Calvin, Jean - Der erste Brief des Apostels Johannes - Kapitel 1.

Calvin, Jean - Der erste Brief des Apostels Johannes - Kapitel 1.

Im Eingang stellt der Apostel den Satz auf, das Leben sei uns in Christus dargereicht. Welch ein unvergleichliches Gut ist das! Wie muss es daher alle unsere Sinne mit einem sonderbaren Verlangen an sich ziehen und entflammen. Mit wenigen und einfachen Worten wird gesagt, das Leben sei erschienen. Aber wenn wir erwägen, wie elend und schrecklich das Todeslos ist, und wiederum, was das Reich Gottes und seine unsterbliche Herrlichkeit wert sind, dann empfinden wir hier mehr und Größeres, als man irgend mit Worten ausdrücken kann. Das ist also die Absicht des Apostels, unsere Herzen emporzuheben dadurch, dass er uns das große Gute, die große und einzigartige Seligkeit vorhält, welche uns Gott in seinem Sohne geschenkt hat. Aber da die Größe der Sache erfordert, dass die Wahrheit gewiss und sicher sei, so verweilt er dabei länger. Denn alle jene Ausdrücke: „was wir gesehen haben, was wir gehöret haben, was wir beschauet haben“ und dgl., dienen dazu, den Glauben an das Evangelium festzumachen. Solchen Eifer im Bekräftigen wendet der Apostel nicht umsonst an. Da im Evangelium unser Heil besteht, ist seine Gewissheit eine mehr als notwendige Sache. Wie schwer uns aber der Glaube wird, weiß ein jeder von uns aus eigener Erfahrung gut genug. Das Glauben, sage ich, nicht das Meinen oder bloße Zustimmen und Billigen ist, sondern das Ergreifen vermöge einer festen und unzweifelhaften Überzeugung, so dass wir wagen, unsere Namen darunter zu setzen, als wären wir mit dabei gewesen. Deshalb bringt der Apostel so viel zur Bekräftigung des Evangeliums vor.

V. 1. Das da von Anfang war. Da die Rede abgerissen ist, so muss man, damit der Sinn klarer hervortritt, die Worte so auflösen: Wir verkündigen euch das Wort des Lebens, das von Anfang war, und das uns auf jede mögliche Weise bezeugt worden ist; dies Wort verkündigen wir euch, weil in ihm das Leben erschienen ist. Dieser Satz: „das da von Anfang war“ – bezieht sich ohne Zweifel auf die Gottheit Christi. Denn nicht von Anfang an war Gott im Fleisch offenbar, sondern der, der immer das Leben war und das ewige Wort Gottes, ist in der Fülle der Zeit als Mensch erschienen. Was nun folgt von dem Beschauen und Betasten mit den Händen, geht mehr auf die menschliche Natur. Aber da zwei Naturen eine Person ausmachen und es nur einen Christus gibt, der vom Vater ausgegangen ist, dass er unser Fleisch anzöge, so predigt der Apostel mit Recht beides: eben derselbe sei in Ewigkeit unsichtbar gewesen und sei hernach gesehen worden. Diese Lehre des Evangeliums wird hier als Wahrheit geltend gemacht, nämlich dass der, der im Fleisch sich wahrhaftig als Sohn Gottes bewiesen hat und als Sohn Gottes anerkannt worden ist, in Ewigkeit das unsichtbare Wort Gottes gewesen ist. Denn der Apostel deutet hier nicht bloß auf den Anfang der Welt, sondern steigt noch höher hinaus.

