Blumhardt, Christoph - Andachten zum Evangelium nach Johannes

Blumhardt, Christoph - Andachten zum Evangelium nach Johannes

Johannes 1,9

“Das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“

Johannes redet von dem ewigen „Wort“, das im Anfang bei Gott war und in der Fülle der Zeit Fleisch geworden ist. Dieses Wort nennt er das wahrhaftige Licht, das alles, was Mensch ist, erleuchtet. Aber nachher sagt er, die Welt habe es nicht erkannt, d. h. der Mensch - insofern als er „Welt“ wurde, sich außer und ohne Gott stellend - ließ es unbeachtet und verdunkelte es in sich durch sein Sondertreiben. So war das Licht im Menschen wie vergraben. Wenn man fragen will, worin sich doch noch das Licht äußerte, wenn es „alle Menschen erleuchtet“, so ist’s schon sein Leben, von dem es vorher hieß, dass es das Licht der Menschen sei. Dieses Leben war immerhin nicht wie das Tierleben. Es spiegelte sich in ihm etwas von dem wahrhaftigen Licht, dem ewigen „Wort“, ab: Der Mensch war seiner selbst und Gottes bewusst; er hatte ein Gewissen, konnte wenigstens Gutes und Böses unterscheiden und zeigte schon dadurch ein Bedürfnis nach dem Guten; er hatte auch etwas von Liebe und Bedürfnis nach Liebe; und ganz besonders war er von Sehnsucht durchdrungen nach dem von ihm nicht erkannten Verlorenen. Insofern als von diesem allen noch Spuren da waren, war das Leben noch das Licht der Menschen. Und dieses kam vom „wahrhaftigen Licht, dem ewigen Wort“. Das erleuchtet soweit alle Menschen, d. h. es lässt wenigstens noch soviel vom wahren Licht an ihnen sehen. Ist der Mensch auch immerhin durch die Sünde in die Finsternis gekommen, so scheint doch das Licht auch in der Finsternis, wie Johannes sagt. Er setzt aber hinzu: „Die Finsternis hat’s nicht begriffen“, sie ließen’s nicht zum Durchbruch kommen.

Wir sehen daraus, in welch trauriger Gefangenschaft der Mensch war, wenn sein Edelstes, das sich nicht ganz von ihm abstreifen ließ, in ihm also gebunden war. Und wir mögen es denn auch begreifen, wie das „Wort“ - das wahrhaftige Licht, von dem alles Licht der Menschen ausgeht - von Anfang an eine Hinneigung zu den Menschen, so möchte ich sagen, behielt.

Daraus kam der Drang, ihnen zu helfen und sie zu befreien, und endlich der Entschluß zur Menschwerdung, zur Einkehr bei den Menschen, um als ihr Bruder ihrer Einer zu sein.

Große Gedanken kann das in uns anregen: dass wir doch nun trachten mögen, uns aus der Finsternis ins Licht herauszuarbeiten! Denn dazu ist uns jetzt Gelegenheit und Macht dargeboten durch Christus, das Mensch gewordene Licht. Nur das, was wir vom ewigen „Wort“ in uns haben - teils ursprünglich in uns liegend, teils durch den Glauben an Christus in uns zur Freiheit gebracht -, ist wahrhaftiges Licht. Alles andre, dem wir den Wert eines Lichts geben wollen, ist kein wahres, sondern ein immer wieder verlöschendes Licht; es fällt dem Tod an heim wie das äußere Leben selbst. Nur jenes ist ewiges Leben nach dem Wort des HErrn: „Wer an Mich glaubt, der hat das ewige Leben.“

Zusatz zu Johannes 1,9 - „Das wahrhaftige Licht“

Wenn das ewige „Wort“ so bestimmt „das wahrhaftige Licht“ genannt wird, so ist es damit einem andern Licht gegenübergestellt, das als Licht scheint - und doch nicht das wahre Licht ist. So glaubten die Menschen wohl auch Licht zu haben, ehe das „Wort“ Mensch wurde; sie vergaßen dabei des in ihnen wohnenden wahrhaftigen Lichts. Wie waren sie so klug, so verständig und mehr und mehr so geschickt geworden in allerlei Künsten und Wissenschaften! Man denke daran, wie solches Licht leuchtete bei den Ägyptern, Griechen und Römern, bei den Hindus und ganz besonders bei den Bewohnern von Japan bis auf den heutigen Tag. Man muss staunen, zu welcher Größe ihr Geist aufgeweckt war! Aber sie hatten dies Licht so, dass es sie - mit äußerst geringen Ausnahmen - nicht zu Gott hinführte, sondern eher von Ihm wegführte. Sie meinten, sie hätten da etwas, an dem sie genug hatten. Sie fragten nicht weiter nach Gott und Seiner Heiligkeit und trachteten nicht danach, in das, was ihnen auch hierin klar war, tatkräftig einzugehen. Genaugenommen war’s und ist’s auch ein Ausfluss vom wahrhaftigen Licht - aber gleichsam nur ein Abfall von ihm: insofern als es nicht im Zusammenhang mit seinem Ursprung blieb. Es war ein Abfall, der nicht die Kraft in sich hatte, fortzuglänzen, sondern immer wieder dem Erlöschen anheimfiel. Ist es uns doch jetzt mit aller Anstrengung nicht mehr möglich, uns zu der Geschicklichkeit und Kunst der Alten emporzuschwingen. Und wir erscheinen ihnen gegenüber nun selbst als arm, obgleich wir nach außen hin wieder ähnliches Licht haben in großartigem Maßstab - das sich aber handgreiflich auch nicht als das wahrhaftige Licht darstellt. O Kunst, O Bildung, wie weit bist du mit deinem Lichte von dem wahrhaftigen Lichte entfernt!

Dieses unwahrhaftige Licht macht zwar in etwas zufrieden mit diesem Leben; es weiß demselben Annehmlichkeiten zu verschaffen, bietet auch Hilfe zum Durchkommen dar. Es gibt aber wenig oder nichts, was an das ursprüngliche wahrhaftige Licht kettet; sondern es stellt sich wie von diesem abgetrennt dar. All dieses Licht sieht sich wie eine Lampe an, deren Öl nach und nach verbrennt, bis das Licht erlischt. So ist alles Licht in dieser Welt, das nicht im engsten Zusammenhang bleibt mit dem wahrhaftigen Licht, dem ewigen Wort und Seiner Heiligkeit: Es kann prächtig brennen und lange fortbrennen - aber der Brennstoff verzehrt sich mehr und mehr, und dann ist’s aus! Auch wenn man den letzten Öltropfen sammeln will, so geht er eben drauf, wenn man ihn benützt - und Nacht folgt!

