Bose, Peter du - Die Lehre von der Gnade.

Bose, Peter du - Die Lehre von der Gnade.

Das Verhalten Gottes gegen das alte Volk Israel ist in der That bewunderungswürdig in jeder Hinsicht, und wenn man es mit Aufmerksamkeit betrachtet, so sieht man daraus eine göttliche und unvergleichliche Weisheit hervorleuchten. Dieß tritt dann ganz vorzüglich hervor, wenn wir festhalten, daß die Befreiungen und alle günstigen Umstände dieses Volkes keineswegs ihm selbst und seinen Anstrengungen, sondern Gott und seiner Güte zuzuschreiben sind. Denn wenn der Tyrann, der dieses Volk in Egypten unterdrückte, gezwungen ward, es in Freiheit zu setzen, so geschah dies nicht, weil Israel die Waffen ergriff, um sich von seinem Joche loszumachen, nicht, weil man Truppen aushob, Schlachten lieferte, Belagerungen unternahm und Pharao und seine Stadt blokirte oder ihn in seinem Pallaste dazu zwang; sondern Gott war es allein, der für die Befreiung des Volkes kämpfte; Er war es, der seine Engel mit dem Racheschwert bewaffnete, und durch ihre unsichtbare Hand die Erstgebornen dieses großen Königreichs erwürgte, um den König zu zwingen, sein Volk ziehen zu lassen. – Wenn man ferner das Volk durch das rothe Meer ziehen sieht, so geschieht dieß nicht dadurch, daß es eine Flotte gerüstet, Schiffe erbaut, erfahrene Steuerleute und Matrosen sammlet, Steuer oder Ruder in Bewegung setzt. Nein, durch eine bewunderungswürdige Gunst zertheilt Gott vor ihm das Meer und bereitet ihm einen trocknen Weg mitten durch die Wasser hindurch. – Wenn es in der Wüste seinen nöthigen Unterhalt findet, so geschieht dieß wiederum nicht dadurch, daß es die Erde bebaut, Getreide säet, Bäume pflanzet, Korn erndtet oder Früchte einsammelt, welche ihm zur Nahrung dienen: Gott ist es, der ihnen Brodt gibt, er sendet es alle Morgen an dem Thore des Heiligthums herab durch einen wunderbaren Regen, der vom Himmel fällt. – Wenn es von den giftigen Bissen feuriger Schlangen geheilt wird, so geschieht dieß nicht durch Anwendung von Heilmitteln, durch Arzneien, nicht dadurch, daß es sich der Heilkraft der Kräuter oder der Kraft der Mineralien und Gegengifte bedient: Gott selbst ist es, der ihm Medicin darreicht; Er befreit es auf eine wunderbare Weise durch das Anschauen einer ehernen Schlange, die er vor seinen Augen aufrichten lässet. Wenn es glücklich den Jordan durchschreitet, so geschieht dieß nicht dadurch, daß es Brücken baut über diesen Strom, daß es die Furten aufsucht; nicht durch Schwimmen, nicht vermittelst der Arme oder Ruder sucht es das entgegengesetzte Ufer zu erreichen, sondern Gott ist gegenwärtig in seiner Bundeslade, diesem Sinnbilde seiner Majestät; Er hält den Strom mitten in seinem Bette auf, Er drängt ihn zu seiner Quelle zurück, und macht durch dieses Mittel den Durchgang frei. Wenn sich endlich dieses Volk der Stadt Jericho bemächtiget, die sich seiner Niederlassung und Eroberung widersetzte, so geschieht dieß nicht durch gewaltige Bestürmungen, durch Aufwerfen von Laufgräben, nicht durch Handhabung von Mauernbrechern und anderen Eroberungswerkzeugen, auch nicht dadurch, daß es die Streitkräfte aller Stämme gegen dieselbe ins Feld stellt. Der Gott der Schlachten stürzt durch seinen mächtigen Arm die Mauern dieser übermüthigen Stadt danieder und dadurch macht er seine Kinder zu Siegern; nicht durch das Schwert der Krieger, nicht durch die Tapferkeit der Hauptleute, sondern bloß durch den Odem seiner Opferpriester.

Was hat nun dieses merkwürdige und wunderbare Verhalten Gottes zu bedeuten? – Was anders, als daß Israel sein Glück keineswegs sich selbst, seinen Kräften, seinen Anstrengungen zuzuschreiben hat. Nicht seinen Waffen verdankte es seine Befreiungen; nicht seiner Industrie, seinen Arbeiten hat es seine Erhaltung und Ernährung zuzuschreiben, auch nicht seinen Kämpfen darf es die Ehre seiner Siege und Triumphe beimessen. Der ganze Ruhm davon gebühret allein der Gnade des Herrn. Dieser große Befreier, der es durch so viele und erhabene Wirkungen seiner unendlichen Macht errettete, verdient allein alles Lob. Und da die Befreiung Israels eine vorbildliche Darstellung war von dem Heile der Kirche, so wollte uns Gott eben dadurch zu einem noch weit höheren und herrlicheren Geheimnisse erheben: nämlich zu der Wahrheit, daß das Heil der Menschen nicht von ihnen selbst kommt, daß sie es nicht durch ihre Kräfte erlangen, daß es nicht von ihren Werken abhängt und daß es keineswegs erlangt wird durch das Verdienst ihrer Arbeiten und Tugenden; sondern daß es ganz allein von der Gnade des Herrn abhängig ist, der es uns durch eine reine Wirkung seiner barmherzigen Güte zu Theil werden lässet.

Diese wichtige Wahrheit ist es, welche unter andern der Apostel der Heiden im Briefe an die Epheser im 2. Cap. im 8. V. uns lehrt, wo er diesen Fundamentalsatz aufstellt: daß wir aus Gnaden selig werden, um uns zu lehren, daß wir keineswegs gerettet werden durch unsere Werke, wie er sich denn selbst darüber ganz unumwunden in dem folgenden ausdrückt. Denn nachdem er diesen herrlichen Ausspruch gethan, daß wir aus Gnaden selig werden, so setzt er, um sich noch deutlicher darüber zu erklären, hinzu: durch den Glauben, und dasselbige nicht aus uns, sondern Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme.

Es thut Noth, diese heilsame Lehre oft darzustellen: denn es ist gewiß, daß der Mensch von Natur eben so elend als stolz ist. In seinem Unglück ist er fortwährend übermüthig und hoffährtig, er vertraut seinen eigenen Kräften auf eine unverschämte Weise; nur mit Widerstreben leitet er sein Glück anderwärts her; er thut Alles was er kann, um es sich selber zuzuschreiben. Und nicht bloß die blinden Philosophen des Heidenthums haben sich als die Urheber ihrer Tugend und ihres Glückes betrachtet, sondern selbst in der christlichen Kirche, wo die Stimme der Gnade die Menschen besser unterwiesen haben sollte, haben sich zu allen Zeiten manche betrachtet als die selbstständigen Begründer ihres Heils. Ein Irrthum aber in diesem Punkte ziehet die schlimmsten und traurigsten Folgen nach sich: denn er raubt Gott die Ehre, welche ihm allein gebühret; und dieser Raub ist ohne Widerspruch der schreiendste und schrecklichste von allen. Denn wenn es eine entsetzliche Gottlosigkeit und Heiligthumsschänderei ist: die Tempel zu berauben, die Altäre zu plündern, die heiligen Gefäße zu stehlen, was wird es dann sein, wenn man sich untersteht, dem Herrn selbst die Ehre unserer Errettung zu rauben, um uns auf eine ungerechte Weise zu seinem Nachtheile zu bereichern. Liebt ihr also die Ehre des Ewigen, seid ihr darob eifersüchtig, wollet ihr Gott geben, was Gottes ist, wollet ihr ihn nicht durch Eigendünkel und durch eine ihn entehrende Unerkenntlichkeit beleidigen, so gilt es, daß ihr festhaltet diese apostolische Unterweisung, daß wir aus Gnaden selig werden. Ich weiß wohl, daß man diesen heiligen Lehrspruch nicht vertheidigen kann, ohne die Gedanken Mehrerer zu bestreiten, welche der Gnade nicht zuschreiben, was sie sollten. Allein ich trete dessenungeachtet jetzt hier keinesweges auf mit einem Geiste des Streites und der Controversen. Nur die Wahrheit ist mein Ziel, und ich will sie vorstellen einfältig ohne die geringste Absicht, zu betrüben oder zu widersprechen. Mein Vorhaben gehet lediglich dahin, mich anzuschließen an den heil. Paulus, und wenn ich in dem Folgenden von der Ansicht des Einen oder Andern abweichen sollte, so mögen sie sich an diesen Apostel wenden und nicht an mich, der ich weiter nichts thun will, als seine Schritte beobachten und seinen Fußstapfen nachfolgen. Endlich, indem ich mich erinnere, daß ich von der Gnade handle, werde ich es thun als ein solcher, der da selbst an dem Busen dieser Gnade ruhet. Ferne sei es, Bitterkeit in eine Materie zu tragen, die da ganz voller Süßigkeit ist und von Milch und Honig überfließt; nur in solchen Ausdrücken werde ich davon reden, welche mit der Holdseligkeit dieser Gnade sich reimen; ich werde ihre Rechte behaupten, ohne ihre Gegner zu kränken, wie ich denn auch in der That weit entfernt bin, sie zu hassen oder ihnen unartig begegnen zu wollen. Vielmehr bitten wir Gott mit Inbrunst, daß es ihm gefallen wolle, sie zu überhäufen mit allen Segnungen dieser Gnade, die wir verkünden, und daß er sie einst retten wolle in sein himmlisches Reich durch eben diese Gnade, welche Paulus predigt und wir nach ihm. Lasset uns denn hier sehen mit all‘ der Liebe, welche dem Herzen eines Christen und dem Geiste der Lehre, welche wir darstellen wollen, geziemt; lasset uns sehen: zuerst, was das für eine Gnade ist, welche der Apostel hier im Sinne hat, und darnach, wie wahr es ist, daß wir nur durch diese Gnade selig werden.

