Arndt, Friedrich - Das Vaterunser - Der Schluß.

Arndt, Friedrich - Das Vaterunser - Der Schluß.

Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Wenn der Apostel Paulus seine wichtige Abhandlung über die Gnadenwahl im elften Kapitel des Briefs an die Römer schließt mit den Worten: „Denn von Ihm und durch Ihn und zu Ihm sind alle Dinge; Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen“: so entsprechen jene Worte vollständig den erhabenen Schlußworten des Vater-unsers. Von Gott sind alle Dinge, denn sein ist das Reich; durch Gott sind alle Dinge, denn sein ist die Kraft; zu Gott sind alle Dinge, denn sein ist die Herrlichkeit. Gehen wir indeß noch mehr auf den Inhalt dieser Worte ein, so wird uns alsbald einleuchten, wie sie den Grund enthalten, warum wir an die gewisse Erhörung der vorangehenden Bitten glauben dürfen. Gott, wollen sie nämlich sagen, wird das Erbetene so gewiß erfüllen, als seine Herrschaft, Allmacht und Herrlichkeit die höchste und als sie unvergänglich ist! Damit beantworten sie die drei Haupteinwürfe zur Genüge, welche man gewöhnlich gegen die Erhörbarkeit unserer Gebete zu machen pflegt. Wir betrachten also: l) Gott will uns erhören, denn sein ist das Reich, 2) Gott kann uns erhören, denn sein ist die Kraft, 3) Gott wird uns erhören, denn sein ist die Herrlichkeit.

1.

