Calvin, Jean – 06. Das sechste Gebot.

Calvin, Jean – 06. Das sechste Gebot.

Abschnitt 146. – 2. Mose 20, 13 = 5. Mose 5, 17.

Die Summe dieses Gebots ist, dass wir niemandem Unrecht und Gewalt tun sollen. Um diese allgemeine Absicht zu erreichen, stellt uns Gott eine Form gewaltsamen Unrechttuns vor Augen, vor der auch der natürlich-menschliche Sinn zurückschreckt: vor einem Mord scheut sich jedermann derartig, dass man schon die gleichsam ansteckende Berührung eines Menschen flieht, dessen Hände mit Blut befleckt sind. Es ist in der Tat Gottes Wille, dass die noch jetzt im Menschen vorhandenen Reste seines Ebenbildes mit heiliger Ehrfurcht behandelt werden sollen: wer einen Menschen mordet, soll wissen, dass er einen Frevel an Gott selbst begeht. Der Grund, mit dem anderwärts vor dem Morde gewarnt wird, dass man damit nämlich Gottes Ebenbild angreift (1. Mose 9, 6), steht hier freilich nicht: aber es ist die Art des Gesetzgebers, in kappem Tone des Befehls zu reden, - und wir mögen dann aus eigener Erinnerung hinzufügen, was dahin gehört, z. B. auch die Wendung bei Jesaja (58, 7), dass der Mensch unser Fleisch ist, vor dessen Beschädigung wir uns zu hüten haben. Dass übrigens das „nicht töten “ wiederum nur ein Stichwort ist, bei welchem wir zugleich an jede Gewaltanwendung und tätliche Beleidigung zu denken haben, wird alsbald noch deutlicher werden. Dazu prägen wir uns noch den anderen Grundsatz ein, dass dem Verbot gegensätzlich ein entsprechendes Gebot zu entnehmen ist: man hält also das Gebot Gottes noch keineswegs, wenn man einfach grobes Unrecht meidet. Sollte z. B. ein schwachmütiger Mensch, der kein Kind anzugreifen wagt, also noch weniger wider einen Erwachsenen einen Finger aufheben wird, mit dieser bloßen Unterlassung schon alle Pflichten der Menschenliebe erfüllt haben, die unser Gebot einprägen will? Schon der natürliche Sinn gibt uns ein, dass mehr nötig ist, als ein Unterlassen von bösen Taten. Und ganz einfach der Blick auf die Summe der zweiten Tafel kann uns lehren, dass Gott nicht bloß den Mord verbieten, sondern uns zur treulichen Fürsorge für das Leben des Nächsten anleiten will, das ihm teuer und wert ist. Denn diese Summe ist überhaupt kein Verbot, sondern ein klares und ausdrückliches Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben.“ Unser Gebot macht davon nur die besondere Anwendung auf des Nächsten Leben. Es umfasst demgemäß zwei Stücke: erstlich sollen wir niemanden schädigen und drücken, noch uns feindlich und beschwerlich zeigen. Sodann sollen wir nicht bloß freundlich und friedfertig mit den Menschen umgehen, sondern auch, soviel an uns ist, Arme und Elende, die man ungerecht drückt, unterstützen und den Gottlosen widerstehen, damit sie nicht nach ihren Launen Schaden stiften. So enthüllt uns Christus den wahren Sinn unseres Gebots (Mt. 5, 22): nicht bloß der Mörder ist ein Übertreter desselben, sondern schon, wer mit seinem Bruder zürnt, ist des Gerichts schuldig; wer aber sagt: Racha! der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: du Narr! der ist des höllischen Feuers schuldig. Damit gibt Christus nicht, wie man törichter Weise gemeint hat, ein neues Gesetz, als wolle er das Gebot seines Vaters tadeln und verbessern. Vielmehr will er zeigen, dass man das Gesetz in der törichtsten Weise missversteht, wenn man sich nur bei dem Schein der äußeren Werke, also gleichsam bei der Schale aufhält. Was Gott will, lässt sich aus seinem Wesen abnehmen. Vor dem irdischen Richter ist der Gewaltanwendung schuldig, wer eine Waffe in die Hand nahm, um einen Menschen zu töten. Gott aber, unser oberster Gesetzgeber, der ganz und gar Geist ist, dringt noch tiefer ein. Bei ihm gilt schon der Jähzorn als Mord. Ja, ihm enthüllt sich sogar die innerste Herzensregung, sodass er schon den heimlichen Hass als Mord beurteilen kann. Dies wird doch der Sinn des Wortes sein (1. Joh. 3, 15): „Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger.“ Also der noch ganz im Herzen verborgene hasserfüllte Gedanke genügt schon zur Verurteilung.

Erläuterungen zum sechsten Gebot.

Abschnitt 147. – 3. Mose 19, 17.

Diese Worte sind als ein abgeschlossener Satz zu lesen, und ich kann es nicht billigen, wenn manche Ausleger das Nächste mit „sondern“ anschließen. Wenn übrigens alle weiteren Sittenlehren des Mose nur Erläuterungen der zehn Gebote sein sollen, so zeigt unser Satz vollends deutlich, dass die Absicht des sechsten Gebots nicht bloß ist, dem Totschlag mit Hand oder Schwert zu wehren, sondern uns vor aller Bosheit und innerlich genährtem Hass zu warnen, womit wir uns schon auf die schiefe Ebene begeben. Darin findet das Wort des Paulus (Röm. 7, 14) seine Bestätigung, dass das Gesetz geistlich ist. Und indem Mose bis in die verborgensten Regungen eindringt, ist er nicht bloß, wozu man ihn auch hat machen wollen, ähnlich wie Lykurg oder Solon ein Gesetzgeber für die Juden in irdischen Dingen. Übrigens scheint Johannes sein eben zitiertes Wort (Absatz 146) auf unsere Stelle gegründet zu haben. Denn es heißt hier mit großem Nachdruck: in deinem Herzen . Wenn also auch kein Zeichen des Hasses äußerlich sichtbar wird, so gilt schon die innere Regung vor Gott als Totschlag.

Abschnitt 148. – 3. Mose 19, 18.

Hier lässt sich vollends ersehn, dass Gott nicht bloß äußerlich unsere Hände vom Mord zurückhalten will, sondern ein von jedem Hass reines Herz fordert. Denn wenn die Quelle und der Grund vieler Feindseligkeiten die Rachgier ist, so folgt, dass die Verbietung des Totschlags überhaupt alles treffen will, was wider die brüderliche Liebe streitet. Zudem stehen die beiden Aussagen unseres Verses im Gegensatz: Du sollst nicht Zorn halten , sondern du sollst deinen Nächsten lieben . So wollen wir uns an Gott selbst als den rechten Ausleger seines Gebots halten: Er erklärt jeden des Mordes für schuldig, der sich durch irgendeine Böswilligkeit leiten lässt. Schuldig ist auch nicht bloß der, der eine erfahrene Beleidigung zurückzugeben trachtet, sondern schon, der seinen Nächsten nicht ohne Rückhalt liebt, selbst wenn er ihn mit Recht als seinen Feind betrachten müsste. Wollen wir uns also nicht innerlich wider das Gebot verfehlen, so müssen wir uns aus unserem Gemüte alle Rachgier zu tilgen suchen, allen Hass fahren lassen und der brüderlichen Liebe gegen jedermann nachjagen. Der zweite Teil unseres Verses ist eigentlich die Summe der ganzen zweiten Gesetzestafel, die ich aber doch aus dem hier gegebenen Zusammenhange nicht loslösen wollte, da eben die Liebe der Rachgier gegenübertreten soll. Ist nun auch der „Nächste“, den man nicht rachsüchtig verfolgen sollte, im Sinne unserer Stelle nur der Nachkomme Abrahams, so wird doch sicher diese Untugend auch ganz allgemein verurteilt: an den Blutsverwandten wird nur darum erinnert, weil ihm gegenüber ein rachgieriges Verhalten besonders hässlich und strafwürdig ist. Übrigens haben manche Schultheologen unseren Satz übel misshandelt: da der Maßstab früher gegeben sein müsse als das, was man damit misst, so stellen sie die Sache auf den Kopf und sagen, dass man erst sich selbst und dann auch den Nächsten zu lieben habe! – Zorn „halten“ heißt soviel, wie das erlittene Unrecht geflissentlich im Gedächtnis behalten und nicht vergessen wollen.

Abschnitt 149. – 3. Mose 19, 14.

Wenn das Gesetz unter dem Begriff des Totschlages alle ungerechten Schädigungen und Angriffe auf den Nächsten zusammenfasst, so war ein grausames Verhalten gegen unglückliche Krüppel, deren Zustand vielmehr das Mitleid hätte herausfordern sollen, ganz besonders strafbar. Wer auch nur einen Tropfen von Menschenliebe im Herzen hat, wird sich doch mit besonderer Sorgfalt hüten, dass er einen Blinden, der ihm begegnet, nicht zu Fall bringt; wenn er einen Irrweg einschlägt, wird er ihm die Hand reichen, ihn zurechtzuleiten. Auch gegen einen Tauben üben wir besondere Schonung: ihn zu schmähen ist ebenso lächerlich und barbarisch, wie wenn man die Steine mit Schimpfworten anrufen wollte. Es ist also eine ganz unerträgliche Rohheit, die Leiden von Unglücklichen, zu deren Unterstützung uns schon das natürliche Gefühl leiten müsste, und die ohnehin genug zu tragen haben, noch zu mehren. Wir wollen also aus unserm Worte lernen, dass je hilfloser jemand ist, er umso mehr mit Belästigung und Unrecht verschont werden muss. Menschen anzugreifen, die sich nicht verteidigen können, ist eine doppelt schuldbare Grausamkeit: vollends die Frechheit, die sich an unglücklichen Krüppeln vergreift, ist dem Herrn ein Gräuel.

Anhänge zum sechsten Gebot.

Abschnitt 150. – 5. Mose 21, 1 – 9.