Indem Augustinus einstens von dem Frieden redete (De civit. Die Lib. 19. Cap. XI.), fand er dieses Gut so groß und herrlich, daß selbst der Name desselben einen köstlichen Klang habe, und daß man in der Welt nichts Angenehmeres hören könne. Gewißlich kann man von der Gnade wohl dasselbe sagen; sie ist so lieblich und so hinreißend, daß auch ihr Name, ich weiß nicht, was für eine wundersame Lieblichkeit hat; man kann ihn nur mit Wonne anhören, und ich bin versichert, wenn ihr das Wort Gnade vernehmet, so stellt ihr euch sogleich eine bewunderungswürdige Süßigkeit, eine unvergleichliche Güte, eine unendliche Barmherzigkeit, eine unermeßliche Liebe, und eine unerschöpfliche Freigebigkeit vor; und in Wahrheit, die Gnade schließet Alles dasjenige in sich, was in der Güte das Süßeste, in der Barmherzigkeit das Zarteste, in der Liebe das Nachsichtsvollste und das Mittheilsamste in der Freigebigkeit ist. Um nun ganz genau zu bezeichnen, was die Gnade ist, so bedeutet dieser Ausdruck eigentlich so viel, als Gewogenheit oder Huld, und darum sagt die H. Schrift so häufig: Gnade vor jemand finden, was so viel ist, als seine Gewogenheit gewinnen und erhalten. Wir müssen uns aber wohl erinnern, daß die Gnade eine umsonst erlangte, (eine freie) nicht verdiente Gewogenheit bezeichnet, eine Huld, die nicht auf die Vortrefflichkeit und Würdigkeit der Person sich gründet, welche sie empfängt, sondern lediglich in der Wohlgewogenheit dessen, der sie mittheilt. Darin unterscheidet sich die Gnade von der Liebe: denn die Liebe kann verdient sein, und man ist dazu oft so nothwendig verpflichtet, daß man sie ohne Ungerechtigkeit und Frevel nicht verweigern kann. So lieben die Kinder ihre Väter, die Diener ihre Herren, die Unterthanen ihren König und die Menschen lieben Gott, weil es ihre Verpflichtung und Schuldigkeit ist. Aber die Gnade ist immerdar frei und handelt ohne Verpflichtung. Darum ist also die Zuneigung der Unterthanen zu ihrem Fürsten, der Creaturen zu ihrem Schöpfer im eigentlichen Sinne des Wortes wohl Liebe, aber keineswegs Gnade, weil sie auf eine strenge und unumgängliche Weise dazu verbunden sind. Auf der andern Seite ist aber die Zuneigung eines Monarchen gegen seine Unterthanen und die Zuneigung Gottes gegen den Menschen nicht sowohl Liebe als Gnade, weil die Könige nicht behindert sind, diejenigen, welche sie zu ihren Günstlingen auserwählen, mit besonderen Gunstbezeugungen zu ehren und zumal Gott, der unumschränkte König aller Könige, auf keine Weise seiner Creatur irgendwie verpflichtet sein kann.

Hierauf müssen wir nun bemerken, daß es zwei Arten von Gnade giebt. Die eine nennen wir ganz einfach die unverdiente; die andre ist zugleich eine erbarmende. Die erstere erweiset Gott der unschuldigen Creatur; die andre entfaltet er der elenden sündigen Creatur. Denn auch das Gute, welches Gott selbst den reinsten, gerechtesten und vollkommensten Creaturen erweiset, ist immer Gnade, weil Er ihnen nichts schuldig ist, sie aber Ihm Alles verdanken. Daß er den Engeln im Himmel ihre Wohnung anweiset, daß er sie hinzulässet zu dem Beschauen seines Antlitzes, daß er sie erhalten hat in ihrer ursprünglichen Unschuld, daß er sie ehret mit seiner Vertraulichkeit, mit der Offenbarung seiner Geheimnisse, das ist Gnade, weil ihn ja nichts dazu verpflichtete, diese Geister auf solchen hohen Gipfelpunkt der Herrlichkeit und Ehre zu erheben, wodurch sie die ersten und edelsten Wesen der Welt werden. – Daß er den Adam in das Paradies setzte, daß er ihm die Herrschaft und das Reich über die Werke seiner Hände gab, daß er ihn zu seinem Stellvertreter machte und ihn den sichtbaren Gott der Erde sein ließ, das war Gnade, weil er ihm ja auch diese großen Huldbezeugungen nicht hätte mittheilen, ja weil er sich, da er ihn aus dem Nichts hervorzog, damit hätte begnügen können, ihn in den Rang der Ochsen und Elephanten, ja der Raupen und Schnecken zu setzen. Und wenn Adam immerdar in seiner ursprünglichen Gerechtigkeit beharret wäre, so würde doch Alles, was er an Glück und Vorzügen besessen hätte, nur Gnade gewesen sein, weil er ja Alles dieß nur von der Hand Gottes als eine Gabe, als ein Geschenk seiner Freigebigkeit empfangen konnte. Aber freilich wäre dieß nicht Barmherzigkeit gewesen, weil er Gott nicht beleidiget hätte und er also der Güte, welche den Verbrechern verzeiht, nicht bedürftig gewesen wäre. Darum hat man zwischen der schaffenden und rettenden Gnade unterschieden. Die schaffende Gnade verlieh den Engeln ihr Wesen nebst den unvergleichlichen Vorrechten ihrer himmlischen Natur; eben diese Gnade gab dem Menschen das Leben nebst den wunderbaren Vorzügen, womit sie sie im Anfange adelte. Die rettende Gnade ist diejenige, durch welche er uns aus unserem Falle emporgehoben, durch welche er uns seinen Sohn gegeben hat, seinen Geist verleiht, uns die Sünden vergiebt und uns endlich einführet in sein Paradies. Das ist die Barmherzigkeit übende oder erbarmende Gnade, welche die Theologen bald die befreiende nennen, weil sie uns von der Sclaverei des Teufels, der Sünde und des Todes erlöst, bald die heilende, weil sie uns von unseren Uebeln heilt. Die heilige Schrift bezeichnet diese rettende Gnade mit einem Ausdruck, der eigentlich so viel bedeutet als Eingeweide, indem sie Gott eine Gesinnung zuschreibt, die derjenigen Regung ähnlich ist, welche wir in unseren Eingeweiden bei dem Anblick der Unglücklichen empfinden, und deren Wirkungen besonders heftig die Mütter in ihren Eingeweiden erfahren, wenn sie ein Unheil über ihre Kinder hereinbrechen sehen. Von dieser Gnade will nun der Apostel in der angeführten Stelle reden: Aus Gnaden seid ihr selig worden, durch eine freiwillige, unverdiente, barmherzige Huld. – Gnade ist das Asyl der Sünder, der Zufluchtsort der Elenden, der wahre Schatz des Ablasses, die Quelle aller Güter, aller Gaben, aller Vorzüge, die wir in dieser Welt besitzen; daher kommt es denn auch, daß alle Gaben Gottes in uns nach dem Namen der Gnade genannt werden. Die Gnade kann man sich vorstellen als eine himmlische Tugend, deren freigebige Hände immerdar in Segnungen geöffnet sind, deren geheiligter Mund nur von Vergebung und Befreiung redet, deren Eingeweide immerdar von Mitleid brausen, deren sanfte und gütige Augen nur von Blicken des Mitgefühls und der Zärtlichkeit leuchten; - fürwahr eine angenehme und willkommene Tugend, sie thront auf einem Gnadenstuhle, dem wir uns nahen können mit Freudigkeit, auf daß wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die Zeit, wenn uns Hülfe noth sein wird; - eine hülfreiche Tugend, die sich nur damit beschäftigt, Kranke zu heilen, Betrübte zu trösten, Gefangene zu befreien, Blinde zu erleuchten, Verirrte zurechtzuführen, Elende aufzurichten und solche Seelen zu retten, die da verloren sind im Abgrund der Sünde; - eine reine uneigennützige Tugend, die nur in sich selber die Beweggründe zum Wohlthun findet. Mit einem Wort, um die Gnade richtig zu kennen, müssen wir hauptsächlich diese Regel festhalten: daß in der h. Schrift die Gnade den Werken als eine durchaus entgegengesetzte Sache gegenüber steht. Das ist es, was uns jenes ausdrückliche Axiom unsers göttlichen Apostels lehrt: Ist‘s aus Gnade, so ist es nicht durch die Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein (Röm. 11,6.); woraus wir aufs deutlichste erkennen, daß die Gnade die Gerechtigkeit der Werke ausschließet und daß beides sich nothwendigerweise gegenseitig aufhebt und vernichtet. Dieß erhellt noch ausdrücklich aus Ephes. 2,8. unsrer Schriftstelle, wo Paulus, nachdem er gesagt hat: Aus Gnaden seid ihr selig worden, sogleich hinzufügt: nicht durch die Werke, indem er beides, als sich augenscheinlich widerstreitende Dinge, entgegensetzt. Und hier sehen wir denn, was er eigentlich sage will in dieser Stelle: daß wir selig geworden sind, hat keineswegs seinen Grund in unserer Tugend, in irgend einem Verdienste unserer Werke, sondern allein in der Gnade, in der freiwilligen unverdienten Wohlgewogenheit, in der barmherzigen Güte unseres Gottes.

Wollt ihr diese Wahrheit deutlich erkennen und sie in ihrem vollen Lichte schauen? Lasset uns alle einzelnen Stücke des Heils erwägen, lasset sie uns durchgehen nach allen ihren Graden, lasset uns alle Perioden desselben einer genauen Prüfung unterwerfen und ihr werdet’s einsehen, daß wir wirklich durch die Gnade gerettet sind. Wenn wir die Heilsordnung unter dem Bilde jener großen Jacobsleiter betrachten können, die von der Erde in den Himmel reichte, so werdet ihr finden, daß sich nicht eine einzige Sprosse an dieser wunderbaren Leiter findet, auf der man nicht: Gnade! Gnade! schreien müßte -, nur durch die Gnade Gottes ganz allein werden wir gerettet. Denn die Heilsordnung hat hauptsächlich vier Staffeln: die Erwählung, die Berufung, die Rechtfertigung und die Verherrlichung. Die Erwählung ist die Quelle, die Berufung ist der Bach, die Rechtfertigung ist der Strom und die Verherrlichung ist der Ort, wo Alles zusammenfließt und dieser ist wie der Ocean, in welchem jener Strom von Entzückungen durch alle Ewigkeiten hindurch fesselfrei hinströmen wird. Die Erwählung ist das Fundament, die Berufung ist der Vorhof, die Rechtfertigung ist das Heilige und die Verherrlichung ist das Allerheiligste, jenes wundersame Heiligthum, wo man Gott in seiner Herrlichkeit schauet. Die Erwählung ist die Wurzel, die Berufung der Zweig, die Rechtfertigung die Frucht, die Verherrlichung de Erndte, da wir in reichem Ueberfluß die wundersamen Früchte sammlen und sie in ihrer vollen Reife und Süßigkeit genießen werden. Erwäget denn diese 4 Staffeln des Heils und ihr werdet unfehlbar den paulinischen Ausspruch unterschreiben, daß wir aus Gnaden und nicht durch die Werke selig werden.