Der erste Einwurf, welchen man gegen die Erhörbarkeit unserer Gebete macht, ist der: will denn Gott unser Gebet erhören? Wir können darauf kurz und schlicht antworten: Ja, denn Er hat es gesagt und versprochen, so heilig, wie nur ein Gott versprechen kann, an unzähligen Stellen. „Rufe mich an in der Noth, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen. (Ps. 50, 15.) Es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten, wenn sie noch reden, will ich hören. (Jes. 65, 24.) Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan (Matth. 7, 7. 8.) Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, so ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird Er's euch geben.“ (Joh. 16, 23.) Gott hat also die Absicht, uns zu erhören, und es steht Ihm nach solchen Zusagen gar nicht mehr frei, ob Er uns erhören wolle oder nicht; Er muß uns erhören, so wahr Er Gott ist, der Wahrhaftige, und als solcher uns nicht nur aufgefordert hat zu beten, sondern selbst die Güter im Vater Unser namhaft gemacht hat, um die wir ohne Bedenken und Zweifel bitten dürfen. Ein ehrlicher Mensch schon hält sein Wort: muß es nicht vielmehr der treue und wahrhaftige Zeuge im Himmel uns halten? Er hat uns gedrohet, daß wir einst werden müssen Rechenschaft geben von jedem unnützen Wort, das wir geredet haben: wie könnte Er also selbst unnütze Worte sprechen, Er, auf dessen untrügliche Worte sich alle Welt verlassen muß? Er muß uns erhören, weil Er es uns verheißen hat, und Er bat es uns verheißen aus keinem andern Grunde, als weil Er uns erhören will. So könnten wir auf Gottes Wahrhaftigkeit in Erfüllung seiner Verheißungen uns berufen, um der Erhörung unserer Gebete gewiß zu sein. - Indeß der Herr führt uns im Schluß des Vater Unsers einen andern viel wichtigeren und schlagenderen Grund an; Er sagt: denn Dein ist das Reich. Wie wichtig ist da zunächst das gewaltige, Ueberzeugung und Vertrauen einflößende Denn! Wie wichtig sodann der oberste aller Beweise und die Stütze aller Stützen, man möchte sagen die Grundsäule aller Gebeterhörungsgründe: denn Dein ist das Reich! Dein ist das Reich: Das Reich der Macht in der Natur, das Reich der Gnade in den Herzen, das Reich der Herrlichkeit im Himmel unter den Seligen und Engeln. Dein ist das Reich: Du hast das Naturreich geschaffen; Alles, was im Himmel und auf Erden ist, ist Dein; der Seraph, der ewiglich vor Dir steht, und der Mensch, der Sohn der Zeit; die Sonnen, die Du riefst, und sie kamen, die Sonnenstäubchen, zu denen Du sprachst, und sie wurden Welten voll Leben. Du hast gegründet das Gnadenreich, denn Du hast uns Deinen Sohn gesandt, uns verlorne Sünder zu erlösen; Er ist die Versöhnung für unsere Sünde, unser Fürsprecher bei Dir, und hat uns, die wir durch uns selbst nicht werth waren, Deine Kinder zu heißen, durch seine Erlösung zu Deinen Kindern gemacht. Du hast endlich uns aufbehalten das Reich der Herrlichkeit mit seinen unermeßlichen Wohnungen, seinen unvergänglichen Gütern, seinen paradiesischen Genüssen und ewigen Herrlichkeiten. Dein ist das Reich: wie Du es gegründet hast, so erhältst und regierst Du es in alle Ewigkeit mit unveränderlicher Weisheit, Güte und Macht; Du giebst und nimmst, Du strafst und lohnst, Du führst in Trübsal und in Seligkeit, Deine Hand trägt das Weltall, daß es nicht versinke, und Deine väterlichen Arme heben Deine Kinder an das Herz voll Gnade und Erbarmen. Es geschieht nichts, was nicht von Dir und durch Dich geschieht. Du bist König des Weltalls und König Deiner Kinder auf Erden. - Ist Gott aber unser König und sind wir seine glückseligen Unterthanen: kann dann noch die Frage sein, ob Gott uns erhören wolle? Ein guter König will immer das Beste seines Volks, hört gern ihr Verlangen und ihre Bitten an, gewährt ihnen von Herzensgrund, was nur in seinen Kräften steht, und hätte nichts lieber, als sie alle um sich herum im blühendsten Wohlstande und im Vollgenuß des Glücks zu erblicken. Gott aber ist der König aller Könige, der beste und vollkommenste Monarch, vor den jeder nicht nur treten und Ihm sein Anliegen offenbaren darf, der auch allezeit bereit ist, die Herzensanliegen jedes Einzelnen mit Vaterliebe zu erfüllen. Die einfältigste Sprache ist Ihm angenehm, ja, das Lallen der Säuglinge ist Ihm ein köstlich Lob, so sehr bricht Ihm vor Liebe sein Herz beim Anblick unseres Elends, daß Er sich unserer erbarmen muß. Es ist auch keine Stunde des Tages und der Nacht, wo nicht sein Auge über uns offen stände, und auf die Bitten seiner Unterthanen wartete. Er wird auch nie ungeduldig, wenn Er mit Bitten überhäuft wird, und fertigt niemanden kurz und unwillig ab. Je länger je lieber, und je öfter je lieber, heißt es bei Ihm. Seine Lust zu helfen, zu heilen, zu trösten, wohlzuthun, selig zu machen, hört nimmer auf, und kann nur wachsen, je mehr das Vertrauen zu Ihm in unserer Seele wächst! Ja, Er selber setzt uns im Vater Unser gleichsam die Bittschrift auf, die um Abhülfe all ihrer Noch Ihn anfleht, und läßt sie durch seinen Sohn uns überreichen. O himmlischer König, wer wollte sich nicht des Besten zu Dir versehen? Wer könnte nun noch zweifeln, daß Du gewiß den Willen hast, uns unsere Bitte zu gewähren? Wer könnte nun noch glauben, Dir je ungelegen und zur unrechten Stunde zu kommen, oder zu viel von Dir zu verlangen? Deine Güter sind so unermeßlich, wie die Welt ist, so unermeßlich, wie Du selbst bist. Wer könnte jemals glauben, zu ungenügsam, zu kühn, zu anmaßend, zu begehrungssüchtig vor Dir zu erscheinen? Und wenn er mit all Deinen himmlischen und irdischen Gütern noch nicht zufrieden wäre, weil er fühlte, daß alle Deine Güter nicht hinreichen, ihn zu beseligen, und er Dich selbst haben, Dich selbst besitzen und sich aneignen möchte: auch das wäre nicht zu viel von Dir verlangt, das wäre Dir gerade erst recht erwünscht und stimmte mit Deines eigenen, göttlichen Herzens ewigem Verlangen vollkommen überein; denn Du selbst willst in uns wohnen und wir sollen Dein Volk, Du willst unser Gott sein.

