Bullinger, Heinrich - Väterliche Vorschriften oder Anweisung für seinen Sohn Heinrich bei dessen Abgang in die Fremde

Bullinger, Heinrich - Väterliche Vorschriften oder Anweisung für seinen Sohn Heinrich bei dessen Abgang in die Fremde

1553

  1. Fürchte und ehre allezeit Gott, der Einer im Wesen, dreieinig in den Personen; trage immerdar das dentische Sprüchlein in deinem Herzen mit dir: Habe Gott vor Augen, und den schönen Spruch Salmons: Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit.
  2. Demüthige dich vor Gott und richte dein Gebet allein zu ihm. Bitte ihn durch unsern einigen Mittler und Fürsprecher Jesum Christum; denn er erscheint allezeit vor Gott und vertritt uns vor ihm.
  3. Glaube fest, daß Gott der Vater uns Alles, was zu unserm Heil und Leben nothwendig ist, in Christo seinem Sohne vollkommen dargereicht habe, so daß uns durch dessen Tod und Auferstehung alle Sünden verziehen werden, und daß wir auch nach unserm Abschied aus diesem Leben in das ewige Leben aufgenommen werden. Denn also stellen uns alle Apostel und Propheten Christum vor.
  4. Bitte vor allen Dingen Gott um einen festen und wahren Glauben. Bist du damit ausgerüstet, so hange ihm in Hoffnung und Liebe unzertrennlich an und diene ihm alle Tage deines Lebens aufrichtig. Darnach bitte Gott um einen gelehrigen Geist und starke Kräfte des Verstandes, Gemüthes und Sinnes, um eine schöne Aussprache, damit du die Dinge, die dir nützlich sind, lernen und behalten und dereinst zu Gottes Ehre und des Nächsten Wohlfahrt brauchen könnest.
  5. Bitte ihn ernstlich, daß er dir deinen guten Namen erhalte, daß er dich vor Sünden, vor Krankheit und vor böser Gesellschaft gnädig behüte, daß er dir Alles, was dir für Leib und Seele wohlkommt, väterlich darreiche.
  6. Bete auch eifrig für das Vaterland, für deine lieben Eltern und für die Wohlfahrt derer, bei welchen du wohnest, ja für Alle, welche dir Gutes erweisen, daß sie Gott segne und vor allem Bösen bewahre.
  7. Bete eifrig für das Wachsthum des Wortes Gottes, für die Kirchendiener, für unsere Oberen, mit Einem Wort, für die Kirchendiener, für unsere Oberen, mit einem Wort, für alle Menschen. Beschließe dein Gebet allzeit mit dem Gebet des Herrn und brauche auch zum Lobe Gottes gern das schöne Symbolum (Hymnus) des Ambrosius und Augustinus: Herr Gott dich loben wir etc.
  8. Sei nicht undankbar für die Gutthaten Gottes, sondern erzeige dich dankbar gegen ihn.
  9. Wähle dir zu deinen Betstunden voraus die Morgenstunde, sobald du aufgestanden bist; die Mittagstunde, sobald du gegessen hast und ehe du spazieren gehst; die Abendstunde, wann du zu Bette gehst.
  10. Scheue dich nicht, mit gebogenen Knieen zu beten vor dem Bette oder in deinem Studierstüblein, da du ja siehst, wie Christus der Herr am Oelberg mit dem Antlitz sich bis zur Erde neigend gebetet hat.
  11. Schäme dich nicht, vor deinen Stubengenossen mit gebogenen Knieen zu beten, wo du nicht Gelegenheit hast, dieß im Verborgenen zu thun. Denn man soll das Gebet durchaus nicht unterlassen; wo man nicht betet, da ist weder Glück noch Heil.