V. 1. Wenn man einen Erschlagenen findet usw. Dieser Anhang trägt zugleich ein zeremonialgesetzliches und ein öffentlich-rechtliches Element in sich. Wir werden in demselben darüber belehrt, wie wertvoll vor Gott ein Menschenleben ist: konnte man den Urheber eines Mordes nicht feststellen, so bedurfte es doch einer Sühne, durch welche die Nachbarstädte sich von der Gemeinschaft mit dem Verbrechen reinigten. Vergossenes Menschenblut befleckt also die Erde derartig, dass jedermann, der die Mörder gewähren lässt, sie also durch Gleichgültigkeit gewissermaßen großzieht, des Verbrechens mitschuldig wird. Hier handelt es sich nun um eine unaufgeklärte Tat, deren Schuld die Nachbarstädte so lange zu tragen haben, bis sie auf Grund genauester Untersuchung bezeugen können, dass man den Verbrecher nicht ausfindig machte. Wie viel unentschuldbarer werden sie also sein, wenn sie den Mörder ungestraft entrinnen ließen! Die Zeremonie besteht nun darin, dass die Ältesten der nächstgelegenen Stadt eine junge Kuh nehmen sollen, die noch an keinem Joch gezogen hat (V. 3 ff.). Sie führen dieselbe in einen steinigen und unfruchtbaren Grund, brechen ihr unter Beiziehung von Priestern den Hals und waschen ihre Hände zum Zeugnis, dass ihre Hände und Augen rein sind, da sie kein böses Gewissen haben. Dass Gott gerade eine Kuh fordert, die noch kein Joch getragen, soll anschaulich darstellen, wie die Genugtuung nur durch unschuldiges Blut geleistet werden kann. Soll diese Kuh an einem dürren Orte geschlachtet werden, so nimmt dies gewissermaßen die Unreinigkeit von den bebauten Äckern hinweg. Hätte man das Blut der Kuh mitten auf dem Stadtplatz oder sonst an einem bewohnten Orte vergossen, so hätte der unmittelbare Anblick des Opfers vielleicht verrohend gewirkt. Gott will aber einen Schrecken in die Gemüter prägen: indem das Tier an einen einsamen und unheimlichen Ort geführt wird, zieht ein Schauer durch die Seelen, und man lernt sich vor Grausamkeit fürchten. Die ganze Zeremonie ist nicht im eigentlichen Sinne ein Opfer, welches man ja nur beim Heiligtum hätte darbringen dürfen, - aber sie grenzt doch ganz nahe daran, indem man Leviten zuzog und eine feierliche Abbitte aussprach. Allerdings kamen die Leviten dabei nicht bloß als Diener des Altars, sondern auch als richterliche Beamte in Betracht. Diese ihre Eigenschaft wird (V. 5) mit den Worten ausgedrückt, dass Gott sie erwählt hat, dass sie ihm dienen und in seinem Namen segnen und dass nach ihrem Mund alle Sachen und alle Schäden gerichtet werden sollen.

V. 6. Und alle Ältesten usw. Dass die Ältesten ihre Hände waschen , soll ihnen selbst einen tiefen Eindruck machen: sie werden es sich doppelt überlegen, leichtsinnigerweise mit einer solchen Feierlichkeit sich als rein und unschuldig zu bekennen. War es doch, als hätten sie den Leichnam des Erschlagenen vor Gottes Angesicht gestellt, und sie stünden nun zur Sühne des Verbrechens auf der anderen Seite. Dabei bitten sie doch um Verzeihung (V. 8), weil etwa ihre Unachtsamkeit an dem Tode des Menschen hätte mitschuldig sein können: hatte Achans Raub am Heiligtum das ganze Volk befleckt, so stand zu befürchten, dass wegen eines solchen sühnebedürftigen Verbrechens Gottes Rache sich vollends nicht in engen Schranken halten würde. Es war auch eine nachdrückliche Erinnerung daran, dass der Mord dem Herrn ein Gräuel ist, wenn das Volk um Verzeihung für eine fremde Schuld bitten musste, - als wäre man durch den bloßen Anblick in Mitschuld geraten. Endlich spricht Gott aus, dass die Missetat der betreffenden Stadt nicht mehr soll angerechnet werden, nachdem man die beschriebene Reinigung vollzogen. Freilich war die Kuh an sich kein Wert, mit welchem man dem Herrn genugtun und ihn versöhnen konnte. Aber es war hier das geordnete Mittel, durch welches man in demütiger Beugung sich mit Gott aussöhnte und für die Zukunft Mordtaten vorbeugte. In diesem Sinne heißt es (V. 9): also sollst du das unschuldige Blut von dir tun. Denn wenn man sich um den Mord nicht weiter kümmern würde, müsste der Flecken gleichsam auf Volk und Land haften bleiben.

Abschnitt 151. – 5. Mose 12, 15 – 16. 20 – 25. / 3. Mose 17, 10 – 14. / 3. Mose 7, 26. / 3. Mose 19, 26.

5. Mose 12.

V. 15. Doch magst du schlachten und Fleisch essen usw. Die vorangehende Vorschrift, dass man Opfer nur an der Stätte des einzigen Heiligtums schlachten solle, haben wir schon im geeigneten Zusammenhange besprochen (Abschnitt 60). Hier wird nun erlaubt, allenthalben Fleisch zu essen; nur soll man die Tiere nicht dem Herrn zum Opfer bringen, sondern sie einfach verzehren wie man es mit Tieren des Feldes tut. Beispielsweise werden Reh oder Hirsch genannt, die für ein Opfer überhaupt nicht in Betracht kamen. Nur eine Einschränkung erleidet die Freiheit (V. 16): das Blut sollst du nicht essen . Diese Vorschrift bestand zwar schon für die Väter vor dem Gesetz, und Gott hat sie nur wiederum feierlich bestätigt, als er sich sein Eigentumsvolk sammelte. Bekanntlich wurde unmittelbar nach der Sintflut dem Noah und seinen Nachkommen der Blutgenuss untersagt (1. Mose 9, 4). Bald aber wird man in dem wieder einreißenden Verderben Gottes Gebot vergessen haben, wie denn alle Heiden sich darüber gar kein Gewissen machten. Ob man sich in der Familie des Sem streng daran gehalten oder nicht auch allmählich abgekommen ist, bleibt zweifelhaft. Daraus, dass das Gesetz jetzt von neuem eingeschärft wurde, lässt sich abnehmen, dass es wohl ganz vergessen war. Jedenfalls aber wollte Gott dadurch ein Unterscheidungszeichen zwischen seinem Volke und den unheiligen Heiden aufrichten. Auch der Grund, der jetzt erwähnt wird, war schon dem Noah ausdrücklich angegeben: das Blut ist der Sitz des Lebens. So durfte man ein Tier töten, um sich davon zu nähren, aber es war der zügellosen Wildheit eine Schranke gesetzt, indem man das Blut nicht anrühren durfte. Hatte man gelernt, Tierblut zu schonen, so vergriff man sich noch viel weniger an Menschenblut. Darauf deutet auch der Umstand, dass Gott damals an das Verbot des Blutgenusses sofort den Spruch reihte (1. Mose 9, 6): „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.“ Demgemäß ist es ganz passend, dass wir alle die Stellen, welche den Blutgenuss verbieten, an das sechste Gebot hängen. An sich ist die Sache ja außerordentlich bedeutungslos. Aber gerade indem Gott eine solche Vorschrift immer und immer wieder einprägt, lernen wir verstehen, dass das Gebot noch einen weiter greifenden Zweck hat. Darauf deutet auch die Härte der Strafe: denn vom Blut eines Vögelchens zu kosten, ist an sich gewiss kein todeswürdige Verbrechen. Das Verbot hat aber überhaupt die Absicht, einen Abscheu vor aller Grausamkeit zu erregen. Moses Worte zeigen auch, dass der Genuss des Blutes nicht darum verboten wird, weil er etwa durch eine ihm anhaftende Unreinigkeit den Menschen gleichsam ansteckte, sondern um uns einen Eindruck vom Werte des Menschenlebens zu geben. Denn es heißt (V. 23): das Blut ist die Seele . Dies wird nicht bloß besagen, wie Augustin will, dass es ein Zeichen der Seele oder des Lebens ist, sondern vielmehr, dass das Blut tatsächlich der Träger des animalischen Lebens ist. So hatte es seinen guten Grund, seinen Genuss zu verbieten, und zwar nicht bloß an sich, sondern auch, wie unsre Stellen ausdrücklich einprägen (3. Mose 19, 26), als Beigabe zum Fleisch.

V. 23. Allein merke usw. Die immer wiederholte Mahnung zu unbeugsamer Treue in diesem Stück hat darin ihren Grund, dass die Sache scheinbar gleichgültig, die peinliche Beobachtung oft lästig und die Anbequemung an die allgemeine Sitte aller Völker überaus nahe liegend war. Wenn man sich etwa sagte, dass die ganze Vorschrift mit persönlicher Heiligkeit nichts zu schaffen habe, so konnte man sich leicht verführen lassen, sie gleichgültig zu behandeln.

