Calvin, Jean – Der Brief an die Epheser - Kapitel 2.

Calvin, Jean – Der Brief an die Epheser - Kapitel 2.

V. 1. Und auch euch usw. Ein Blick in ihren eigenen früheren Zustand muss nun den Lesern zur Erläuterung dessen dienen, was Paulus bisher von Gottes Gnade rühmend ausgeführt. Deutlich ergeben sich zwei Grundgedanken: ihr wart vordem verloren, - jetzt aber hat Gott in seiner Gnade euch aus dem Verderben gerissen. Doch lässt die Rede den glatten Fortschritt des Satzbaus fallen, weil sie sich in jeden dieser beiden Gedanken immer tiefer versenkt und immer weiter verliert. Sachlich bleibt doch alles klar, wenn man nur diese beiden Hauptpunkte im Auge behält.

Wenden wir uns denn genauer zum ersten Gliede. Paulus sagt, dass wir tot waren, und bezeichnet als Ursache dieses Todeszustandes unsere Übertretungen und Sünden. Er meint also nicht, dass wir nur in Todesgefahr standen, sondern dass ein wirklicher und gegenwärtiger Todeszustand uns drückend gefangen hielt. Wenn doch der geistliche Tod nichts anderes ist, als die Trennung der Seele von Gott, so werden wir alle schon als Tote geboren und leben als Tote, bis wir an Christi Leben Teil erlangen. Hierauf bezieht sich der Spruch Joh. 5, 28: Schon kommt die Stunde, dass die, die in den Gräbern sind, die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie hören, werden leben. Demgegenüber sind die Papisten darauf aus, auf alle mögliche Weise die Gnade Gottes einzuengen. Deshalb sagen sie, dass wir außer Christo halbtot seien. Aber nicht ohne Grund spricht der Herr selbst, und danach auch der Apostel uns alles Leben ab, solange wir in Adam bleiben, und nicht ohne Grund heißt die Wiedergeburt eine Auferweckung vom Tode. Immerhin will ich zugeben, dass eine Art von Leben auch solche Leute in sich tragen, die von Christo noch ferne sind. Denn der Unglaube zerstört nicht die Seelenfunktionen selbst, Fühlen, Denken und Wollen. Aber können uns diese Seelentätigkeiten den Eingang in Gottes Reich oder ins ewige Leben erschließen, wenn doch alles, was wir fühlen, denken und wollen, nur Tod ist? So muss die Wahrheit wohl unangetastet bleiben, dass wahres Leben nur in der Gemeinschaft unserer Seele mit Gott besteht. Dann aber ist es auch wahr, dass wir ohne Christum in völligem Tode liegen: denn ohne ihn herrscht die Sünde in uns, des Todes Mutter.

V. 2. In welchen ihr weiland gewandelt habt. An den Wirkungen und Früchten zeigt Paulus den Ephesern, dass die Sünde einst in ihnen herrschte. Erst an diesen äußeren Werken wird ja die Macht der Sünde vollends klar. Heißt es dann, dass wir solchen Wandel nach dem Laufe dieser Welt geführt haben, so wird klar, dass der Tod, wie ihn der Apostel beschrieben, die Natur des Menschen durchdrungen hat, sodass das Übel allgemein ist. Unter dem Laufe dieser Welt versteht er nämlich nicht den von Gott geordneten Lauf der Welt, sondern die Verdorbenheit, die uns alle angesteckt hat. Hier ist kein Fehler, der nur einzelnen anhaftet, sondern an dem die ganze Welt leidet. Den tieferen Grund dieses Verderbens enthüllt der weitere Hinweis auf den Fürsten, der in der Luft herrscht. Damit empfängt die Welt vollends ihr Verdammungsurteil. Denn wenn alle Menschen, die außerhalb des Reiches Christi stehen, Sklaven des Teufels sind, die durchaus seinen Willen tun müssen, so kann in der Tat nichts Gutes an ihnen sein. Mit Recht müssen wir Schauder empfinden vor diesem unserem Zustande, wenn er auch vielen gefällt oder wenigstens nicht missfällt. Wo ist nun der freie Wille, die Herrschaft der Vernunft, die sittliche Tüchtigkeit der Menschen, wovon man so viel reden hört? Nach der klaren Lehre der Schrift steht dem Reiche der Kinder Gottes unter ihrem Haupte Christus ein anderes Reich der Bösen gegenüber, welche des Satans Leib sind. Ein einziger Herrscher regiert diesen gottlosen Haufen. Inwiefern derselbe „in der Luft herrscht“, werden wir später sehen (zu 6, 12). Natürlich bleibt auch sein Regiment der Oberherrschaft Gottes unterworfen. Satan ist der Henkersknecht, der im Dienste Gottes und auf seinen Wink die Strafe des Herrn über alle menschliche Undankbarkeit vollziehen muss. So ergibt sich, dass der Teufel nur in den Kindern des Ungehorsams d. h. in den widerspenstigen Menschen sein Werk hat, deren Unglaube unweigerlich als ein Quell des Ungehorsams sich erweist. Darum gilt auch die gottlose Entschuldigung nichts, dass ein Mensch eben aus Zwang des Teufels sündigt: denn er würde diesem Zwange nicht unterliegen, hätte er sich nicht wider Gott aufgelehnt.