Das wir gehöret haben, das wir gesehen haben. Dies Hören war nicht das Hören eines Gerüchts, dem man wenig Glauben beizumessen pflegt; nein, Johannes betont, er sei über das, was er lehrt, zuvor vom Meister gründlich unterwiesen worden, so dass er nichts leichtfertig vorbringe. Sicher ist keiner in der Kirche ein geeigneter Lehrer, der nicht vorher ein Schüler des Sohnes Gottes gewesen und in seiner Schule gründlich unterwiesen worden ist, da allein Christi Ansehen etwas gelten darf. Nicht zufrieden mit dem einfachen „sehen“ fügt der Apostel hinzu: wir haben beschaut, und unsere Hände haben betastet. Mit diesen Worten bezeugt er, dass er nichts anders lehre, als was er gründlich erkannt habe. Indessen der Beweis der Sinne scheint im vorliegenden Falle wenig Gewicht zu haben. Denn die Herrlichkeit Christi konnte weder durch die Augen noch durch die Hände erfasst werden. Ich erwidere, dass hier dasselbe gesagt wird, wie im ersten Kapitel des Evangeliums: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater.“ Nicht an der äußeren Figur des Körpers wurde der Sohn Gottes erkannt, sondern daran, dass er herrliche Beweise seiner göttlichen Macht gab, so dass in ihm, gleichsam wie in einem lebendigen und deutlichen Bilde, des Vaters Herrlichkeit erstrahlte. Da die Zeitwörter in der Mehrzahl stehen und das Besagte auf alle Apostel in gleicher Weise zutrifft, so lege ich die Mehrzahl (wir) gern von ihnen aus, besonders da es sich um das Gewicht des Zeugnisses handelt.

Vom Wort des Lebens. Das heißt so viel, wie das „lebendige“ Wort, denn in ihm war das Leben, wie das erste Kapitel des Evangeliums lehrt. Dieser Titel kommt dem Sohne Gottes mit doppeltem Rechte zu, sowohl weil er das Leben in alle Kreaturen ausgegossen hat, als auch, weil er jetzt bei uns das Leben wiederherstellt, das durch die Sünde Adams ausgelöscht und zugrunde gegangen war. Aber auch der Ausdruck „Wort“ erleidet eine doppelte Auslegung, sowohl von Christus, als von der Lehre des Evangeliums; denn auch durch diese wird uns das Heil gebracht. Indessen, da der Inhalt des Evangeliums Christus ist und es nichts anderes erklärt, als dass der, der immer beim Vater war, endlich den Menschen offenbart wurde, so scheint mir die erstere Auslegung einfacher und treffender.

V. 2. Und das Leben ist erschienen. Das Wörtlein „und“ steht hier etwa in dem Sinne: Wir geben Zeugnis von dem lebendigen Wort, weil in ihm das Leben erschienen ist. Indessen kann die Meinung eine doppelte sein: entweder dass Christus erschienen ist, der das Leben und die Quelle des Lebens ist, oder dass das Leben uns in Christus offenkundig dargereicht ist. Dies Zweite folgt notwendig aus dem Ersten. Was aber die Bedeutung der Worte angeht, so unterscheiden sich diese beiden Auslegungen wie Ursache und Wirkung. Wenn der Apostel wiederholt: wir verkünden euch das Leben, das ewig ist, so redet er ohne Zweifel von der Wirkung, nämlich, dass uns durch Christi Wohltat das Leben geschenkt ward. Daraus schließen wir, dass Christus uns nicht verkündigt werden kann, ohne dass uns das Himmelreich geöffnet wird, so dass wir, vom Tode erweckt, Gottes Leben haben.