3. Mose 17.

V. 10. Welcher Mensch Blut isset, wieder den will ich mein Antlitz setzen . Damit wird nicht bloß eine Vorschrift für den Richter gegeben, sondern Gott droht mit seiner Rache auch für den Fall, dass jemand etwa der Hand des Richters entgangen wäre. Wenn man den Zweck des Gesetzes ins Auge fasst, wird man dies nicht für maßlos halten. Schien es auch unpassend, dass das Blut eines unvernünftigen Tieres durch den Tod eines Menschen gesühnt werden solle, so gilt es doch festzuhalten dass ein noch rohes Volk eine äußerliche Zucht braucht, die es vor der Barbarei bewahrt. Weiter soll Israel sich nicht darüber beklagen, dass es mit dem Blute nichts Nützliches anfangen dürfe. Denn Gott erinnert daran (V. 11): Ich habe es euch auf den Altar gegeben.Damit gewann es doch eine viel höhere Bedeutung, als wenn man sich damit genährt hätte. Wie undankbar wäre es gewesen, wenn man diesen Gebrauch des Blutes zu einem viel höheren Zweck, zur Versöhnung der Seelen, übersehen und nicht genügend geschätzt hätte! – Auf welche Weise übrigens die Seelen durch Blut versöhnet werden , haben wir schon an anderer Stelle (Abschnitt 107) gesehen. Es geschieht auf sakramentliche Weise, d. h. was eigentlich nur Christus leisten kann, wird den Dingen zugeschrieben, welche Zeichen und symbolische Darstellungen seines Tuns sind. Dabei handelt es sich doch nicht um ein leeres und täuschendes Gleichnis: denn insofern die Väter in den äußeren Opfern Christum selbst ergriffen, wurde ihnen dadurch die Sühne in Wahrheit zugeeignet. – Unter dem (V. 10) Fremdling , dem das Gesetz gleichfalls gilt, ist nicht ein solcher zu verstehen, der sich etwa nur in vorübergehenden Geschäften im Lande aufhielt, sondern der sich dem rechten Gottesdienst angeschlossen hatte. Denn viele Fremde hatten ihren Aberglauben preisgegeben und sich beschneiden lassen: an sie wird ausdrücklich erinnert, damit sie nicht etwa glauben, sie dürften sich eine Ausnahme erlauben. Es handelt sich also nicht um solche ganz fremde Leute, denen man etwa auch von wilden Tieren zerrissenes Fleisch als Speise verkaufen durfte (5. Mose 14, 21). Weil sich übrigens schon die Väter vor dem Gesetz des Blutes enthalten hatten und das ganze Verbot mit der ersten Tafel und dem gesetzlichen Gottesdienst nicht zusammenhängt, konnten die Apostel auch in einer Zeit, da die gesetzlichen Zeremonien doch nicht mehr galten, gegen die Juden in diesem Stück ein Entgegenkommen beweisen: sie wagten noch nicht, den Christen alsbald ohne weiteres den Genuss von Blut zu gestatten (Apg. 15, 20); denn die Juden hätten sich schwer daran gestoßen, weil ihnen die Sache neu und unerhört war, und solche Kleinigkeit sollte nicht Anlass zu verderblichem Streit geben. Doch wird als Grund dieser Nachgiebigkeit ausdrücklich angegeben, dass man die noch an die mosaische Ordnung gewöhnten Juden schonen wollte; und dass dies nur kurze Zeit gedauert hat, sieht man aus den Briefen des Paulus. Wenn auch später noch manche Christen peinlich an dieser Ordnung hielten, so war dies Aberglaube und unzeitiger Eifer.

Abschnitt 152. – 3. Mose 24, 17. 19 – 22. / 2. Mose 21, 12 – 14. 18 – 32.

3. Mose 24.

V. 17. Wer irgendeinen Menschen erschlägt usw. Jetzt wenden wir uns zu Rechtsordnungen, welche unserem Gebot zur Stütze dienen sollen. Zunächst wird über Mörder die Todesstrafe verhängt. Denn einen Menschen schlagen oder erschlagen ist so viel, wie ihn derartig verwunden, dass der Tod eintritt. So wird es 2. Mose 21, 12 genauer erklärt. Obgleich nun die Kürze, in welcher der Gesetzgeber zu reden pflegt, nicht alle einzelnen Umstände anrührt, ist doch klar, dass die Todesstrafe durch richterlichen Spruch verhängt werden soll. In welcher Form sie vollzogen wurde, werden wir gegebenen Orts sehen. (Abschnitt 153). War es sonst nicht Gottes Art, den Gehorsam gegen seine sittlichen Gebote bis aufs letzte durch bürgerliche Strafen zu erzwingen, so gab er doch in diesem Hauptstück eine glatte und klare Bestätigung. Darum mache ich auch den Anfang mit diesem Satz: dass der Totschläger des Todes sterben soll, ist einfach die Kehrseite des sechsten Gebots.

V. 19. Und wer seinen Nächsten verletzt usw. Auch über diejenigen, welche durch Schläge den Leib des Nächsten verstümmelt haben, wird jetzt eine Strafe verhängt. Dies war nötig, weil sonst jeder Bösewicht seinem Nächsten den Arm oder Fuß hätte brechen und so nicht bloß des Elenden, sondern auch Gottes und seines Gesetzes hätte spotten können. Hatte also jemand den andern an einem Gliede geschädigt, so wird, wie dies auch bei andern Völkern galt, die entsprechende Widervergeltung verhängt. Doch lautet das Gesetz nicht unbestimmt wie bei anderen Völkern, sondern es wird jede Willkür und Ausflucht durch die klare Bestimmung abgeschnitten (V. 20): Schade um Schade, Auge um Auge, Zahn um Zahn . Selbstverständlich gilt dies nur, wo die Schädigung mit Wissen und Willen erfolgte; nicht ein zufälliger Schlag wurde in dieser Weise gerächt, sondern nur ein wirkliches Verbrechen. Allerdings könnte es manchem undurchführbar scheinen, die entsprechende Strafe in jedem Falle an dem gleichen Gliede zu vollziehen. Aber Gottes Absicht war auch offenbar, durch die strenge Strafe abschreckend zu wirken, sodass solche absichtlichen Verletzungen überhaupt nicht vorkommen sollten. Zudem waltet eine gewisse Parallele zwischen den Bestimmungen ob: wer einen Menschen tötet, soll wiederum getötet werden; wer ihm ein Stück seines Lebens raubt, dem soll man das gleiche Stück nehmen. Ebendahin deutet auch der Vergleich (V. 18), dass man den Schaden an einem Tier mit Geld gut machen kann, dass aber, wenn ein Mensch getroffen ward, kein Preis wirklich ausreicht, um diesen Schaden zu bezahlen.

V. 22. Es soll einerlei Recht unter euch sein . Damit nicht die angeborne Überhebung die Kinder Israel zu dem Missverständnis verleite, dass nur Abrahams Geschlecht unantastbar sei, wird das Gesetz auch auf die Fremdlinge erstreckt. So zeigt der Herr, dass ihm an der Gemeinschaft unter allen Menschen gelegen ist: auch der Fernstehende soll gegen launenhafte Angriffe geschützt sein. In anderen Stücken hat er sein auserwähltes Volk mit besonderen Vorzügen bedacht: da er aber alle Sterblichen ohne Ausnahme nach seinem Ebenbilde schuf, gilt ihnen allen sein Schutz und Schirm, und niemand darf ungestraft geschädigt werden.

2. Mose 21.

V. 12. Wer einen Menschen schlägt, dass er stirbt usw. Wie wir schon sagten, enthält diese Stelle manche genauere Bestimmungen. Zunächst (V. 13) wird zwischen einem absichtlichen und zufälligen Totschlag unterschieden: hatte jemand einen Stein oder ein Beil unversehens fallen lassen und damit einen Vorübergehenden getroffen, so sollte dies nicht als ein todeswürdiges Verbrechen gelten. Zu diesem Zweck wurden Zufluchtsstätten verordnet, deren hier jedoch nur kurze Erwähnung geschieht. Wir kommen darauf später zurück (Abschnitt 163), wobei wir auch genauer auf den Unterschied zwischen Frevel und Unwissenheit zu achten haben. An unserer Stelle ist bemerkenswert, dass nach Moses Worten auch der so genannte zufällige Totschlag nicht durch wirklichen Zufall, sondern nach Gottes Rat zustande kommt, wie es heißt: Gott hat ihn lassen ungefähr in seine Hände fallen.Bei jeder Todesart, die den Menschen hinraffen kann, bleibt unangetastet, dass allein Gottes Wille über Leben und Tod verfügt. Wenn schon ohne Gottes Willen kein Sperling auf die Erde fällt (Mt. 10, 29), so wäre es doch ein Ungedanke, dass nach seinem Bilde geschaffene Menschen zufälligen und blinden Schicksalsschlägen ausgesetzt sein sollten. Darum haben wir uns einzuprägen, was die Schrift auch anderwärts lehrt, dass jedem ein Ziel des Lebens gesetzt ward. Damit stimmt auch das Wort (Ps. 90, 3): „Du lässest die Menschen sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!“ Mag uns ein Ereignis, dessen Grund und Notwendigkeit wir nicht durchschauen, zufällig erscheinen, - mögen wir überhaupt überall von Zufall reden, wo eine Sache natürlich angesehen auch anders hätte laufen können, so halten wir doch fest, dass Dinge, die an sich so oder auch anders sein könnten, also durch Gottes verborgenen Rat gelenkt werden, dass ohne sein Regieren und Beschließen nichts geschieht. Dabei handelt es sich nicht um ein stoisches Schicksal: denn es ist durchaus etwas anderes, ob die Ereignisse, die ihrer eigenen Natur nach verschieden auslaufen konnten, durch Gottes Hand auf das von ihm beabsichtigte bestimmte Ziel geleitet werden, - oder ob vermöge des undurchbrechlichen naturgesetzlichen Zusammenhanges eine Notwendigkeit herrscht, die ja immerhin Gott zugelassen haben könnte. Ein größerer Gegensatz ist gar nicht zu denken: dort muss Gott dem Schicksal gleichsam folgen, hier regiert er alles nach seinem Wohlgefallen. Übrigens brauchen wir uns nicht, wie die Juden tun, weitere Gedanken zu machen, als ob Gott nur diejenigen in den Tod fallen ließe, an denen er irgendeine Ursache findet. Sicherlich hat Gott für alle seine Beschlüsse immer den besten Grund. Darum darf man aber doch nicht folgern, dass Leute, die nach Gottes Willen plötzlich sterben, irgendeine besondere Schuld auf dem Gewissen haben müssten. Auch wenn Gott einen Menschen ganz ohne seine Schuld aus der Welt nähme, dürften wir ihm nicht widersprechen, als ob seine Gerechtigkeit, die uns verborgen und unbegreiflich ist, überhaupt nicht vorhanden wäre!