Denn was die Erwählung und die Vorherbestimmung zur Seligkeit anbelangt, so wird dieselbe ausdrücklich eine Erwählung der Gnade genannt, um uns damit zu lehren, daß Gott weder durch die Berücksichtigung unserer Werke noch durch das Vorhersehen unserer Verdienste erwählt, sondern lediglich nach dem Wohlgefallen seiner Barmherzigkeit. Dieser große Gott handelt nicht wie die Menschen. Diese wählen die Dinge, weil sie dieselben für gut halten oder weil sie voraussehen, daß sie es einst werden. Wenn z.B. ein Fürst seinen Staat organisirt, so lenkt er seine blicke auf diejenigen Personen, von welchen er glaubt, daß sie mit den tüchtigsten und zur Verwirklichung seiner Plane dienlichsten Eigenschaften versehen sind. Wenn aber Gott die Menschen erwählt, so erwählt er sie nicht darum, weil sie gut sind, sondern weil er den Vorsatz, den Plan hat, sie gut zu machen, und er sah in ihnen keine Tugenden voraus, als diejenigen, welche er ihnen durch seine Gnade schenken würde. Das bezeugen diese so ausdrücklichen Worte des h. Paulus: Gott hat uns erwählet, daß wir sollten heilig sein. Ephes. 1,4. Er sagt nicht, daß er uns erwählt habe, weil er habe vorausgesehen, daß wir heilig werden würden, sondern: damit wir es würden. So ist also die Heiligkeit nicht die Ursache, die Bedingung, der Beweggrund, welcher der Erwählung vorangeht, sondern sie ist im Gegentheil die Wirkung, welche der Erwählung folgt. Dieß beweist unwidersprechlich jener rechtsgültige Urtheilsspruch desselben Apostels: Es ist nicht des laufenden oder des wollenden sondern des erbarmenden Gottes. 1) Heißt das nicht Alles der Gnade zuschreiben und nichts den Werken lassen? und was wäre dann nun nach jenem Grundsatz jenes eingebildete Vorhersehen, das man sich bei der Erwählung Gottes vorstellt? Etwa das Vorsehen der ersten Regungen unseres Willens zum Guten? Aber siehe, Paulus ruft ja aus, daß es gar nicht an jemandes Wollen liege! Oder wäre es das Vorhersehen des Fortgangs unseres Glaubens und des Ausharrens in unserer Liebe? – Paulus erklärt sich dagegen. Er sagt, es liege nicht an jemandes Laufen. worauf sollte denn nun jenes vorgegebene Vorhersehen sich gründen, da es sich doch weder auf den Anfang noch auf den Fortgang unserer Heiligung gründen kann? Dieß geht klarer als der Tag hervor aus dem Exempel der kleinen Kinder gläubiger Eltern, die in den ersten Tagen ihres Lebens vor dem Gebrauch ihrer Vernunft dahin sterben. Denn in diesem Zustande der Schwachheit, wo der Mensch gleichsam nur ein Entwurf von einem Menschen ist, sind doch die Kinder weder des Glaubens noch der guten Werke fähig. Sie treten hinein in die Welt, sie gehen wieder hinaus, ohne jemals irgend eine der christlichen Tugenden gekannt, geschweige denn geübt zu haben. Wenn nun Gott die Menschen nur darum erwählte, weil er ihre Werke voraussah, so müßte man ja annehmen, daß nicht eins dieser kleinen und unschuldigen Geschöpfe, welche der Tod aus ihrer Wiege hinwegträgt, zur göttlichen Wahl gehören könnte, demnach wären alle diese jungfräulichen Seelen, welche sich noch gar nicht mit den Unreinigkeiten dieser Welt befleckt haben, welche die Erde so zu sagen noch nicht berührten und die in dem Wasser der Taufe von der Erbsünde frei wurden, unwiderbringlich verloren, was ja mit der Erklärung des Sohnes Gottes gar nicht übereinstimmt, der uns im Evangelio versichert, daß das Königreich der Himmel ihnen zugehöre (Matth. 19,14.). Dieß ist am Ende dasselbe, was uns der Apostel der Heiden in dem Exempel Jacobs und Esaus vorstellt. “Ehe die Kinder geboren waren, sagt er, und weder Gutes noch Böses gethan hatten, auf daß der Vorsatz Gottes bestände nach der Wahl; ward zu ihr gesagt: nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnaden des Berufers, also: der Größere soll dienstbar werden dem Kleinern, wie denn geschrieben stehet: Jacob habe ich geliebet, aber Esau habe ich gehasset. Röm. 9, V. 11-13. Dieser große Apostel hatte im Vorhergehenden das Exempel Isaaks angeführt, welchen Gott erwählet hatte; daß er der gesegnete Same und der Erbe der Verheißungen sein sollte, während er den Ismael verworfen hatte. Weil man ihm aber nun erwiedern konnte, daß man sich nicht wundern könne, wenn diese beiden Kinder so verschiedentlich betrachtet wurden, weil Ismael nur von einer Magd geboren sei, Isaak hingegen von einer freien Frau, welche Abrahams wirkliche Gattin und die Herrin seines Hauses war; ja daß Isaak noch nicht zur Welt geboren sei, als Ismael schon Zeichen seines bösen Charakters und somit dem Herrn gerechten Grund zu seiner Verwerfung gegeben habe, so fährt der heilige Paulus fort, indem er gleichsam sagt: Wohlan, wir wollen denn ein anderes Exempel wählen, welches diesen Einwurf sogleich widerlegt und die Welt überzeugen muß, daß die Erwählung derer, die zum Leben verordnet sind, einzig und allein von der unverdienten Liebe Gottes ausgeht. Schauet an, spricht er, Jacob und Esau, von welchen er den Einen liebe, den Andern haßte. Was für eine Ursache zur Unterscheidung dieser beiden Kinder werdet ihr finden? Beide waren von einem Vater gezeugt, von einer Mutter geboren; beide wurden in einem Hause empfangen, beide wurden zu einer Zeit geboren, in einem Hause ernährt, in einer Schule unterwiesen, beide von denselben Eltern gebildet. Und damit niemand dem Gedanken Raum gebe, es sei die Erwägung ihrer Werke der Grund ihrer verschiedenen Behandlung gewesen, so sagt Gott ausdrücklich zu ihrem Vater Isaak, bevor sie Böses und Gutes gethan hatten: Der Größere soll dem Kleineren dienstbar werden. Somit bekennen wir, daß wir in Rücksicht der Erwählung wahrhaftig durch die Gnade selig geworden sind, und darum sagt Paulus im Beginn des Briefes an die Epheser, daß Gott uns verordnet habe zur Kindschaft gegen ihn selbst durch Jesum Christum, nach dem Wohlgefallen seines Willens zu Lobe seiner herrlichen Gnade. Bewunderungswürdige Worte, aus welchen die Weisheit des Geistes Gottes auf eine herrliche Weise hervorleuchtet; kein einziges Wort, aus welchem nicht irgend ein schöner Strahl hervorblitzte. Denn der h. Paulus sagt uns, daß Gott uns in sich verordnet habe; er hat demnach keinen Grund der Erwählung in uns gefunden, er hat ihn keinesweges außer sich selbst gefunden; er sagt, daß Er uns erwählet habe nach dem Wohlgefallen seines Willens, nicht also, nachdem er unsere Werke vorausgesehen. Er sagt endlich, daß er uns erwählet habe zum Preise des Ruhmes seiner Gnade, keinesweges also durch einen Act der Gerechtigkeit, der auf unsere Werke gegründet gewesen wäre, sondern rein bewogen durch seine Barmherzigkeit, und daß man’s also lediglich seiner Gnade zuzuschreiben habe.

Von der Erwählung gehen wir zur Berufung über, durch welche Gott uns zu sich ruft, in die Gemeinschaft seines Sohnes zieht, seiner Kirche einverleibt, uns mit seiner Erkenntniß erleuchtet, mit seiner Liebe erwärmt und mit seiner Furcht erfüllt. Auch hier wird es nicht minder klar einleuchten, daß wir aus Gnaden selig worden sind. Denn was sagen anders diese Worte, welche werth wären, daß man sie mit goldenen Buchstaben auf Marmor eingrübe: Gott hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu vor der Zeit der Welt. Hier muß man nun keineswegs sich einbilden, daß Gott darum die einen vor den Andern in seine Kirche und zu seinem Heile beruft, weil er in ihnen bessere Anlagen und Vorbereitungen für die Gnade erblickt, weil sie das Licht und die Kräfte ihrer Natur besser benutzen, weil sie ein moralisch reineres und lobenswertheres Leben führen, und daß Gott dadurch sich bewogen finde, ihnen übernatürliche Gnadenbezeugungen und die himmlischen und heilsamen Erleuchtungen des Glaubens mitzutheilen. Denn was für Anlagen finden sich in einem Todten, sich aus dem Grabe zu erheben, bei einem Blinden, die Farben, bei einem Tauben, die Töne zu unterscheiden; was für Anlagen bei einem Menschen, sich selber zu zeugen? Und solche Leute sind wir nach den Unterweisungen des göttlichen Wortes, todt in unseren Sünden und Missethaten, blind für die himmlischen Dinge, taub für das Wort Christi, und unsere Bekehrung wird häufig eine neue Geburt genannt. Und weil nun nach der Lehre des h. Paulus Alles, was man thut, ohne den Glauben Sünde ist, weil es ohne denselben unmöglich ist, Gott zu gefallen, muß man da nicht nothwendigerweise den Schluß ziehen, daß vor der himmlischen Berufung, durch welche wir den Glauben überkommen, nichts in uns ist als Sündliches, Verabscheuungswürdiges und Mißfälliges in den Augen des Herrn, nichts, was ihn verbinden oder geneigt machen könnte, uns wohlzuthun? Folglich ist es Gott, der uns nach seiner puren Gnade, ohne im Geringsten durch unsere Tugenden angezogen zu werden, zu seiner Erkenntniß und zur Theilnahme an seinen Wohlthaten beruft. Ich preise Dich, o Vater, sagt darum die Wahrheit selbst, daß Du solches den Weisen und Klugen verborgen hast, und hast es den Unmündigen offenbaret. Und was ist der Grund dieser verschiedenen Behandlungsweise? Vater, es ist also wohlgefällig gewesen vor Dir. – Die Gnade der Berufung findet uns demnach nicht als solche, die mit Anlagen ausgestattet wären, sie aufzunehmen; im Gegentheil, sie findet uns in einem völlig elenden Zustande, indem wir in unserem Verstande nur dicke Finsterniß haben, in unserem Willen eine beklagenswerthe Verkehrtheit, in unsern Begierden eine schreckliche Unordnung und in allen Kräften unserer Seele nichts als Verderbtheit und eine abscheuliche Entstelltheit. Darum sagt der Prophet Ezechiel, indem er uns in bildlichen Ausdrücken Gott vorstellt, wie er mit seiner Kirche den Bund schließt, daß, als er zuerst an ihr vorüberging, sie wie ein Kind war, daniedergeworfen auf ein Feld, besudelt von seinem Blut, versunken in Schmutz, in einer scheußlichen Nacktheit daliegend, ein Gräuel in den Augen eines Jeden; indem er uns dadurch bedeuten will, daß, wenn Gott uns seiner Liebe, dieß keinesweges darum geschieht, weil er irgend eine Vortrefflichkeit an unsern Personen wahrnimmt. Auch sieht man bei den herrlichen Berufungen, von welchen die H. Schrift redet, daß es Gott gefiel, die Menschen anzunehmen und zu berufen, als sie sich in dem jämmerlichsten Zustande befanden, in welchem sie sich nur befinden konnten. Was war zum Exempel Abraham, als Gott ihn berief, der Vater aller Gläubigen, der Stammvater der ganzen Kirche, ja die Wurzel an dem Baume des Lebens zu werden? Antwort: Er war ein Götzendiener, hinuntergetaucht in die Gräuel seiner Väter und in den verbrecherischen Cultus seines Vaterlandes Ur in Chaldäa, welches höchstwahrscheinlich seinen Namen daher hat, weil die Chaldäer daselbst das Feuer anbeteten, und weil sie diesem Element, dessen Anbeter sie immer waren, mit den größten Feierlichkeiten ihre Huldigungen darbrachten: denn das Wort Ur bezeichnet im Hebräischen Feuer, so daß also Gott mitten aus dem Schooße des Götzendienstes, aus dem übelberüchtigten Schauplatz des Irrthums, ja mitten aus den unreinen Flammen des Aberglaubens diesen Patriarchen in seinen Bund berief. Was war Matthäus für ein Mann, als Jesus Christus das Wort an ihn richtete und ihm seine Gnade entgegenbot? Er war ein Zöllner, ein elender Erpresser, ein öffentlicher Diener der Unterdrückung und der Tyranney, er war grade damals mit der Verwaltung dieses gehässigen Gewerbes beschäftigt, war an seine Zöllnerbank gefesselt und saß an dem ungerechten Zähltisch, brennend beschäftigt mit seinen Erpressungen, als Jesus ihn mit jenem wunderbaren Blicke begnadete, der in einem Moment die Heiligkeit in die Herzen trägt. So berief er ihn vom Zöllner- zum Apostelamt, und machte mit einem Male aus einem großen Sünder einen großen Heiligen. – Wer war Maria Magdalena, als der Herr sie bekehrte? Sie war von sieben Teufeln besessen, sie war ein schauerlicher Aufenthalt unreiner Geister. – Wer war der h. Paulus, als der Sohn Gottes ihn vom Himmel berief? Er war ein brüllender Löwe, ein wüthender Eber, ein Tiger, durstig nach dem Blute der Gläubigen, Mord und Zerfleischung athmend. Er war auf dem Zuge, Alles zu verderben; er eilte zum Mord, das Herz voller Wuth, den Mund voll Lästerung, in den Händen Schwerter und Banden; und gerade in diesem merkwürdigen Moment war es, als Christus ihn seinen Ruf erfahren ließ, und ihn dahinnahm, daß er ihm ein auserwähltes Rüstzeug und der herrlichste Herold seiner Gnade sein möchte. Wer waren die Epheser, von den Paulus redet in jener Hauptstelle? Sie waren in der ganzen Welt berüchtigt durch ihre Zauberei, sie waren die größten Götzendiener der Erde; es waren Leute, welche aus allen Kräften schrieen: Groß ist die Diana der Epheser! Was konnte nun Gott wohl bewegen, sie zum Christenthum zu berufen, sie zu Miterben seines Sohnes zu machen? Was anders als diese Barmherzigkeit, diese freie Gnade, welche der Apostel ihnen vor die Seele hält in jenen Worten: Aus Gnaden seid ihr selig worden.

