Beck, Johann Tobias - Der Lebens-Hirte.

Beck, Johann Tobias - Der Lebens-Hirte.

Predigt am Sonntag Quasimodogeniti.

Joh. 10, 11-18.
Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen. Ich bin ein guter Hirte. Ein guter Hirte läßt sein Leben für die Schafe. Ein Miethling aber, der nicht Hirte ist, deß die Schafe nicht eigen sind, siehst den Wolf kommen, und verläßt die Schafe, und fliehet; und der Wolf erhaschet und zerstreuet die Schafe. Der Miethling aber fliehet; denn er ist ein Miethling, und achtet der Schafe nicht. Ich bin ein guter Hirte, und erkenne die Meinen, und bin bekannt den Meinen; wie mich mein Vater kennet, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und dieselben muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird Eine Heerde und Ein Hirte werden. Darum liebet mich mein Vater, daß ich mein Leben lasse, auf daß ich es wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe es Macht zu lassen, und habe es Macht wieder zu nehmen. Solches Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.

Ein schweres Gebot hatte Jesus Christus von seinem Vater empfangen: Er sollte sein Leben lassen wie Sünder, und konnte doch wie Keiner sonst zu sich selber sagen: „du verdienst zu leben - du mußt nicht sterben, wenn du nicht willst.“ Nicht wie uns war der Tod Ihm angeboren; nicht etwas Natürliches, wie für sterbliche Sünder, sondern das Unnatürlichste, das es geben kann, war das Sterben für Ihn, der durch und durch heilig war, und das Leben in sich trug als freie Habe und Macht. Und doch entäußert Er sich seiner Lebensmacht im Fleisch, stirbt, so schwer das für Ihn war, den Tod der Sünder, nur weil es seines Vaters Gebot war, daß Er durch die heilige Kraft seines Lebens die Todesmacht sollte brechen, und der zerfallenen Welt wieder das Leben geben.

Wie ein leichtes Gebot haben dagegen wir empfangen, G.! Wir sollen nur suchen und nehmen von Christus, und was? Leben und volle Genüge für uns. Und doch, so wenig dieß besondere Schwierigkeiten hat, nicht einmal so viele, als für Manche der Erwerb ihres täglichen Brods, obgleich unsere ganze Natur nach Leben und Genüge dürstet mitten in Hülle und Fülle - dennoch müssen erst Jahre darüber hingehen, bis wir nur fragen nach dem Leben in Christus! nirgends bringt das Menschenherz mehr „Aber“, mehr „Wenn“ und „Wenn nicht“ vor, als gegen das Wort des Lebens! alle anderen Worte nehmen die Menschen leichtgläubiger an als die der heiligen Schrift! kein Buch wird so verdächtig in die Hand genommen und von allen Seiten beargwöhnt, als das heilige Buch der Bücher! zehn Mal wird einem Menschenmund, der uns zehn Mal schon irre geführt und betrogen hat, immer wieder geglaubt, und zehn Mal bewiesen, daß er trotz seiner Fehler und Irrthümer noch Glauben verdiene, bis dasselbe Einmal geschieht bei Christus, in deß Mund kein Irrthum und Betrug ist entdeckt worden weder von Freund noch Feind! O wir verkehrten Geschöpfe!

Wer nun aber Ohren hat zu hören, und ein Herz, an göttliche Gnade und Wahrheit zu glauben, der höre und beherzige es: der HErr vom Himmel ist gekommen in der Macht seines Lebens, nicht daß Er Krieg führe mit uns armen, sterblichen Sündern, sondern daß Er das Leben uns gebe und volle Genüge. Er kam, wartete nicht, bis wir kämen aus unsern Irrwegen heraus und Ihn fänden droben, wo Er ist, ehe der Welt Grund gelegt ward; Er kam und ging mitten hindurch durch unser Todeswesen als Fürst des Lebens, als Ueberwinder des Todes und der Hölle, ist aber nicht hinweggegangen, daß nun Jeder von uns müßte zusehen, wie er Ihm möge nachkommen - nein. Er kommt noch durch sein Wort und seinen Geist, ruft heute noch zum ewigen Frieden, und die sich berufen lassen durch Ihn, die zieht Er in der Kraft seines Geistes aus dem Tode heraus in's Leben, bringt das Himmelreich den geistig Armen, Tröstung den Leidtragenden, Gottes Lohn den Verfolgten, Sättigung den Hungernden, Gnade den Verdammten.