V. 14. Wo aber jemand an seinem Nächsten frevelt usw. Mose braucht für dieselbe Sache verschiedene Ausdrücke. An sich ist ja „freveln“ und „jemanden nachstellen“ durchaus nicht das Gleiche. Hier aber trifft es zusammen, weil die absichtliche Nachstellung immer aus der frevelhaften Begier erwächst, dem Andern zu schaden. Und als hochmütiger Frevel wird eben der gewaltsame Angriff bezeichnet, den man in übermütigem Hass gegen den Nächsten richtet. So ist jeder Grimm und alle Gewaltanwendung hochmütiger Frevel: denn nur wer seinen Bruder freventlich verachtet, wird ihn feindlich angreifen. Damit man nun nicht durch falsche Nachgiebigkeit gegen mörderisches Treiben das Land verunreinige, gebietet Gott, dass man Mörder selbst von seinem Altar nehmen soll: dies bedeutet, dass sie göttlicher wie menschlicher Hilfe unwert sind. Durfte die Heiligkeit des Altars denen eine Zufluchtsstätte bieten, die in Unbesonnenheit oder Irrtum gesündigt hatten, so sollte sie doch nicht missbraucht werden, wirkliche Verbrecher der gerechten Strafe zu entziehen: damit hätte man das Heiligtum in eine Mörderhöhle verwandelt und die Religion schmählich entweiht. Es war also ein unsinniger Missbrauch, wenn zuweilen christliche Kirchen Asylstätten wurden, da man Verbrecher gleichsam hegte und pflegte. Dergleichen ist heidnisch und eine Mischung des Gottglaubens mit Götzendienst. Übrigens haben selbst die Heiden in diesem Stück zuweilen ein besseres Beispiel gegeben. Christen aber sollten sich schämen, unter dem Vorwand besonderer Heiligkeit ihre Kirchen zu besudeln.

V. 18. Wenn Männer miteinander hadern usw. Wenn hier für Schläge und Stöße eine recht leichte Strafe verordnet wird, so konnte mancher Bösewicht sich dadurch vielleicht zum Übermut reizen lassen. Wenigstens geschah es in Rom, dass ein gewisser Lucius Neratius die Strafe von 25 As, die das Zwölftafelgesetz auf Schläge setzte, zum Spott hatte: er teilt unbedenklich an Leute, die ihm begegneten, Ohrfeigen aus und befahl dann seinem Sklaven, das Strafgeld sofort auszuzahlen. So hielt man es für besser, das Gesetz fallen zu lassen, als dass es zum Spott bestanden hätte. Ähnliches konnte leicht auch bei den Juden geschehen: hatte jemand seinen Nächsten geschlagen, so dass er nun das Bett hüten musste, so braucht er nur soviel zu zahlen, dass der unglückliche Mensch seinen Leib wieder heilen konnte. Wird es nicht immer Leute geben, die um diesen Preis gern ihren Feinden etwas auswischen? Wir haben uns aber des Wortes Christi zu erinnern (Mt. 19, 8), wonach Gott der Herzenshärtigkeit des aufsässigen Judenvolkes manches nachgeben musste; dazu wird auch unsere Bestimmung gehören. Wenn übrigens in dieser Weise die bürgerlichen Ordnungen die hohe Vollkommenheit der sittlichen Gottesgebote bei weitem nicht erreichten, so konnte diese Unterbietung zum Zeugnis wider dies unbezähmbare Volk dienen, das nicht einmal in solche abgemäßigten Gesetze sich zu schicken wusste. Scheint uns also irgendeine Bestimmung gar zu lax und mäßig, so wollen wir bedenken, dass Gott seine Ordnungen nicht auf ganzer Höhe halten konnte, weil er es mit einem widerspenstigen Volke zu tun hatte.

V. 20. Wer seinen Knecht oder Magd schlägt usw. Obgleich die soziale Stellung eines Sklaven und eines Freien sehr verschieden ist, will Gott doch zeigen, dass jedes Menschenleben ihm teuer und wertvoll ist, und dass er die Person nicht ansieht, wenn es sich um einen Mord handelt: er rächt also den Tod eines Sklaven ebenso wie den eines Freien, wenigstens wenn derselbe den Misshandlungen unmittelbar erlag. Sicherlich war es unmenschliche Barbarei, wenn das Recht bei den Römern und anderen Völkern den Herren freie Verfügung über Leben und Tod der Sklaven zugestand: denn das Band, welches Menschen aneinander bindet, ist doch zu heilig, als dass der Herr seinen unglücklichen Sklaven ungestraft töten dürfte. Kein Vorgesetzter darf zum mörderischen Tyrannen werden, und es ist durchaus unvernünftig, dass ein Privatmann sich das Recht des Schwertes anmaßt. Allerdings scheint die dann folgenden Ausnahme (V. 21) die Bahn des gesunden Urteils wieder zu verlassen, indem der Herr nicht als Mörder gestraft werden soll, wenn der Sklave erst etwas später stirbt. Wäre es denn nicht oft besser, nach empfangener Wunde sofort zusammenzubrechen, als langsam hinzusiechen? Wollen wir ein rechtes Urteil gewinnen, so müssten wir aber als unbedingt feststehend uns noch einmal einprägen, dass der Mord an einem Sklaven, der sofort starb, keineswegs ungestraft blieb. Daraus ergibt sich aber, dass man grausamen und wütenden Herren keinesfalls zulassen wollte, ihre Sklaven zu verwunden. Ergibt doch auch der Wortlaut klar, dass der Herr nur dann straflos ausgeht, wenn er sich so zu mäßigen wusste, dass man kein Anzeichen einer grausamen Behandlung finden konnte. Denn dass der Sklave einen oder zwei Tage am Leben bleibt, will offenbar besagen, dass er alle seine Glieder gesund und heil hat: hätte er eine Wunde oder offensichtliche Verstümmelung davongetragen, so würde man sicher den Herrn des Mordes angeklagt haben. Es geht also nur derjenige frei aus, der ganz sicher seinen Sklaven bloß züchtigen wollte: wo aber keine Verletzung zu konstatieren war, lag gewiss die Absicht zu töten nicht vor. Darum ist gar keine Rede davon, dass ein Gesetz, welches blutigen Angriffen wehren will, zugleich Mördern die Zügel schießen lassen wollte. Der beigefügte Grund: denn es ist sein Geld , kann also lediglich auf den persönlichen Verlust deuten. Der Umstand, dass der Herr den Sklaven mit eigenem Gelde erworben hat, kann zur wirklichen Loskaufung eines Mörders niemals angesprochen werden: denn ein Menschenleben lässt sich überhaupt nicht um Geld schätzen.

V. 22. Wenn Männer hadern und verletzen ein schwanger Weib usw. Diese Bestimmung würde höchst befremdlich und unvernünftig sein, wenn man sie dahin deuten wollte, dass nur der Tod des schwangeren Weibes, nicht aber auch des noch ungeborenen Kindes gerächt werden sollte. Denn auch das Kind im Mutterleibe ist schon ein Mensch: und jemandem das Leben nehmen, der dessen Gebrauch noch gar nicht einmal angetreten, ist ein besonders scheußliches Verbrechen. Scheint es uns schlimmer, einen Menschen in seinem Hause zu töten, das ihm als sicherster Schutz dienen sollte, als auf dem Felde, so muss es noch als etwas viel Schrecklicheres gelten, ein noch nicht ans Licht geborenes Kind im Mutterleibe umzubringen. Diese Erwägungen führen mich dahin, den Satz (V. 23), dass ein Schade , also insbesondere der Tod, daraus kommt , nicht bloß auf die Mutter, sondern auch auf das Kind zu beziehen. Wäre es doch auch ganz unpassend gewesen, dass ein Vater das Leben seines Sohnes oder seiner Tochter gleichsam um Geld verkauft hätte. Nach meiner Meinung ist der Sinn des Gesetzes also der: es gilt als todeswürdiges Verbrechen, nicht bloß wenn bei einer Schlägerei eine Mutter so verletzt wird, dass sie an einer Fehlgeburt stirbt, sondern auch wenn das Kind dabei zu Grunde geht, es sei nun sofort oder alsbald infolge einer dabei empfangenen Verwundung. Weil übrigens in jedem Falle eine unzeitige Geburt Mutter und Kind schwächen musste, steht es dem Ehegatten zu, durch den Richter eine Geldstrafe einziehen zu lassen, die nach dessen Bestimmung als Schmerzensgeld und Schadenersatz zu zahlen war. Ganz im Allgemeinen wiederholt dann das Gesetz (V. 23 ff.) den Grundsatz der Vergeltung: Gewalttätigkeiten soll dadurch gewehrt werden, dass eine Vergeltung je nach dem Grade der Missetat stattfindet. Diese Strafe, welche Gott über den Schuldigen verhängt wissen will, ist aber ganz etwas anderes, als eine Rache, die etwa der Beleidigte selbst nehmen wollte. Kann doch der Gott, der so oft seine Kinder ermahnt, nicht bloß Unrecht geduldig zu tragen, sondern es auch mit Guttaten zu überwinden, nicht mit sich selbst in Widerspruch geraten. Ein Mörder oder Raufbold soll zur Rechenschaft gezogen werden: darum ist es aber noch nicht erlaubt, bei erlittenem Unrecht dem Zorn und Hass die Zügel schießen zu lassen und Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Diesem Irrtum, der bei den Juden gang und gäbe war, tritt Christus entgegen, indem er lehrt (Mt. 5, 38), dass die durch öffentliches Recht wider Übeltäter verhängte Strafe nicht persönlicher Laune dienstbar gemacht werden darf, sodass etwa jedem Beleidigten ohne weiteres ein Vergeltungsrecht zustünde. Unsere Bestimmung will nicht Privatpersonen zur Rache reizen, sondern durch Androhung von Strafe einem gewalttätigen Wesen wehren.