Und hier ist es, wo man sich wohl hüten mag, der Gnade Unrecht zu thun, und ihr nichts von ihrer Ehre und ihrem Lobe zu nehmen. Denn das hieße ihr Unrecht thun und ihr eine tödtliche Wunde beibringen, wenn wir derselben unser Heil nur etwa zur Hälfte zuschreiben und ihr wohl den Beginn unserer Berufung zugestehen wollten, ohne ihr den weitern Erfolg, die Erhaltung der geistlichen Gesundheit, ohne ihr die Handlungen oder jene Kraft zuzuschreiben, die uns fähig macht, zu glauben und wohl zu leben. Nein, das ist das rechte Verständniß der Gnade nicht. Nicht bloß einen Theil unserer Heiligung und Berufung haben wir ihr zuzuschreiben, sondern wir müssen ihr durchaus das Ganze zuschreiben, und zwar ohne Rückhalt. Anfang, Fortgang, Entwickelung, Ende, die Fertigkeit, die Handlungen selbst, die Kraft dazu, die Ausübung und Wirkung – Alles haben wir ihr in gleicher Weise zuzuschreiben. Betreten wir den Weg des Heils, so ist es die Gnade, welche uns darauf führt; wandeln wir darauf, die Gnade ist es, welche uns geleitet; laufen wir, so treibt die Gnade uns voran; beharren wir darauf, die Gnade gibt uns die Kraft dazu; erreichen wir das Ziel, die Gnade führt uns ihm entgegen, so daß also von dem ersten bis zum letzten Schritt die Gnade uns leitet und zum Guten treibt. Denn von uns selbst, sagt St. Paulus sind wir nicht einmal tüchtig, etwas zu denken (2 Cor. 3,5.). Wenn wir also etwas Lobenswerthes denken, reden und thun, so haben wir dieß nothwendigerweise nicht von uns selbst, sondern durch den Beistand, durch die Wirkung der Gnade. – Nicht als ob man deßhalb den freien Willen in den Werken der Liebe verkennen müßte; denn derselbe ist von dem Menschen unzertrennlich, und es hieße seine Natur zerstören und sein Wesen vernichten, wenn man ihm dieses schöne, mit seiner Seele unzertrennlich verknüpfte Vorrecht absprechen wollte. Aber dieser freie Wille vermag nichts in übernatürlichen Dingen ohne die Wirkung des Geistes Gottes, von welchem er alle seine Kräfte erhält und alle seine Regungen empfängt. Darum ruft der berühmte Bernhardus, den man unter die Zahl der Heiligen gerechnet, eben so wahr als schön aus: Was thut der freie Wille? ich antworte kurz: er wird geheilt! Nimm die Gnade weg, und es findet sich nichts, das ihn heile; nimm den freien Willen weg, und es wird sich nichts finden, das gerettet würde. – Er will zeigen, daß in dem Werke unseres Heils diese beiden Dinge: die Sünde und der freie Wille sich begegnen; aber jene als ein actives (thätiges) Prinzip, welches das Gute hervorbringt, dieser als ein passives (leidendes) Prinzip, welches seine Wirkung erfährt. Nicht als ob unser Wille nicht auch seinestheils in den guten Werken thätig wäre, denn er wirkt mit Gott zusammen; aber er handelt nur durch die Kraft, durch den Eindruck und Einfluß der Gnade. Wenn wir Almosen geben, so ist es die Gnade, welche uns die Hand öffnet und entfesselt; wenn wir auf eine würdige Weise das Lob des Herrn singen, so ist es die Gnade, welche uns die Zunge löset und unsere Stimme belebt, wenn wir unsere Gebrechen bereuen und bitterlich unsere Sünden beweinen, so ist es die Gnade, welche uns das Herz zerbricht; sie ist es, welche uns die Zerknirschung gibt und die Thränen aus unseren Augen hervorruft. Mit einem Wort, was wir nur Gutes und Tugendsames verrichten mögen, wir müssen mit dem h. Paulus sagen: ich bin es nicht, sondern Gottes Gnade, die in mir ist. (1 Cor. 15,10.) Denn ich bitte euch, meine herzlich geliebten Brüder, wenn die Gnade sich damit begnügte, uns in den Stand zu setzen, gut leben zu können, und überließe in der Folge das Uebrige unserem Willen zu thun, wie könnte dann der Apostel sagen: Wer ist es, der dich vorgezogen? wer ist es, der einen Unterschied gemacht hat zwischen dir und einem andern? (1 Cor. 4,7.) Könnte darauf nicht ein Gläubiger antworten: Ich selbst habe mich abgesondert, ich bin es, ich habe mich durch meine Tüchtigkeit, durch meine guten Neigungen von den lasterhaften Leuten losgetrennt. Es ist nicht die Gnade Gottes, welche mich in diesen heiligen Zustand versetzt hat, in welchem ich mich befinde: denn diese Gnade ist eine allgemeine, eine allen gemeinsame, jeder besitzt sie in hinreichendem Maaße, sie thut nichts weiter, als daß sie die Menschen in den Zustand der Indifferenz setzt, in ein Verhältniß des Gleichgewichtes zwischen gut und böse. Ich aber habe mich durch die Anwendung, welche ich von meinem freien Willen gemacht habe zur Liebe, aus der Zahl der Unheiligen und Bösen herausgezogen. – So hätte man denn nicht mehr vonnöthen, auszurufen: Was hast du, o Mensch, das du nicht empfangen hast, und wenn du es empfangen hast, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen? Denn darauf könnte ja ein Christ sehr wohl erwiedern: „ich habe hundert Dinge, die ich nicht von oben empfangen, sondern kraft meiner Freiheit erlangt habe. Ich habe Liebe geübt gegen die Armen, ich habe Gebete gesprochen mit Inbrunst, ich habe Leiden ertragen mit Geduld und Muth, ich habe meinen Leib betäubt, gefastet und Enthaltsamkeiten geübt, wodurch ich mein Fleisch gekreuzigt und meine Begierden gedämpft habe; ich besitze mit einem Wort verschiedene Tugenden, deren ich mich auf eine rechtmäßige Weise rühmen kann, weil ich, wenn ich gewollt hätte, dieselben nicht ausgeübt haben würde; weil der Trieb, sie zu lieben und die Regung, welche meinen Willen bestimmte, ihnen nachzustreben, von meinem freien Willen herrührte, nicht aber von der Gnade. Auf solche Weise kann ich sie betrachten als meine Werke und mich derselben rühmen als eines Erzeugnisses meines Geistes.“ – Doch nun genug, genug der Reden und Gedanken, welche die Ehre unseres Heils zwischen den Kräften der Menschen und der Gnade Gottes theilen wollen. Das ist jene falsche Mutter, die ihr Kind von einander hauen wollte. Die wahre Mutter erbat es sich ganz. Auch unsere Natur, die nichts ist als eine falsche Mutter, thut Alles was sie kann, um sich wenigstens einen Theil des neuen Menschen zuzueignen, dieses glückseligen Kindes, welches die Wiedergeburt in den Gläubigen bildet. Aber die Gnade will es haben ohne Theilung und Trennung und der große und himmlische Salomo urtheilt zu ihren Gunsten. Er erklärt, daß niemand ein Recht hat, dieses geistliche Kind in Anspruch zu nehmen, weil die Gnade es ist, die ihm die Geburt giebt und die es ganz allein in uns hervorruft. Darum geht auch Augustinus, den man wohl den zweiten Botschafter der Gnade nennen kann, weil nach dem heil. Paulus niemand sie besser verkündigt hat denn er, in seinen Unterweisungen beständig darauf aus, darzuthun, daß die Gnade ebensowohl eine zuvorkommende ist, welche den guten Werken vorangeht, als eine vorbereitende, welche uns dazu fähig macht; er stellt sie ferner dar als eine wirkende, welche die Handlungen in derselben Zeit hervorbringt, da unser Wille sie empfängt und ausführt; als eine nachfolgende, welche uns darin bestärkt und uns das Beharren giebt, auf daß wir erkennen, daß das ganze Wunderwerk unserer Rettung, unsers Heils und unserer Heiligung von Gott kommt und daß wir für alles Einzelne der Gnade zum tiefsten Danke verpflichtet sind. –