Nur das, was sich durch Streben nach göttlicher Liebe und göttlicher Heiligkeit und Gerechtigkeit an die Person des wahrhaftigen Lichtes kettet und hält, hat ewige Dauer. Solches Licht leuchtet fort und verbraucht sich nicht; es bleibt sich gleich, ist etwas Sicheres und Dauerndes, ein Licht von oben, ein Stück von der Ewigkeit. Dieses Licht, das das liebende Herz Gottes in sich schließt, kam mit dem Heiland persönlich in die Welt. Es will unsre Herzen aufs neue entzünden und dem wahrhaftigen Lichte in aller Herzen Bahn machen, damit es sich wieder mit seinem Ursprung vereinige und mit ihm verschmelze.

Wenn, wie Johannes sagt, das wahrhaftige Licht alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen, so muss man sich denken, dass es bei allen wohl in etwas da ist. Aber bei denen, in welchen es nicht durch Christus erneuert wird, ist es nur verborgen da, gleichsam verschlossen und verdeckt. Es ist ein Gefangener im Menschen, mit Finsternis umhüllt, und mag sich je und je nur durch einen matten Schimmer erkennbar machen. Nun ist freilich der HErr Jesus gekommen, „zu predigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen die Loslösung“ (Jes. 61, 1). Wer Ihn im Glauben aufnimmt, bei dem wird der ganze Mensch licht und hell und verklärt sich in die göttliche Art. Die Hülle, die das Licht in ihm verdunkelte und die göttliche Heiligkeit nicht zur Geltung kommen ließ, fällt weg. Schon darum fühlt sich der Mensch als eine ganz neue Kreatur. Wohl dem, der sich freimachen, der sich erleuchten lässt vom wahrhaftigen Licht! Der geht dadurch selbst wieder helleuchtend unter den Finsternissen der Welt dahin mit dem vom Himmel stammenden Licht! Dieses wird zur Ehre Gottes durch den Glauben in einem einzigen Nu entzündet, so wie sich der Gasstoff im Nu entzündet. Wie gar neu und anders muss die ganze Erscheinung eines also entzündeten Menschen werden!

Indessen sagt der HErr: „Lasset euer Licht leuchten!“ Damit deutet Er an, dass man zwar im Glauben stehen, also innerlich erleuchtet sein könnte - ohne sein Licht leuchten zu lassen. Allerdings verstehen’s viele, auch das ihnen neu zuteil gewordene Licht unter den Scheffel, statt auf den Leuchter zu stellen. Dann scheint es den Leuten nicht. Dies ist der Fall, wenn die göttliche Art an ihnen nicht offenbar wird. Da brennt es wohl etwa innen, so dass man einen hellen Verstand in allem Göttlichen hat und wohl auch Genuss davon; aber es leuchtet niemandem, insofern als ihre Art von der der unerleuchteten Menschen sich kaum unterscheidet. Sie sind mit jenen Laternchen zu vergleichen, die Klapptürchen haben, die man auf- und zumachen kann. Wenn diese Türchen geschlossen werden, so scheint das in der Laterne brennende Licht nirgendwohin; und solch ein Licht hilft zu nichts. So erscheinen viele Christen gleich zugedeckten Laternen. Sie kennen und haben das Evangelium, kennen das wahrhaftige Licht, wissen alles und ergötzen sich daran - aber sie verschließen das, was sie haben, hinter Klapptürchen und geben keine Helle.

Statt es verschlossen zu halten, sollten sie aber ihr Licht leuchten lassen, um den Vater im Himmel zu ehren. Das geschieht durch Liebe, Freundlichkeit, Herzlichkeit, Sanftmut, Geduld, Friedfertigkeit, reine Gesinnung gegen jedermann in himmlischer, göttlicher Art, die von dem ungöttlichen Treiben der Welt geschieden ist. Wenn das bei Christen hervortritt, so sind die Klapptürchen offen. So wird man auch „das Licht der Welt“, wie es der HErr von Seinen Jüngern wünscht (Matth. 5,14).

Ach, was wäre es doch, wenn also das wahrhaftige Licht bei allen, in welchen es sich neu entzündet hat, wirklich auch in hellen Flammen leuchten würde.

Was kostet es aber, bis das, was - wie Johannes bezeugt - in der ursprünglichen Natur des Menschen liegt, sich herausgearbeitet hat aus der Finsternis, die immer wieder darüber herfällt!

Wir warten neuer Gnaden von oben! Endlich wird doch das Licht siegen!

Johannes 1, 18.

“Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat es uns verkündiget.“

Es ist dieses einer der Sprüche, die zu erkennen geben, daß bei dem HErrn, wenigstens in den Tagen, da Er aufgetreten war, eine besonders fühlbare Gemeinschaft mit Seinem Vater stattfand. Er fühlte Sich im Schoß des Vaters, weswegen es heißt: „Der in des Vaters Schoß ist.“ Es fand bei Ihm eine Art Sehen Gottes statt, wie es bei keinem sonstigen Menschen möglich war, auch bei Mose nicht, der hintennach sehen durfte. Dadurch unterscheidet sich der HErr nicht nur als der allergrößte, sondern auch als der einzige Prophet von den anderen, wie Er auch sonst (Hebr. 1,1.2) als der Sohn, durch welchen Gott zuletzt geredet habe, allen andern Propheten gegenübergestellt wird. Andere bekommen es nur bruchstückweise und als Brosamen; Er aber, der Sohn, bekam es nicht nach dem Maß (Joh. 3,34), sondern als Einer, der in des Vaters Schoß ist. Darum heißt es jetzt von Ihm (Kol. 2,9), daß „in Ihm wohne die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“

Es ist merkwürdig, wie sie in unsern Tagen das Leben Christi so überaus und rein menschlich aufzufassen und zu erklären sich bemühen, meinend, daß sie damit erst den rechten Christus gefunden hätten, wenn er ganz und nur Mensch wäre, und ganz menschlich sich entwickelnd gedacht werde. Aber so viel sie sich auch abmühen und krümmen, - mit der Schrift kommen sie nicht zurecht; und so können sie sich, - ein böses Zeichen wider ihre Weisheit, - nicht anders helfen, als daß sie von der Schrift gar absehen, und diese entweder als unecht wegkritisieren, oder die Verfasser auf den Stuhl der Unwissenheit oder Schwärmerei oder Irrbildung setzen. Denn die Schrift, schon obiger Spruch, will’s durchaus anders, und ist eben damit dem Menschen, der Trost und Hilfe und Gewißheit des ewigen Lebens sucht, ein willkommenes Evangelium. Darum sagen wir mit Luther : „Das Wort sie sollen lassen stah’n.“ Wie groß wird doch in ihr und nur in ihr, nicht in der Scheinweisheit der Neuerer, die Barmherzigkeit Gottes, mit welcher Er durch Christum uns nahe gekommen ist!