V. 3. Unter welchen wir auch usw. Paulus will auch den Schein meiden, als habe ihm Schmähsucht oder jüdische Selbstüberhebung gegenüber den Heiden seine Aussprache eingegeben. So schließt er sich selbst mit ein. Dabei macht er keine Redensarten, sondern gibt in aufrichtigem Bekenntnis Gott die Ehre. Befremdend scheint freilich das Bekenntnis, dass er nach den Begierden des Fleisches gewandelt habe, während er an anderen Stellen (Phil. 3, 6; 1. Thess. 2, 10) von sich rühmt, dass er in seinem ganzen Leben untadelig gewesen. Indessen kann über keinen Menschen, bevor er eine Erneuerung durch Christi Geist erfahren, das Urteil anders lauten. Mögen auch einzelne in ihrer Lebensführung untadelig erscheinen, weil bei ihnen die Begierden noch nicht vor den Augen der Menschen zum Ausbruch gekommen sind, so gibt es doch nichts Reines und Unverdorbenes außerhalb der Quelle aller Reinheit. Was ein Wandel in den Lüsten des Fleisches ist, erklärt der folgende Satz: wir taten den Willen des Fleisches und der Vernunft d. h. wir lebten nach den Neigungen und Trieben des eigenen Fleisches und nach unseren eigenen Gedanken. So waren wir denn alle Kinder des Zorns von Natur. Alle Menschen ohne Ausnahme stehen in Schuldverhaft, bis Christus sie frei macht. Weder Juden noch Heiden können ohne Christus irgendetwas von Gerechtigkeit und Heil oder irgendeinen Vorzug aufweisen (vgl. Gal. 2, 15). Sie sind Kinder des Zorns d. h. verloren, dem ewigen Tode verfallen und von Gott verworfen. Denn Gottes Zorn äußert sich in seinem Gericht. So sind alle Menschen, auch, trotz ihrer Vorzugsstellung in der Gemeinde Gottes, die Juden, von Natur, d. h. infolge ihrer Abstammung oder vom Mutterleibe an. Dieses ist eine wichtige Stelle gegen die Leugner der Erbsünde: denn was wir von Natur haben, das ist uns angeboren. Nun sagt Paulus, dass wir alle von Natur der Verdammnis verfallen sind, deshalb muss die Sünde in uns wohnen, weil Gott keinen Unschuldigen verdammt. Die Pelagianer1) freilich behaupten, dass die Sünde von Adam aus sich über das ganze menschliche Geschlecht nicht infolge der Abstammung, sondern durch Nachahmung des bösen Beispiels verbreitet habe. Dagegen bezeugt Paulus, dass wir mit der Sünde geboren werden, wie die Schlangen ihr Gift schon bei ihrer Geburt mitbringen. Andere behaupten, dass die Erbsünde keine eigentliche Sünde sei. Aber diese Behauptung steht ebenfalls in Widerspruch mit den Worten des Paulus, denn wo Verdammnis ist, muss auch wirkliche Sünde vorliegen: denn Gott zürnt nicht über unschuldige Menschen, sondern über die Sünde. Wir dürfen uns nicht darüber wundern, dass die Verderbtheit, die uns von unseren Eltern angeboren ist, vor Gott als Sünde gilt: Gott sieht und richtet eben den Samen, der noch verborgen liegt. Aber es drängt sich uns hier eine andere Frage auf, nämlich wie es kommt, dass Paulus die Juden ebenso wie die anderen unter den Zorn und die Verdammnis stellt, da sie doch der gesegnete Same waren. Ich antworte: die Natur ist bei allen gleich, die Juden unterscheiden sich nur dadurch von den übrigen Völkern, dass Gott sie durch die Gnade der Verheißung von dem Verderben befreit hatte. Das war aber ein Heilmittel, das nicht in ihnen lag, sondern von außen gegeben ward. Eine andere Frage ist, wie Gott, da er ja der Schöpfer unserer Natur ist, ohne Schuld bleiben kann, wenn sich unsere Natur als verdorben erweist. Ich antworte: es gibt zweierlei Arten der Natur, die erstere ist die von Gott erschaffene, die andere ist die verdorbene. Die Verdammnis, von der Paulus hier handelt, kommt nicht aus der Natur, wie Gott sie erschaffen hat, sondern aus der verdorbenen Natur. Wir kommen eben jetzt nicht so auf die Welt, wie Adam anfangs war, als er erschaffen wurde, sondern als verdorbene Nachkommen von entarteten und verdorbenen Menschen.

V. 4. Aber usw. Jetzt kommt das zweite Glied. Der Hauptinhalt ist, dass Gott die Epheser von dem Verderben, dem sie verfallen waren, erlöst hat. Aber der Apostel gebraucht andere Ausdrücke. Er sagt: Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, hat uns samt Christo lebendig gemacht. So gibt es kein anderes Leben der Seele, als was Christus uns mitteilt. Deshalb fangen wir erst dann zu leben an, wenn wir ihm einverleibt werden, um an seinem Leben teilzunehmen. Hieraus wird uns klar, was Paulus früher mit dem Tode gemeint hat. Denn jener Tod und diese Auferstehung sind Dinge, die zueinander in Gegensatz stehen. Es ist eine unvergleichliche Wohltat, dass wir Anteil erlangen an dem Leben des Sohnes Gottes, sodass wir mit ihm durch denselben Geist belebt werden. Deshalb rühmt der Apostel bei dieser Gelegenheit Gottes Barmherzigkeit. Wenn er den Reichtum derselben preist, so meint er damit, dass diese Barmherzigkeit sich uns in freigebiger und großartiger Weise erwiesen hat. Diese Aussage schreibt unser ganzes Heil der Barmherzigkeit Gottes zu. Getrieben wird eben Gott allein durch seine große Liebe. Wie auch Johannes schreibt (1. Joh. 4, 10): „Darinnen steht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.“

V. 5. Denn aus Gnade seid ihr selig worden. Wir sehen hier, wie der Apostel die Größe der Gnade nicht genug preisen kann. Mit immer neuen Worten hebt er dieses eine hervor, dass es bei unserem Heile nichts gibt, was man nicht auf Gott zurückführen müsste. Wer die Undankbarkeit der Menschen recht bedenkt, wird solche Wiederholung nicht für überflüssig halten.

V. 6. Und hat uns … in das himmlische Wesen gesetzt. Was wir hier von unserer Auferstehung und von der Versetzung in das himmlische Wesen hören, lässt sich mit Augen noch nicht sehen: und doch beschreibt der Apostel das alles wie einen gegenwärtigen, durch Gottes Gnade uns bereits verliehenen Besitz. Das tut er, um damit zu zeigen, wie groß die Veränderung unseres Zustandes ist, wenn wir von Adam zu Christo gekommen sind. Es ist, als wären wir aus der tiefsten Hölle in den Himmel versetzt. Und in der Tat: zeigt auch ein Blick auf uns selbst das Heil nur verhüllt und als Gegenstand der Hoffnung, so besitzen wir in Christo doch bereits selige Unsterblichkeit und himmlische Herrlichkeit. Deshalb heißt es auch: in Christo Jesu. Denn das, wovon hier die Rede ist, lässt sich an den Gliedern noch nicht klar ersehen, sondern nur an dem Haupte. Aber wegen der inneren Verbindung, die zwischen dem Haupte und den Gliedern besteht, gehört es auch den Gliedern an. Hierin liegt ein reicher Trost, dass wir in Christi Person ein gewisses Pfand und die Erstlinge von alle dem besitzen, was uns noch fehlt.