Dieß gebührt uns eben so offenbar in dem Werke der Rechtfertigung. Und dieß ist abermals eine Wahrheit, welche ganz deutlich in jenen Worten ausgesprochen liegt, daß wir aus Gnaden selig worden sind. Denn an einer andern Stelle sagt unser Apostel: Wir werden umsonst gerechtfertiget durch die Gnade Gottes (Röm. 3,23). In der That es ist unmöglich, daß wir es durch die Werke werden: denn die ganze heilige Schrift bezeugt uns: daß es keinen Menschen auf Erden giebt, der nicht sündige, daß wir alle mannichfaltiglich fehlen, so daß, wenn jemand sagen wolle, er habe nicht gesündiget, er Gott zum Lügner mache, sich selbst verführe und die Wahrheit nicht in ihm sei; und der h. Jacobus unterweiset uns ausdrücklich, daß derjenige, welcher nur in einem Punkte das Gesetz breche, des ganzen Gesetzes schuldig sei. Da also kein Mensch auf Erden ist, der nicht wenigstens einige Fehler begeht, so giebt es keinen, der nach der Richtschnur des Gesetzes vor Gott für unschuldig gelten und in seinem Gerichte Absolution erlangen könnte. So protestirt ein Mann, der der gerechteste war unter allen seinen Zeitgenossen. Wie mag ein sterblicher Mensch, spricht Hiob (9,2.3.), rechtfertig bestehen vor dem starken Gott? Will er rechten mit ihm, so kann er auf Tausend nicht Eins antworten. Das ist die Erklärung des Heiligsten unter den Königen: Gehe nicht ins Gericht mit Deinem Knecht, spricht David, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht. Das ist allenthalben die Erklärung des größten aller Lehrer. Denn nachdem der h. Paulus eine lange Zeit hindurch diese Materie betrachtet und sie auf das ausführlichste und bündigste erklärt hat, macht er endlich mit diesen so merkwürdigen Worten den Beschluß: So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Allenthalben schließt dieser bewunderungswürdige Lehrer der Gnade von der Rechtfertigung alle Arten von Werken ohne Ausnahme, wie sie auch heißen mögen, rein aus. Den wird man etwa sagen wollen, daß er nur die Werke des Ceremonialgesetzes verwerfe, deren Gerechtigkeit eine typische, eine vorbildliche und darum unfähig war, uns vor Gott zu halten? – Aber er erklärt ja ausdrücklich, daß das Gesetz, von welchem er redet, dasjenige sei, welches verbietet zu stehlen, zu ehebrechen und den Götzen zu dienen; und das sind doch, wie jeder weiß, Gebote, die dem Sittengesetz angehören. Oder will man sagen, daß er nur diejenigen Werke verdamme, welche in dem Stande der Natur und durch die bloßen Kräfte des freien Willens geschehen, wie die Tugenden der Heiden, nicht aber diejenigen, welche im Stande der Gnade gethan werden, wie z.B. die der Gerechten? – Aber auch darüber entdeckt er uns eben so klar seine Meinung, wenn er das Beispiel Abrahams und Davids anführt, welche keinesweges durch die Werke gerecht geworden seien. Denn befanden sich Abraham und David nicht im Stande der Gnade, gehörten sie nicht zu der Zahl der Heiligen? War nicht der Eine der Vater aller Gläubigen und der Andere der Mann nach dem Herzen Gottes? und dennoch sind die Werke dieser beiden ausgezeichneten Patriarchen keinesweges die Ursache ihrer Rechtfertigung gewesen nach der Bemerkung des h. Paulus. Da also der Mensch durch seine Werke nicht gerechtfertiget werden kann, so bleibt ihm nur ein Weg offen, das ist die Gnade seines Gottes, die Barmherzigkeit seines Richters, es ist die Huld seines Herrn. Wir werden also in der That gerechtfertiget durch Gnade, durch Barmherzigkeit, durch die Güte und Liebe des himmlischen Vaters, der, während er in uns keine Gerechtigkeit findet, in seinem Mitleid den Beweggrund unserer Rechtfertigung findet und uns durch einen Act der Nachsicht losspricht wie ein Fürst, der einem Verbrecher Gnade erweiset. Daher läßt dann auch die h. Schrift die Rechtfertigung in der Vergebung der Sünden bestehen; wie es der Apostel durch diese Worte des Psalmisten beweist: Wohl dem, dem die Uebertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist. Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missethat nicht zurechnet Ps. 32,1.2.). Er sagt nicht: Glückselig sind die, welche eine vollendete Heiligkeit, eine fleckenlose Reinheit besitzen, von denen die Augen des Allerheiligsten nicht hinwegblicken können: denn auch solche Glückselige giebt es nicht; es ist eine eingebildete, ideelle Glückseligkeit, die man in der Wirklichkeit hier auf Erden nicht antrifft. Das wahre Glück des Menschen besteht in der Vergebung seiner Sünden und in der Gnade seines Gottes. Hier war es, wo jener große Prophet seine Rechtfertigung suchte, wenn er ausrief: O Ewiger, wenn Du auf unsere Ungerechtigkeit achtest, wer mag bestehen? Aber es ist Vergebung bei Dir. O mein Gott, spricht er, ich finde nichts in mir selbst, wodurch ich mich in Deiner Gegenwart rechtfertigen könnte. Wenn ich mich anschaue, so erblicke ich in mir nur Stoff zur Verzweiflung, das Blut des Urias, die Schändung der Bathseba, die Zählung meines Volkes, und tausend andere schwarze und schreckliche Sünden stellen sich meinen Augen dar; mein Gewissen klagt mich an, das Gesetz verdammt mich, jeder Tag meines Lebens wirft mir Verirrungen vor, ich schaudere vor dem Gedanken an die Zahl und Größe meiner Sünden – voll Scham vor mir selbst wende ich mich zu Dir, o mein Gott, um anzuflehen Deine Barmherzigkeit, und um das von Deiner Gnade zu erlangen, was ich von meiner Gerechtigkeit nicht hoffen kann. Auf dieselbe Weise redet uns der apostolische Verfasser des Briefes an die Hebräer an, indem er ausruft: Lasset uns hinzugehen zum Gnadenthron, damit wir Barmherzigkeit erlangen. Er will nicht, daß wir zum Thron der Gerechtigkeit gehen, denn da könnten wir nicht bestehen und würden nichts zurückbringen als ein verwirrtes Angesicht. Das ist ein Thron, viel fürchterlicher als der des Salomo, zu dessen Seiten zwölf Löwen standen, und wohl möchten wir hier auch schreien wie jene Unglücklichen in der Offenbarung: Ihr Berge fallet über uns und bedecket uns vor dem Angesichte dessen, der auf dem Throne sitzet. Der Barmherzigkeit müssen wir uns darstellen, nicht um von ihr die Erklärung unsrer Unschuld zu erlangen, sondern die Verzeihung unsrer Sünde. Der h. Bernhard erkannte die Sache also und in diesem Gefühle sprach er das schöne und wahre Wort: die Gerechtigkeit des Menschen ist die Vergebung Gottes. In dieser göttlichen Nachsicht und Vergebung, spricht der wahre Gläubige, will ich mein ganzes Verdienst suchen. Wenn ich vor Gott erscheinen werde, so will ich mich keineswegs berufen auf die Reinheit meiner Worte: denn ich bin unreiner Lippen, auch nicht auf die Heiligkeit meiner Gedanken: denn ich bin von Natur unbeschnittenen Herzens; eben so wenig auf die Unbescholtenheit meiner Handlungen, denn das Gute, das ich will, thue ich nicht; was mich aber vor dem Richterstuhle dieses allerhöchsten Richters trösten und sichern wird, das wird seine Barmherzigkeit und seine väterliche Güte sein. oder wenn ich eine Gerechtigkeit bedarf, um vor seinem Richterthrone zu bestehen, wo ich nothwendigerweise Rechenschaft geben muß von meinen Handlungen, so wird es nicht die meinige sein, welche ich zum Vorschein bringen werde, denn ach! - alle meine Gerechtigkeit ist wie ein besudeltes Kleid, sondern es wird die Gerechtigkeit meines Heilandes sein, welche allein in dem scharfen Gerichte des Ewigen die Probe hält und allein von Gewicht ist auf der Waage seines Heiligthums, um ihr zu meinen Gunsten das Uebergewicht auf der Seite des Lebens und des Heils zu geben; eine Gerechtigkeit, welche weit entfernt der Gnade entgegengesetzt zu sein, vielmehr die erste und höchste Bedingung aller Gnade ist. Denn die Gnade bietet uns dieselbe entgegen, die Gnade schenkt sie uns, die Gnade verschafft sie uns auf allerlei Weise, und wir sind dafür ganz allein der Gnade dessen verbunden, der seinen Sohn für uns zur Sünde gemacht hat, auf daß wir in ihm würden die Gerechtigkeit Gottes. – Diese bewunderungswürdige Gerechtigkeit war es, welche Paulus selbst, der heilige Paulus, dieses auserwählte Rüstzeug, dieser große Wiedergeborene zu seiner Rechtfertigung wünschte, wenn er den sehnsüchtigen Wunsch aussprach: erfunden zu werden als ein solcher, der da habe seine Gerechtigkeit nicht aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt. (Phil. 3,9.).