Mel. Fahre fort.

Prüfe recht, prüfe recht,
Prüfe weislich jeden Geist,
Der dir ruft nach beiden Seiten;
Tue nicht, was er dich heißt.
Laß nur deinen Stern dich leiten.
Beide, das, was gut scheint und was schlecht,
Prüfe recht, prüfe recht.

Johannes 3, 17.

“Gott hat Seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass Er die Welt richte, sondern dass die Welt durch Ihn selig werde.“

Wir feiern heute das liebliche Christfest. Da müssen wir vor allem es recht an uns kommen lassen, dass Gott, Gott Selbst, etwas getan hat; Er, der Himmel und Erde gemacht hat und Der eine große Liebe hat zu Seinen Kindern - wenngleich sie alle jetzt“ Welt“ heißen, d. h. sich so gegen Ihn gestellt haben, als gehe Er sie nichts an! Was hat Er denn getan? Er hat Seinen Sohn gesandt in die Welt. Mit Ihm hat Er Sein eigenstes Ich hingegeben für sie. Besinne dich doch, lieber Christ, was das ist!

Wenn aber Gott Sich Selbst gibt, so denke auch daran, was Er ist und wie Er von dir genannt sein will. Er will heißen: „Barmherzig, gnädig, geduldig, von großer Güte und Treue“ (2. Mose 34, 6). So will Gott heißen! Wenn Er nun der sündigen Welt Seinen Sohn schenkt: kann Er damit etwas Böses meinen? Kann Er als ein strenger, unnachsichtiger Richter sich durch Seinen Sohn bezeigen wollen? 0 nein, das nicht! Wenn Er richten, verwerfen, verdammen wollte, so würde Er doch das nicht durch Seinen Sohn tun lassen! Da würde Er sich anderer Werkzeuge bedienen und dieses harte Geschäft nicht Seinem Sohne übertragen!

Du siehst also, der Vater im Himmel möchte gerne das Gericht abwenden, das allen droht und das zuletzt doch über alle kommen müsste, weil Er mit einer Welt, wie sie ist und sich gemacht hat, doch nicht ewig so fortmachen könnte! Das, lieber Christ, lass dir recht sagen! Und zwar nicht bloß für dich selbst, sondern auch für die vielen Sünder, die du zum Teil so greulich verderbt um dich herum siehst - dass du meinen könntest, du seiest diesen gegenüber gar sauber und gerecht und bedürftest kaum eines Heilandes. Auch diese, die rechte“ Welt“, will Gott nicht durch Seinen Sohn gerichtet sehen! Sie sollen alle Seine Vaterliebe sehen und durch diese sich erweichen lassen, mit kindlichem Glauben wieder zu Ihm zurückzukehren. Nicht in der Hölle und Verdammnis, sondern in dem Himmel und der Seligkeit möchte Er die Welt wissen. Denn nicht die Braven und Frommen allein, sondern die“ Welt“ - sage die“ Welt“, welche die Braven oft so gar weit von sich wegstoßen! - soll der Sohn selig machen. Dazu hat der liebe Vater Seinen Sohn gesandt. Der Sohn aber sagt es jetzt selbst in diesem Wort, so sei es. Sie wollten Ihn nicht recht hören - und was haben sie Ihm nicht alles dafür getan, dass Er sie hat selig machen wollen?

Ich meine aber, es müsse Ihm noch gelingen! Denn ein so Großes tut doch Gott nicht für nichts! Und wenn Er die Welt meint, so muss es doch etwas recht Bedeutendes sein, das Er erreicht wissen will. Ja, weil Er die Welt meint, so wird Er auch durch Seinen Sohn, nachdem dieser wieder zu Ihm entrückt worden ist, noch etwas tun, um Seine Liebesgedanken so umfangreich als möglich auszuführen. Ja, Er wird es tun! Sonst müssten wir ja geradezu an Ihm und Seinem Sohne und allem Evangelium irre werden. Irre werden aber wollen wir in diesen Tagen nicht! Wir wollen hoffen und in Geduld warten. Das Höchste kommt gewiss noch nach: Der HErr wird sich noch aufmachen und wird Seine seligmachende Herrlichkeit offenbar machen an allen Geschlechtern der Erde. Harren wir der Zeit! Sie wird so gewiss kommen, als wir in diesen Tagen gewiss sind, dass Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen. Er wird nochmals ein Weltheiland offenbar werden!

Mel. Dir, Dir, Jehova

HErr Jesu, mach durch neue Taten
die alte gute Botschaft wieder neu!
so mag es endlich doch geraten,
dass wir von Satans Herrschaft werden frei.
Wenn Du's nicht tust, kann's nimmermehr gescheh‘n;
drum lass, 0 Heiland, Deine Stärke sehn!

Johannes 6,37

“Alles, was Mir Mein Vater giebt, das kommt zu Mir; und wer zu Mir kommt, den werde Ich nicht hinausstoßen.“

In dem Spruch ist Dreierlei gesagt oder angedeutet, erstlich, daß, wer zum Heiland komme, Ihm vom Vater gegeben sei, sodann daß der, den der Vater liebe, auch wirklich komme, und endlich, daß der Heiland keinen der Art hinausstoße.

Besehen wir das Erste, so kann also nicht Jedermann zum Heiland kommen, sondern nur, den der Vater giebt. (Joh. 6,44). Der Vater muß es sein, der dazu treibt. Der natürliche Mensch, der rein alles mit seinen natürlichen Sinnen und Seinem natürlichen Verstande begreifen will, bekommt keinen Geschmack, daß ich so sage, am Heiland. Darum bleiben in der Regel die Klugen uns Weisen weg, wie der Heiland selber sagt, weil die nur mit ihrer natürlichen Weisheit und Klugheit dran gehen, wenn sie aufmerksam werden, und dann den Kopf schütteln. Sind sie aber etwa schon innerhalb der Gemeine durch Geburt, wie bei uns, so können sie’s nicht lassen, das alles wegzudisputiren, was ihre Vernunft nicht faßt, und dann der Welt begreiflich machen zu wollen, man müsse das Christenthum ganz anders auffassen, als es herkömmlich gewöhnlich sei. Diese Leute alle erscheinen vorerst nicht als vom Vater dem Sohne gegeben; es ist kein Zug Gottes in ihnen zum Sohne. Warum das? können wir nicht weiter untersuchen. Sie mögen eben den Zug, den ihnen der Vater gehen wollte, nicht annehmen, weil sie in selbstischer Weise widerstehen. So kommt der Zug gar nicht an sie; und die Folge davon ist, daß sie ferne vom Heiland bleiben.