Fragst du, „kommt Er zu mir auch? ruft Er auch mich?“ - wie magst du zweifeln! Sein Werk ist, Allen zu helfen, die sich helfen lassen wollen. Sagt Er nicht zu dem erwählten Israel: „es sind außer euch noch Andere, die muß ich auch herführen! auch sie sollen meine Stimme hören, daß Eine Heerde werde und Ein Hirte.“ Und haben wir nicht eben jetzt seine Stimme gehört? werden wir nicht von Kindheit an herzugeführt zum Hirten und Bischof unsrer Seelen? sammelt Er uns nicht sonntäglich aus den Irren dieser Welt und will uns täglich sammeln um seines Wortes Licht; und die sein Wort in sich nehmen und bewahren mit redlicher Seele, zeigt sich's nicht jetzt noch an Solchen, daß Er ihnen gibt von seinem Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht? Fehlt's also an Ihm oder fehlt es an mir, wenn ich in der Irre bleibe und nicht zum vollgenügenden Leben komme? wird auf Ihn einmal die Schuld fallen, daß Menschenseelen verloren gehen?

Und wie sehr macht Er sich's zur Aufgabe, zu sich zu ziehen Alle, die mit Liebe noch sich wollen ziehen lassen! In vielfachen Bildern und Gleichnissen versucht Er es, unsern Herzen sich theuer und werth zu machen, auch Unmündigen es zu fühlen zu geben, wie wohl Er es meine, wie besorgt Er sei für unsere Wohlfahrt. Himmel und Erde, darf man sagen, durchsucht Er nach Gleichnissen für sich und sein Himmelreich, und genau genommen ist Er mit Nichts zu vergleichen - denn Er ist über Alles, was genannt mag werden! Aber Er sucht nicht seine Ehre, sondern steigt herab zu uns, damit Er zu sich uns hinaufziehe. So ist Ihm denn kein Bild zu gering, das einfach einem einfachen Herzen es darlegt, was Er uns sei und gebe; auch das Bild eines Hirten verschmäht Er nicht, wenn es nur dazu dient, seine Liebe zu predigen jedem Menschenkind, Seelen zu gewinnen, deren Sinn nicht verdreht und verkünstelt ist.

Der Eingeborne des lebendigen Gottes, der Ursprung aller Creatur, schämt Er sich nicht, ein Hirte zu heißen - aber unter uns, die wir Asche und Staub sind, gibt es Leute, die es verdrießt, sich und ihre Brüder verglichen zu sehen mit einer Heerde, die Gott der HErr selbst weide. Mit Löwen, Bären und Adlern, mit Raubthieren ließen sie lieber sich vergleichen in ihrem Stolze als mit Lämmern, welche die Stimme ihres himmlischen Hirten hören; denn um des Menschen Herz ist es ein trotzig Ding, so lange es nämlich wähnt, seinen Trotz hinausführen zu können. Mit vollem Mund auf Menschenkraft und Menschenkunst Lob- und Preis-Reden zu halten, den Himmel mit seinen Lichtern, die Erde mit ihren Kräften und Schätzen als eine Fabrik anzusehen, die nur für unsere Rechnung arbeite, große Namen sich zu geben und Titel zu führen - davon träumt das Menschenherz, und darum wetteifern die Zungen.