  12. Hüte dich vor den papistischen Kirchen, Kapellen und Gemeinden; halte auch nicht bei denen das h. Abendmal, die von einem fremden Communicanten begehren, daß er glaube, das Brot sei der wahre, wesentliche Leib Christi, und der werde sowohl von den Gottlosen als den Frommen substanziell und leiblich, ja mit dem Munde des Leibes gegessen. Du aber bist nicht also unterwiesen worden, indem du glaubst, daß Christus mit seinem wahrhaften Leibe in den Himmel gefahren sei und zur Rechten Gottes seines himmlischen Vaters sitze, von wo er erst zum jüngsten Gerichte wiederkommen werde, daß man ihn so anzurufen habe, und wir ihn im heil. Abendmal geistlich und durch den Glauben empfangen müssen.
  13. Besuche fleißig und eifrig das gemeinsame Gebet und die Predigten, voraus am Sonntag, Morgens und Abends; überdieß wann und wo dir die Schulgesetze gebieten zu gewissen Stunden zuzuhören und zu beten, da komm ihnen jederzeit fleißig nach.
  14. In allem deinem Thun und Lassen stelle dir das Gesetz Gottes vor, dessen Inbegriff du in den heiligen zehn Geboten hast; diese wiederhole dir oft und viel; denn das Ende der christlichen Lehre ist, daß wir in diesem Leben Gott loben und preisen, heilig und fromm leben und nach diesem elenden Leben ewig im Himmel bei Gott leben.
  15. Wenn dich etwa eine Krankheit anfällt und ins Bett wirft, so suche vor allen Dingen Hülfe bei Gott. Hüte dich vor vielen Arzneien, aber hinwieder verachte sie nicht, sondern brauche dabei weiser Leute Rath.
  16. Sollte dann die Krankheit tödtlich sein, so laß dich doch nicht auf papistische Weise einsegnen oder Anderes dergleichen mit dir thun. Befiehl deine Sache Gott und glaube gewiß, du werdest nach diesem Leben durch Christum in das ewige Leben eingehen. Dieses Glaubensbekenntniß halte fest und fliehe allen Aberglauben wie eine Schlange.
  17. Schau, daß du Alles, was du schuldig bist, ordentlich aufzeichnest, damit, so dich Gott etwa aus diesem Leben abfordern sollte, Alles sodann sicher mir zugesandt werde. Zu solchen Sachen brauche keine andern, als gottesfürchtige und gläubige Leute.
  18. Zanke nicht hartnäckig mit denen, die unsere Religion hassen. Sag’ allezeit, du bekennest deine Religion und verleugnest dieselbe nicht, wollest aber das Disputiren denen überlassen, die im Disputiren geübt sind.
  19. In allen Dingen streite nicht hartnäckig; denn es gibt kein gewisseres Zeichen des Hochmuthes und Stolzes, als wenn man allzeit recht haben will, und das macht meistentheils, daß man von Worten auch zu Streichen kommt.
  20. Fluche Niemandem. Sage Niemand, wer er ist, so läßt man dich auch bleiben, wer du bist; denn wer redet, was er will, höret allezeit, was er nicht will.
  21. Rede nicht zu allen Dingen, höre auch nicht alle Dinge, mußt du aber reden, so rede nicht das Böseste, sondern das Beste zu allen Sachen. Wer den Frieden sucht, der findet ihn, und der Zanksüchtige ist Gott und Menschen ein Greuel.
  22. Das viele Schwatzen gebiert immerdar Sünden; deßhalb sagt St. Jacobus: Jedermann sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Und darum sollst du nicht viel reden, nicht jäh zum Zorn sein.
  23. Mische dich nicht in jede Sache. Rühme auch weder dich noch deine Sachen, noch die Deinigen, noch der Deinigen Sachen.
  24. Die Verschwiegenheit wird an den Jünglingen sehr gelobt. Trage deinem Hauswirth nichts zu, was du von Andern hörst, und schwatze auch nicht bei Andern aus, was du von deinem Hauswirth hörest, wovon du denken kannst, daß Zwietracht daraus entstehen möchte.
  25. Bemühe dich nicht zu sehr, etwas Neues zu vernehmen, noch etwas der Art auszubreiten, damit du nicht von Jedermann für einen Mährchenträger gehalten werdest.
  26. Schände und nimm Niemandem nichts, wie gering es dich auch dünke, denn