Welches war beim Vater. Es war beim Vater, nicht nur seit die Welt geschaffen ist, sondern von aller Ewigkeit her. Immer war Gott die Quelle des Lebens. Die Kraft aber und Fähigkeit, Leben zu schaffen, war bei seiner ewigen Weisheit; indessen hat er diese Kraft tatsächlich nicht vor der Schöpfung der Welt geoffenbart. Seit aber Gott anfing das Wort hervorzubringen, hat sich jene Kraft, die vorher verborgen vorhanden war, in die Kreaturen ergossen. Schon das war eine gewisse Offenbarung des Lebens. Aber der Apostel hat etwas anderes im Sinn, nämlich, dass damals erst das Leben erschienen ist in Christus, als er, in unser Fleisch gehüllt, das Werk der Erlösung vollbrachte. Obwohl die Väter, auch unter dem Gesetz, Genossen und Teilhaber eben dieses Lebens waren, so wissen wir doch, dass sie in die Hoffnung, welche offenbar werden sollte, eingeschlossen gewesen sind. Auch sie mussten das Leben aus dem Tod und der Auferstehung Christi nehmen; das war ein Ding, das nicht nur den Augen weit entrückt, sondern auch den Gedanken verborgen war. Sie waren also angewiesen auf die Hoffnung der Enthüllung, die erst zu seiner Zeit erfolgte. Sie konnten zwar kein Leben erlangen, das ihnen nicht auf irgendeine Weise offenbar geworden war; aber zwischen uns und jenen ist ein großer Unterschied, weil wir den, den sie als einen Verheißenen suchten, nun als einen Erschienen gleichsam mit den Händen festhalten. Übrigens will der Apostel der Meinung entgegentreten, als wäre das Evangelium etwas Neues, wodurch seine Würde hätte gemindert werden können. Deshalb sagt er, das Leben habe nicht jetzt erst angefangen, weil es erst vor kurzem erschienen ist, vielmehr war es in alle Ewigkeit beim Vater.

V. 3. Was wir gesehen haben. Schon zu dritten Mal wiederholt der Apostel sein „wir haben gesehen und gehöret“, damit nichts an der festen Gewissheit seiner Lehre mangele. Das ist sorgfältig zu merken, dass die Herolde des Evangeliums von Christus dazu erwählt sind, geeignete und zuverlässige Zeugen alles dessen zu sein, was sie sagen sollten. Zugleich legt er auch Zeugnis ab von der Stimmung seines Herzens, indem er sagt, dass er nur dadurch zum Schreiben bewogen sei, um sie, denen er schreibt, zur Gemeinschaft eines unschätzbaren Gutes einzuladen. Daraus erhellt, wie sehr er für ihr Heil Sorge trägt. Das trägt nicht wenig dazu bei, ihm Glauben zu verschaffen. Wir sind doch allzu undankbar, wenn wir uns weigern, den zu hören, der uns gern des Glückes, das er erlangt hat, teilhaftig machen möchte. Sodann nennt er die Frucht, die aus dem Evangelium erwächst, nämlich, dass wir Gemeinschaft haben mit Gott und seinem Sohne Christus, worin ja das höchste Gut besteht. Dies zweite Glied musste hinzugefügt werden, nicht allein, um die kostbare und liebenswürdige Lehre des Evangeliums wiederzugeben, sondern auch, um zu zeigen, dass er sie zu keinem anderen Zweck gern als Genosse haben möchte, als um sie zu Gott zu führen, damit so alle in ihm eins seien. Auch die Gottlosen haben Verbindung untereinander, aber ohne Gott, ja sogar, um sich mehr und mehr von Gott zu entfernen, was das allergrößte Unglück ist. Aber das ist, wie gesagt, unser größtes Glück, von Gott in Gnaden angenommen zu werden, damit wir wirklich in Christus eins seien. Alles in allem sagt Johannes: wie die Apostel von Christus zu Brüdern angenommen wurden, dass sie als ein Leib Gott anhingen, so sei es sein und seiner Brüder Streben, viele für diese heilige und selige Gemeinschaft zu gewinnen.

V. 4. Dass eure Freude völlig sei. Unter völliger Freude versteht er eine ungetrübte und vollkommene Seligkeit, die wir durchs Evangelium erlangen. Zugleich erinnert er, wohin die Gläubigen alle ihre Begierden richten sollen. Wahr ist jenes Sprichwort (Mt. 6, 21): „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Wer also wirklich erfasst hat, was die Gemeinschaft mit Gott wert ist, gibt sich damit allein völlig zufrieden und lässt sich nicht weiter durch allerhand Begierden hin und her treiben. Der Herr ist mein Gut und mein Teil, sagt David (Ps. 16, 5); das Los ist mir gefallen aufs Liebliche. Ebenso sagt Paulus (Phil. 3, 8), er achte alles für Kot, auf dass er Christus gewinne. So hat der erst rechte Fortschritte im Evangelium gemacht, der sich in der Gemeinschaft Gottes glücklich schätzt, in ihr allein ruht und sie der ganzen Welt vorzieht, so dass er ihrethalben alles zu verlassen bereit ist.