V. 7. Auf dass er erzeigete usw. Wiederum deutet der Apostel auf den letzten Zweck unserer Errettung. Daran sollen unsere Gedanken ganz besonders haften: denn allein auf der Offenbarung von Gottes Herrlichkeit und Gnade kann unsere Heilsgewissheit wirklich feststehen. Das ist fester Grund, wenn wir wissen, dass es Gottes Absicht war, für alle zukünftigen Zeiten ein Gedächtnis seiner unermesslichen Güte zu stiften. Wie stehen dann aber die Leute da, welche wider die Berufung der Heiden aus freier Gnade und damit wider Gottes für alle Zukunft geltenden Gnadenrat ankämpfen! Für uns liegt hier jedenfalls eine Mahnung, die göttliche Barmherzigkeit stets in dankbarem Gedächtnis zu halten, die unsere Väter aus dem Heidentum zum Volke Gottes berief. Solch wunderbares Werk der göttlichen Güte soll Kindern und Kindeskindern überliefert werden, damit die Kunde davon niemals aus dem Gedächtnis der Nachwelt schwinde. – Dass die Quelle all der Liebe, die Gott uns in Christo schenkt, sein freies Erbarmen ist, bestätigt der Apostel immer und immer wieder: durch seine Güte gegen uns in Christo will Gott den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade beweisen. So ist Güte die Frucht, Gnade, und zwar ganz unbegreiflich reiche Gnade, die Wurzel. Der erneute Hinweis auf Christum prägt uns dabei ein, dass alle Gnade und Liebe Gottes uns nur durch seine Vermittlung zufließt.

V. 8. Aus Gnade seid ihr selig worden. Diesen Satz können wir als den Abschluss der ganzen bisherigen Gedankenreihe betrachten. Denn die ganze Erörterung über die Erwählung und Berufung aus freier Gnade zielt lediglich auf den einen Punkt, uns einzuprägen, dass wir das Heil nur durch den Glauben erlangen. Paulus spricht aus, dass unser Heil allein ein Werk der freien göttlichen Gnade ist, und dass wir diese Gnade allein durch Glauben annehmen können. Erwägen wir auf der einen Seite, was Gott tut, so betont der Apostel, dass er uns durchaus nichts schuldig ist. Unsere Seligkeit ist also keine Belohnung oder Wiedervergeltung, sondern ein Gnadengeschenk. Betrachten wir andererseits den Menschen, so kann derselbe nichts, als aus Gottes Hand die Seligkeit hinnehmen. Das Mittel dazu ist der Glaube. Daraus ergibt sich dann der Schluss, dass in diesem ganzen Handel nichts aus uns selbst stammt. Damit fällt alle Kraft des freien Willens, der guten Vorsätze, des eigenen Verdienstes und selbst gemachter Vorbereitungen auf die Gnade. Denn der Glaube kommt völlig leer zu Gott, um sich mit Christi Gütern füllen zu lassen. In dieser Stimmung weist uns der Zusatz: und dasselbige nicht aus euch. So sollen wir nichts uns selbst zuschreiben, sondern Gott allein als den Urheber unseres Heils anerkennen.

Gottes Gabe ist es. Hieß es kurz zuvor, dass wir aus Gnaden selig werden, so hören wir jetzt, dass unsere Seligkeit Gottes Gabe ist. Hieß es zuvor: „nicht aus euch“ – so gebraucht Paulus jetzt die Wendung (V. 9): nicht aus den Werken. So wird es uns immer von neuem eingeprägt, dass der Mensch schlechterdings nichts dazu beitragen kann, seine Seligkeit zu erwerben. In diese wenigen Worte drängt der Apostel hier zusammen, was er im ganzen Römer- und Galaterbrief verhandelt: dass wir allein durch Gottes Erbarmen gerecht werden, dass diese Gerechtigkeit uns in Christo durch das Evangelium angeboten wird, und dass wir sie allein durch den Glauben ohne das Verdienst der Werke empfangen. Paulus will nämlich nicht bloß sagen, dass der Glaube Gottes Gabe ist, wie man gewöhnlich den Satz (V. 8) versteht. Vielmehr bezieht sich der Ausdruck auf den gesamten Gedanken: das Heil ist durch und durch Gottes Geschenk und Gabe. Neben der Gnade bleibt kein Raum für menschliches Verdienst: auf dass sich nicht jemand rühme. Die Wahrheit, welche Paulus hier vorträgt, lässt sich ja nur aufrecht halten, wenn man allein dem Herrn und seiner Barmherzigkeit die Ehre gibt.