Stiller Mund und reine Hand
Durchwandeln allzeit alle Land.
Viel schwatzen, lügen, stehlen, pochen
Wird g’wiß an Jedem schnell gerochen.

  1. Rede nichts zu den Sachen, die dich nichts angehen. Geselle dich nicht zu solchen Buben, die sich unterstehen unehrliche oder gefährliche Dinge zu vollbringen. Sitze du über deinen Büchern, und vergiß nie, warum du in die Fremde geschickt wurdest, und wie du nur kurze Zeit zu reisen habest und vielleicht eher werdest heimberufen und examinirt werden, als du nicht meinest.
  2. Laß dir deßhalb höchlich angelegen sein, nicht mit Schanden und Unehre wieder heim zu kommen, sondern mit Lob und Ruhm, daß es deinen Eltern zur Freude und der ganzen Familie zur Ehre gereiche. O welch große Schande ist es, wenn einer als ein grober und unwissender Esel heimkommt!
  3. Denke, du habest alle Zeit verloren, die du nicht zum fleißigen Studieren angewendet hast.
  4. Morgenstund hat Gold im Mund. Wenn du die Morgenstunden mit Schnarchen zubringst, so hast du den besten Theil des Tages verloren. Denk’ an das bekannte Sprüchlein: Wache doch allezeit lieber, als daß du dem Schlaf dich ergebest.
  5. Nimm dir für dein Studieren eine gewisse Methode vor, und lege dich recht sowohl auf die hebräische und griechische, als auf die lateinische Sprache. Diese Sprachen lerne eifrig. Besuche die Vorlesungen fleißig, höre den Professoren aufmerksam zu. Schreibe mit Lust das Nützlichste auf, was geredet wird. Daheim wiederhole es und schreibe es sauber ab.
  6. Dieweil aber die Erfahrung bezeugt und Cicero selbst sagt, die Uebung im Schreiben sei der beste Lehrer der Beredsamkeit, so siehe zu, daß du dich fleißig übest im Niederschreiben von Reden aller Art und in der Uebersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische. Gewöhne dich auch lateinisch zu reden.
  7. Hüte dich beim Lesen eines Schriftstellers nur auf die Worte zu sehen, sondern achte auch auf die Sache selbst. Studiere deßhalb auch zugleich die Philosophie und andere gute Künste und Wissenschaften.
  8. Voraus aber lege dich auf die Theologie, und wenn dann jemand die Bücher des neuen Testaments erklärt, dem höre fleißig zu.
  9. Lies auch und schreibe mit besonderem Fleiße meine Darlegung aller biblischen Bücher ab. Sodann sollst du alle Tage drei Kapitel aus der Bibel lesen, indem du vom ersten Buch Mosis anfängst und nicht aufhörst, bis du zum Ende gekommen bist; denn wenn du wieder heimkehrst, werde ich dich darüber prüfen.
  10. Ehre deine Professoren, ebenso auch deinen Hauswirth und die ganze Haushaltung, mit der du leben mußt. Beflecke ihnen das Haus keineswegs. Sei von höflichen Sitten, und mache dich nicht zu gemein mit der Hausfrau, mit den Töchtern und Mägden. Halte dich überall sauber.
  11. Sei treu im Hause und thätig. Wenn du siehst, daß in der Haushaltung viel zu schaffen ist, so biete ihnen deine Hülfe auch dar. Sei nicht faul und träge, kein Klotz. Dienst gebiert Gunst.
  12. Hüte dich vor unnützen Kameraden, vor Lästerern, vor Lügnern, vor zanksüchtigen, verschreiten, vertrunkenen, verbuhlten, hoffärtigen und muthwilligen oder sonst vor allerlei losen Gesellen, damit du nicht auch für einen solchen geltest oder gar zu einem solchen werdest.
  13. Hüte dich, daß du nicht zu viel Bücher kaufest, sondern schaffe dir nur die an, die von deinen Lehrern benutzt werden; auf dieselben horche, lies sie und lerne aus ihnen, denn die Menge der Bücher verwirrt einen Studenten.
  14. Lies nicht immer nur bald da, bald dort in einem Buche, sondern wenn du es lesen willst, so fang’ es an und lies es bis zu Ende, und das Vorzüglichste schreib dir daraus ab, damit du auch mit Nutzen lesest. Triff eine sorgfältige Auswahl in dem, was du liesest.
  15. Die Geschichtbücher des Justinus und Orosius empfehle ich dir dringend, sowie unter den neuern die von Sabellicus und von Melanchthon.