V. 26. Wenn jemand seinen Knecht in ein Auge schlägt usw. Da vor Gott der Unterschied von Sklaven und Freien bedeutungslos ist, so sündigt jemand, der einen Sklaven schlägt, gewiss nicht minder, als der Hand an einen freien Mann legt. Aber gemäß menschlichen Rechtes wird ein Unterschied gemacht, zumal wenn jemand seinen eigenen Sklaven verwundet hat. In diesem Falle wird nicht Zahn um Zahn und Auge um Auge gefordert, sondern der Herr, der sein Herrenrecht missbraucht hat, verliert dasselbe. Dem Sklaven aber oder der Sklavin wird zum Trost für die Beschädigung die Freiheit geschenkt, die ja fast das halbe Leben ist. So wird durch diese Ermäßigung der Strafe der Herr im Vergleich zu seinem Sklaven freilich recht milde behandelt: aber dem Sklaven wird doch für die erlittenen Schläge ein ihm besonders erwünschtes Gut zuteil, dass er nämlich sein eigener Herr und damit von aller Wut eines anderen frei wird.

V. 28. Wenn ein Ochse einen Mann stößt usw. Auch mit den unvernünftigen Tieren beschäftigt sich das Gesetz: haben sie jemanden zum Tode verletzt, so wird auch über sie eine Strafe verhängt, um die Menschen desto gründlicher vom Blutvergießen abzuschrecken. Hat ein wütender Stier einen Menschen getötet, so soll man ihn steinigen , seinen Leichnam aber wie einen Gräuel behandeln, also sein Fleisch nicht essen . Menschlicher Hochmut hat es zuweilen kindisch gefunden, dass ein unvernünftiges Tier, welches man doch nicht verantwortlich machen kann, gestraft werden soll. Aber wenn die Tiere um der Menschen willen geschaffen wurden, brauchen wir uns nicht wundern, dass ihr Tod sowohl wie ihr Leben dem öffentlichen Nutzen dienen muss. Würde man den Ochsen, der einen Menschen getötet hat, am Leben lassen, so hätte dies leicht verhärtend und verrohend auf das Volk wirken können; und sein Fleisch zu essen wäre fast gewesen, als äße man Menschenfleisch. Es gab also kein besseres Mittel, der menschlichen Grausamkeit einen Riegel vorzustecken und eine Warnung vor dem Mord ergehen zu lassen, als wenn der Tod eines Menschen auf diese Weise gerächt wurde. Aber das Gesetz fordert noch mehr (V. 29): auch über den Besitzer des Ochsen sollte der Tod verhängt werden, wenn er unterrichtet und gewarnt worden war. Denn in diesem Falle konnte er sich nicht mehr mit Unwissenheit entschuldigen, und grobe Nachlässigkeit verdiente eine harte Strafe: denn ein gemeingefährliches Tier frei umhergehen zu lassen, war doch so viel, wie es zum Menschenmord reizen. Wer aber mit Wissen und Willen das Leben des Bruders in Gefahr bringt, hat als Urheber des Mordes zu gelten. Überraschend wirkt es freilich, dass die Verfügung nachträglich wieder eingeschränkt wird (V. 30): war es doch im Gesetz grundsätzlich verwehrt, mit einem Mörder in dieser Weise gleichsam zu feilschen (4. Mose 35, 31). Aber der Unterschied zwischen Vergehen und Versehen bleibt doch unverwischbar: darum durfte der Richter nach gehöriger Untersuchung die Strafe mildern, wenn etwa ein einfältiger Sinn oder Gedankenlosigkeit zur Entschuldigung dienen konnte. Es handelt sich also um eine ganz besondere Ausnahme: nur wenn der Richter fand, dass der Mensch wirklich nicht den Tod verdient hatte, sollte er seine Nachlässigkeit mit Geld bestrafen.

V. 31. Wenn er Sohn oder Tochter stößt usw. Das wird schwerlich auf irgendeinen Knaben oder irgendein Mädchen gedeutet werden dürfen. Vielmehr will Mose die Strafe ausdrücklich auf einen Vater erstreckt wissen, der seine Kinder so wenig in Acht nahm, dass sein eigener stößiger Ochse sie ums Leben bringen konnte. Freilich ließe sich sagen, dass solcher Vater durch den Unfall selbst schon genug gestraft sei: aber wenn auch Eltern, durch deren Schuld ein Sohn oder eine Tochter umkam, noch besonders gestraft wurden, so sollte dies eben zur eindrücklichen Warnung dienen.

V. 32. Stößet er aber eine Knecht usw. Bei einem absichtlichen Morde machte es keinen Unterschied, ob er an einem Herrn oder einem Sklaven begangen war. Handelte es sich aber um ein bloßes Versehen, so konnte, wenn nur ein Sklave davon betroffen war, recht wohl eine Milderung der Strafe eintreten: diente doch auch die Steinigung des Ochsen schon hinreichend zur Abschreckung. So hält Gott sein Gesetz in den Schranken trefflicher Mäßigung, wenn er die Nachlässigkeit des Herrn nur mit 30 Silbersekeln straft: inzwischen wird durch die Tötung des Ochsen tief eingeprägt, wie wertvoll vor Gott das Blut seiner Menschenkinder ist.

Abschnitt 153. – 5. Mose 17, 6 / 5. Mose 19, 15.

Wie, nachdem es sich um einen festgestellten Mord handelt, die Strenge der Strafe ersehen lässt, welchen Wert vor Gott ein Menschenleben hat, so kann man auch aus der hier vorgeschriebenen Mäßigung abnehmen, wie sehr Gott dafür sorgt, dass unschuldiges Blut geschont werde. Er beugt einem grausamen Übereifer des Richters vor, der etwa auch Unschuldige treffen könnte, indem er ein Verbrechen nur auf Grund sicherer Zeugenaussagen gestraft wissen will. Zwar ist dieser Grundsatz schon von Natur der menschlichen Empfindung eingeprägt: er sollte aber auch im Gesetz schriftlich niedergelegt werden, um ihn den Israeliten desto heiliger und unantastbarer zu machen. Denn nicht ist gefährlicher, als ein Menschenleben von einer einzigen Aussage abhängig zu machen. Stimmen aber nach genauer Prüfung zwei oder drei Zeugen überein, so wird man kaum einer Täuschung erliegen. Gott tritt selbst ins Mittel, damit niemand auf leichtfertigen Verdacht oder zweifelhafte Zuträgereien oder unbilliges Vorurteil hin schnellfertig verdammt werde: irgendeine schwerere Strafe darf nur nach rechtmäßiger Überführung verhängt werden.

Abschnitt 154. – 5. Mose 22, 8.

Auch diese Vorschrift zweckt auf die Erhaltung des menschlichen Lebens ab. Bekanntlich hatten die Juden flache Dächer, auf denen man umhergehen konnte. Hätte man an denselben keine Schranken angebracht, so hätte man sich fast in jedem Hause zu Tode fallen können. So gibt das Gesetz eine entsprechende Verordnung und bekräftigt dieselbe durch eine nachdrückliche Warnung: auf dass du nicht Blut auf dein Haus ladest . Welcher Gräuel muss also vor dem Herrn eine absichtliche Grausamkeit sein, wenn man schon durch bloße Nachlässigkeit sich derartig verschulden kann! Welches Unrecht muss es sein, einen Bruder freventlich anzugreifen, wenn schon jedermann in dieser Weise für das Leben des Nächsten zu sorgen hat!

Abschnitt 155. – 5. Mose 24, 7.

Mit Recht soll einen Menschenräuber die gleiche Strafe treffen, wie einen Totschläger: denn bei der elenden Lage der Sklaven war der Besitz der Freiheit mehr als das halbe Leben. Einen Menschen dieses Gutes berauben, bedeutete fast so viel wie ihn umbringen. Zudem wird hier nicht an den bloßen Menschenraub gedacht, sondern auch an die damit verbundene Grausamkeit und Hinterlist, dass jemand den Geraubten verkaufte. Dies war freilich im Volke Israel selbst kaum durchführbar, weil das Verbrechen sofort entdeckt worden wäre. Aber man konnte ja Gottes Kinder aus dem heiligen Volke hinweg reißen und zu den verworfenen Heiden bringen, - und dies wäre noch schändlicher gewesen.

Abschnitt 156. – 5. Mose 21, 22. 23.

Diese Vorschrift will alle Rohheit und Barbarei vom erwählten Volke fernhalten, indem auch eine gerechte Todesstrafe mit heiliger Scheu vollzogen werden soll. In der Tat war es ein trostloses und hässliches Schauspiel, den Leichnam eines Menschen am Kreuze hängen zu sehen. Denn das Begraben der Leichen wird für die menschliche Empfindung immer das Natürlichste bleiben: es ist ein Zeichen und Unterpfand der Auferstehung und verschont zudem die Augen der Lebenden mit einem sonst so hässlichen Anblick. Allerdings handelt es sich hier um Verbrecher, die ein ehrliches Begräbnis nicht wert waren. Aber es geschieht um des öffentlichen Wohles willen, dass auch sie beerdigt werden: das Volk soll vor Rohheit bewahrt werden, die nur zu leicht eine Schule des Totschlags ist. Damit man aber in diesem Stück sich umso mehr hüte, fügt Gott die Warnung hinzu (V. 23): auf dass du dein Land nicht verunreinigst . Denn die Rohheit, einen Leichnam am Kreuz hängen zu lassen, würde freilich eine Schmach für das Land sein, die am wenigsten in diesem heiligen Lande geduldet werden konnte, das Gott seinem Volk zum Erbe gegeben hatte, als eine Stätte, an der man ihn rein und heilig verehren sollte. Dass ein Gehenkter bei Gott verflucht ist, deutet darauf, dass diese Art der Todesstrafe etwas besonders Erschütterndes hat. Freilich will Gott nicht verbieten, dass man Verbrecher kreuzige oder an den Galgen hänge, sondern setzt hier ein solches Verfahren als ganz gesetzmäßig voraus: aber er will die Kinder Israel durch den Hinweis darauf, dass der Gehenkte bei ihm verflucht ist, dringend vor einem rohen und unmenschlichen Verfahren warnen. Man soll also den Anstoß, den Gott an solchem Gehenkten nimmt, sofort wieder aus dem Weg räumen. Übrigens heißt der Gerichtete nicht in dem Sinne „verflucht“, als solle ihm unter allen Umständen die Seligkeit abgesprochen werden, sondern weil sein Hängen ein Merkmal der entehrenden Verurteilung ist. So kann Paulus (Gal. 3, 13) unsere Stelle auf Christum anwenden, der für uns ein Fluch ward, um uns von dem Fluch, d. h. dem Verwerfungsurteil des Gesetzes freizumachen. Denn da alle Menschen als Übertreter dem Fluch verfallen sind, gab es kein anderes Mittel der Erlösung, als dass Christus an unsere Stelle trat. Als Gott seinen eingeborenen Sohn ans Kreuz schlagen ließ, schwebte ihm offenbar gerade dieses sein Wort vor. So wurde klar, dass Christus als unser Stellvertreter handelte, damit wir den Segen Gottes empfangen könnten: er wurde für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm würden die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt (2. Kor. 5, 21).