V. 10. Denn wir sind sein Werk. Um zu beweisen, dass wir aus Gnaden selig werden, räumt der Apostel alles aus dem Wege, was dagegen vorgebracht werden kann. Er zeigt, dass wir von uns aus gar keine guten Werke besitzen, durch die wir uns die Seligkeit verdienen könnten; denn alle guten Werke, die wir tun, sind eine Frucht der Wiedergeburt. Daraus folgt, dass diese guten Werke selbst ein Teil der Gnade sind. Wenn es nämlich heißt, dass wir Gottes Werke sind, so ist das nicht von der Schöpfung im allgemeinen zu verstehen, durch die wir als Menschen geboren werden, sondern der Apostel redet von unserer Wiedergeburt zu neuen Kreaturen und sagt, dass nicht eigene Kraft, sondern Christi Geist uns zur Gerechtigkeit erneuert hat. Selbstverständlich trifft dies nur auf die Gläubigen zu, die nicht bloß in Adams Nachkommenschaft als sündhafte und verkehrte Menschen geboren wurden, sondern welche eine geistliche Neugeburt durch Christi Gnade erlebt haben, die sie zu neuen Menschen machte. So muss den alles Gute, das sich in uns findet, ein übernatürliches Werk Gottes sein. Die nächsten Worte führen dies weiter aus: als Gottes Werk müssen wir gelten, weil wir geschaffen sind, nicht in Adam, sondern in Christo Jesu, und nicht zu einem Leben irgendwelchen Inhalts, sondern zu guten Werken. Was bleibt nun für den freien Willen übrig, wenn alle guten Werke, die von uns ausgehen, dem heiligen Geiste zugeschrieben werden? Möge doch der fromme Leser Wort für Wort bedenken, was der Apostel sagt. Er sagt nicht, dass Gott uns unterstützt oder unserem Willen aufhilft, dass er nun aus eigener Kraft wirken kann; er sagt nicht, dass Gott uns die Fähigkeit verleiht, Gutes zu wollen, sodass wir nun tatsächlich eine Entscheidung treffen können, - sondern er lehrt uns, dass wir Gottes Werk sind: alles Gute, was in uns ist, ward von Gott geschaffen; den ganzen Menschen muss Gottes Hand umgestalten, wenn er gut werden soll. So ist also nicht allein die Fähigkeit, das Gute zu wollen, oder irgendeine Ausrüstung zum Guten, oder ein Beistand zum Guten – sondern der rechte Wille selbst Gottes Werk. Nur unter dieser Voraussetzung erweist sich die Beweisführung stichhaltig. Paulus will ja zeigen, dass der Mensch seine Seligkeit in keiner Weise selbst bewirken kann, sondern dieselbe als ein Gnadengeschenk von Gott empfängt. Dieser Beweis gründet sich darauf, dass der Mensch nichts ist ohne Gottes Gnade. Wer dagegen dem Menschen auch nur das Geringste ohne Gottes Gnade zuteilt, der räumt ihm damit ebenso viel Macht ein zur Erwirkung seiner Seligkeit. – Übrigens darf man unseren Satz auch nicht zur Schmälerung der Gerechtigkeit aus Glauben allein missbrauchen. Viele stellen sich nämlich vor, dass der Glaube, der Gottes Gnade hinnimmt, zwar den Anfang unserer Gerechtigkeit ausmache: aber er sei nur das Eingangstor, - die Gerechtigkeit selbst bestehe eigentlich in Werken; man beschreibt sie als die Rechtschaffenheit, welche Christi Geist in dem wiedergeborenen Menschen hergestellt hat. Mit alle dem hat aber unsere Stelle gar nichts zu schaffen. Vielmehr will Paulus in seinem eigentümlichen Zusammenhange dartun, dass wir dem Herrn nichts gegeben haben, um dessen willen er uns verpflichtet sein müsste. So spricht er es aus, dass selbst die guten Werke, die wir tun, von Gott stammen. Alles, was wir sind, sind wir also lediglich durch seine freie Gnade. Dass wir auf diese Werke, welche Gott uns schenkt, unsere Gerechtigkeit gründen sollen, sagt Paulus nie. Handelt es sich um diese Frage, die auf einem ganz anderen Gebiete liegt, so betont der Apostel immer nur, dass unser Gewissen nicht anders stille werden kann, als wenn es sich allein auf die Vergebung der Sünden verlässt.

Welche Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen. Dabei denkt der Apostel nicht bloß an das Gesetz und die Lehre, welche Gott als Regel für einen rechtschaffenen Wandel vor Zeiten festgestellt hat, sondern viel tiefer an die Werke selbst: sie hat Gott, ehe wir geboren wurden, zuvor bereitet. Das will sagen, dass wir zu einem rechtschaffenen Wandel aus uns selbst nicht tüchtig sind, sondern dass Gottes Hand uns tüchtig machen und gestalten muss. Wenn also Gottes Gnade allen vorangeht, so bleibt kein Platz für unseren eigenen Ruhm. Deshalb ist auch das Wort „zuvor bereitet“ genau zu beachten; denn es weist eben auf die Reihenfolge zwischen Gnade und guten Werken hin, welche ohne weiteres ausschließt, dass wir um unserer Werke willen einen Anspruch an Gott stellen dürften. Unsere Werke wurden uns ja aus dem göttlichen Schatzhause geschenkt, wo sie längst zuvor fertig lagen. Denn welche Gott berufen hat, die rechtfertigt und erneuert er auch (Röm. 8, 30).

V. 11. Darum gedenkt daran usw. Immer kommt der Apostel wieder auf den Ausgangspunkt zurück, weist immer wieder darauf hin, um ihn immer fester einzuprägen. Aufs Neue fordert er die Epheser auf, zu bedenken, was sie vor ihrer Berufung gewesen sind. Diese Betrachtung musste es ihnen recht zum Bewusstsein bringen, dass sie gar keine Ursache hatten, stolz zu sein. Dann zeigt er, auf welche Weise sie versöhnt worden sind, damit sie mit Christo allein sich zufrieden geben, und nicht denken sollten, dass sie noch andere Hilfsmittel nötig hätten. Der Hauptinhalt des ersten Gliedes ist: denkt daran, dass ihr zu der Zeit, als ihr noch unbeschnitten wart, auch ferne wart von Christo, von der Hoffnung der Seligkeit, von der Gemeinde und dem Reiche Gottes, so dass ihr damals gar keine Gemeinschaft mit Gott hattet. Dann folgt der zweite Hauptgedanke: jetzt, nachdem ihr Christo einverleibt worden, seid ihr dadurch auch zugleich mit Gott versöhnt. Welches Gewicht einem solchen Hinweis eignete, und welchen Eindruck er auf die Epheser machen musste, haben wir schon früher ausgeführt.

Nach dem Fleisch Heiden. Zunächst erinnert der Apostel, dass sie von den äußeren Merkmalen des Volkes Gottes nichts aufzuweisen hatten. Konnte man doch an dem Zeichen der Beschneidung Gottes Volk erkennen und von anderen Genossenschaften unterscheiden, während die Vorhaut das Kennzeichen eines von Gott geschiedenen Menschen war. Da nun Gott an die Sakramente seine Gnadengaben zu binden pflegt, so zieht der Apostel den Schluss, dass seinen Lesern, welche die Sakramente nicht hatten, auch die göttliche Gnade nicht zuteil geworden. Natürlich gilt diese ganze Betrachtungsweise nur für Gottes regelmäßiges Wirken, schlägt aber nicht in jedem einzelnen Falle durch. Betont doch der Apostel zugleich, dass Israel nur die Beschneidung nach dem Fleisch zu heißen verdient, die mit der Hand geschieht. Damit ist angedeutet, dass es eine doppelte Beschneidung gibt, sodass der Selbstruhm Israels, der sich einfach auf die äußerlich-gesetzliche Zeremonie gründet, ohne weiteres dahinfällt. Die Epheser selbst konnten daraus zugleich den Trost entnehmen, dass sie jetzt das eigentlich Wesentliche an der Beschneidung, das, was das äußerliche Zeichen bedeute, besaßen. So heißen die Heiden zwar „Vorhaut nach dem Fleisch“, weil sie das Zeichen der Unreinigkeit an ihrem Fleisch trugen. Zugleich aber gibt Paulus zu verstehen, dass ihnen die Vorhaut jetzt nichts mehr schadet, weil sie von Christo geistlich beschnitten wurden (Vgl. Kol. 2, 11).