Steigen wir denn endlich zu der letzten Staffel des Heils hinauf – zur Verherrlichung. – Hier werden wir die Gnade in ihrer ganzen Herrlichkeit strahlen sehen und der unschätzbar Werth derselben wird uns ohne Zweifel dringen, anzuerkennen, daß wir aus Gnaden selig worden sind. Denn wenn man die unaussprechliche Größe und unendliche Herrlichkeit der Gnade und des ewigen Lebens wohl erwägt, so wird man wohl eingestehen müssen, daß dieß nicht ein verdienter Lohn ist, daß wir es nicht erhalten als eine Sache, die wir erworben haben, sondern als eine pure Gnade, und daß Gott uns dasselbe giebt, nicht, weil er es schuldig ist, sondern aus Liebe; es ist eher eine Verschwendung seiner Freigebigkeit, als eine Belohnung seiner Gerechtigkeit. Auch der glückselige Apostel Paulus versichert uns, daß es eine Gabe und noch dazu eine ganz freiwillige Gnadengabe sei. Denn was bedeutet das Wort, welches sich in der merkwürdigen Stelle: der Tod ist der Sünde Sold, aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben. Warum ändert er hier die Ausdrücke, hier, wo er doch einen Gegensatz aufstellt, wo also die Worte genau sein, und sich bestimmt und deutlich einander entsprechen müssen? Darum, weil er uns den Gedanken eindrücklich machen will, daß bei Sündern wohl von einem Solde die Rede sein kann, daß aber bei den Gerechten das Leben nur eine Gabe, eine Gnadengabe ist. Und in der That, wie sollten doch unsere Werke uns das ewige Leben verdienen können? Wenn von Verdienst die Rede sein sollte, so wäre es doch nothwendig, daß unsere Werke von uns selbst, von unseren eignen Kräften herrührten, da es ja augenscheinlich am Tage liegt, daß wenn sie anderwärts ihren Ursprung haben, der, welcher sie in uns vollbringt, uns nicht verpflichtet ist, sondern im Gegentheil, wir sind ihm zum danke verbunden. Und kommen denn nicht alle unsere Werke von Gott? Sind sie nicht Wirkungen seines Geistes und Erzeugnisse seiner Gnade? Er ist es ja, der in uns mit Kraft das Wollen und Vollbringen schafft nach seinem Wohlgefallen, und es kann sogar niemand Jesum einen Herrn heißen ohne den heil. Geist. Wenn von Verdient die Rede sein sollte, so müßten unsere Werke vollkommen und unsere Personen fehlerlos sein. Denn wo Unvollkommenheit und Sünde ist, da ist man der Vergebung bedürftig; Vergebung aber und Verdienst sind gänzlich unvereinbare Dinge. Es ist folglich den Menschen unmöglich, etwas zu verdienen; denn wer könnte wohl sagen: ich habe mein Herz gereiniget und bin frei von Sünden? Wo ist die Seele auf Erden, die so geheiliget wäre, daß ihr der Herr nicht den Vorwurf machen könnte, den er an den Engel der Gemeinde von Asien richtet: ich habe etwas wider dich!? – Wenn von Verdienst die Rede sein sollte, so müßte doch einigermaßen ein Verhältniß statt finden zwischen unseren Werken und der Herrlichkeit und diese beiden Dinge müßten doch von einem ohngefähr gleichen Werthe sein: denn das müßte doch ein unvernünftiger Mensch sein, der, wenn er seinem Fürsten eine Hand voll Gras oder ein Glas Wasser darreichte, behaupten wollte, er habe damit seinen Thron und sein Diadem verdient. Und wie groß und offenbar ist nicht die Ungleichheit zwischen unseren Werken und dem ewigen Leben? Die einen sind endlich und das andere unendlich; die einen sind vorübergehend und dauern nur einen Augenblick, das andere ist ewig und dauernd durch alle Aeonen hindurch; die einen sind unvollkommen und mangelhaft und das Andere ist die Vollkommenheit selbst. – Ohne Zweifel ist das Martyrerthum unter allen guten Werken das herrlichste und bewunderungswürdigste für die Menschen wie für die Engel. Das ist ja die Krone der Heiligkeit, es ist die letzte Anstrengung der höchsten Tugend, es ist das schwerste und kostbarste Opfer der Gläubigen. Indessen auch das Martyrerthum steht nicht im Verhältniß zu der unfaßbaren Herrlichkeit der himmlischen Glückseligkeit, weil ja der Apostel, nachdem er die Waage zur Hand genommen, um diese dinge gegen einander abzuwägen, findet, daß wohlerwogen die Leiden dieser Zeit nicht von gerne abgewogen werden können gegen die Zukünftige Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbaret werden (Röm. 8,18.) – Ferner, um zu verdienen, dürften wir auch nicht zu den guten Werken verpflichtet sein, welche wir vollbringen: denn das Verpflichtetsein hebt das Verdienst auf: ein Mensch verdient gar nichts von seinem Gläubiger, wenn er ihm bezahlt, was er ihm schuldig ist; ja wenn derselbe ihn vor Gericht belangte, um sich bezahlt zu machen, so würde der Schuldner zuverlässig keinen guten Empfang zu erwarten haben. Und sind wir denn Gott nicht unsere Personen, unser Wesen, unser Leben, unsere Gedanken, Worte und Werke schuldig? Mit einem unwiderleglichen Grunde schlägt der ewige Sohn Gottes alles Verdienst danieder und stürzt es von Grund aus über den Haufen in diesen Worten des Evangeliums: Wenn ihr Alles gethan habt, was ihr zu thun schuldig seid, so sprechet: wir sind unnütze Knechte, – warum? - weil ihr nur gethan habt, was ihr zu thun schuldig seid. (Luc. 17, V. 10.)

Lasset es uns denn nun eingestehen, lasset es uns anerkennen in jeder Beziehung, daß wir selig worden sind aus Gnaden. Unser Heil ist so vollständig das Werk der Gnade, daß man es, von welchem Standpunkt man es betrachten, von welcher Seite man es anschauen mag, nimmermehr aus einer andern Quelle ableiten kann. So sagt auch herrlich jener Kirchenvater, dessen Worte wir durchweg als gewichtige Belege über diesen Gegenstand angeführt haben: Die Gnade ist auf keine andre Weise Gnade, als wenn sie in jeder Beziehung eine freie (gratuita) ist. Hinweggeschleudert werde der Wahn von der Würdigkeit unserer Werke; verbannt sei aus unserm Glauben und aus unserm Geiste der Gedanke an Verdienst, oder wenn wir‘s festhalten wollen, so geschehe es einzig und allein in dem Sinne des frommen und geistreichen Abtes von Clairvaux, den ich mit Absicht über diesen Gegenstand reden lasse, weil sein Zeugniß nicht im mindesten verdächtig sein kann. “Mein Verdienst,“ spricht er, “ist die Barmherzigkeit des Herrn; ich bin nicht gänzlich von Verdienst entblößt; soll ich nicht, so lange Er es nicht ist von Barmherzigkeit, meine Gerechtigkeit preisen? Herr, ich will die Deinige erzählen und ich will ewig Deiner Barmherzigkeit lobsingen.“ Siehe, das ist das einzige unbescholtene und rechtgläubige Verdienst. Lasset uns nimmermehr ein anderes anerkennen, lasset uns nimmer einen Anspruch machen auf den Himmel, als wenn er uns wie eine Eroberung kraft unserer Anstrengungen gebühre. Nimmer dürfen wir hoffen, durch unsere Kräfte hineinzusteigen, und wenn wir auch Berge auf Berge thürmen und Werke auf Werke häufen. Das wäre eine Giganten-Unternehmung, welche Gott sonder Zweifel mit seinem Blitz treffen müßte. – Erinnern wir uns wohl daran, daß Esau, als er auf die Jagd lief, Wildpret zu fangen, den väterlichen Segen einbüßte, daß aber Jacob, während er bei seiner Mutter blieb, sich in seines älteren Bruders Kleider hüllete und sich nur von einem Zicklein aus der Heerde nährete, diesen so kostbaren und ersehnten Segen empfing. Das deutet darauf hin, daß diejenigen, welche ihr glück durch die Werke erjagen wollen und nach der Gerechtigkeit des Gesetzes rennen, ganz ohne Zweifel verlieren, was sie zu finden meinen. Diejenigen aber, welche sich festhalten und anschmiegen an die Gnade, diese gütige Mutter, deren Zärtlichkeiten unendlich sind; die sich kleiden in die lieblich duftenden Gewänder ihres älteren Bruders, Jesu Christi unseres Herrn, dessen Gerechtigkeit unsere Sünden bedeckt; die da vor Gott bringen als eine angenehme Speise dieses Lamm seiner Heerde, dieses Lamm, sonder Makel und Flecken, welches die Sünden der Welt trägt, - sie sind es, welche ganz zuverlässig den Segen des himmlischen Vaters davon tragen. – Oder, um mich eines andern Beispiels von demselben Jacob zu bedienen, so wissen wir ja, daß er mit dem Ewigen rang und in diesem Kampfe Sieger blieb. (Hos. 12,5.). Aber wißt ihr auch, wie er diesen allmächtigen Gegner besiegte? Er weinte, sagt der Prophet Hoseas, und flehete um Gnade; seine Waffen waren bloß Thränen; seine Kraft: das aufrichtige Bekenntniß seiner Schwachheit. So müssen wir kämpfen mit Gott, wenn wir den Sieg in seinem Gerichte davon tragen wollen. Nicht dadurch soll es geschehen, daß wir stolz unsere Unschuld behaupten, sondern daß wir unsere Sünden beweinen; nicht dadurch, daß wir Recht behalten wollen vor seiner Gerechtigkeit, sondern dadurch, daß wir um Gnade bitten und ihn demüthig anflehen, daß er barmherzig mit uns handeln wolle. Lasset uns das Heil in Wahrheit anschauen als eine Gnade, laßt uns in die Fußstapfen jener vierundzwanzig Aeltesten in der Offenbarung treten, durch welche der heilige Geist uns den ganzen Körper der Kirche des Alten wie des Neuen Testamentes vor Augen stellt; sie werden ihre Kronen vor den Thron Gottes nieder und erkennen es an, daß sie dieselben ganz allein von seiner Freigebigkeit empfangen. niemals wollen wir an die versprochene und im Himmel aufbehaltene Seligkeit gedenken, ohne zugleich in unserm Herzen mit David zu sprechen: Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gebühret alle Ehre um Deiner Gnade und Wahrheit willen. (Ps. 65,1.) Du könntest uns verderben, und machst uns selig; Du könntest uns mit Deinem Blitz zu Boden schlagen, und krönest uns; Du könntest uns in den Abgrund der Hölle werfen, und erhebst uns in Dein Paradies. So ist es denn Deine Barmherzigkeit, o Herr, daß wir nicht gar aus sind. Und wir wüßten ja keinen andern Grund anzuführen, als allein Deine Gnade.

In unserem Herrn Jesus Christus geliebte Brüder! O, welche Gedanken und Empfindungen muß nicht diese herrliche Lehre in uns hervorrufen! Wahrlich, sie ist so fruchtbar, sie ist so überschwänglich reich an Unterweisungen, daß man sie wohl mit jenen Springbrunnen vergleichen mag, welche ihr Wasser durch verschiedene Röhren emportreiben, das nach der Zahl der verschiedenen Ableiter herauszuströmen suchte. Denn auch die Gnade ist ein ins ewige Leben quillende Wasser, welche sich auf verschiedene Weise von allen Seiten her ausbreitet. Wir müssen jetzt noch ein wenig bei dieser göttlichen Quelle verweilen, um vollends unser Gefäß daraus zu füllen, und um einige der hauptsächlichsten Lehren daraus zu schöpfen, welche sie uns darbietet, theils für die Belehrung und Unterweisung unseres Geistes, theils zum Trost für unser Gewissen, theils zur Heiligung unserer Seelen.