Aber noch mehr liegt in dem Worte: Dein ist das Reich. Denn ist das wahr und gewiß, so beten wir im Vater Unser nicht für uns, sondern für Ihn, und es geht Ihn unser Gebet eben so nahe an wie uns. Ist es nicht Sein Name, dessen Heilighaltung; Sein Reich, dessen Kommen; Sein Wille, dessen Vollbringung wir erstehen? Und ist Er nicht selbst unserer Seelen Brod? Ist unsere Vergebung nicht die Folge Seiner Vergebung und Sein Wille? Ist unser Sieg über die Versuchung nicht das Kommen Seines Reiches? Ist unsere Erlösung vom Uebel nicht die Verherrlichung seines Namens? Sein ist also Alles, was wir bitten, und bitten wir auch für uns, irrend und selbstsüchtig: eigentlich gehören wir doch Ihm an mit allem, was wir sind und haben, und bitten daher im Grunde nur für Ihn, indem wir von Ihm bitten. O gewaltiger Gedanke! Wunderbares Geheimniß des Bittens und des Gebens! Was wir bitten im Vater Unser, wir begehren immer nur Dinge, die Er uns schenken will und die seine Liebe uns bereits langst zugedacht hat. Und wir könnten noch fragen, ob Gott uns erhören wolle? Fragt auch ein Kind, ob sein Vater es lieb habe, und ihm gebe, was es bedarf? Der sein Reich uns zu Gute gegründet, der uns in sein Reich eingeführt hat als Reichsgenossen und Reichsbürger, der bei allen seinen Führungen das Kommen seines Reichs zu der ganzen Welt vor Augen hat, der das Größte gegeben hat: Er sollte uns nicht das Kleinste hinzufügen? Er sollte uns nicht geben wollen, was sein Reich bei uns befördert? Er sollte im Widerspruch mit sich selbst stehen und zurücknehmen können seine Zusage: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen?“ Nimmermehr! So wahr sein das Reich ist, dem wir angehören, und Er unser König: so wahr ist es Ihm ein heiliger Ernst, uns zu hören und zu erhören. Laß es dir denn auch einen Ernst sein, zu glauben und zu beten; bete mit voller Seele; bete mit heiligem Verlangen, bete mit der seligen Gewißheit, Gott müsse dich erhören, weil Er dein Gott ist und du sein Kind bist, und du wirst es erfahren, wie treulich Er Wort hält und wie nimmer zu Schanden werden, die auf Ihn trauen. Habe deine Lust an dem Herrn, und Er wird dir geben, was dein Herz wünschet.

2.