V. 12. Dass ihr zu der derselbigen Zeit wart ohne Christum. Nun heißt es, dass die Epheser nicht nur von den äußeren Zeichen ausgeschlossen gewesen, sondern auch von alle dem, was zur Seligkeit des Menschen notwendig ist. Da aber Christus der Grundgehalt aller Verheißungen und aller Heilshoffnung ist, so sagt Paulus zuerst, dass die Epheser fremd gewesen seien von Christo. Wer aber Christum nicht hat, für den ist nichts übrig als das Verderben: denn auch die Bürgschaft Israels beruht auf ihm. Wer nicht an Christo als an seinem Haupte hängt, kann nicht zu seinem heiligen Leibe, d. h. zu Gottes Volk, gehören. Ebenso steht es auch mit dem Anteil an den Testamenten der Verheißung. Denn alle Verheißungen hängen von der Grundverheißung ab, die Gott dem Abraham gegeben (1. Mo. 22, 18): „In deinem Samen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.“ Ohne Zusammenhang mit diesem Grunde werden sie nichtig. Deshalb heißt es auch (2. Kor. 1, 20), dass alle Gottesverheißungen in Christo Ja und Amen sind. Außerhalb dieses Gnadenbundes gibt es keine Hoffnung. Von „Testamenten“ der Verheißung kann aber geredet werden, weil Gott in feierlichen Akten und Urkunden dem Abraham und seinen Nachkommen sich verpflichtet hat, dass er ihr Gott sein wolle. In Schrift gefasst wurden diese Urkunden durch Moses Hand. Sie wurden im Volke Israel als ein erbeigentümlicher Schatz verwahrt, an welchem den Heiden kein Anteil zustand.

Und wart ohne Gott in der Welt. Aber weder die Epheser noch überhaupt die Heiden waren doch je ohne Religion? Wie können sie denn von Paulus als solche bezeichnet werden, die ohne Gott waren? Ist nicht allein der ohne Gott, der gar keinen Sinn für das Göttliche hat und alles Höhere, welcher Art es auch sein mag, verlacht? Wir pflegen allerdings diejenigen, die eine falsche Religion haben, gewöhnlich nicht „gottlos“ zu nennen, sondern nur diejenigen, die sich gar nicht um Religion kümmern, oder jede Religion ausgerottet sehen wollen. Und doch hat Paulus recht, wenn er so redet und alle erdichteten und falschen Götter für nichts achtet. Wie es überhaupt recht ist, dass alle Götzen, weil sie nichts sind, auch von den Frommen für nichts angesehen werden. Daher sind alle, die den wahren Gott nicht anbeten, wenn sie auch viele heilige Handlungen üben und in religiösen Zeremonien sich abmühen, ohne Gott. Denn sie beten an, was sie nicht kennen. Dabei ist wohl zu beachten, dass hier als Gottlose solche bezeichnet werden, die sich für sehr fromm hielten: denn aller religiöser Eifer, mit welchem man die Götzen verehrt, hilft nicht darüber hinweg, dass hier nicht wahres göttliches Wesen ist, sondern nur Menschengebilde und Selbstbetrug.

Wenn man hierzu das Vorhergesagte hinzuzieht, so folgt, dass es außer Christus nur Götzen gibt. So muss der Apostel den Leuten, die er von Christo ausgeschlossen hat, auch den Besitz Gottes absprechen. Mit Johannes zu reden (2. Joh. 9; vgl. 1. Joh. 2, 23): Wer den Sohn nicht hat, hat auch den Vater nicht. Hieraus lernen wir, dass alle, die diesen Weg nicht wandeln, von Gott abirren. Wollte man aber die Frage aufwerfen, ob Gott sich denn niemals irgendeinem Heiden geoffenbart habe, so diene zur Antwort, dass es jedenfalls unter den Heiden so wenig wie unter den Juden je eine Offenbarung gab, die sich nicht durch Christum vermittelt hätte. Denn wenn der Herr spricht (Joh. 14, 6): „Ich bin der Weg“, so bezieht sich das nicht nur auf eine bestimmte Zeit oder auf ein bestimmtes Volk, sondern er verkündigt damit, dass er der einzige ist, durch den alle zu Gott kommen müssen.

V. 13. Nun aber seid ihr, die ihr in Christo seid usw. Die Epheser, die früher ferne waren von Gott und von dem Heil, sind jetzt durch Christum so mit Gott verbunden worden, dass sie in seinem Blute nahe sind. Denn das Blut Christi hat die Feindschaft, die zwischen ihnen und Gott bestand, aufgehoben und hat sie aus Feinden zu Brüdern gemacht. Nunmehr zieht der Gedanke des Apostels auch die Juden in seinen Kreis: auch auf sie erstreckt sich die Versöhnungsgnade, und der eine Christus muss für alle Menschen das Band mit Gott knüpfen. So bleibt denn keine Stätte mehr für die jüdische Selbstgefälligkeit, die Christi Gnade verachten zu dürfen glaubte, als ob Israel auch ohne sie Gottes Volk und erwähltes Erbe wäre. Heißt es aber von Christus: Er ist unser Friede, so folgt daraus, dass alle, die außerhalb seiner Gemeinschaft bleiben, auch ferne von Gott sind. Das ist übrigens Christi herrlichster Titel, dass er der „Friede“ zwischen Gott und Menschen heißt. So darf niemand mehr zweifeln, dass er einen gnädigen Gott hat, wenn er in Christo bleibt. Ausdrücklich sagt der Apostel, Christus habe aus beiden Eins gemacht. Damit gibt er eine für die Juden sehr nötige Erinnerung: verschmähten dieselben doch um ihrer Vorzugsstellung willen jeden angeblich erniedrigenden Verkehr mit den Heiden. Um ihnen diesen Hochmut auszutreiben sagt Paulus, dass Israel und die Heidenwelt zu einem Leibe zusammengewachsen sind. Aus alledem ergibt sich doch der Schluss, dass wenn die Juden Frieden mit Gott haben wollten, sie Christum als Versöhner haben mussten. Christus konnte aber nicht anders ihr Versöhner sein, als wenn er sie mit den Heiden in einen Leib vereinigte; daher hatten die Juden gar keine Gemeinschaft mit Gott, wenn sie die Heiden nicht auch zu dieser Gemeinschaft zuließen.