V. 5. Und das ist die Verkündigung. Der Apostel will hier nicht die ganze Lehre des Evangeliums zusammenfassen; er zeigt vielmehr, dass wir, wenn wir Christus und seine Güter genießen wollen, Gott in der Gerechtigkeit und Heiligkeit ähnlich sein müssen, wie auch Paulus im Brief an Titus (2, 11) sagt: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und erzieht uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt.“ Er lehrt, dass wir im Lichte wandeln müssen, weil Gott Licht ist. Dass er übrigens das eine Mal sagt, Gott sei Licht, und das andere Mal, er sei im Lichte (V. 7), ist kein großer Unterschied. Warum der Satan der Fürst der Finsternis genannt wird, ist bekannt. Wenn Gott im Gegenteil der Vater des Lichts und Licht genannt wird, so wollen wir zuerst lernen, dass in ihm nur Helles, Reines und Lauteres ist, und sodann, dass er durch seinen Glanz alles so erleuchtet, dass er nichts Sündiges und Verkehrtes, keine Flecken und Makel, keine Heuchelei und keinen Betrug dulde. Im Übrigen ist das die Meinung: da es keine Übereinstimmung zwischen Licht und Finsternis gibt, so sind wir, solange wir in Finsternis wandeln, mit Gott im Zwiespalt. Jene Gemeinschaft also, von welcher der Apostel sprach, kann nicht anders bestehen, als wenn auch wir rein und licht sind.

Und in ihm ist keine Finsternis. Diese Art zu reden ist bei Johannes sehr beliebt, nämlich dass er etwas zuerst positiv und dann negativ ausdrückt. Der Sinn ist: Gott ist so Licht, dass er keine Finsternis duldet. Daraus folgt: Er hasst ein schlechtes Gewissen, lasterhafte und verkehrte Sitten und alles, was nach Finsternis schmeckt.

V. 6. So wir sagen usw. Hier wendet sich Johannes an die Gegner, indem er sagt, dass die ferne von Gott sind, die in der Finsternis wandeln. Diese Behauptung hängt von einem höheren Grundsatz ab, nämlich dass Gott die Seinen heiligt. Es ist also nicht eine bloße Vorschrift, durch die er von uns ein heiliges Leben fordert, vielmehr zeigt er, dass Christi Gnade auch die Kraft habe, in uns die Finsternis zu vertreiben und das Licht Gottes anzuzünden. Er will sagen: dass Gott sich uns mitteilt, ist nicht ein leeres Gerede, vielmehr ist es notwendig, dass die Kraft und Wirkung dieser Gemeinschaft im Leben aufleuchten. Sonst ist das Bekenntnis zum Evangelium Lüge. Dass er hinzufügt: „wir tun nicht die Wahrheit“, bedeutet so viel wie: wir handeln nicht aufrichtig, oder wir huldigen nicht dem Wahren und Rechten. Übrigens drückt er hier wieder einen Gedanken positiv und negativ aus.