Doch da erhebt sich ein zweiter Einwurf in unseren Herzen. Es heißt nämlich: „Wenn ich auch an Gottes Willen und Liebe, mich zu erhören, nicht zweifeln möchte, ist denn das aber auch gewiß, daß Er mich erhören kann? Mancher gute Herr und König würde oft gern helfen, aber er kann nicht.“ Unser Text antwortet: Dein ist die Kraft. Von Ihm geht alles Leben und Weben aus; wenn Er spricht, so geschieht's, wenn Er gebeut, so steht es da; Er giebt das Wollen und Vollbringen nach Seinem Wohlgefallen, und bei Ihm ist kein Ding unmöglich! Kurz, sein ganzes Wesen ist Kraft, sein Denken ist Kraft, sein Wollen ist Kraft, sein Thun ist Kraft; will Er dir nur helfen, siehe, so ist dir geholfen. - Doch das meint man eigentlich nicht, wenn man an der göttlichen Kraft, uns zu erhören, zweifelt; der rechte Zweifel klingt vielmehr so: „Gott kann uns nicht erhören, denn Er kann nicht um unsertwillen die von Ewigkeit her feststehende Ordnung der Welt verändern; sein Weltplan steht einmal fest; stimmen unsere Wünsche mit demselben überein. so werden sie auch ohne Gebet erhört; widersprechen sie demselben, so hilft uns all unser Beten weiter nichts, als daß wir höchstens dadurch beruhigt und gestärkt werden, eine wirkliche Erhörung findet nicht Statt.“ Aber auch auf diesen Einwurf antwortet der Text: Dein ist die Kraft, und damit ist er vollkommen widerlegt. Oder wäre Gottes noch die Kraft, wenn seine Freiheit gebunden wäre durch eine äußere, starre, eiserne Nothwendigkeit? wenn seine Vorsehung und Weltregierung abhängig wäre von äußern, ewig unveränderlichen Ordnungen. Planen und Gesetzen? und wenn Er nie selbstständig eingreifen könnte in den Gang der Dinge zum Besten seiner Geschöpfe? Und wo bliebe die freie Willensbestimmung der Menschen, wenn Alles in der Welt nach Bestimmung und eiserner Notwendigkeit zuginge? wird bei der Ansicht nicht der Mensch zu einer leblosen Maschine gemacht, der jedesmal nur das thun kann, was er soll, und was ihm von Gottes Weltplan vorgeschrieben ist? Könnte Gott wirklich keine Veränderungen treffen in der Regierung der Welt, so hörte sowohl seine als des Menschen Freiheit auf, es wäre damit sowohl sein als des Menschen innerstes Wesen vernichtet; Er nicht mehr der lebendige Gott, sondern selbst unterworfen einer höher stehenden, heidnischen, finstern, unabänderlichen Gewalt. Aber nein, so wahr wir uns bewußt sind, einen freien Willen zu haben und durch unsere Willensbestimmung in den Gang unserer Schicksale und Thaten nach Gottes Ordnung einzugreifen: so wahr können und sollen es auch unsere Gebete; und so gewiß der große Gott im Himmel ein weiser, allmächtiger, lebendiger Gott ist, so gewiß kann Er auch, was Er will, im Himmel und auf Erden , in allen Höhen und in allen Tiefen, und sein Rathschluß ist nie ein unbedingter, sondern allezeit nur ein bedingter. - „Dann müßten ja aber heute noch Wunder geschehen, wenn Gott auf unser Gebet könnte und wollte seine Weltordnung verrücken?“ Allerdings, es geschehen auch heute noch Wunder, wie vor zweitausend Jahren; Gottes Arm ist noch nicht verkürzt, und seine Macht hat noch kein Ende. Jede Erhörung eines Gebets ist ein Wunder. Für Gott freilich nicht, denn bei Ihm ist kein Ding unmöglich; aber für uns Menschen allerdings. Wenn du um Genesung deines todtkranken, von allen Aerzten aufgegebenen Kindes betest, und es geneset auf dein Gebet dein Kind wieder: so ist's für dich ein Wunder, weil Gott möglich gemacht hat, was bei allen Menschen unmöglich war. Wenn du um Bekehrung einer in alle Irrwege der Sünde verlornen Seele betest, und die tiefgesunkene Seele findet den rechten Weg wieder und preiset und bekennt mit dir den Herrn durch Wort und That: so ist solche Bekehrung vor deinen Augen ein Wunder, weil der göttlichen Gnade gelungen ist, was menschlicher Liebe und Ermahnung nicht gelingen wollte. O gieb um Gottes willen den Glauben an Wunder nicht auf: du zerschnittest damit den zartesten Nerv deines innersten Lebens. Jener Ritter in Samaria unter Jorams Regierung sprach auch, als Elisa wohlfeile Zeit auf den andern Tag ankündigte: Und wenn der Herr Fenster am Himmel machte, wie könnte solches geschehen? Elisa antwortete aber zu seinem Unglauben: Siehe da, mit deinen Augen wirst du es sehen, und nicht davon essen. (2. Kön. 7, 19.) - „Aber wie? wenn die Gebete der Menschen sich widersprechen? wenn der Eine um Regen, der Andere um Sonnenschein bittet?“ In solchem Falle würde uns Gott nicht erhören. Nicht, weil Er nicht könnte, sondern weil Er nicht wollte! Und warum würde Er nicht wollen? Darum nicht, weil in solchem Fall unsere Gebete Ihm nicht wohlgefällig wären, weil sie über die von Ihm selbst gezogenen Grenzen hinausgingen, und wir damit zugleich Gott angeben und vorschreiben wollten, wie Er uns helfen solle, und das dürfen wir kurzsichtige Menschen nur mit der Einschränkung: ist's möglich und gut, so geschehe es, aber sonst nicht, wie ich will, sondern wie Du willst. Um unser täglich Brod, um Erlösung von den Leiden, um Bewahrung vor Versuchung, um Vergebung der Sünden dürfen wir geradezu bitten, denn es ist Gottes Befehl, aber wie und auf welche Weise Er uns unser Brod geben, wie und auf welche Weise Er unsern Leiden ein Ende machen, wie und auf welche Weise Er die Versuchungen abwenden will, das hat Er sich selbst in seiner göttlichen Regierung vorbehalten. Uns gebührt nur festzuhalten die- trostreiche Wahrheit:

„Weg hat Er allerwegen,
an Mitteln fehlt's Ihm nicht,
Sein Thun ist lauter Segen,
Sein Gang ist lauter Licht;
Sein Werk kann niemand hindern,
Seine Arbeit kann nicht ruhn,
wenn Er, was seinen Kindern
ersprießlich ist, will thun.“

- Es bleibt also dabei: Dein ist die Kraft; Gott will uns nicht nur erhören, Er kann es auch; und ist seinem innersten Wesen nach viel zu groß, als daß Ihm unser armes Bittgebet seine göttliche Weltregierung verwirren könnte, sobald Er es erhört. Darum bete nur zuversichtlich, laß dich nicht bange machen durch irgend solche sich überhebenden Gedanken der Weisen dieser Welt, und traue deinem Gott im Himmel, deinem Könige und Vater, mehr zu, als die Klügelei und Vernünftler unter den Menschen dir Erlaubniß geben wollen. (2. Cor. 4,7-9. Jac. 1,6-8.12. Jes. 54, 10.) Der Herr ist nahe denen, die Ihn anrufen, allen, die Ihn mit Ernst anrufen; Er thut, was die Gottesfürchtigen begehren und hört ihr Schreien und hilft ihnen.

3.

Ein dritter Einwurf, der gegen die Lehre von der Gebetserhörung gemacht wird, ist der: „Wird Gott mich auch erhören? ich bin so unwürdig, ich bin so sündhaft, ich habe es gar nicht verdient, ach, und ich fühle mich so schwach, so muthlos und verzagt, daß ich kaum wage, ihm meine Seufzer und Anliegen vorzustammeln, geschweige ihre Gewährung zu erwarten und zu hoffen.“ Unser Text macht den Verzagten Muth durch seine Antwort: Dein ist die Herrlichkeit. Zu seiner Herrlichkeit gereicht alles, was Er thut, aber ganz besonders die Erhörung unserer Gebete. In ihnen erscheint sowohl seine Herrlichkeit, als sie von den Menschen erkannt und anerkannt wird. Oder wie? wenn Hagar in der Wüste zu Gott sieht und sie wird vom Tode errettet; wenn Jacob mit dem Herrn in der Nacht ringt und am Morgen seinen Bruder Esau umgewandelt und freundlich findet; wenn Moses seine betenden Arme auf Horeb erhebt und Israel über Amalel siegt; wenn Samuel nichts hat als Opfer und Gebet, und auf sein Gebet Gott der Herr die Philister auf's Haupt schlägt durch seine Hagelschloßen; wenn David auf der Flucht vor Saul, rings umgeben von Feinden, nur noch durch die Nacht von ihnen getrennt, betet, und am Morgen Sauls Heere verschwunden sind; wenn Salomo anhält zu Gibeon um Weisheit und Gehorsam, und Gott ihm beides gewährt und Reichthum und langes Leben dazu; wenn Elias den Himmel aufschließt mit seinem Gebete und Feuer herabregnet; wenn Daniel durch seine Bitten verborgene Dinge von Gott offenbart erhält oder aus der Löwengrube wunderbar errettet wird; wenn Hiskias in Kraft seines Gebets aus den Pforten des Todes zum Leben zurückkehrt; wenn die Christengemeinde in Jerusalem durch ihre Fürbitten den Apostel Petrus aus dem Gefängniß erlöset: wie? offenbart sich nicht in allen diesen Gottesthaten Seine Herrlichkeit? Und wenn nun die Geretteten und Erhörten auf ihren Knieen liegen und mit Freudenthränen im Auge dem Herrn der Heerschaaren ihre Loblieder singen, wenn sie aus Dankbarkeit Ihm ihr ganzes Leben weihen, und nicht blos äußerlich gerettet, sondern auch innerlich an der Seele gebessert, gereinigt, verklärt und beseligt werden, wenn ihre Erfahrungen und ihre Jubelpsalme nun auch andere Herzen zum Gebet, zum Glauben, zum Warten und Stillehalten, zum Lobe Gottes entflammen: wie? offenbart sich in diesen Wirkungen der