Und hat abgebrochen den Zaun. Um diese Stelle zu verstehen, muss man zweierlei beachten. Einmal dass die Juden durch Gottes Verfügung für eine bestimmte Zeit von den Heiden getrennt waren; und dann dass die Zeremonien als Zeichen gelten sollten, welche diese Trennung öffentlich bezeugten. Gott hatte sich dieses eine Volk zum Eigentum erwählt, indem er die Heiden überging. So tat sich ein gewaltiger Unterschied auf: die einen waren in der Gemeinde – die anderen außerhalb derselben. Das ist es, was Mose in seinem Loblied sagen will (5. Mo. 32, 8): „Da der Allmächtige die Völker zerteilte und zerstreute die Menschenkinder, da setzte er die Grenzen der Völker nach der Zahl der Kinder Israels.“ Es war also eine feste Grenze von Gott gesetzt, welche ein Volk von allen übrigen abtrennte. Das war der Grund der Feindschaft, von der Paulus redet. Denn die einen wurden von den anderen getrennt, als Gott die Heiden verwarf, dagegen nur die Juden sich erwählte und sie heiligte, indem er sie aus der allgemeinen Befleckung des menschlichen Geschlechts heraushob. Hierzu kamen später die Zeremonien, die das Volk Gottes wie eine Mauer umgaben: sie verschlossen den Zugang und jede Möglichkeit des Verkehrs, hielten also die Heiden vom Reiche Gottes fern. Nunmehr aber kann es heißen, dass die Feindschaft aufgehoben und die Scheidewand durchbrochen ward: denn Christus hat dadurch, dass er die Gnadengabe der Gotteskindschaft weit über Israels Grenzen hinaustrug, uns alle zu Brüdern gemacht. So ist die Weissagung erfüllt worden (1. Mo. 9, 27): „Japhet wird wohnen in den Hütten Sems.“ Jetzt verstehen wir den Gedanken des Apostels: die Scheidewand hinderte Christus, die Heiden mit den Juden zu vereinigen; deshalb durchbrach er diese Scheidewand. Wie dies geschehen, hören wir sofort: Christus hat durch sein Fleisch die Feindschaft weggenommen. Das will sagen, dass der Sohn Gottes die allen gemeinsame Menschennatur annahm, und so eine vollkommene Vereinigung in seinem Leibe bewirkte.

V. 15. Das Gesetz, so in Geboten gestellt war. Was der Apostel soeben bildlich als „Scheidewand“ bezeichnete, nennt er jetzt klar und deutlich: Christus hat die gesetzlichen Zeremonien beseitigt, welche ja die Trennung zum Ausdruck brachten. Denn die Beschneidung, die Opfer, die Waschungen, das Enthalten von bestimmten Speisen waren Zeichen der Heiligkeit, welche den Juden ihre von den andern Völkern sich abhebende Stellung einprägen sollten, - so wie jetzt die Wappen, die in den Fahnen geführt werden, die Unterscheidungszeichen der einzelnen Völker sind. Paulus weist also darauf hin, nicht bloß, dass die Heiden in die Gemeinschaft der Gnade aufgenommen und tatsächlich jeder Unterschied beseitigt wurde, sondern auch dass mit den Zeremonien die äußeren Abzeichen der Trennung dahinfielen; ebenso wie ein Fürst, wenn er zwei Völker, die bisher miteinander in Streit gelebt haben, unter seine Botmäßigkeit vereinigt hat, nicht nur den Wunsch hat, dass die Völker im Herzen eins werden, sondern auch alles zerstört, was an den früheren Streit erinnert; oder wie der Schuldschein zerrissen wird, wenn die Schuld bezahlt ist. Dieses letzte Bild gebraucht Paulus in der Tat Kol. 2, 14, wo er denselben Gegenstand behandelt. An unserer Stelle ist übrigens unter dem Gesetz, so in Geboten gestellt war, lediglich das Zeremonialgesetz zu verstehen, welches ja neben den schlichten sittlichen Grundforderungen noch mancherlei Sondervorschriften enthielt, an welche die Juden gebunden waren. Denn das Sittengesetz, welches uns ebenso wohl angeht wie die Juden, war doch keine Scheidewand zwischen den beiden Gruppen. Nebenbei kann man hier auch sehen, dass nicht etwa, wie einige meinen, die Beschneidung und die anderen alten Zeremonien für die Juden (auch wenn sie Christen werden) noch bis zur Stunde gelten und nur für die Heidenchristen aufgehoben sein sollen. Wäre dies die Meinung, so könnte ja Paulus nicht sagen, dass die Scheidewand gefallen wäre.

Dass er aus zweien Einen neuen Menschen in ihm selber schüfe. So kommen alle sonst noch so großen Verschiedenheiten der Menschen nicht weiter in Betracht: in Christo, aber nur in ihm, ward eine neue Einheit begründet. Es wird „Ein neuer Mensch“ geschaffen, welcher Ausdruck (ähnlich wie Gal. 5, 6; 6, 15) daran erinnert, dass in Christo weder Vorhaut noch Beschneidung gilt, dass überhaupt alles Äußerliche keinen Wert hat, sondern dass obenan steht, ob jemand eine neue Kreatur ist. So ist es also allein die geistliche Wiedergeburt, welche Einheit unter den Menschen schafft. Bedürfen wir alle der Erneuerung durch Christum, so haben die Juden keinen Grund mehr, sich auf ihre frühere Stellung zu steifen, sondern sie müssen zugeben, dass, wie es an einer anderen Stelle heißt, Christus alles in allen ist.

V. 16. Und dass er beide versöhnete mit Gott. Außer dem Frieden unter sich hat Christus der Menschheit auch die Rückkehr in Gottes Gnade erschlossen. Daran erinnert Paulus ausdrücklich, um den Juden zu zeigen, dass sie nicht weniger des Mittlers bedürfen als die Heiden. Ohne diesen Mittler gilt weder das Gesetz etwas, noch die Zeremonien, noch die Abstammung von Abraham, noch alle die Vorzüge, die ihnen gegeben waren. Denn wir sind allzumal Sünder, und Vergebung der Sünden kann man nur durch Christi Gnade empfangen.

