Baumgarten, Michael - Worauf es vor allem ankommt

Baumgarten, Michael - Worauf es vor allem ankommt

„Es sei denn, daß jemand von Neuem geboren werde.“
Joh. 3,5

„Es war ein Mensch aus den Pharisäern, Nikodemus mit Namen, ein Oberster unter den Juden.“ So beginnt diese denkwürdige Geschichte. An dem Zeugnis Jesu vor diesem Manne sollen wir lernen, worauf es für alle Zeiten vornehmlich ankommt. Nikodemus gehörte zu den strengen Gesetzesbeobachtern und war einer von den Führern des Volkes, gehörte also denen zu, die später den Haß gegen Jesum auf die höchste Spitze trieben. - Er kommt zur Nachtzeit zu Jesu, offenbar weil er es wegen seiner Stellung am lichten Tage nicht wagte. So rasch und scharf hatte sich jetzt schon die Abneigung der Volksführer gegen Jesum entwickelt. Trotzdem Jesus erst kurze Zeit öffentlich aufgetreten war, ist es bereits dahin gediehen, daß man seine Stellung gefährdet, wenn man zu Jesu in Beziehungen tritt. Daß Nikodemus in der Nacht kommt, beweist, daß er auch unter dem Bann der Feindschaft gegen Jesum steht, und die Unterredung mit Jesu bezeugt es auch deutlich, daß er diesen Bann noch nicht überwinden kann. Es fehlt diesem Pharisäer und Obersten bei seinem nächtlichen Gange an allem Licht, gegenüber allen Worten Jesu hat er nur Fragen und Zweifel und so kann von einem Resultate der Unterredung keine Rede sein. Wohl bekennt Nikodemus ja: „Meister, wir wissen, daß du bist ein Lehrer von Gott gesandt“ usw., aber trotzdem sagt ihm Jesus das schneidende Wort: „ihr nehmt unser Zeugnis nicht an!“ Durch diese Worte Jesu ist das ganze tiefe Verderben Israels beschrieben und enthüllt; es verwirft Jesum, den Sohn Gottes, der zu ihm als seinem Eigentumsvolke gekommen war! Welches aber ist der Grund solch tiefen Verderbens? Auch darüber spricht sich der Herr dem Nikodemus gegenüber aus: es ist die fleischliche Natur Israels, die fleischliche Geburt, der es entstammt; „was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Juden wie Heiden sind also gleicherweise verdorben; beide sind Fleisch durch ihre Geburt, und was vom Fleisch geboren ist, das ist und bleibt Fleisch. Soll es anders werden, dann muß eine dem Fleische entgegengesetzte Macht in den Herzen zu Entfaltung kommen können, und diese Macht ist der Geist Gottes, der von oben kommt und nach oben weist. Gleichwie man von der Windsbraut den Ausgang und das Ziel nicht kennt, so ist auch der Geist eine den irdischen Berechnungen und der menschlichen Erkenntnis entnommene Macht; alles aber, dessen Ursprung und Ziel berechnet und nachgewiesen werden kann, ist fleischlich. Der Geist ist die Gottesmacht, die allein den Grund des menschlichen und jüdischen Verderbens zu enthüllen und zu überwinden im Stande ist. Diese Macht aber ist in Jesu da und kann durch ihn zur Wirksamkeit kommen.

So verlangt denn Jesus von Nikodemus und seinen Genossen, obwohl sie ihm ihren Glauben an seine göttliche Sendung bekennen, die Neugeburt von oben, und diese Forderung macht er immer wieder geltend. Nikodemus hat zwar dieser Forderung gegenüber nur Zweifel und Fragen, aber mit Ernst hält ihm der Herr vor: „du bist ein Meister in Israel und weißt dieses nicht?“ Als schriftgelehrter Rabbi mußte Nikodemus wissen, daß an vielen Stellen des alten Testaments von der Notwendigkeit einer übernatürlichen Geburt die Rede ist. Gewiß kannte Nikodemus diese Stellen auch, aber er hatte sich vielleicht gewöhnt, gerade wie viele Schriftausleger von heute, das Wort „Wiedergeburt“ als einen bloßen Namen zu betrachten, als eine erbauliche Redefigur ohne Inhalt. Die Wiedergeburt ist aber eine reale Tatsache und diese zeigt sich besonders darin, daß in ihr ein dauerndes, bleibendes, geistliches Leben gesetzt wird. Wo man sie als eine solche wirkliche Tatsache nicht ansieht, da hat man sie eben auch nicht erfahren, und wo man sie nicht erfahren hat, da kann es nicht ausbleiben, daß man sie überhaupt für etwas Unmögliches ansieht und daß man den Ausdruck „Wiedergeburt“ als eine Übertreibung betrachtet. Auf diesem Standpunkt steht Nikodemus auch. Er erkennt aus den Worten Jesu ganz klar, daß der Herr die Neugeburt als eine wirkliche Tatsache ansieht und fordert. Auch fühlt er klar, daß ihm selber die Forderung Jesu ernstlich gelte, aber er fährt fort zu zweifeln und zu fragen: „kann ein alter Mann wie ich wieder geboren werden?“ Jesus aber bleibt ihm die Antwort darauf nicht schuldig. Er selber, Jesus, ist vom Himmel her in die Welt gekommen, damit die Welt durch ihn das Leben habe. In seiner himmlischen Geburt ist der Schatz des Gotteslebens für die Welt beschlossen; es gilt also ihn, den Sohn Gottes, ins Herz aufzunehmen, um zu einem neuen göttlichen Leben wiedergeboren zu werden. Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben. Wer aber an den Sohn glauben will, der muß es so machen, wie einst die von den feurigen Schlangen Gebissenen: er muß den für die Welt dahingegebenen, ja bis zum Tode am Kreuz preisgegebenen Gottessohn im Glauben anblicken. Dieser Glaubensblick auf Jesum macht den Gebissenen d.h. den von dem Fleisch verderbten Menschen gesund, gibt ihm Erlösung von der Schuld und die Kraft eines neuen göttlichen Lebens, und der Glaube ist auf Seiten des Menschen eben die Empfänglichkeit, die der Bezeugung und Hingabe des göttlichen Lebens in Christo entspricht. Darum hat der, der an den Sohn glaubt, das ewige Leben, er hat die Macht der ewigen Gottesgeburt in sich aufgenommen, er ist aus dem Geiste geboren. Wer dieses erlebt hat, für den ist die Frage des Nikodemus erledigt.

Nikodemus hat wohl erst viel später (Joh. 7,59; 19,39) die Antworten Jesu auf seine Bedenken verstanden und ist dann, wie wir wohl annehmen dürfen, der Wiedergeburt teilhaftig geworden Vorläufig war seine Unterredung mit Jesu ohne Resultat. Möchten wir aber bezeugen können aus eigener Erfahrung, daß es wahr ist, was der Dichter sagt, daß die, die aus Gott geboren sind, deren Sinn nicht mehr fleischlich ist, selig sind!

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1912

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