Gebetserhörung, in dieser allgemeinen Anerkenntniß der Macht und Gnade Gottes nicht von neuem Seine Herrlichkeit? O wie traurig wäre es, wenn der Vater unsers Herrn Jesu Christi nicht mehr vermöchte, was der Gott Abrahams vermocht hat, wenn der Herr der Welt damals allmächtig, jetzt ohnmächtig; damals erbittlich, jetzt hart; damals herrlich, jetzt in Dunkelheit gehüllt wäre! Doch nein, Er ist heute noch derselbe Gott, herrlich an Macht und That, wie Er's vor Zeiten war, und es liegt nur an uns, an unserer Blödigkeit, Kurzsichtigkeit, Ungläubigkeit, wenn wir nicht heute noch Gottes Herrlichkeit sehen und Jesu Wort erfahren: Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, du solltest die Herrlichkeit Gottes sehen? Auch noch heute erhört Er unsere Gebete und thut immer überschwänglich mehr, als wir bitten und verstehen können; und es ist kein Zufall, kein Zusammentreffen natürlicher Umstände blos, wenn manchmal buchstäblich das Gebetene gegeben wird; es ist immer eine wahrhafte That Gottes und eine Herablassung der ewigen Liebe zu den Bedürfnissen und Schwachheiten der Kinder Gottes auf Erden. Erhört Er uns nicht immer auf die Weise, wie wir es wünschen: so erhört Er uns auf eine andere Weise, besser, herrlicher, reichlicher und gewaltiger, als wir gebetet haben. Erhört Er uns nicht immer gleich auf der Stelle und zur Stunde, wo wir es wünschen: so erhört Er uns später doch, wo die Hülfe uns mehr und mehr zu Statten kommt, und wir müssen uns zuletzt allemal schämen über die Art, wie Er uns geführt hat, wann seine Stunde gekommen ist. Je länger sie auf sich warten läßt, desto gewisser kommt sie; sein Weilen ist immer nur ein Eilen. Unerhört bleibt kein Gebet hienieden! Menschenworte mögen zur Erde fallen, Königsworte sogar mögen gebrochen und zurückgenommen werden: Gottesworte bleiben ewig, auch wenn Erde und Himmel untergehen, und kein Gebet, sei es auch das Gebet der Geringsten, ist umsonst. Könnten wir nur allezeit glauben, uns wäre geholfen; unser Unglaube allein ist es, der meist die Erhörung verzögert! Gott ist immer bereit zu geben, und wenn Er giebt, giebt Er viel, um noch mehr zu geben; aber wir, scheu und schüchtern, durch uns und unseres Gleichen verwöhnt, wagen es nur selten und auch dann erst nach großem Kampf, zum zweiten Male zu bitten. Er spricht: „Thue deinen Mund weit auf, laß mich ihn füllen,“ und liebt große Bitten, weil Er am liebsten recht reichlich giebt; wir aber öffnen zaghaft kaum die halben Lippen, können kein Herz zu Ihm fassen und dem großen Gott nichts Großes zutrauen, wir bitten immer so spärlich und kläglich. Er hat unsern Kleinglauben schon so oft beschämt und überrascht, und dennoch, wenn es gilt, fallen wir immer wieder in die alte Zaghaftigkeit zurück. Darum bete nur beharrlich, getrost und freudig, bete in Jesu Namen, laß dich nicht bange machen durch die Größe deiner Sünden; denn wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden; halte nur treulich an, dein ganzes Leben sei Gebet, und- du wirst Gottes Herrlichkeit sehen. Summa: Wer irgend noch Glauben hat, der muß an eine ewige Wahrheit glauben; wer an eine ewige Wahrheit glaubt, kann an der Wahrheit der biblischen Geschichte nicht zweifeln; wer an der Wahrheit der biblischen Geschichte nicht zweifelt, muß der Erhörung der Gebete gewiß werden.