  16. Auf der Reise gib wohl Acht auf die berühmten Ortschaften, Städte, Schlösser, Berge, Flüsse. Frage nach den schönen Sachen, die da zu sehen, und nach den Thaten, die da geschehen sind. Sorge dir um ein Reisebuch und zeichne das Merkwürdigste auf. Wenn du in eine Stadt kommst, so verfüge dich zu den Studierenden, um dir das Wichtigste zeigen und dich zu den Gelehrten führen zu lassen. Dieselben grüße und frage sie, ob sie keine Briefe an den Ort haben, wohin du reisen wirst u.s.w.
  17. Trage auch deinem Leibe Rechnung, halte ihn reinlich und unbefleckt, und bade dich zuweilen, den Mund und die Hände wasche allezeit, bisweilen auch das Haupt; das Haar kämme auch täglich sorgfältig. Wasche auch öfters die Füße, damit du nicht ein stinkender Wust werdest, der jedermann zur Ueberlast ist.
  18. Deine Kleider halte sauber und rein, und wirf oder gib sie nicht leicht weg, putze sie, wasche sie und bewahre sie. Wenn du siehst, daß sie irgendwo durchlöchert oder zerrissen sind, so gib sie bei Zeiten zum Ausbessern. Eine soldatische, leichtfertige und modische Kleidung mag ich nicht an dir sehen. Denn an der Kleidung erkennt man den Menschen. Aber das Sprüchwort sagt auch: Wer seine Kleider in Ehren hält, den halten sie auch in Ehren. Mit Recht wird Beides getadelt, eine nachlässige und eine geckenhaft gezierte Kleidung. Fliehe des Diogenes Schmutz und des Pfauen Hoffart.
  19. Dein Gang und des ganzen Leibes Haltung und Bewegung sei züchtig; denn Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demüthigen aber gibt er Gnade, sagt Petrus. Hoffart that nie gut. Verachte niemanden, ziehe dich selbst Andern nicht vor.
  20. Ueber Tisch verhalte dich, wie es einem gutgearteten Jüngling wohl ansteht. Iß nach deinem Bedürfnisse, nicht übermäßig, trink auch mäßig. Es ist nichts Häßlicheres als Gefräßigkeit und Völlerei. Frage nicht nach leckerhaften Speisen. Klage bei Andern nicht über des Hauswirths oder der ganzen Haushaltung Mängel. Laß dich begnügen an dem, was man dir vorsetzt. Und was du gern genießest, das stopfe nicht in dich, als ob es dir allein gehöre. Gönne andern Leuten am Tisch auch etwas.
  21. Deine Gespräche über Tisch seien anständig, freudig, mäßig, fern von Schelten und Schmähen.
  22. Sei hausväterlich und eingedenk unserer geringen Mittel und unserer Armuth, auch der großen Unkosten, die ich habe, auch der menge deiner Brüder und Schwestern; denn ich habe nicht dich allein zu erhalten.
  23. Vergiß nicht des Spruches: Was nicht nöthig ist, ist um einen Schilling zu theuer; auch nicht dessen: Sinne nicht, was du wünschest, sondern was du durchaus nicht entbehren könnest. Die Mäßigkeit in allen Sachen ziert einen Jüngling, die Verschwendung dagegen macht ihn unnütz. Es ist Einem nützlich, zuweilen Mangel zu leiden.
  24. Schreibe in ein Verzeichniß auf, was für Geld du ausgegeben hast und füge auch hinzu, wofür du es ausgegeben.
  25. Wann ich dich durch ein Schreiben heißen werde von einem Ort an einen andern ziehen, so hole zuerst von jedem deiner Professoren ein Zeugniß deines Fleißes und Wohlverhaltens, darnach von deinem Hauswirth ein Zeugniß über deinen frommen Wandel; ich will nicht, daß du ohne diese heimkommest.
  26. Alle Samstag Abende sollst du dieses Alles fleißig durchlesen. Sieh nun zu, mein Sohn, daß du im Leben, in deinen Sitten und deinem Studieren dem getreu nachkommst, was du jetzt von mir, deinem Vater, hörst und von meiner eigenen Hand geschrieben vor dir hast. Laß dir allezeit sein, ich rede mündlich mit dir. Ja, wenn einige Gottesfurcht in dir ist, so schau, daß du dich verhaltest, wie ich oben gesagt habe.
  27. Der Herr unser Gott wolle sich deiner erbarmen um Christi willen. Er segne dich reichlich, er geleite dich, behüte und erhalte dich, und bringe dich an Geist, Seele und Leib unversehrt wieder zu uns. Amen!

Den 1. September 1553.

Quelle: Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformirten Kirche - Band V

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