Das Zweite, was unser Spruch sagt, ist, daß Alles was der Vater dem Sohne gebe, auch wirklich zu Diesem komme. Denn es heißt. „Alles, was Mir der Vater giebt, das kommt zu Mir.“ Das ist ein tröstliches Wort. Der Zug des Vaters, wenn auch längere Zeit verdeckt, ist zuletzt so stark, daß Keiner, der ihn hat, zurückbleibt. Wenn wir nun freilich auf unsere Zeit hinsehen, so könnten wir fast sagen, der Vater gebe doch nur wenige Seelen Seinem Sohne, weil so Wenige zu Ihm kommen. Wie das ist, können wir wiederum nicht recht sagen. Aber gewiß ist, daß doch unendlich mehr Leute müssen vom Vater dem Sohne gegeben sein, als man vor Augen steht. Es ist für so viele an unsern Zuständen etwas, was ihr wirkliches Kommen zum Heilande verhindert, auch wenn der Zug da ist. Letzterer kann auch möglicherweise vorerst nur in seinem Keime da sein, da man dann Geduld haben und warten muß. Bei vielen wird’s noch auf dem Sterbebette offenbar. Jedenfalls haben wir im Wort des HErrn den Trost, daß einmal auch nicht Eine Seele im Reiche Gottes fehlen darf, die, obwohl sie den Verborgenen Zug hatte, nicht eingebracht wäre. Deswegen warten wir noch auf große Erweckungen und Bekehrungen durch eine neue Ausgießung des heiligen Geistes, damit das Gegebene noch komme. Darum verzieht auch scheinbar der HErr, damit ja kein Gegebenes verloren gehe, wenn Er zu schnell käme, wie uns Petrus belehrt (2. Petr. 3,9). Halten wir’s als einen Trost fest, daß der Heiland kein Gegebenes, am Zug zum Sohne erkenntlich, zurücklasse. Denn bei Gott sind alle Dinge möglich, insbesondere auch das Seligmachen derer, bei welchen es vor Menschen Augen nicht möglich ist (Joh. 6,27).

Endlich lesen wir die tröstlichen Worte, daß der Heiland Keinen, der zu Ihm komme, hinausstoße. Denken wir uns allerlei Menschen, die dem Hause Gottes zulaufen, darunter auch manche verkommene, häßliche, arge Leute. Sie kommen etwa bis vor die Türe. Der Hausherr aber erschrickt nicht, und sagt nicht: „Bleibet ihr weg! Jaget sie fort!“ schickt auch nicht, daß ich so sage, die Hunde nach ihnen, um sie fortzutreiben; sondern wer vor die Türe kommt, wie er auch aussehen und wer er auch sein mag, zu dem sagt Er: „Komm nur herein!“ - wenn Er ihn auch einstweilen, daß ich so sage, in ein Nebenstübchen tun muß, bis er gesäubert ist. Herein darf und muß, wer herein will; denn der Vater giebt ihn. Es wird Keinem im Geringsten durch einen Blick oder eine Miene zu erkennen gegeben, daß er fortbleiben könne. So steht’s da. „Wer zu Mir kommt,“ sagt der HErr, „den werde Ich nicht hinausstoßen.“ Darum wenn du dich scheust und denkst: „Wie kann ich kommen, der ich bin, wie ich bin?“ - sorge nicht; für das, daß es recht wird, wird der Heiland schon sorgen. Er weiß dich unter die Erlösten und Auserwählten zu bringen. Darum zage Keines, und komme nur, wenn auch mit Scham, doch mit kindlichem Vertrauen. Wage zu hoffen und zu glauben, daß der, welcher der Heiland der Sünder geworden ist, auch dich nicht verschmäht, wenn du nur kommst.

Mel. Meinen JEsum laß ich nicht.

O wie tröstlich ist mir doch.
Diese Stimme, die ich kenne!
Sie versichert mich, daß noch
JEsu Herz vor Liebe brenne,
Daß Er unaufhörlich treu,
Und der Sünder Heiland sei.

Johannes 8, 34

“Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.“

Wenn man sich mit der Sünde einläßt, ist’s, wie wenn man in eine Falle ginge, aus welcher man Mühe hat, wieder herauszukommen. Es giebt Menschen, die immer an der Sünde, wie an einer Lockspeise, herumschleichen. Es geht ihnen wie dem Mäuschen. Dem schnappt’s bei der geringsten Berührung, und es ist entweder tot oder gefangen. Die Sünde kann auch den Tod bringen, - ach! wie oft geschieht das! Wenn nicht so plötzlich, so wird doch, wer Sünde tut, der Sünde Knecht. Er ist gefangen, und kommt aus seiner Sünde kaum wieder heraus, daß er sie nicht immer und immer nieder tut, oft auch mit Seufzen. Da muß Gottes Erbarmen wieder heraushelfen.

Der Heiland redet aus einer Zeit, wo bei den Menschen alles noch natürlich lief, und keiner sich eigentlich loswinden konnte. Erst durch Ihn, den HErrn JEsum, ist die Möglichkeit geworden, aus den Klauen der Sünde wieder herauszukommen. Wem aber Seine Hilfe nicht wird, der macht, wenn er angefangen hat zu sündigen, fort und kann sich nicht bezwingen, bis er gar verderbt und ruiniert ist. Darum, weil alle Menschen gesündigt und immer gesündigt haben, waren sie alle Knechte der Sünde, daß sie von dieser nicht mehr lassen konnten. Es war für sie eine Unmöglichkeit, von ihr loszukommen. Eben wider diese traurige Gefangenschaft zu kämpfen, ist unser HErr und Heiland gekommen. Er kann sagen: „Wen der Sohn frei macht, der ist recht frei.“ Du darfst nur Ihn hören, Buße tun und glauben, so kann Er helfen durch Seines heiligen Geistes Kraft.

Wer aber freilich sich wieder gefangen nehmen läßt, an dem hat häufig das Wort Christi seine Kraft verloren; und es kann mit ihm das Letzte ärger werden als Erste. Doch ist der Heiland immer wieder bereit zu helfen; nur muß die Buße ernstlich und aufrichtig sein, und darf nicht neben der Buße, wie es auch vorkommt, ein Buhlen mit der Sünde da sein. Ach! nur die Sünde meiden, das, wovon der HErr gesagt hat: „Du sollst es nicht tun!“ O der Toren, die es so leicht mit der Sünde nehmen, und sich vom Teufel gerne vorsagen lassen: „Einmal ist keinmal,“ oder: „Einmal schadet nicht,“ während schon Eine Übertretung in die „Knechtschaft führt. Der HErr wolle uns vergeben, wo wir uns noch Sünder fühlen, und Seine Hand nach uns ausstrecken, um aus den greulichen Banden uns herauszureißen, welche etwa noch uns umschlungen halten.

Eigene Melodie

Ach was sind wir ohne JEsu?
Dürftig, arm und jämmerlich!
Ach, was sind wir? Voller Elend!
Jesu, ach, erbarme dich!
Laß Dich unsre Not bewegen,
Die wir Dir vor Augen legen!

Johannes 12,23

“Die Zeit ist kommen, daß des Menschen Sohn verkläret werde.“

Wunderbar! „Die Zeit ist gekommen,“ sagt der HErr, „daß des Menschen Sohn verkläret werde;“ - und was sieht Er selbst vor sich? Sagt Er doch gleich nachher: „Jetzt ist Meine Seele betrübt bis in den Tod.“ Das Kreuz kam noch dazwischen hinein. Es war der Tag, auf den der Abschiedsabend folgte, und der Verrat; und am andern Tage hing Er etwa um die nämliche Stunde am Kreuz. Der HErr übersieht diese Trübsal, wie wenn sie gar nicht wäre, beim Blick auf das Größte, das nachfolgte, Seine Verklärung. Der Weg durch’s Kreuz war aber notwendig. Daß es diesen Ausgang nehmen sollte, war Ihm schon auf dem Verklärungsberge gesagt worden (Luk. 9, 31). Die Jünger hatten das nicht fassen können, daß die Verklärung des Menschensohnes durch den Tod hindurch werden sollte. Im Kleinen geht’s aber bei uns auch so. Wollen wir etwas Großes hintennach, etwas Verklärungsähnliches, so kann uns das Kreuz nicht erspart werden.

Der Blick auf’s Kreuz Christi, dem die Verklärung folgte, kann uns die Überzeugung geben, daß wir nicht meinen dürfen, als müßte uns alles Kreuz nur so geschwind hinweggenommen werden, wenn wir bitten. So wenig, als der HErr JEsus Sich Sein Kreuz verbitten konnte, so daß Er sagen mußte: „Nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe!“ und sagen mußte: „Nicht, wie Ich will, sondern wie Du willst,“ - so wenig können wir uns oft Herbes, das wir durchmachen müssen, wegbitten, weil nur durch solches Kreuz hindurch irgendwie Verklärungsähnliches an uns gewirkt und zu Stande gebracht werden kann, von dem HErrn, der aller Heil und Seligkeit schaffen will. Wie aber Er verklärt worden ist, so reifen wir alle, unter Kreuz und Trübsal einer Verklärung entgegen. Wie wird’s uns da einst so wohl seyn!

Mel. Himmelan, nur himmelan.

Himmelan wallt neben Dir
Alles Volk des HErrn,
Trägt im Himmelsvorschmack hier
Seine Lasten gern.
O, schließ dich an!
Kämpfe drauf, wie sich’s gebührt.
Denke, auch durch Leiden führt
Die Himmelsbahn.

Johannes 13,1

“Wie Er hatte geliebet die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende.“

Der Heiland bleibt sich in Seiner Liebe gleich, und hat diese Seine Liebe am letzten Abend noch am herrlichsten gezeigt. Bis in den Tod hinein hat Er geliebt, und wohlgetan mit Seiner Liebe; noch am Kreuz hat Er geliebt. Seine Liebe wendet Er vornehmlich den Seinen zu, die Ihn hörten, die Ihm folgten, die sich auch zu Seinem Dienst brauchen ließen. Denn das sind eigentlich die Seinen, die sich von Ihm in Seinem Dienst brauchen lassen. Man hörte Ihn fragen (Mark. 3,33ff.): „Wer ist Meine Mutter und Meine Brüder?“ Dabei sah Er rings um Sich auf Seine Jünger, die um Ihn im Kreise saßen, und sprach: „Siehe, das ist Meine Mutter und Meine Brüder; denn wer Gottes Willen tut, der ist Mein Bruder und Meine Schwester und Meine Mutter.“ Auch zu dem reichen Jüngling sagte Er: (Matth. 19,21): „Willst du vollkommen seyn, so verkaufe, was du hast, und komm und folge Mir nach.“ Daher war’s im Anfang immer so, daß, wer mit Ihm es halten wollte, sich gleich anstellen und aussenden lassen mußte.

Auch heute noch müssen wir uns, wie es eben möglich ist und etwa gefordert wird, in Seinen Dienst nehmen lassen, und nicht bloß andächtelnd zu Ihm hinaufblicken wollen. Ihm dienen aber kann man in jedem Stand und unter jedem Verhältnis; und was man Einem Seiner Geringsten tut, ist schon Ihm gedient. Tut man’s, so erfährt man Seine Liebe, Seine Durchhilfe, Seine Barmherzigkeit, auch den Frieden in der Seele, der eigentlich nichts anderes ist, als ein Ruhen in der Liebe Christi. „Friede sei mit euch!” hören wir den Auferstandenen zu Seinen Jüngern sagen. Ach! dieser Friede möge mit uns seyn!

Mel. Wer ist wohl wie Du.

Zeuch mich ganz zu Dir,
Daß dein Lieben mir
Ganz durchströme Herz und Sinne,
Und mein Elend ganz zerrinne,
Süßes Heil, in Dir;
Wohne Du in mir.

Johannes 13,18

“Ich weiß, welche Ich erwählet habe.“

Wenn der Heiland sagt. „Ich weiß, welche,“ so will Er damit sagen: „Ich kenne sie; Ich kenne die, die nicht nur als Berufene, sondern als Erwählte, dem Gericht Entnommene, sich bezeigen.“ - Er denkt dabei an einen Judas, der in jener Nacht auch noch unter den Jüngern saß, aber bald fortging, um den Heiland zu verraten und an Seine Mörder auszuliefern. Der war wohl berufen, aber erwählt, dem Gericht entnommen, war er nicht. Willst du erwählt sein, d. h. mit Gewißheit dem Gericht, dem die Welt verfallen ist, enthoben, so kommt’s auf die Aufrichtigkeit deines Herzens an, auf die Demuth und Niedrigkeit deines Sinnes, auf die Bewahrung deines Gewissens, auf die Kindlichkeit, mit der du dich an den Heiland hängst, auf die Ausdauer, mit der du, auch wenn’s noch so rätselhaft zugeht, beim Heiland bleibst. In dem allem hat’s Judas fehlen lassen ; darum blieb er das verlorene Kind (Joh. 17, 12), obgleich er dem Heiland nachgefolgt war. Denn wenn Eins etwas sein will, und hat noch einen störrischen Sinn, einen widerwärtigen, eigenwilligen, frechen, mißtrauischen, verdrossenen, empfindlichen, mit einem Wort, einen widerspenstigen Sinn, daß es ungern tut, nicht recht tut, gar nicht tut, was der HErr will, - Solche mögen sich oft den Schein geben, als gehörten sie zu Denen, die Er erwählet hat; aber der HErr kennet sie, und weiß, wie weit’s bei ihnen ausreicht.

Wollen wir darum recht darauf achten, daß wir nichts Störrisches, Eigenwilliges bei uns behalten. Wir müssen folgsam, biegsam sein, müssen uns mit aller Geduld und Erhebung von Ihm drehen und wenden lassen, wie Er will und Sein Wort es uns sagt. So bleiben wir unter den Erwählten, die Er nie läßt, mag kommen, was will. Ist dir’s aber bange, ob du’s werdest hinausführen? Vergiß nicht den Spruch der Losung: „Ich will zu Gott rufen, und der HErr wird mir helfen.“ Jene erwählten Jünger wollte Satanas auch sichten, wie den Weizen; aber der HErr hat gebetet, daß ihr Glaube nicht aufhörte. Er lebet noch, und bittet für uns, - vertritt uns! Den Aufrichtigen aber lässet Er’s gelingen.

Mel. Jesus, meine Zuversicht.

Halte mich in diesem Sinn,
Daß ich solche Gnade preise,
Und so lang’ ich lebend bin,
Meinen Glauben tätig weise.
Bis zu jenem Tage hin
Halte mich in diesem Sinn.

Johannes 15, 1.2.

“Ich bin der rechte Weinstock, Mein Vater der Weingärtner. Einen jeglichen Reben an Mir, der nicht Frucht bringet, wird Er wegnehmen, und einen Jeglichen, der da Frucht bringet, wird Er reinigen, daß er mehr Frucht bringe.“

Der HErr ist der Weinstock, an welchem alle, die Ihm angehören, gleichsam als Reben hinanwachsen, oder als Reben herauswachsen, so daß das Ganze nur Eines ist, und alle zusammen von einerlei Saft genährt werden. Man muß dabei sich erinnern, daß der Weinstock die Art hat, sich weit auszubreiten. Es kann, wie das im Morgenlande schon geschehen ist, ein einziger Weinstock Stunden weit sich fortspinnen über der Erde. So denke man sich die Möglichkeit eines Weinstocks, der über die ganze Erde sich fortspinnt und sie bedeckt, und doch nur einen Grundstock hat. So wäre denn Christus dieser Weinstock, in welchem, als ihrer Lebenskraft, alle Gläubigen zu einem zusammengehörigen Ganzen verbunden sind.

Hiebei kommt nun alles darauf an, daß die Reben an Ihm also bleiben, und also genährt werden und in solcher Gemeinschaft mit Ihm stehen, daß sie Früchte bringen, liebliche, erquickliche Früchte, wie ja des Weinstocks Frucht als eine liebliche und erquickliche bekannt ist. Wir wollen jetzt gerade nur an das denken, daß wir dann die rechten fruchtbaren Reben sind, wenn wir etwas Liebliches und Erquickendes für Jedermann sind. Ja, unser ganzes Wesen muß so seyn, daß es alle, mit denen wir in Berührung kommen, erquickt und ihnen wohltut. Wo wir aber herbe sind und räse, wie man bei Früchten sagt, also unfreundlich, hart, widerwärtig gegen Andere, so sind wir keine Frucht tragenden Reben, sondern ausgeartete Reben, die fast noch weniger wert sind, als wenn keine Früchte kämen, und so gewiß nicht am Weinstock bleiben werden.

Zusatz: Insbesondere wenn wir zum Tisch des HErrn gehen, wollen wir da etwas empfangen, wodurch wir in eine nähere Wesens- und Lebensgemeinschaft mit dem HErrn kommen. Es ist Sein Wille, daß da Seine Lebenskraft in uns komme; deswegen giebt Er Sich uns als Speise hin. Ob aber diese Seine Kraft es mit uns so weit bringe, daß wir Früchte tragen, oder Seine Art annehmen können, das wäre die Frage. Wir dürfen nicht denken, weil’s Seine Kraft sei, so wirke sie ganz von selbst, gleichsam mechanisch, was es sein soll. Wir müssen auch mit unsrem Verlangen und Willen dabei sein; wir müssen uns, auch wenn wir’s empfangen haben, um die Wirkung des Empfangenen in uns bemühen. Im Reiche Gottes geht nichts von selbst. Der Mensch muß sich hergeben, muß es mindestens verlangen, suchen, erbitten. Geht er seinen Weg nur so hin, ohne zu denken, ohne zu suchen, ohne zu bitten, so wird er eine fruchtlose Rebe bleiben. Darum wollen wir uns immer wieder anfrischen lassen zu neuem Mut, zu neuem Eifer, zu neuem Ringen nach dem, das werden soll. Folgt das bei uns auf das Hören Seines Worts, oder auf den Genuß des heiligen Abendmahls, nach, so kann’s nicht fehlen; denn dann kann die von Christo auf uns übergehende Lebenskraft das Ihre bei uns ausrichten. Will’s ihr aber bei uns nicht recht gelingen, so weiß Er, wie unser Spruch sagt, zu reinigen, zu schneiden und abzuschneiden, damit desto leichter Seine Kraft in uns die Frucht heraustreibe. Da helfe uns der HErr dazu durch Seinen heiligen Geist!

Mel. Seelenbräutigam.

Dir ergeb’ ich mich,
JEsu, ewiglich.
Habe Dank für Deine Liebe,
Die mich zieht aus reinem Triebe;
JEsu, ewiglich
Dir ergeb’ ich mich.

Deiner Liebe Gluth
Stärkt mir Herz und Muth.
Wenn Du freundlich mich anblickest
Und mit Deinem Geist erquickest,
Macht mich wohlgemuth
Deiner Liebe Glut.

Johannes 19, 30

“Jesus neigte das Haupt und verschied.“

Das war ein wunderbarer Augenblick, da JEsus Sein Haupt neigt, und nun sein Geist entweicht, wie hinausgescheucht von der Menschheit. Aber Er läßt sich doch nicht wegscheuchen. Sie jagen Ihn fort, und Er läßt sich nicht verjagen. Er bleibt doch der Ihrige. Wer Ihn ruft, dem ist Er zur Hand. Denn es ist, als sagte Er: „Ich bin dennoch euer Bruder (Joh. 20,17); ihr könnet mir mein Brudersein nicht nehmen; denn Ich bin’s.“ Wer Ihn nun seinen Bruder seyn läßt, und sich zu das zu Nutze machen will, der hat Ihn, und kommt durch Ihn hinauf zur Herrlichkeit des Vaters. Wer aber fortfährt, Ihn wegzuscheuchen, Ihm gleichsam den Odem zu nehmen trachtet, wie Seine Feinde es getan, - natürlich, zuletzt, zuletzt muß er von dem auch wegbleiben. Dann wehe solchem! O, daß wir’s ergreifen möchten und festhalten, was der heutige Tag uns geben soll, und daß wir auch durch das heilige Mahl, das wir empfangen, möchten eine neue Lebenskraft bekommen, einen neuen Zug zu Ihm, daß wir nicht von Ihm lassen können, auch wenn wir wollten.

Mel. Herzlich tut mich.

Ich seh’ mit Lieb’ und Beugen
Des Heilands letzten Blick,
Ich seh’ Sein Haupt sich neigen,
Das war mein ewig Glück.
Mein Bürge stirbt, ich lebe,
So todeswert ich bin;
Er giebt sich mir, ich gebe
Mich Ihm zu eigen bin.

Johannes 20,17

“Gehe hin zu Meinen Brüdern und sage ihnen: „Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater, zu Meinem Gott und zu eurem Gott.“

Das ist das Große, woraus sich auch die ganze Erlösung erklärt, daß sich der HErr als unsern Bruder ansieht, der, weil Er Mensch ist, kein gutes Gewissen hätte, wenn Er ohne Seine Mitmenschen, d. h. Brüder, hätte wollen, etwa bei der Verklärung, einem Elias gleich, geradezu in den Himmel fahren, ohne für Seine Brüder noch etwas zu tun, wie Er’s um Seines vollkommenen Gehorsams willen im Stande war. Dadurch, daß Er Fleisch und Blut gleichwie wir annahm, fühlt Er sich verpflichtet, wirklich verpflichtet, für uns zu sorgen, daß auch uns geholfen werde. Verdient ja doch wirklich Keiner den Namen Mensch, der nicht die Verpflichtung in sich fühlt, für alle seine Mitmenschen, so viel er vermag, und so viel sie dieses nach Leib und Seele bedürfen, zu tun. Das ist ein wichtiger Gedanke. Geht doch daraus hervor, daß auch wir gar keine Menschen sind, wenn wir kein Interesse an der Bekehrung und Rettung unserer Mitmenschen haben. Wir sind wie aus einem andern Geschlecht, und verleugnen unsere menschliche Abkunft, wenn es uns nicht innerstes Bedürfnis ist, für unsere Mitmenschen zu fühlen, wie für uns selber, gerade wie leibliche Brüder sich gegenseitig verleugnen, wenn sie sich, besonders in Nöten, nichts um einander bekümmern. Wie wunderbar einzig steht nicht da der Heiland vor unserm entarteten Geschlechte da, daß Er das volle Gefühl für Seine Mitmenschen, das sonst alle verloren hatten, behalten, Sein Menschtum in seiner edelsten Bedeutung genommen hat! Im Bewußtsein Seiner inneren Zusammengehörigkeit mit der Menschheit nennt Er sich stets des Menschen Sohn; und wie tief Er das meinte, zeigt das, daß Er gleich nach Seiner Auferstehung von Seinen Brüdern redete, die mit Ihm Einen Gott und Vater hätten! Seine Auferstehung hat sie Ihm nicht ferner, sondern näher gebracht; denn nun war es versiegelt, daß sie vom Vater als Kinder angenommen seien, und Er der Herzog ihrer Seligkeit sein dürfe. Halten wir uns denn auch unsererseits recht brüderlich zu Ihm und unter einander.

Zusatz: Der HErr stellt in Obigem ein gänzlich vergessenes Princip wieder her. Es ist, als sagte Er: „Weil Ich euer Einer bin, mußte und muß Ich alles für euch tun, was Ich im Stande bin, selbst mit Aufopferung Meines Leibes und Lebens.“ Von diesem Standpunkt aus ist Er unser Heiland und Seligmacher geworden; und wenn dieses Princip, daß wir uns alle als Brüder mit denselben Verpflichtungen gegen einander anzusehen hätten, unser eigenes geworden ist, dann sind wir Ihm recht. Es tut Not, daß wir uns das täglich vergegenwärtigen, weil wir uns gerne selbst gegen Nächste fremd stellen, womit wir nicht nur unser Christentum, sondern unser Menschtum verleugnen. Je mehr wir in diesem Sinne Christo ähnlich werden, desto rascher wird unsre ganze Bruderwelt, so weit sie unsere Bruderliebe annimmt, in den Schoß des Vaters zurückgeführt sein. Denn es hängt alles an dem, daß wir als wahre Menschen uns brüderlich aller annehmen lernen.

Dazu helfe uns der HErr durch Seinen heiligen Geist!

Mel. Seelenbräutigam.

Leben, das den Tod
ans aller Not
Zu erlösen, hat geschmecket,
Meine Schulden zugedecket,
Und mich aus der Not
Hat geführt zu Gott.
Glanz der Herrlichkeit!
Du bist vor der Zeit
zum Erlöser uns geschenket,
Und in unser Fleisch versenket
Nach erfüllter Zeit,
Glanz der Herrlichkeit!

Johannes 21,7

“Es ist der HErr.“

„Es ist der HErr!“ Dieses Wort kommt insbesondere zweimal, aber mit verschiedener Bedeutung, vor. Einmal in den Büchern Samuels (1 Sam. 3, 18), da der HErr zum ersten Male dem Samuel erschien, Eli’s wegen, dem ein Gericht anzukündigen war. Eli merkt es und fragt am andern Morgen: „Was hat der HErr mit dir gesprochen?“ Samuel mußte sagen: „Er hat ein schweres Gericht angekündigt über dich, deine Kinder und dein ganzes Haus.“ Dann sagt Eli: „Es ist der HErr, Er tue, was Ihm wohlgefällt.“ Da sollte Eli die strafende Hand Gottes sehen, und an dem Gericht, das über ihn kam, es merken, daß es der HErr war. Seine Ergebung kann uns wieder freuen, wiewohl er, statt sich, so zu sagen, aufzugeben, mehr auf eine Besserung der Sachen und auf ein Aufheben des Gerichts durch Besserung, wie’s mit der Vorausverkündigung gemeint war, hätte hinarbeiten sollen. - In unsrer Stelle aber fischt Petrus mit Johannes und andern Jüngern nach der Auferstehung des HErrn. Plötzlich steht der Auferstandene am Ufer und heißt sie anders das Netz auswerfen. Sie tun’s, und mit welchem Segen! Dann sagt Einer zum Andern: „Es ist der HErr!“ Denn sie hatten Ihn vorher nicht erkannt. Da war’s eine Freude, eine Erquickung, die ihnen durch alle Adern floß! Wie Petrus es hört, wirft er sich in’s Wasser und eilt an’s Ufer. Aller Jammer ist vergessen; denn es ist der HErr, den sie jetzt sehen dürfen.

In Beidem kommt der HErr oft zu uns, wenigstens im Geiste oder unsichtbar: in der Züchtigung und Strafe, wie bei Eli, und in der Gnade und Freundlichkeit, wie bei den Jüngern. Auf vielfältige Weise giebt sich der HErr zu erkennen. Lernen wir’s nur merken, wo Er ist, und daß Er es ist, in allem, was uns widerfährt. Sagen lernen: „Es ist der HErr!“ ist eine wichtige Sache. Wir würden weniger murren, wenn’s traurig hergeht, und weniger übermütig werden, wenn uns etwas gelingt, auch weniger im Zweifel sein, wenn uns eine Weisung gegeben wird, sobald wir nüchternen Geistes sagen lernten: „Es ist der HErr!“ Erinnern wir uns auch an das, wie Laban beim Besuch Eliesers zu sagen sich gedrungen fühlte: „Das kommt vom HErrn“ (1. Mos. 24, 50.)!

Möchten wir diese Lection auf heute nicht so bald vergessen! Wir können alle Tage Veranlassung bekommen, zu sagen: „Es ist der HErr!“ indem Er straft, oder tröstet, oder hilft, oder innerlich anregt, oder durch äußere Umstände warnt und den Weg zeigt. Wenn wir nur es immer zu merken Sinn und Verstand hätten, wann es der HErr ist, der mit uns redet, und wann der eigene Geist oder gar der Feind uns irre führen will!

Mel. Gott ist getreu, Sein Herz.

Gott ist getreu! Er handelt väterlich,
Und was Er tut, ist gut,
Die Trübsal auch; mein Vater bessert mich
Durch alles, was Er tut.
Die Trübsal giebt Geduld und Stärke
Zum Fleiß in jedem guten Werke.
Gott ist getreu!

Johannes 21,17

“HErr Du weißt alle Dinge, Du weißest, daß ich Dich lieb habe.“

Wer von uns mag denn etwa auch so sagen: „HErr Du weißest, daß ich Dich lieb habe?“ Wir wagen’s nicht; denn das Gefühl, wir hätten Ihn nicht lieb, will uns den Mund zu solcher Rede schließen. Wir sind aber doch, - um heute glimpflich zu reden - oft zu hart gegen uns selber, und zu unnachsichtig. Wir taxiren unsre innere Liebe zum Heiland gerne niedrig nach den allerdings unrechten Dingen, die bei uns noch vorliegen, - aber ach, wie oft wider unsern eigenen Willen! Es geht viel vor mit uns, in uns, um uns, durch uns, - wir wollen’s nicht so, und die in uns glimmende Liebe zum HErrn wünscht es anders. Haben wir deswegen den HErrn nicht lieb ? Wir dürfen es doch wohl merken, daß wir trotz aller Fehler und natürlichen Unarten den Heiland lieb haben, - wenn’s wahr ist nämlich. Petrus, der obiges Wort spricht, steht auch mit böse Gewissen da. Denn dreimal hatte er den HErrn verleugnet; -und doch beruft er sich auf das Wissen des HErrn, daß er Ihn lieb habe. Wir müssen daher nicht zu sehr an uns verzagen, wenn wir auch viel Torheit an uns erblicken, - wenn’s nur nicht Bosheit ist, - sofern wir einen Liebeszug zu unserm Heiland doch in uns entdecken. Der HErr weiß den; und der HErr wirft auch den Petrus nicht weg. Er erscheint diesem als Auferstandener, obwohl Petrus hätte denken können: „Ja, was wird denn der HErr zu mir kommen, der ich’s Ihm so gemacht habe? Zu mir wird Er zuletzt kommen“. So hätte Petrus denken können; und doch war er der Erste der Jünger, der den HErrn gesehen hat. Der HErr ist ihm besonders erschienen, gleich in den ersten Morgenstunden.

Da sehen wir’s, wie wir auf den Heiland bauen dürfen, wenn nur unser Herz richtig steht. Er sieht auch das Seufzen und Sehnen unsres Herzens und bekennt sich freundlich zu uns. Er kann sich uns nicht entziehen, sondern hat Geduld mit uns und ist langmütig. Nun, so wollen wir’s denn glauben, und auch das wichtig nehmen, daß Er alle Dinge weiß, und ich weiß, daß wir Ihn wollen, und nichts als Ihn, Ihn also lieb haben.

Mel. Wie schön leucht’t.

O JEsu, JEsu, Gottes Sohn,
Heiland auf dem Himmelsthron,
Du meine Freud’ und Wonne!
Du weißest, daß ich rede wahr. -
Vor Dir ist alles sonnenklar,
Ja klarer als die Sonne, -
Herzlich
Such’ ich
Dir vor Allen
Zu gefallen,
Nichts auf Erden
Kann und soll mir lieber werden.

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