Nun fährt der Herr wie im Glaubenstriumphe, wie in immer steigender Zuversicht fort: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Nimmer endet sein Regiment im Himmel und auf Erden, zu keiner Zeit wird seine Kraft ermatten, und in Ewigkeit wird seine Herrlichkeit nur immer herrlicher werden. Unendlich und ewig ist sein Reich, seine Kraft, seine Herrlichkeit; unendlich und ewig, grenzenlos und schrankenlos daher auch seine Erhörung. Doch noch höher geht der Schwung der seligsten Glaubensgewißheit, die allerhöchste Zuversicht spricht sich endlich aus in dem Schlußwort des ganzen, unvergeßlich herrlichen Gebetes: Amen, d. h. ja, es soll also geschehen; Amen, d. h. es ist gar keine Frage, Gott muß mich erhören, meine Bitten sind dem Vater im Himmel angenehm und erhört. Amen! Amen! Können wir das Gebet aller Gebete trostreicher und beseligender schließen? Liegt nicht in diesem Amen schon der Anfang der Erhörung? ist es nicht gleichsam die Glaubenshand, mit der wir die erbetenen Güter ergreifen? ist es nicht die Krone und das Siegel zu all den sieben Bitten, die ihm vorangegangen sind? Was wäre das ganze Vater Unser ohne sein Amen? Die Dankpsalme schließen mit Halleluja, die Bitten und Gebete schließen mit Amen. Auch die Predigten in der Kirche schließen mit Amen. Warum? Weil sie in ihrem innersten Kern und Wesen, wenn sie das sind, was sie sein sollen, Gebete sind, geboren aus Gebeten in stiller Einsamkeit, getragen von den Gebeten der in Jesu Namen versammelten Gemeinde, führend zu dem Gebet bei den Hörern und bei dem Redenden, daß Gott das gesprochene Wort segnen wolle. So wollen wir denn auch heute, des himmlischen Segens gewiß, diese Betrachtungen über das Vater Unser schließen mit dem Glaubenswort: Amen, ja, ja, es soll also geschehen! Amen.

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