V. 7. So wir aber im Lichte wandeln. Nun sagt der Apostel, das sei gewiss ein Zeichen unserer Gerechtigkeit mit Gott, wenn wir ihm ähnlich sind. Nicht als ob die Reinheit des Lebens den Herrn uns gnädig mache; aber daran kann man erkennen, meint der Apostel, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben, wenn seine Reinheit in uns leuchtet. Und sicher verhält die Sache sich so: wohin Gott kommt, da wird alles derartig von seiner Heiligkeit übergossen, dass aller Schmutz verschwindet; außer ihm aber haben wir nichts als Unreinheit und Finsternis. Daraus erhellt, dass nur der recht lebt, der an Gott hängt. Wenn der Apostel sagt: so haben wir Gemeinschaft untereinander, so bezieht sich das nicht einfach auf die Menschen, vielmehr stellt er Gott auf die eine Seite und uns auf die andere. Man kann aber fragen, wer von den Menschen das Licht Gottes so in seinem Leben zum Ausdruck bringen kann, dass jene Ähnlichkeit entsteht, welche Johannes fordert. Denn auf diese Weise müsste man ganz und gar von aller Finsternis frei und ledig sein. Ich meine, solche Ausdrücke müssen dem Fassungsvermögen der Menschen angepasst werden. So sagt er, der sei Gott ähnlich, der nach seiner Ähnlichkeit trachtet, wie weit er auch bislang von ihr entfernt ist. In der Finsternis wandelt, wer sich nicht von der Furcht Gottes regieren lässt und nicht mit reinem Gewissen dahin trachtet, dass er sich dem Herrn ganz weiht und seinen Ruhm fördert. Umgekehrt, wer aus lauterem Herzenstriebe sein Leben in allen seinen Beziehungen nach der Furcht Gottes gestaltet, ihm gehorcht, ihn verehrt, ob er auch in vielen Punkten fehlt und unter der Last des Fleisches seufzt, der wandelt im Licht, weil er den rechten Weg innehält. Allein die Lauterkeit des Gewissens scheidet Licht und Finsternis.

Und das Blut Jesu Christi macht uns rein. Nachdem der Apostel gelehrt hat, welcher Art das Band unserer Gemeinschaft mit Gott ist, zeigt er auch die Frucht, die aus dieser Gemeinschaft fließt, nämlich, dass uns die Sünden umsonst erlassen werden. Das ist aber jene Seligkeit, welche David in Psalm 32 beschreibt. Wir müssen wissen, dass wir die elendesten Menschen sind, bis wir, durch den Geist Gottes wiedergeboren, mit reinem Herzen ihm dienen. Was kann es Elenderes geben als einen Menschen, den Gott hasst und verabscheut, über dessen Haupt der Zorn Gottes und der ewige Tod schwebt! Wir lernen aus dieser Stelle zuerst und vor allem, dass uns dann erst die Sühne, die Christus durch seinen Tod zustande gebracht hat, zugutekommt, wenn wir die Gerechtigkeit mit aufrichtigem Herzenstrieb pflegen. Denn Christus ist nur für die ein Erlöser, die sich von der Ungerechtigkeit bekehren und ein neues Leben anfangen. Wenn wir daher einen gnädigen Gott haben wollen, der uns die Sünden vergibt, so dürfen wir uns nicht selbst vergeben. Kurz, die Vergebung der Sünden kann nicht von der Reue getrennt werden, und es gibt nur da Frieden mit Gott im Gewissen, wo die Furcht Gottes regiert. Diese Stelle lehrt ferner: die Vergebung der Sünden wird uns nicht nur einmal umsonst gegeben, vielmehr wohnt dies Gut beständig bei der Gemeinde Gottes und wird den Gläubigen täglich angeboten. Der Apostel redet hier Gläubige an, wie es denn sicher nie einen gegeben hat noch geben wird, der anders als durch den Glauben Gott gefallen kann, da wir alle bei Gott schuldig sind. Was für ein Eifer, das Recht zu tun, sich auch bei uns finden mag, so ist unser Streben nach Gott doch immer nur ein Hinken. Alles aber, was halb ist, verdient kein Lob bei Gott. Dazu sagen wir uns auch, soviel an uns ist, durch neue Sünden von der Gnade Gottes los. Daher kommt es, dass alle Heiligen täglich Vergebung der Sünden nötig haben, weil nur diese uns bei der Familie Gottes festhält.