Zuerst mögen wir hier wohl vor allen Dingen den Vorzug unserer Religion ins Auge fassen, und ein Urtheil fällen, welche von beiden Lehren die beste und sicherste ist, ob die eine, welche dem Menschen die Ehre seiner Rettung zuschreibt, oder die andere, welche sie allein Gott anheimgibt. Denn welches muß das Endziel einer guten und wahren Religion sein? – Ohne Zweifel die Verherrlichung Gottes. Und wie können wir ihn besser verherrlichen, als wenn wir unser ganzes Heil seiner Gnade zuschreiben? Man wird doch immer eingestehen müssen, daß dieser Glaube von einem guten Grundsatz, von einer heiligen Demuth, von einer frommen Ehrfurcht vor Gott, von einem lobenswerthen Begehren herzuleiten ist, Ihn zu verherrlichen und seine Güte zu rühmen. Ich will den Fall stellen, wir täuschten uns in diesem Gedanken; ich will annehmen, es wäre ein Irrthum, dem Ewigen eine Ehre zu geben, die ihm nicht gebührte. Nun, dieser Irrthum wäre doch in der That unschuldig und heilig, unmöglich könnte er den Augen dessen mißfällig sein, der den Demüthigen seine Gnade schenkt. Mein Verbrechen wäre, daß ich meinem Gott zu viel gäbe, zu viel seiner Gnade zuschriebe, indem ich ihn als den Urheber alles Guten in mir anerkennte. Nun, das ist ein glückseliger Fehler, den ich niemals bereuen werde, und ich fürchte auch nicht, jemals darüber gestraft zu werden. Weit lieber will ich mich also in Demuth erniedrigen, als mich stolz erheben. Es ist mir weit sicherer, meiner eigenen Ehre zu entsagen, deren Verachtung offenbar unschuldig ist, als die Ehre Gottes anzutasten, wo der geringste Eingriff unendlich strafwürdig ist. Wenn ich vom Himmel gerufen wäre, wie der h. Paulus, durch einen außerordentlich glänzenden Ruf, wenn ich Apostel wäre, wie er es war, ja wenn ich auch durch ein unvergleichliches Vorrecht in das Paradies entzückt wäre, so wollte ich mich doch lieber mit ihm für den vornehmsten unter allen Sündern achten und anerkennen, daß die Barmherzigkeit Gottes mich gemacht hätte, als mich mit jenem Pharisäer rühmen, daß ich nicht sei wie die andern Leute und irgend eine besondere Eigenschaft zu besitzen, welche Gott verpflichten sollte, mich den andern vorzuziehen. Segnen wir denn, lieben Brüder, segnen wir unsere Religion auch in dieser Hinsicht, welche uns eine so heilige und heilsame Gesinnung einflößt. Erkennen wir an, daß sie nur von Gott kommen kann, weil sie sich ganz auf Gott bezieht und nur auf die Verherrlichung seiner Ehre abzielt. Gestehen wir ein, daß sie ein Werk der Gnade ist, weil sie nur Gnade predigt, Gnade athmet, und weil sie, indem sie der Natur jeden Anlaß zur Selbsterhebung raubt, uns in eine heilige Niedrigkeit versetzt, welche dem, der den Hoffährtigen widersteht, nur wohlgefällig sein kann.

Es muß also diese Lehre von der Gnade uns in die Demuth treiben, sie muß uns jede Meinung von uns selber nehmen, sie muß uns von Herzen glauben und mit dem Munde bekennen lehren, daß die Ursache alles dessen, was wir sind, und alles dessen, was wir besitzen, die Gnade des Herrn ist. Wenn wir gerecht, wenn wir gläubig sind, wenn wir eine lautere Religion bekennen, wenn wir ein heiliges und rechtschaffenes Leben führen, wenn wir irgend Vorzüge besitzen, die uns eine wichtige Stellung geben auf Erden, und die uns dem Himmel werth machen, so laßt uns nicht so blind und undankbar sein, daß wir uns den Ruhm davon selber beimessen. Lasset uns nicht in unsere Stricke fallen und in unseren eignen Netzen ein Opfer werden. Alles ist von Gott und von dem Vater der Lichter kommt alle gute und vollkommene Gabe herab. Alle unsere Talente haben wir aus seinen Schatzkammern, es sind Geschenke seiner Hand und nicht Zinsen unserer Capitalien. Denn in uns selbst ist von Natur nichts als Böses,in unserem Fleische wohnet nichts Gutes (Röm. 7,18.), und wohl mag man von unserm Fleische mit Nachdruck bejahen, was Nathanael von Nazareth nur zweifelnd aussprach: Was kann daher Gutes kommen? (Joh. 1,46.) Die Tugenden sind keineswegs Pflanzen, welche von selbst auf unserm Herzensacker wachsen; auch ist unser Sorgen und Arbeiten nicht im Stande, sie keinem zu machen. Der Aufgang aus der Höhe hat sie ins Leben gerufen, der himmlische Vater selbst ist es, der sie mit seiner Hand in uns pflanzt, der sie bethaut mit seiner Gnade und ihnen das Wachsthum gibt durch seinen Geist. Wie David, nachdem er den Goliath besiegt, das Schwert dieses Riesen in das Haus des Herrn niederlegte, um Ihm die Huldigung für seinen Sieg darzubringen, und um es laut zu bezeugen, daß er die Erlangung desselben nicht seinem Muth, seiner Kraft, seiner Geschicklichkeit, sondern allein dem Beistande des Gottes der Heerscharen zuschreibe, eben so sollen auch wir Ihm die Ehre darbringen von allem, was uns glücklich geräth und ihm den gerechten Tribut entrichten durch demüthige Dankbarkeit. Unsere ganze Tüchtigkeit kommt von Ihm, und wir ziehen sie nicht aus unserer Natur, wie die Spinne ihr Netz ziehet aus ihren eigenen Eingeweiden, sondern von seiner Gnade, wie die Biene ihren Honig zieht aus dem süßen Manna des Himmels, welches auf die Blumen herabrieselt. Wir müssen sie ganz allein auf diesen bewunderungswürdigen Urheber zurückführen, ihm müssen wir jede empfehlenswerthe Eigenschaft, die wir besitzen, und jede gute Handlung, die wir verrichten, zuschreiben – und alles das ist nicht aus uns, sondern Gottes Gabe ist es. (Ephes. 2,8.) Seid ihr also darniedergebeugt in eine heilige Niedrigkeit durch die Betrachtung der Gnade? O erhebt euch nur alsbald, ihr Gläubigen, durch eine feste und christliche Zuversicht. Denn diese ist noch eine der hauptsächlichsten Wirkungen, welche die Gnade in euern Herzen hervorbringen muß. Freilich, hättet ihr es mit der Gerechtigkeit Gottes zu thun, solltet ihr nach der Strenge des Gesetzes gerichtet werden, wäre euer Heil von der Vortrefflichkeit und Würdigkeit eurer Werke abhängig, ach so müßtet ihr schaudern, müßtet euch abhärmen und in steter Ungewißheit, in lauter Zweifeln leben. Alsdann möchtet auch ihr wohl ausrufen wie Moses auf dem Sinai, als er den unerträglichen Glanz der Majestät Gottes erblickte und die Donner seiner fürchterlichen Gerechtigkeit rollen hörte: Ich zittre und bin ganz erschrocken! Aber ihr seid aus Gnaden selig worden, und folglich dürft ihr eure Besorgniß verbannen, ihr habt es mit einem barmherzigen und gütigen Gott zu thun, der nicht liebt den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe, der unsere Schwächen entschuldiget und unsere Unvollkommenheiten trägt, der uns umsonst unsere Missethaten vergibt, und der gleichwie ein Vater über seine Kinder über diejenigen sich erbarmet, die ihn fürchten. (Ps. 51,13.) Darum Muth, ihr armen Sünder, wenn euch eure Sünden den Schrei auspressen: Ich elender Mensch; die Barmherzigkeit Gottes soll euch schon alsbald in den angenehmen Triumphgesang einstimmen lehren: Wir danken Gott durch Jesum Christum unsern Herrn. Und sagt nur nicht, daß eure Sünden groß sind und ihre Anzahl euch in Schrecken setzt. Denn wie groß und zahlreich sie auch sein mögen, die Gnade, welche euch rettet, ist noch weit größer, denn sie. Sie ist unermeßlich, sie ist unendlich, und wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden. (Röm. 5,20.) Sie ist ein Abgrund, der grundlos ist; sie ist ein Ocean ohne Gestade, und gleichwie die Sündfluth die ganze Welt überschwemmte und ebensowohl die Gipfel des Caucasus und des Ararat, die Höhen der Alpen und Pyrenäen, als die niedrigeren Lande und die tiefsten Gegenden der Erde bedeckte, so ist auch die Gnade Gottes eine glückselige und heilvolle Fluth, welche die größten Sünden ebensowohl als die kleinsten verbirgt. Diese Gnade ist eine Stadt der Zuflucht, wo nicht nur die Fehler der Unachtsamkeit, sondern sogar die schrecklichsten Verbrechen geschirmt sind vor den Verfolgungen der göttlichen Rache, wenn man sich dahin in wahrer Reue zurückzieht. Es ist ein Tempel der Barmherzigkeit, wo auch selbst die Zöllner, d.i. die größten unter allen Sündern, kaum in dem Gefühle einer wahrhaftigen Zerknirschung an ihre Brust schlugen, als sie auch schon gerechtfertiget hinabgingen in ihr Haus. Der Thron dieser wunderbaren Gnade ist ein Thron, an dessen Stufen man Ablaßbriefe findet für alle Schuldigen, und die Unkeuschen, wie Lot, die Ehebrecher, wie David, die Verfolger, wie Saul, die Liederlichen, wie jene Sünderin im Evangelio, gehen sie nur in ernstlicher Buße dahin, werden mit offenen Armen aufgenommen und erhalten die Lossprechung, deren sie bedürfen. In dieser Gnade kann ich mich also meines Gottes versichert halten, wie groß auch die Unwürdigkeit meines Lebens sein mag. Ich werde mit David denken und sprechen: Herr, in mir ist Sünde, aber bei Dir ist Vergebung; ich bin ein Uebertreter vom Mutterleibe an, aber Du bist barmherzig in alle Ewigkeit; meiner Sünden sind mehr, als Haare auf meinem Scheitel, aber Deiner Barmherzigkeiten sind mehr als Sterne am Himmelszelt, als Sand am Meeresufer. Sie ist es, welche dem Gewissen die wahre Ruhe gibt, in dem Schooße der Gnade, da findet sich die wahre Friedlichkeit der Seele. Sonst ist allenthalben nichts als Unruhe und Furcht, und die Erfahrung lehrt es, wie diejenigen, welche ihr Heil in dem Verdienste der Werke suchen, mit Zweifeln offenbar ihr Gewerbe treiben, und freilich, sie müssen auch wohl und können nicht anders. Denn was sie auch immer sagen und thun mögen, ihr Gewissen bezüchtiget sie innerlich, daß sie gegen den Himmel und vor Gott gesündiget haben und keine Gerechtigkeit besitzen, welche in der Prüfung des Weltenrichters Stand halten könnte. Daher jene Zweifel, die nicht gelöst werden können, daher diese Ursache, die sich nicht will besänftigen lassen, diese Angst, diese Schrecken, welche den Sünder in unheilbare Unruhe werden vor Allem, wenn der Tod seine Hand ausstreckt und man sich nun anschicken muß, vor dem furchtbaren Richterstuhl zu erscheinen, wo das letzte Urtheil gesprochen wird. Denn wie gutes Muthes sich auch die Menschen während ihres Lebens anstellen mögen, rücken die letzten Stunden heran, dann erschreckt sie das Gericht Gottes, das sie nahe vor sich sehen; das fürchterliche Schwert seiner Gerechtigkeit macht sie beben, sie fühlen sich schuldig in ihrem Gewissen, und wenn sie alsdann keine andere Zuflucht haben als ihre Werke, so fehlt nicht viel, daß sie in den Convulsionen, Zuckungen und Aengsten dahinsterben, welche nicht sowohl von dem sich auflösenden Körper, als von der Zerrüttung und Niedergeschlagenheit ihrer armen Seele herrühren. Darum hat denn auch ein gelehrter und berühmter Cardinal, gedrungen von der Kraft der Wahrheit, nachdem er zuvor den Stand der guten Werke aus aller Macht behauptet und alle Anstrengung seines Geistes daran gesetzt hatte, das Verdienst und die Würdigkeit derselben zu vertheidigen, endlich nicht umhin gekonnt, das Bekenntniß abzulegen: „daß es wegen der Unsicherheit unserer eigenen Gerechtigkeit, und wegen der Gefahr eines nichtigen eitelen Ruhmes das sicherste sei, sein ganzes Vertrauen einzig und allein auf die Barmherzigkeit und Güte Gottes zu setzen.“ Ach mein Gott, warum wollten wir uns denn damit abquälen, die Verdienstlichkeit der guten Werke zu behaupten, da deren Gerechtigkeit ungewiß ist und die Gefahr des eitlen Rühmens klar am Tage liegt? Und wenn es das Sicherste ist, sich ganz allein der Barmherzigkeit Gottes anzuvertrauen, kann man uns dann wohl tadeln, daß wir das Sicherste wählen, daß wir das Gewisse dem Ungewissen, das Untrügliche dem Gefährlichen vorziehen, und daß wir, statt auf beweglichen Sand, der da betrügen kann alle, die sich darauf wagen, auf den ewigen Felsen treten, der da festiglich hält Alle, die sich auf ihn stützen? So findet man also ganz allein in den Armen der Gnade die vollkommene Ruhe. Wer sich durch einen wahren Glauben dahin wirft, dahin flüchtet, der genießt eines göttlichen Friedens, welcher höher ist, denn alle Vernunft. Er weiß, daß Gott sein Vater, Jesus Christus sein Heiland, daß seine Versöhnung geschehen, seine Verdammniß abgethan, seine Vergebung ihm versichert ist; er siehet im Geiste die Himmel offen und den Jesus, der ihm die Arme reicht von der Höhe seines Thrones, und daher kommt eine wundersame Stille in sein Herz, welche alle Ungewitter des Lebens und alle Schrecken des Todes nicht zu stören vermögen. Er ruft mit dem h. Paulus aus: Wer will eine Beschuldigung wider mich anbringen? Gott ist hier, der gerecht gemacht. Wer will mich verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher sitzet zur Rechten Gottes und vertritt mich. Ich bin also gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges mich scheiden können von der Liebe Gottes, welche er uns bezeuget hat in Christo Jesu. (Röm. 8.)