Abschnitt 157. – 5. Mose 25, 1 – 3.

Insofern hier Mäßigung und Menschlichkeit verlangt wird, haben wir es mit einem Anhang zum sechsten Gebot zu tun. Es soll nämlich, wenn das Gericht eine Prügelstrafe verhängt hat, die Züchtigung nicht das Maß überschreiten; der Leib des Betreffenden soll nicht verstümmelt und für alle Zeiten geschändet werden. Will Gott schon bei gerechter Strafe solche Schonung geübt wissen, so musste man noch viel mehr unschuldiges Blut scheuen; soll sich der Richter vor übermäßiger Strenge hüten, so wird es noch weit unerträglicher sein, wenn ein Bruder dem andern maßlose Gewalt antut. Ein solcher Zügel war aber nötig, weil oft gerade die besten Richter sonst ein leichtes Vergehen strafen würden wie ein schweres Verbrechen. Die Vorschrift bestimmt nun nicht etwa für alle Vergehen die gleiche Zahl von Schlägen, sondern lediglich dass vierzig Schläge niemals überschritten werden sollen. Es soll also die Prügelstrafe in regelrechter Ordnung und nicht wüst vollzogen werden: man soll die Schläge zählen und den Gezüchtigten so behandeln, dass alle seine Glieder unversehrt bleiben. Die Strafe ist auch (V. 2) vor dem Richter zu vollziehen, dessen Würde jedes unordentliche Übermaß ausschließt. Als Grund wird angegeben (V. 3), dass niemand zu viel geschlagen werde, und dein Bruder scheußlich vor deinen Augen sei. Dies lässt sich dahin verstehen, dass der Körper nicht bleibende und hässliche Wundmale davontrage. Man kann aber auch übersetzen: „dass er nicht vor deinen Augen entehrt werde.“ Und jedenfalls ist es Gottes Absicht, dass solch unglücklicher Mensch durch die Strafe gebessert, nicht aber durch Schande verhärtet werden soll. Übrigens haben die Juden, die überhaupt ihren Gesetzeseifer am liebsten in lächerlichen Kleinigkeiten bewiesen, auch hier eine kindische Vorsichtsmaßregel erdacht, um das Gesetz ja nicht zu überschreiten. Sie haben sich gescheut, die 40 Schläge voll zu verabreichen, und haben immer einen abgezogen: damit suchten sie das billige Lob der Barmherzigkeit zu gewinnen, als ob sie klüger oder barmherziger wären, als Gott selbst! Dieses abergläubische Verfahren war schon zur Zeit des Paulus allgemeine Sitte, der ja berichtet, dass er fünfmal 40 Streiche weniger eins empfangen habe (2. Kor. 11, 24).

Abschnitt 158. – 5. Mose 24, 16.

Auch hier zeigt Gott, wie er für das menschliche Leben besorgt ist, wenn er den rächenden Mord nicht überhand nehmen lassen und die Kinder nicht in das Geschick der Eltern hineingezogen wissen will. Das Gesetz war aber keineswegs überflüssig, weil man nur zu oft wegen des Verbrechens eines einzigen gegen ein ganzes Geschlecht wütete. So tritt Gott als Schützer der Unschuldigen auf und will die Strafe auf den beschränkt wissen, der das Verbrechen beging. Lehrt doch schon die natürliche Empfindung, dass nur eine barbarische Wut aus Hass gegen die Väter auch die Kinder töten kann. Freilich könnte man daran erinnern, dass ja Gott selbst die Missetat der Väter bis ins dritte und vierte Glied strafen will. Aber es waltet doch bei ihm nicht ein blinder Rachedurst, der Schuldige und Unschuldige durcheinander wirft: wenn er die Missetat der Väter auch auf die Kinder legt, so handelt er bei aller Strenge doch immer mit höchster Gerechtigkeit. Gott hat sich auch die Freiheit vorbehalten, nach seinem Ratschluss andere Wege zu gehen, als man nach dem Gesetz vielleicht erwarten könnte. So ließ er die gesamte Bevölkerung Kanaans bis auf die Wurzel ausrotten, weil nur durch diese Maßregel das Land von ihren Befleckungen gereinigt werden konnte: weil sie alle verworfen waren, wurden die Söhne nicht minder wie die Väter gerechtem Verderben geweiht. Ja wir lesen sogar, dass nach dem Tode Sauls ein Verbrechen desselben durch den Tod seiner Söhne gesühnt worden sei (2. Sam. 21, 2 ff. 14.). Es hat also Gott seinen eigenen Maßstab, um dessen willen doch nicht abgeschafft sein soll, was er als Gesetzgeber verordnet hat. Sein bewundernswürdiger Ratschluss behauptet die oberste Stelle: er ist auch die Quelle, aus welcher alle Gesetze fließen.

Abschnitt 159. – 5. Mose 20, 10 – 18.

V. 10. Wenn du vor eine Stadt ziehst usw. Auch in einem rechtmäßigen Kriege soll man sich vor grausamem Wüten in Acht nehmen und dem Mord wehren, soviel irgend möglich. Schreitet man zur Belagerung einer Stadt, so sollen die Bürger vor allen Dingen aufgefordert werden, sich zu ergeben und Frieden zu schließen. Ist dies geschehen, soll man sie nicht weiter antasten und sich mit Auflegung eines Tributes begnügen. Dass es so recht und billig ist, wussten alle Völker schon von Natur: so hatten die Römer ihre Fetialen, d. h. Priester, welche einen gerechten Krieg feierlich ansagen mussten. Man kannte auch den Grundsatz, dass man auch dem Feinde die Treue zu halten schuldig ist. Trefflich ist zudem Ciceros Wort, dass man einen Krieg nur unternehmen solle, um ohne Unrecht in Frieden leben zu können. Will nun Gott, dass die Seinen sich mitten im Geräusch der Waffen einen menschlichen Sinn bewahren, so lässt sich abnehmen, wie verhasst ihm vollends der Mord sein muss. Auch wo man mit seiner Erlaubnis und unter seiner Führung in den Krieg zieht, soll man doch zu einem milden Verfahren geneigt bleiben. Man soll den Ansturm zu mäßigen wissen und nicht ohne Not das Schwert mit Blut beflecken. Wie sollte es also gar einem Privatmann erlaubt sein, zum Schwert zu greifen, um seinen Nächsten zu töten? Nun verstehen wir die letzte Absicht dieses Gesetzes und begreifen auch, dass es mit dem sechsten Gebot zusammenhängt.

V. 13. Du sollst alles, was männlich ist, mit des Schwerts Schärfe schlagen . Diese Erlaubnis scheint gar zu weit zu gehen. Wenn heidnische Schriftsteller lehren, dass man auch die Besiegten schonen und Leute, die noch nach einer Belagerung die Waffen niederlegen und sich dem Schutz des Feldherrn als Gefangene anvertrauen, annehmen solle, wie kann da Gott, der Vater der Barmherzigkeit, einem unterschiedslosen Morden in dieser Weise Vorschub leisten? Aber wir haben schon gesagt, dass er den Juden um ihrer Herzenshärtigkeit willen mehr nachgab, als sie eigentlich hätten beanspruchen können. Sicherlich hätte es der Regel der Liebe entsprochen, auch bewaffnete Leute zu schonen, wenn sie ihr Schwert wegwarfen und um Verzeihung baten; wenigstens hätte man nur solche Leute töten sollen, die man mit Waffen und Schwert antraf. So bleibt ein Gesetz, welches erlaubt, alle Männer zu töten, freilich weit unter der Linie der Vollkommenheit. Weil aber die Juden in ihrer Unbeugsamkeit schwerlich sich in eine vollkommenere Forderung gefügt hätten, wollte Gott wenigstens die schlimmsten Auswüchse beschneiden und sie von der äußersten Grausamkeit zurückhalten. Handelt es sich doch um eroberte Städte, bei denen man sehr oft kein Geschlecht und Alter schont. So wird wenigstens der unmenschlichen Rohheit gewehrt: man soll nicht Frauen und Kinder hinschlachten.

V. 16. Aber in den Städten dieser Völker usw. Für die Städte des Landes Kanaan, dessen Einwohner nach Gottes Spruch ausgerottet werden sollten, gilt das eben festgestellte Kriegsrecht nicht. Hat doch Gott ihnen gegenüber den Juden nicht bloß die Waffen zum Kriege in die Hand gegeben; er hat sie auch zu Dienern und Vollstreckern seines Gerichts bestellt. Wir haben schon früher dargelegt, dass Gott gerechten Grund hatte, das Gedächtnis dieses ganzen Geschlechts bis auf die Wurzel auszurotten. Wenn er sie schon 400 Jahre getragen hatte, und sie in ihrer widerspenstigen Verblendung nur immer tiefer sanken, so war dies ein Zeichen, dass ihre Gottlosigkeit sich nicht mehr heilen ließ. Was schon früher gesagt war, wird aber hier noch einmal eingeprägt: diese Völkerschaften mussten aus dem für Gottes Dienst bestimmten Lande ausgetilgt werden, weil sie dasselbe doch nur beflecken konnten; dies war auch für die Kinder Israel nützlich, die sonst sich nur zu verkehrtem Aberglauben hätten verführen lassen.