Wenn Johannes sagt: von aller Sünde, so deutet er damit an, dass wir auf mannigfache Weise vor Gott schuldig sind, wie es denn gewiss niemand gibt, der nicht an vielen Fehlern leidet. Ferner lehrt er, dass den Frommen und denen, die Gott fürchten, keine Sünden so im Wege stehen, dass Gott kein Gefallen an ihnen habe. Er zeigt auch den Weg, die Vergebung zu erlangen und die Ursache der Reinigung, nämlich, dass Christus unsere Sünden mit seinem Blut gesühnt hat. Er bekräftigt, dass alle Frommen ohne Zweifel an dieser Reinigung teilhaben werden. Dieser ganze Teil der Lehre ist von den Sophisten1) verderbt worden. Sie behaupten nämlich, freie Vergebung der Sünden werde uns nur in der Taufe gegeben. Da allein, sagen sie, habe das Blut Christi Kraft. Aber von der Taufe an würden wir nicht anders mit Gott versöhnt als durch Genugtuungen. Sie lassen auch hier dem Blut Christi einige Bedeutung, aber da sie den Werken Lob erteilen, so stürzen sie das Amt Christi um, welches nach dieser Aussage des Johannes darin besteht, dass er die Sünden sühnt und Gott versöhnt. Denn das lässt sich nie reimen, dass wir durch das Blut Christi gereinigt werden und dass die Werke Reinigungsmittel seien; denn Johannes schreibt nicht die Hälfte, sondern alles dem Blut Christi zu. Das ist also die Hauptsache, dass die Gläubigen es festhalten, sie seien Gott angenehm, weil er ihnen durch das Opfer des Todes Christi versöhnt ist. Das Opfer schließt in sich Reinigung, Sühne und Genugtuung. Das alles kommt allein dem Blut Christi zu. Dadurch wird die Lüge der Papisten von den Ablässen widerlegt. Denn als ob das Blut Christi nicht genügte, rufen sie auch das Blut und die Verdienste der Märtyrer zu Hilfe. Da sie sagen, ihre Schlüssel, durch die sie die Vergebung der Sünden eingeschlossen halten, seien teils aus dem Blut und Verdienst der Märtyrer, teils aus den überflüssigen Werken, durch die sich ein jeder Sünder loskauft, zusammengeschmiedet, so bleibt ihnen keine Vergebung der Sünden, welche nicht dem Blut Christi Abbruch täte. Denn wenn ihre Lehre Grund hätte, so würde uns das Blut Christi nicht wirklich reinigen, es würde nur die Bedeutung eines Hilfsmittels haben. Auf diese Weise bleiben die Gewissen im Ungewissen gehalten, die der Apostel durch ein festes Vertrauen gewiss machen will.

V. 8. So wir sagen, wir haben keine Sünde usw. Nun legt uns der Apostel die Gnade wegen ihrer Unentbehrlichkeit ans Herz. Weil ja niemand ohne Sünde ist, so bezeichnet er uns alle als verloren und verdammt, wenn der Herr uns nicht mit seiner Verzeihung zu Hilfe kommt. Dass niemand unschuldig ist, betont er so stark, damit alle umso besser wissen, dass wir der Erbarmung bedürfen, die uns vom Elend erlöst, und damit alle umso mehr angespornt werden, ein so notwendiges Gut zu erlangen. Das Wort „Sünde“ bedeutet hier nicht nur die verkehrte Neigung, sondern die Schuld, die wir vor Gott haben. Da das Wort ganz allgemein lautet, so folgt, dass kein Heiliger der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ausgenommen wird. Daher widerlegt Augustin die Albernheit der Pelagianer leicht durch dies Wort; treffend hebt er nämlich hervor, das Bekenntnis der Schuld werde nicht verlangt um unserer Demütigung willen, sondern damit wir uns nicht durch Lüge täuschen. Wenn der Apostel hinzufügt: die Wahrheit ist nicht in uns, so bekräftigt er nach seiner Art durch Wiederholung den vorhergehenden Satz.