Mit dem Zusatz „durch das Kreuz“ deutet der Apostel ausdrücklich auf Christi Sühnopfer. Ist die Sünde der Grund der Feindschaft zwischen Gott und uns, so können wir nicht anders bei Gott in Gnaden kommen, als dadurch dass sie beseitigt wird. Sie ist aber durch Christi Tod beseitigt, in welchem er sich dem Vater als Sühnopfer dargebracht hat. Nebenbei will aber der Hinweis auf das Kreuz auch einprägen, dass durch dasselbe alle Zeremonien abgetan sind. Darum heißt es: und hat die Feindschaft getötet durch dasselbe (nicht durch sich selbst). Und wir werden dabei weniger an die Feindschaft zwischen Gott und den Menschen, als vielmehr zwischen Juden und Heiden zu denken haben. So entspricht dieses Satzglied der vorigen Aussage, dass Christus durch sein Fleisch die Feindschaft wegnahm (V. 14).

Alles, was wir bisher von der durch Christum geschaffenen Versöhnung hörten, würde uns nichts nützen, wenn es uns nicht durchs Evangelium verkündigt würde. Deshalb fügt Paulus hinzu, dass die Frucht des erworbenen Friedens jetzt sowohl den Juden wie den Heiden angeboten ward. Daraus folgt, dass Christus nicht nur den Juden, sondern auch den Heiden zum Heil erschienen ist. Die Verkündigung des Evangeliums, die beiden zugleich gilt, ist hierfür ein sicherer Beweis. Dieselbe Gedankenfolge begegnet uns übrigens 2. Kor. 5, 19: Gott war in Christo, und versöhnte die Welt mit ihm selber – darauf folgt: und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung; so sind wir nun Botschafter an Christi Statt. Zuerst wird uns gesagt, dass Christi Tod die Ursache unseres Heils ist, dann wird uns das Mittel genannt, wodurch Christus sich uns selbst mitteilt und die Wohltat seines Todes uns zueignet. Doch ist es an unserer Stelle vor allem die Absicht des Apostels, die Heiden mit den Juden im Reiche Gottes zu vereinigen. Wenn er früher gezeigt hat, dass beide in gleicher Weise Anteil an Christo haben, so zeigt er jetzt, dass beide auch in Bezug auf das Evangelium gleich stehen: mögen die Juden immerhin das Gesetz besitzen, so brauchen sie doch auch das Evangelium, also eine Gabe, welche Gott ganz ebenso den Heiden geschenkt hat. Was aber Gott durch gleiche Mitteilung seiner Gnade miteinander verbunden hat, das soll der Mensch nicht scheiden. – Die Wörter: ferne und nahe dienen hier übrigens nicht zur Bezeichnung des Ortes, sondern der Stellung zu Gott. Die Juden waren Gott nahe, weil er mit ihnen einen Bund gemacht hatte; die Heiden standen ihm fern, weil sie ohne Verheißung des Heils vom Reiche Gottes ausgeschlossen waren.

Hat verkündigt im Evangelium den Frieden. Das hat Christus nicht mündlich getan, sondern durch seine Apostel. Denn er musste zuerst von den Toten auferstehen, bevor er die Heiden zur Gemeinschaft seiner Gnade berufen konnte. Darauf bezieht sich auch das Wort (Mt. 15, 24): „Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israel.“ Ja, während seines irdischen Lebens hat Christus sogar seinen Jüngern verboten, bei ihrer ersten Aussendung den Weg zu den Heiden zu nehmen (Mt. 10, 5). So ergibt ja sich ganz klar, dass der Herr erst durch den Posaunenruf seiner Apostel den Heiden das Evangelium aufgetan hat. Und Christo selbst kann zugeschrieben werden, was diese Apostel nicht bloß in seinem Namen und Auftrag, sondern geradezu in Stellvertretung seiner Person getan haben. Heißt es doch, dass Christus selbst durch die Apostel redet (2. Kor. 5, 20). Und in der Tat würde unser Glaube an das Evangelium auf sehr schwachen Stützen ruhen, wenn wir dabei nur mit Menschenwort rechnen dürften. Vielmehr ruht die ganze Autorität des Evangeliums darauf, dass wir Menschen als Werkzeuge Gottes einschätzen dürfen, sodass wir durch ihren Mund Christum reden hören. Beachtenswert erscheint auch, dass das Evangelium eine Botschaft des Friedens heißt, durch welche Gott uns bezeugt, dass er uns gnädig ist, und durch die er uns seine väterliche Liebe mitteilt. Denkt man das Evangelium hinweg, so bleibt nur Krieg und Feindschaft zwischen Gott und den Menschen. So schafft das Evangelium auch Frieden in unserem Gewissen, welches sonst in jämmerlicher Unruhe sich quälen müsste.

V. 18. Denn durch ihn haben wir den Zugang alle beide. Dass wir einen Zugang zu Gott haben, ist der entscheidende Beweis dafür, dass wir mit ihm in Frieden stehen. Auch gottlose Menschen betrügen sich zwar in ihrem tiefen Todesschlafe oft genug mit einem eingebildeten Frieden: aber sie haben nur so lange Ruhe, als sie sich den Gedanken an Gottes Gericht aus dem Sinne schlagen und sich so fern als möglich von Gott halten können. So erscheint es wohl angebracht, dass Paulus uns diese genauere Beschreibung des Friedens gibt, welchen wir durch das Evangelium genießen: derselbe besteht aber nicht in Gewissensstumpfheit, falschem Selbstvertrauen, stolzer Selbstüberhebung und Mangel an Einsicht in die eigene Jämmerlichkeit, sondern in einer klaren und heiteren Ruhe, welche Gottes Angesicht nicht flieht, sondern sich zu dem allerliebenswürdigsten Herrn innerlich gezogen fühlt. Die Tür aber schließt uns Christus auf, ja er ist selbst die Tür. Diese Tür hat gleichsam zwei Flügel, um Juden und Heiden gleicherweise einzulassen: denn für beide hat Gottes Liebe sich erschlossen. Der Apostel fügt hinzu, dass wir den Zugang in Einem Geiste haben. Denn unter der Führung des Geistes kommen wir zu Christus, durch ihn rufen wir: Abba, Vater (Röm. 8, 15)! Und darauf allein gründet sich doch die Freudigkeit, Gott zu nahen. Gab es bei den Juden verschiedene Mittel, Zugang zu Gott zu finden, so haben wir jetzt nur eines: dass wir uns von Christi Geist leiten lassen.