Jesus Christus dagegen, welch' größere, glänzendere Namen als den eines Hirten hätte Er sich mögen geben, und Er hätte doch nicht zu viel gesagt. Kurzweg hätte er können sprechen: „euer Aller souveräner Herr und Eigenthümer bin ich, und Kraft göttlichen Rechts gebührt mir die höchste Majestät unter euch; ihr müßt Alles thun, was Ich euch befehle, müßt mir Alles geben, was ich fordere, denn - mein seid ihr mit Allem, was ihr habt.“ Er hätte sagen können: „um keine Creatur, weder im Himmel noch auf Erden, habe ich mich zu kümmern, kann ganz mir selbst leben! Gelüstet es Einen, wider meinen Stachel zu lecken: meines allmächtigen Armes Schwere soll er behende zu fühlen bekommen und erfahren, ob er mir zu dienen hat oder ich ihm.“ Aber nicht also spricht der HErr, vielmehr: „ich bin nicht gekommen, daß ich mir dienen lasse, sondern daß ich Andern diene, und gebe mein Leben zur Erlösung; nicht Menschenseelen zu verderben, sondern zu retten, das Verirrte zu suchen, und selig zu machen, was verloren ist, ist jetzt mein Wille und Werk.“ So redet Er, und kein Mensch konnte das erwarten, vielweniger fordern; denn auch wenn er unser Elend ansah, konnte Er sagen zu uns: „was soll ich mich plagen mit euch, die ihr nimmer das Rechte wollt, euer jämmerliches Scheinleben lieber habt als das wahre Leben in Gott! bin ich doch das Licht, das Allen, die in diese Welt kommen, zum Voraus seine Leuchte mitgibt: warum stellt ihr dieselbe unter den Scheffel? warum gebraucht ihr euern Verstand und Gewissen nicht, eure hochgerühmten Geisteskräfte, daß ihr das Leben damit findet? seid ihr nicht aus meines Vaters Hand hervorgegangen als geborene Herren der Welt, warum wollt ihr lieber ihre dienstwilligen Knechte sein? haben wir nicht Lehrer und Propheten euch erweckt, warum folgt ihr ihrem Wort nicht und schaffet eure Seligkeit? Wollt ihr mit aller Gewalt auf Fleisch säen und Verderben ernten - was schadet das mir? bin ich doch ohne euch selig in Mitte anbetender Heerschaaren, kann warten, bis ihr zu mir kommt, und wer nicht will kommen, auch dem Trotzigsten beug' ich die Kniee; denn in meiner Hand sind eure Seelen und Leiber - ich bin der König der Könige, der Fürst aller Welten und Creaturen!“

So dürfte Er mit uns reden, der HErr, und Keinem von uns stände eine Klage zu, als geschähe uns Unrecht - aber wie anders redet Er uns an das Herz: „ich bin kommen zu euch Menschen, daß ihr Leben mögt haben und volle Genüge; ich bin ein guter Hirte, und lasse mein Leben für meine Schafe: Niemand nimmt es mir, aber ich lasse es von mir selber!“

Der also die Sterne über uns, Millionen Welten mit Namen ruft und herausführt, der will uns weiden wie ein Hirte seine Heerde. Der spricht, und es geschieht, gebietet, und es steht da, winket, und Legionen Engel stehen Ihm zu Dienst: der duldet das Widersprechen, das hochmüthig-thörichte und undankbare Widersprechen der Sünder, bittet um Einlaß in dein Herz, will die Verirrten wiederbringen, die Verwundeten verbinden, die Schwachen warten; in dem und durch den Gott Alles geschaffen hat, was im Himmel und auf Erden ist, dem du und ich und wir Alle unser Leben schuldig sind, der läßt sein Leben für uns, auf daß Er die abgefallene und zerfallene Erde wieder versöhne mit dem Himmel, und der Welt das Leben gebe! Brennt dir nicht das Herz darob? erkennst du nicht die Leutseligkeit Gottes deines Heilandes? spricht es deine Seele nicht aus, jenes Wort voll süßer Ruh: „HErr, mein Hirt, Quell aller Freuden - du bist mein, ich bin dein, Niemand soll uns scheiden!“

Hirten, die eigennützig über uns zu herrschen bereit sind, damit sie die Wolle bekommen, die Gesetze uns aufladen, um mit keinem Finger sie anzurühren, zweideutig uns Gutes anbieten, um sich selbst damit es besser zu machen - solche Hirten sind nicht schwer aufzutreiben. Nur Einen aber gibt's, der für sich selbst das schwerste Theil erwählt, um uns das Joch abzunehmen, der einen Himmel verläßt und das irdische Jammerthal durchwandert, um uns ein Paradies zu öffnen; der in allen Theilen das Gesetz erfüllt, um zu Erben Gottes uns einzusetzen - der Art Freund lebt nur Einer, jener Mann, der „mit blut'gem Schweiß und Todesgrauen auf sein Antlitz niedersank, und den Kelch des Vaters trank.“

Ein falscher Freund, spricht Salomo, ist schlimmer als ein Todfeind. Ein solcher Freund ist die Welt, die Mutter der Sünde, seit sie getraut ist mit ihrem Fürsten, dem Vater der Sünde. Freundlich stellt sie sich an gegen Jeden von uns, reizt und lockt mit allerlei Schein und Kunst, die Lüste in uns zu erregen, verheißt Ehre, Freude und Reichthum, wenn man gut in ihr sich umtreibe, als wäre da Nichts zu verlieren, baarer Gewinn - und was gibt dir die Lügnerin? was ist der Gewinn? siehe, in vier Brettern eines Sarges geht der ganze Schatz zusammen, Würmer und Motten mästen sich daran! eine gemeine Wahrheit, aber auch eine beherzigte? Und geht Nichts verloren? Gewiß: Seele verloren, Alles verloren! Drum Seele prüfe diese Zeit, das unbeständige Wesen dieser Welt - wer heute wohl noch fährt, ist morgen todt - hat er kein ewig Vaterland: weh' ihm, wozu hat er sein Herz beschwert!

Nicht umsonst ruft daher jene Stimme vom Himmel: „gehet aus von ihr mein Volk, daß ihr nicht theilhaftig werdet ihrer Sünden, auf daß ihr nicht empfahet von ihren Plagen“ (Offenb. 18, 4.). Allein diese Welt ist eine „ausstudirte Heuchlerin“; sie

- hüllt in der Tugend Schein
meist ihre Sünden künstlich ein,
preist den Genuß des Lebens an,
schilt Frömmigkeit für finstern Wahn;
ihr Weg ist lustig, breit und voll:
sie locket, daß man folgen soll.

So suchen denn nur zu Viele von uns Leben und Genüge bei der Welt, und nicht bei Jesus Christus, halten sich, so wie sie sind, für rechtschaffen genug, um des Himmels gewiß zu sein, und suchen, so weit sie eben können, in der Welt ihr Gutes dahinzunehmen - endlich kommt der Tod, macht ein finsteres, hartes Gesicht, und das Gewissen läßt wohl auch seinen Hammer losschlagen. Da nun rufst du umsonst nach der alten Freundin, dieser Welt; in deine welke Hand legt sie die ihre nicht mehr, für dein brechendes Herz gibt all' ihre Weisheit, Kunst und Pracht keinerlei Trost mehr; umsonst zählst du das Geld, wozu sie dir verholfen, umsonst die Schmuck- und Ehren-Kleider, womit sie lange genug dir Kopf und Herz verrückte, umsonst die genossenen Freuden, womit sie an ihr Joch dich fesselte: das Alles sind nun stechende, nagende Würmer an deinem Herzen, und die Habe alle - nimmt die ungetreue Freundin zurück. Und nun hinüber vor Gott mit der strengen, genauen Waage, mit dem flammenden Richter-Auge, vor dem keine Heuchelei und Verstellung, auch kein verstelltes Christenthum besteht: in die eine Schaale all' das Gute, das du hier empfangen hast, und das noch größere, das du hättest empfangen können, wenn du gewollt hättest; in die andere, was du Gott dafür geben solltest, die dankbare Liebe des Herzens, Mühe und Ringen um Gottes Reich, Verläugnung der Welt, Uebung in der Gottseligkeit: hier aber fehlt's: hier sind lauter Schulden, und so das Urtheil: „Mensch, du hast bei Leibesleben dein Gutes genossen; darum bleibt Nichts als Pein für dich übrig.“ Sieh', denn

die Welt ist einen Augenblick
vorbei mit ihrer Freude:
die Sünden sind der Seele Strick,
und fesseln ewig sie dem Leide - ist Welt und Freude nun vorüber:
gebund'ner, armer Geist, was hättest du dann lieber?!

Der Wolf also, der unsrer so Viele erhascht und zerstreut, ist die Welt mit ihren glänzenden Sunden, mit ihrer Scheingerechtigkeit und ihrem Schein-Christenthum, womit sie uns einschläfert, daß wir die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, das Leben in Christus und in seinem Geist nicht ergreifen; die Welt ist's mit ihren Schein-Gütern und Freuden, womit sie unsre Seele kettet an das, was hier unten ist, und um die himmlischen Güter betrügt, um ihr eigentliches Leben bringt.

Hin denn zum treuen Hirten, welcher den Wolf, die seelen-mörderische Welt, auch im Schafskleid wohl kennt, und nicht vor ihm flieht, der sein Leben zur Erlösung gab für Viele. Folge seinem Wort, wie ein Lamm seinem Hirten folgt - das wird deine Seele bewahren und reinigen von der Befleckung der Welt; höre seine Stimme, mit der Er dir ruft, seit du irre gehst - Er wird dich leiten und weiden auf den Auen seines himmlischen Vaters.

„Ich kenne die Meinen und bin bekannt den Meinen!“ Wie sehr auch hier die Menschen unter einander gemischt sind und sich verstellen: sein Auge findet die wohl heraus, die trachten nach dem, das der Welt ist, oder die suchen, was Gottes ist. Wie auch die Welt es versucht, zu täuschen mit künstlichen Reden, und selbst das Christenthum zu verfälschen; wie sehr in dieser Zeit selbst frommer Schein durch lautes HErr HErr sagen vorüberführt an der wahren Bekehrung zum Hirten und Bischof unsrer Seelen: das wird dich nicht irre führen, wenn du nur die ächte Hirtenstimme in ihrer Wahrheit und Lauterkeit immer genauer dir bekannt machst aus dem Evangelium, und immer weiteren Grund und Raum sie finden lässest im Heiligthum deines Gewissens; du wirst die Stimme des Erzhirten erkennen gegenüber dem verwirrten Geschrei der Diebe und Miethlinge, die der Seele nicht achten und sie dahin lassen fahren in's Verderben; das Zeugniß wird nicht verstummen in deinem Herzen: vergiß, vergiß doch ja der Hirtentreue Jesu nicht.

Und warum, G., sollten wir denn nicht mit allen Kräften an Ihn uns hängen, der Leben uns darbeut und volle Genüge? was ist, das der Mensch, der noch Besinnung hat, mehr muß fürchten, als den Tod? den Tod, der nicht abgethan ist mit dem Sterben hier, sondern zum ewigen Sterben wird, wenn es den natürlichen Weg geht! Was ist die große Plage auf Erden, als daß das Herz nirgends kann Genüge finden? was ist's, das uns zu immer neuen Sünden verleitet, als weil wir meynen, wenn wir dieß oder das thun, sey es auch nicht ganz recht, würden wir doch in diesem, jenem Stück das Leben uns besser machen, den Hunger stillen und zufrieden werden. Schon unsre ersten Eltern gelüsteten nur darum nach dem verbotenen Baum und griffen nach ihm, weil sie damit glaubten glücklicher, herrlicher zu werden - aber von da an sind auch Disteln und Dornen, Kummer und Sorge auf unserm Lebensweg, und sein Ende bitteres Sterben, ohne daß das Herz je das Seine hätte gefunden. So geht es nun fort in der Welt seit Tausenden von Jahren, und wir, auf welche das Ende der Welt ist kommen, sind um Nichts klüger geworden: wir glauben immer noch den Lügen der Lüste, hängen uns Jahre, zum Theil Lebenslang an die Lügenreize des fleischlichen Lebens, obgleich, seit es Menschen gibt, noch Keinem auf diesem Weg es geglückt ist; obgleich so viele Salomone schon es predigten. Alles sey da eitel und am Ende Jammer, und jedes Sterbebett es bezeugt: in der Welt, in all' ihrer Weisheit, Schönheit und Güte gibt es nicht Leben und Frieden, woran das Menschenherz seine volle Genüge fände.

Auf der andern Seite sehen wir um Christus her Menschen, die auch noch in der Welt sind, und doch nicht von der Welt sich zeigen; denen man es ansieht: sie fürchten keinen Tod, obschon sie nicht leichtsinnig sind; sie wissen, daß es in Ewigkeit ihnen nicht mangelt, obschon sie nicht reich sind. Da tritt ein Mann mit grauen Haaren hervor: „HErr, nun lässest du deinen Diener im Frieden fahren, denn meine Augen haben dein Heil gesehen“; und neben ihn stellt sich eben so ein Mann in den rüstigsten Jahren: „ich habe Lust abzuscheiden - Sterben ist mein Gewinn.“ So finden sich aus den alten Zeiten herab bis auf die unsrige immer Solche, die rühmen, wie sie in Christus einen Frieden gefunden, den Niemand ihnen mehr nehme; wie sie Nichts fragen nach Himmel und Erde, da sie ein ewiges Leben hätten; ja mitten unter Trübsalen rühmen sie sich einer überschwänglichen Herrlichkeit; bei herben Verlusten trösten sie sich einer unermeßlichen, unbefleckten Erbschaft; in der Armuth und Niedrigkeit ergötzen sie sich an Schätzen, die kein Dieb ihnen stehlen, kein Moder und Rost verzehren könne.

Das müssen doch glückliche Menschen sein, Solchen muß es wohl gehen - aber wie sind sie zu diesem Glück gekommen? Unter den Leuten, die wir in der Leidensgeschichte noch ganz als gewöhnliche Menschen vor uns haben, sehen wir Einige, die bald hernach als ganz andere Menschen sich uns darstellen, die augenscheinlich in Christus Leben und volle Genüge gefunden haben. Wie haben diese es gemacht? worin besteht das Kunststück, ein andrer Mensch zu werden, und bei Jesus das Leben zu finden? nur darin, daß das Herz redlich den HErrn sucht, und unter allen noch vorkommenden Mißtritten und Mißfällen bei Ihm und seinen Worten bleibt! Das Letztere merke Jeder sich wohl; bleibst du nicht bei des HErrn Worten und seine Worte bleiben, haften nicht in dir: so fuchst du den HErrn auch nicht redlich, vielweniger daß du schon Ihn liebtest, und dein Herz wird nicht gereinigt; du machst dir aus Ihm einen Geliebten, wie dein verdorbenes Herz ihn sich wünscht, nicht aber wie Er in Wahrheit ist und lebt. Und solcher selbstgemachte Herzens-Christus kann und wird in dir nicht ewiges Leben und Genüge schaffen, sondern dein eigen Herz nur täuscht dich unter seinem Namen mit eitlen Lebensbildern und Seligkeitsbildern, wie alle Welt mit leeren Bildern sich täuscht, nur Jeder in seines Herzens Farbe und Weise. Der Jesus nur, wie er von Gott ist gemacht zum HErrn und Christ, nicht wie Menschen ihn machen, der Herrliche Gottes, wie er in der heiligen Geschichte vor die Augen uns, gemalt ist, der nur schafft Leben und volle Genüge; und das eben, daß die Jünger-Herzen Christum ergriffen und liebten, wie Er selbst sich ihnen gab in seinen eigenen Worten, und daß sie diesen seinen Worten ihren Unglauben und ihre Herzenshärtigkeit zum Opfer brachten - das war's, was aus dem todten Weltwesen sie herausführte in's göttliche Leben, und zu seligen Menschen sie machte; denn seine Worte sind Geist und Leben! Bei der Welt, d. h. der Welt, nicht nur wie sie uns vor den Augen steht, sondern auch uns Allen in den Herzen steckt, da suchten sie gerade das Wenigste; es war ein ganz besondrer, schmaler Weg, auf dem sie zu der köstlichen Perle gelangten, daß sie Wahrheit hatten statt dem allgemeinen Lügenwesen, Genüge statt dem ungenügsamen Haschen um sie her, Leben statt dem Tode! und dieser Weg, diese Wahrheit, dieses allgenügende Leben war ihnen eben Christus, wie Er vor ihnen redete und handelte, nicht wie sie selbst auch Anfangs in ihrem eigenen Kopf und Herzen Ihn sich gewünscht und gedichtet hatten.

Daß Er nun aber nicht nur diesen Wenigen, daß Er auch uns der Weg sey, die Wahrheit und das Leben: darum stieg der Herrliche herab in diese arme Welt, wo die Menschen thöricht sich abmühen um eitle Güter, und ihr einziges Gut darüber verlieren. Mit all' unserm Jagen und Streiten, m. Fr., mit unserm Scheinen und Erdichten gelingt es uns ja doch nicht, mit Wahrheits-Bestand zu unsrer Seele zu sagen: „geh selig! lebe in Ewigkeit!“ Der Tod, die Verzehrung, die Vergänglichkeit sitzt in Allem, was wir zu uns nehmen, und in Allem, was wir selber schaffen! jedem Freuderuf in der Welt folgt wieder ein Seufzer, ein Weheruf; an jedem Genusse nagt ein Wurm, ob man ihn auch nicht sieht noch sehen will, und je mehr wir genießen, je mehr schleicht sich in unser eigen Herz ein Wurm, der nimmer stirbt: Leerheit, Ueberdruß, Mißmuth, Reue.

Jesus Christus will dieß Alles ändern, Segen und Frieden in das Herz einpflanzen, welche die Welt überwinden; Freuden geben, die mit dem Tode nicht sterben, Leben schaffen, das nicht aufhört, sondern immer höher wächst. Und das ist von Ihm nicht nur in leere Worte gefaßt, sondern von Anfang hat Er's gethan bei so manchen geplagten, mühseligen und beladenen Herzen, die seine Stimme hörten und Ihm folgten; und durch lebendige Erfahrung bestätigt's Er jetzt noch Allen, die nur lernen mögen von Ihm mit derselben Geduld und Ausdauer, welche man in der Welt auf das Lernen wendet bei Personen und Sachen, die nicht die göttlichen Siegel an sich tragen wie Er.

Lerne also von Ihm, trachte mit Geduld, mit Ausdauer nach dem ewigen Leben bei Ihm, statt immer zu zweifeln, wenn Er sagt: Leben gebe ich euch, daß euch Nichts mehr mangeln soll. Bei einem solchen Mann, statt den Weg unter die Füße zu nehmen, nur klügeln und Bedenken hegen, heißt die Augen zudrücken, damit man das Licht nicht sehe; und wahrlich dem ist es noch nicht Ernst um sein Glück, oder er hascht noch nach einem falschen, eingebildeten Glück, der in Jesu Stimme nicht die Stimme der Wahrheit und des Lebens erkennt. Er weiß, was in unser Aller Herz ist: wo Er denn Verlangen, redliches Suchen sieht nach Leben und Genüge bei Ihm, und nicht mehr bei der Welt, da kommt Er auch uns immer näher und nimmt das matte Herz in seine Pflege, daß Er es leite zu seinem himmlischen Lebensquell, und am Ende es dahin bringe, wo nicht Hunger mehr ist, keinerlei Sorge und Noth.

Mögen für jetzt die Menschen nach Belieben ihren mancherlei Träumen nachhängen: es kommt ein Tag, da Gott die Seelen heimfordert aus ihren Irrfahrten, und da wird sich's zeigen, wer seiner Seele hat zum Leben geholfen, oder wer sie darum betrogen hat. Sey's dann, daß der Eine möge denken und sagen: „in dieser, jener Lehre hab' ich schon gefunden, was ich brauche!“ ein Anderer: „meine Kunst hat goldenen Boden!“ ein Dritter: „ich fühle mich glücklich genug in meinen Büchern, Freunden und meiner Familie!“ ein Vierter auch: „ich bin mir selbst genug mit meinem Geld oder Verstand, meiner Tugend oder Religion!“ - wie das Alles möge lauten: aus dem rechten Tone geht es nur da, wo es mit Grund der Wahrheit heißt: „der HErr ist mein Hirte, mir wird Nichts mangeln, Er erquicket meine Seele und führet mich auf rechter Straße; und ob ich schon wandere im finsteren Thale, fürchte ich kein Unglück: denn du bist bei mir - dein Stecken und Stab trösten mich!“ (Psalm 23.) Amen.

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