Abschnitt 160. – 5. Mose 23, 15. 16.

Dies Gesetz will zwar die Menschenfreundlichkeit und Milde fördern, scheint indessen nicht in jeder Hinsicht gerecht zu sein. Da viele Herren in tyrannischer Überhebung ihre Sklaven drücken, ist es freilich nötig, diesen elenden Leuten irgendwie eine Erleichterung zu verschaffen. Darum erlaubte man den Sklaven, in die Tempel, zu Rom auch an die Kaiserstatuen, zu fliehen; konnten sie dann bei gehöriger Untersuchung beweisen, dass sie unwürdig und unmenschliche behandelt worden waren, so wurden sie verkauft und kamen dadurch in die Hände eines milderen Herrn. Scheint dies in der Ordnung, so wird doch durch ein Zufluchtsrecht, wie es unsere Stelle den Sklaven einzuräumen scheint, das Recht der Herren angetastet. Sollen wirklich entflohene Sklaven, ohne dass man ihre Sache untersucht, überall frei im Lande Kanaan wohnen dürfen? Wird nicht auch das Völkerrecht verletzt, wenn das Land jedem Flüchtling offen steht? Es lässt sich doch auch gar nicht vermeiden, dass ein Land, welches solche meist nichtswürdigen und verbrecherischen Flüchtlinge unbesehen aufnimmt, von Verbrechen geradezu überschwemmt werden muss. Allerdings meinen manche Ausleger, dass man dies zugelassen habe, um die Flüchtlinge für die Unterwerfung unter Gott zu gewinnen, also um die wahre Religion auszubreiten. Aber es hätte sich nicht geschickt, in Gottes Gemeinde allen Schmutz aufzunehmen und mit Gottes Namen ein anderwärts begangenes Verbrechen zu decken. Wenn nun Diebe, Ehebrecher und Mörder ihren Herren entliefen und im heiligen Lande Zuflucht suchten? Sie zu beherbergen und zu schützen wäre doch nichts anderes gewesen, als alles Gesetz und Recht auf den Kopf stellen und unerträgliche barbarische Zustände aufrichten. Ich glaube also, dass man in unserem Gesetz etwas ergänzen muss, was nicht ausdrücklich geschrieben steht. Die Meinung wird nur sein, dass man solche Sklaven nicht wiederum gleichsam auf die Fleischbank ausliefern soll, von denen man feststellen kann, dass sie nicht um eines Verbrechens willen, sondern vor maßloser Gewalttätigkeit ihrer Herren geflohen sind. Dass irgendein Urteil gefällt wurde, lässt sich auch daraus ersehen, dass man dem Sklaven die Wahl lässt (V. 16), in welcher Stadt er sich niederlassen will. Immerhin mag die Religion bei diesem freundlichen Verfahren mitgespielt haben, indem Leute, die Wohnsitz und Heimat im Lande Kanaan begehrten, sich zum wahren Gott bekennen und in seine Gemeinde aufnehmen lassen mussten: niemals aber hätte Gott geduldet, dass man durch skrupellose Aufnahme von Frevlern seinen Namen geschändet hätte. Er legt einfach seinem Volke ein menschenfreundliches Verfahren ans Herz: wenn man weiß, dass der betreffende Herr ein Schinder ist, soll man nicht durch Auslieferung des entlaufenen Sklaven sein wütendes Gebaren noch unterstützen. Unser Gesetz untersagt eine gewaltsame Mithilfe zu solchem Zweck: Gott billigt dem Elenden den Schutz zu, dass er seine Unschuld vor einem ordentlichen Gericht verteidigen darf. Unter diesem Gesichtspunkte gehört dies Gesetz unter die Anhänge zum sechsten Gebot.

Abschnitt 161. – 5. Mose 22, 6. 7.

Auch dies Gebot will Gottes Volk zur Schonsamkeit anleiten, ist also ein Anhang des sechsten. Gewiss wird auch die Rücksicht auf die Erhaltung der Vogelart mitgespielt haben; zudem pflegen brütende Vögel mager und also keine nahrhafte Speise zu sein: die Hauptsache bleibt aber ohne Zweifel, dass Gott sein Volk zu einem menschlichen und sanften Verhalten erziehen will. Wer auch nur einen Tropfen von Mitleid im Herzen hat, wird sich nie beikommen lassen, ein armes Vöglein zu töten, das im Eifer des Brütens oder in Liebe zu seinen Jungen das eigne Leben vergisst und lieber die Gefahr auf sich nimmt, als dass es Eier oder Junge verließe. Darum haben wir es ohne Zweifel auch hier mit einem äußerlichen Zuchtmittel zu tun, welches die Kinder Gottes von einem rohen und grausamen Wesen abhalten will.

Abschnitt 162. – 2. Mose 23, 5. / 5. Mose 22, 4.

Auch dieses Gesetz lehrt ein menschenwürdiges Verhalten gegen unvernünftige Tiere, will also eine Anleitung dafür sein, dass man auch zur Unterstützung der Brüder umso geneigter werde. Denn es ist festzuhalten, was Paulus lehrt (1. Kor. 9, 9), dass Gottes auf die Ochsen bezügliche Bestimmungen weniger diesen gelten, als vielmehr auf Fürsorge für die Menschen abzielen. Zuvor hatte Gott verordnet (2. Mose 23, 4), dass wenn jemand seines Bruders, ja seines Feindes Ochsen oder Esel irregehen sähe, er ihn einfangen und seinem Herrn zurückbringen solle. Solche Bestimmungen haben den tieferen Zweck, dass durch das Erbarmen gegen ein Stück Vieh, welches einem Feinde gehört, die Gläubigen bezeugen sollen, dass sie diesem selbst zu verzeihen bereit sind. Wäre einfach gesagt worden, dass man seinen Feinden helfen und ihre Bosheit mit Wohltaten zu überwinden suchen solle, so hätte darin allerdings ein hinreichendes Verdammungsurteil über alle Grausamkeit gelegen. Wenn aber Gott will, dass man nicht bloß den Feinden beispringe, ihnen den rechten Weg zeige und sie vom Fall aufrichte, sondern dass man alle diese Guttaten auch ihrem Vieh erweisen soll, so wirkt dies noch viel nachdrücklicher und prägt uns noch viel tiefer ein, dass Kinder Gottes ihr Herz von Hass und Rachgier ganz und gar freihalten sollen. Wenn also Christus später von seinen Jüngern fordert, dass sie ihre Feinde lieben sollen (Mt. 5, 44), so sehen wir, dass schon im Gesetz der gleiche Sinn waltete. Denn hier wird nicht bloß der Rachgier gewehrt, sondern das weit Größere gefordert, dass die Gläubigen die Bosheit ihrer Feinde mit Wohltaten überwinden sollen: denn wer dem Feinde einen irregehenden Ochsen oder Esel zurückführte, gab gewiss damit ein Zeugnis zuverlässiger Liebe. Unsere beiden Stellen führen uns nun insbesondere anschaulich vor Augen, was mit dem sechsten Gebot zusammenhängt: man soll einem Ochsen oder Esel, der unter drückender Last zu Fall gekommen ist, wieder aufhelfen. Übrigens ist der genaue Wortlaut unserer Stellen zweifelhaft; wir brauchen aber auf die verschiedenen Möglichkeiten nicht weiter einzugehen, weil der Sinn in jedem Falle ungefähr der gleiche ist. Sollte sich jemand ja bedenken, seinem Feind beizustehen, so will unsere Vorschrift jedes zögernde Bedenken austreiben. Insbesondere soll der Anblick des verhassten Feindes, der mit seinem gefallenen Tier sich abmüht, niemanden abhalten, mit Hand anzulegen. Wenn dann die beiden Feinde zusammen eine Pflicht menschlichen Erbarmens gegen ein armes Tier erfüllen, so mag dies auch einen Anstoß zur Versöhnung geben.

Abschnitt 163. – 4. Mose 35, 9 – 34. / 5. Mose 19, 1 – 13.

4. Mose 35.

V. 10. Rede mit den Kindern Israel usw. Freistädte zur Zuflucht hat Gott verordnet, damit man zwischen Verbrechen und Versehen unterscheide und das Vergießen von unschuldigem Blut vermieden werde. Bis hierher haben wir gesehen, wie streng der Mord gestraft werden sollte. Aber es wäre doch unbillig gewesen, mit dem Frevler auch denjenigen gleich strenge zu strafen, der nicht mit Absicht, sondern zufällig seinen Nächsten getötet hatte. Darum wird hier verordnet, dass solch unabsichtlicher Totschlag straffrei ausgehen soll. Dabei verfolgt Gott die weitere Absicht, dass nicht Mord über Mord geschehe und damit das Land befleckt werde. Von den sechs Zufluchtsstädten sollten drei diesseits und drei jenseits des Jordan in gehöriger Verteilung auf die einzelnen Landschaften so gelegen sein, dass ein unglücklicher Totschläger sie leicht erreichen konnte, ohne dass ihn auf einem gar zu langen Wege doch noch eine ungerechte Rache ereilte. Übrigens lagen diese Städte im Bereich des levitischen Gebietes: die Würde des Priesters sollte dem Flüchtling zu besserem Schutze dienen; und weiter sollte wohl die Klugheit und Besonnenheit der Leviten hindern, dass der nur für Unschuldige bestimmte Schutz auch Verbrechern zugute käme.