V. 19. So seid ihr nun nicht mehr usw. Der Apostel erinnert leise an das, was er früher schon gesagt (V. 12), dass die Epheser dem Bunde Gottes vordem fremd waren. Denn er wendet sich jetzt nur an sie und ruft ihnen zu: euer Verhältnis ist jetzt ein anderes geworden. Die Ehre, womit Gott sie gewürdigt hat, preist er dann mit verschiedenen Worten. Zuerst nennt er sie Bürger mit den Heiligen, dann Gottes Hausgenossen, endlich Steine, die in den Bau des Tempels Gottes eingefügt sind. Der erste Name ist von dem Bilde genommen, das uns oft in der Schrift begegnet, wo die Gemeinde mit einem Staate verglichen wird. Eine große Ehre! Die früher unheilig und jeder Gemeinschaft mit den Frommen unwürdig waren, haben jetzt dasselbe Bürgerrecht mit Abraham, mit allen heiligen Erzvätern, Propheten, Königen, ja selbst mit den Engeln. Aber die andere Ehre ist nicht geringer, dass Gott sie in seine Familie aufgenommen hat: denn die Gemeinde ist Gottes Haus.

V. 20. Erbauet usw. dieses ist der dritte Ehrenname, aus welchem sich zugleich abnehmen lässt, auf welche Weise die Epheser zu Gottes Hausgenossen und zu Bürgern mit den Heiligen geworden sind, und alle anderen es auch werden, nämlich dadurch, dass sie auf die Lehre der Apostel und Propheten gegründet werden. Damit empfangen wir also einen Prüfstein, um den Unterschied zwischen der wahren und der falschen Kirche zu bestimmen. Ohne Zweifel versteht ja der Apostel unter dem Grunde die Lehre. Denn er nennt hier weder Patriarchen noch fromme Könige, sondern allein diejenigen, welche aus Gottes Auftrag das Lehramt verwalteten und damit die Gemeinde aufbauen sollten. Daraus ergibt sich denn, dass der Glaube der Gemeinde sich auf diese Lehre gründen muss. Im eigentlichsten Sinne heißt dabei Christus das Fundament: denn er allein trägt die ganze Kirche und ist der alleinige Maßstab des Glaubens. Weil nun auf diesem Grunde die Gemeinde durch die Predigt auferbaut wird, so heißen die Apostel und Propheten ihre Baumeister. Bei ihnen, d. h. also in der heiligen Schrift, muss man Gottes Wort suchen: und wenn wir unter die wahren Gläubigen zählen wollen, müssen wir in die heilige Schrift immer tiefer eindringen und auf sie alle unsere Gedanken richten.

Wenn übrigens Christus hier der Eckstein genannt wird, so soll damit nicht gesagt sein, dass der Grund der Gemeinde aus mehreren Steinen besteht, so dass die Gemeinde nicht auf Christum allein, sondern etwa auch noch auf Petrus gegründet wäre. Es steht fest, was Paulus 1. Kor. 3, 11 schreibt, dass kein anderer Grund gelegt werden kann. „Eckstein“ heißt Christus aber an unserer Stelle unter dem Gesichtspunkte, dass in ihm gewissermaßen die beiden Mauern des Judentums und Heidentums zusammenstoßen und somit zur Einheit des geistlichen Tempels sich fügen. Dass der Apostel nicht gewillt ist, durch den Gebrauch dieses Bildes den Herrn Christus nur zu einem Stück des Fundaments herabzusetzen, zeigt die Fortsetzung (V. 21): auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt usw. Daraus ergibt sich doch, dass zu Gottes Tempel nur gehört, wer in Christo sich zusammenfügen lässt. Von Petrus ist dabei keine Rede. Die Einfügung in Christus wirkt es dann auch wesentlich, dass die Gläubigen sich gegenseitig halten und in ihrer Gemeinschaft sich ineinanderpassen. Ohnedies wären sie ja kein Gebäude, sondern ein ungeordneter Haufe. Das Hauptstück der Wohlordnung, aus welchem allein Fortschritt und Wachstum sich ergibt, ist die Einheit des Glaubens. Wo es an dieser Einigkeit des Glaubens und der Liebe und somit am Fortschritt in Christo fehlt, da mag ein profanes Gebäude sein, - aber mit Gottes Tempel hat dasselbe nichts zu schaffen. Allein in Christo wächst das Gebäude zu einem heiligen Tempel. Wird sonst wohl jeder einzelne Gläubige ein Tempel des Herrn genannt (z. B. 1. Kor. 6, 19; 2. Kor. 6, 16), so gilt hier diese Bezeichnung der ganzen Gemeinde. Beides ist gleicherweise wahr und treffend. Denn Gott wohnt im einzelnen Gläubigen nicht anders, als dass er ihn auch zur heiligen Gemeinschaft führen und damit aus vielen eine Einheit schaffen will. Unter dem einen Gesichtspunkte ist jeder Gläubige ein Tempel, unter dem anderen nur ein Tempelstein. In jedem Falle aber dient dies Verhältnis dazu, uns die Einigkeit der Gemeinde dringend ans Herz zu legen.

V. 22. Auf welchem auch ihr mit erbaut werdet. Vielleicht wäre es sogar richtiger, die Befehlsform anzunehmen: „auf diesem erbaut auch ihr euch!“ Denn ohne Zweifel sollen die Epheser einen Anstoß empfangen, in dem Christus, auf welchen sie einmal gegründet wurden, mehr und mehr zu wachsen, um so einen Teil des neuen Tempels zu bilden, der damals durch das Evangelium in der ganzen Welt erbaut wurde. Derselbe heißt eine Behausung Gottes im Geist, einmal weil der Apostel darauf hinweisen will, dass zu seinem Aufbau alle menschliche Tüchtigkeit ohne das Wirken des göttlichen Geistes nichts vermag, - weiter aber, weil im Unterschiede von den jüdischen Äußerlichkeiten seine geistliche Art in Erinnerung gebracht werden soll.

1)
Im 5. Jahrh. nach Christi Geburt Anhänger eines gewissen Pelagius, der sich in die Annahme eines gänzlichen sündlichen Verderbens der Menschennatur nicht finden konnte. Im weiteren Sinne heißen denn alle Leugner der Erbsünde „Pelagianer“.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/calvin/calvin-epheserbrief/calvin-der_epheserbrief_-_kapitel_2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain