Bezzel, Hermann - Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Luk. 17, 5.

Bezzel, Hermann - Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Luk. 17, 5.

Nach den Betrachtungen, die das ganze schwere Jahr hindurch mit Texten der hl. Schrift die Not des Krieges und den Trost Gottes uns nahe bringen wollten, erscheint es ratsam zu sein, in den Betrachtungen über den Katechismus, die wir vor länger als Jahresfrist begonnen hatten, fortzufahren. Dabei brauchen wir dem Verdacht nicht zu begegnen, als ob der Mangel an Teilnahme für das Geschick unseres Volkes uns von den Kriegsandachten in die Katechismuswahrheiten zurücktreibe. Wir glauben mitten im Kriege ein Friedenswerk zu treiben, wenn wir für die kommenden Tage uns wieder rüsten, in denen Gott das vom Kriegsungestüm unterbrochene Tagewerk uns wieder gönnt.

Wir gedenken auch fernerhin, wenn wir uns in die Tiefen der Katechismuswahrheiten mit ihrer vielerprobten Treue flüchten, unseres teuren Volkes, hier im Lande, draußen in der Ferne. Und Gott segne die schlichten Betrachtungen der Wahrheit, die wie ein gesegnetes Hausbrot die Seele sättigen und nähren will! Er lasse uns nicht mit hochmütigen Gedanken über die Katechismuswahrheiten unserer Kindheit hinweggleiten, als seien sie nur gut genug für Unmündige und Ungebildete, aber viel zu gering für die Gebildeten und Aufgeklärten! Er helfe uns dazu, daß je mehr wir des Katechismus einfache Schüler werden, wir desto mehr an Erkenntnis und Weisheit gewinnen, und lehre uns die große, herrliche Nüchternheit des evangelischen Bekenntnisses, wie es Luther uns erschloß!

Die erste Rede des Katechismus in den zehn Geboten haben wir getan und vernommen. Laßt uns heute mit dem einfachen Worte beginnen, das ein Kind spielend ausspricht und dessen Wirklichkeit den Mann alt werden läßt, ohne daß er sie erschöpft, laßt uns reden

von der Arbeit des Glaubens.

Die erste Tätigkeit in dem erwachenden Menschen, ehe er recht reden und das, was ihn bewegt, nach außen kundgeben kann, ist, daß er fühlt. Das kleinste Kind fühlt, daß die Mutterhände linder sind als jedes andern Menschen noch so weiche und gütige Hand. Das kleinste Kind merkt, daß das Lächeln der Mutter einen ganz andern Sinn hat wie das eines andern ihm noch so freundlich nahenden Menschen. Denn es ist das Lächeln des Wesens, dem es sein Leben dankt; es ist die Freude des Menschen, der nach heißer Angst und schweren Stunden ihrer aller vergißt um der Freude willen, daß ein Mensch zur Welt geboren ward (Joh. 16, 21). Das Kind merkt den Unwillen der Mutter, wenn es sich gleich noch nicht Rechenschaft darüber geben kann, wie diese Änderung auf dem Antlitz der Mutter sich abschattet und aus dem Wesen der Mutter redet. Es merkt es, denn es fühlt. Wenn aber das Kind etwas heranwächst und das unmittelbare Fühlen sich zum vermittelnden Bewußtsein hebt, dann ahnt das Kind. Es ahnt im Antlitz der Mutter eine Welt von Seligkeit und Frieden. Es ahnt aus den Tränen der Mutter eine ihm bisher verschlossene Welt des Leides und des Unguten. Es ahnt, wenn die Mutter ihm naht, daß nun Sonne und Segen zu ihm kommen, und wenn die Mutter scheidet, daß eine Freude weniger ihm nahe ist. Es ist das, wenn ich so sagen darf, ein Fühlen, welches ans Denken hingrenzt. Das Kind ahnt ein Glück, ohne zu wissen, was Glück ist. Wenn aber das Kind die Unmittelbarkeit des sich Rechenschaft gebenden Menschen aneignet, dann heißt es: das Kind denkt. In diesem Alter des Kindes werden die meisten Erziehungsfehler von unvorsichtigen und schwachen Eltern begangen. Die Reden, die die Eltern unter sich tauschen, die Urteile, die sie miteinander wechseln, prägen sich dem Kinde ein, das Kind beginnt zu denken. Es setzt sich im Unterschied zu andern, es vergleicht sich mit andern. Wird es unmäßig gelobt, so wird es hochmütig; wenn es nie Lob empfängt, wird es kleinmütig. Wenn der Tadel nicht im Verhältnis steht zu der Tat, so wird es trotzig; wenn das Lob nicht dem entspricht, dem es gelten soll, so wird es stolz und übermütig. Wenn es merkt, daß die Wahrheit ihm schadet, so wird es verschlossen; wenn es sich bewußt wird, daß Zärtlichkeit ihm nützt, wird es schmeichlerisch; gewinnt es den Eindruck, daß diese und jene Rede es interessant macht, so wird es eitel. Wie viele Eltern haben, indem sie ihr Kind über Gebühr lobten, aus dem Gottesgedanken eine Karikatur gemacht, die später wie ein trüber, schwerer Nebel auf dem Haus und dem Herzen der Eltern lastete. Das Kind, das frühzeitig angeleitet wurde, seine Gaben zu zeigen, mit seinen Künsten zu prunken, wird im späteren Leben tapfer Rollen spielen und wird nie mehr sein selbst sein. Der Mensch denkt und je mehr er denkt, desto stürmischer pochen an das bisher gewahrte und befestigte Herz die Zweifel. Sobald das Kind denkt, beginnt es zu zerstören. Ihr wißt es alle, die ihr Kinder kennt, wie eine der ersten Tätigkeiten des Selbstbewußtseins der Zerstörungstrieb ist; wie das Kind, um hinter Dinge zu kommen alles vernichtet und so selbstständig werden will. Dann kommen sie Zweifel. Bisher hat das Kind gebetet, weil die Mutter es lehrte, vielleicht ihm, wen es eine rechte Mutter war, nie den Abendgruss bot, ehe es gebetet hatte. Bisher hat das Kind gelernt, mit jemand zu reden, den es nie gesehen hatte, von dem es nur sehr viel hörte. Und nun beginnt es auch dieses Gut zu zerstören: Wo ist der, den ich nie gesehen habe? Wer ist der, den mein Auge nie erblickt? Wie ist der, von dem ich so viel hörte? Aus dem scheinbar geistreichen oder, wie man töricht sagt, unschuldigen Fragen schaut langsam der Zweifel heraus: Sollte Gott gesagt haben? (1. Mos. 3,1). Wer ist der Gott, des Stimme ich hören soll? (2. Mos. 5,2). Und wenn das Denken mit dem Zweifel sich verbindet, dann kommt es zu einem der unseligsten Worte, das doch so oft gebraucht wird: ich meine. Und während noch vor wenigen Jahren das Kind ahnte, meint jetzt die heranwachsende Jugend und legt sich das Bild zurecht, woran der Mann sich müde glaubte, um nie fertig zu werden. Wenn das alles überwunden ist, wenn aus dem Zustand des Ahnens und der Willigkeit des Denkens und der Unrast des Meinens eine Umkehr stattgefunden hat, dann taucht allmählich die Kraft auf, die zwar noch nicht die größte, aber der größten eine ist: ich glaube. Ich glaube, daß dies so ist, nicht: ich weiß es; denn das, was ich nicht sehe, kann ich nicht wissen. Aber ich will es glauben.

Ist das das Höchste? – Wenn wir sprechen: ich glaube, daß ein Gott ist, so treten wir freilich aus der Welt der Ungewißheit auf den festen Grund der Geschichte, aus der Welt des tastenden Ahnend und des Fühlens in eine Welt, die wir weder beweisen noch bestreiten können. Wir glauben, daß ein Gott sei, aber das Herz ist bei diesem Glauben unbeteiligt. Es ist eine kühle, uninteressierte Verstandestätigkeit, welche unter vielen Möglichkeiten eine der Wahrscheinlichkeit nahe erwählt. Und nun, mein Christ, höre das Wort, das alles übersteigt, was bisher mit bescheidenen Strichen dir vorgezeichnet wurde, das Wort, das so kraftvoll in diese Welt der Unklarheiten hereinragt! Höre das Wort, in dem die höchste Kraft des Mannes mit der unmittelbaren Abhängigkeit des Kindes sich verbindet: Ich glaube an! Ich glaube zunächst an den Menschen, dann an mich, dann an etwas, das über mir und allen Menschen steht.

An Menschen glauben ist schwerer als an Gott glauben. Ich glaube an Menschen nicht: ich glaube den Menschen, ich traue ihnen, weil ich sie treu erfunden habe. Das letztere ist kein Glaube, das ist Fühlen, das ist Wissen, ein innerliches Überzeugtsein auf Grund ganz bestimmter Proben und Erlebnisse. Aber an Menschen glauben, wenn man so viel Schweres in und unter den Menschen erfahren muß, das ist eine Kraft des Willens, die nicht auf Erfahrung gründet, was sie glaubt, sondern es auf Erfahrung erst anlegt. Ich glaube an Menschen, das setzt eine solche Fülle von Willenskraft in Bewegung, daß man sich sagt: und wenn alle Berechnungen, die ich mit diesem Menschen anstelle, fehlschlagen und alle Erfahrungen, die ich mit ihm machen muß, mich täuschen, so will ich doch glauben, daß im tiefsten Grunde er es recht meint. Nicht: ich glaube ihm, sondern: ich glaube an ihn, obwohl ich ihm nicht glaube.

Ich glaube an mich. Die meisten unter uns werden sagen: das ist ein leichtes Ding, an sich zu glauben. Als ob nicht der Mensch sich selbst das größte Rätsel wäre und das Menschenherz ein trotziges und verzagtes Ding (Jer. 17, 9), ein Abgrund, aus dem Gedanken heraufsteigen, die nur Einer wissen muß und keiner wissen darf. Als ob das Menschenherz nicht ein unruhvoll bewegtes Meer wäre, in dessen tiefstem Grund Geheimnisse wohnen, die dem nur kund sind, der das Meer in seinem Wesen beschloß. Je älter ein Mensch wird, desto mehr wundert er sich über sich selbst: das hätte ich nie von mir gedacht und nie von mir erwartet. Die meisten Menschen kommen deshalb so leicht durchs Leben, weil sie nie Zeit haben, sich mit ihrem Innern zu beschäftigen. Sie kennen sich nicht und lernen sich erst kennen, wenn es zu spät ist, nämlich in der Stunde, da alle Schleier zerreißen und die Rollen ausgespielt sind, die Seele allein mit sich ist und an sich denken muß. Die meisten Menschen tändeln durch das Leben, weil das Leben ihnen nur eine Summe von Abwechslungen und nicht eine Summe von Pflichten ist. Wer aber den Mut hat, sich mit sich selbst in rechter Weise zu beschäftigen, der ist gezwungen an sich zu glauben, soll er nicht an sich verzweifeln, so gewiß er geneigt ist, sich mit Geduld zu tragen. Du kannst einen jeden Menschen leichter tragen als dich, wenn du es ernst nimmst. Wenn du freilich in dich verliebt bist, kannst du dich leicht tragen; dann stören dich die Sandkörner im Wesen deines Nächsten ebenso sehr, als dich deine Bergeslasten von Unarten unangefochten lassen; dann ärgerst du dich des Splitters in deines Bruders Auge deswegen, weil du des Balkens in deinem Auge nicht gewahr wirst (Matth. 7, 3). Je mehr der Mensch sich mit sich selbst in rechter Weise beschäftigt, desto mehr Geduld muß er mit sich tragen: ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? (Röm. 7, 24). Jeden Morgen die gleiche Last und jeden Abend das gleiche Schuldbewußtsein, und Jahr um Jahr nicht mit sich fertig werden und immer wieder unter sich leiden und unter sich dulden! Da müßte der Mensch an sich verzweifeln! Doch – er lernt an sich glauben. Denn hinter dieser schweren Last hat einer Stellung genommen, der der Menschheit ganzen Jammer auf sich gezogen und an sich getragen hat, und spricht: Werde nicht müde; denn ich bin mit dir; fürchte dich nicht; denn ich habe dich erlöst! (Jes. 43, 1).

Dann tritt die Kraft ein, welche in zwei schlichten Buchstaben, in einem armen Wort, die höchste Willensfülle und die höchste Lebenskraft und die Ewigkeitsgrösse in sich schließt: ich glaube an. Ich glaube an Gott! Das spricht sich aus so leichthin und so schnell und ist doch das Werk einer täglichen Willenshingabe, eines alle Ohnmacht des Lebens eingestehenden Ernstes und einer über alle Ohnmacht reichenden Hoffnung auf die Allmacht. Das ist das Ergebnis eines auf allen Linien des Lebens gleichmäßig eingetretenen Waltens Gottes: was mir Gewinn war, ist mir Schaden geworden (Phil. 3, 7), und woran mein Herz hing, das hat mich getäuscht. Ich suchte Weisheit und sie hat mich betrogen. Ich begehrte Frieden und er mied mich. Ich verlangte Ruhe und als ich hinkam, war sie eben weggegangen. Ich baute und der nächste Sturmhauch riß es ein. Ich riß ein und der nächste Tag baute wieder auf. Ich begrub meine Toten und der Hauch des Heiligen ließ sie lebendig werden. Ich suchte mir Erfahrungen zu sammeln, da kam das unerfahrene Widerfahrnis und alles, was ich gesammelt hatte, ward zerstreut. Ich hing mein Herz an die Erscheinung der Dinge und wurde gewahr, daß die Erscheinung trügt, und hinter die Dinge kam ich nicht. Und wenn ich mich ihnen näherte, warfen sie die Schleier über sich und ich blieb allein. So geht es durch das Leben des Menschen als eine vollkommene Zerstörung aller Werte. Ich sah an alles, was unter der Sonne geschieht, und siehe da, es war lauter Eitelkeit (Pred. Sal. 1, 14). Da tastet die Hand, die so oft nach einem Schatten gehascht hat, und müde am Körper herabsank, ein letztes Mal und findet eine ihr begegnende Hand, die zitternde eine starke, die tastende eine gewisse, die schwache und welke eine lebensfrische und lebenskräftige. Und die zitternde legt sich in die starke und durch die Seele geht es wie ein ungeahntes Glück: ich glaube an Gott!

Es ist alles zerfallen und der irre, müde, an Enttäuschung kranke Geist irrt durch die Trümmer. Und auf diesem Irrweg, der als einzige Lust die Träne hat, begegnet der schweifenden, eilenden und zweifelnden und der Verzweiflung sich nahenden Seele Einer, der über Trümmern sein Reich gebaut und über aller irdischen Vergänglichkeit seine ewige Gewalt erhöht hat, und spricht: Ich bin es! Alle andern Dinge und alle andern Wirklichkeiten, die ein Ich heißen, versinken in den Zustand des Nichtseins. Du aber bleibest, wie du bist (Ps. 102, 28). – Und wenn diese Begegnung das ganze Herz erwärmt, daß das kalte, starre, entkräftete und arme Menschenleben noch einmal zu hoffen wagt, und das Wunder geschieht, daß am dürren Strauch der Frühling noch eine knospe erweckt, so heißt das: ich glaube. Und wenn der Mensch an sich selbst verzweifelt, weil das Erträgnis seines Denkens ist: ich weiß, daß ich nichts weiß! Und das Ergebnis seines Forschens: das ist alles eitel Mühe (Jes. 41, 29) und Jammer! Und die Summe seiner Arbeit: Erde zur Erde (1. Mos. 3, 19), Asche zu Asche, Staub zum Staube! Dann tritt ihm Einer entgegen und spricht: Ich lebe und du sollst auch leben! (Jos. 14, 19). Und indem sich in die fast leblose, verstorbene Daseinsgestalt Lebenskraft eindrängt, heißt es: der Mensch glaubt.

Ja, mein Christ, es müssen alle diese Stadien, in der oder jener Folge, wohl auch in wirrem Durcheinander erlebt sein, bis endlich der Mensch auf dem Einen ruht, was ihm nicht Ruhe, aber Frieden gibt: ich glaube an Gott. So reichst du mir deine Hand in Wort und Sakrament, und ich reiche dir meine Hand im Glauben, dann kann uns niemand scheiden.

So ist es: dann kann uns niemand scheiden! Denn der Glaube des ärmsten Kindes, das mit Tränen im Auge, wenn es ins Waisenhaus kommt und die Türen des Vaterhauses sich hinter ihm schließen, spricht: Vater und Mutter haben mich verlassen, aber der Herr nimmt mich auf! (Ps. 27, 10) ist eine Heldentat, vor der all die kriegerischen Taten, so hoch wir sie auch werten, verblassen. Dies Kind hat den Mut gewonnen, der Wirklichkeit ins Angesicht zu schlagen und zu sprechen: Aber der Herr nimmt mich auf!

Und wenn ein armes Weib, vielfach betrogen von dem Manne seiner Jugend und seiner Liebe, noch für ihn betet und für ihn hofft, obgleich all sein Hoffen zuschanden ward, weil es den kennt, der die Herzen der Menschen kennt und wendet, so ist das ein Sieg, vor dem die Siege, die größten Siege jetzt, zerwehen. Ich sage nicht, daß jeder willensstarke Mensch glaubt, aber darauf bestehe ich, daß jeder gläubige Mensch willensstark ist.

Ich glaube! Es kommen Stunden, wo alles entfällt, und wo es uns eine Wohltat wäre, wenn uns jemand beweisen könnte, daß das, was wir glauben, nichts ist. Denn dann hätten wir keine Verantwortung mehr und keine Rechenschaft und mit dem Tod wäre es vorüber. Es kommen Stunden, in den alle Glaubens- nicht -sätze, nicht -lehren – davon redet der Christ nicht – sondern alle Glaubensgrössen versinken. In diesen Stunden schenkt Gott – und das ist eine besondere Zartheit von ihm – manchmal auch das Gefühl seiner Nähe, ein Gefühl, auf das man nicht Häuser bauen, aber auf das hin man wieder ein wenig aufatmen kann. Er schenkt manchmal einen Vorgeschmack künftiger Herrlichkeit, mit dem ich niemand trösten wollte, aber wer ihn erfahren hat, der bewahre ihn als eine Freundlichkeit Gottes und genieße seiner! – Und es kommen andere Stunden, wo man etwas ahnt davon, daß nach dieser Zeit etwas Höheres kommt, so wie es wohl der Dichter beim Anblick der Wolkenberge meint: „Liegt wohl zwischen jenen mein ersehntes Ruhetal?“ Wenn jetzt die Blätter fallen und alles in uns gegen den Herbst protestiert, weil wir merken, daß wir nicht für den Herbst, sondern fürs Leben geschaffen sind, so zeigt das eine Ahnung, die Gott uns gönnt. – Und wenn du aus den Lebensbildern teurer Menschen die Größe des Glaubenslebens ein wenig kennst, so vergleichst du, wie reich jene waren, wie arm du bist, und warum ein Lazarus so froh und der reiche Mann so leidvoll war. Und du machst dir Gedanken. So hat Gott mancherlei Weisen, aber es sind doch alles nur Vorstufen. Das, was er, nicht seinen Lieblingen – denn Gott hat keine Lieblinge – sondern denen schenkt, die ihn lieb haben, obwohl sie ihn nicht schauen, das ist der Glaube.

Wie entsteht nun der Glaube? Kein Mensch kann ihn sich selbst geben und kein Mensch kann ihn dem andern leihen. Der Glaube ist ein freies Geschenk der Gnade, das zu geben sie sich gleichwohl verpflichtet hat. Du kannst dir den Glauben nicht geben, und wenn du mit vieler Mühe in die Erde hinabführest, und mit viel Anstrengung in den Himmel stiegest (Röm. 10, 6-7). Und wenn du alles wüßtest, und alles erkenntest und alles enträtseln würdest, das wäre dennoch kein Glaube. Und wenn du Glauben hast und möchtest einen Menschen, den du liebst mehr wie die selbst, gläubig wissen und gläubig machen, ihm deinen Glauben nur auf einen Tag leihen, du kannst es nicht.

Der Glaube ist die große Freundlichkeit der Gottessonne, mit der sie alles, was zur Sonne will, hervorlockt. Blick empor, damit ich hinabsehe; blick hinan, damit ich dich erblicke! Es geschieht der erste Schritt des Glaubens nie von unten nach oben, sondern immer von oben nach unten: Es bricht mir das Herz über dir, daß ich mich deiner erbarmen muß (Jes. 31, 20). So weckt Gott im Menschen die wunderbare Gewalt des Verlangens: Herr, daß ich glauben könnte! Und das Gebet: Stärke meinen Glauben! (Lk. 17, 5) und das andere: Hilf meinem Unglauben! (Mk. 9, 24). Und auf einmal steht der Mensch in einer ganz andern Welt als der, der er angehört. Er steht in der Welt des Unsichtbaren und bewegt sich in ihr weit sicherer, als er sich je in der Welt der Sichtbarkeit bewegen konnte und wollte. Er findet da, wo andere Grundlosigkeit fürchten, einen Grund, der seinen Anker ewig hält; denn er glaubt.

Ist jemand unter euch, der bloß darum geglaubt hat, weil es mit zur anständigen Erziehung gehört, weil es von Vater und Mutter uns ererbt ist, weil das Kirchengehen noch nicht direkt unfein ist? Ist jemand unter euch, der sich überhaupt noch gar nicht besonnen hat, was man und wie man glaubt, der werfe den ganzen Wust – aber versteht mich recht! – von Kirchenlehren und Kirchensatzungen und Offenbarung weg und habe den Mut, einmal in den Abgrund hinabzublicken, in den er versinkt, wenn ihm Gott nicht hilft! Der werfe weg, was er erlernt hat, und beginne von vorne, vor allem zu beten: Hilf mir, daß ich glaube!

Niemand gibt mir den Glauben als der, der den Weg zu mir gefunden hat, damit ich ihn zu ihm finde, als der, der sich aufmachte, ehe der Sohn zum Vater ging, damit der Sohn des Vaters nicht verfehle.

So ist der Glaube ein freies Geschenk Gottes, das er jeden gibt, der ihn bittet, und das er keinem aufdrängt, der es nicht will. Wer aber weiß, daß der Glaube die freieste Tat des Lebens ist, zu der mich niemand zwingt, mit der Gott mich beglückt, der läßt nicht mehr vom Glauben, spricht nicht mehr: ich glaube, sondern ich weiß. Denn das ist die Probe darauf, ob du wirklich glaubst, daß du sagen kannst: Und wenn die Welt spricht: nein! Dein Wort soll mir gewisser sein und läßt mir gar nicht grauen! – Das ist des Glaubens Kraft, daß er dem Hohn der Hölle: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? (Hiob 29), dem Spott der Welt: Wo ist nun dein Gott? (Ps. 42, 11), dem Zweifel des Herzens: der Herr hat mich vergessen! (Jes. 49, 14) kühn und getrost entgegensetzt: Dennoch bleib ich stets an dir! (Ps. 73, 23). Amen.

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