wenig genützten Schätze Calvins überhaupt ungehoben lassen.

Die Übersetzung wurde nach denselben Grundsätzen bearbeitet wie diejenige der Institutio, die 1909 im gleichen Verlag erschien: „Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion“. Sie gibt also nicht unbedingt jedes Wort des Reformators wieder, sondern übergeht Auseinandersetzungen, die nur für ihre Zeit Wert hatten, zieht auch sonst gelegentlich etwas zusammen. Indessen bietet sie nicht etwa „erbauliche“ Brocken im Auszug, sondern Calvins unzerstückte Gedankengänge. Unter keinen Umständen haben wir uns eine Modernisierung erlaubt, welche dem Reformator etwas unterschöbe, was er nicht selbst gesagt hätte.

Dank sei den zahlreichen Mitarbeitern, Dank dem Verlag, der bis zum Ziel treulich durchgehalten hat! Gott lege Seinen Segen auf Calvins Werk und unsere Arbeit!

Prof. D. E. F. Karl Müller.

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