Aber, o ihr Gläubigen, wenn die Lehre von der Gnade uns eine solche selige Versicherung giebt, so darf sie uns keineswegs einschläfern. Wenn sie uns eine süße Zuversicht schenkt, so darf sie uns keineswegs in den Schlaf der Sicherheit versenken und die Liebe und den Eifer der Heiligung mindern und schwächen. Ich weiß wohl, daß man zu allen Zeiten die Gnade in übeln Ruf zu bringen trachtete; man hat sie immerdar beschuldigt, als öffne sie dem Leichtsinn der Menschen die Thüre, als begünstige sie die Ausschweifungen, Laster und Schlaffheiten der Weltkinder, als erzeuge sie eine Verachtung der guten Werke. Aber es ist schon lange her, daß der h. Paulus die Lehre von der Gnade von diesem Vorwurf freigesprochen, und wenn man ihn jetzt aufs Neue wider laut werden lässet, so dient das, Gott sei gepriesen! nur dazu, um die Gleichförmigkeit unserer Lehre mit der Lehre dieses großen Apostels einleuchtend darzuthun. Denn man hat ihm seit seinen Lebzeiten den Vorwurf gemacht, als verleite seine Theologie die Menschen zu sagen: Lasset uns in der Sünde beharren, damit die Gnade desto mächtiger werde. (Röm. 6,1.) Aber er wirft diesen lästerlichen Gedanken durch jene ihm eigenthümliche und gewöhnliche Verabscheuungsformel: Das sei ferne! weit hinweg und wir sprechen eben so nach ihm: das sei ferne, daß die Gnade die Sünde gut heiße, denn diese Gnade ist wohl ein Zufluchtsort für bekümmerte Seelen, nicht aber für die unbändigen und unverbesserlichen Rebellen. Sie ist nachsichtsvoll gegen Diejenigen, welche sich bessern, nimmermehr aber übersieht sie die Frevel derer, welche hartnäckig in der Sünde beharren. Es ist Vergebung bei Gott, aber nur darum, daß man ihn fürchte; darum erklärt der Apostel, daß die Gnade Gottes, welche allen Menschen erschienen sei, uns züchtige, zu verläugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt. (Tit. 2,11.12.) Denn was fordert die Gnade? Wahrlich, sie verbindet uns zur Dankbarkeit, zur Erkenntlichkeit, zu liebreichen Handlungen, damit wir ihr unsere Gegenliebe für ihre Segnungen an den Tag legen. Und wie zeigt sich diese Gegenliebe? vorzüglich durch ein gutes und heiliges Leben. Wie? Sollte Gott uns in Frieden aufgenommen haben, damit wir ihm den Krieg erklärten und eine feindselige und ewige Verbindung schlössen mit seinen Feinden, dem Satan, dem Fleisch und der Welt? Er sollte uns von unsern Unreinigkeiten rein gewaschen haben, damit wir wieder zurückkehrten in unseren Morast und jeden Tag aufs Neue beginnen, uns in den Koth und Gestand unserer Laster zu wälzen? Er sollte uns die Arme seiner Barmherzigkeit öffnen, damit wir ihm das Herz durchbohrten und ihn durch unsere Missethaten wie mit Dolchstichen verwundeten? Wir sollten so unsinnig sein, zu glauben, daß er uns die Sünden vergab, damit wir nur um so frecher und unverschämter würden, ihn zu kränken? Er sollte uns seinen Himmel öffnen, damit wir die Finsternisse und den Gestand der Hölle dahintrügen? Er sollte uns in Empfang nehmen an den Stufen seines Thrones, damit wir dort unsere Götzenbilder aufpflanzten, dem Mammon opferten, der Astarte Weihrauch anzündeten, dieser schamlosen Venus, welche die Mutter der Hurereyen ist? Ach, der Herr bewahre uns vor diesem schändlichen Gedanken, der die Gnade Gottes auf Muthwillen zieht und uns schlechter machen würde, als die Teufel selbst. Denn diese Geister der Finsterniß, da sie keinen Theil an der Gnade haben, könnten sie auch nicht mißbrauchen, während diejenigen, welche sie durch ein schändliches Leben entheiligen, sich in einem solchen Stande der Bosheit befinden, der sich noch schlechte rund verdammungswürdiger macht, als die Teufel selbst. Wisset denn, daß wir, obgleich wir nur aus Gnaden selig werden, dennoch die unumgängliche Nothwendigkeit der guten Werke anerkennen müssen. Denn, um noch einmal mit dem h. Bernhard zu reden, „sie sind nicht die Ursache aber wohl der Weg zum Himmelreich, weil man mit Nichten auf dem Wege der Hölle zum Himmel kommt.“ Wollen wir demnach zu dem großen Heile gelangen, welches die Gnade des Vaters uns verschafft, das Verdienst des Sohnes uns erworben hat und die Wirkung des H. Geistes uns zueignet, so gilt es, daß wir uns ohne aufhören dahin auf den Weg machen durch die wahre Heiligung, ohne welche niemand den Herrn sehen wird. Das ist auch die wahre Meinung des h. Paulus: denn nachdem er diesen für die Reinheit der Lehre so wichtigen Glaubenssatz dargethan, daß wir aus Gnaden selig worden sind und nicht durch die Werke, so stellt er sogleich den anderen Satz fest, der da nöthig ist für die Heiligkeit des Lebens: daß wir Gottes Werk sind, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, zu welchen Gott uns zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen. (Eph. 2,10.). Er erkennt es an, daß wir nicht durch die Werke selig worden sind, indessen er erklärt, daß sie geboten seien, auf daß wir darinnen wandeln sollen. Es gilt demnach, daß wir diesen Weg betreten und diese königliche Straße verfolgen, die uns allein dem Ziele der himmlischen Berufung entgegen führen kann. Weit entfernt also, einzustimmen in jene vermaledeite Sprache der Unheiligen: lasset uns Sünde thun, damit die Gnade desto mächtiger werde, sollen wir vielmehr im Gegentheil sagen: lasset uns nicht mehr sündigen, weil die Gnade auf eine so überschwänglich barmherzige Weise in uns mächtig geworden ist. Gott hat uns aus lauter Liebe unsere Missethaten vergeben, lasset uns nicht wieder anfangen, ihn zu erzürnen und zu beleidigen durch neue Sünden. Er hat uns befreit von dem Fluch, den wir verdient hatten, wohlan, nun wollen wir leben als die Gesegneten des Herrn und ihn loben fort und fort aus allen Kräften unserer Seele. Er hat uns theuer erkauft, nun wollen wir ihn preisen an unserm Leibe und an unserem Geiste, welche ihm gehören. Er hat uns gerettet aus Gnaden, nun wollen wir ihm zur Wiedervergeltung dienen aus Lust und Liebe, damit wir einst aus Seiner Gnade hinübergehen in Seine Herrlichkeit, wo unser Heil, unsre Heiligkeit, unsre Seligkeit vollendet und unser Triumph ewig sein wird. Dort, wo wir keine Uebel mehr zu fürchten, nach keinen Gütern mehr zu verlangen haben, dort werden wir dann von Ewigkeit zu Ewigkeit das Lob dieses großen Gottes singen, der uns hat selig gemacht aus Gnaden.

Quelle: Krummacher, Emil Wilhelm - Goldene Worte über die theure Lehre von der freien Gnade

1)
Wörtliche Uebersetzung von Röm. 9,16. – Die genaue holländ. Uebersetzung also: Soo [en is’t] niet des genen die will, noch des genen die loopt, maer des ontfermenden Gods.
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