V. 9. So wir aber unsre Sünden bekennen usw. Wiederum verheißt er den Gläubigen, Gott werde ihnen gnädig sein, nur sollten sie sich als Sünder erkennen. Es liegt viel daran, dass wir fest überzeugt sind, die Versöhnung mit Gott liege für uns greifbar bereit, wenn wir gesündigt haben. Sonst tragen wir ja immer die Hölle in uns. Wenige erwägen zwar, wie elend und unglücklich das Schwanken des Gewissens ist. Und doch liegt die Sache so: die Hölle regiert, wo kein Friede mit Gott ist. Umso mehr müssen wir diese Verheißung mit ganzem Herzen ergreifen, die allen eine gewisse Vergebung anbietet, die ihre Sünden bekennen. Weiter lehrt uns der Apostel, dass Gott vergibt, weil er treu und gerecht, d. h. wahrhaftig und zuverlässig ist. Die Auslegung nämlich, dass Gott hier als gerecht bezeichnet werde, weil er uns aus Gnaden gerecht spricht, dünkt mich zu scharfsinnig. Seine Gerechtigkeit ist ein Ausfluss seiner Treue; beide aber hängen mit seiner Verheißung zusammen. Gott könnte ja auch gerecht sein und doch nach strengem Recht mit uns verfahren. Da er sich uns aber durch sein Wort verpflichtet hat, so will er nur als der Vergebende für gerecht gehalten werden. Übrigens schließt dies Bekennen, das vor Gott geschieht, die wahre Reue in sich ein. Gott vergibt freilich umsonst, aber so, dass sein Erbarmen, das so leicht zu erlangen ist, keine Reizung zur Sünde wird.

Und reinigt uns. Das Wort reinigen scheint hier in anderem Sinne aufgefasst werden zu müssen als vorhin. Vorhin hatte Johannes gesagt, dass wir durch das Blut Christi gereinigt werden, weil uns durch seine Wohltat die Sünden nicht angerechnet werden. Nun aber, nachdem er von der Vergebung geredet, fügt er auch hinzu: Gott reinigt uns von Untugend. So unterscheidet sich das zweite Satzglied vom ersten, und nach des Apostels Meinung wächst uns eine doppelte Frucht aus dem Bekennen der Sünden zu, nämlich, dass Gott, durch das Opfer Christi versöhnt, uns vergibt und dass er uns bessert und erneuert. Wenn jemand entgegnet, wir würden niemals, solange wir in der Welt sind, von aller Ungerechtigkeit gereinigt, so ist das, was unsere Erneuerung angeht, wahr; aber Johannes lehrt nicht, was Gott jetzt in uns zustande bringt. Er sagt: Er ist treu, dass er uns reinigt, nämlich nicht nur heute und morgen. Solange wir vom Fleisch umgeben sind, müssen wir in beständigem Wachstum sein; was der Herr aber einmal angefangen hat, daran arbeitet er täglich weiter, bis er es endlich zustande gebracht hat. So sagt Paulus (Kol. 1, 22), wir seien erwählt, dass wir ohne Tadel vor Gott erscheinen. Und an anderem Orte (Eph. 5, 27): die Gemeinde ist gereinigt, dass sie ohne Flecken und Runzel sei. Indessen, wenn jemand unsere Stelle anders auslegen will, als ob sie das gleiche zweimal sage, so lasse ich ihm darin Freiheit.

V. 10. So machen wir ihn zum Lügner. Der Apostel geht noch weiter und sagt, dass man Gott lästert, wenn man sich Reinheit zuschreibt. Wir sehen also, dass er ohne Unterschied das ganze menschliche Geschlecht der Sünde zeiht. Wer dieser Beschuldigung zu entfliehen trachtet, fängt also Krieg mit Gott an, ja er beschuldigt ihn der Lüge, als ob er Unschuldige belaste. Zur Bekräftigung fügt Johannes hinzu: Sein Wort ist nicht in uns, - als ob er sagen wollte, wir verwürfen Gottes allein maßgebende Lehre, welche alle Menschen unter die Schuld einschließt. Daraus merken wir, dass wir erst dann wirkliche Fortschritte in dem Wort des Herrn gemacht haben, wenn wir wirklich gedemütigt sind, so dass wir, seufzend unter der Last der Sünden, es lernen, unsere Zuflucht zu Gottes Gnade zu nehmen, und nirgends anders Ruhe finden als in seiner väterlichen Verzeihung.

1)
Gemeint sind die Scholastiker, die Vertreter der mittelalterlichen Lehre, welche die römische Kirche, nur von den schlimmsten Auswüchsen gereinigt, übernommen hat.
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