V. 16. Wer jemand mit einem Eisen schlägt usw. Damit die Verzeihung, die einem unfreiwilligen Totschläger gewährt werden soll, nicht etwa missbräuchlich zur allgemeinen Regel werde, prägt Gott auch in diesem Zusammenhange noch einmal ein, dass für einen freventlichen Mord keine Verzeihung zu gewähren ist. Und um jede Ausflucht abzuschneiden, nennt er die verschiedenartigsten Instrumente, durch welche ein Mord vollbracht werden kann, nicht bloß das Schwert, sondern auch ein Eisen, ein Stein, oder ein Holz. Zur Feststellung der Strafwürdigkeit genügt einfach die boshafte Absicht des Mordes. So wurde nach römischem Recht schon jemand verurteilt, der mit mörderischer Absicht eine Mordwaffe trug. Und ein römischer Rechtsgelehrter sagt mit Recht: Wer einen Menschen getötet hat ohne die Absicht zu töten, kann freigesprochen werden; wer ihn aber nicht getötet, aber verwundet hat, weil er ihn töten wollte, ist als Mörder zu verurteilen. Entscheidend ist also nicht die äußere Tat, sondern die böse Absicht, nicht der Ausgang, sondern der Wille. Darum sagt wiederum ein Rechtsgelehrter ganz richtig: Es macht keinen Unterschied, ob jemand den andern unmittelbar tötet, oder durch ein Zwischenmittel seinen Tod herbeiführt. An unsrer Stelle wollte also Gott dem Mörder, dessen böse Absicht erwiesen, ja bei dem vielleicht schon ein Anfang oder gar die Vollendung der Tat vorlag, jede Ausflucht abschneiden: denn ob ein Mord mit dem Schwert oder mit dem Hammer oder Stein ausgeführt wurde, kommt nicht in Betracht.

V. 19. Der Rächer des Bluts usw. Als das Gesetz die Todesstrafe über Mörder verhängte, wurde verordnet, dass sie nach gehöriger richterlicher Untersuchung öffentlich vollzogen werden solle. Wenn nun hier wieder von einem Verwandten des Getöteten als von dem Bluträcher die Rede ist, so scheint dies ein Rückfall in barbarisches Wesen. Denn das ist doch ein sehr böses Beispiel, dass man einem Privatmann das Recht des Schwertes lässt, und zudem in eigner Sache. War es auch, wie wir sehen werden, einst erlaubt, einen in der Nacht ergriffenen Dieb zu töten, durfte auch ein Ehebrecher, den man in seiner Tat ertappte, von dem Gatten oder Vater des geschändeten Weibes sofort umgebracht werden, so wäre es doch ganz ungereimt gewesen, hätte das Gesetz dem Bruder eines Ermordeten die Blutrache zugestanden. Es ist auch ganz unglaublich, dass Gott jemals an der Willkür Gefallen gefunden haben sollte, die ohne Rücksicht auf die öffentliche Ordnung sich selbst hilft. Auf diese Weise wären ja alle Leidenschaften entfesselt worden, und Blutvergießen wäre auf Blutvergießen gefolgt. Darum will unsere Aussage wohl mehr auf eine Gefahr hinweisen, als eine wirkliche Erlaubnis geben. Vielleicht ließe sich übersetzen: „Der Bluträcher wird den Totschläger zum Tod bringen; wo er ihm begegnet, wird er ihn töten.“ Die Meinung wäre also, dass solcher Zustand wütender Selbsthilfe hätte aufkommen müssen, wenn nicht das Gesetz eine feste Ordnung geschaffen hätte, die den Unschuldigen schützte. Allerdings ist nicht zu leugnen, dass wenn jemand an einem frevelhaften Mörder Blutrache nahm, dies nicht gestraft wurde: es wäre zu hart gewesen, eine solche aus der natürlichen Liebe zum Blutsverwandten geborene Tat mit dem Tode zu strafen, zumal sie doch nur dem rechtmäßigen Urteil etwas vorgegriffen hatte. Immerhin handelte es sich hier um eine Herablassung Gottes, die sich der Herzenshärtigkeit des Volkes anbequemte: denn im Allgemeinen ist die Strafe durch öffentliches Urteil und nicht nach privatem Belieben zu vollziehen. Aber gerade um dieser Nachgiebigkeit willen prägt Gott ein, wie notwendig es ist, unschuldigen Totschlägern eine Freistatt zu gewähren. Hätte nicht eine klare Gesetzesbestimmung solche Leute von wirklichen Mördern unterschieden, so hätte die Hand des Bluträchers sich unterschiedslos auch gegen sie erhoben: die bedurften also in der Tat des Schutzes. – Das Verfahren spielte sich etwa in folgender Weise ab: hatte jemand unversehens einen andern zum Tode getroffen, so begab er sich sofort in eine Freistadt und bekannte unter Bezeugung seiner Unschuld, dass er dort einen sichren Wohnsitz suche. Daraufhin stand es den Verwandten des Getöteten frei, Anklage zu erheben. Es wurden dann beide Teile verhört und (V. 24) ein ordentliches Gericht gehalten. Sprach dasselbe den Totschläger vom wirklichen Morde frei, so durfte er (V. 25) zur Freistadt unangefochten zurückkehren. Diese treffliche Ordnung nahm also auf den Unterschied von Verbrechen und unglücklichem Zufall die gebührende Rücksicht und prägte doch durch die zeitweilige Verbannung ein, wie ernstlich man sich vor dem Totschlag zu hüten habe. Eine Nebenabsicht wird gewesen sein, den Totschläger den Verwandten des Betroffenen aus den Augen zu bringen, damit nicht sein beständiger Anblick den Schmerz immer wieder von neuem errege. Ließ sich nämlich der Totschläger, der sich eben hätte unsichtbar machen sollen, außerhalb der Freistadt sehen, so durften die Verwandten des Getöteten ihn ungestraft umbringen (V. 26). Freilich blieb vor Gott ein solcher Wutausbruch unentschuldbar: aber der Gesetzgeber musste der menschlichen Empfindung in diesem Stück nachgeben, weil er die Rachgier kaum ganz unterdrücken konnte.

V. 28. Er sollte in seiner Freistadt bleiben bis an den Tod des Hohenpriesters . Weil es allzu grausam gewesen wäre, dem unglücklichen Verbannten die Rückkehr für immer abzuschneiden, soll die Verbannung ein Ende nehmen, wenn ein neuer Hoherpriester die Versöhnung des Volkes mit Gott übernahm: mit dieser Erneuerung der göttlichen Gnade sollte jeder Anstoß aus dem Wege geräumt sein. So hatte es einen guten Sinn, dass jemand, der nur die Strafe eines unglücklichen Zufalls trug, mit diesem Zeitpunkt wieder zu vollen Ehren kam.

V. 30. Den Totschläger soll man töten nach dem Mund zweier Zeugen . Damit wendet sich das Gesetz wieder zu dem wirklichen Mörder, dem zwar keine Schonung zugebilligt wird, der aber doch nur auf Grund gesetzlicher Zeugenaussagen verurteilt werden sollte. Die uns schon bekannte (Abschnitt 153) allgemeine Bestimmung, dass man nicht schon auf eine einzige Aussage hin ein Urteil fällen soll, wird also hier lediglich auf den Mord angewandt. Hätte man sich hier mit einem Zeugen begnügt, so wäre der Verleumdung und dem Meineid Tür und Tor geöffnet gewesen. Wo aber wenigstens zwei Zeugen auftreten müssen und gesondert gehört werden, wird sich boshafte Unwahrheit schon aufdecken lassen. Einerseits soll also die Strafe nur auf Grund genauester Prüfung verhängt werden, anderseits fordert Gott auf das Bestimmteste, dass ein wirklich festgestellter Mord nicht ungestraft bleibe. Insbesondere (V. 31) soll das Asylrecht in keiner Weise käuflich sein: denn dadurch wäre es zum Deckmantel vieler Verbrechen geworden. Wenn es verboten ist (V. 32), für die Aufnahme in die Freistadt eine Geldzahlung anzunehmen, so soll dadurch eben erreicht werden, dass niemand diese Wohltat genießen kann, dessen Unschuld nicht zuverlässig festgestellt wurde: das Erbarmen, welches dem Unschuldigen helfen will, soll nicht auf einen bedenklichen Abweg geraten.

V. 33. Und schändet das Land nicht usw. Diese Schlusssätze prägen noch einmal ein, dass das Volk sich der Schändung göttlichen Eigentums schuldig macht, wenn es über Mörder nicht strenges Gericht hält. Denn durch vergossenes Menschenblut wird das Land verunreinigt und dem Fluch unterstellt, bis eine Sühne stattfindet. Und da der Gott, der unter den Kindern Israel gegenwärtig sein will, in diesem Lande wohnt (V. 34), wird damit auch seine Heiligkeit angetastet. Alles in allem: man soll sich in jeder Weise hüten, dass nicht das dem Herrn geheiligte Land durch Mordtaten befleckt werde.

5. Mose 19.

V. 1. Wenn der Herr usw. Hier werden die eben besprochenen Vorschriften lediglich wiederholt. Neu ist etwa nur das Merkmal, woran man einen unvorsätzlichen Totschlag erkennen kann (V. 4), dass nämlich der Totschläger keinen Hass auf den Getöteten gehabt hat. Dafür wird (V. 5) auch ein Beispiel angegeben, dass zwei Freunde in den Wald gehen und dabei ohne irgendeinen Streit oder eine Erhitzung dem einen das Beil entfällt und den andern trifft. Mit Recht ordnet Gott also an, dass man der Sache auf den Grund gehen und vor allen Dingen feststellen soll, ob zwischen den betreffenden Leuten eine Fehde obwaltete oder ein Streit entstanden war. Denn dass jemand ohne allen Grund ein so scheußliches Verbrechen begehen sollte, ließ sich nicht wohl annehmen. Allerdings hatte die ganze Untersuchung nur einen Zweck, wenn man nach Lage der Sache einen wirklichen Zweifel hegen konnte: hatte jemand mit gezücktem Schwert sich auf seinen Nächsten geworfen oder ihm mit dem Wurfspieß das Herz durchbohrt, so war die verbrecherische Absicht ohne weiteres klar.

Quelle: Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift in deutscher Übersetzung. 2. Band. 2. – 5. Buch Mose. 1. Hälfte. Verlag der Buchhandlung des Erziehungsvereins; Neukirchen; Kreis Moers. (Die Auslegung der zehn Gebote wurde übersetzt von Prof. K. Müller in Erlangen.)

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